Leerraum

„Skulpturenpark Westautobahn“, „DECOY“, 2016

„Skulpturenpark Westautobahn“, „DECOY“, 2016

An der Verbindungsstelle Westautobahn (A1) und Mühlkreisautobahn (A7) haben diesen Sommer unbekannte Künstlerinnen und Künstler den „Skulpturenpark Westautobahn“ errichtet. Das von den beiden Autobahnen umschlossene und durch Lärmschutzwände versteckte Niemandsland mit Mischwald war aber nur für kurze Zeit Ausstellungsraum. Die zehn Skulpturen und Installationen wurden Mitte August durch die Autobahngesellschaft Asfinag wieder abgebaut. Für alle die den „Skulpturenpark Westautobahn“ auch gerne gesehen hätten – im Herbst erscheint eine Publikation.

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Dreams are my reality …

Mit Ruth Beckermanns Die Geträumten und Patric Chihas Brüder der Nacht starten diesen Herbst/Winter zwei österreichische Filme in den heimischen Kinos, die die Grenzen dokumentarischen Erzählens ausloten und somit formal unverbindlich bleiben, während sie sich zweifelsfrei der Menschenliebe verschreiben. Von Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger.

Der österreichische Film, so lässt sich etwa an seinen zahlreichen internationalen Festivalauftritten nachweisen, ist eine Erfolgsgeschichte. Eine jedoch mit Brüchen, geben die Zahlen am heimischen Box-Office doch nur einen dürftigen Widerhall der internationalen Lobgesänge. Diese ernüchternde Tatsache darf weniger als Aussage über die Qualität der Filme denn als Hinweis auf den Zustand des Kinomarkts mit seinen Verwertungslogiken interpretiert werden. Beiden widerfährt derzeit eine der gröbsten Veränderungen ihrer jüngeren Geschichte. Veränderungen, die in einem Land, in dem Kino und Fernsehen alleine schon strukturell verschränkt sind, notgedrungen auch Auswirkungen auf den ORF, den größten Arbeitgeber der Branche, haben. Diese kulturpolitische Debatte ist der Öffentlichkeit vor wenigen Wochen, anlässlich der Wahl des ORF-Generaldirektors, mit Sanftmut – quasi im Stille-Post-Modus – entgegengeblinzelt. Indirekt ist sie auch Gegenstand von Ruth Beckermanns neuestem Film. Mit ihrem hellwachen Sensorium gegenüber den Phänomenen ihrer Zeit ist Beckermann als Filmemacherin, Autorin und Künstlerin bekannt. Als sie 1987 ihren Film Die papierene Brücke vorstellte, lag die Waldheim-Affäre gerade erst ein Jahr zurück. Obwohl oder gerade weil der Film Beckermanns eigene Familiengeschichte und zugleich die Geschichte der mitteleuropäischen Juden zu erzählen suchte, fand dieses markante Wendejahr Eingang in den Film. 2001 porträtierte die Filmemacherin die Wiener Marc Aurel-Straße und wurde erneut Zeugin einer Zäsur für das republikanisch gestimmte Österreich: die Regierungsbeteiligung der extremen Rechten im Jahr 2000. Dass Beckermann fünfzehn Jahre später ihre jüngste Arbeit Die Geträumten in den Räumlichkeiten des Wiener Funkhauses, dem unlängst veräußerten architektonischen Bollwerk des intellektuellen ORF, ansiedelt, zeugt erneut von Beckermanns Gespür Zeitgeschichte en passant zu erzählen: Im großen Sendesaal treffen der Schauspieler Laurence Rupp und die primär als Musikerin bekannte Anja Plaschg aufeinander. In ihre Münder sind ihnen die Worte Paul Celans und Ingeborg Bachmanns gelegt. Ruth Beckermann inszeniert den todtraurigen und gleichwohl wunderschönen Briefwechsel, den die beiden Poeten in den Wirren nach dem 2. Weltkrieg bis zu Celans Suizid 1971 wort- und emotionsgewaltig geführt haben. „Im Wiener Funkhaus, wo die Gemälde an der Wand wie Fenster in die Welt wirken, lesen Plaschg und Rupp die Texte nicht nur ein – sie lassen zu, dass diese auf sie wirken, dass diese Liebe auf sie wirkt, in ihrem Rausch, ihrer Verlustangst, ihrem Entzücken, ihrem Erschrecken, ihrer intimen Nähe und schmerzlichen Fremdheit, aber auch in ihrem historischen Kontext der Nachkriegszeit“, schreibt die Filmjournalistin Alexandra Zawia im Katalog der Diagonale’16, wo der Film mit dem großen Preis für Spielfilm ausgezeichnet wurde. Über die Textpassagen hinaus verweilt Johannes Hammels Kamera bei den beiden Darsteller/innen und wird Zeuge, wie sich die gelesenen Worte setzen und sich ihr Nachwirken in Mimik und Gestik regelrecht abzeichnet, übersetzt. Beckermann verweigert die Suche nach schauspielerischer Entsprechung für Celan und Bachmann. Sie entscheidet sich dafür, den geschriebenen Worten der betörenden Liebesbriefe Körper zu geben, sie filmisch körperlich werden zu lassen. Dabei changiert Die Geträumten zwischen ruhigem Dokumentieren und feinfühliger Inszenierung. Es darf so gesehen auch nicht als Affront oder Chuzpe interpretiert werden, dass Die Geträumten nur wenige Wochen nach dem Spielfilmpreis beim Festival des österreichischen Films als bester Dokumentarfilm beim renommierten französischen Dokumentarfilmfestival Visions du Réel prämiert wurde. Beckermanns jüngste Arbeit, womöglich eine ihrer sinnlichsten, verweigert sich bewusst jeder Genrekategorisierung und ist doch ein deutliches Dokument ihrer Zeit. Mit Laurence Rupp, der dem Filmpublikum nebst TV-Auftritten vor allem aus Andreas Prochaskas Coming-of-Age-Genrearbeit In 3 Tagen bist du tot wohlbekannt ist – und Anja Plaschg alias Soap&Skin lädt Beckermann zwei zeitgenössische Künstler/innen ein, Worte – die über die Jahre weder Zauber noch politische Brisanz eingebüßt haben –, an einem Ort zu studieren, zu lesen, zu verkörpern, der lange Zeit für intellektuelle Besonnenheit und Gemächlichkeit stand (Attribute, die möglicherweise als Kern eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrags zu verstehen wären und gegenwärtig dem Zeitgeist geopfert werden). Beides gilt es gegenwärtig wieder verstärkt zu verteidigen. Gegen Marktlogik und einen ökonomisierten Kulturbegriff etwa, der zunehmend mit Schlagworten wie City-Branding hantiert.

