Eine Fahrradbau-Passion

Wege, sich ein Fahrrad anzuschaffen, gibt es viele. Die wohl schönste Art ist es, sich selber eines zu bauen. Abseits von industriellen Fertigungen in Fernost greifen immer mehr Menschen und Kollektive zu Schraubstock und Säge, um ihre Vorstellungen vom perfekten Fahrrad Wirklichkeit werden zu lassen. Gedanken aus Johannes Staudingers passioniertem Fahrradbauerhirn.

Im Herbst 2013 beschloss ich mein eigenes Bahnrad zu bauen, um damit alsbald durch die steilen Kurven des Wiener Radstadions brausen zu können. Dieser Wunsch begleitet mich bis heute und ist bis dato unerfüllt. Trotzdem, um ein solches Projekt in Angriff zu nehmen, bedarf es einiger Recherchearbeit und als ausgebildeter Maschinenbauer war es meine Vorstellung, dass das fertige Geschoss im Handumdrehen vor mir stehen würde.

Ich entschied mich, einen gemufften Stahlrahmen mit klassischer Diamantrahmen-Geometrie zu fertigen.

Ohne eigene Werkstatt und passendem Werkzeug war ich auf die Hilfe weiterer Weggefährten angewiesen, die über die nötigen Tools, den entsprechenden Platz und die notwendige Verve verfügten. Im Internet fand ich einführende Literatur, ein Rahmenbau-Set bestehend aus Stahlrohren und Muffen, im nahegelegenen Baumarkt scharfe Feilen und Sägeblätter. In einem versteckten Keller der Linzer Altstadt stürzten wir uns auf einer wackeligen Werkbank über unser Projekt. Es wurde gemessen, diskutiert, die Rohre auf Gehrung geschnitten und bald war das vordere Trapez, schön in einer Flucht, bestehend aus Ober-, Unter-, Sattel- und Lenkrohr, zusammengesteckt. Dieses Konstrukt zu verlöten, führte uns nach Schwertberg in eine abgelegene Kunstschmiede. An einem herbstlichen Vormittag konnten wir den ersten Teil des Bahnrades in Händen halten. Doch waren die Lötergebnisse nicht zu unserer Zufriedenheit und an den entsprechenden Verbindungsstellen hing überschüssiges, hart erkaltetes Lötzinn, welches erst feinsäuberlich entfernt werden wollte. Zu diesem Zeitpunkt war das den Fahrradrahmen komplettierende hintere Dreieck noch in weiter Ferne. Bei einem pensionierten Schmied in Urfahr-Auhof mit der letzten in Linz existierenden Schmiedeesse mit offenem Feuer versuchte ich mein Glück. Leider vergebens.

Weitere Internet-Recherchen ließen mich den Blog „Eine Chronologie des Scheiterns“ der Wiener Selberbruzzler entdecken, welche im Kollektiv für den Eigengebrauch individualisierte Stahlrahmen-Räder bauen. Ausgestattet mit zwei Kisten besten oberösterreichischen Bieres trat ich die Reise nach Wien an, um ihnen einen Besuch abzustatten. Dort wurde ich freundlichst in die Geheimnisse des Fahrradbaus eingeweiht, was in mir den Wunsch nach weiterer Wissensvertiefung schürte. Da ich gerade über ein gewisses Maß an Freizeit verfügte, versendete ich an die namhaftesten Rahmenbauer Mitteleuropas mein Anliegen, als Praktikant in ihren Werkstätten auszuhelfen, um ihnen bei ihrer Arbeit über die Schulter blicken zu dürfen. So landeten meine Anfragen in Italien, in der Schweiz, in England, in Tschechien, in Ungarn und in Deutschland. Die einzige Antwort erhielt ich vom Fuße der Dolomiten, vom Großmeister des Stahlrahmenbaus, von Dario Pegoretti. Er ließ mich wissen, dass er zurzeit keine Ausbildungen anbieten könne und er mir auf meiner weiteren Suche alles Gute wünsche …

