Ach, Helene … Du und deine pessimistischen Cardinalsätze!

„18. Der Mann führt höchst unbescheidenerweise überall das große Wort und ist das schnatterhafteste aller Lebewesen. (…) Es fehlt sogar sehr auffallend an der Partizipierung der Frauen in den täglichen Geschäften und in den öffentlichen Dingen, weshalb die Welt- und Tagesgeschichte, weil hauptsächlich von Männern ausgefüllt, den bekannten öden Eindruck macht.“1

1905 veröffentlichte die österreichische Philosophin, Literatur- und Musikkritikerin Helene von Druskowitz (1856–1918) ihre „Pessimistischen Cardinalsätze“, die 1988 unter dem Titel Der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt von Traute Hensch neu herausgegeben wurden. In sechs Kapiteln analysiert und beschreibt die Philosophin darin präzise und umfassend den Zustand der Welt unter der Diskurs-Vorherrschaft von Männern („weiß“ wurde damals natürlich als Selbstverständnis vorausgesetzt), gibt etwa in Kapitel 5 (Normalsätze für das männliche Geschlecht) Verbesserungsvorschläge, widmet sich aber vor allem in Kapitel 4 (Der Mann als logische …) hingebungsvoll, ausufernd und grausam der Demontage dieser Vorherrschaft. Und verzichtet dabei völlig auf den Entwurf einer „feministischen Utopie“, will – daraus macht sie keinen Hehl – einfach darlegen, in welch beschissenem Zustand die Welt sich befindet und wer daran schuld ist. Helene und ich – wir hätten uns ganz gut verstanden, soferne sich zwei überzeugte Misanthropinnen gut verstehen können. Ich hätte zwar – nicht meiner Überzeugung aber meiner Sozialisierung folgend – hin und wieder versucht, kalmierend und relativierend auf sie einzuwirken und gemeint, es solle doch niemandem sein Geschlecht zum Vorwurf gemacht werden. Sie hätte mir ein paar mehr radikale Sätze um die Ohren gehauen und gemeint: Warts ab! Und tatsächlich – mehr als 150 Jahre nach Helenes Geburt hat sich, tja …, was nochmal geändert …? (In diesem Moment kommt wie aufs Stichwort und ungefragt ein Magazin als Beilage meiner Tageszeitung ins Haus. Es widmet sich in edler Aufmachung österreichischen Manufakturen. Frauen kommen in dem Heftchen auch vor, bis auf zwei Ausnahmen allerdings als Models, die die schönen Dinge, die Männer herstellen, anziehen oder ehrfurchtsvoll begutachten. „Außerdem lässt das Magazin Persönlichkeiten aus Österreich zu Wort kommen, die nationale und internationale Erfolge feiern. Helmut Lang etwa verrät, woran er erkennt, dass eines seiner Kunstwerke vollendet ist. Ebenfalls im Interview: Josef Hader, Toto Wolff, Max Hollein und viele weitere. Und: Journalist Michael Fleischhacker bittet Wirtschaftsgrößen wie Matthias Hartmann und Andreas Treichl zu Wort.“2 Meint der Chefredakteur selbst noch ganz ergriffen von den wunderbaren 130 Seiten, die soeben durch seine, uuuh, Hände gegangen sind. Dass er Wert darauf legt, auf jeden Fall gegen den Mainstream der „Meinungselite“ zu schwimmen, erkennt man vor allem daran, dass er mit Michael Fleischhacker (Talk im Hangar-7, Servus.tv) die österreichische Antwort auf Alexander Kissler (Cicero) im Team hat. Einen Vertreter jener aufregungsunterversorgten Liberal-Konservativen, die sich aus lauter Fadesse verstärkt den Rechts-Rechten anbiedern.)

Anneliese Rohrer fragte kürzlich auf twitter, was denn bitte schön daran links sei, wenn man sich gegen frauenverachtende Politiker stelle? Was außer anständig sei das denn, fragte sie weiter? Und bekam ernsthaft Antworten wie: wenn es von oben verordnet wird, dann ist es links! Übersetzt bedeutet das wohl, dass unsere gesamtgesellschaftliche Wertehaltung und der Konsens, auf den wir uns geeinigt haben – Menschenrechte, gegen Diskriminierung und Frauenfeindlichkeit etc. – verhandelbar seien oder Haltungen, für oder gegen man sich entscheiden kann. Und das meinen diese Erklärbären offenbar tatsächlich, und es ist ihnen dabei völlig wurscht, dass ihre persönliche Meinung nicht das ist, worauf die Welt gewartet hat. Männer mit Meinungen gibt es mittlerweile in ausreichendem Maß, partei- und ideologieübergreifend. Was die Welt bräuchte, wären ein paar Menschen mit dem Talent Fragen zu stellen. Und keinesfalls noch mehr von jenen, die auf Social-Media-Plattformen darum eifern, wer die meisten Posts pro Tag absetzt (lesen die eigentlich auch mal oder produzieren sie nur ständig ungefragt content?). Sie posten dreist irgendeinen unzusammenhängenden Schwafel auf die Timelines anderer und löschen ihn ebenso dreist, sobald sie dann doch (gähn! endlich) erkannt haben, mit welchem Müll sie die eh schon sehr bedacht und selten genug verfassten Anmerkungen manch kluger Frauen zum Zustand der Welt beglücken. Sie organisieren Konferenzen, Filmfestivals und Diskussionsveranstaltungen, geben Magazine heraus und moderieren Talkrunden, mit rein oder fast ausschließlich männlicher Beteiligung und verstehen all die Aufregung gar nicht. Sie haben zu allem, wirklich allem etwas zu sagen, erblöden sich nicht, sich selbst zu zitieren und es ist ihnen fürchterlich egal, wieviel Ödnis sie dabei hinterlassen. Und das von der großen Welt bis in die Niederungen der Provinz hinein. Wir Frauen haben uns irgendwann mal einreden lassen, dass uns eine Quote doch vielmehr schadet als hilft und befeuern diesen männlich dominierten Diskurs auch noch damit, ein schlechtes Gewissen zu entwickeln, wenn wir uns in den Vordergrund drängen. Derweil werfen sich die Schnatterhaften die Stichwörter zu, auf dass der Strom an geglaubtem Wissen niemals ende. Ach, Helene … deine Sätze blieben leider ungehört:

3. Laßt an Stelle eurer Eigenliebe und Selbstbehauptung ein pessimistisches Urteil treten, prüfet und untersucht euch schonungslos und ihr werdet von Haß gegen euch und eure Existenz überfließen.3

 

1/3 Traute Hensch (Hg.) Helene von Duskowitz, Der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt. Pessimistische Cardinalsätze. Freiburg 1988

2 www.austrian-limited.at/preview-auf-das-erste-austrian-limited-magazin

Fluegge sein

B-Girling, Breakdance, Popkultur, zeitgenössischer Kontext: Junge Kunstformen der Bewegung betreibt Silke Grabinger mit Formaten wie SILK Fluegge Art Performance, Youth Audience und Youth Interventions. Franz Michael Woels hat sie getroffen.