Am anderen Ende einer solchen City liegen Schiffe am Donauufer vor Anker. Zur sehnsüchtigen Schwere einer Opernarie umarmt die Skyline das Wiener Nachtschwarz – und dieses wiederum die Protagonisten eines weiteren österreichischen Genrehybriden, der bei der Diagonale in Graz seine Österreichpremiere gefeiert hat: Brüder der Nacht von Patric Chiha rückt die Lebensrealität bulgarischer Stricher in den Fokus. In Wien verkaufen sie ihre Körper an wohlhabende Freier, gebären sich als Verführer und Gangster, stark und verletzlich zugleich. Obgleich sich ihre Leben beinahe diametral zu Rupp und Plaschg entfalten, finden sich doch Überschneidungen zu Beckermanns Die Geträumten: Ohne jeden Zweifel muss auch Patric Chihas Film – en passant – als hochgradig politisch gelesen werden; als Arbeit, aus der sich Aussagen über eine europäische Metropole im Spätkapitalismus ableiten lassen. In Chihas Interpretation sind die jungen Roma, die sich wie auf Theaterbrettern grazil durch diese politische Geographie bewegen, Popstars – sie glänzen, sind mächtig und (selbst-)verliebt. Sie sind „keine Schauspieler, auch wenn sie sich gern zur Schau stellen und spielen“, bemerkt er im Interview, „manchmal wie Tigerjungen, manchmal wie die schwulen Matrosen aus Rainer Werner Fassbinders Querelle, manchmal wie Marlon Brandos Enkel, die ihre Lederjacken wie Schutzhüllen tragen.“ Unter den dunklen, feuchten Brückenbögen und in den diffus beleuchteten Kaschemmen der Stadt ist ihre Selbstinszenierung emanzipatorische Geste, während sich nur wenige Kilometer entfernt zwei Schauspieler im Wiener Funkhaus einem Text annähern, und dabei zunehmend die eigene Rolle in Film und Alltag befragen. Während hier die bedächtige Reflexion und der Denkprozess zum Filmbild wird, dürfen Chihas Protagonisten in bester Bühnenmanier glitzern und leuchten. „Ich bin nicht die Polizei“, sagt Chiha selbst, „ich bin ein Filmemacher“, und so sind es nicht Gesetze, sondern sämtliche Regeln der Kunst, die er mit seiner ureigenen dokumentarischen Form, verspielt, aber niemals leichtfertig, auslotet. Paradoxerweise ermöglicht gerade dieser Bruch mit den Methoden eines authentizitätsfixierten Dokumentarismus sowie das Zugeständnis an Inszenierung und Überhöhung, dass Chiha den Protagonisten näherkommt, ihren Sehnsüchten, Hoffnungen und Träumen glaubhaft nachspürt. „Dreams are my reality“, hieß es schon in einer Pophymne zum Coming-of-age-Klassiker La Boum. Andere Baustelle. Doch letztlich ist Richard Sandersons eingängige Hook sowohl für Brüder der Nacht als auch für Die Geträumten geradezu trefflich. Dann nämlich, wenn der genuin immer schon träumende Pop nicht bloß als Hymne oder Soundtrack, sondern vielmehr als bedacht gesetzte Geste verstanden wird: Pop und Traum als Konzept und künstlerische Strategie. Hier die Künstlichkeit als dokumentarische Methode, da die Verschmelzung von Avantgarde und Pop, die Thomas Hecken als Avant-Pop beschrieben hat und sich vielleicht an keinem Ort so vollmundig inhalieren lässt, wie im Wiener Funkhaus, das bis dato sowohl Heimstätte von Radio Ö1 als auch Radio FM4, von Hoch- und Popkultur, U- und E-Musik war. Dass sich an diesem Ort die Biografien von Ingeborg Bachmann und Soap&Skin, einer der wohl progressivsten und meistbeachteten Musikerinnen dieses Landes, verweben, weist Schubladendenken schon generell als obsolet aus – ein Gedanke übrigens, der nur allzu gut mit dem Genrebruch der beiden besprochenen Filme korrespondiert. Neben diesem Status als Hybrid im Dazwischen der Konventionen ist ihnen dabei eine wahrlich zärtliche Nähe zu den Protagonist/innen und ihren Lebensrealitäten gemein. In einem Land, das unentwegt auf die dritte Republik zusteuert und das Miteinander zugunsten eines nationalstaatlichen Wir überwirft, ist das nicht nur ein Gewinn, sondern eine politische Geste des Aufbegehrens und Widerstands.

Man möge sich auf das Gedankenspiel einlassen, Laurence Rupp und Anja Plaschg nähmen nach ihrer Aufnahmesession im Funkhaus ein Taxi mit dem Ziel Donauhafen. Dort träfen sie auf Chihas junge Helden und verlören sich gemeinsam zwischen Textzeilen und flackerndem Licht, melancholischer Stille und sehnsüchtigen Beats einer Wiener Parallelwelt. Eine Zusammenkunft, die es freilich nie geben wird, außer – zeitlich getrennt – auf der Leinwand der heimischen Kinos. Dort sind beide Film diesen Herbst/Winter zu sehen. Eine dringliche Empfehlung.

We need to talk about gonads.

Sportliche Wettkämpfe wie Olympische Spiele interessieren mich nur bedingt und wenn, dann meist aus der aufrichtigen Bewunderung für gut trainierte Körper, die mir vor Augen führen, zu welch marmornen Stellen auch mein Körper – in seiner Grundausrichtung nicht unsportlich angelegt – fähig gewesen wäre.

