Last Exit Linz Pöstlingberg

Groß, düster und ungeheuerlich ist die Kunst des Linzer Künstlers Klemens Brosch (1894–1926), die darauf wartet, entdeckt zu werden. Pamela Neuwirth hat im Vorfeld der Ausstellungseröffnungen zu Klemens Brosch die Kunsthistorikerin und Brosch-Expertin Elisabeth Nowak-Thaller getroffen und mit ihr über „Klemens Brosch. Kunst und Sucht des Zeichengenies“ gesprochen.

Groß, düster und ungeheuerlich ist der Zeitgeist der 10er und 20er Jahre. In der Kunst: Der Tod der Jugendstilväter Gustav Klimt, Otto Wagner, Egon Schiele und Kolo Moser markierte eine stilistische Wende. Futuristen, Surrealisten, Kubisten und Dadaisten suchten als Antwort auf den Krieg nach einer neuen Kunst, um die gefundenen -Ismen gleich wieder abzuschaffen. In der Gesellschaft: Karl Kraus schrieb die „Letzten Tage der Menschheit“; seine Prognosen treten ein. Neben der Ernüchterung allerorts nur elegischer Abgesang. Da war auch das Leben und Werk des Linzer Künstlers Klemens Brosch schwer und schien von seiner schwarzen Tinte durchtränkt: Dem jungen Chronisten an der Front haftete nach seiner baldigen Rückkehr aus dem Krieg schon der zweifelhafte Ruf des Morphinisten an, wo er den Apotheken stadtbekannt war. Klemens Brosch war zur Zeit seiner frühen künstlerischen Anerkennung (1915–1919) Mitbegründer der Galerie MAERZ gewesen, verließ aber schon 1917 das Kunstkollektiv mit der Begründung: „… Nun widern mich die Ausstellungskritiken wie überhaupt das Öffentliche der Ausstellungsweise derart an, daß ich es möglichst vermeide.“ Ebenso zwiespältig, öffentlich zwischen Anerkennung und Ablehnung, gestaltete sich das private Leben von Klemens Brosch. Er war Ehemann – von Johanna, von der es aus dieser Zeit keine einzige Fotografie gibt, nur seine Portraits zeigen sie still beim Nähen; wobei die frühen Zeichnungen nicht ahnen lassen, dass sie kurze Zeit später Ko-Abhängige seiner Sucht und später freiwillige Dauerpatientin der Landesnervenheilanstalt wird. Zu der Zeit war die Kunst von Klemens Brosch bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Namhafte Zeitungen hatten seine Arbeiten besprochen und die Auftragslage war über die Jahre ganz beachtlich gewesen. Mit der Geld-Inflation kam es nach dem Krieg aber zu finanziellen Schwierigkeiten, die durch seinen Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben verschärft wurden. Die Sucht zog das Ehepaar tiefer hinunter, wie das durch eine Beobachtung von Broschs Schwiegervater dokumentiert ist und wo man stark an Burroughs schlimmste Zeiten erinnert ist oder auch an das Berlin von Christiane F. Die materielle Not konnte Brosch insofern durch seine Kunst abwenden, indem er von den umliegenden Gemeinden Puchenau, St. Johann, Weitersfelden und Neufelden um 1920 beauftragt wurde, Entwürfe von „Notgeld“ zu gestalten; so entstanden fein kolorierte Geldscheine für temporäre Alternativ-Währungen, die er interessanterweise klassisch im Jugendstil umsetzte, aber mit surrealen Einschlägen, wie etwa der Gemeinde St. Johann, der er in der 1. Auflage einen Pfeife rauchenden Eulen-Waldschrat (mit Vollmond) zeichnet.

 

„Hätte das Rad nicht gekreischt, es wäre herrlich gewesen“

Franz Kafka, Strafkolonie

 

Vor dem Krieg und bevor die Dämonen im Leben von Klemens Brosch seine Kunst bestimmen werden, verläuft sein Leben privilegiert. Kurz vor Kriegsbeginn wurde er durch die Intervention des Vaters in einer Art Sonderverfahren doch noch an der Kunstakademie Wien aufgenommen, wo er wenige Monate Kunst studierte, bevor er an die Front eingezogen wird. Die Arbeitstechnik, die er zeitlebens vorzog, hatte er allerdings schon vor dem Studienbeginn gefunden. Tuschezeichnungen mit Titeln wie „Der wahnsinnige Schuster auf seiner Wanderschaft“ (1911) oder „Drache hält den Mond umklammert“ (1911) zeigen seine ästhetische Ausrichtung schon auf, die surreal und phantastisch war, und geben Einblick in sein Wesen, das melancholisch und düster schien und älteren Zeitgenossen, wie Kubins, ähnelte, der ja wie Brosch zeitlebens an den Schattenseiten interessiert war. Elisabeth Nowak-Thaller sieht Parallelen zwischen den beiden Künstlern. Alfred Kubins Ausspruch „Zeichnen ist Schicksal“ passt auch auf Klemens Broschs künstlerische Neigung. Wenn für Kubin Zeichnen Schicksal bedeutet hat, dann könnte man sagen, dass Zeichnen für Brosch wie Atmen war. Und der zeitlebens lungenschwache Klemens Brosch zeichnet sich durch die Kriegsjahre.

In der Zeit vor seiner Morphiumsucht und bevor seiner Kunst durch die Droge etwas Anästhetisches anhaftet und an Komplexität einbüßt, sind seine Zeichnungen fein und von so großer Akribie, dass die Detailliertheit in Distanziertheit umschlagen kann. Im „Waldfriedhof“ (1912) unter der großen Trauerweide stehen in einer hellen Szene die Kreuze eng beisammen; hintergründig verdichtet wird das Bild erst durch die vielen Schatten, die auf die Gräber fallen, doch trotz der Dichte und Tiefe bleiben Raum und Stimmung seltsam geordnet. In den Kriegszeichnungen wird die erwähnte Distanziertheit im Strich dann zu etwas Dokumentarischem. In der Zeichnung „Treffer einer Granate“ (1914) hat die Tuschezeichnung eine Wirkung wie ein Negativbild eines Fotos. Am anonymen Kriegsschauplatz im hellen Birkenwäldchen ist die Romantik des Tuschestrichs verloren gegangen. Das wenige Schwarz im Bild eröffnet stattdessen ein grausames Schlaglicht auf den von Granaten zerrissenen Körper eines Soldaten. Seine Zeugnisse von der Zeit an der Front und über Kriegsexekutionen tragen Titel wie „Gefallene vor einem Stacheldraht“ (1914) und später „Siesta der Henker“ (1916) und sind großteils mit Monat und Tag datiert. Zeichnen ist wie Atmen. Der Krieg forderte seelischen Tribut, durch das Lungenleiden wurde Broschs ohnehin prekäre körperliche Konstitution noch schwächer. Das Morphium wurde ja nicht nur im Krieg, sondern damals schon bei kleineren Unpässlichkeiten verabreicht, Frauen zum Beispiel bei Menstruationsbeschwerden. Morphium, verklärt vom Lebensstil der Boheme, war wie Kokain in Mode und hatte bei vielen den Alltag erreicht. Beides waren wenig erforschte Substanzen, mit denen neben den sogenannten Morphinisten auch Ärzte im Selbsttest leichtfertig experimentierten, wie in dem Zusammenhang auch der Psychoanalytiker Dr. Freud. Bei Klemens Brosch entwickelte sich das alles zu einem großen, dunklen Malstrom. Seine großen Erfolge zwischen 1915 und 1919, von denen er sich misanthropisch distanzierte, fallen in die schrecklichen Kriegsjahre und mit seiner Sucht zusammen. Im retrospektiven Blick auf sein kurzes Leben kann eine seiner frühen Zeichnungen den Weg vom Träumer zum apokalyptischen Propheten fast schicksalhaft vorweggenommen werden. Klemens ist erst sechzehnjähriger Schüler, als er das Vanitas-Motiv in dem komplexen, wie beklemmenden Werk „Ostern“ (1910) – man muss fast sagen: abhandelt. Auch „Der Blitz“ aus dem gleichen Jahr – hier ist es das Thema Nachdenklichkeit (!) – zeigt, wie der Jugendliche intuitiv und souverän eine Bildkomposition umsetzt.