Die Breakdance-Szene in Österreich ist laut Silke Grabinger überschaubar. Deshalb kümmert sie sich mit ihrem KünstlerInnen-Kollektiv SILK Fluegge speziell um die Jugendförderung. Angesiedelt ist SILK Fluegge zur Zeit noch in der Tabakfabrik Linz, hier wird an Aufführungen in Theatern, Interventionen in musealen und öffentlichen Räumen geprobt. Wie in der Akrobatik schätzt auch hier Silke Grabinger die Herausforderung: „Ich produziere mit SILK Fluegge Youth Audience für junges Publikum. Ab diesem Jahr nun auch bewusst für +16. Man denkt immer, dass Produktionen für Jugendliche einfacher durchzuführen sind als Produktionen für Erwachsene, aber das stimmt meiner persönlichen Erfahrung nach nicht. Ich finde, es ist genau umgekehrt, der hohe Anspruch ist für junges Publikum zu produzieren. Das ist ein hartes, schwer zu fassendes Publikum.“ Pionierarbeit zu leisten scheint für Silke Grabinger selbstverständlich zu sein: „Ich war als B-Girl eine der ersten Frauen aus Linz, die international bei Battles getanzt hat und ich habe es nicht leicht gehabt. Du musst dir überhaupt erst mal eine Position schaffen. Die Breakdance-Szene ist immer noch stark männerdominiert, aber ich stelle gerade mit dem B-Girl Circle 35 B-Girls aus Linz auf, das ist weltweit einzigartig.“ Und weiters zu ihrer Verortung in der Tanzszene ergänzt sie: „Breakdance hat sich orientiert an Stepptanz, an Capoeira, tänzerisch wie kämpferisch, an afrikanischen Tänzen und traditionellen Tänzen. Alles funktioniert im Kreis. Breakdance ist ja extrem extrovertiert, in your face. Das ist ja auch ein Spannungsmoment zwischen zeitgenössisch performtem Tanz und Breakdance. Introvertierte Performances als Gegenpart zu Breakdance oder Urban-Styles – für mich ein großes Thema. Ich fühle mich ja manchmal wie ein Alien in der Tanzszene, ich habe ja nie Tanz, sondern Grafikdesign und Raum- und Designstrategien studiert, beziehungsweise studiere zur Zeit Film, und habe die Bewegungen autodidaktisch kennengelernt.“

Da Silke Grabinger also keine klassische Tanzausbildung hat, kann es zu folgenden Situationen kommen: „Ich habe ja nicht gelernt, wie man sich als Tänzerin zu verhalten hat. Für Produzenten ist das manchmal irritierend, wenn ich ganz klar sage, was ich möchte. Das ist auch der Grund, warum ich gerne in der Freien Szene bin.“ Selbstbestimmung ist der künstlerischen Leiterin somit von großer Bedeutung: „Ich will in einer Position sein, in der ich entscheiden kann, welches künstlerisches Risiko ich eingehe. Das ist doch schließlich auch ein Grund, warum ich Kunst mache: der Wunsch Risiken einzugehen, ein Arbeiten ohne „Sicherheitsnetz“, ein Entwickeln und Adaptieren von neuen Theorien und Systemen.“ Sie sieht ihre B-girling/B-boying/Breakdance Stücke nicht bloß als reine Unterhaltung mit Wow-Effekten, sondern als „ein weiteres Bewegungsmaterial um eine Bildhaftigkeit auf der Bühne umzusetzen. Es bleibt nicht in der Akrobatik verhaftet, in der Kunstform der Bewegung, sondern es wird als Erzählform verwendet.“

Durch ihre Auseinandersetzung mit dem Medium Film erkannte sie unter anderem, dass „du ja bei Film den Vorteil hast, die Perspektive des Zuschauers lenken zu können. Bei einer Aufführung haben wir meist die normale 4. Ebene Sitzposition, eine frontale Sicht. Wie geht man damit um? Ich bin da sehr penibel und teste Sitzpositionen um zu sehen, wer was sieht.“

Schwerpunkte bei SILK Fluegge sind neben SILK Fluegge Art Performance und SILK Fluegge Youth Audience auch Kunst- und Kulturvermittlung im Rahmen von SILK Fluegge Youth Interventions. Sie beinhalten sowohl Kurse als auch Workshops für Anfänger bis zur Masterclass: „Die ganzen Jugendlichen, die über die Schiene der Breakdance-Battles Queen & King of Styles von Elements of Style zu uns kommen, haben die Möglichkeit, in den Performance und Theaterbereich zu wechseln oder Kunstprojekte auszuprobieren. Sie können sich im Rahmen von Praktika ansehen, wie wir so arbeiten. Wir gehen auch mit diversen Projekten in Schulen und finden so auch neues Publikum, das sich von dieser Kunstform einen Begriff machen kann.“ SILK Fluegge kooperiert auch mit Gästen im Studio in der Tabakfabrik Linz, dazu gehören auch die Uncurated Encounters. Junge KünstlerInnen haben nach Einsendung eines kurzen Konzeptes die Möglichkeit, an einem Abend kurze oder längere unfertige Arbeiten, ohne Kuratierung oder Auswahlverfahren, einem interessierten Publikum zu präsentieren. Im direkten Anschluss daran gibt es dann Publikumsgespräche, um über die jeweiligen Stücke zu reflektieren.

Abschließend noch einmal Silke Grabinger zum Kontext ihrer Arbeiten: „Und ich komme ja vom B-Girling/Breakdance mit seiner Popkultur-Geschichte und arbeite mit popkulturellen Themen, stelle diese aber auch immer in einen zeitgenössischen Kontext. Man muss dabei manchmal haarscharf am Klischee vorbeigehen, um ein gewisses Publikum anzureizen – um sie dann zu ganz anderen Themen rüberzuziehen und dafür zu öffnen.“

 

Das Kollektiv SILK Fluegge besteht im Kern aus der Choreographin Silke Grabinger, der choreographischen Assistentin und Projektleiterin Olga Swietlicka, aus der Videokünstlerin und 3D-Animateurin Magdalena Schlesinger und der Dramaturgin Angela Vadori. Alle weiteren Mitwirkenden, Tänzerinnen und Tänzer des Fluegge-Teams sind auf www.silk.at zu finden.

Premiere „Disappear“ 6. 12., 20.00 h, Central Linz, Vom Verschwinden in der Welt des Anderen

www.gfk-ooe.at/event/957

In der Mitte der Nacht ein Eishockeymusical.

Finsternis macht sich seit längerem breit. Nicht nur in der Nacht, die den Tag verschlingt, sondern auch beim von Medien und Fans vormals hochgejubelten und nun niedergestampften Herren-Fußball-Nationalteam, nach der US-Wahl, vor der abermaligen Wahl des österreichischen Bundespräsidenten (falls wir wählen können), wahrscheinlich noch mehr nach der Wahl (falls sie nicht oder doch angefochten wird), in der Politik allgemein, in der Solidarität, in der Zivilcourage, im gesellschaftlichem Miteinander. Wenn die Nacht am dunkelsten ist, beginnt die Dämmerung. Und die Hoffnung stirbt zuletzt. „Hoffnung ist viel zu passiv. Wir brauchen Willen.“, sagte Leonard Cohen, der leider auch von uns gegangen ist. Noch mehr Finsternis. Aber er sang auch: „There is a crack, a crack in everything. That’s how the light gets in“.