Heuer, am 1. und 2. Juli fand bereits zum zweiten Mal das Bicycle Happening Linz beim Kunstmuseum Lentos statt. Bis dato wurde eine breite Palette interessanter Beiträge rund um das Thema Fahrradkultur präsentiert. Für mich als „passionierten Fahrradbauer“ war es dann umso erstaunlicher, dass es parallel zu mir Gruppen und Einzelkämpfer gab, welche mit dem Bauen von Fahrrädern schon viel weiter waren als ich. Die handgefertigten Stahlrahmen von Menoid mit ihren 36-Zoll-Laufrädern sind ein wahrer Augenschmaus und sind auch spannend zu fahren. David erzählte, dass sich ein kleines Kollektiv wöchentlich in einer Werkstatt in der Salzburger Straße trifft, um neue Räder zu entwickeln. Das nötige handwerkliche Wissen erlernte er bei einem Kurs eines deutschen Rahmenbauers. Seit Fertigstellung seines ersten Menoids habe er unzählige Anfragen erhalten noch weitere Fahrräder dieser Art zu bauen.

Neben dem wieder modern gewordenen Rahmenbau-Material Stahl sind natürlich auch andere Werkstoffe wie Carbon und Holz nicht zu vernachlässigen. Schon im letzten Jahr beim Bicycle Happening präsentierte die Linzer Fahrradmanufaktur My-Esel ihre Holzrahmen-Fahrräder, welche mittlerweile markttauglich und käuflich erwerbbar sind. Der in Linz ansässige Kunststofftechnik-Student Daniel Laresser beschäftigt sich intensiv mit der Carbonfaser und bietet mit seiner Marke Dalleno durchdachte Rennmaschinen an. Und Räder aus Bambus sind auch im Linzer Stadtbild seit einiger Zeit zu entdecken, wobei hier das Kollektiv Ma Bambooride aus Wien federführend ist.

Natürlich darf beim Bicycle Happening die Kunst nicht zu kurz kommen. Neben einer fabelhaft kuratierten Ausstellung im Linzer Raumschiff waren bei den Talks vor dem Lentos die Künstler Manfred Grübl und Hannes Langeder, sowie der Ausstellungsmacher Günter Mayer zu Gast. Grübl berichtete über seine Erfahrungen, wie er in der von Autos überfluteten Stadt Los Angeles mit seinem selbstgebauten Schleif-Fahrrad von Tür zu Tür fuhr, um den Menschen ihre Messer und Scheren zu schleifen. Hannes Langeder gab Einblick in seine neuesten Projekte, wobei er mit seinem neuen „Verfolger“ beim Lentos vorfuhr. Günter Mayer, Galerieleiter der Galerie der Stadt Wels, präsentierte sich selbst, angemessen in einem Vintage-Radtrikot und beschrieb seine Berührungspunkte mit Fahrradkultur, wobei er uns dann auch gleich wissen ließ, dass in seinem Haus am 1. Dezember 2016 Dario Pegoretti die Aussstellung „twentyone pieces“ eröffnen wird.

 

Link- & Info-Box 

Ceeway – bike building supplies
www.framebuilding.com

Selberbruzzler. Wiener Fahrradbaukollektiv. Eine Chronologie des Scheiterns.
www.selberbruzzler.at

Bicycle Happening. Ein Fest der Fahrradkultur im und rund ums LENTOS Kunstmuseum Linz
www.bicyclehappening.at

My-Esel. Linzer Fahrradbauwerkstätte für individualisierte Fahrradrahmen aus Holz.
www.my-esel.com

Dalleno. Auf Carbonrahmen spezialisierte Rennradschmiede des Kunststofftechnik-Studenten Daniel Laresser.
www.dalleno.com

Ma Bamooride. Räder aus Bambus.
www.bambooride.com

Galerie der Stadt Wels. Dario Pegoretti / twentyone pieces – Vernissage am Do. 1. Dezember 2016
www.galeriederstadtwels.at

Manfred Grübl. Sharpener/Scherenschleifer…
manfredgruebl.net/current

Hannes Langeder.
han-lan.com

Paris Maderna. Fahrradbauer seit Mitte der 1990er und Rahmenbauer von Ferdinand GT3 RS, sowie Fahrradi Farfalla.
mcsbike.com

Dario Pegoretti
www.dario-pegoretti.com

Das Professionelle Publikum*

Für die vielen wunderbaren Veranstaltungstipps in dieser Ausgabe bedankt sich die Redaktion wieder recht herzlich beim Professionellen Publikum. Dieses Mal mit dabei: Chris Althaler, Gerda Haunschmid, Christopher Hütmannsberger, Andreas Kump, Katharina Lackner, Sonja Meller, Felix Rank, Andrea Reisinger, Michi Schoissengeier und Anna Weidenholzer.