Die große Ausstellung zu Klemens Brosch wird neben der Landesgalerie auch im Nordico Stadtmuseum zu sehen sein. In der Landesgalerie wird die große Werkschau als Sonderausstellung präsentiert. Der Titel der Ausstellung „Klemens Brosch. Kunst und Sucht des Zeichengenies“ lässt hinsichtlich des Suchtfaktors keinen Zweifel aufkommen. Der Alptraum der Abhängigkeit spiegelt sich in unterschiedlichen Formen in der Kunst wider – aber die Ausstellung zollt auch den bereits erwähnten surrealistisch-phantastischen Einschlägen Tribut. Der Zeichner Brosch hat außerdem in Öl gemalt. Zwei riesige Leinwände, die zudem in Vergessenheit geraten waren und sich in einem ganz bedauernswerten Zustand befunden haben, wurden jetzt restauriert. Die großformatigen Malereien bilden vor einem fantastischen Hintergrund in Grün und Rot Saurier ab, deren Anatomie weniger von Darwin, sondern mehr von H. G. Wells Science Fiction inspiriert war. Das Nordico wird außerdem mehrere Stationen seiner Biografie in verschiedenen Lebensphasen beleuchten. „Hätte das Rad nicht gekreischt, es wäre herrlich gewesen“ – mit diesem Zitat aus Franz Kafkas Strafkolonie soll zuletzt noch auf das Buch von Elisabeth Nowak-Thaller verwiesen werden, wo sie besagtes Kafka-Zitat in Bezug auf Brosch’ Biografie setzt. Elisabeth Novak-Thaller, die sich in den 80er-Jahren in ihrer Dissertation mit Klemens Brosch beschäftigte, hat Fakten zum Werkverzeichnis zu Tage gebracht; und meint, dass das Werkverzeichnis von Klemens Brosch noch nicht vollständig sei. Die Brosch-Expertin hat den Linzer Künstler im Interview als komplexe, dunkle Persönlichkeit beschrieben. Als Ort für seinen Abgang hat Klemens Brosch 1926 den Linzer Pöstlingberg gewählt, wo er an einem Wintertag unter Zuhilfenahme einer Atemschutzmaske sein Leben beendete. Die Gasmaske trat so zum Schluss noch einmal als schreckliches Symbol des Ersten Weltkrieges in Erscheinung und hat sich mit ihm im letzten Ausatmen im Tod verbunden.

 

Früh vollendet, tragisch und verloren

Klemens Brosch zählt zu den interessantesten Zeichnern Österreichs im 20. Jahrhundert. Schon in der Linzer Schul- und Akademiezeit galt er als Wunderkind, das Themen wie Vergänglichkeit, Leid und Naturphänomene in einer unheimlichen, surrealen Bildsprache mit fotografischem Strich festhalten konnte. In der repräsentativen Monografie werden Kontakte mit Linzer Persönlichkeiten, Erfolge in der Künstlervereinigung MAERZ sowie noch nie gezeigte Linz-Ansichten versammelt. Kunsthistorische Vergleiche runden das Bild eines bereits zu Lebzeiten gefeierten und später vergessenen Zeichners ab. Die gesellschaftlichen Hintergründe werden ebenso beleuchtet wie die Entziehungsaufenthalte und der tragisch inszenierte Freitod auf dem Pöstlingberg. Auch der Einfluss von Drogen in der Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts wird thematisiert.

Gemeinsam würdigen die Landesgalerie und das NORDICO Stadtmuseum Leben und Schaffen dieses in Linz geborenen Grafikers mit der bislang größten Retrospektive. Gemeinsam geben beide Häuser außerdem einen umfassenden Katalog heraus.

Ausstellung in der Landesgalerie und im Nordico: „Klemens Brosch. Kunst und Sucht des Zeichengenies“ von 30. September 2016 bis 8. Jänner 2017

Katalog: Klemens Brosch (1894–1926) – Kunst und Sucht des Zeichengenies. Von Elisabeth Nowak-Thaller. 290 Seiten, durchgehend farbig bebildert, Hardcover, 34 Euro

Die kleine Referentin – Auflösung

Die kleine Referentin – Auflösung

Die kleine Referentin – Auflösung

Wie war das? Radical Alchemist and the Lonely Atoms of our Time? Die Rettung für Robert Gilles liegt ganz nah und muss nicht in unbekannten Galaxien gesucht werden: Eine warme Umarmung würde ihn auftauen und von seinem Leid befreien.

Kleine Star Trek-Kunde:

Der Handgruß der Kindernautin rechts unten im Bild ist vulkanisch und wird in den Filmen mit der Grußformel „Dif-tor heh smusma“ (Lebe lang und in Frieden) begleitet.

Kulinarische Scharmützel eines professionellen Dilettanten

Erdbeer Torte mit Vanille Creme

Sweets for my sweet, sugar for my honey – oder so. Kuchen und Torten, die süßen Antagonisten stehen nun im Fokus – auf Befehl der Chefredaktion. Und so fügt sich der Slowdude und klärt erstmal Grundsätzliches und begibt sich dann auf eine städtische Mehlspeisen-Testrally.

Die Fragen: Ist die Torte aristokratisch und der Kuchen bürgerlich oder gar proletarisch? Entspricht die Torte einem Rolls-Royce Phantom VI und ein Kuchen einem Citroën 2CV? Ist die Torte das Besondere und der Kuchen das Einfache? Ist die Torte aufregende Sinnlichkeit und der Kuchen langweiliger Alltag?

