Man atmet ja auch dabei.

Text und Bild im „Raum Lentos“: Das Kunstmuseum hat an Teresa Präauer das kuratorische Konzept herangetragen, mit der Zahl Sieben umzugehen. Norbert Trawöger hat Teresa Präauer getroffen.

Foto Teresa Präauer, Bildschirme nennen etwas einen blöden Spruch.

Foto Teresa Präauer, Bildschirme nennen etwas einen blöden Spruch.

Sieben Tage hat die Woche, der Wolf sieben Geißlein und Schneewittchen sieben Zwerge. Sieben Weltwunder kennt die Antike. Sieben ist die „Millersche Zahl“, die besagt, dass ein Mensch gleichzeitig nur bis zu sieben Informationseinheiten in seinem Kurzzeitgedächtnis auffassen kann. In der biblischen „Offenbarung“ hält der Erschaffer, der Schöpfer sieben Sterne in der rechten Hand. Eine schöne Vorstellung, die Teresa Präauer „haptisch-komisch“ fand. Präauer lebt in Wien, schreibt und zeichnet. Wie können Sie Schreiben und Zeichnen zugleich, wird sie gelegentlich gefragt: „Man atmet ja auch dabei“, hält sie entgegen. Der Mensch ist imstande gleichzeitig zu essen und zu atmen. Man müsse sich entscheiden, hat die Künstlerin früher oft gehört. Das absolute Gegenteil trifft für ihren Weg zu, die Dinge kommen immer mehr zusammen. Es fasziniert sie Arbeiten für Museen zu machen, die sehr textlastig sind. Eben im Wissen um die bildnerischen Mittel: „Bildanalyse, das kann ich wirklich“. Präauer hat in Berlin, Salzburg und Wien Germanistik und Malerei studiert. 2012 erhielt sie den aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt, ihren Roman „Für den Herrscher aus Übersee“ (2012). Ihr zweiter Roman „Johnny und Jean“ wurde 2015 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und im gleichen Jahr las sie beim Bachmannpreis.

Das Kunstmuseum Lentos hat an sie das kuratorisches Konzept, mit der Zahl Sieben umzugehen, herangetragen. Umgehen heißt, ein Kunstwerk zu schaffen. Ihre Arbeit zeigt sich ab 17. März an der Längsseite des Kunstmuseums. Für die Vorbeigehenden, von Innen nach Außen. „Stars“ ist ein Stück für 7 Monitore, die mit Text und reduzierten grafischen Elementen bespielt werden. Es beginnt schwarz und endet schwarz, wiederholt sich im Loop, denkt nach über Anfang und Ende, Schwarz und Weiß, Tag und Nacht, das Universum und den Sternenhimmel. Präauer bringt ihre Bildschirme zum Sprechen, auch darüber, dass sie Bildschirme sind. Sie denken das Symbol Sieben mit. Sie unterhalten sich darüber, geben einander Regieanweisungen, liefern sich Schlagabtäusche, formieren gemeinsam ein Wort oder nennen etwas einen blöden Spruch. „Dies ist ein Touchscreen. Wenn du ihn berührst, fließt Champagner aus den Wolken.“ Der Screen ist weder berührbar, noch zu einer Reaktion fähig. Es ist ein augenzwinkerndes Umgehen mit der Tatsache, dass unsere Welt von Bildschirmen bestimmt wird, die uns obendrein eine Multifunktionalität suggerieren. Sie können aber ganz vieles nicht. „Das Handy kann mich nicht gut in Ruhe lassen“, sagt die Künstlerin. Unsere Interaktionsfähigkeit scheint uns unbegrenzt und ist doch oft nur Ersatz- und Scheinhandlung. Der Bildschirm ist vorgelagert vor die Welt. Manche Menschen sehen Wunderschönes nur mehr durch den Rahmen des Schirms, der abschirmt: „Sie haben nie das bloße Auge auf was gerichtet“. Genau Schauen hat Präauer durchs Malereistudium gelernt: „Ich bin richtig bildergeil. Ein altes Fotoalbum, das regt mich so auf“. Es bringt sie in Erregung, Aufregung, auch fürs Schreiben. Es hilft konkret zu bleiben.

„Ich bin jemand der die Form, diese Einschränkung liebt, diese aber dann austricksen will“.
Präauer legt sich gern ins Bett des Prokrustes, eine Bettstatt, die für den Riesen viel zu klein ist. Die kreative Leistung, die durch Einschränkung notwendig wird, interessiert sie unglaublich. Sie liebt es konzeptuell und dennoch sinnlich zu arbeiten. Das Poetische und das Analytische spielen immer zusammen. „Stars“ hat sie in einer bestimmten Taktung den sieben Sprechern zugeschrieben. Vielleicht ist es eine Partitur: „Ich habe das im Ohr und habe die unterschiedlichen Sprecher im Ohr“. „Stars“, die Sterne und die Stars. Sieben Sterne können für die Unendlichkeit des Sternenhimmels stehen. Auf Deckengewölben alter Kirchen finden sich geometrische Sternenhimmel, die erst gar nicht so tun als wären sie ein wirklicher Himmel. Sie bilden sich gar nichts auf die Illusion ein, sondern schaffen ein neues Muster, das symbolisch für etwas steht und nicht auf Abbildung aus ist. Wir brauchen uns gar nichts auf unseren subjektiven Standpunkt einzubilden, von dem aus wir den Sternenhimmel sehen, zeichnen. Dieser ist ohnehin von jedem Punkt der Erde anders. Präauer interessiert Kunst zu machen, die berührt, aber gleichzeitig sagt, pass ein bisschen auf. Lass dich reinfallen in die Arbeit, aber da kommt wer, der sagt ganz so ist es nicht. Und letztlich sind Sterne das, womit nicht nur Autorinnen und Autoren im Internet bewertet werden. Sterne auf Amazon heißen, das Buch ist gut oder eben scheiße. Absurd! Präauer hat sich als Reaktion auf diese Online-Bewertungen gedacht, dann sagt doch gleich: „Der Sternenhimmel bekommt von mir ein Like, die Erde zwei, das Gras drei und so weiter. Dann macht doch genauso weiter, ihr Bewerter“.

Es wird auch Nacht ums Lentos sein. Sternenhimmel, die Donau, der Champagner fließt. Man atmet ja auch dabei.