Der Riss in der Gesellschaft ist da. Doch wo ist das Licht? Vitamin D hilft gegen die Sonnen- und Lichtarmut des Körpers und nebenbei unterstützend bei chronischen Krankheiten. Sauna lässt den Körper Gifte ausschwitzen und bei ausreichendem Hitze-Kälte-Unterschied das Herz-Kreislaufsystem auf Funktionstüchtigkeit prüfen. Ohne aktives Tun! Gleich neben der Sauna im Parkbad in der „Keine Hoffnung“-Arena (so wurde sie angekündigt!) lud das Theater in der Innenstadt zum Black Wings-Musical „Heaven and Hell“. Zwei Spieler der Black Wings landen nach einem Zusammenstoß, bei dem sie das Bewusstsein verlieren, im Limbus und geraten dort in den Kampf zwischen Himmel und Hölle. Ihre Begegnungen mit Frau Gott, Luzifer, Rasta-Jesus und sonstigen Kreaturen eröffneten ein dreieinhalbstündiges „Musical On Ice“-Spektakel, bei dem die Eishockeyfans stimmgewaltig mitmischen durften und Kader- und Jugendspieler mit ihren Show-Wettkämpfen die Dramaturgie mitbestimmten. Ausdrücklich gewünscht wurde keine Abendgarderobe, sondern das Erscheinen im „Black Wings Fan Outfit“. Zum Lachen verführt wurden die Besucher durch diverse interne „Black Wings“ Schmähs, Applaus zollten sie neben den zahlreichen Gesangseinlagen aus dem Rock- und Popbereich dem Maskottchen Gonzo, der verkleideten und umfunktionierten Eismaschine und dem Hallensprecher. Die lauteste Zustimmung erhielt dieser in der Szene, in der sich die KämpferInnen für Himmel und Hölle zum Angriff formierten, mit folgender Aussage: „Stop! Wir san doch kane Fußballfans!“

Ich geh allerdings lieber zum Fußballverein meines Herzens. Eishockey zuschauen ist mir schlichtweg zu brutal. Das Musical fand ich gelungen. Eine Theaterproduktion auf Eis ist schon eine gewisse Herausforderung, imponiert bin ich allerdings von der Flexibilität und dem Einsatz der Vereinsverantwortlichen für die Fans etwas Erstmaliges und Ungewöhnliches auf die Beine zu stellen. Diese Wertschätzung wünsche ich mir vom Verein meines Herzens auch. Doch davon sind wir genauso weit entfernt, wie von einem neuen Fußballstadion. Die grünste Sportarena der Welt plant derzeit der englische 5. Ligist „Forest Green Rovers“. Das von Zaha Hadid Architects entworfene Holzstadion wird Herz eines Businessparks für grüne Technologien. So kann Interessensdurchsetzung eines Vereinsvorsitzenden aussehen!

Kampfsport auf höchstem Niveau bot die Karate WM 2016 Ende Oktober in Linz. Zwei Frauen und ein Para-Sportler gewannen Gold, Silber und Bronze. Alisa Buchinger, Bettina Plank und Markus „Mendy“ Swoboda. Haben Sie das gewusst? Viele Linzer erfuhren von der Karate WM nur wegen dem vorausgegangenen Fußball Cup-Stadiondesaster des Linzer Stadtklubs. Die nicht vorhandenen freien Plakatflächen fehlen anscheinend nicht nur der Freien Szene, sondern auch den Sportveranstaltern. Schade! Denn gerade diese stimmige Großveranstaltung hätte sich mehr Beachtung und Besucher verdient, hat sie sich doch als „Green Event“ der Nachhaltigkeit verpflichtet und u. a. im Merchandise mit dem sozialökonomischen Betrieb „Fix & Fertig“ (gegründet von der Sozialhilfe Wien) kooperiert und gezeigt, wie ein respektvolles inklusives gesellschaftliches Miteinander gestaltet werden kann. Sehe ich da Licht?!

 

Andrea Winters Sendung SPORT IM DORF (vorraussichtliche) Sendetermine und Inhalte:

Mi 21. 12. 2016 live 18.00–19.00 h, Markus „Mendy“ Swoboda (2. Platz Kanu Paralympics 2016, 2. Platz Para-Karate WM 2016) mit seiner Karate-Trainerin Iris Kreuzer

Mi 25. 1. 2017 live 18.00–19.00 h, geplantes Thema Eishockey

Klingelingeling! – Ausfahrt mit Ottawa

Wer sich in der österreichischen Fahrradszene bewegt, wird früher oder später auf die Wienerin Barbara Ottawa treffen. Sie ist Journalistin, Vielfahrerin und begeisterte Langstreckenfahrerin. Sie war die erste Frau, die an einem Tag die 200 Kilometer-Strecke bei In Velo Veritas knackte. Dennoch, als Fahrradaktivistin würde sie sich nicht bezeichnen, da sie ihre Zeit lieber mit dem Radfahren verbringt. Ein Interview von Johannes Staudinger.

Was waren deine ersten Erinnerungen ans Radfahren und was hat in dir die Begeisterung dafür ausgelöst?

Als Kind hat Radfahrenlernen einfach dazugehört, es war spannend, was Neues, gewisse Freiheit. Ich bin auch immer wieder die 10 km ins Gymnasium geradelt – aber damals nur bei Schönwetter. Allerdings habe ich dann, als ich nach Wien und kurzzeitig nach London gegangen bin, eigentlich für mehrere Jahre komplett mit dem Radfahren aufgehört. Erst vor nicht einmal 5 Jahren hat mich meine kleine Schwester einmal zu einer Radveranstaltung (das erste Tweed Ride Picknick in Wien in der Freudenau) mitgenommen. Seither bin ich eigentlich kaum mehr vom Rad gestiegen. Über einen neuen Bekannten aus der Tweed-Runde bin ich zum Langstreckenfahren gekommen. Bei der Critical Mass habe ich einen Boten kennengelernt, der mich mit dem „Transport-Fieber“ angesteckt hat.

Als Betreiberin des Blogs viennabeo.net schreibst du regelmäßig über Themen rund ums Radfahren. Wie gehst du bei der Auswahl deiner Themen vor? Fliegen dir die Inhalte einfach so zu?

Ich schreibe einfach sehr gerne. Das mach ich schon länger als Radfahren! Und mit dem Radln habe ich einfach eine völlig neue Themenwelt entdeckt. Einerseits, weil viele Leute (auch andere Radfahrer) z. B. meine Begeisterung für Langstrecken nicht verstehen, das muss ich ihnen erst erklären. Und andererseits habe ich auch ein völlig neues Publikum – für andere Radfahrer kann ich Texte über Dinge schreiben, die wir wahrscheinlich alle erleben oder sie über Radfahrerlebnisse im Ausland, bei Reisen etc. informieren.

Deinen Lebensunterhalt bestreitest du als professionelle Journalistin in der internationalen Finanzwelt. Daneben schreibst du aber auch für die Wiener Zeitung, dazu in der Geschichtsbeilage „Zeitreisen“ und den Drahtesel der Radlobby. Wie stark unterscheiden sich die einzelnen Herausforderungen, für dieses oder jenes Magazin zu schreiben?

Auf diese Weise bleibt es spannend. Ich mag es, für unterschiedliche Zielgruppen und über diverse Themen zu schreiben. Es passiert, finde ich, sehr leicht, dass man sich in einem Spezialgebiet „ausruht“ und dadurch aber die Fremdperspektive auf das Thema verliert. Aber ohne diese Sicht von außen kann man meiner Ansicht nach nicht gut schreiben. Und um zwischen unterschiedlichen Texten den Kopf frei zu bekommen, kann ich mich ja jederzeit aufs Rad setzen – und sei es nur für einen Ortswechsel vom Home-Office ins Kaffeehaus. So gesehen ist das Radfahren fast wie der eingelegte Ingwer beim Sushi – der Geschmacksneutralisierer.

Für das Drahtesel-Magazin hast du an einem Spezial zu Fahrradwirtschaft in Österreich mitgewirkt. Nun wurde auch in Wien die Wiener Fahrradschau, die Schwester der Berliner Fahrradschau, als neues Messeformat präsentiert. Wie siehst du die Bestrebungen, das Fahrrad in Österreich wieder stärker in ein wirtschaftliches Rampenlicht zu stellen?

Grundsätzlich eine wichtige wirtschaftliche Schiene und auch ein tolles Geschäftsfeld. Wie überall gibt es aber natürlich auch in der Fahrradwelt jene, die nur Profit machen wollen und das um jeden Preis. Und dann gibt es die, die schon lange in dieser Fahrradwelt leben, arbeiten und von vielen neuen „hippen“ Profitwegen ausgeschlossen bleiben. Oft wird das Fahrrad und fahrradbezogene Botendienste, etc. von Firmen noch immer eher als „netter Werbegag“ gesehen, denn als ernst zu nehmende Dienstleistung.

