Poesie sagt, was Sache ist

Ich sehe in den Spiegel und ich sehe nichts.

Diese Zeile, dieses Autograph ist im Lentos Kunstmuseum zu sehen – es stammt von Ernst Herbeck alias Alexander. Über Ernst Herbeck ist außerdem in Pamela Neuwirths Hörspieldokumentation „Lunatic“ zu hören, die im Juni in der Nacht auf Radio FRO ausgestrahlt wird. Siehe dazu die Tipps des Professionellen Publikums.

Die kleine Referentin

Die kleine Referentin

Die kleine Referentin

Die kleine Referentin – Auflösung

Die kleine Referentin – Auflösung

Die kleine Referentin – Auflösung

Die Kinder freuen sich, dass sie einen Teil der Eisenbahnbrücke entdeckt haben, welcher zwar als Upcycling-Versuch (deshalb die bunte Bemalung) für Erwachsene missglückte, aber nun als tolles Klettergerüst verwendet werden kann.

Jeder einzelne Tod ist ein Skandal

Ingo Leindecker prägt seit gut fünfzehn Jahren auf vielfältige Weise die Linzer Kulturszene. Stephan Roiss befragte ihn zu seinem aktuellen Opus Magnum, dem Hörstück TODABLEITER, zum Kunstkollektiv Kompott und zur Bedeutung freier Archive und Medien.

Bereits mit 14 Jahren begann sich Ingo Leindecker bei Radio FRO zu engagieren. Es folgten eine Anstellung, die erfolgreiche Abwicklung zahlreicher Großprojekte und schließlich sogar die interimistische Geschäftsführung. Nebst der individuellen Gestaltungsfreiheit bergen die freien Medien für Leindecker wichtiges politisches Potential: „Sie fördern die freien Meinungsäußerung und demokratisieren die Medienlandschaft.“

Im Jahr 2000 entwickelte Leindecker maßgeblich das Cultural Broadcasting Archive (CBA) mit. Was zuerst nur als Austauschplattform für FRO-Sendungen fungierte, wurde bald zum Gemeinschaftsprojekt aller Freien Radios Österreichs und ist heute offenes Audioforum und Zeitarchiv zugleich. „Das CBA bildet eine breite Palette der zivilgesellschaftlichen Medienproduktion Österreichs ab. Es ist eine Sammlung von Inhalten, die kein Staatsarchiv in diesem Umfang dokumentiert.“ Aus dem Tagesgeschäft von Radio FRO hat sich Leindecker schon vor einigen Jahren zurückgezogen. Das CBA allerdings betreut er weiterhin – seit 2007 gemeinsam mit Thomas Diesenreiter. Die partizipative Konzeption von Archiven und vor allem der freie Umgang mit dem darin gespeicherten Wissen sind Leindecker ein besonderes Anliegen: „Archive machen Information – gleichzeitig aber auch medial vermittelte Geschichte – zugänglich und nutzbar. Sie unterstützen so einen individuellen Aufbau von Wissen und die Zukunft kultureller Vielfalt. Die Veränderungen von Meinungen, Diskursen und Paradigmen werden nachvollziehbar und damit auch die Gegenwart verständlicher gemacht.“ Wenig verwunderlich, dass Leindecker bei der Organisation der ARCHIVIA-Konferenzen federführend ist. Dieses Format lotet unter technischen, (urheber-)rechtlichen und gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten den Status Quo Vadis von Online-Archiven aus. Da es auch aus Mitteln des imPULS-Topfes gefördert wurde, kann man sich noch bis 10. 6. im Salzamt einen Eindruck davon machen. Dort wird nämlich eine Auswahl von Projekten vorgestellt, die im Zeitraum von 2012–1014 durch die Sonderförderprogramme der Stadt Linz (nebst imPULS also auch EXPOrt und IMpORT) unterstützt wurden.

Und Ingo Leindecker ist in dieser Ausstellung auch noch ein zweites Mal vertreten: mit seinem Hörstück TODABLEITER. Mit dieser aufwendig produzierten Arbeit diplomierte er an der Kunstuniversität Linz. 2014 veröffentlichte er den TODABLEITER in Form eines Buches mit beigefügter Doppel-CD und präsentiert seine Publikation seither immer wieder an unterschiedlichen Orten. Bis dato zum Beispiel am Institut für Zeitgeschichte in Wien, mehrfach bereits in Linz oder erst kürzlich an der Berliner Humboldt-Universität.

Für das Stück hat Leindecker bald pulsierende, bald dröhnende Kompositionen und düstere Soundscapes angefertigt. Diese Musik stützt ein intensives, transdisziplinäres Geflecht von Stimmen. Über eine Länge von 95 Minuten hinweg bringt TODABLEITER historische Originalaufnahmen aus 1918–1945 mit jüngeren Wortbeiträgen aus recht unterschiedlichen Wissenschaftsgebieten ins Gespräch. Auf der einen Seite des Jahrhunderts sind zahlreiche Unbekannte zu hören, aber auch politische Schlüsselfiguren wie etwa Kaiser Wilhelm II oder Paul von Hindenburg und vor allem eine Reihe von nationalsozialistischen Funktionären – bis hin zu Göring, Goebbels und Hitler. Auf der anderen Seite kommen unter anderem zu Wort: der Neurobiologie Gerhard Roth, der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick oder der Sozialpsychologe Arno Gruen. Assoziativ und schlüssig hat Leindecker die Aussagen der unterschiedlichen Sprechpositionen arrangiert, zusammengeschweißt, einander gegenübergestellt. Im vibrierenden Zwischenraum von Klang und Sprache werden schwere Themen verhandelt: der Nationalsozialismus und seine Massenpsychologie, die Sehnsucht nach Neutralisierung der Individualität und nach einer Auflösung in einem gewaltigen Gruppengefühl. Elimination der Freiheit im naturalistischen Wahn. Selbst nichts sein, bloß als Partikel eines Verbundes dienen.

Die Anordnung der zehn Kapitel des Hörstücks folgt lose einem biografischen Schema: Der Bogen spannt sich vom Motiv der Geburt über Themen wie Kindheit, Arbeitswelt und kriegerische Auseinandersetzung bis zum Tod. Der bleibt nicht aus. Der muss unfassbar bleiben. Der kann eben nicht faktisch, sondern bloß imaginär abgeleitet werden. „Jeder einzelne Tod ist ein Skandal, niemand sollte sterben müssen.“ Diese Ansicht teilt Ingo Leindecker mit Elias Canetti, der ebenfalls mehrfach im Stück zu hören ist und dessen Werk „Masse und Macht“ die theoretisch-ästhetische Grundlage für den TODABLEITER lieferte. Davon zeugt recht offenkundig der Untertitel des Hörstücks: „Überleben und Tod, Masse, Macht und Gewalt.“ Auch der Begriff „Todableiter“ ist dem eigenwilligen Wälzer Canettis entnommen. Leindecker möchte einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass die Substanz des Werkes neu bewertet wird. Das Buch schloss bei seinem Erscheinen an keinen etablierten Diskurs an, agierte terminologisch isoliert und proto-postmodern im Graubereich von Wissenschaft und Literatur. Die Rezeptionsgeschichte verlief dementsprechend unglücklich.