In die mediale Berichterstattung über die diesjährigen Olympischen Spiele allerdings hat es mich regelrecht hinein gesogen, hauptsächlich mittels auf den ersten Blick harmloser, in der Summe aber sehr ernüchternder Berichte und Interviews: Wenn es um gleichwertige Anerkennung, Entlohnung und Wertschätzung von Arbeitsleistung unterschiedlicher Geschlechter geht, wurden wir offenbar ganz weit zurückgeworfen. Spätestens seit diesen Olympischen Spielen ist klar: Es ist schlicht und ergreifend Sexismus, den wir diskutieren müssen. Die Presseberichte und Interviews während diesen Olympischen Spielen, in denen männliche Leistungen hervorgehoben, weibliche kleingeredet wurden oder Ehemänner durch ihr Verhalten am Beckenrand etwa mehr an Aufmerksamkeit generierten als ihre Medaillen gewinnenden Ehefrauen, existieren in unübersichtlich großer Zahl. Unvergesslich auch die Diskussion darüber, ob Beachvolleyball spielende Frauen wirklich nur in knappen Bikinis oder doch auch in Ganzkörperanzügen zur Ausübung des Sports fähig sind. Tennisstar Andy Murray (der zwischen 2014 und 2016 von der Französin Amélie Mauresmo trainiert wurde und sich als Feminist bezeichnet) reagierte zwar in der Tat schlagkräftig, als ein BBC Reporter ihn als den „ersten“ ansprach, „der im Tennis zwei Goldmedaillen geholt habe“ und er betonte, dass Serena und Venus Williams wohl jede bereits vier Goldmedaillen gewonnen hätten – dennoch bleibt zu befürchten, dass dieser Sexismus, der hier durch die Medienberichterstattung zu und über Olympia einmal mehr an die Oberfläche schwappte, systemimmanent ist – unabhängig ob das System Sport, akademische Laufbahn, Politik oder Kunst und Kultur heißt. Im Sport allerdings scheint er sich besonders hemmungslos auszuleben, betrachtet man etwa den Leichtathletik-Weltverband IAAF und seine 2011 erstellten, seit 2015 nach einem Einspruch der indischen Läuferin Dutee Chand und einem Urteil des Internationalen Sportgerichtshofes zumindest ausgesetzten „Testosteron-Regeln“ für weibliche Sportler, die im Fall erhöhter natürlicher Produktion von Hormonen wie Testosteron „medical interventions“ über sich ergehen lassen müssen, um weiterhin im Bewerb bleiben zu dürfen. Laut Journalistinnen wie Susie East für CNN, die darüber auch im Zuge der Olympiade 2016 berichteten, bestätigten vier anonym bleibende Sportlerinnen, dass bei ihnen zwischen 2011 und 2015 auch die Entfernung der Eierstöcke und Teile der Klitoris zu diesen „medizinischen Eingriffen“ zählten – medizinisch nicht notwendige Eingriffe, da etwa eine verlängerte Klitoris maximal ein Symptom von Hyperandrogenismus ist, wie dieser Überschuss an männlichen Hormonen genannt wird. Völlig zu Recht fragten sich andere Journalistinnen wie Emily Willingham auf forbes.com, ob denn auch die Penislänge bei Männern nun ausschlaggebend für die Teilnahme an Bewerben sei und nötigenfalls eine Verkürzung oder Verlängerung des Penis bzw. eine Entfernung der Hoden vorgeschrieben würde (Would the IAAF ask a man to give up his gonads and remove half of his penis to be allowed to compete, simply because that man naturally produces more testosterone than the average male? Emily Willingham, forbes.com, 15. 8. 2016).

Abgesehen von diesen ungeheuerlichen Eingriffen erzählt bereits die Vorgeschichte dieser „Sex Testings“ von einem besessenen, zwanghaften Beharren auf einem binären Geschlechtersystem und von purem Sexismus: Denn um in „den Verdacht“ zu kommen, als Athletin zu viel an Testosteron produzieren und sich anschließend dem IAAF Geschlechter-Test zu unterziehen, reicht es aus, unfeminin zu laufen, einen unfemininen Körper oder männliche Gesichtszüge zu haben.

Gegen diese Praxis des IAAF entlarvt sich der pseudofeministische Diskurs, den nicht nur rechtspopulistische Politiker_innen derzeit führen (wollen), einmal mehr als bloßer Deckmantel für Islambashing. Das „Beschneiden“ und „Zurechtstutzen“ eines weiblichen Körpers, das Bestimmen dessen, was als weiblich zu gelten hat aus der Perspektive und unter Ausführung eines männlichen Regulativs finden hier, in der westlichen Welt, vor unser aller Augen im Namen des Sports statt. Das schmälert nicht die Verbrechen an Frauen, die im Namen von Religionen begangen werden, keinesfalls. Aber es zeigt, worüber wir wirklich reden sollten.

Stadtblick

Foto Die Referentin

Foto Die Referentin

Der Blick nach oben und damit eine der letzten Leerflächen im Stadtbild – der blaue Himmel. Leider in der Nacht nun von Futuremuseum-Drohnengesocks bevölkert, das auch schon mal von sich behauptet, ein neues dreidimensionales Kunstwerk zu sein, Kunst und Technologie zu verschmelzen, und die übliche Schönfärberei betreibt. Ob der „neue künstlerische Raum“ mit Drohnenvolk drin tatsächlich „Drohnen-Kunst statt Krieg und Überwachung“ bedeutet … tja … hm … vielleicht am AEC Vorplatz. Weiterträumen.

 

Über „Drohnenkunst und Drohnenkill“ schreibt Leo Furtlehner auf seinem Blog
furtlehner.wordpress.com/2016/08/22/ueber-drohnenkunst-und-drohnenkill

Zum Thema findet sich auch ein ca. 15minütiger „Kommentar der Woche“ in einer Frozine vom Jänner 2016 cba.fro.at/305681

Angeschnallt im begrenzten Leben

Es hat sich zugetragen: Am 8. 8. zur 8. Abendstunde tat sich ein magisches Zeitfenster auf, wo keine Chemtrails am Himmel waren. Ein Himmel wie ausgeputzt, gereinigt und ausgewischt, ganz sauber. Pamela Neuwirth fühlte sich relativ sicher und traf sich in der Alten Welt mit dem Kollektiv, das sich selbst „Die Regionären“ nennt. Ein Gespräch über regionäre Methoden, Ziele und die im Herbst in Linz stattfindende „Konferenz der Begrenzten“.