 

RAUM LENTOS
Teresa Präauer
STARS, 2016
Ein Stück für sieben Bildschirme
18. März bis 5. Juni 2016

Mit der magischen Zahl Sieben als Ausgangspunkt unternimmt Teresa Präauer mit uns eine Reise ins System der Sterne. Die präzise gestaltete Textintervention, montiert auf sieben Bildschirmen am Schnittpunkt zwischen öffentlichem und musealem Raum, interagiert und kommuniziert mit den Betrachterinnen und Betrachtern, führt aber im selben Moment einen Dialog mit sich selbst. Es formt sich ein vorwitziges autopoietisches System, das zwischen direkter Ansprache, Diskussion und deskriptiven Passagen auch grafische Referenzen bietet.
Kurator: Magnus Hofmüller

Zuspruch in Schwarz

Maja Osojnik legt nach 14 Bandalben ihre erste Soloplatte vor. Die Wahlwienerin wird ihr herausragendes Album „Let Them Grow“ auch in Linz präsentieren. Stephan Roiss führte ein Interview mit ihr.

Formal betrachtet bringt das Album das Format „Song“ ins Gespräch mit zeitgenössischen Kompositionsverfahren, Soundart und Musique Concrete. Osojniks Stimme schwebt und stampft durch dunkle, warme Klangszenerien, in denen ein verstimmtes Klavier und elektronische Sequenzen genauso Platz finden wie dekonstruierte Drumsounds, field recordings und ein Glockenspiel. Die gebürtige Slowenin (*1976) beherrscht ihr Handwerk souverän. Die vorwiegend düstere Atmosphäre berührt und befeuert gleichermaßen. Die Stücke sind offenherzig und fragil, zugleich aber aufrecht, elegant und stark. Selten zeugt ein Album von einem derart würdevollen Umgang mit menschlichen Abgründen und Gebrochenheiten. Große Worte gebieten große Vorsicht. Aber scheiß der Hund eine Kafka drauf: Eine Platte muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.

Nach all diesen Jahren Arbeit im Verbund mit anderen (z. B. bei Rdeča Raketa, Maja Osojnik Band oder Broken.Heart. Collector): Wieso nun eine Soloplatte?
Ich hatte das Bedürfnis nach Rückzug. Ich wollte schauen, was passiert, wenn ich auf mich allein gestellt bin. Wenn Du gemeinsam gestaltest, musst du oft viel erklären. Du musst begründen, wieso du etwas so oder so machen willst. Wenn Du allein bist, ist das erstmal eine Befreiung. Du bist nur mit dir selbst im Dialog. Aber genau das kann auch schwierig werden. Es gibt keinen Spiegel, nur deine eigenen Reflexionen. Ich hatte immer wieder Phasen, in denen ich mir Austausch und Feedback gewünscht habe. Zugleich wollte ich aber diesen neuen intimen Raum nicht zu rasch wieder verlassen.

Ein paar Leute hast du aber zur Mitarbeit an deiner Platte eingeladen – „sampled artists“, wie du sie nennst.
Manu Mayr, Matija Schellander, Tamara Wilhelm und Patrick Wurzwallner sind keine Gastmusiker*innen im herkömmlichen Sinn. Sie haben mir ihre Sounds zur Verfügung gestellt. Sie haben Spuren eingespielt, die ich zerschnitten, editiert, verfremdet habe. Sie agieren auf der Platte quasi als „field recording people“.

Wie setzt du das Album live um?
Ich will nicht einfach wiedergeben, was auf der Platte konserviert ist. Das Set soll lebendig bleiben. Ich verwende die Songs des Albums als Ausgangsmaterial und improvisiere damit, reagiere auf die jeweiligen Gegebenheiten und lasse sie in die Musik einfließen. Es gibt dabei Konzepte, aber eben auch viel Freiraum. Das Ergebnis nähert sich manchmal mehr, manchmal weniger den aufgenommenen Stücken an. Es gibt allerdings nicht nur ein Soloprogramm. Ich spiele und interpretiere das Material auch im Duo mit dem Drummer Patrick Wurzwallner und in einer großen Besetzung („All.The.Terms.We.Are“), zu der ich Manu Mayr, Raumschiff Englmayr, Lukas König, Matija Schellander und Audrey Chen eingeladen habe.

Deine Texte werfen viele Fragen nach Machtverhältnissen und Identität auf.
Sie spiegeln Erfahrungen. Das Album ist ausgesprochen persönlich, zugleich – oder gerade deswegen – steckt viel Politisches in den Texten. Die alltägliche Umgebung, die gegenwärtige Politik, Medien, eine zunehmende Virtualisierung des Lebens, der Konsumwahn und die neoliberale Scheiße, der wir täglich ausgeliefert sind: all das provoziert Emotionen und Fragezeichen. Ich bin involviert, keine bloße Beobachterin. Nicht nur, aber z. B. auch aus queerfeministischer und migrantischer Perspektive. Die Texte sind komprimierte Gedanken, sie bilden eine Art „dystopic diary“ der letzten beiden Jahre. Ich sehe die Platte allerdings nicht nur als Anklage. Bei aller Düsternis steckt z. B. auch viel Sarkasmus und Humor in ihr. Bei „I was dying“ zum Beispiel, stelle ich mir mein eigenes Begräbnis vor. Ich liege in einem Sarg, stecke dabei aber in einem Hot-Dog-Kostüm.

Wie schätzt du – vor allem in den musikalischen Gefilden, in denen du dich bewegst – die Lage von Frauen bzw. Nicht-Heteronorm-Männern ein? Wie viel direkte oder strukturelle Diskriminierung nimmst du wahr?
In meinem ganz nahen Umfeld sind wir, denke ich, ziemlich aufgeklärt. Wir begegnen einander als Menschen, oder auch Nicht-Menschen, als Außerirdische von mir aus, jedenfalls gleichgestellt.
In anderen Kontexten passieren manchmal immer noch haarsträubende oder irrwitzige Dinge: Da beugen sich schon mal drei Tontechniker über mein Equipment und fragen sich eine Viertelstunde lang, ob das Mädchen alles richtig verkabelt hat, bis sie draufkommen, dass der Mainmix auf „Mute“ gestellt war. Gesellschaftlich ist Diskriminierung nach wie vor stark vorhanden. Wenn ich das aktuelle politische Geschehen betrachte, bekomme ich leider den Eindruck, dass wir gerade erst einen Schritt auf etwas Schöneres hin gemacht haben und jetzt wieder zwei zurückgehen. Nicht nur, was Chauvinismus und Homophobie betrifft. Erkämpfte Rechte können erschreckend schnell wieder abgesprochen und entzogen werden.

