Ach, Helene … Du und deine pessimistischen Cardinalsätze!
„18. Der Mann führt höchst unbescheidenerweise überall das große Wort und ist das schnatterhafteste aller Lebewesen. (…) Es fehlt sogar sehr auffallend an der Partizipierung der Frauen in den täglichen Geschäften und in den öffentlichen Dingen, weshalb die Welt- und Tagesgeschichte, weil hauptsächlich von Männern ausgefüllt, den bekannten öden Eindruck macht.“1
1905 veröffentlichte die österreichische Philosophin, Literatur- und Musikkritikerin Helene von Druskowitz (1856–1918) ihre „Pessimistischen Cardinalsätze“, die 1988 unter dem Titel Der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt von Traute Hensch neu herausgegeben wurden. In sechs Kapiteln analysiert und beschreibt die Philosophin darin präzise und umfassend den Zustand der Welt unter der Diskurs-Vorherrschaft von Männern („weiß“ wurde damals natürlich als Selbstverständnis vorausgesetzt), gibt etwa in Kapitel 5 (Normalsätze für das männliche Geschlecht) Verbesserungsvorschläge, widmet sich aber vor allem in Kapitel 4 (Der Mann als logische …) hingebungsvoll, ausufernd und grausam der Demontage dieser Vorherrschaft. Und verzichtet dabei völlig auf den Entwurf einer „feministischen Utopie“, will – daraus macht sie keinen Hehl – einfach darlegen, in welch beschissenem Zustand die Welt sich befindet und wer daran schuld ist. Helene und ich – wir hätten uns ganz gut verstanden, soferne sich zwei überzeugte Misanthropinnen gut verstehen können. Ich hätte zwar – nicht meiner Überzeugung aber meiner Sozialisierung folgend – hin und wieder versucht, kalmierend und relativierend auf sie einzuwirken und gemeint, es solle doch niemandem sein Geschlecht zum Vorwurf gemacht werden. Sie hätte mir ein paar mehr radikale Sätze um die Ohren gehauen und gemeint: Warts ab! Und tatsächlich – mehr als 150 Jahre nach Helenes Geburt hat sich, tja …, was nochmal geändert …? (In diesem Moment kommt wie aufs Stichwort und ungefragt ein Magazin als Beilage meiner Tageszeitung ins Haus. Es widmet sich in edler Aufmachung österreichischen Manufakturen. Frauen kommen in dem Heftchen auch vor, bis auf zwei Ausnahmen allerdings als Models, die die schönen Dinge, die Männer herstellen, anziehen oder ehrfurchtsvoll begutachten. „Außerdem lässt das Magazin Persönlichkeiten aus Österreich zu Wort kommen, die nationale und internationale Erfolge feiern. Helmut Lang etwa verrät, woran er erkennt, dass eines seiner Kunstwerke vollendet ist. Ebenfalls im Interview: Josef Hader, Toto Wolff, Max Hollein und viele weitere. Und: Journalist Michael Fleischhacker bittet Wirtschaftsgrößen wie Matthias Hartmann und Andreas Treichl zu Wort.“2 Meint der Chefredakteur selbst noch ganz ergriffen von den wunderbaren 130 Seiten, die soeben durch seine, uuuh, Hände gegangen sind. Dass er Wert darauf legt, auf jeden Fall gegen den Mainstream der „Meinungselite“ zu schwimmen, erkennt man vor allem daran, dass er mit Michael Fleischhacker (Talk im Hangar-7, Servus.tv) die österreichische Antwort auf Alexander Kissler (Cicero) im Team hat. Einen Vertreter jener aufregungsunterversorgten Liberal-Konservativen, die sich aus lauter Fadesse verstärkt den Rechts-Rechten anbiedern.)
Anneliese Rohrer fragte kürzlich auf twitter, was denn bitte schön daran links sei, wenn man sich gegen frauenverachtende Politiker stelle? Was außer anständig sei das denn, fragte sie weiter? Und bekam ernsthaft Antworten wie: wenn es von oben verordnet wird, dann ist es links! Übersetzt bedeutet das wohl, dass unsere gesamtgesellschaftliche Wertehaltung und der Konsens, auf den wir uns geeinigt haben – Menschenrechte, gegen Diskriminierung und Frauenfeindlichkeit etc. – verhandelbar seien oder Haltungen, für oder gegen man sich entscheiden kann. Und das meinen diese Erklärbären offenbar tatsächlich, und es ist ihnen dabei völlig wurscht, dass ihre persönliche Meinung nicht das ist, worauf die Welt gewartet hat. Männer mit Meinungen gibt es mittlerweile in ausreichendem Maß, partei- und ideologieübergreifend. Was die Welt bräuchte, wären ein paar Menschen mit dem Talent Fragen zu stellen. Und keinesfalls noch mehr von jenen, die auf Social-Media-Plattformen darum eifern, wer die meisten Posts pro Tag absetzt (lesen die eigentlich auch mal oder produzieren sie nur ständig ungefragt content?). Sie posten dreist irgendeinen unzusammenhängenden Schwafel auf die Timelines anderer und löschen ihn ebenso dreist, sobald sie dann doch (gähn! endlich) erkannt haben, mit welchem Müll sie die eh schon sehr bedacht und selten genug verfassten Anmerkungen manch kluger Frauen zum Zustand der Welt beglücken. Sie organisieren Konferenzen, Filmfestivals und Diskussionsveranstaltungen, geben Magazine heraus und moderieren Talkrunden, mit rein oder fast ausschließlich männlicher Beteiligung und verstehen all die Aufregung gar nicht. Sie haben zu allem, wirklich allem etwas zu sagen, erblöden sich nicht, sich selbst zu zitieren und es ist ihnen fürchterlich egal, wieviel Ödnis sie dabei hinterlassen. Und das von der großen Welt bis in die Niederungen der Provinz hinein. Wir Frauen haben uns irgendwann mal einreden lassen, dass uns eine Quote doch vielmehr schadet als hilft und befeuern diesen männlich dominierten Diskurs auch noch damit, ein schlechtes Gewissen zu entwickeln, wenn wir uns in den Vordergrund drängen. Derweil werfen sich die Schnatterhaften die Stichwörter zu, auf dass der Strom an geglaubtem Wissen niemals ende. Ach, Helene … deine Sätze blieben leider ungehört:
3. Laßt an Stelle eurer Eigenliebe und Selbstbehauptung ein pessimistisches Urteil treten, prüfet und untersucht euch schonungslos und ihr werdet von Haß gegen euch und eure Existenz überfließen.3
1/3 Traute Hensch (Hg.) Helene von Duskowitz, Der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt. Pessimistische Cardinalsätze. Freiburg 1988
2 www.austrian-limited.at/preview-auf-das-erste-austrian-limited-magazin