Du bist auf dem Rad eine Vielfahrerin, fährst Langstrecken alleine und bei Vintage Rides, bist bei Tweed Rides dabei, stellst nebenberuflich Pakete als Fahrradbotin zu und bewegst dich auch sonst mit dem Rad durch die Stadt. Was muss passieren, damit du einmal nicht mit dem Fahrrad unterwegs bist, und was macht den Reiz der unterschiedlichen Facetten aus?

Letztes Jahr konnte ich nach einem Fahrradsturz ein Monat nicht radeln und dieses Jahr bin ich einmal mit der U-Bahn zu einem Treffpunkt gefahren, weil wir eine mehrtägige Wanderung gemacht haben. Ansonsten fällt mir nicht viel ein, das ich ohne Fahrrad mache. Ein Opernbesuch im Abendkleid gilt zum Beispiel nicht als Ausrede, weil man sich am Zielort fast immer umziehen kann! Auf Dienstreisen mit dem Zug kommt das Faltrad mit. Und wenn das Fahrrad mal in die Werkstatt muss, geht es mit dem City-Bike nach Hause. Die unterschiedlichen Facetten haben sich mehr oder weniger ergeben: Meine erste wirkliche Langstrecke bin ich gefahren, weil ich ohnehin von Wien nach Graz musste, Botenfahren ist einfach ein toller Ausgleich zum Sitzjob und man kann etwas Sinnvolles tun, während man Intervalltraining macht. Und gerade in Wien macht es sowohl zeit-technisch als auch wegen größerer Flexibilität für mich immer Sinn, mit dem Rad zu fahren.

Wie und wo findest du deine Räder? Welches Fahrrad fand zuletzt in deine Sammlung?

Am Anfang waren alles Second-Hand-Stahlrahmen, teilweise klassisch auf einem Vintage-Flohmarkt gekauft. Teilweise mit befreundeten Mechanikern neu zusammengestellte Single-Speeds oder Rennräder. Seit kurzem habe ich ein nagelneues Cross-Bike mit Scheibenbremsen und integrierter Schaltung – das macht auf Langstrecken schon Sinn. Die 320 km der Donau entlang hab ich zwar auch ohne geschafft, aber angenehmer wird die nächste Reisefahrt sicher.

Oft bist du auch in Linz auf dem Rad anzutreffen, aber auch viel in Wien, Graz und anderen Städten der Welt unterwegs. Welche Stadt gefällt dir bezüglich Fahrradkultur und -mobilität am besten, was sagst du zu Linz, und was sind deine Maßstäbe für eine fahrradfreundliche Stadt?

Hier eine Wertung vorzunehmen, ist wirklich schwierig. In jeder Stadt, in der ich bisher geradelt bin (eigentlich nur Mitteleuropa) gibt es Positives sowie Negatives. Oft gibt es tolle Ansätze, aber bei näherem Hinsehen manchmal nur Einzelprojekte. Sicher gefühlt habe ich mich überall ungefähr gleich. Natürlich sind kleinere Städte wie Linz „gemütlicher“, weil meiner Einschätzung nach der „Straßenkampf“ weit weniger aggressiv ausgetragen wird als in Wien. Das ist nämlich eines der größten Probleme in Ballungsräumen, dass es ein „jeder gegen jeden“ unter den Flächennutzern gibt, da muss man sich auch immer selbst an der Nase nehmen und z. B. bedenken, dass Autofahrer ein viel eingeschränkteres Sichtfeld haben und Fußgänger hinten keine Augen.

Eine radfreundliche Stadt ist es für mich dann, wenn sich jemand offensichtlich Gedanken darüber gemacht hat, wo für Radfahrer sinnvollerweise Platz ist – und nicht nur z. B. auf einer Brücke einen schmalen Streifen für Radler abgezwickt hat, oder Radfahrerüberfahrten hinter parkenden Autos versteckt.

Das kommende Jahr feiert das Fahrrad seinen 200. Geburtstag. Was wird bei dir im Fahrrad-Kalender 2017 fix eingeplant sein?

Auf jeden Fall die Piratislava – eine von BotInnen organisierte Schnitzeljagd nach Bratislava im Jänner, bei der man sich natürlich als Pirat verkleiden musst. Immer wieder werde ich auch bei der monatlichen Critical Mass teilnehmen. Dann natürlich die Tweed Rides in Wien und vielleicht auch mal andernorts. Die In Velo Veritas auf alten Stahlrahmen darf nicht fehlen. Eine Radreise wäre auch mal wieder fällig – vielleicht Kroatien. Und wahrscheinlich eine Charity-Fahrt entweder Passau-Wien oder Wien-Klagenfurt – an einem Tag natürlich. Und dazwischen mit Packerl am Rücken quer durch Wien.

Das Professionelle Publikum*

Danke an Anna Maria Brunnhofer, Harald Freudenthaler, Siegfried A. Fruhauf, Holger Jagersberger, Stella Rollig, Ines Schiller, Clemens Stöttinger und Katrin Weber, die für unsere LeserInnen ihre persönlichen Kunst- und Kultur Highlights übermittelt haben. Die Redaktion hat diesmal wieder die eine oder andere Ausnahme gemacht und selbst auch ein paar Tipps mehr abgegeben.

* Das Professionelle Publikum ist eine pro Ausgabe wechselnde Gruppe an Personen aus Kunst und Kultur, die von der Redaktion eingeladen wird, für den jeweiligen Geltungszeitraum Veranstaltungsempfehlungen für unsere Leserinnen und Leser zu geben.

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Das Professionelle Publikum

Foto: Marco Prenninger, Collage: Jennifer Nehrbass

Foto: Marco Prenninger, Collage: Jennifer Nehrbass

Anna Maria Brunnhofer
tätig für Kunst und Werbung.

Tipps:
photography@tomorrow
Elger Esser. Aeteas

 

 

Foto: Martin Lasinger

Foto: Martin Lasinger

Harald Freudenthaler
ist im Freien Radio Freistadt zuständig für Programmentwicklung und -koordination.

Tipps:
Im Blickpunkt – Soziales und Bildung
Wissenschaft und Blödsinn
Filipa Cardoso & Carlos Leitao Ensemble

 

 

Foto: Selfie mit Sohn Jonas Theo

Foto: Selfie mit Sohn Jonas Theo

Siegfried A. Fruhauf
lebt und arbeitet in Wien und Heiligenberg. Zahlreiche Ausstellungen im Bereich Film, Video und Fotografie.

Tipps:
Living Collection sixpackfilm
Der Österreichische Film. Edition der Standard #278: Außer Rand und Band

 

holger jagersbergerHolger Jagersberger
leitet seit 2009 das Atelierhaus Salzamt Linz.

Tipps:
Kristallin#39 Florian Voggeneder
Skandal Normal?

 

Foto: maschekS.

Foto: maschekS.

Stella Rollig
Direktorin Museen der Stadt Linz (LENTOS Kunstmuseum und NORDICO Stadtmuseum Linz) bis Ende 2016. Ab Mitte Jänner 2017 Direktorin des Belvedere Wien.

Tipps:
Nevin Aladag
Jägerstätter von Felix Mitterer

 

Ines_SchillerInes Schiller
ist Schauspielerin und Cutterin und vor allem Rückkehrerin aus Berlin um in Linz Krawall zu machen.