Du hast immer wieder auch in Linz zu tun. Abgesehen von den Konzerten, die du hier spielst, warst du z. B. in der Jury des imPULS-Innovationstopfes oder hast vor kurzem eine Klanginstallation im Lentos gezeigt. Was ist dein Eindruck der hiesigen Sub-/Kulturszene?
Für mich ist Linz eigentlich eine super Stadt. Es passiert viel. Es gibt spannende Locations wie die Kapu, die Stadtwerkstatt oder auch das Lentos. Und tolle Festivals wie das Crossing Europe. Auch in der Umgebung gibt es großartige Initiativen. Beispielsweise in Ottensheim, Wels oder Ulrichsberg. Das ist ein richtiger creative pot mit extrem viel Potential. Es kommen viele fantastische Musiker*innen aus der Gegend. Aber ich habe den Eindruck, dass die Stadt bzw. das Land, das nicht wirklich checken. Das trägt wohl oft dazu bei, dass ein Exodus passiert, der unter anderen Bedingungen nicht stattfinden würde.

 

Maja Osojnik – Let Them Grow
Doppel Vinyl (rock is hell) & CD (unrecords)

mo.klingt.org
maja.klingt.org
www.rockishell.com
www.unrecords.me

Präsentationen in Linz:
27. 04. Stadtwerkstatt (mit Patrick Wurzwallner)
04. 06. Kapu (Solo)

Nicht nichts tun

Im April wird im Rahmen der Tanztage im Posthof die „Kurze Abhandlung über das Nichts“ gezeigt. Theresa Gindlstrasser hat im Vorfeld die Tänzerin und Performerin Iris Heitzinger zu Verweigerungsgeste und Absichtslosigkeit befragt und beginnt mit einer längeren Einleitung zum knallenden Nichts.


Die deutsche Sprache bietet bekanntlich viel Möglichkeit zur Substantivierung. Da wird zum Beispiel aus „laufen“ die „Lauferei“, oder irgendjemand ist plötzlich auf dem „Laufenden“. Da kann überhaupt sehr vieles per „-heit“ und „-keit“ und „-ung“ Abstrakta seiner selbst sein. Und obwohl „das Gute, das Wahre und das Schöne“ weder in der Philosophie, noch in der Politik oder Kunst, streitlose Konzepte sind, verstehen wir in der deutschen Sprache in diesen Begriffen sicher nicht nichts. Sondern zumindest streitbare Konzepte. Nicht nichts verstehen wir auch dann, wenn die Rede vom „Nichts“ ist. Eine solche Rede vollführt ja auch den allerfaszinierendsten Knalleffekt der an sich schon so faszinierend knallenden Substantivierungs-Geste. Aus „nichts“ ist urplötzlich „das Nichts“, also zumindest irgendwie „Etwas“ geworden, und das Existenzversprechen, das Substantive (aka alles, was du angreifen kannst) auf uns ausüben, wird Verdammnis zur Positivität.

Weil: Es wäre doch so schön, der Welt ein gellendes „NEIN“ entgegenzuwerfen. Und zwar ein so krass gellendes „NEIN“, dass die Welt daraus nicht noch wieder zumindest irgendwie „Etwas“ machen könnte. Und es wäre so gut, dem Kunstbetrieb als Künstlerin ein gellendes „SO NICHT“ entgegenzuproduzieren. Und zwar ein so krass gellendes „SO NICHT“, dass eine Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb gänzlich ausgeschlossen wäre. Aporien des Alltags sind das, und wir begegnen ihnen in der Politik genauso wie in der Kunst. „O Menschheit!“, könnten wir dann seufzen. So seufzt jedenfalls der Notar am Ende der Erzählung „Bartleby der Schreiber“ von Hermann Melville. Und der hat bekanntlich viel Anlass zum Seufzen. Einer seiner Angestellten, der besagte Schreiber, entzieht sich der Verwertungspositivität mittels faszinierend knallender Geste: „I would prefer not to“ sagt er und arbeitet nicht mehr. Oder, entzieht sich dieser Verwertungspositivität nicht, bringt vielmehr die gesamte Szenerie in Unsicherheit.

In der Kunst gibt es viele Versuche, solcherlei ähnlich faszinierend knallende Gesten zu finden, die eine Unsicherheit der Verwertungspositivität anregen mögen. All time best Beispiel: „4’33’’“ von John Cage. In den 4 Minuten 33 Sekunden passiert nicht nichts, passiert Stille, passiert Geräuschkulisse und passiert eine Verunsicherung über den Existenzstatus des Kunstwerkes. Ob das jetzt nichts oder vielmehr Nichts gewesen wäre, diese Frage stellte sich auch bei „Regie 2“ von Monster Truck. Ende 2015 wurde diese Produktion im Rahmen des No-Limits-Festivals in Berlin gezeigt. Das Performance-Kollektiv war schon in vorangegangenen Arbeiten an der Verunsicherung des Regie-Begriffs interessiert gewesen. Dort dann wurde das Publikum, in Erwartung einer Monster-Truck-Produktion, mit einem Bus in ein ganz anderes Theater gefahren und in eine dortige Inszenierung gesetzt.

Iris Heitzinger, die 2005 ihre Tanzausbildung an der Anton Bruckner Privatuniversität abgeschlossen hat, wird im Rahmen der Tanz Tage 2016 im Posthof Linz ihr Stück, oder ihr Experiment wie sie sagt, mit dem Titel „Kurze Abhandlung über das Nichts“ zeigen. Die Produktion, die aber nicht so sehr wiederholbares Bühnenprodukt und vielmehr paradoxe Versuchsanordnung ist, wurde von Heitzinger in Barcelona entwickelt und ebendort uraufgeführt. Mit dem Aufkommen der in Spanien nicht nur sogenannten, sondern wirklich erlebten Wirtschaftskrise, wurden auch die Fördermittel für Kunst und Kultur nicht mehr ausgegeben. Protestiert gegen diesen Umstand haben aber fast ausschließlich die Kunstschaffenden selber, nicht das sogenannte Publikum. Die „Kurze Abhandlung über das Nichts“ antwortet auf besagte Schieflage in zweierlei Hinsicht. Zum einen übt sich Heitzinger darin, in einer knallenden Verweigerungsgeste. Und zum anderen wird das Publikum zu Mit-Agierenden des Abends.