„Canetti rückt die Sterblichkeit ins Zentrum und macht bewusst, welchen maßgeblichen Anteil sie an der Struktur unseres Lebens und allem Sozialen hat. Die Radikalität, mit der er das tut, fasziniert mich. Hinter jedem – auch noch so harmlosen – Befehl z. B. verbirgt sich für ihn ursprünglich eine Todesdrohung: Das Kind, dem befohlen wird, ist von den befehlenden Eltern existenziell abhängig – genauso wie der Soldat von seinen Befehlshabern eine versteckte Todesdrohung empfängt.“ Canettis Masse und Macht erschien erst 1960, entstand aber in einem Zeitraum von 25 Jahren, stark geprägt von den Erfahrungen des 2. Weltkriegs. Canetti koppelt die Begriffe „Macht“ und „Masse“ an das nackte Überleben. Die Faktizität des Todes wird als Wurzel aller Machtbedürfnisse gesetzt. Der Mensch sucht die Masse um Macht zu erhalten: primär die Macht sich selbst zu schützen und potentielle Gegner*Innen abzuwehren, sie zu überragen, in letzter Konsequenz zu vernichten. Nach Gegenwartsbezügen muss Leindecker nicht lange suchen: „Wenn ich mir z. B. die sogenannten Identitären ansehe, deren offenbar verzweifelte ProtagonistInnen bei ihren Auftritten ein Banner mit der Aufschrift „unsterblich“ vor sich hertragen, dann reicht im Sinne Canettis dieses eine Wort aus, um diese sogenannte „Bewegung“ als totalitär zu entlarven. Mit Canetti gesprochen kommuniziert sie damit den ultimativen Machtanspruch, letztlich den Wunsch nach dem Überleben aller anderen bis in alle irdische Ewigkeit. Das ursprünglich religiöse Heilsversprechen wird in dieser Variante wieder vom Jenseits ins Diesseits verschoben, was einem bekannt und gefährlich vorkommen muss.“ Desiderat der Stunde wäre somit die Einübung einer paradoxen, aber zutiefst lebensbejahenden Haltung: ein Revoltieren gegen den Tod bei gleichzeitigem Bewusstsein, dass alle Versuche den Tod tatsächlich aufzuheben zum Scheitern verurteilt sind und sich ins Wahnhafte gesteigert radikal gegen das Leben kehren.

Ingo Leindecker bedient sich in seinen künstlerischen Arbeiten vor allem der Medien „Sound“ und „Installation“. Entweder Solo oder im Kollektiv Kompott, das von Studierenden gegründet wurde, die von klassischen Ausstellungsformaten und White Cubes gelangweilt waren. Den aktuellen Kern vom Kompott bilden – nebst Leindecker selbst – Kristina Kornmüller, Petra Moser Ulrich Fohler und Thomas Kluckner. „Wir haben uns lange Zeit auf Leerstände konzentriert und sie mit eher kleinteiligen Arbeiten bespielt.“ Unter anderem führte Kompott Interventionen in einem halb eingerichteten Stundenhotel in Brüssel, einem Musterhauspark in Haid und einer still gelegten Fabrik in Lissabon durch. Das Interesse an ungenützten Räumlichkeiten ist nicht verschwunden, aber in den letzten Jahren etwas in den Hintergrund gerückt. Jüngst gestaltete man das Ortszentrum der Gemeinde Lichtenberg mit. Der entsprechende Platz wurde mit Steinen in unterschiedlichen Grautönen gepflastert, die miteinander eine Wolkenformation ergeben. „Das ganze Projekt hat weniger einen politischen, mehr einen ästhetisch-identitätsstiftenden Auftrag erfüllt. Das wurde von künstlerischer Seite auch hin und wieder kritisiert.“ Dem neuesten Kompott-Vorhaben mangelt es sicherlich nicht an politischen Konnotationen: „Inhaltlich interessieren wir uns seit mehreren Jahren für die Entwicklung Europas und besonders für die Verschiebung der Außengrenzen. Momentan arbeiten wir an einem zweiteiligen Projekt im Kosovo: Wir werden kulturell und künstlerisch aktive Personen aus dem Kosovo zu Gesprächen und Präsentationen nach Linz einladen und in Zusammenarbeit mit KünstlerInnen von dort dann eine Gemeinschaftsarbeit in Priština realisieren.“

Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Der Wolf ist ein Rudeltier.

 

Zweifacher Bezug zur Ausstellung LinzImPULS, LinzIMpORT, LinzEXPOrt: Ingo Leindecker ist dort mit TODABLEITER vertreten, ebenso ist das hier besprochene Radio FRO-Projekt ARCHIVIA zu sehen. Salzamt Linz, noch bis 10. 06. 2016

Präsentation „TODABLEITER“: Freies Theater Innsbruck, 1. 10. 2016

www.fro.at/ingol

todableiter.servus.at

kmptt.net

Freiräume – öffentlicher Raum – Leerfläche

Foto Die Referentin

Foto Die Referentin

Gefühlt Millionen kommerziellen Plakatflächen und ca. 40 kommerziell betreuten Litfaßsäulen im Stadtgebiet stehen derzeit nur fünf Standorte gegenüber, wo freie Plakatierung möglich ist. Diese wenigen freien, nichtkommerziellen Flächen sind etwa in der Unterführung in der Dauphinestraße oder in der Wienerstraße in Ebelsberg. Etwas zentraler das Brückenkopfgebäude Ost. Hier eine spontan entstandene freie Plakatierfläche.

Robot sucks …

Zwar nicht ganz wirklich Modern Dance, aber dennoch eine großartige, völlig andere Art von Ballett: Die Roboter-Ballett-Projekte von Walter Schalter hat sich Christian Wellmann angesehen.