Sauberkeit, Sicherheit und Ordnung

In der Unordnung der großen weiten Welt braucht es klare Linien. Herr und Frau Österreicher schauen in eine ungewisse Zukunft, wo das Unheil jeden Moment im Freibad zuschlagen kann. Andreas Gabalier, der selbsternannte Volks-Rock’n’Roller, auch schon mal mit Koteletten in Schwarz-Rot-Gold auf der Volksmusikbühne, hat während seines Konzerts in München verlautbart, dass man „hierzulande kaum mehr aus dem Haus gehen kann“. Er sagt, er hat eine Meinung, die er, wie die Süddeutsche berichtet, zwar nicht verrät, aber so viel hat er dem Publikum dann verraten und sich so weit deklariert, dass nämlich (auch) er uns beschützen will. Versucht Gabalier unsere „Hoamat“ mit seinem Mikroständer zu verteidigen, der tatsächlich eine Astgabel ist, an der rotweiß-karierte Schneuztüchl und ein Gamskrickerl prangen? Zumindest scheint das Thema Ordnung und Sicherheit auch den kernigen Steirerbuam zu bewegen.

Vom Gabalier’schen Verteidigungs-Singsang bis zum Trump’schen Grenzzaun zwischen USA und Mexiko – übrigens ein Unterfangen beinahe in der halben Größenordnung einer chinesischen Mauer – entstehen von derart finsteren Stimmungen angestiftet, eben auch in den kleineren Gefilden eines lokalen Bewusstseins derartige Ideen, so gesehen – nomen est omen – bei den sogenannten „Regionären“. Im Interview mit den „Regionären“ zeigt sich, dass auch diese Gruppe Handlungsbedarf sieht – und zwar in der eigenen Region. Es ist eben nicht hüben wie drüben. Es geht auch nicht darum, dass Linz nicht Chicago werden darf. Es geht den „Regionären“ noch viel, viel schlichter darum, dass die Stadt die Stadt und das Land das Land bleibt. Über den erbitterten Kampf der „Regionären“ gegen die „Mühlviertlerisierung von Linz“ hat NEWS bereits im Februar berichtet.

Ein Bodensatz solcher Abgrenzungsbedürfnisse existiert offenbar allerorts. Eine andere Gruppe, die Rede ist von den „Identitären“, hat eine bösartige Störaktion an der Uni Wien in sozialen Medien und auf gut Deutsch im Gesichtsbuch, damit legitimiert, dass die Tat eine „ästhetische Intervention“ sei und suggeriert die nationalsozialistische Blut- und Bodensymbolik als künstlerisches Stilmittel. Jeder kann sich heute wie in einem Selbstbedienungsladen alles nehmen, was es an Code und Strategie so braucht. Es gibt ja auch die Nipsters, die als Neo-Nazis den Bio-Biedermeier-Style der Hipsters für sich reklamiert haben. Nichts ist wie es scheint, andererseits ist alles wie es ist. „Eine blaue Kornblume ist einfach eine schöne Blume“, ist sich der Flugzeugtechniker, Chemtrail-Verschwörungsaspirant und Bundespräsidentschaftskandidat Norbert Hofer von der „sozialen Heimatpartei“ sicher. Die Kronen Zeitung titelt Anfang August: „Ruck nach rechts. Regierung lässt der Strache-FPÖ kaum noch Luft“ und behauptet, dass sich „seit Längerem ein Rechtsruck der Regierung abzeichnet“. Anlass dieser Schlagzeile war allerdings etwa nicht die Flüchtlingspolitik der österreichischen Regierung und ein vermeintlich damit zusammenhängender Rechtsruck, sondern die klar formulierte Positionierung der Regierung gegen den türkischen Weg in die Diktatur, was dadurch angezeigt ist, dass diese innerhalb kürzester Zeit die freie Presse abgeschafft und den Rechtsstaat ausgehebelt hat. Strache (Opposition), so verkürzt es die Krone, freut sich jedenfalls, dass Kern (Regierung) ihn kopiert. Nun stehen alle rechts. Aber wer ist wer? Auch in der regionären Bewegung weiß man: Es ist alles gefährlich Unübersichtlich geworden. Was also tun? Endlich Grenzen setzen!

Stadtmauer her, Brücke weg

Die KUPF, die es schließlich wissen muss, glaubt auch an das regional Gute, Wahre und Schöne eines begrenzten Konzepts und hat die „regionäre Bewegung“ durch den KUPF Innovationstopf fördern lassen. Die Jurierung des regionären Konzepts fand im Frühjahr statt, wo sich die Regionären im Untergrund aber längst formiert hatten. Die Regionären nutzten die Gunst der Stunde und legten den Grundstein ihrer Bewegung schon im Februar mit dem Abriss der Eisenbahnbrücke zusammen und traten auf der Baustelle als Luther-Blissett-Donald-Trump-Formation in Erscheinung. Weitere Aktivitäten setzten die Regionären bei den Demonstrationen „Lichter für Österreich“ aus dem Umfeld der Identitären, die eine giftige Mischung aus unlogischer Dogmatik, rechter Polemik und kruden Verschwörungstheorien hochkochen. Den Regionären war bei den Demos bald klar, dass selbst die Polizei ihre liebe Not hat: Wer ist hier wer? Wer ist Demonstrant und wer Gegendemonstrant? Exakt bei dieser Unklarheit wollen die Regionären ansetzen. Sie treten für noch mehr Grenzen in den Köpfen und im Stadtraum ein! Die Trennung von Stadt und Land durch das Schleifen der Eisenbahnbrücke war ein erster sichtbarer Erfolg; auch die alte Stadtmauer wieder hochzuziehen, wäre aus Sicht der Regionären eine sinnvolle städtebauliche Intervention, um die Stadt vor einer Invasion von außen zu schützen. Während die Identitären mit dem Identitätsbegriff kämpfen („Identitär kommt von Identität“) haben die Regionären längst politische Forderungen gesetzt, die sich durch fortlaufende und erweiterte Grenzziehungen viel effektiver realisieren lassen. Während die Identitären den „Großen Austausch“ ideologisch beklagen, haben die Regionären schon konkrete Vorschläge für eine „urbane Identität“. Während die Identitären gegen einen Prozess arbeiten, der kein Naturschicksal ist und wo die Österreicher durch geringe Geburtenrate und Masseneinwanderung vom Aussterben bedroht sind, verfolgen die Regionären die Vision einer Welt mit noch mehr Grenzen. Während die Identitären im Rettungsversuch der „österreichischen Rasse“ selbst vor linken Sprachcodes nicht Halt machen: „Wir schaffen Orte der Gegenkultur, identitäre Freiräume und Strukturen der Reconquista!“, handeln die Regionären pragmatisch und wollen Zäune und Mauern zwischen Stadt und Land errichten, wo sich doch ein jeder in die urbanen Sicherheitszonen zurückziehen soll. Stadt muss Stadt, Land muss Land bleiben: Schöne, neue Welt der wirklichen Einfalt.