Mitnichten! Der Kuchen schlägt die Torte um Längen – glaubt dem Slowdude und seiner Beweisstrecke. Der Kuchen ist flexibel, dynamisch und innovativ. Immer am Zeitgeist, wandelbar, leichtfüßig und wechselt gekonnt zwischen Genussmittel, Seelentröster und Mahlzeit. Zudem kann er saisonal punkten (mit Ausnahmen), ist gänzlich unpolitisch und pfeift (auch mit Ausnahmen) auf allzu scharf gezogene territoriale Grenzen und Zuschreibungen. Die Torte hingegen ist behäbig, fett und oft aufdringlich üppig. Ähnlich der alten, schwerfälligen Tante, die bei Familienfeiern mit der Handtasche am Schoß am Kopfende des Tisches sitzt, etwas aufdringlich riecht, die Kinder in die Wangen kneift und meist zu lange bleibt.

Die Torte erhebt auch Anspruch auf Landschaften (Schwarzwald), auf Hotels (Sacher), Städte (Linz), Adelsgeschlechter (Esterházy) und Kleriker (Kardinal).

Der Kuchen hingegen dient sich selbstlos seinen Hauptdarstellern an: zum Beispiel Apfelkuchen, Marillenkuchen, Schokokuchen und Mohnkuchen. Und noch einer direkten Konfrontation hält der Kuchen stand: Der Verzehr ist einfacher und lässt sich nobler bewerkstelligen – die Torte hingegen kämpft oft gegen ihre unausgereifte Statik und oft eigenartige und der Selbstzerstörung zuträgliche Montageart. Also: Torte 0 und Kuchen 3 Punkte. Eindeutiger Sieger – was aber nicht bedeutet, dass Kuchen immer lecker sein muss – zumindest nicht in Linz.

Hier stehen passionierte KuchenfreundInnen einem sehr vertrackten Angebot gegenüber. Dominiert von der Linzer Torte (die eigentlich von einem Bäcker namens Linz in Wien erfunden wurde) ist Linz kein besonderes Kucheneldorado. Als eine Art Rockefeller des süßen Gewerbes beherrscht Jindrak das Geschehen in der Stadt. Das Angebot ist üppig und Torten-dominiert und auf der Kuchenseite unterentwickelt. Und selbst die paar Kuchen, die es gibt, sind tortig. Die Konditorei Preining im Linzer Norden hingegen bietet neben einem – wie der Slowdude findet – zu großen Tortenangebot eine sehr gute Auswahl von verschiedenen Kuchen an. Der Marillenkuchen ist besonderes zu empfehlen. Und die Tante ist auch da.

Im Linzer Zentrum produziert die Bäckerei Knott immer donnerstags den sogenannten Topfenzopf – ein unglaublich flaumiger Topfenkuchen in Kastenform. Ein Muss! Unbedingt probieren! Eigentlich das heimliche Highlight der Linzer Kuchenrally. Recht schmackhaft, aber auch auf Angebotsseite recht beschränkt, sind die Kuchen der Bäckerei Honeder. Kein Muss, aber ein wohlwollendes Kann. Sympathisch geradlinig und sehr schmackhaft sind die Kuchenspecials der K&K Hofbäckerei. In Kastenform gebacken sind Schoko- und Nusskuchen auch ein ideales Mitbringsel, das selbstgemacht aussieht. Die Bäckerei Haubis und Kandur sollen auch noch genannt sein. Keine Highlights, aber auch keine Fails. Die Bäckerei Eichler macht in Linz wahrscheinlich den besten Guglhupf.

Die absoluten Schlusslichter sind Backwerk und die Backshops der Supermärkte. Inakzeptabel. Da schmeckt das Gebäck so wie der Shop aussieht. Nach Plastik. Und das ist keine vorab gefasste Meinung, sondern das Ergebnis eines Selbstversuchs.

So. Der Slowdude hat das Süße überwunden und freut sich wieder auf das saure Milieu.

Ich suche den Menschen im Internet für die ernsten Beziehungen.

Ich bin mit einer Frau unterwegs. Sie trägt ein schwarzes Kleid. Plötzlich taumelt sie, krümmt sich, und klappt irgendwie zerhackt nach hinten zusammen. Ich stürze hin und sehe, dass alle stumm hersehen, sie tun aber nichts. Die Frau hat merkwürdigerweise die Hände in ihren Kleidertaschen. Ich greife nach der Hand und eine Energie greift mich plötzlich an, strömt mit einem Ruck in mich. Mein Körper wacht auf. Nach dem rebellischen Traum sitze ich mit einem Kaffee vor meinen Mails. Bitterschwarze Bohne, Computersurren. Spammail: Hallo! Wie geht es Ihnen? Wie ist Ihre Stimmung? Ich will Sie besser kennenlernen. Ich suche den Menschen im Internet für die ernsten Beziehungen. Ich habe ernste Absichten. Ich hoffe, dass du nicht bist der Perverse. Ich hoffe, dass du bist der gute Mann. Weggeklickt. Naja, ich bin auch kein Mann.

Die Tage vergehen. Ich bin unterwegs. Projektbesprechungen vor weltpolitischem Hintergrund. Sich über Zusammenhänge Gedanken machen, die global rein in den Abgrund und lokal raus aus der Scheiße tauchen, soviel Horror. Ich laufe an der Straßenecke meiner Freundin in die Arme. Aus entgegengesetzten Richtungen kommend, starren wir im Laufen gebannt auf einen Fast-Zusammenprall, der an der Ecke passiert ist. Ein Auto bremst beim Fußgängerübergang zusammen, eine Frau ist zurückgesprungen und schreit aus Schock. Sie schreit und schreit. Es ist ganz seltsam. Irreal. Die Leute rundum telefonieren und fotografieren ängstlich. Meine Freundin sagt zu mir: Komm, wir gehen weiter. Ich bin fertig, meine Freundin hat feuchte Augen. Wir gehen zum nächstbesten „Kaffeesieder“, „Brüher“ oder „Röster“? Dort machen wir zu unserer Unterhaltung kleine Zungenbrecher-Wortketten über die Öko-Hipster-Society. Etwa: Dinkel, dunkel, Dünkel. Oder: Neo Bio Biedermeier / Sieder Neo Biobieder. Naja. Das erheitert ein wenig und bestärkt uns später in ein Lokal zu wechseln, das nicht biorhythmusmäßig um 18 Uhr zusperrt. Es ist eines, in dem die Leute nicht nur schick sprachlos, sondern richtig einsam an der Bar hocken. Wir landen in der Wiener Straße. Ich gehe zu einem an der Bar, den ich frage, ob er Feuer hätte. Er hat gutmütige Augen und sagt: „Nehmt ihr das Feuer, ihr seid zu zweit.“ Ich bin ehrlich gerührt und sage, wir kommen lieber gern öfter zu ihm um Feuer zu holen. Er meint freundlich, da könne er „wohl nichts dagegen haben“. Ich würde am liebsten sagen: Ja genau, ich suche auch den Menschen im realen Leben für die ernsten Beziehungen. Aber im Fernseher über der Bar läuft eine Analyse über den Münchner Amoklauf. Meine Freundin und ich reden über den verstörenden Dialog zwischen Amokläufer und Anrainer, bevor die Schießerei in München losging. Der Amokläufer: „Ich bin Deutscher“, der Anrainer vom Balkon des Hochhauses: „Du bist ein Wichser, was machst du da?“ Zusammenkrachende, zusammenklappende Menschen.