Walter Schalter ist äußerst umtriebig, der Künstler und Musiker studiert Mediengestaltung, arbeitet im Brotberuf als Systemadministrator und unterrichtet Informatik an der HBLA Lentia, zudem Volkswirt, Gründungsmitglied von Backlab, ehemals Regie-Assistent am Linzer Landestheater. All diese Eckpfeiler laufen schier selbstverständlich in seinen Roboter-Ballett-Projekten zusammen. Verfremdungstechniken – bei Gebrauchsgegenständen – wie bei Duchamp kommen zum Einsatz. Wer das noch nicht leibhaftig gesehen hat – wie zum Beispiel das „Penis Ballett“, „Automatic Worker Ballet“ – den bitte ich, NUN den unten angeführten Link zu den Videos zu klicken, – LESESTOPP HIER –. Die Clickfaulen unter euch mögen ihre Aufmerksamkeit auf das den Text umschmückende Bildmaterial lenken.

Es handelt sich um Staubsauger-Roboter, kurz: Saugroboter, zumeist mit Figuren versehen, die als Ballett in einer Installationssituation dahingleiten, aufgrund der Einfachheit ergibt sich eine gewisse Komik und Poesie. Herumirrende Automatismen, nur scheinbar zufällig getrieben, deren Kalkül in ihren festgelegten Bahnen nicht sofort erkennbar ist. Sind sie gar verselbstständigt? Den Begriff Ballett verwendet Schalter folgendermaßen: „Weil der Humor im Titel drinnen steckt. Logarithmus ist der Inbegriff von Willkür. Etwas Zufallsgesteuertes, dass man das als Ballett bezeichnet, finde ich extrem lustig. Ballett ist ein sehr aufgeladener Begriff, ein Teil der Hochkultur. Mehr kann man einer Kunstform nicht schaden, dass man sie in die Hochkultur aufnimmt. Ballett lebt ja auch jenseits dieses Begriffs. Bei mir ist das sarkastisch beladen.“

Das Reizwort Ballett als muffiger Putzfetzen, um damit Ausscheidungen der Hochkultur wegzufegen? Ich lasse ausnahmsweise den Künstler und Erfinder dieses bestens funktionierenden Spektakels beschreiben, wie es zur Idee kam: „Dass ich etwas mit Staubsaugern machen will, da bin ich zum ersten Mal drauf gekommen, wie sich mein ältester Sohn einen solchen automatischen Staubsauger gekauft und mir stolz gezeigt hat, wie toll der ist. Er hat auf den Boden geäschert, der Staubsauger hat das aber nur verteilt, nicht weggesaugt. Immer wenn etwas so gründlich nicht funktioniert, hat das etwas Komisches. Das nächste Mal ist es mir eingefallen, als wir 2014 den „Mad Circus“ im Central Linz veranstalteten, den wir KünstlerInnen von Backlab organisiert und kuratiert haben. Da war mein Beitrag das Staubsauger-Ballett. Und da hab ich gelernt, mit dieser Entfremdungstechnik von Robotern, die sich autonom in einem Raum bewegen, wie das funktioniert und wirkt. Die Sujets, die ich verwende, müssen alle irgendwie zueinander in Bezug stehen. Was geholfen hat, ist, dass die Figuren nicht fotorealistisch waren, sondern einen gewissen Abstraktionsgrad aufgewiesen haben. Da hab ich gesehen: Das funktioniert, das hat eine unheimliche Poesie – mit diesem relativ primitiven Algorithmus. Es ist von Vorteil, weil diese Roboter ein Massenprodukt sind, und du für verhältnismäßig wenig Geld viel Sensorik und Motorik bekommst, sonst wäre das unerschwinglich.“

Handlungsballett mit Choreografie, Bühnenbild, Kostüme, Bewegungen im Raum – es ist alles vorhanden, was ein „klassisches“ Ballett definiert. Wenn auch die Gestik und Mimik der „Pappkameraden“ stets gleich bleiben, formt die Betrachtung dieser Figuren ein Bild im Kopf, das durch seine scheinbar schwebenden Bewegungen den Ballett-Begriff elegant neu definiert und an seine Grenzen führt. Modern Dance, im wahrsten Sinne, wenn man so will. Mich erinnert das auch an Uhrwerke oder Glockenspiele, Figuren drehen sich, werfen Schatten. Androide, die sich Gebrauchsgegenständen bemächtigen, um Eindruck in der von technischen Apparaten überschwemmten Menschenseele zu erheischen. Es entstehen humanoide Roboter, die die Abbildung der Natur (des Menschen) mit technischen Mitteln spielerisch ermöglichen. Wie beim „Passion-Ballett“ (2015, STWST): „Ich verwende Roboter für unterschiedliche Projekte. Dieses zweite, „Passions of Christ“, mit religiösen Sujets, und der Doppelung mit zwei Jesussen, einer größer, einer kleiner, ist besonders fies. Die Figuren sind fast wie im Boxring gegeneinander angetreten. Symbole sollen die Bedeutung nehmen, sobald man menschliche Figuren auf die Staubsauger draufgibt, obwohl sie sehr roboterhaft durch den Raum fahren, und sie sich bewegen, bekommt das etwas Menschliches, von dem ich nicht erwartet habe, dass das so stark wirkt.“

Ein weiteres Projekt ist Kritik an der OÖ. Landesregierung: Am „Wurst vom Hund-Ball“ (2016) kurvten sechs unterschiedlich geformte Penisse, ausgekleidet mit Leuchtdioden, mit den bewährten Staubboliden durch einen Raum der STWST. Das Publikum konnte die Lichter mit einer Fernbedienung steuern. Das grafischste Projekt Schalters ist ein Stinkefinger Richtung Pfründe-absichernder Regierung, die sich im Luxus schaumbadet, keine Frau dabeizuhaben. Oder bei der Ausstellung „Remix“ in der Tabakfabrik („Automatic Worker Ballet“), wo eine Arbeiterfamilie durch sozialistische, propagandistische Darstellung gezeigt wurde. „Die sozialistische Utopie, die ich dargestellt habe, das Bild hat sich sozusagen permanent remixt, indem die Figuren neue Postionen im Raum zueinander eingenommen haben. In Kombination mit Schatten bräuchte man nur einen Text dazu geben und fertig wäre die Filmszene“, so Schalter. Wichtig ist, dass diese Projekte alle neue Situationen schaffen, nichts ist wiederholbar, es muss zur Location passen.