Konferenz der Begrenzten

Die Stadt als Region, die es noch weiter zu begrenzen gilt. Wo ist der Spaß, wo der Ernst? Die Regionären überhöhen die um sich greifende und begrenzte Identitäts-Mimikry und entlarven diese gefährlichen Tendenzen mit den Mitteln der Kommunikationsguerilla; diese deckt einerseits die Macht und die Funktionsweise der Massenmedien auf, andererseits konterkariert sie destruktive Politiken oft durch Persiflage. Heute werden solche verkehrte Taktiken, wie die Desinformation, neben klassischen auch an sozialen Medien angewandt. Notwendig und aktuell ist das auch, weil die freie Presse von den Rechten zusehends durch das Unwort das Jahres 2014, nämlich im Begriff der „Lügenpresse“, ad absurdum geführt wird. Dem arbeitet die „regionäre Bewegung“ mit Fake und Satire entgegen, um so die reaktionären gesellschaftlichen Kräfte zu entlarven und zu entstellen. Die Regionären ermitteln die Grenzen zwischen Wahrheit und Täuschung, die Grenzen zwischen Theater und Alltag, die Grenzen zwischen ernstem Protest und spaßiger Rebellion. Bei der Konferenz der Begrenzen, die am 14. und 15. Oktober 2016 in der KAPU stattfindet, steht die Präsentation der „regionären Bewegung“ im Zentrum. In unterschiedlichen Formaten wird aufgezeigt, welche Erfahrungen die Regionären im Laufe des Jahres mit ihren begrenzten Aktionen gemacht haben und was sich an den „Grenzen der Satire“ aufgetan hat. Auch darum – so die Regionären – soll es im Jubiläumsjahr von DADA auf der „Konferenz der Begrenzten“ gehen.

 

Eine Anmeldung zur „Konferenz der Begrenzen“ ist möglich unter rb_linz@gmx.at.

TischTennis, Go!

In Zeiten der Vereinzelung im Spielverhalten der Menschen, gekrönt mit dem Höhepunkt der kontrollierten Verblödung der Massen in der Öffentlichkeit mit Pokémon Go!, möchte ich auf das Wesen des Spiels Bezug nehmen. Laut Spielwissenschaft ist „das Spiel eine grundlegende menschliche Aktivität, die Kreativität, und im Wettkampf Energie und Kraft freisetzt. Es enthält somit das Potential, verfestigte Strukturen zu durchbrechen und Innovation hervorzubringen.“ Anhand des Erklärungsmodell des Homo ludens (dt. der spielende Mensch) entwickelt der Mensch seine Fähigkeiten vor allem über das Spiel. Er entdeckt seine individuellen Eigenschaften und wird über die dabei gemachten Erfahrungen zu der in ihm angelegten Persönlichkeit. Spielen wird dabei der Handlungsfreiheit gleichgesetzt und setzt eigenes Denken voraus. Das Modell besagt: „Der Mensch braucht das Spiel als elementare Form der Sinn-Findung.“ Grundsätzlich wird unterschieden zwischen Spielen, die einem spontanen Impuls nach spielerischer Betätigung folgen, die aus sich selbst heraus Sinn ergeben („zweckfreie Spiele“) und Spielen, die für bestimmte Interessen außerhalb des Spiels instrumentalisiert werden („zweckgerichtete Spiele“). Mit der Frage, welch bestimmte Zwecksetzung das obengenannte Spiel verfolgt, möge sich bitte jeder selbst auseinandersetzen und kritisch hinterfragen. Mein Plädoyer für das Spiel als sozio-kulturelles Phänomen, bei dem die Freude und das Zusammenkommen der Menschen im Vordergrund stehen, erläutere ich nun anhand diverser TischTennis-Aktivitäten in der Freien Szene Linz.

Das derzeit beliebteste Zusammentreffen vieler Menschen zum gemeinsamen Spiel ist wohl turn|table|tennis in der Stadtwerkstatt. Die Kombination aus Ringerlspiel und gepflegtem turntablism scheint das Herz vieler zu treffen und ist ebenso bei „Auswärtspielen“, z. B. Goldener Container am OK-Platz, ein beliebter Treffpunkt. Bei diesem Spiel besteht für schwächere SpielerInnen die Möglichkeit, sehr lange im Spiel zu bleiben. Meist geht es freundschaftlich zu und die Besseren spielen ihr Können nur gegen andere gute SpielerInnen aus, wenn es darum geht, selbst im Spiel zu bleiben oder letztendlich im Finale. Während des Rundgangs um den Tisch wird getratscht, getrunken, gescherzt, gelacht und guten Spielwechseln Applaus gezollt.