* Das Professionelle Publikum ist eine pro Ausgabe wechselnde Gruppe an Personen aus Kunst und Kultur, die von der Redaktion eingeladen wird, für den jeweiligen Geltungszeitraum Veranstaltungsempfehlungen für unsere Leserinnen und Leser zu geben.

Das Professionelle Publikum

Das Professionelle Publikum

Foto: Monika Merl 2009

Foto: Monika Merl 2009

Chris Althaler
ehemals Video- und Installationskünstlerin, Gründerin der Ürfährwändchöre, Kuratorin, eben erreichte Alterspension (jahrzehntelang Sozialarbeit), erneut Kunst anstrebend.

Tipps:
Spätsommerfest in Alt-Urfahr West
Rock das Dach – Benefizkonzerte

 

Foto: Luna Rosa

Foto: Luna Rosa

Gerda Haunschmid
Netzwerkerin, Aktivistin, Geschichtenerzählerin, Künstlerin. Gerne an Schnittstellen und in unerforschten Räumen unterwegs. Den Kopf immer in den Wolken und mit beiden Beinen am Boden.
Infos: www.haunschmid.biz

Tipps:
Wiedereröffung luft*raum
Symposium „Virtual Reality im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsbereich“

 

Foto: Jenny Reusse

Foto: Jenny Reusse

Christopher Hütmannsberger
ist Exillinzer in Wien, macht Spoken Word, Schauspiel und rappt als „Selbstlaut“. Hin und wieder ist er Student.

Tipps:
Rapslam + Selbstlaut Releaseshow
Akua Naru „Black Noise Tour“ support: The Unused Word

 

Foto: Peter Lang

Foto: Peter Lang

Andreas Kump
pendelt als freier Werbetexter permanent zwischen seinem Hauptwohnsitz Wien und seinem Nebenwohnsitz Linz.
Infos: www.andreaskump.at

Tipps:
Linzer Aufbrüche 1979–1989
Alte Sau (Hamburg), Kometa (Wien)

 

KL_PortraitKatharina Lackner
ist freischaffende Künstlerin.

Tipps:
Ausgezeichnet. Klemens Brosch-PreisträgerInnen
Kinoangebot speziell für Eltern mit Babies und Kleinkindern

 

Foto: privat

Foto: privat

Sonja Meller
ist Künstlerin, lebt und arbeitet in Linz.

Tipps:
Tage des offenen Ateliers
Kunst am Bau

 

Foto: Werner Sobotka

Foto: Werner Sobotka

Felix Rank
Schauspieler aus Wien. Seit der Saison 2012/2013 fixes Ensemblemitglied am Theater Phönix.

Tipps:
Die Gerechten
FAUST-THEATER

 

Foto: Javed Mehr

Foto: Javed Mehr

Andrea Reisinger
Kunst-und Kulturaktivistin, Ko-Geschäftsführerin FIFTITU% – Vernetzungsstelle für Frauen in Kunst & Kultur

Tipps:
Fahrende Händlerinnen des Grenzenlosen Wissens
Walking Concert #21: Dr. Didi

 

Foto: privat

Foto: privat

Michi Schoissengeier
radelt gerne das ganz Jahr immer wieder zu Kulturveranstaltungen und übt sich immer wieder selber im Organisieren dieser.

Tipps:
Inter*Trans*Thementag
Critical Mass Fahrraddemo – durch die Stadt radeln

 

Foto: Otto Reiter

Foto: Otto Reiter

Anna Weidenholzer
Schriftstellerin, geboren 1984 in Linz, lebt in Wien.
Infos: annaweidenholzer.at

Tipps:
Buchpremiere!
Original Linzer Worte

 

Tipps von Die Referentin

Die Referentin

 

 

Tipps:
PROSA ALS SPRACHKUNST – EINE BEHAUPTUNG
Susanna Gartmayer / Hassan Farahani