Lieblingsprojekt mit Staubsauger, der „Nihilator“: „Das ist ein Staubsauger, der so modifiziert ist, dass er einsaugt und auch gleich wieder rausbläst. In Anlehnung an eine Kurzgeschichte von Kurt Kusenberg („Nihilit“): Ein Erfinder erfindet einen Klebstoff, der sinnlos ist, für nichts zu gebrauchen – damit er einen Sinn ergibt, schafft er einen Stoff, auf dem dieser Klebstoff klebt. Diese selbstreferentiellen Systeme sind so Dinge, die selbstverstärkend funktionieren. Ich bin Volkswirt, darum finde ich dieses Konzept interessant, das schlüssigste, das ich gemacht habe. Es wäre schön, wenn man den mit einer Atombatterie nützen könnte… Meine Installationen mit Robotern sind alle bis auf den „Nihilator“ eigentlich nur sehr schwer wiederholbar, da raumgebunden.“

Das nächste Projekt wird mit Tanzrobotern, erstmals mit Open-Source-Staubsaugern, die frei programmierbar sind, bestritten. Sie können u.a. auf Musik reagieren, und werden eventuell eine Modenschau zeigen. Aktuelle Robotermode. Auch wird bald, Projekte können sich bei Walter Schalter über Jahre ziehen, ein Video zu einer alten Nummer („Katze du bist schön“) fertiggestellt. Als Musiker tritt er unter Schalter auf, und eher ungern alleine auf der Bühne („Notebook-Auftritte sind so unmusikalisch… ich möchte auf der Bühne schwitzen“), zu mehrt unter „Nagelstudio“. Auch in Projekte von Backlab ist er noch verwickelt, das Kreativlabor will keine Vereinsmeierei, und sieht sich als freundschaftliches Gebilde, in dem Leute gut miteinander arbeiten können, sich kreativ austauschen können. Und hier schließt sich irgendwie der Kreis: sein eigenes Umfeld kreieren, wo sonst nur Roboter-Wesen das Sagen hätten…

„Man muss die Natur des Menschen lernen um sich zur Technik abzugrenzen. Künstliche Intelligenz steht seit Jahrzehnten still. Wichtig ist, was kann eine Maschine leisten, was nicht. Man ist viel zu sehr auf Faszination von High Tech, Rechenleistung, usw. fokussiert.“

 

www.dorftv.at/channel/schalter

Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch ist ein

Im „Salon für Kunstbuch“ ist es Buch, Ware, Objekt, Material, Raum, Projektionsfläche und Sammlerstück. Daniela Fürst hat den Salon-Betreiber Bernhard Cella besucht und berichtet über die objekthafte Materialität und arrangierte Nachbarschaft von Büchern.

Schon 2007 machte sich der Wiener Künstler Bernhard Cella Gedanken zum Medium Buch, das – so wie er fand – in der Kunstwelt bloß ein Randdasein fristete und das zu Unrecht. Diese Überlegungen brachten ihn auf die Idee, sein eigenes Atelier in das Modell einer Buchhandlung umzubauen. Mit diesem konzeptkünstlerischen Ansatz wollte er seinem Interesse am Buch als künstlerisches Material nachgehen. In den ersten Jahren des „Salon für Kunstbuch“ war für Cella auffällig, dass ihm immer wieder Künstlerbücher in die Hände fielen, die keine ISBN-Nummer hatten. Er reagierte darauf und rief, während eines Amerikaaufenthalts 2009, mittels einer Poster-Performance dazu auf, ihm Publikationen ohne ISBN-Nummer in den Salon nach Wien zu schicken. Rund 500 Titel waren das erstaunliche Ergebnis seines Aufrufs, die meisten davon aus Amerika, Japan und Europa. Was die Titel alle gemein hatten: Sie hatten keine ISBN, waren auf Papier gedruckt und jüngeren Datums. Dieses Material stellte für Cella den Grundstock seiner Sammlung dar, die seitdem kontinuierlich anwächst und mit der er sich laufend künstlerisch auseinandersetzt.

Der „Salon für Kunstbuch“erfüllt für Cella mehrere Funktionen zugleich: er ist das Modell einer Buchhandlung, Verkaufsort, Ausstellungs- und Begegnungsraum und eine künstlerische Intervention an sich. Erst diese Hybridität ermöglicht es ihm, bisherige Bedeutungen und Funktionen aufzuheben und künstlerisch neu zu interpretieren. Der Name „Salon“ passt übrigens auch in seiner historischen Konnotation insofern, als Cella seinen Salon ebenfalls als moderierten Raum versteht, in dem er die gestalterische und kuratorische Aufgabe überhat und den Ort bewusst für Besuchende öffnet, um verschiedenste Formen von Austausch zu ermöglichen.

Über 12.000 Bücher umfasst die Sammlung aktuell. Etwa die Hälfte davon kann gekauft werden und rund ein Fünftel sind ohne ISBN-Werke. Der Großteil sind sogenannte Künstlerbücher, aber auch Kunstbücher, vereinzelt auch philosophische, wissenschaftliche und ganz selten literarische Werke. Eingang in die Sammlung findet – kurz gesagt –, was Bernhard Cella gefällt. Genauer gesagt sind es solche Bücher, die seiner Ansicht nach bestimmte, für ihn interessante Aspekte sichtbar machen: etwa eine konkrete politische Haltung, gestalterische Aspekte, künstlerische Trends oder auch bestimmte Bereiche der Gesellschaft oder Öffentlichkeit, die berührt werden. In einem guten Buch kann er das Substrat, das den oder die AutorIn dazu gebracht hat das Buch zu machen, herauslesen und in Folge in seine eigenen Auseinandersetzungen mit der Sammlung einfließen lassen. Er möchte zudem Antworten finden auf Fragen wie „Welche Themen oder Gestaltungsstile sind aktuell?“ oder „Gibt es geografische Tendenzen?“.

Bernhard Cella arbeitet selbst künstlerisch mit den Büchern, indem er sie sortiert, arrangiert und als Objekte in Beziehung zueinander setzt. Sein Interesse liegt auf den Konstellationen möglicher Beziehungen zwischen den Buchobjekten. Nicht der Inhalt steht hier im Vordergrund, sondern die objekthafte Materialität selbst, die für Cella oft erst rein durch die arrangierte Nachbarschaft mit einer größeren Menge anderer Werke zu Tage tritt. Seit 2010 sind die Bücher nach Farben sortiert, was aber nicht speziellen Trends in der optischen Gestaltung von Buchcovers Rechnung trägt, sondern eine Reaktion Cellas auf den Habitus mancher Gäste war, die schon am Eingang fragen, wo sie die Fotobücher oder die theoretischen Werke finden können. Die Farben setzen die gewohnte Buchsortierung außer Kraft und fungieren als alternatives System oder als „Anarchive“, wie Cella es nennt. Sie unterbrechen die übermächtige Bedeutung von Titeln und Klappentexten und ermöglichen den Betrachtenden eine andere, farbassoziative Art Bücher zu entdecken.