Bereits im Jahre 2012 organisierten Black Devil & The Cranes das größte Ringerl der Welt am Ottensheim Open Air. Jenes Kollektiv veranstaltet Turniere im Einzel- und Doppelmodus, nur um im Anschluss eine offenes Ringerl spielen zu können. Eine kreative Variante des TischTennisspiels setzte dieses Team bei den Kapustan Staatsmeisterschaften 2014 um. Das Doppel wurde auf zwei nebeneinanderstehende Tische verlegt, d.h. jeder der SpielerInnen verteidigte eine gesamte Tischfläche. Die Neuanordnung der Regeln und des Spielbereichs forderten Hobby- und ehemalige Vereinsspieler gleichermaßen und erwies sich als gelungene und spannende Abwechslung.

Ein ziemlich durchgeknalltes Spektakel gestaltete das Kollektiv qujOchÖ mit der Zusammenführung verschiedenster Genres unter dem Namen acidpingpongpunkallnighter. Mit einer speziell konstruierten Pingpongplatte, fluoreszierenden Spielflächen, Stroboskopblitzen, viel Trockennebel, obligatem 80er-UV-Licht, doppelten bis dreifachen Spiegelungen, live kredenzter verzerrter Acidelektro-mit-Punk-Attitüde über ein 4-Kanalsystem und SpielerInnen, die ihr Äußerstes gaben, wurde die Nacht zur „Tour de Force“.

Auf, ihr Menschen! Lasst uns weiter zweckfrei spielen und die phantastischen Möglichkeiten des TischTennis ausloten. Mir würde ja das Spiel auf einem runden Tisch gefallen!

PS: Letzte Meldung: Chuck Norris hat alle Pokémons mit einem Festnetztelefon erschlagen.

Die Welt dankt!

 

Buchtipp Comic: Mawil – Kinderland (u. a. TischTennis als Teil der Kindheit in der eh. DDR)

Termine:

Freitag 16. 9. 16, 19.00–20.00 h auf dorf tv: Sport im Dorf mit Schwerpunkt TischTennis Sport im Dorf ist die Pilot-Sendung unserer Spiele!-Kolumnistin Andrea Winter, dieses Mal im Rahmen von „Das globale Dorf“

turn|table|tennis jeden 1. Donnerstag im Monat

Eine Fahrradbau-Passion

Wege, sich ein Fahrrad anzuschaffen, gibt es viele. Die wohl schönste Art ist es, sich selber eines zu bauen. Abseits von industriellen Fertigungen in Fernost greifen immer mehr Menschen und Kollektive zu Schraubstock und Säge, um ihre Vorstellungen vom perfekten Fahrrad Wirklichkeit werden zu lassen. Gedanken aus Johannes Staudingers passioniertem Fahrradbauerhirn.

Im Herbst 2013 beschloss ich mein eigenes Bahnrad zu bauen, um damit alsbald durch die steilen Kurven des Wiener Radstadions brausen zu können. Dieser Wunsch begleitet mich bis heute und ist bis dato unerfüllt. Trotzdem, um ein solches Projekt in Angriff zu nehmen, bedarf es einiger Recherchearbeit und als ausgebildeter Maschinenbauer war es meine Vorstellung, dass das fertige Geschoss im Handumdrehen vor mir stehen würde.

Ich entschied mich, einen gemufften Stahlrahmen mit klassischer Diamantrahmen-Geometrie zu fertigen.

Ohne eigene Werkstatt und passendem Werkzeug war ich auf die Hilfe weiterer Weggefährten angewiesen, die über die nötigen Tools, den entsprechenden Platz und die notwendige Verve verfügten. Im Internet fand ich einführende Literatur, ein Rahmenbau-Set bestehend aus Stahlrohren und Muffen, im nahegelegenen Baumarkt scharfe Feilen und Sägeblätter. In einem versteckten Keller der Linzer Altstadt stürzten wir uns auf einer wackeligen Werkbank über unser Projekt. Es wurde gemessen, diskutiert, die Rohre auf Gehrung geschnitten und bald war das vordere Trapez, schön in einer Flucht, bestehend aus Ober-, Unter-, Sattel- und Lenkrohr, zusammengesteckt. Dieses Konstrukt zu verlöten, führte uns nach Schwertberg in eine abgelegene Kunstschmiede. An einem herbstlichen Vormittag konnten wir den ersten Teil des Bahnrades in Händen halten. Doch waren die Lötergebnisse nicht zu unserer Zufriedenheit und an den entsprechenden Verbindungsstellen hing überschüssiges, hart erkaltetes Lötzinn, welches erst feinsäuberlich entfernt werden wollte. Zu diesem Zeitpunkt war das den Fahrradrahmen komplettierende hintere Dreieck noch in weiter Ferne. Bei einem pensionierten Schmied in Urfahr-Auhof mit der letzten in Linz existierenden Schmiedeesse mit offenem Feuer versuchte ich mein Glück. Leider vergebens.

Weitere Internet-Recherchen ließen mich den Blog „Eine Chronologie des Scheiterns“ der Wiener Selberbruzzler entdecken, welche im Kollektiv für den Eigengebrauch individualisierte Stahlrahmen-Räder bauen. Ausgestattet mit zwei Kisten besten oberösterreichischen Bieres trat ich die Reise nach Wien an, um ihnen einen Besuch abzustatten. Dort wurde ich freundlichst in die Geheimnisse des Fahrradbaus eingeweiht, was in mir den Wunsch nach weiterer Wissensvertiefung schürte. Da ich gerade über ein gewisses Maß an Freizeit verfügte, versendete ich an die namhaftesten Rahmenbauer Mitteleuropas mein Anliegen, als Praktikant in ihren Werkstätten auszuhelfen, um ihnen bei ihrer Arbeit über die Schulter blicken zu dürfen. So landeten meine Anfragen in Italien, in der Schweiz, in England, in Tschechien, in Ungarn und in Deutschland. Die einzige Antwort erhielt ich vom Fuße der Dolomiten, vom Großmeister des Stahlrahmenbaus, von Dario Pegoretti. Er ließ mich wissen, dass er zurzeit keine Ausbildungen anbieten könne und er mir auf meiner weiteren Suche alles Gute wünsche …