Mir fällt der Traum der vergangenen Nacht ein. Stattdessen erzähle ich einen anderen, bereits sehr alten Traum, den ich noch nie erzählt habe. Ich sitze an meinem Schreibtisch und sauge an einem Kugelschreiber. Gleichzeitig glaube ich im Traum zu wissen, dass die Tinte giftig ist. Ich weiß letztlich nicht warum, aber ich sauge am Kugelschreiber, warte darauf krank zu werden, zu sterben. Ich warte im Dunklen, warte noch immer, werde aber nicht krank, sterbe nicht. Es passiert nichts. Nach langer Zeit stellt sich in Ruhe ein Satz ein. Der Satz ist dann verschwunden und taucht viel später in der Erinnerung wieder auf. Der Satz hieß: Wenn ich die Tinte essen kann, dann kann ich auch vom Schreiben leben. Wahrscheinlich könnte man viel dazu sagen – von wegen freudianisch oder sich als Schreiberin Texte aus den Fingern saugen. Aber meine Freundin ist plötzlich sehr erheitert und sagt nochmal: „Wenn ich die Tinte essen kann, dann kann ich auch vom Schreiben leben“. Stimmt, der Satz ist gut. Es ist anscheinend doch noch nicht alles giftig. Sie meint aus ihrer umfassend künstlerisch angelegten Haltung heraus – sie, die Künstlerin – dass dieser Traum, diese ganze Paradoxie nicht weniger als einen „urschöpferischen Akt“ darstelle. Mit großen Augen geht sie den Satz noch einmal im Geiste durch und beginnt wieder zu lachen. Man müsse mit diesem Satz, mit dieser Aussage, mit dieser Bildwendung künstlerisch arbeiten, aus dieser komplett rätselhaften Lebensparadoxie nicht weniger als ein ganzes Kunstprojekt machen, sagt sie. Ich sehe sie an und denke: Leute wie wir haben anscheinend eine tief verwurzelte Gewissheit, dass sich die bösen Dinge aus sich, aus einer urschöpferischen Kreativität heraus, zum Guten transformieren können. Diese Hoffnung haben wir, immerhin. Und ein paar echte Menschen rund um uns, das haben wir auch. Meine Freundin meint: echte Träume, echte Menschen. Wir bleiben dann noch sitzen und basteln existenzialistische Zungenbrecher, just for fun. Mit dem, der uns die Streichhölzer schenken wollte, weil wir mehr sind.

Leerraum

„Skulpturenpark Westautobahn“, „DECOY“, 2016

„Skulpturenpark Westautobahn“, „DECOY“, 2016

An der Verbindungsstelle Westautobahn (A1) und Mühlkreisautobahn (A7) haben diesen Sommer unbekannte Künstlerinnen und Künstler den „Skulpturenpark Westautobahn“ errichtet. Das von den beiden Autobahnen umschlossene und durch Lärmschutzwände versteckte Niemandsland mit Mischwald war aber nur für kurze Zeit Ausstellungsraum. Die zehn Skulpturen und Installationen wurden Mitte August durch die Autobahngesellschaft Asfinag wieder abgebaut. Für alle die den „Skulpturenpark Westautobahn“ auch gerne gesehen hätten – im Herbst erscheint eine Publikation.

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Dreams are my reality …

Mit Ruth Beckermanns Die Geträumten und Patric Chihas Brüder der Nacht starten diesen Herbst/Winter zwei österreichische Filme in den heimischen Kinos, die die Grenzen dokumentarischen Erzählens ausloten und somit formal unverbindlich bleiben, während sie sich zweifelsfrei der Menschenliebe verschreiben. Von Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger.

Der österreichische Film, so lässt sich etwa an seinen zahlreichen internationalen Festivalauftritten nachweisen, ist eine Erfolgsgeschichte. Eine jedoch mit Brüchen, geben die Zahlen am heimischen Box-Office doch nur einen dürftigen Widerhall der internationalen Lobgesänge. Diese ernüchternde Tatsache darf weniger als Aussage über die Qualität der Filme denn als Hinweis auf den Zustand des Kinomarkts mit seinen Verwertungslogiken interpretiert werden. Beiden widerfährt derzeit eine der gröbsten Veränderungen ihrer jüngeren Geschichte. Veränderungen, die in einem Land, in dem Kino und Fernsehen alleine schon strukturell verschränkt sind, notgedrungen auch Auswirkungen auf den ORF, den größten Arbeitgeber der Branche, haben. Diese kulturpolitische Debatte ist der Öffentlichkeit vor wenigen Wochen, anlässlich der Wahl des ORF-Generaldirektors, mit Sanftmut – quasi im Stille-Post-Modus – entgegengeblinzelt. Indirekt ist sie auch Gegenstand von Ruth Beckermanns neuestem Film. Mit ihrem hellwachen Sensorium gegenüber den Phänomenen ihrer Zeit ist Beckermann als Filmemacherin, Autorin und Künstlerin bekannt. Als sie 1987 ihren Film Die papierene Brücke vorstellte, lag die Waldheim-Affäre gerade erst ein Jahr zurück. Obwohl oder gerade weil der Film Beckermanns eigene Familiengeschichte und zugleich die Geschichte der mitteleuropäischen Juden zu erzählen suchte, fand dieses markante Wendejahr Eingang in den Film. 2001 porträtierte die Filmemacherin die Wiener Marc Aurel-Straße und wurde erneut Zeugin einer Zäsur für das republikanisch gestimmte Österreich: die Regierungsbeteiligung der extremen Rechten im Jahr 2000. Dass Beckermann fünfzehn Jahre später ihre jüngste Arbeit Die Geträumten in den Räumlichkeiten des Wiener Funkhauses, dem unlängst veräußerten architektonischen Bollwerk des intellektuellen ORF, ansiedelt, zeugt erneut von Beckermanns Gespür Zeitgeschichte en passant zu erzählen: Im großen Sendesaal treffen der Schauspieler Laurence Rupp und die primär als Musikerin bekannte Anja Plaschg aufeinander. In ihre Münder sind ihnen die Worte Paul Celans und Ingeborg Bachmanns gelegt. Ruth Beckermann inszeniert den todtraurigen und gleichwohl wunderschönen Briefwechsel, den die beiden Poeten in den Wirren nach dem 2. Weltkrieg bis zu Celans Suizid 1971 wort- und emotionsgewaltig geführt haben. „Im Wiener Funkhaus, wo die Gemälde an der Wand wie Fenster in die Welt wirken, lesen Plaschg und Rupp die Texte nicht nur ein – sie lassen zu, dass diese auf sie wirken, dass diese Liebe auf sie wirkt, in ihrem Rausch, ihrer Verlustangst, ihrem Entzücken, ihrem Erschrecken, ihrer intimen Nähe und schmerzlichen Fremdheit, aber auch in ihrem historischen Kontext der Nachkriegszeit“, schreibt die Filmjournalistin Alexandra Zawia im Katalog der Diagonale’16, wo der Film mit dem großen Preis für Spielfilm ausgezeichnet wurde. Über die Textpassagen hinaus verweilt Johannes Hammels Kamera bei den beiden Darsteller/innen und wird Zeuge, wie sich die gelesenen Worte setzen und sich ihr Nachwirken in Mimik und Gestik regelrecht abzeichnet, übersetzt. Beckermann verweigert die Suche nach schauspielerischer Entsprechung für Celan und Bachmann. Sie entscheidet sich dafür, den geschriebenen Worten der betörenden Liebesbriefe Körper zu geben, sie filmisch körperlich werden zu lassen. Dabei changiert Die Geträumten zwischen ruhigem Dokumentieren und feinfühliger Inszenierung. Es darf so gesehen auch nicht als Affront oder Chuzpe interpretiert werden, dass Die Geträumten nur wenige Wochen nach dem Spielfilmpreis beim Festival des österreichischen Films als bester Dokumentarfilm beim renommierten französischen Dokumentarfilmfestival Visions du Réel prämiert wurde. Beckermanns jüngste Arbeit, womöglich eine ihrer sinnlichsten, verweigert sich bewusst jeder Genrekategorisierung und ist doch ein deutliches Dokument ihrer Zeit. Mit Laurence Rupp, der dem Filmpublikum nebst TV-Auftritten vor allem aus Andreas Prochaskas Coming-of-Age-Genrearbeit In 3 Tagen bist du tot wohlbekannt ist – und Anja Plaschg alias Soap&Skin lädt Beckermann zwei zeitgenössische Künstler/innen ein, Worte – die über die Jahre weder Zauber noch politische Brisanz eingebüßt haben –, an einem Ort zu studieren, zu lesen, zu verkörpern, der lange Zeit für intellektuelle Besonnenheit und Gemächlichkeit stand (Attribute, die möglicherweise als Kern eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrags zu verstehen wären und gegenwärtig dem Zeitgeist geopfert werden). Beides gilt es gegenwärtig wieder verstärkt zu verteidigen. Gegen Marktlogik und einen ökonomisierten Kulturbegriff etwa, der zunehmend mit Schlagworten wie City-Branding hantiert.