Die Publikation „NO-ISBN on self-publishing“, die 2015 erschienen ist, stellt eine Art Zwischenstand seines Kunstprojektes dar. Basis sind die rund 2000 Bücher aus der Sammlung, die keine International Standard Book Number haben. Die Gründe, warum auf die ISBN verzichtet wird, sind vielschichtig: als bewusster künstlerischer Schritt, der das Medium als Ausdrucksform nutzt und der manchmal auch als kritische Antwort auf die egalitären Museumsbetriebe und deren Kunstkataloge verstanden werden kann; weil es einfach der Art und dem Umfang des Inhalts entspricht oder auch des Publikumskreises, an den man sich richtet; weil es die einzige Möglichkeit ist, zwischen Zensur und System überhaupt publizieren zu können; weil es die zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht anders zulassen oder weil das Publizieren zum reinen Selbstzweck geschieht. All das findet sich in Form von Texten, Interviews und Manifesten, gegliedert in fünf Themenbereiche und ergänzt durch eine kurze Mediengeschichte des Buchdrucks und einem Register der analysierten NO-ISBN-Werke im Buch wieder.

Das System der ISBN – im Übrigen vom englischen Geheimdienst in den 1940er Jahren erfunden – dient als internationales Suchsystem vor allem dem klassischen Buchhandel. Im Web wird man aber ebenso schnell und über den einfacher zu merkenden Buchtitel fündig. Das Internet ist in den letzten 20 Jahren zur wichtigsten Informationsplattform avanciert und nimmt seitdem dem Printbereich einen Großteil dieser Aufgabe ab, was zum Wegfall vieler Drucksorten geführt hat. Und wieder einmal wurde dem Buch der Tod prognostiziert. Rasch erkannten aber viele KünstlerInnen das Potential des nun scheinbar „sinnentleerten“ haptischen Buches und endeckten es als neue Spielfläche künstlerischen Ausdrucks und Arbeit. Für Cella kommt noch dazu, dass in fast allen Sparten der Kunst klare Regeln herrschen, alles ist genauestens ausdifferenziert. Nicht so beim Buch, meint er. Dieser bisher wenig beachtete Raum zwischen zwei Buchdeckeln, der im Kunstbereich bisher hauptsächlich als Begleitmedium zu Ausstellungen genutzt wurde, konnte und kann völlig neu interpretiert werden. Und self-publishing bietet zudem noch die Möglichkeit ohne jegliche Filter zu publizieren. Das Buch ist nicht mehr länger bloß Informationsträger, sondern Leinwand, Projektionsfläche, Display, Darstellungs- und Ausstellungsraum geworden.

 

Wer sich für die Sammlung und das Veranstaltungsprogramm des „Salon für Kunstbuch“ interessiert, findet alle Informationen unter www.salon-fuer-kunstbuch.at

Es gibt zudem natürlich einige aktuelle Bücher mit Linz-Bezug im Salon, zum Beispiel „Another Twist“ von Andrea van der Straeten; „Der Käfig ist auf und der Zoo zu“, ein Kunstuniprojekt, ebenso von Andrea van der Straeten herausgegeben; oder „Hans Le Trou – Die letzte Nachricht“ von Johannes Staudinger.

NO-ISBN on self-publishing
Herausgegeben von Bernhard Cella,
Leo Findeisen und Agnes Blaha
Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2015

Kollektiv konkret: Miteinander Schreiben.

Bei der Leipziger Buchmesse wurden heuer zwei Bücher präsentiert, die beide in Österreich erschienen sind und sich dem kollektiven Arbeiten in der Literatur verschrieben haben. Grund genug, sich Bücher und Kollektiv genauer anzusehen. Über Absurditäten, lustvolles Schreiben, gesellschaftliche Utopien eines Miteinanders und das Kollektiv im Konkreten berichtet Elisabeth Lacher.

„Wenn eine Person für sich alleine einen ganzen Roman schreiben kann, dann könnte man diese Arbeit ja auf mehrere Personen aufteilen. Bei elf Personen wäre das dann ein Elftel Roman. Das müsste doch zu schaffen sein …“. So erzählt einer der Autoren der Schreibtruppe kollektiv roman, welche im April in Linz ihren Debütroman „wollen schon“ präsentierte. Eine Geschichte rund um das Erbe eines Alt-68ers und voller Fragen, was freies Leben und Arbeiten heute bedeuten kann.

Die Geschichte beginnt mit dem Zusammentreffen von Professor Mewald und der jungen Wissenschafterin Hannah Wolmut. Der Professor wirft ihr, stellvertretend für eine ganze Generation an prekarisierten WissensarbeiterInnen vor: „Freiheit ist für euch doch nur ein Propaganda-Begriff. Eine leere Hülse! Ihr wollt in Wirklichkeit gar nicht frei sein, keiner von euch!“ Hannahs Rotwein landet an jenem Abend im Gesicht des Professors. Das nächste Mal, als sie von ihm hört, hat er ihr ein Wiener Seminarschlössl und einen beachtlichen Geldbetrag vererbt. Mit der Auflage, ein freies Institut zu gründen und WissenschafterInnen einzuladen, für drei Jahre dort im Kollektiv zu leben und zu arbeiten. Im weiteren Verlauf der Geschichte liest man dann über diverse Einladungen ans Institut und die Anfahrtsgeschichten der zukünftigen Mitglieder. Die einzelnen AutorInnen entwarfen je ein oder mehrere Mitglieder des Instituts. In Schreibklausuren, Skypekonferenzen und Mailaustausch wurde dann über den Zeitraum von drei Jahren hinweg gemeinsam geschrieben, überarbeitet, Texte verschränkt, eine gemeinsame Sprache gefunden. Und Freunde schrieben und arbeiteten hie und da auch noch mit.