Heuer, am 1. und 2. Juli fand bereits zum zweiten Mal das Bicycle Happening Linz beim Kunstmuseum Lentos statt. Bis dato wurde eine breite Palette interessanter Beiträge rund um das Thema Fahrradkultur präsentiert. Für mich als „passionierten Fahrradbauer“ war es dann umso erstaunlicher, dass es parallel zu mir Gruppen und Einzelkämpfer gab, welche mit dem Bauen von Fahrrädern schon viel weiter waren als ich. Die handgefertigten Stahlrahmen von Menoid mit ihren 36-Zoll-Laufrädern sind ein wahrer Augenschmaus und sind auch spannend zu fahren. David erzählte, dass sich ein kleines Kollektiv wöchentlich in einer Werkstatt in der Salzburger Straße trifft, um neue Räder zu entwickeln. Das nötige handwerkliche Wissen erlernte er bei einem Kurs eines deutschen Rahmenbauers. Seit Fertigstellung seines ersten Menoids habe er unzählige Anfragen erhalten noch weitere Fahrräder dieser Art zu bauen.

Neben dem wieder modern gewordenen Rahmenbau-Material Stahl sind natürlich auch andere Werkstoffe wie Carbon und Holz nicht zu vernachlässigen. Schon im letzten Jahr beim Bicycle Happening präsentierte die Linzer Fahrradmanufaktur My-Esel ihre Holzrahmen-Fahrräder, welche mittlerweile markttauglich und käuflich erwerbbar sind. Der in Linz ansässige Kunststofftechnik-Student Daniel Laresser beschäftigt sich intensiv mit der Carbonfaser und bietet mit seiner Marke Dalleno durchdachte Rennmaschinen an. Und Räder aus Bambus sind auch im Linzer Stadtbild seit einiger Zeit zu entdecken, wobei hier das Kollektiv Ma Bambooride aus Wien federführend ist.

Natürlich darf beim Bicycle Happening die Kunst nicht zu kurz kommen. Neben einer fabelhaft kuratierten Ausstellung im Linzer Raumschiff waren bei den Talks vor dem Lentos die Künstler Manfred Grübl und Hannes Langeder, sowie der Ausstellungsmacher Günter Mayer zu Gast. Grübl berichtete über seine Erfahrungen, wie er in der von Autos überfluteten Stadt Los Angeles mit seinem selbstgebauten Schleif-Fahrrad von Tür zu Tür fuhr, um den Menschen ihre Messer und Scheren zu schleifen. Hannes Langeder gab Einblick in seine neuesten Projekte, wobei er mit seinem neuen „Verfolger“ beim Lentos vorfuhr. Günter Mayer, Galerieleiter der Galerie der Stadt Wels, präsentierte sich selbst, angemessen in einem Vintage-Radtrikot und beschrieb seine Berührungspunkte mit Fahrradkultur, wobei er uns dann auch gleich wissen ließ, dass in seinem Haus am 1. Dezember 2016 Dario Pegoretti die Aussstellung „twentyone pieces“ eröffnen wird.

 

Link- & Info-Box 

Ceeway – bike building supplies
www.framebuilding.com

Selberbruzzler. Wiener Fahrradbaukollektiv. Eine Chronologie des Scheiterns.
www.selberbruzzler.at

Bicycle Happening. Ein Fest der Fahrradkultur im und rund ums LENTOS Kunstmuseum Linz
www.bicyclehappening.at

My-Esel. Linzer Fahrradbauwerkstätte für individualisierte Fahrradrahmen aus Holz.
www.my-esel.com

Dalleno. Auf Carbonrahmen spezialisierte Rennradschmiede des Kunststofftechnik-Studenten Daniel Laresser.
www.dalleno.com

Ma Bamooride. Räder aus Bambus.
www.bambooride.com

Galerie der Stadt Wels. Dario Pegoretti / twentyone pieces – Vernissage am Do. 1. Dezember 2016
www.galeriederstadtwels.at

Manfred Grübl. Sharpener/Scherenschleifer…
manfredgruebl.net/current

Hannes Langeder.
han-lan.com

Paris Maderna. Fahrradbauer seit Mitte der 1990er und Rahmenbauer von Ferdinand GT3 RS, sowie Fahrradi Farfalla.
mcsbike.com

Dario Pegoretti
www.dario-pegoretti.com

Das Professionelle Publikum*

Für die vielen wunderbaren Veranstaltungstipps in dieser Ausgabe bedankt sich die Redaktion wieder recht herzlich beim Professionellen Publikum. Dieses Mal mit dabei: Chris Althaler, Gerda Haunschmid, Christopher Hütmannsberger, Andreas Kump, Katharina Lackner, Sonja Meller, Felix Rank, Andrea Reisinger, Michi Schoissengeier und Anna Weidenholzer.

* Das Professionelle Publikum ist eine pro Ausgabe wechselnde Gruppe an Personen aus Kunst und Kultur, die von der Redaktion eingeladen wird, für den jeweiligen Geltungszeitraum Veranstaltungsempfehlungen für unsere Leserinnen und Leser zu geben.

Das Professionelle Publikum

Das Professionelle Publikum

Foto: Monika Merl 2009

Foto: Monika Merl 2009

Chris Althaler
ehemals Video- und Installationskünstlerin, Gründerin der Ürfährwändchöre, Kuratorin, eben erreichte Alterspension (jahrzehntelang Sozialarbeit), erneut Kunst anstrebend.

Tipps:
Spätsommerfest in Alt-Urfahr West
Rock das Dach – Benefizkonzerte

 

Foto: Luna Rosa

Foto: Luna Rosa

Gerda Haunschmid
Netzwerkerin, Aktivistin, Geschichtenerzählerin, Künstlerin. Gerne an Schnittstellen und in unerforschten Räumen unterwegs. Den Kopf immer in den Wolken und mit beiden Beinen am Boden.
Infos: www.haunschmid.biz

Tipps:
Wiedereröffung luft*raum
Symposium „Virtual Reality im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsbereich“

 

Foto: Jenny Reusse

Foto: Jenny Reusse

Christopher Hütmannsberger
ist Exillinzer in Wien, macht Spoken Word, Schauspiel und rappt als „Selbstlaut“. Hin und wieder ist er Student.