Verweigert wird hier der Bühnenvertrag. So nennt Heitzinger die Erwartungshaltung, eine Produktion sei ein Fertiges, Konsumierbares – das vor einem Publikum nur noch ausgetragen werden muss. Diesen Bühnenvertrag unterläuft „Kurze Abhandlung über das Nichts“, indem Heitzinger den Raum ohne Plan und vor allem, versuchtermaßen zumindest, ohne Erwartungshaltung betritt. Das Publikum wird über die paradoxe Versuchsanordnung in Kenntnis gesetzt. Die Tänzerin wird sich bewegen, wird aber, sagt sie, „jeden Plan, den ich habe, nicht umsetzen“. Wird also immer genau nicht „Etwas“ tun, sondern tänzerisch nichts tun, tanzender weise „das Nichts“ versuchen. Dass sie dabei nicht nichts tut, sondern ganz im Gegenteil versucht, den Raum der Bewegungsmöglichkeiten offen für Zufall zu halten, kommentiert Heitzinger auch selber. In diesen Kommentaren vermag sich das Publikum selbst und den gemeinsamen Raum als einen Ereigniskontext wahrzunehmen.

Improvisation und versuchte Absichtslosigkeit als Geste gegen die Verwertungspositivität einer auf Profit ausgerichteten Kulturindustrie. Und der Versuch, das Publikum nah an das Geschehen heranzuholen, so antwortet die „Kurze Abhandlung über das Nichts“ auf ein erlebtes Desinteresse von Politik und Publikum an der Kunst. Schließlich, so Heitzinger, sei die Kunst doch ein Ort der Zukunfts-Visionen und -Versuche, insofern unbedingt förderungswürdig und dauernd für das Publikum zu öffnen. Die „Kurze Abhandlung über das Nichts“ ist für Heitzinger insgesamt eine Folge jahrelanger Auseinandersetzung mit den Bedingungen von Kunstproduktion. Als einen praktischen Referenzpunkt für ihre Arbeit nennt sie die Improvisations-Konzerte des Pianisten Keith Jarrett. Seine Solokonzerte aus den 70er Jahren, allen voran „The Köln Concert“, sind auch in zunächst absichtslosen Tonfolgen entstanden um sich dann zu einem Stück zu verdichten. Improvisation kann, so Heitzinger, längst vorhandene Perlen von „Etwas“ aus dem „Nichts“ bergen. Wer plant, rechnet mit einer Zukunft und mit ihren Eventualitäten. Wer sich in Absichtslosigkeit übt, versucht sich selbst als Material der Möglichkeiten gehen zu lassen.

Ein theoretischer Referenzpunkt für Heitzinger um diese Art die Zukunft zu denken ist eine Überlegung von Jacques Derrida. Der Unterschied zwischen la futur, als einer erfassbaren, vielleicht planbaren Zukunft, und dem l’avenir, also dem Kommenden, das unversehens auf uns trifft. So versucht die Choreografin und Tänzerin offen zu sein für was da auch immer kommen möge. Und nimmt sich dergestalt als Körper inmitten von Unsicherheit und Verletzbarkeit wahr. Die Hoffnung besteht, dass über dieses öffentliche Austragen der eigenen Ausgesetztheit eine Verbindung zum Publikum entsteht. Und während sie also etwas gibt (eine Bewegung), das sie eigentlich nicht hat (zumindest nicht im Sinne eines vorgestellten Plans) sollen Performerin und Publikum aufeinandertreffen und sich in der je eigenen Verletzbarkeit erkennen. Damit wäre am Ende die Substantivierung umgekehrt. Was „nichts“ war, wurde „das Nichts“ und tritt dann wieder als „nichts“ in Erscheinung, wenn wir sehen, dass wir zwar nicht nichts tun können, trotzdem aber oft aus nichts was wird.

 

Posthof Tanztage, Fr. 08. 04. 2016, 20.00 h
Iris Heitzinger, Kurze Abhandlung über das Nichts
Außerdem an diesem Abend:
Cie. Animus, Blick in die Tiefe
www.posthof.at

Kulinarische Scharmützel eines professionellen Dilettanten

Ni Hao – Huhn Kung Pao
So – auf geht’s. „Der Weg ist das Ziel“ – ein Zitat frei nach Konfuzius gibt mir gleich den kulinarischen Kulturkreis vor. Der versprochene Chinarestaurant-Test ist da. Der Slowdude wandelt auf der chinesischen Innenstadtachse und nimmt auch Taiwan mit auf in die Liste der Samples – wir halten es mit der chinesischen Führung und sehen Taiwan als abtrünnige Provinz.
Auserkoren für den großen Test wurden Fu Cheng an der Donaulände, die Goldene Pagode im wohl schönsten Gebäude an der Donaulände – dem Linzer Generalitower und Kim San am Hauptplatz. Vorab: Der Slowdude liebt die chinesische Küche, alle Spezialitäten der einzelnen Provinzen kennt er aus dem Effeff und ist auch selbst in der Zubereitung ein wahrer Meister. So gesehen kann man ihm nichts vormachen.

Fu Cheng:
Wie viele andere vermisse ich das alte Lokal. Das Lokal war etwas runtergerockt, aber hatte durchaus Ambiente mit Charme. Der Umbau – ein paar Jahre her – hat aus der grindigen Bude eine Art Flughafenloungebistro mit Arztwarteraumflair gemacht. Unendlich auswechselbar und echt misslungen. Aber wichtig ist ja die Küche. Und die ist OK. Wird in Linz Menschen von außerhalb ein Chinarestaurant empfohlen, wird meist das Fu Cheng genannt – weil lecker Nudeln, kein Glutamat und gute vegetarische knusprige Ente. Die Ente – ob echt oder gefaked – ist gut, authentisch gewürzt und hat eine sehr ausgewogene Fleisch-Nudel-Gemüse-Aufteilung. Die Vorspeisen: auch durchwegs sehr gut. Kann man empfehlen – durchaus. Richtig gut sind auch die Suppentöpfe. Preisleistung ist OK – etwas im oberen Segment. Der Slowdude sagt 6 von 10 Punkten – die 4 Punkte minus haben die Architekten zu verantworten.

Goldene Pagode:
Auch hier gleich zum Ambiente. Hier wird geliefert, was wir von einem Chinarestaurant erwarten – nicht cool und schick, aber auch nicht shabby. Wer auf Interieurdesign wert legt, ist hier fehl am Platz – aber es ist durchaus gemütlich. Und: Die Goldene Pagode ist das Chinarestaurant mit Wirt. Denny Lau wandelt charmant von Tisch zu Tisch, begrüßt Stammgäste persönlich und unterstützt sein Personal. Das wünscht sich der Slowdude – Wirtinnen und Wirte, die präsent sind. Zur Kost: eine unüberschaubare Speisekarte, viele Gerichte – manche im Original, manche europäisiert. Und das Surplus – was der Slowdude super findet – viele Gerichte mit Bio-Zutaten aus der Region. Getestet wurde das Bio-Ochsenfleisch aus dem Mittagsangebot: Ein Gedicht! Ein wunderbares Gericht mit feiner Ingwernote. Der Slowdude sagt 9 von 10 Punkten. Abzug nur für die Rauchergruppen an der Bar, die einem das Essen verleiden können.