Wie das gehen soll? Eine durchaus berechtigte Frage. Die AutorInnen meinen Unterschiedliches dazu. Zuerst natürlich muss man das miteinander Arbeiten auch wirklich wollen. Die Bereitschaft, selbst geschriebene Textteile der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen, gemeinsame Ideen zu entwickeln, auch mal das Eigene zurückstellen zu können, Ungleichzeitigkeiten auszuhalten; das ist im kollektiven Schreiben unumgänglich. Und dass das Kollektiv bei „wollen schon“ nicht nur als vielversprechende Worthülse am Buchcover prangt, sondern auch wirklich drin ist, das ist erfrischend. Trifft man doch derzeit in Kunst und Kultur allerorts auf die Nonplusultra-Modebegriffe: Kollektiv und Partizipation. Diese zieren zahlreichst Projektbeschreibungen und öffnen Fördertöpfe. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das Kollektiv meist als bloße Zusammenarbeit mit klarer Aufgabenverteilung, statt Partizipation findet sich lediglich Interaktion. Eine recht fade Erscheinung, die man dem kollektiv roman sicher nicht nachsagen kann. Und das sei der Truppe hoch angerechnet. Die haben wirklich miteinander geschrieben und produziert. „Manche von uns haben schon zuvor etwas veröffentlicht. Für andere ist es das erste Mal, dass sie an einem Buch schreiben. Aber eines haben wir alle gemeinsam: Schreibend sind wir zusammengekommen. Haben als eine Art Nachbarschaftshilfe für Texte gearbeitet. Und Situationen geschaffen, sowohl literarisch als auch in der Organisation des Schreibens, die ein kollektives Arbeiten überhaupt erst zulassen. Uns war es nicht nur wichtig, gemeinsam ein Buch zu schreiben, wir sehen Zusammenarbeiten und Kollektiv als gesellschaftliche Vision des Miteinanders.“

Eine schöne Vision. Was ist nun über den Inhalt des Romans, den literarischen Gehalt zu sagen? Wer vor dem Einschlafen gerne deutschsprachige Literatur à la Robert Musil, Marlene Streeruwitz oder Ingeborg Bachmann liest: zu diesem Nachtkästchenkollektiv wird und kann sich der Roman „wollen schon“ literarisch nicht dazugesellen. Dazu bräuchte es doch originellere Ergebnisse im Inhalt und etwas weniger linksliberale Selbstironie. Doch soweit die Gruppe zu verstehen ist, war es nicht das Ziel, ein Meisterwerk zu verfassen. Und das Resultat ist auf jeden Fall vorzeigbar. Ein im Kollektiv geschriebener Roman, der für ein lustvolles Miteinander steht und dem verbissenen Leistungsdruck und erfolgshaschenden Gegeneinander unserer Zeit gehörig in die Suppe spuckt.

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„Le Bord de la mer. An den Grenzen der Berge“ wurde von der Wiener Gruppe Vent schreibt Torma herausgegeben. Michael Bodenstein, Andreas Pavlic und Nicole Szolga begaben sich gemeinsam mit den BewohnerInnen von Vent, einem Bergdorf im hinteren Ötztal, auf die Spuren des französischen Schriftstellers Julien Torma. Dieser verschwand 1933 in Vent und gilt seither als verschollen. Falls er überhaupt jemals gelebt hat. Das ist nämlich nicht ganz so sicher. Es gibt immer wieder Quellen, die behaupten, dass Torma eine Erfindung des Instituts für Pataphysik sei.

So wurde Julien Torma zu einem kleinen, literarischen Mythos. Und seit seinem Verschwinden im Jahr 1933 machten sich immer wieder unterschiedliche Personen und Gruppen auf die Suche nach ihm und seinen Spuren. Wer suchet, der findet, heißt es. Das trifft hier aber nur eingeschränkt zu. Denn wer nach Torma suchet, der findet sehr viel; nur keine klaren Antworten oder belegbare Fakten. Diese sind jedoch, pataphysisch gedacht, auch gar nicht so wichtig. Ist die Pataphysik doch jene absurdistische Wissenschaft, welche Gedanken, Ideen und Vorstellungen in ihrer realen Existenz gleichwertig begreift wie naturwissenschaftlich belegbar Existentes. Der Begründer der Pataphysik war Alfred Jarry, welcher um die vorletzte Jahrhundertwende lebte. Und tatsächlich und nachgewiesenerweise als Person existierte. Genauso wie einige prominente Anhänger und Mitglieder des Collège de Pataphysique. Unter anderem Jean Dubuffet und Marcel Duchamp.

Wenig überraschend sind die Überschneidungen von Pataphysik mit Surrealismus und Dada. Sehr überraschend ist die Herangehensweise der Gruppe Vent schreibt Torma. Zu Beginn wurde über Existenz, beziehungsweise Nichtexistenz von Julien Torma noch einmal kräftig nachgeforscht, und das dürfte der Gruppe doch einige Nerven gekostet haben. So erzählt Nicole Szolga, dass eines Tages, als schon einiges an Recherchematerial zur Pataphysik und zu Julien Torma zusammengetragen war, Andreas Pavlic plötzlich wild schreiend vom Computer aufsprang: „Der hat vielleicht wirklich nicht gelebt, der Torma!“ Was für ein Dilemma, denn auch der Literaturwissenschafter der Gruppe, Michael Bodenstein, meint nach intensiverer Auseinandersetzung mit Tormas Gedichten, dass diese lediglich so wirken sollen, als wären sie aus den 1920er Jahren. Tatsächlich würde er die Entstehungszeit der Gedichte in den 1950er Jahren verorten.

Doch einen Mythos, hat man einmal Feuer gefangen, wird man halt so schnell nicht mehr los. So machten sich Michael Bodenstein, Andreas Pavlic und Nicole Szolga auf ins Tiroler Vent. Im Gepäck den Gedichtband „Le bord de la mer“ von Julien Torma, um die Gedichte in kollektiver Übersetzungsarbeit gemeinsam mit den VenterInnen vom Französischen ins Deutsche zu übertragen. An den Übersetzungsabenden in Vent war es übrigens keine Voraussetzung, die französische Sprache zu beherrschen. Und Deutsch durfte sich auch gerne mal mit dem Ötztalerischen vermischen. „Die Tatsache, dass weder wir noch die VenterInnen mit Sicherheit wussten, ob Tormas Gedichte „echt“ sind, hat zu einer entspannten und spielerischen gemeinsamen Übersetzungsarbeit beigetragen. Uns und den DorfbewohnerInnen ging es nicht – wie sonst beim Übersetzen – um Genauigkeit und Perfektion, sondern um eine gemeinsame Annäherung an Sprache und Dichtung.“

Das alles hört sich etwas irre an? Ja, vielleicht. Aber wer das kleine Buch „Le bord de la mer. An den Grenzen der Berge“ in Händen hält, wird feststellen, dass die Ergebnisse nicht nur spannend und kurzweilig zu lesen sind, sondern die grafischen Gestaltungen der Künstlerin Nicole Szolga so stimmig und schön gemacht sind, dass man es gerne durchblättert und darin liest.