Tipps:
Jägerstätter von Felix Mitterer
Alles Walzer, alles brennt

 

Clemens StöttingerClemens Stöttinger
spielt in der Band POSTMAN, veranstaltet gemeinsam mit Dominik Leitner das Crossing Urlaub Urlaubsfilm-Festival, Kassettenklub und die Konzertreihe Voyage Voyage.

Tipps:
Kassettenklub Linz
Goldafter mit Konzerten von Vague, Tents und Fudkanista, DIY-nachten
Eröffnung der Sturm & Drang Galerie WIRR WARR WIRR WARR

 

Foto: Michaela Bruckmüller

Foto: Michaela Bruckmüller

Katrin Weber
Gesang, Klavier, Komposition, arbeitet in Wien und OÖ als Sängerin, Gesangslehrerin am Landesmusikschulwerk OÖ, Pianistin und Komponistin.
Infos: www.katrinweber.net

Tipps:
ZIEHER und LEEB featuring Katrin Weber Meet the masters
ZIEHER und LEEB featuring Katrin Weber Die Tagesshow
Happy Birthday Ella – A Pocket Big Band Celebration!

 

Tipps von Die Referentin

 

 

Tipps:
Filmeinreichungen CROSSING EUROPE Filmfestival Linz
Angstflimmern gfk de:central: Otto; or, Up with Dead People
Angstflimmern gfk de:central: Die Blutenden
Matinée „Kunst und Sucht“
Präsentation Skulpturenpark Westautobahn
Gemischte Gefühle. KLASSE KUNST V

Die kleine Referentin

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Editorial

Düsternis und Licht ziehen sich durch diese Herbstnummer, ebenso wie verschiedene Aspekte einer Kunst der ästhetischen, sozialen oder politischen Aneignung. Abheben in Wels findet sich ebenso wie die tröstend-irrlichternen Proteststrategien einer Gruppe, die sich auf Linzer Brücken für noch mehr Grenzen stark machen. Dies und die Text-Teaser am Cover mögen hier zum Geleit gereichen.

Hinweisen möchten wir besonders auf Texte und Kontexte außerhalb der Printversion: Auf die lange Interviewversion von Tom Bieling und Wolfgang Ullrich zum Thema „Artivism“ auf den Netzseiten der Referentin. Das Interview kann als Korrektiv zum Hype einer unreflektiert politaktionistisch verstandenen Kunst gelesen werden; außerdem auf kontextualisierendes Material zum Text von Elisabeth Lacher, die die Entstehung des „neuen Kunstformats“ für Linz begleiten wird – ab 20. September werden die erwähnten Interviews in voller Länge online sein. Wir möchten außerdem auf die beständigen und weiterführenden Links bei unseren Kolumnen hinweisen – zum Beispiel aktuell auf Stellungnahmen von anderen zum Thema „Drohnenkunst“ bei der Rubrik „Stadtblick“. Und ein Referenzpunkt in Richtung unseres Kooperationsblattes Versorgerin: Dort schließt Armin Medosch seine Serie zum Mythos Kunst ab. Für diejenigen, die immer schon genauer wissen wollten, was es mit der oben erwähnten Kunst der Aneignung auf sich hat.

So long und nur das Beste, die Referentinnen Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

www.diereferentin.at

Freundinnen der Kunst, der Luft und der Angst

Die freundinnen der kunst sind ein Künstlerinnenkollektiv, das Kunst und Performanceprojekte seit vielen Jahren auf unbestechliche wie subtile Weise umsetzt. Dieses Jahr wurde etwa der OK-Höhenrausch mit Skyblow, einer Austreibung von bösen Geistern, eröffnet. Im Herbst folgt in der gfk eine Reihe von Interventionen zur Angst. Über einige angstlust-luftige Querverbindungen bei den freundinnen der kunst und ein seelenverwandtschaftliches Treffen im Lentos schreibt Tanja Brandmayr.

 

Seit 1999 arbeiten die freundinnen der kunst als Künstlerinnenkollektiv in Linz. Die Gründungs- und Kernmitglieder sind Claudia Dworschak, Helga Lohninger und Viktoria Schlögl. Das der Kunstszene jahrelang als 4er-Konstellation bekannte Kollektiv wurde 2012, nach dem Austritt von Martina Kornfehl, über wenige Jahre zum Trio. 2015 wurden die freundinnen der kunst mit einer jahresprogrammatisch durchinszenierten Erweiterung nämlich zeitweilig wieder mehr („2015 sind wir mehr“). Und seit 2016 besteht das Kollektiv nach der Aufnahme zweier zuvor temporärer Kollaborateurinnen fix aus fünf Personen: Marion Klimmer und Maria Meusburger-Schäfer wurden damit zu Beginn des Jahres zu permanenten freundinnen der kunst.

Skyblow und himmeln

Bereits in Fünferkonstellation konzipiert und zelebriert wurde im Mai 2016 die Eröffnungsperformance des OK Höherausches: „Skyblow“ versammelte 22 Kunst- und KulturaktivistInnen unter der Dirigentschaft von Thomas Pichler zu einem Laubbläserorchester, das die Komposition des Dirigenten durch gekonnt getaktetes Ein- und Ausschalten ebenso vieler Laubbläser zum Tönen brachte. Das Spiel erfolgte auf Sichtkontakt: 22 hochkonzentrierte Augenpaare auf den Dächern rechts und links des Platzes ließen den Dirigentenberserker für zweieinhalb Minuten nicht aus den Augen und erfüllten gehorsam die in den Himmel blasende Geräuschanweisung. Eröffnet wurde das Höhenrausch-Format also mit einem gleichzeitig seriösen Spektakel aus Inszenierung, Hierarchie und Performance sowie einer Persiflage darauf. Und so manche ZuseherIn dachte wohl nicht nur an die bösen Geister, die unter anderem ausgetrieben werden sollten, sondern auch an subtil verblasene Kunstkonventionen, Kunstavantgarden und Kunstspektakel an sich (die freundinnen griffen Ängste, Illusionen, allgemein die diffusen Bedrohungen laut Ausschreibungstext in einem grotesken Akt des Reinigens „mit viel luft und lärm an“). Umfassende Reinigungsrituale also jenseits der Gartenzäune – und andere Himmels- und Luftkontexte im OK bereits zuvor: War Skyblow 2016 eine performative Inszenierung der freundinnen vor größerem Publikum, bei der ein Konzept mit vielen AkteurInnen und vor Publikum umgesetzt wurde, ist, was die Herangehensweise des Kollektives selbst betrifft, ein anderes Projekt vielleicht sogar bezeichnender, das bereits 2010 am Dach des OK performt wurde: Als Teil der Serie „Sehnsucht“ wurde „himmeln“, ein traumhaft leichtes Trampolinspringen in Hochzeitskleidern, von den freundinnen ohne Publikum durchgeführt. Was bei „himmeln“ dabei als typisches Merkmal herangezogen werden kann: Als Inszenierung von Erfahrung stehen Aktion, Einzelne und auch die Gruppe im Zentrum – und eben nicht das Agieren vor Publikum. Ebenso zeigen die Konzepte der freundinnen nicht ein, wie in den 60er und 70er Jahren üblich, performatives körperliches Ausagieren an (auch wenn sie dieses Ausagieren durchaus zitieren), sondern rücken eine Art planerischen Absichts- und Erfahrungshorizont des Kollektiv selbst ins Zentrum ihres Interesses. Was die Art der Erfahrung charakterisiert, scheinen die Konzepte der freundinnen eine gewisse feierliche Leichtigkeit sich selbst zu verordnen, auch wenn etwa die „Hochzeit“ am himmeln-Trampolin vielleicht bis zur Erschöpfung ausgekostet wurde. Übrig bleiben zumeist Fotomaterial und diverse Dokumentationen, was als Teil des Prozederes ebenso als wesentlich erachtet werden kann. Die freundinnen kommen aus der bildenden Kunst, haben sich zu performativen Formaten entwickelt und, gerade wegen der Flüchtigkeit und Verborgenheit dieser Formate, früh eine Entscheidung zur Dokumentation getroffen. Dabei scheint sich das Prozedere von der Performance als gemeinsam inszenierter – oder auch designter – Erfahrungsakt bis hin zum Fotomaterial als Ergebnis in den letzten Jahren noch verdichtet zu haben. Dazu aber weiter unten mehr.