Kim San:
Ein Chinarestaurant wie aus meiner Kindheit. Deko wie damals. Eine Systemgastro-Standardbuffettheke gepaart mit den Gewölbebögen schaffen ein besonders eigenartiges Ambiente und eine strange Akustik. Und fast Unsichtbarkeit – was positiv als auch negativ ist. Möchte man sein Ruhe – ein Traum. Hat man Durst – ein Albtraum. Zum Essen: Im Test war das Mittagsbuffet – allyoucaneat auf Flatrate. Preisgünstig. Wenn man satt werden möchte und keine kulinarischen Feinheiten erwartet, durchaus vertretbar. Das knusprige Huhn mit Knoblauchsauce ist selbst nach der Warmhaltebehandlung noch richtig gut – einzig der Reis befindet sich schon auf dem Weg in einen eher zähflüssigen Aggregatzustand. Der Slowdude sagt 7 von 10 Punkten. 3 minus für den Reis. Eigentlich ganz gutes Essen zum fairen Preis.

Na, was sagt ihr? Ich habe mich bemüht und versucht, ernsthaft Ambiente und Küche zu bewerten. Das mache ich nie wieder. Ab sofort kommen vom Slowdude nur mehr absolut subjektive Beobachtungen und skurrile oder wirklich tip-top kulinarische Entdeckungen.

Kommentare, Hinweise und Tipps via E-Mail an slowdude@gmx.at.

Euer
Slow Dude

Das Raumschiff, …

… ein Projekt von Studenten der Kunstuniversität Linz, eröffnet nach langer Pause am 3. März wieder seine Pforten. Was ist nun das Raumschiff und wie sieht die anvisierte Entwicklung aus?

Bild Raumschiff

Bild Raumschiff

Gegründet wurde das Raumschiff bereits 2013. Nach diversen Schwierigkeiten bei der Anmietung der alten Räumlichkeiten am Brückenkopfgebäude/Hauptplatz, konnte nun an anderer Stelle ein langfristiger Mietvertrag mit der Stadt ausgehandelt werden. Die Idee, als Experimentierfeld für junge KünstlerInnen, und gleichsam als Begegnungszone für studentisches Publikum wie auch Laufkundschaft, AbsolventInnen, KollegInnen aus anderen Institutionen und interessierter Kreativ-Crowd zu gelten, wird fortgeführt.

In der neuen Location am Pfarrplatz 18 steht insgesamt eine Ausstellungsfläche von 170 Quadratmetern inklusive Innenhof zur Verfügung. Davon ein Verkaufsraum mit 50 Quadratmetern, der über einen eigenen Zugang verfügt. Der Verkaufsraum wird jungen KünstlerInnen auf Anfrage zeitlich begrenzt zur Selbstverwaltung überantwortet; auf diese Weise hat jeder Interessent die Möglichkeit, seine Werke und Projekte einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Sichtbar machen! ist die populäre Devise mit kulturpolitischer Durchschlagskraft und die persönliche Anwesenheit der Künstler ist ausdrücklich erwünscht.

Da das Projekt von einem Verein betrieben wird und keinen Einschränkungen seitens universitärer oder politischer Institutionen unterliegt, ist der Raum als geöffnet im weiten Sinn zu betrachten, wodurch das Raumschiff als sozialer und kultureller Schwellenraum eine Sonderstellung unter den stadtinternen Veranstaltungszentren einnimmt. Und das ist Raumschiff in erster Linie: Ein Veranstaltungsraum, der in gewisser Weise niederschwellige Zugänge pflegt, was sowohl in der Umsetzung ein schnelles, spontanes Agieren als auch den Kontakt zu einem erweiterten Kreis von Mitwirkenden oder Publikum anbelangt. Das Augenmerk liegt auf interdisziplinärer Zusammenarbeit abseits hierarchischer Strukturen. Vorzugsweise werden Gruppenausstellungen abgehalten, die nicht auf den universitären Rahmen reduziert sind und für potentielle Diskursführung abseits eines etablierten Ausstellungswesens sorgen sollen. Das Programm bleibt dabei nicht auf bildende Kunst beschränkt. Performative Inszenierungen werden ebenso gerne angenommen, wie musikalische Auftritte oder Lesungen. Auch Workshops können abgehalten werden und wer Angebote bereit hält, sollte sich melden. Wenn auch der Ausstellungsraum als Verkaufsraum genutzt werden kann, wird bei Veranstaltungen kein Eintritt verlangt, der Verein gründet nur was Mietkosten betrifft auf Subventionierung, der Betrieb wird durch Spenden aufrechterhalten.

In der Vergangenheit sind bereits eine Vielzahl gewöhnlicher und ungewöhnlicher Veranstaltungen realisiert worden. Bei einem Rückblick sieht man die Behandlung gesellschaftspolitisch relevanter Themen („Speed Integrationing“) neben der Abhaltung konventioneller Zeichenkurse für jedermann oder der Vorführung eines sogenannten Nähmaschinenkonzertes angesiedelt. Zeitgenössische Entwicklungen in Kultur und Gesellschaft, regional bis international, sollen nach wie vor im Raumschiff ihre künstlerische Entsprechung finden. Die pluralistische Schiene wird weitergeführt und auch bereits etablierte Projekte gehen in die nächste Runde.