Was ist nun übers kollektive Schreiben und Übersetzen zum Abschluss zu sagen? Ist das sozialromantische Bild des einsamen Dichters und Denkers, der einsamen Dichterin und Denkerin nun endgültig über Bord zu werfen? Ich bin mir nicht sicher. Auf jeden Fall aber sind mit „wollen schon“ und „Le bord de la mer. An den Grenzen der Berge“ zwei unterschiedliche und durchaus spannende literarische Projekte in Buchform erschienen. Worin sich alle Beteiligten einig sind: Es ist lustvoller, gemeinsam zu schreiben. Es ist produktiver, wenn man der Isolation des Schreibens oder Übersetzens entrissen ist. So kündigt kollektiv roman eine Fortsetzung der literarischen Arbeit an. Und wer weiß, vielleicht gelingt der sympathischen Schreibtruppe dann auch eine inhaltliche Schärfung der Erzählung. Und betrachtet man das Ganze pataphysisch, so ist sowieso immer alles möglich. Bleibt nur zu hoffen, dass weder Vent schreibt Torma noch kollektiv roman in den nächsten Jahren als verschollen anzusehen sind.

 

Aus „wollen schon“ hat das Schreibkollektiv bereits im April in der Alten Welt gelesen.

Ahoi, Julien Torma in Linz!
Am 24. Juni 2016 um 20 Uhr präsentiert die Gruppe „Vent schreibt Torma“ in einer Crossover-Lesung das Buch „Le bord de la mer. An den Grenzen der Berge.“ Bei freiem Eintritt auf dem Salonschiff Fräulein Florentine.

kollektiv roman
„wollen schon“
268 Seiten, 17,95 Euro, zaglossus Verlag
Mitglieder des kollektiv roman: Natalie Deewan, Florian Haderer, Heide Hammer, Alexandra König, Katja Langmaier, Sonja Mönkedieck, Fanny Müller-Uri, VezaQuinhones-Hall, Thomas Schmidinger, Eva Schörkhuber, Kurto Wendt

Vent schreibt Torma
„Le bord de la mer. An den Grenzen der Berge“
80 Seiten mit DVD, 10 Euro,
ventschreibttorma@gmail.com
Vent schreibt Torma sind: Michael Bodenstein, Andreas Pavlic, Nicole Szolga und BewohnerInnen des Tiroler Bergdorfs Vent

11,73 km² Musik

Wir nehmen das alljährliche Oheim-Open-Air zum Anlass, einen Blick auf die Musikszene der Gemeinde zu werfen: In gegenseitiger Befruchtung mit kulturellen Initiativen entwickelte sich in der ältesten Marktgemeinde des Mühlviertels eine außergewöhnliche Dichte an musikalischen Formationen der unterschiedlichsten Stile. Eine exemplarische Annäherung von Daniel Steiner.

Ottensheim hat neben sanftem Tourismus, einer eigenen Brauerei, einer weltmeisterschaftstauglichen Regattastrecke, Drahtseilbrücke, einem überdurchschnittlichen Anteil an Grün-WählerInnen, einem tollen Open Air, auch noch eine wahrlich bemerkenswerte Musikszene zu bieten. Eine Gemeinsamkeit der musikalischen Projekte dieses Orts ist mit Sicherheit die Freude am Experiment, die sich in unorthodoxen Stilkombinationen, gewagten Outfits bei Auftritten oder in unkonventionellen Instrumentierungen manifestiert. So kann man etwa bei Auftritten der Blouson Brothers die Musiker mit Nudelsieb am Kopf, in Windeln und mit rosa gefärbtem Charlie-Chaplin-Bart am Kontrabass oder an der Ziehharmonika erleben. Musikalisch schenken einem die vier Herrn nichts, spielen eine wüst-anarchische Version von Austropop, an der Stefan Weber bestimmt seine Freude hätte. Eingängige Refrains mit kabarettistischen Texten werden immer wieder durch atonale Attacken und aberwitzige Tempowechsel durchbrochen.

Ein weiteres Merkmal dieser Szene stellen die häufigen personellen Überschneidungen zwischen den einzelnen Bands beziehungsweise Projekten dar. Einerseits wenig überraschend bei einer Gemeinde mit nicht ganz 5000 EinwohnerInnen, anderseits durch die große musikalische Bandbreite der ProtagonistInnen doch bemerkenswert. So findet man etwa Andreas Fuchshuber und Peter Knollmüller, die Rhythmussektion der Blouson Brothers, auch an Schlagzeug und Bass bei Romanovstra wieder, diesmal unverkleidet, um nicht zu sagen beinahe seriös. Die Band um den aus Rumänien nach Ottensheim gezogenen Sänger Nicu Stoica hat sich ganz dem Balkan-Pop verschrieben und hat musikalisches Material aus Ungarn, Rumänien und Bulgarien im Programm. Die achtköpfige Formation (neben den bereits erwähnten: der Schauspieler und Musiker Paul Hofmann, die Multiinstrumentalisten Günther Wagner und Christian Gratt, der Saxofonist Georg Schwantner sowie die Sängerin Karina Fedko) eröffnete heuer das Linz-Fest und trotzte dabei den schwierigen Witterungsbedingungen problemlos, der Tanzbarkeitsfaktor der Gruppe ist einfach zu groß.

Natürlich findet sich in den Reihen von Romanovstra ein weiterer Bezugspunkt zu anderen musikalischen Projekten aus der Kommune an der Donau, personalisiert durch Christian „Gigi“ Gratt. Und derer gibt es viele: Tumido etwa, ein Duo mit dem aus dem benachbarten St. Martin stammenden Schlagzeuger Bernhard Breuer, das sich einer sehr speziellen Version von Drum and Bass gewidmet hat und dabei mit Elementen von Noiserock und Industrial spielt, die Improjazzgruppe Braaz (gemeinsam mit Werner Zangele, Marcus Huemer und Martin Flotzinger), oder das psychedelische, in trashig-futuristischen Kostümen auftretende, Quintett Ni. Dann wären da noch, die mit Elementen der Volks- wie Popmusik arbeitende Band Drumski und nicht zuletzt Gigis Gogos, eine Big Band, in der Gratt alle seine musikalischen Seelen zu vereinen scheint: Jazzer, Noiserocker und Reggaemusiker bilden das 13-köpfige Orchester, so treffen Free-Jazz-Parts auf rockige Riffs, werden wiederum von brachialen Noiseparts abgelöst, statische Bässe flirten mit jazzigen Bläserakkorden und orientalischen Melodien, auch afrikanische Rhythmen finden ihren Weg in das musikalische Konvolut von Gigis Gogos. Zwei Schlagzeuge, ein Percussion-Set, zwei E-Bässe und ein Kontrabass bilden die Basis. Komplettiert wird das Ganze von drei Gitarristen und drei Bläsern.