Die Damen und andere Bezüge

Natürlich nicht zufällig gewählt fand das Gespräch mit den freundinnen der kunst im Lentos statt: Ingeborg Strobl, die derzeit dort ausgestellt ist, war für ein paar Jahre Mitglied der Gruppe „Die Damen“, denen sie in der Schau eine einzelne Vitrine gewidmet hat. In der Damen-Vitrine befinden sich Schuhe in 80er-Jahre-Zebra-Design und eine Einladungskarte: „Ona B, Evelyne Egerer, Birgit Jürgenssen, Ingeborg Strobl bitten aus gegebenem Anlaß am 8. Jänner 1988 um 19 Uhr in das Bahnhofsrestaurant 1. Stock Wien Westbahnhof“. Befragt nach einer möglichen künstlerischen Verwandtschaft zur 4er-Formation der Damen entspinnt sich rund um die Vitrine ein Gespräch über den Umgang mit Klischees aus Kunst, Dasein und „damenhaft“-förmlicher Haltung; die ironische Stilisierung, die subtile Herangehensweise an Rollenbilder und Frauenbilder, den feministischen Kontext und die Inszenierung der Gruppe als eigenes Thema; eine Inszenierung der eigenen Künstlerinnenschaft, die viel leiser, humorvoller, aber dennoch kräftig war; anders, als die männlichen Kollegen das in den 80ern praktizierten („Die Männer sind damals aber alle gekommen“, O-Ton freundinnen). Und auch wenn die Damen im freundinnen-Gründungsjahr 1999 bereits längst aufgelöst waren, bezeichnen die freundinnen ihre spätere Entdeckung der Damen, und die hier und dort stattfindenden Inszenierungen als Gruppe und der ironisch gestalterischen (Rollen)Konzepte bis hin zu gerne verwendeten Dresscodes, sowohl als verblüffende Seelenverwandtschaft wie als hochinteressantes vergleichendes Zeitdokument im feministischen Kontext.

Lassen sich zu Ingeborg Strobl, bzw. aus deren Mitgliedschaft bei den Damen Verknüpfungen herstellen, beziehen sich die freundinnen der kunst in einem größeren Kontext außerdem auf aktuelle Praxen und Diskurse zu Kollektivität, Kooperation und Kollaboration: Vorangestellt findet sich auf den Netzseiten ein Zitat der bolivianischen Aktivistin Maria Galindo „I can work with you because I can speak for myself.“ Die freundinnen verweisen neben dieser emanzipativen Kraft der Einzelnen außerdem auf die Entwicklung der heutzutage anderen, meist selbst entworfenen und formulierten Zielen und Praxen von Kollektiven. Eine Programmatik, deren Entwicklung und Gestaltung, wie bereits angesprochen, geradezu selbst zum inhaltlichen und ästhetischen Thema der freundinnen der kunst geworden ist; und die auch wahrscheinlich an sich unabgeschlossen, weiteres Thema bleiben wird. Neben dem aktivistisch-emanzipativen Zitat von Maria Galindo könnte man ebenso einen kunsttheoretischen Konnex zur „togetherness“ von Nicolas Bourriaud herstellen, und seiner Forderung nach dem sozialen Moment innerhalb einer Werksstruktur. Neue Ästhetiken entstehen allerorts, bzw sind in der jahrelangen prozesshaften Thematisierung der freundinnen bereits entstanden. Wobei man betonen kann, dass der Diskurs über den Prozess des Gemeinsam-Seins bei den freundinnen der kunst wahrhaft gemeinsam gekocht wird: Anhand der Überprüfung der eigenen künstlerischen Konzeption, der Erfahrung, wie sich das Individuelle sowie Gemeinsame anfühlt. Das Ich also im Wechselspiel mit der togetherness, wenn man so will, oder auch mit einem permanenten Diskurs in der Gruppe, was Kollaboration oder auch damit zusammenhängende Begriffe wie Autorinnenschaft anbelangt, ist also eigentliches künstlerisches Material unter anderen konventionelleren Materialien der Kunst. Natürlich thematisiert sich das Kollektiv dabei nicht nur selbst, sondern spiegelt sich auch in Gesellschaft, bzw. nimmt gesellschaftliche Thematiken ins Kollektiv herein, um sie im Prozess zu überprüfen. Bei alldem handelt es sich also um theoretisch unterfütterte Dinge, aber vor allem auch um Tatbestände, die einen im künstlerischen Prozess unmittelbar betreffen; und für die man für sich und eine engere oder sich erweiternde Gruppe auch Verantwortung übernehmen will und kann. Und, was das engere Prozessdesign, die „Spielregeln“ des Kollektivs anbelangt, galt diese Umsichtigkeit besonders auch für das Erweiterungsjahr 2015, denn im Originalton sollten nicht alte Rezepte und bereits bekannte Themen über neue Menschen gestülpt werden: „Für die Dauer der Zusammenarbeit gibt es neue Ordnungen und eine neue Dramaturgie der Konzeption durch die Erweiterung des Kollektivs“.

Gewalt und Angst

2015 wurden die freundinnen nicht nur mehr, sondern „2015 war alles Gewalt“, so die freundinnen im Interview. Aus der Gruppe heraus wurde zu Beginn des Jahres ein Bedürfnis formuliert, „lauter zu sein“. Es wurden drei programmatische Formulierungen gefunden, mit denen man jeweils außenstehende KünstlerInnen ansprach: Sozusagen handelte es sich um drei jahresprogrammatische Formulierungen, mit der jeweils eine Person/Gruppe von außerhalb angesprochen wurde. Bei den in der Folge beschriebenen beiden Projekten handelte es sich um diejenigen, mit denen die Protagonistinnen Marion Klimmer und Maria Meusburger-Schäfer zu fixen freundinnen wurden.

Bei „die sache auf den punkt bringen“ im Mai und Juli 2015 handelte es sich als Ausgangspunkt um das Material Glas, das mit Maria Meusburger-Schäfer ins Kollektiv gekommen ist. Im Rahmen der Kunstuni-Tagung „KICKING IMAGES Bilderpolitiken – Sexualisierte Gewalt“ wurden in einer Performance zuerst die destruktiv auf das Material einwirkenden Kräfte erprobt – oder anders gesagt: Die von den freundinnen auf einer Tafel angerichteten und zuerst noch vom Publikum herkömmlich benutzten Wein- und Trinkgläser wurden hernach in einem Akt kontrolliert wirkender Gewalt mit Hämmern zerbrochen, zerschlagen und zersplittert. Der Tatort wurde quadratisch markiert, die Scherben ein Monat später in die Glaswerkstätte Stift Schlierbach gebracht, um sie dort wieder einzuschmelzen. Eine von vielen möglichen Fragen, die dabei entstehen könnte, ist diejenige, ob Einschmelzen nicht ebenso viel mit Gewalt zu tun hat wie Zerschlagen – hier spielt sozusagen das Material symbolische Fragen an sich selbst, in Richtung Gruppe aber auch Gesellschaft zurück. Jedenfalls, die Performance und das Thema schließt ein einziges Foto ab, das den gemeinsam inszenierten Erfahrungsakt insofern konzeptionell verdichtet, als dass er den dokumentarischen Akt noch weiter in den performativen Prozess hineintreibt, quasi auch die Aktion zu einem einzigen Schlussbild einschmilzt. Wobei „die sache auf den punkt bringen“ neben diesem einen Foto auch ein Objekt am Ende produziert hat – den Glasblock. Kommentar der freundinnen im Gespräch: „In diesem Fall war Maria nicht nur Glas-, sondern auch Objektbringerin.“