Zum Beispiel Kinophilia, eine Zusammenkunft von Film-Interessierten über mehrere Tage, an denen unter spontaner Gruppenbildung verschiedene Kurzfilmprojekte umgesetzt und präsentiert werden können. Weiters das Ausstellungsformat random access, das die willkürliche Positionierung des eigenen Werkes im Ausstellungsraum erlaubt. Die Frage nach „richtiger“ Hängung eines Bildes wird hier ebenso konsequent unterlaufen, wie die Kuratorentätigkeit, was den pluralistischen Impetus des Vereins unterstreicht. Durch das Zusammenspiel individueller Positionierungsstrategien wird der Raum schließlich gefüllt, was zu unvorhersehbarer Struktur in der Werkanordnung führt und letztlich eine Ausstellung entstehen lässt, deren Erscheinungsbild unvorhersehbar bleibt. Durch dieses Projekt kann die Ideologie, durch die das Raumschiff getragen wird, am ehesten greifbar werden. Da Kreativität quer durch eine Menge von Berufsparten als obligat angesehen und institutionalisiert wird, mag es passend erscheinen, Eigendynamik zuzulassen. Dem Zufallsmoment im künstlerischen Produktionsprozess wird auf diese Weise der nötige Raum gegeben.
Zudem findet eine Zusammenarbeit mit etablierten Formaten statt. Demnächst mit dem Next Comic Festival, das seit 2009 zum achten Mal in Folge in Linz und Steyr stattfindet. Eröffnet wird das Festival am 11. März ab 18.00 Uhr, im Raumschiff wird bei der Gelegenheit eine Satellitenausstellung organisiert. Hierbei werden Einsendungen von ComiczeichnerInnen und IllustratorInnen angenommen. Ein Teil der Einsendungen wurde durch eine unabhängige Jury ausgewählt und wird im Lauf des Festivals präsentiert.

Abgesehen von seiner Aufgabe als Experimentier- und Begegnungszone, bietet das Raumschiff die Möglichkeit, sich intern zu engagieren. Die Vielfalt hintergründiger Organisationsstrukturen verlangt nach eigenständiger Initiative und wer aktiv an der Entwicklung zukünftiger Projekte mitarbeiten bzw. sich am Steuern des Schiffes beteiligen möchte, ist herzlich willkommen. Sämtliche Verwaltungstätigkeiten finden auf ehrenamtlicher Basis statt, was für eine Vernetzung in verschiedene Richtungen sorgt. Die Einbettung in den universitären Bereich macht diese Form des Engagements für potentielle AbsolventInnen der Kunstuniversität besonders attraktiv. Grundsätzlich bleibt das Raumschiff, wenn auch aus der Studentenschaft der Kunstuniversität Linz hervorgegangen, in seinem Wirken nicht auf den akademischen Bereich beschränkt.

Hierin mag auch die Schwierigkeit des Projektes liegen, das sich innerhalb einer heterogenen Gesellschaft als Schnittstelle positionieren möchte. Für die Möglichkeit eines Dialoges zwischen Studentenschaft, Professorenschaft, touristischer Laufkundschaft und der Stadtbevölkerung, muss, abgesehen von den jeweiligen Veranstaltungen, auf eine relativ neutrale Atmosphäre zurückgegriffen werden. Um dem gerecht zu werden, wird die Kreisslerei wieder eröffnet, das Café des Raumschiffs. Kommen und bleiben ist möglich und erwünscht, insofern bleibt die Überschneidung von Ausstellungsraum, Verkaufsraum und gastronomischen Raum erhalten und das Raumschiff wird, einmal am Ankerplatz fest vertaut, zum Aufenthaltsraum.

Wer sich selbst einen Eindruck machen möchte, kann das am ehesten beim Eröffnungsfest. Ausstellung ist dabei noch keine geplant, was aber nicht heißt, dass es nichts zu sehen gibt. Die Programmmischung aus Musik und performative art ist noch in der Organisationsphase und man darf gespannt sein, mit welchen Aktionen diese neue Anlaufstelle sich der Stadt präsentiert.

 

Eröffnungsfestivitäten: 03.–06. März

Wem die Zeit für den Besuch der dreitägigen Eröffnung fehlt, dem steht es frei, das Schiff an diesen Tagen zu entern:
Mo, Do, Fr: 16.00–21.00 h
Sa, So: 11.00–16.00 h

Informationen zu Veranstaltungen und Ausschreibungen: www.raum-schiff.at

Das Fahrrad is the Message

Wenn hier die Aussage des Medientheoretikers Marshall McLuhan „The Medium is the Message“ umformuliert wird, so aus einem lustvollen Interesse an den unzähligen alternativen Medien, Autorinnen und Veranstaltungen, die dazu beitragen, Fahrradkultur zu denken. Von der ersten hiesigen Vintage-Rundfahrt bis hin zu Film und Fahrradcomics: ein medialer Ausflug von Fahrradmod Johannes Staudinger.

In den 1980ern zertrümmerten wir als Kinder bei gewagten Jumps unsere Miniräder auf zusammengeschobenen Erdhügeln, welche als Überbleibsel aus dem Arbeitersiedlungsbau neben halbfertigen Häusern in die Höhe ragten. Mangels finanzieller Spielräume der Eltern reichte es nicht zu stabilen BMX-Rädern, mit denen es auf den selbstgebauten Geländestrecken besser gewesen wäre, verwegene Tricks hinzulegen. Oft kam es zum Bruch von Achsen, Lenkern und Rahmen, die mittels handwerklichen Geschicks der Eltern unter Einsatz von Schraubenschlüssel und Schweißapparat wieder repariert wurden, und wir konnten weiterhin dem wilden Radfahren frönen. Diese Art der Sozialisierung in den Straßen unserer Siedlung hinterließ bei mir den Wunschtraum, es zum Radrennprofi zu bringen.

Über eine aufmerksame Lehrerin flog mir das Buch „Radsport – Tips, Technik, Training“ des mehrfachen Siegers der Österreich-Radrundfahrt, Wolfgang Steinmayr, in die Hände. Ab da war diese kleine Fibel mein treuer Begleiter für den Weg nach oben in Teenager-Zeiten. Nächtens las ich, versteckt unter der Bettdecke, und versuchte mir das Wissen Steinmayrs zu verinnerlichen. Besonders beeindruckten mich die Schilderungen seiner Siege am Großglockner, die er durch das Durchfahren der Kehren auf der Innenseite gewann – und nicht wie seine Gegner, welche auf dem steilen Anstieg zum Ausrasten die Kehren am äußeren Rand durchfuhren. Meine erste und auch letzte Glocknerbefahrung als 15-jähriger belehrten mich eines Besseren und ließen mich meine Träume ad acta legen.

Doch die Bücher blieben.
Unzählige Publikationen zu Fahrradthemen schwirren am Markt umher und werden sich unter eingefleischten Aficionados gegenseitig empfohlen. Zwei Bücher taten sich zuletzt besonders hervor. „Rennradfieber – Lust und Leidenschaft auf dünnen Reifen“ von Wolfgang Gerlich und Othmar Pruckner, sowie „Die Geschichte der Puch-Fahrräder“ von Walter Ulreich und Wolfgang Wehap. Rennradfieber behandelt eine breite Themenpalette, die vielen darin schreibenden Autorinnen beleuchten aus verschiedenen Perspektiven ein Leben mit dem Rennrad. Fans der alten Grazer Marke Puch kommen mit dem Geschichtsbuch voll auf ihre Rechnung, wird denn ein vollständiges Bild von Fahrradtypen, Industrie und Gründerfamilie gezeichnet. Beide Bücher bieten eine solide Wissensgrundlage, um bei der heuer zum ersten Mal in Oberösterreich durchgeführten Vintage-Radrundfahrt, der Kirschblüten Radklassik am 5. Mai, mit Weggefährtinnen ins Plaudern zu kommen.