Am anderen Ende einer solchen City liegen Schiffe am Donauufer vor Anker. Zur sehnsüchtigen Schwere einer Opernarie umarmt die Skyline das Wiener Nachtschwarz – und dieses wiederum die Protagonisten eines weiteren österreichischen Genrehybriden, der bei der Diagonale in Graz seine Österreichpremiere gefeiert hat: Brüder der Nacht von Patric Chiha rückt die Lebensrealität bulgarischer Stricher in den Fokus. In Wien verkaufen sie ihre Körper an wohlhabende Freier, gebären sich als Verführer und Gangster, stark und verletzlich zugleich. Obgleich sich ihre Leben beinahe diametral zu Rupp und Plaschg entfalten, finden sich doch Überschneidungen zu Beckermanns Die Geträumten: Ohne jeden Zweifel muss auch Patric Chihas Film – en passant – als hochgradig politisch gelesen werden; als Arbeit, aus der sich Aussagen über eine europäische Metropole im Spätkapitalismus ableiten lassen. In Chihas Interpretation sind die jungen Roma, die sich wie auf Theaterbrettern grazil durch diese politische Geographie bewegen, Popstars – sie glänzen, sind mächtig und (selbst-)verliebt. Sie sind „keine Schauspieler, auch wenn sie sich gern zur Schau stellen und spielen“, bemerkt er im Interview, „manchmal wie Tigerjungen, manchmal wie die schwulen Matrosen aus Rainer Werner Fassbinders Querelle, manchmal wie Marlon Brandos Enkel, die ihre Lederjacken wie Schutzhüllen tragen.“ Unter den dunklen, feuchten Brückenbögen und in den diffus beleuchteten Kaschemmen der Stadt ist ihre Selbstinszenierung emanzipatorische Geste, während sich nur wenige Kilometer entfernt zwei Schauspieler im Wiener Funkhaus einem Text annähern, und dabei zunehmend die eigene Rolle in Film und Alltag befragen. Während hier die bedächtige Reflexion und der Denkprozess zum Filmbild wird, dürfen Chihas Protagonisten in bester Bühnenmanier glitzern und leuchten. „Ich bin nicht die Polizei“, sagt Chiha selbst, „ich bin ein Filmemacher“, und so sind es nicht Gesetze, sondern sämtliche Regeln der Kunst, die er mit seiner ureigenen dokumentarischen Form, verspielt, aber niemals leichtfertig, auslotet. Paradoxerweise ermöglicht gerade dieser Bruch mit den Methoden eines authentizitätsfixierten Dokumentarismus sowie das Zugeständnis an Inszenierung und Überhöhung, dass Chiha den Protagonisten näherkommt, ihren Sehnsüchten, Hoffnungen und Träumen glaubhaft nachspürt. „Dreams are my reality“, hieß es schon in einer Pophymne zum Coming-of-age-Klassiker La Boum. Andere Baustelle. Doch letztlich ist Richard Sandersons eingängige Hook sowohl für Brüder der Nacht als auch für Die Geträumten geradezu trefflich. Dann nämlich, wenn der genuin immer schon träumende Pop nicht bloß als Hymne oder Soundtrack, sondern vielmehr als bedacht gesetzte Geste verstanden wird: Pop und Traum als Konzept und künstlerische Strategie. Hier die Künstlichkeit als dokumentarische Methode, da die Verschmelzung von Avantgarde und Pop, die Thomas Hecken als Avant-Pop beschrieben hat und sich vielleicht an keinem Ort so vollmundig inhalieren lässt, wie im Wiener Funkhaus, das bis dato sowohl Heimstätte von Radio Ö1 als auch Radio FM4, von Hoch- und Popkultur, U- und E-Musik war. Dass sich an diesem Ort die Biografien von Ingeborg Bachmann und Soap&Skin, einer der wohl progressivsten und meistbeachteten Musikerinnen dieses Landes, verweben, weist Schubladendenken schon generell als obsolet aus – ein Gedanke übrigens, der nur allzu gut mit dem Genrebruch der beiden besprochenen Filme korrespondiert. Neben diesem Status als Hybrid im Dazwischen der Konventionen ist ihnen dabei eine wahrlich zärtliche Nähe zu den Protagonist/innen und ihren Lebensrealitäten gemein. In einem Land, das unentwegt auf die dritte Republik zusteuert und das Miteinander zugunsten eines nationalstaatlichen Wir überwirft, ist das nicht nur ein Gewinn, sondern eine politische Geste des Aufbegehrens und Widerstands.