Doch es geht auch noch größer! Selbstredend ist Christian Gratt auch beim GIS Orchestra (Go for Improvised Sounds Orchestra) federführend beteiligt. Das GIS Orchestra ist ein mit dem KUPF-Innovationstopf 2014 ausgezeichnetes Gemeinschaftsprojekt der Kulturvereine KomA („Kultur ohne momentanen Aufenthalt“/Ottensheim) und waschaecht (Wels). Das Orchester arbeitet mit dem Prinzip der dirigierten Improvisation, anhand einer Reihe von vorab vereinbarten akustischen Signalen wird das Zusammenspiel der etwa 20-köpfigen Besetzung koordiniert. Die jeweils dirigierende Person wird so zum Leiter des musikalischen Prozesses, sie gibt den Grundriss und die Dynamik vor, während die MusikerInnen die definierten Freiräume mit ihrem Spiel gestalten. Durch das GIS Orchestra soll eine niederschwellige Plattform für an Improvisation Interessierte und experimentierfreudige MusikerInnen entstehen, die sowohl Profis als auch AmateurInnen offen steht.

Natürlich erhebt diese Aufzählung von musikalischen Projekten aus Ottensheim keinen Anspruch auf Vollständigkeit, trotzdem werde ich mich hiermit bei allen nicht erwähnten Bands, Projekten und MusikerInnen entschuldigen. Abschließend möchte ich noch auf den Artikel „Mit Bach und Krach“ von Stephan Roiss bezüglich der Violinistin Irene Kepl aus der Referentin #1 vom September 2015 verweisen. Sie stammt – wie könnte es anders sein – ebenfalls aus Ottensheim.

SPIELE! Andrea Winter rund um den Sport.

Mission Possible – Gemeinsam zum Aufstieg! Blau-Weiß Linz ist zurück im Profi-Fußball.

Im Vergleich zum ersten Aufstieg 2011 in Wattens ein wenig unspektakulär – durch den Lizenzentzug von Austria Klagenfurt steigen beide Relegationsteams auf – aber diesmal als kompromissloser Regionalliga Meister mit ca. 90 geschossenen Toren. Ein Freudenfest für alle Fans. Im Übrigen ist der 12. Mann auch eine Frau. Wie beim V – SKVrau!

Die Gründe, warum Frauen ihre Zeit und Energie in die Fankultur am Fußballplatz stecken und ein regelmäßiges Hobby daraus machen, sind genauso vielschichtig wie die der anderen Fans, die quer durch jegliche Lebensrealitäten, Generationen und Einstellungen zusammenkommen, um ihren Verein anzufeuern und gerade in entscheidenden Momenten der 12. Mann zu sein.

Mit Freunden in einer sich positionierenden Fankultur aufzutreten oder als Freigeist und EinzelgängerIn trotzdem in einer Gemeinschaft zu sein. Am Ende der Woche Dampf ablassen und die aufgestauten Emotionen in lustvollen Bahnen und Wellen loslassen. Die meist durch Arbeit und Alltag gefesselte ureigene Kraft spüren dürfen. Ja, spüren dürfen! Beim Schreien sich der möglichen Kapazitäten der Lungen bewusst werden und bemerken wie der Brustkorb Raum einnimmt. Die verrauchten Lungenbläschen füllen sich endlich wieder mit Sauerstoff – und freuen sich darüber! Den eigenen Klangkörper erleben und zum Vibrieren bringen! Die Schultermuskulatur trainieren beim Überhandklatschen. Auf ein Bier! Beim Schreien in die Kraft kommen.

Seine Empörung zum Ausdruck bringen. Seine Empörung zum Ausdruck bringen, kanalisiert in einer Reaktion auf eine falsche Schiedsrichterentscheidung. Da verliert man und frau das eine oder andere Mal die ansonsten hochgehaltene „political correctness“ – und es tut gut. Es ist gut. Es darf sein. Wir sind am Fußballplatz. Wenn nicht hier, wo dann?!

Die gesellschaftlichen Schranken, in denen wir unsere Wut oder Empörung Ausdruck und Gehör verschaffen können, sind eng, hoch und lassen kaum individuellen Spielraum zu. Unterwirf dich den Regeln, ansonsten „gibt’s eins aufs Haupt“.

Wird die Empörung der Menschen über den täglichen globalen und lokalen Wahnsinn in den Austragungsländern der diesjährigen sportlichen Großveranstaltungen wahrgenommen und medial zum Thema gemacht? Oder gibt es Zensur und „Brot und Spiele“ für die Massen? Ein Flüchtlingsteam unter der olympischen Fahne sendet eine „message to each asylum seeker in the world“. Dieses Zeichen der Hoffnung ist medial, professionell, manipulativ vermarktet um das soziale Gewissen der Smartphone-Gesellschaft mit einem „Gefällt mir“ zu befriedigen. Zynischer Hohn für diejenigen, die vorm Stacheldraht stehen und denen nichts als der Krieg im zurückgelassenen Gepäck bleibt.

Ein lokales Zeichen für ein solidarisches und respektvolles Miteinander in Oberösterreich unter dem Motto: „Sport bewegt. Sport verbindet. Über Konfessionen, Kulturen und Weltbilder hinweg.“ setzt der SOS Cup – Anpfiff für Menschenrechte. Zu diesem interkulturellen Benefiz-Hobby-Fußballturnier am Samstag, dem 11. Juni laden SOS Menschenrechte & Arge TOR herzlichst ein.

Tags zuvor beginnt die Fußball-EM in Frankreich mit österreichischer Beteiligung. Oder mit Österreichern, Migranten, Flüchtlingen … Unser Top-FIFA-Ranking hätten wir ohne Alaba, Junuzovic, Garics & Co nicht erreicht. Wir wären im unteren Drittel vertreten, so wie beim Ranking zur Gleichstellung der Frau oder zur Korruption.

Wegen Korruptionsverdacht wurde der bisherige FIFA Generalsekretär J. Valcke, verheiratet und Vater von 2 Kindern, entlassen und: Hört, hört!!! Zum ersten Mal in der Geschichte der FIFA wird eine FRAU – die senegalesische Diplomatin Fatma Samoura – Generalsekretärin. Zum ersten Mal seit der Gründung der FIFA 1904 wird dieser Posten auch NICHT-europäisch besetzt. Bröckelt womöglich die männliche, weiße, heteronormative Macht?! Die Welt dankt!

 

11. Juni: SOS Cup – Anpfiff für Menschenrechte

6.–10. Juli in Italien: Mondiali Antirazzisti – Antirassistische Fan-Weltmeisterschaft

irgendwann im Sommer das Derby: Blau Weiß Linz – LaskL