Neben den Büchern findet man eine unglaubliche Menge an Informationen zu Fahrradkultur im Internet, in Blogs und Online-Magazinen. Der Blog viennabeo.net der Fahrradaktivistin Barbara Ottawa – sie selbst ist passionierte Langstreckenfahrerin und bei den Vienna Tweed Rides engagiert – gibt Einblicke in ein buntes Sammelsurium an Fahrradstorys. Darüber hinaus schreibt sie auch im Print-Magazin Drahtesel der Radlobby. Wie auch Die Referentin werden das australische Magazin Treadlie und Momentum Mag aus Kanada von Frauen herausgegeben. Treadlie von Tamsin O’Neill, sowie Momentum Mag von Mia Kohout sind preisgewürdigt, sind online als auch in Printform erhältlich und vermitteln ein breites Spektrum an Fahrradkultur.

Inhaltlich bewegt sich die heuer zum zweiten Mal stattfindende Linzer Veranstaltung „Bicycle Happening“ beim Museum Lentos auf ähnlichen Pfaden, wobei hier mit vielen Partnern auch ein breites Aktivitäten- und Filmprogramm angeboten wird. Welche Filme die besten in Sachen Fahrradkultur sind, darüber kann gestritten werden. Große Aufmerksamkeit wird momentan dem Film „Bikes vs Cars“ des schwedischen Filmemachers Fredrik Gertten zuteil, der mit seinem Film gegenwärtig auf internationaler Kinotour ist und im Jänner auch bei uns zu sehen war. Wer den Termin versäumt hat, hat die Möglichkeit, auf vimeo.com diese mehrfach ausgezeichnete Fahrradaktivistinnen- und Umwelt-Doku nachzusehen. 2014 wurde der kunstvolle Film „Violet“ des belgischen Filmemachers Bas Devos beim Crossing Europe Filmfestival präsentiert. Im Zentrum der Geschichte befindet sich eine Meute junger BMX-Kids, in deren Reihen ein Mord verübt wurde. Brillant dabei, mit welcher Ruhe die Jugendlichen mit ihren Bikes durchs Revier ziehen und sich daraus auch das Stimmungsbild des Filmes ergibt. Bleibt zu hoffen, dass es beim diesjährigen Crossing Europe im April wieder Ähnliches zu entdecken gibt.

Der 2004 Oscar-nominierte Animationsfilm „Das große Rennen von Belleville“ von Sylvain Chomet kommt immer zur Sprache, wenn man nach der Verknüpfung von Comic- und Fahrradwelt fragt. Besteht ja die Gemeinsamkeit dieser beiden Welten darin, dass sie sich immer damit auseinandersetzen müssen, zu wenig ins rechte Licht der Öffentlichkeit gerückt zu sein. Doch begibt man sich auf die Suche nach Fahrradthemen im Comic-Kosmos, so wird man fündig.

Die amerikanische Fahrradmarke Schwinn wagte sich 1949 an das Thema Comic heran und erstellte für seine neuen Fahrräder „Paramount Racer“, „Deluxe Autocycle“ und „The Hollywood“ ein fantastisches Heft, wobei neben der Darstellung der eigenen Produkte auch die Meilensteine der Fahrradgeschichte gezeichnet dargestellt wurden. 1975 kreierte der Stanford-Student Louis Saekow „Sprocket Man“, einen Comic-Helden, der in Magazinen und auf Postern den Studenten am Uni-Campus den sicheren Umgang mit dem Fahrrad vermitteln sollte. Als legendär kann das 2014 veröffentliche Comic-Buch „Legends of the Tour“ von Jan Cleijne bezeichnet werden. Cleijne zeigt hier mit feiner Feder die oft auch traurige Geschichte der Tour de France. Der in Utrecht lebende Tobi Dahmen erzählt in seinem Comic „Fahrradmod“ seine eigene Geschichte als Fan der Modkultur, nur aber war er nicht am Motorroller unterwegs, sondern fuhr bei den Partys mit dem Fahrrad vor. Der Berliner Zeichner Markus Mawil Witzel, dessen Comics regelmäßig im Berliner Tagesspiegel veröffentlicht werden, beschäftigt sich wie auch in seinem letzten Großwerk „The singles collection“ – der Blick in den Darstellungsindex bestätigt es! – sein ganzes Leben über mit Fahrradgeschichten. Mawil wird seine Kunst beim heurigen Nextcomic Festival von 10. bis 20. März auch in Linz präsentieren.

Übrigens, dieses Medium, das Sie in Händen halten, wird von den Linzer Veloboten über die ganze Stadt verteilt.

 

Buch: Die Geschichte der PUCH-Fahrräder
www.weishaupt.at/neuerscheinungen/389_die_geschichte_der_puch-fahrraeder

Buch: Rennradfieber – Lust und Leidenschaft auf dünnen Reifen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines schnellen Sports
shop.falter.at/rennradfieber.html

Vintage Radrundfahrt Kirschblüten Radklassik, 5. Mai 2016
www.kirschbluetenradklassik.at

Blog von Barbara Ottawa
viennabeo.net/de

Radlobby OÖ – Magazin Drahtesel
www.radlobby.at/oberoesterreich

momentum magazine – latest and greatest cycling culture news
momentummag.com

treadlie magazine – magazine for bike lovers
treadlie.com.au

2. bicycle happening Linz, Fest der Fahrradkultur, 1. und 2. Juli 2016
www.bicyclehappening.at

Bikes vs Cars – Film von Fredrik Gertten, 2015
www.bikes-vs-cars.com

13. crossing europe Filmfestival Linz, 20. bis 25 April 2016
www.crossingeurope.at

Schwinn Bicycle Comic Book
www.thechainlink.org/profiles/blogs/1949-schwinn-comic-book

Comic “Sprocket Man, the Superman of bike safety, returns”
transportation.stanford.edu/alt_transportation/Sprocketman.shtml

Comiczeichner Jan Cleijne – Legends of the tour
en.jancleijne.nl

Comiczeichner Tobi Dahmen – Fahrradmod
www.fahrradmod.de

Comiczeichner Markus Mawil Witzel – The singles collection, Ausstellungsbeitrag bei Nextcomic 2016
www.mawil.net

8. Nextcomic Festival Linz, 10. bis 20. März 2016
www.nextcomic.org

Platz da!