Man möge sich auf das Gedankenspiel einlassen, Laurence Rupp und Anja Plaschg nähmen nach ihrer Aufnahmesession im Funkhaus ein Taxi mit dem Ziel Donauhafen. Dort träfen sie auf Chihas junge Helden und verlören sich gemeinsam zwischen Textzeilen und flackerndem Licht, melancholischer Stille und sehnsüchtigen Beats einer Wiener Parallelwelt. Eine Zusammenkunft, die es freilich nie geben wird, außer – zeitlich getrennt – auf der Leinwand der heimischen Kinos. Dort sind beide Film diesen Herbst/Winter zu sehen. Eine dringliche Empfehlung.

We need to talk about gonads.

Sportliche Wettkämpfe wie Olympische Spiele interessieren mich nur bedingt und wenn, dann meist aus der aufrichtigen Bewunderung für gut trainierte Körper, die mir vor Augen führen, zu welch marmornen Stellen auch mein Körper – in seiner Grundausrichtung nicht unsportlich angelegt – fähig gewesen wäre.

In die mediale Berichterstattung über die diesjährigen Olympischen Spiele allerdings hat es mich regelrecht hinein gesogen, hauptsächlich mittels auf den ersten Blick harmloser, in der Summe aber sehr ernüchternder Berichte und Interviews: Wenn es um gleichwertige Anerkennung, Entlohnung und Wertschätzung von Arbeitsleistung unterschiedlicher Geschlechter geht, wurden wir offenbar ganz weit zurückgeworfen. Spätestens seit diesen Olympischen Spielen ist klar: Es ist schlicht und ergreifend Sexismus, den wir diskutieren müssen. Die Presseberichte und Interviews während diesen Olympischen Spielen, in denen männliche Leistungen hervorgehoben, weibliche kleingeredet wurden oder Ehemänner durch ihr Verhalten am Beckenrand etwa mehr an Aufmerksamkeit generierten als ihre Medaillen gewinnenden Ehefrauen, existieren in unübersichtlich großer Zahl. Unvergesslich auch die Diskussion darüber, ob Beachvolleyball spielende Frauen wirklich nur in knappen Bikinis oder doch auch in Ganzkörperanzügen zur Ausübung des Sports fähig sind. Tennisstar Andy Murray (der zwischen 2014 und 2016 von der Französin Amélie Mauresmo trainiert wurde und sich als Feminist bezeichnet) reagierte zwar in der Tat schlagkräftig, als ein BBC Reporter ihn als den „ersten“ ansprach, „der im Tennis zwei Goldmedaillen geholt habe“ und er betonte, dass Serena und Venus Williams wohl jede bereits vier Goldmedaillen gewonnen hätten – dennoch bleibt zu befürchten, dass dieser Sexismus, der hier durch die Medienberichterstattung zu und über Olympia einmal mehr an die Oberfläche schwappte, systemimmanent ist – unabhängig ob das System Sport, akademische Laufbahn, Politik oder Kunst und Kultur heißt. Im Sport allerdings scheint er sich besonders hemmungslos auszuleben, betrachtet man etwa den Leichtathletik-Weltverband IAAF und seine 2011 erstellten, seit 2015 nach einem Einspruch der indischen Läuferin Dutee Chand und einem Urteil des Internationalen Sportgerichtshofes zumindest ausgesetzten „Testosteron-Regeln“ für weibliche Sportler, die im Fall erhöhter natürlicher Produktion von Hormonen wie Testosteron „medical interventions“ über sich ergehen lassen müssen, um weiterhin im Bewerb bleiben zu dürfen. Laut Journalistinnen wie Susie East für CNN, die darüber auch im Zuge der Olympiade 2016 berichteten, bestätigten vier anonym bleibende Sportlerinnen, dass bei ihnen zwischen 2011 und 2015 auch die Entfernung der Eierstöcke und Teile der Klitoris zu diesen „medizinischen Eingriffen“ zählten – medizinisch nicht notwendige Eingriffe, da etwa eine verlängerte Klitoris maximal ein Symptom von Hyperandrogenismus ist, wie dieser Überschuss an männlichen Hormonen genannt wird. Völlig zu Recht fragten sich andere Journalistinnen wie Emily Willingham auf forbes.com, ob denn auch die Penislänge bei Männern nun ausschlaggebend für die Teilnahme an Bewerben sei und nötigenfalls eine Verkürzung oder Verlängerung des Penis bzw. eine Entfernung der Hoden vorgeschrieben würde (Would the IAAF ask a man to give up his gonads and remove half of his penis to be allowed to compete, simply because that man naturally produces more testosterone than the average male? Emily Willingham, forbes.com, 15. 8. 2016).

Abgesehen von diesen ungeheuerlichen Eingriffen erzählt bereits die Vorgeschichte dieser „Sex Testings“ von einem besessenen, zwanghaften Beharren auf einem binären Geschlechtersystem und von purem Sexismus: Denn um in „den Verdacht“ zu kommen, als Athletin zu viel an Testosteron produzieren und sich anschließend dem IAAF Geschlechter-Test zu unterziehen, reicht es aus, unfeminin zu laufen, einen unfemininen Körper oder männliche Gesichtszüge zu haben.

Gegen diese Praxis des IAAF entlarvt sich der pseudofeministische Diskurs, den nicht nur rechtspopulistische Politiker_innen derzeit führen (wollen), einmal mehr als bloßer Deckmantel für Islambashing. Das „Beschneiden“ und „Zurechtstutzen“ eines weiblichen Körpers, das Bestimmen dessen, was als weiblich zu gelten hat aus der Perspektive und unter Ausführung eines männlichen Regulativs finden hier, in der westlichen Welt, vor unser aller Augen im Namen des Sports statt. Das schmälert nicht die Verbrechen an Frauen, die im Namen von Religionen begangen werden, keinesfalls. Aber es zeigt, worüber wir wirklich reden sollten.

Stadtblick

Foto Die Referentin

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Der Blick nach oben und damit eine der letzten Leerflächen im Stadtbild – der blaue Himmel. Leider in der Nacht nun von Futuremuseum-Drohnengesocks bevölkert, das auch schon mal von sich behauptet, ein neues dreidimensionales Kunstwerk zu sein, Kunst und Technologie zu verschmelzen, und die übliche Schönfärberei betreibt. Ob der „neue künstlerische Raum“ mit Drohnenvolk drin tatsächlich „Drohnen-Kunst statt Krieg und Überwachung“ bedeutet … tja … hm … vielleicht am AEC Vorplatz. Weiterträumen.

 

Über „Drohnenkunst und Drohnenkill“ schreibt Leo Furtlehner auf seinem Blog
furtlehner.wordpress.com/2016/08/22/ueber-drohnenkunst-und-drohnenkill

Zum Thema findet sich auch ein ca. 15minütiger „Kommentar der Woche“ in einer Frozine vom Jänner 2016 cba.fro.at/305681

Angeschnallt im begrenzten Leben

Es hat sich zugetragen: Am 8. 8. zur 8. Abendstunde tat sich ein magisches Zeitfenster auf, wo keine Chemtrails am Himmel waren. Ein Himmel wie ausgeputzt, gereinigt und ausgewischt, ganz sauber. Pamela Neuwirth fühlte sich relativ sicher und traf sich in der Alten Welt mit dem Kollektiv, das sich selbst „Die Regionären“ nennt. Ein Gespräch über regionäre Methoden, Ziele und die im Herbst in Linz stattfindende „Konferenz der Begrenzten“.