Das zweite vorgestellte Projekt „drauf los und vorbei“ wurde ebenso bereits 2015 mit einer Einladung an Marion Klimmer begonnen, sich in einem bestimmten Dresscode einzufinden und mit dem Kollektiv an einen unbekannten Ort zu kommen. Die anschließend stattfindende Schießübung erinnert an ein Aufnahmeritual, war allerdings als Einstiegsritual gedacht, um eine gemeinsame Erfahrung zu generieren, die zuerst in üblicher freundinnen-Praxis als gemeinsames Spiel, performative Situation und als körperlich-emotionale Erfahrung angelegt war; eine Erfahrung, die vermutlich in diesem Fall stark ambivalent empfunden wurde – was wohl im Thema Gewalt, das sich 2015 nicht zuletzt auch durch eine Gesellschaft im angeheizten „Ausnahmezustand“ immer mehr in den Vordergrund gespielt hat, begründet liegt. „drauf los und vorbei“ wird nun im Herbst 2016 abgeschlossen, was den performativen Akt selbst und die Auswahl dieses einzigen performativen Fotos anbelangt. Was den konkreten performativen Akt betrifft, hat man, aus einem zuerst archaischen Bedürfnis des „laut seins“ und der zu Beginn 2015 mitformulierten künstlerischen Thematik der Gewaltbereitschaft jetzt die dringende Wahrnehmung, dass „in der Welt der Angst und des Terrors ein vorsichtigerer Umgang mit dem Thema notwendig ist“ … Man ist versucht auszurufen wie großartig und richtig dieser Schluss ist, sowohl in der Analyse als auch einer Verantwortung sich selbst und schlichtweg allen gegenüber, zumal rundum durchaus weiter angeheizt wird, was eigentlich gesellschaftlich und individuell gesehen schon als Terror und Angst in uns brennt. Das archaische Bedürfnis als Abschluss von „drauf los und vorbei“ hat sich demnach von einem lust- und angstfanatischen Kontext befreit und sich konkret von einer Katapult-Installation, die diverse Dinge wegschießt, gewandelt in ein Katapult, das „selbst als dreidimensionales Wort in die Luft katapultiert wird“. Das scheint insofern paradox wie befreiend richtig, als dass sich, in einer Analyse der derzeitigen Verhältnisse, die Dinge gegen sich selbst zu wenden drohen. Was unter anderem, auf den Punkt gebracht, schlechthin die Gewalt unserer Zeit ausdrückt.

Die Werksschau der freundinnen liest sich, was die Orte der Umsetzung oder Kooperationen betrifft, wie eine Auflistung der Institutionen in Linz, die LeserInnenschaft möge das selbst auf den Netzseiten überprüfen. Ein wichtiger Kooperationspartner ist dabei der KunstRaum Goethestrasse xtd., nicht zuletzt wegen einer da wie dort programmierten künstlerischen Herangehensweise der prozesshaften Überprüfung (unter anderem). Möglicherweise konnte über das dort 2013 stattfindende Projekt „Raumen“ „sogar eine längere Reflexionsphase des Ausräumens, Umräumens, Einräumens“ eingeleitet werden – so die freundinnen. Vier Interventionen zum Thema Angst wird es außerdem im Herbst in der gfk, der Gesellschaft für Kulturpolitik, geben – unter der Betitelung „die beule, die mittendrin sitzt“ – im Rahmen von mehreren Veranstaltungsabenden der gfk zum im Herbst breiter angelegten Thema Angst. Erfreulicherweise wird es im Februar 2017 zudem erstmals eine Einzelausstellung der freundinnen geben. Und auch wenn das Konzept der Ausstellung noch nicht feststeht, sprich, inwieweit es eine tatsächliche Werksschau und nicht ein offeneres Format wird, scheint es doch dringend notwendig, ein Werk überblicken zu können, das in mittlerweile 17 Jahren konstant gewachsen und gediehen ist. Hübscherweise, wegen der von den freundinnen recht ambivalent empfundenen Bodenhaftung in Linz, wird diese Schau auswärts gezeigt werden – nämlich in Wels. Sich aufschwingen also in Wels, in der „Galerie Forum“, wo die Ausstellung stattfinden wird.

 

Auf den Netzseiten der freundinnen der kunst ist ein wunderbar persönlicher Text von Reinhard Winkler zu lesen, jahrelanger fotografierender Wegbegleiter und selbsternannter fdfdk – Freund der freundinnen der kunst: Er hat zu den freundinnen der kunst ein Abc verfasst.

freundinnenderkunst.at

 

„die beule, die mittendrin sitzt“

In wiederkehrenden Interventionen begleiten die freundinnen der kunst den aktuellen gfk-Schwerpunkt Angst. An vier Terminen aus dem aktuellen Programm der gfk finden Interventionen statt, konkret im Rahmen dieser Veranstaltungen. More to be announced.

Politics of Fear

gfk de:central im Architekturforum,

27. und 28. September, 15.00–18.00 h

Angst&Schall

Peter Androsch, Hörspaziergang #2,

6. Oktober, Start 17.00 h

Mehr Infos: gfk-ooe.at

Die kleine Referentin

Die kleine Referentin

Die kleine Referentin

Ingeborg Strobl

Wie bereits im Vorjahr widmet das Lentos Kunstmuseum auch heuer wieder seine Sommerausstellungen weiblichen Positionen. Maren Richter über Ingeborg Strobls mulitreferentiellen Kosmos – und über eine Schau, die noch bis 18. September zu sehen ist.

Ingeborg Strobl, Echter Schmuck, 1987 Foto Alfred Damm © Bildrecht Wien, 2016

Ingeborg Strobl, Echter Schmuck, 1987 Foto Alfred Damm © Bildrecht Wien, 2016

Mit Ingeborg Strobl ist im Hauptsaal nicht nur eine wichtige österreichische Künstlerin vertreten, sie offeriert zudem eine interessante Interpretation des Labels „Werkschau“. Denn die titellose Ausstellung, von Strobl selbst zusammengestellt, funktioniert weder als eigentliche Personale noch als klassische Retrospektive ihres nunmehr fast fünfzigjährigen Schaffens. Vielmehr folgt sie dem Konzept des Essayistischen, wie Kuratorin Stella Rollig in ihrer Einführung betont – also jener Technik, die, um mit gewohnten Erzählweisen zu brechen, eine bewusst subjektive Betrachtungsweise zwischenschaltet.

Entsprechend wurde die umfassende Einzelausstellung nur „Ingeborg Strobl“ genannt, was angesichts der Tatsache, dass sie sich selbst als Person ungern in den Mittelpunkt ihrer Kunst gerückt sehen will, als Widerspruch lesbar wäre, aber auch dafür stehen kann, dass sie mit hoher Eigenständigkeit das Widersprüchliche immer schon gerne suchte oder noch öfter provozierte und dabei unprätentiös die Bühne des Politischen, der Pop-Kultur, des Alltags-Banalen oder des Ethischen gleichermaßen berührt.