Feminismus & Krawall am internationalen Frauentag am 8. März 2016

fuk_2016_flyer_A6

Platz da! Illustration: Silke Müller

Feminismus & Krawall versteht sich als anti-rassistische, anti-sexistische und gemeinschaftlich handelnde, gleichberechtigende, selbstbestimmende Initiative.

„Wir schaffen Territorien, in denen wir die Auflösung geltender Geschlechter- und Machtverhältnisse üben. Wir reden über: Arbeit(en), Technologien, Liebe, Ökonomien, Politiken, und Körper als Formen des (Un)Möglichen. Wir überlegen uns Strategien, um mit Rassismen, Sexismen, Homophobie, Transphobie und Ausbeutung umzugehen.“ Hinter Feminismus und Krawall stehen 18 Vereine und zahlreiche EinzelkämpferInnen, die das Bündnis ideologisch und/oder aktiv unterstützen. Bei den feministischen Projekten, die mittlerweile das ganze Jahr über stattfinden, sind mindestens 40 Frauen am aktiven Gestaltungs- und Umsetzungsprozess beteiligt. 2014 wurde Feminismus und Krawall mit dem Frauenpreis der Stadt Linz ausgezeichnet. 2015 wurde am Hauptplatz an einer wunderbaren, langen Tafel geredet und gespeist – und heuer, so hört man zumindest, könnte der Umzug etwas mit einem Schiff zu tun haben. Mitgehen bei der Demo! Die Route beginnt am Martin-Luther-Platz und führt über den Taubenmarkt zum Hauptplatz. Abendprogramm in der Stadtwerkstatt.

16.00 h    Treffpunkt Martin-Luther-Platz | Radioballett Platz da!
16.45 h    Start Demo: Platz da! – Wir schleppen ein Schiff – Join & help us!
17.15 h    Hauptplatz: Performances * Interventionen * Musik * Gruppenfoto
20.00 h    Stadtwerkstatt: Femme Brutal (Film!)
22.00 h    Stadtwerkstatt: Protestlabor DJs

Poesie sagt, was Sache ist

IRGENDWANN WIRD DER OVERRUN
ZUM INLÄNDERRUM
DARUM GEGEN RASSISMUS
WEIL APFELMUS SCHMECKT
ÜBERALL GLEICHER ALS BESSER

Poesieeinsprengsel von Tancred Hadwiger. Aus „Wind stinkt nach Superkleber“, edition linz und Verlag der Provinz, 2002

Keine will mehr.

Als im Zuge der Grippewelle in den letzten Wochen deutlich wurde, dass in Wien an den Wochenenden kaum Kinderärztinnen aufzutreiben sind, wurde ein Experte zur Sachlage interviewt. Der meinte an diesem Tag im Radio wiederkehrend und eher lakonisch, man habe es halt mit einer Generation von Ärztinnen zu tun, die auf ihre „Work-Life-Balance“ achteten. Und die Wochenendarbeit als etwas Unangenehmes betrachteten. Aber dass man die Attraktivität der längeren – also auch Wochenendarbeitszeiten – durch höhere Bezahlung steigern könnte. Das klingt eklig. Angesichts der vielen Menschen, die sich einen Dreck um ihre Work-Life-Balance kümmern können, von Logistikarbeiterinnen bei Amazon ganz zu schweigen. Am gleichen Tag erfuhr ich, dass der deutsche Vizekanzler sich ein paar Tage frei nimmt, weil seine Tochter erkrankt ist. Am Freitag kämen die Großeltern. Das klingt nur im ersten Moment schön, hemdsärmelig und rührend; im zweiten Moment ist es ebenso eklig, denn es macht nur deutlich, wie groß mittlerweile der Gap ist zwischen Menschen, die sich aussuchen können, wann sie wo zu welchen Bedingungen arbeiten und jenen, die sich aus dem Prekariat fliegend in ein neues Proletariat entwickeln: Sie können von ihren Jobs weder leben noch sind sie rechtlich abgesichert, einzig der Konzern profitiert von ihrer Arbeitsleistung. Bemerkenswert dabei ist die Menge an Büchern, die man zu diesem Thema bei Amazon bestellen kann. Das Leben, die alte Ironie-Bitch.

Während sich also Ärztinnen nach einem freien Wochenende und der deutsche Vizekanzler nach ein paar Tagen mit seiner kranken Tochter sehnen, arbeiten sich zum Beispiel und vor allem Handelsangestellte buckelig, viele mit der Gewissheit, dass ein krankes Kind zu Hause zwar wartet, die eine Woche Pflegefreistellung, die der Kollektivvertrag pro Jahr vorsieht, aber ausgeschöpft ist. Nur damit kein Missverständnis aufkommt: Ich finde es großartig, wenn auch männliche Arbeitnehmer vorleben, dass Sich-frei-Nehmen, um ein Kind zu pflegen etwas absolut Normales ist. Ich bin ein absoluter Fan von Menschen, die für sich entscheiden, dass Arbeit nicht alles ist, kein Sinnersatz, und Geld niemals das ersetzen kann, was an Zeit verloren geht. Allerdings muss diese Diskussion dann für alle Berufe und Tätigen geführt werden und es sollen alle von der Diskussion profitieren. Und das ist derzeit nicht der Fall. Ich erinnere an die jeweiligen kritischen öffentlichen Statements und Interviews, wenn von längeren Arbeitszeiten und Sonntagsöffnungszeiten, im Handel etwa, die Rede ist: … und gerne auch an die Aufschreie seitens der Verantwortlichen, als die verheerenden Arbeitsbedingungen bei Amazon ruchbar wurden: …

Genau, es gibt sie nicht. Ich stellte mir also vor, dass beim nächsten „Vorschlag“, Angestellte doch länger und öfter im Geschäft oder im Lager arbeiten zu lassen, eine der Vertreterinnen der Handelsangestellten aufsteht und sagt: Das geht nicht, das bringt meine Work-Life-Balance aus dem Gleichgewicht, und wenn, dann brauchen wir finanzielle Anreize, um den Wochenenddienst an der Kassa und im Lager attraktiver zu machen, bitte schön.

Es wird wohl nicht passieren. Und deshalb sollten auch Ärztinnen und Politikerinnen sich aktuell vielleicht weniger um ihre Work-Life-Balance kümmern als um das Recht für Alle zu sagen: Ich will nicht mehr.