Sauberkeit, Sicherheit und Ordnung

In der Unordnung der großen weiten Welt braucht es klare Linien. Herr und Frau Österreicher schauen in eine ungewisse Zukunft, wo das Unheil jeden Moment im Freibad zuschlagen kann. Andreas Gabalier, der selbsternannte Volks-Rock’n’Roller, auch schon mal mit Koteletten in Schwarz-Rot-Gold auf der Volksmusikbühne, hat während seines Konzerts in München verlautbart, dass man „hierzulande kaum mehr aus dem Haus gehen kann“. Er sagt, er hat eine Meinung, die er, wie die Süddeutsche berichtet, zwar nicht verrät, aber so viel hat er dem Publikum dann verraten und sich so weit deklariert, dass nämlich (auch) er uns beschützen will. Versucht Gabalier unsere „Hoamat“ mit seinem Mikroständer zu verteidigen, der tatsächlich eine Astgabel ist, an der rotweiß-karierte Schneuztüchl und ein Gamskrickerl prangen? Zumindest scheint das Thema Ordnung und Sicherheit auch den kernigen Steirerbuam zu bewegen.

Vom Gabalier’schen Verteidigungs-Singsang bis zum Trump’schen Grenzzaun zwischen USA und Mexiko – übrigens ein Unterfangen beinahe in der halben Größenordnung einer chinesischen Mauer – entstehen von derart finsteren Stimmungen angestiftet, eben auch in den kleineren Gefilden eines lokalen Bewusstseins derartige Ideen, so gesehen – nomen est omen – bei den sogenannten „Regionären“. Im Interview mit den „Regionären“ zeigt sich, dass auch diese Gruppe Handlungsbedarf sieht – und zwar in der eigenen Region. Es ist eben nicht hüben wie drüben. Es geht auch nicht darum, dass Linz nicht Chicago werden darf. Es geht den „Regionären“ noch viel, viel schlichter darum, dass die Stadt die Stadt und das Land das Land bleibt. Über den erbitterten Kampf der „Regionären“ gegen die „Mühlviertlerisierung von Linz“ hat NEWS bereits im Februar berichtet.

Ein Bodensatz solcher Abgrenzungsbedürfnisse existiert offenbar allerorts. Eine andere Gruppe, die Rede ist von den „Identitären“, hat eine bösartige Störaktion an der Uni Wien in sozialen Medien und auf gut Deutsch im Gesichtsbuch, damit legitimiert, dass die Tat eine „ästhetische Intervention“ sei und suggeriert die nationalsozialistische Blut- und Bodensymbolik als künstlerisches Stilmittel. Jeder kann sich heute wie in einem Selbstbedienungsladen alles nehmen, was es an Code und Strategie so braucht. Es gibt ja auch die Nipsters, die als Neo-Nazis den Bio-Biedermeier-Style der Hipsters für sich reklamiert haben. Nichts ist wie es scheint, andererseits ist alles wie es ist. „Eine blaue Kornblume ist einfach eine schöne Blume“, ist sich der Flugzeugtechniker, Chemtrail-Verschwörungsaspirant und Bundespräsidentschaftskandidat Norbert Hofer von der „sozialen Heimatpartei“ sicher. Die Kronen Zeitung titelt Anfang August: „Ruck nach rechts. Regierung lässt der Strache-FPÖ kaum noch Luft“ und behauptet, dass sich „seit Längerem ein Rechtsruck der Regierung abzeichnet“. Anlass dieser Schlagzeile war allerdings etwa nicht die Flüchtlingspolitik der österreichischen Regierung und ein vermeintlich damit zusammenhängender Rechtsruck, sondern die klar formulierte Positionierung der Regierung gegen den türkischen Weg in die Diktatur, was dadurch angezeigt ist, dass diese innerhalb kürzester Zeit die freie Presse abgeschafft und den Rechtsstaat ausgehebelt hat. Strache (Opposition), so verkürzt es die Krone, freut sich jedenfalls, dass Kern (Regierung) ihn kopiert. Nun stehen alle rechts. Aber wer ist wer? Auch in der regionären Bewegung weiß man: Es ist alles gefährlich Unübersichtlich geworden. Was also tun? Endlich Grenzen setzen!

Stadtmauer her, Brücke weg

Die KUPF, die es schließlich wissen muss, glaubt auch an das regional Gute, Wahre und Schöne eines begrenzten Konzepts und hat die „regionäre Bewegung“ durch den KUPF Innovationstopf fördern lassen. Die Jurierung des regionären Konzepts fand im Frühjahr statt, wo sich die Regionären im Untergrund aber längst formiert hatten. Die Regionären nutzten die Gunst der Stunde und legten den Grundstein ihrer Bewegung schon im Februar mit dem Abriss der Eisenbahnbrücke zusammen und traten auf der Baustelle als Luther-Blissett-Donald-Trump-Formation in Erscheinung. Weitere Aktivitäten setzten die Regionären bei den Demonstrationen „Lichter für Österreich“ aus dem Umfeld der Identitären, die eine giftige Mischung aus unlogischer Dogmatik, rechter Polemik und kruden Verschwörungstheorien hochkochen. Den Regionären war bei den Demos bald klar, dass selbst die Polizei ihre liebe Not hat: Wer ist hier wer? Wer ist Demonstrant und wer Gegendemonstrant? Exakt bei dieser Unklarheit wollen die Regionären ansetzen. Sie treten für noch mehr Grenzen in den Köpfen und im Stadtraum ein! Die Trennung von Stadt und Land durch das Schleifen der Eisenbahnbrücke war ein erster sichtbarer Erfolg; auch die alte Stadtmauer wieder hochzuziehen, wäre aus Sicht der Regionären eine sinnvolle städtebauliche Intervention, um die Stadt vor einer Invasion von außen zu schützen. Während die Identitären mit dem Identitätsbegriff kämpfen („Identitär kommt von Identität“) haben die Regionären längst politische Forderungen gesetzt, die sich durch fortlaufende und erweiterte Grenzziehungen viel effektiver realisieren lassen. Während die Identitären den „Großen Austausch“ ideologisch beklagen, haben die Regionären schon konkrete Vorschläge für eine „urbane Identität“. Während die Identitären gegen einen Prozess arbeiten, der kein Naturschicksal ist und wo die Österreicher durch geringe Geburtenrate und Masseneinwanderung vom Aussterben bedroht sind, verfolgen die Regionären die Vision einer Welt mit noch mehr Grenzen. Während die Identitären im Rettungsversuch der „österreichischen Rasse“ selbst vor linken Sprachcodes nicht Halt machen: „Wir schaffen Orte der Gegenkultur, identitäre Freiräume und Strukturen der Reconquista!“, handeln die Regionären pragmatisch und wollen Zäune und Mauern zwischen Stadt und Land errichten, wo sich doch ein jeder in die urbanen Sicherheitszonen zurückziehen soll. Stadt muss Stadt, Land muss Land bleiben: Schöne, neue Welt der wirklichen Einfalt.