Bereits beim Betreten des Hauptsaals strahlt der Raum eine Ästhetik des visuellen Reduktionismus aus. Längsgestellte Vitrinen treffen alternierend auf quergestellte Stellwände, während die Museumswände selbst leer bleiben. Hier wird klar: Ingeborg Strobl ist nicht für die große Gesten. Jede der Vitrinen, die Anzahl ergibt sich im Übrigen aus dem vorhandenen Bestand des Museumsdepots, ist einer Thematik gewidmet. „Gewalt“ ist zu lesen, „Natur“ und „wachsen“ oder einfach nur „Fragmente“ oder „Biografie“. Miniaturen, Objekte, aufgeschlagene Kunstbücher, Fotografien, Aquarelle, dokumentierte Auftragsarbeiten aus unterschiedlichen Schaffensperioden werden zu additiven Mikro-Erzählungen verwoben. Tatsächlich würde im Falle einer chronologischen Aufarbeitung von Strobls Arbeit ein wesentlicher Aspekt ihrer künstlerischen Zugangsweise und gewissermaßen sogar der rote Faden der Ausstellung verloren gehen: die beindruckende Aktualität ihrer älteren Arbeiten bzw. die Zeitlosigkeit ihrer Formensprache oder jene ihrer wiederkehrenden Themen, wenn nicht sogar eine Vorwegnahme gegenwärtiger Debatten und Diskurse in der Kunst. So ließe sich im Poster „TOT oder was ist ein Gegenstand“ – eine gespiegelte Fotografie eines toten Zebras aus dem Jahr 1993 – Kritik am sogenannten „Repräsentationalismus“ oder eine Denkweise nahe dem in den letzten Jahren aufgeworfenen Begriffs des Posthumanismus bzw. eine Nähe zum Neuen Materialismus vermuten. Wobei solch eine Kategorisierung für Ingeborg Strobl vermutlich irrelevant, vielleicht sogar kontraproduktiv klingen würde und was sie dann, um dem Ausdruck zu verleihen, wenn nötig, in Interviews mit großer Vehemenz von sich weisen würde. Die in Schladming geborene und in Wien lebende Künstlerin gewährt uns mit ihrer Auswahl für das Lentos stattdessen Einblick in ihren multi-referentiellen Kosmos, für den ihr jedes Medium recht ist um zu artikulieren, dass ihr lineares Denken widerstrebt. Zu finden sind, vorwiegend kleinformatig, Collage, Grafik, (Buch)Druck, Typografie, Keramik, Fotografie, Video, Gefundenes aus der Pop-Kultur, Zitate aus Mainstream-Medien. Kurz: alles außer Malerei.

Bereits ihre frühen Keramik-Arbeiten (sie studierte Keramik an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien in den Siebziger Jahren) stehen stark im Zeichen von Tieren, biologischen Kreisläufen, (sozial)darwinistischen Ausformungen, der Schönheit des Zufälligen, des Vergänglichen, des Imperfekten. Besonders ihre Affinität zu Nutztieren, sie hat eine Zeit lang ihre Sommer als Sennerin verbracht, kommt schon sehr früh künstlerisch zum Einsatz. Manchmal verleiht sie ihnen eine ästhetische Entrücktheit oder überhöht die Nutzfunktionen ironisch, wie etwa bei ihrem Trinkkiefer in Gebrauch, ein Keramikgefäß in Form eines Unterkiefers eines Schweins aus dem Jahr 1974, das aus ihrer Zeit am Londoner Royal Collage of Art stammt und das in Form einer Fotografie von sich gemeinsam mit Studienkollegen zugleich davon zeugt, dass Begegnungen und Austausch mit KollegInnen immer wieder eine Rolle spielten. So war Ingeborg Strobl Teil der Performance-Gruppe Die Damen. Die als „Agentur für selbstbewusste Kunst von Frauen“ 1987 von Ona B., Evelyne Egerer, Birgit Jürgenssen (1949–2003) und Strobl gegründete Performance-Gruppe übte sich in ironischem, institutions- und gesellschaftskritisch motiviertem aber auch selbstreflexivem Feminismus. Dennoch stieg sie nach sechs Jahren aus, vielleicht eben weil die Selbstinszenierung und das dafür notwendige Labeling als methodische Triebkraft, wie er von Die Damen eingesetzt wurde, nur in Teilen ihrem künstlerischen Zugang entsprach.

Ingeborg Strobl ist zweifelsohne politisch und feministisch. Sie sucht jedoch nach einer Art Meta-Ebene, die sie in mikro-politischen oder vielleicht auch beiläufigen Momenten findet. Oder wenn sie mit zarten Formen und Farben mit konnotierter Weiblichkeit spielt, dann berührt sie genauso kritisch wie verführerisch Bezugspunkte der Kunst, etwa Reinheitsdiskurse oder kanonisierte Vorstellungen. Sie arbeitet – so könnte man es vielleicht auf einen Punkt bringen – an Formen der Durchlässigkeit, verharrt offensiv in Zonen des Übergangs und sensibilisiert mit ihren mal kühlen, mal bildpolitisch eindringlichen wie plakativen, dann fast campen Gesten für hybride Kontexte der Wahrnehmung.

„… it’s all political“ ist zu lesen unter einem Schwarz-Weiß-Druck, in dem ein Martial-Art-Kämpfer einen Motorradfahrer attackiert. „Welcome to the World“ über einem weinenden Kinderkopf als Einleitung in ein Wild-West-Comic. Ihre Strategien heißen Aneignung und Misstrauen gegenüber Regelwerken, Rollenbildern und Stereotypen, ob jene der Kunst oder die der Gesellschaft, woraus sie offen angelegte Erzählungen spinnt, diese vor allem aber auch in eine visuelle Sprache übersetzen möchte, die berücksichtigt, dass es ein „Außerhalb des Museums“ gibt. Oder zumindest bedenkt, dass das „Innerhalb“ Grenzen aufweist, indem sie fallweise nahelegt, die Grenzen zum Kunstgewerbe oder zur Werbeästhetik (wie im Plakatsujet für die Ausstellung „Paradeiser“) zu durchbrechen und als kontingentes Ensemble von Praktiken und Gegenständen, in dem die Künstlerin ein Netz durchaus subversiver Praktiken aufspannt, das die gängigen Mechanismen der sozialen Produktion durchkreuzt.

Die im Hauptraum angebotene Assoziationenkette findet ihre Weiterführung im Katalog, der weniger als Begleit- denn als eigenständige Publikation fungiert. Empfehlenswert zu lesen sind die unter den Abbildungen lapidar erscheinenden, fallweise autobiografischen Einblick gebenden Kommentare. Unter dem Foto von der Künstlerin Margherita Spiluttini einen gehäuteten Hasen haltend ist beispielsweise zu lesen: „Am 2. Mai mit Margherita als versierte und nicht so leicht zu erschreckende Fotografin bei einem Kaninchenzüchter: ein professionelles Foto eines frisch getöteten Tieres (liegt in seinem Blut auf einem Aquarell) wird benötigt. Andere befreundete Fotografen, Männer, hatten verweigert. An einem der nächsten Tage ein köstliches Mahl in kleiner Runde.“

Der hintere Ausstellungsraum ist einer Auswahl von Videos gewidmet, die sich in ähnlicher Form wie der Katalog als visuelle Logbuch-Eintragungen, Feld- und Randnotizen lesen und in der Fülle bisher noch nicht gezeigt wurden.

Alles in allem ist der Besuch der sehenswerten Ausstellung von Ingeborg Strobl ein Eintauchen in eine künstlerische Denk- und Produktionsweise, wie sie selten so unverblümt und direkt, daher auch in gewisser Weise verletzbar, von KünstlerInnen offengelegt wird.

 

Ingeborg Strobl, bis 18. September im Lentos Kunstmuseum

Blitzlichtführung durch die Ausstellung in Englisch und Türkisch am Samstag, 3. September, 16.00 h

lentos.at