Konferenz der Begrenzten

Die Stadt als Region, die es noch weiter zu begrenzen gilt. Wo ist der Spaß, wo der Ernst? Die Regionären überhöhen die um sich greifende und begrenzte Identitäts-Mimikry und entlarven diese gefährlichen Tendenzen mit den Mitteln der Kommunikationsguerilla; diese deckt einerseits die Macht und die Funktionsweise der Massenmedien auf, andererseits konterkariert sie destruktive Politiken oft durch Persiflage. Heute werden solche verkehrte Taktiken, wie die Desinformation, neben klassischen auch an sozialen Medien angewandt. Notwendig und aktuell ist das auch, weil die freie Presse von den Rechten zusehends durch das Unwort das Jahres 2014, nämlich im Begriff der „Lügenpresse“, ad absurdum geführt wird. Dem arbeitet die „regionäre Bewegung“ mit Fake und Satire entgegen, um so die reaktionären gesellschaftlichen Kräfte zu entlarven und zu entstellen. Die Regionären ermitteln die Grenzen zwischen Wahrheit und Täuschung, die Grenzen zwischen Theater und Alltag, die Grenzen zwischen ernstem Protest und spaßiger Rebellion. Bei der Konferenz der Begrenzen, die am 14. und 15. Oktober 2016 in der KAPU stattfindet, steht die Präsentation der „regionären Bewegung“ im Zentrum. In unterschiedlichen Formaten wird aufgezeigt, welche Erfahrungen die Regionären im Laufe des Jahres mit ihren begrenzten Aktionen gemacht haben und was sich an den „Grenzen der Satire“ aufgetan hat. Auch darum – so die Regionären – soll es im Jubiläumsjahr von DADA auf der „Konferenz der Begrenzten“ gehen.

 

Eine Anmeldung zur „Konferenz der Begrenzen“ ist möglich unter rb_linz@gmx.at.

TischTennis, Go!

In Zeiten der Vereinzelung im Spielverhalten der Menschen, gekrönt mit dem Höhepunkt der kontrollierten Verblödung der Massen in der Öffentlichkeit mit Pokémon Go!, möchte ich auf das Wesen des Spiels Bezug nehmen. Laut Spielwissenschaft ist „das Spiel eine grundlegende menschliche Aktivität, die Kreativität, und im Wettkampf Energie und Kraft freisetzt. Es enthält somit das Potential, verfestigte Strukturen zu durchbrechen und Innovation hervorzubringen.“ Anhand des Erklärungsmodell des Homo ludens (dt. der spielende Mensch) entwickelt der Mensch seine Fähigkeiten vor allem über das Spiel. Er entdeckt seine individuellen Eigenschaften und wird über die dabei gemachten Erfahrungen zu der in ihm angelegten Persönlichkeit. Spielen wird dabei der Handlungsfreiheit gleichgesetzt und setzt eigenes Denken voraus. Das Modell besagt: „Der Mensch braucht das Spiel als elementare Form der Sinn-Findung.“ Grundsätzlich wird unterschieden zwischen Spielen, die einem spontanen Impuls nach spielerischer Betätigung folgen, die aus sich selbst heraus Sinn ergeben („zweckfreie Spiele“) und Spielen, die für bestimmte Interessen außerhalb des Spiels instrumentalisiert werden („zweckgerichtete Spiele“). Mit der Frage, welch bestimmte Zwecksetzung das obengenannte Spiel verfolgt, möge sich bitte jeder selbst auseinandersetzen und kritisch hinterfragen. Mein Plädoyer für das Spiel als sozio-kulturelles Phänomen, bei dem die Freude und das Zusammenkommen der Menschen im Vordergrund stehen, erläutere ich nun anhand diverser TischTennis-Aktivitäten in der Freien Szene Linz.

Das derzeit beliebteste Zusammentreffen vieler Menschen zum gemeinsamen Spiel ist wohl turn|table|tennis in der Stadtwerkstatt. Die Kombination aus Ringerlspiel und gepflegtem turntablism scheint das Herz vieler zu treffen und ist ebenso bei „Auswärtspielen“, z. B. Goldener Container am OK-Platz, ein beliebter Treffpunkt. Bei diesem Spiel besteht für schwächere SpielerInnen die Möglichkeit, sehr lange im Spiel zu bleiben. Meist geht es freundschaftlich zu und die Besseren spielen ihr Können nur gegen andere gute SpielerInnen aus, wenn es darum geht, selbst im Spiel zu bleiben oder letztendlich im Finale. Während des Rundgangs um den Tisch wird getratscht, getrunken, gescherzt, gelacht und guten Spielwechseln Applaus gezollt.

Bereits im Jahre 2012 organisierten Black Devil & The Cranes das größte Ringerl der Welt am Ottensheim Open Air. Jenes Kollektiv veranstaltet Turniere im Einzel- und Doppelmodus, nur um im Anschluss eine offenes Ringerl spielen zu können. Eine kreative Variante des TischTennisspiels setzte dieses Team bei den Kapustan Staatsmeisterschaften 2014 um. Das Doppel wurde auf zwei nebeneinanderstehende Tische verlegt, d.h. jeder der SpielerInnen verteidigte eine gesamte Tischfläche. Die Neuanordnung der Regeln und des Spielbereichs forderten Hobby- und ehemalige Vereinsspieler gleichermaßen und erwies sich als gelungene und spannende Abwechslung.

Ein ziemlich durchgeknalltes Spektakel gestaltete das Kollektiv qujOchÖ mit der Zusammenführung verschiedenster Genres unter dem Namen acidpingpongpunkallnighter. Mit einer speziell konstruierten Pingpongplatte, fluoreszierenden Spielflächen, Stroboskopblitzen, viel Trockennebel, obligatem 80er-UV-Licht, doppelten bis dreifachen Spiegelungen, live kredenzter verzerrter Acidelektro-mit-Punk-Attitüde über ein 4-Kanalsystem und SpielerInnen, die ihr Äußerstes gaben, wurde die Nacht zur „Tour de Force“.

Auf, ihr Menschen! Lasst uns weiter zweckfrei spielen und die phantastischen Möglichkeiten des TischTennis ausloten. Mir würde ja das Spiel auf einem runden Tisch gefallen!

PS: Letzte Meldung: Chuck Norris hat alle Pokémons mit einem Festnetztelefon erschlagen.

Die Welt dankt!

 

Buchtipp Comic: Mawil – Kinderland (u. a. TischTennis als Teil der Kindheit in der eh. DDR)

Termine:

Freitag 16. 9. 16, 19.00–20.00 h auf dorf tv: Sport im Dorf mit Schwerpunkt TischTennis Sport im Dorf ist die Pilot-Sendung unserer Spiele!-Kolumnistin Andrea Winter, dieses Mal im Rahmen von „Das globale Dorf“

turn|table|tennis jeden 1. Donnerstag im Monat