Tipps:
Rapslam + Selbstlaut Releaseshow
Akua Naru „Black Noise Tour“ support: The Unused Word

 

Foto: Peter Lang

Foto: Peter Lang

Andreas Kump
pendelt als freier Werbetexter permanent zwischen seinem Hauptwohnsitz Wien und seinem Nebenwohnsitz Linz.
Infos: www.andreaskump.at

Tipps:
Linzer Aufbrüche 1979–1989
Alte Sau (Hamburg), Kometa (Wien)

 

KL_PortraitKatharina Lackner
ist freischaffende Künstlerin.

Tipps:
Ausgezeichnet. Klemens Brosch-PreisträgerInnen
Kinoangebot speziell für Eltern mit Babies und Kleinkindern

 

Foto: privat

Foto: privat

Sonja Meller
ist Künstlerin, lebt und arbeitet in Linz.

Tipps:
Tage des offenen Ateliers
Kunst am Bau

 

Foto: Werner Sobotka

Foto: Werner Sobotka

Felix Rank
Schauspieler aus Wien. Seit der Saison 2012/2013 fixes Ensemblemitglied am Theater Phönix.

Tipps:
Die Gerechten
FAUST-THEATER

 

Foto: Javed Mehr

Foto: Javed Mehr

Andrea Reisinger
Kunst-und Kulturaktivistin, Ko-Geschäftsführerin FIFTITU% – Vernetzungsstelle für Frauen in Kunst & Kultur

Tipps:
Fahrende Händlerinnen des Grenzenlosen Wissens
Walking Concert #21: Dr. Didi

 

Foto: privat

Foto: privat

Michi Schoissengeier
radelt gerne das ganz Jahr immer wieder zu Kulturveranstaltungen und übt sich immer wieder selber im Organisieren dieser.

Tipps:
Inter*Trans*Thementag
Critical Mass Fahrraddemo – durch die Stadt radeln

 

Foto: Otto Reiter

Foto: Otto Reiter

Anna Weidenholzer
Schriftstellerin, geboren 1984 in Linz, lebt in Wien.
Infos: annaweidenholzer.at

Tipps:
Buchpremiere!
Original Linzer Worte

 

Tipps von Die Referentin

Die Referentin

 

 

Tipps:
PROSA ALS SPRACHKUNST – EINE BEHAUPTUNG
Susanna Gartmayer / Hassan Farahani

Editorial

Durch diese Ausgabe spannt sich ein Bogen, der „Genuss und Kritik“ der Weltoberfläche heißen könnte – was sich zusammensetzt aus einer Veranstaltungs- und Ausstellungsreihe diverser Häuser, die im Motto-O-Ton für „Landschaft oder vom Genuss der Weltoberfläche“ stehen: Hier ist exemplarisch für die Landesgalerie Clemens Bauder mit Manfred Grübl ans Wasser gegangen und hat sich quasi auf eine autarke schwimmende Insel begeben, während Robert Stähr, ausgehend von Sara Ventronis mächtigen Gasometern in der Galerie maerz, außerdem einen Spaziergang durch die Häuser afo, Nordico und Stifterhaus unternommen hat. Kommen wir aber zur Kritik der Weltoberfläche, was hier frei formuliert dafür stehen soll, dass Ende Mai beim Festival AMRO – „Art Meets Radical Openness“ die Weltoberfläche sich ein wenig problematischer darstellte: Hier schreibt Anna Masoner rund ums diesjährige Thema „waste(d)“. Und Manu Luksch, die beim Festival zugegen war, stellt im Interview über ihren Film „Dreams Rewired – Die Mobilisierung der Träume“ absolut bemerkenswerte Verbindungen zwischen einem vergangenen Utopia und den Autonomiefragen der heutigen Gesellschaft her. Die Kritik kommt zweifelsfrei härter daher, keine Frage. Wer jetzt aufs Festival neugierig geworden wäre: Leider schon vorbei, leider bis nächstes Jahr warten.

Natürlich weist Die Referentin #4 aber weiter auf Dinge hin, die noch zu sehen sind. Im Falle der Salzamt-Ausstellung „EXPOrt, IMpORT, imPULS“ genau genommen noch bis 10. Juni: Die Salzamt-Präsentation von ausgewählten Projekte der Sonderförderprogramme spiegelt sich etwa in einem Text von Stephan Roiss über Ingo Leindeckers vielfältige künstlerische Tätigkeiten wider, unter anderem über das im Salzamt präsentierte Projekt TODABLEITER. „EXPOrt, IMpORT, imPULS“ war außerdem mit Anlass für die Referentin Tanja Brandmayr, mit Hannes Langeder zu sprechen, was außer der im Salzamt vertretenen Luxuskarossen und der „Kunsthalle“ rund um das „Institut für erweiterte Kunst“ los ist. Und, ein kleiner Hinweis, der uns am Herzen liegt: Die oftmalige Referentinnen-Autorin Pamela Neuwirth ist diesmal nicht im Heft zu lesen, sondern mit ihrem eigenen imPULS-Projekt „Lunatic“ angekündigt, nächtens auf Radio FRO zu hören. Hierzu ein kleiner Tipp in unserem Veranstaltungs-Must, dem „Professionellen Publikum“, das wie immer die Perlen der kulturellen Aktivität listet.

Was gibt es sonst noch? Aufmerksamen LeserInnen wird auffallen, dass diesmal die Rubrik „Lokale Lokale“ fehlt – die allerdings nur temporär aussetzt. Dafür gibt es eine neue Kolumne – Andrea Winter berichtet rund um „Spiele!“. Herzlich Willkommen.

Und kurz noch zwei weitere inhaltliche Klammern, die der werten Leserinnenschaft nicht vorenthalten werden sollen: Zum einen widmen sich sowohl Elisabeth Lacher als auch Daniel Steiner Aspekten des künstlerischen kollektiven Produzierens, wenn auch in den unterschiedlichen Bereichen Literatur und Musik. Zum anderen haben wir zwei Beiträge, die rund um Schauspiel und Ballett kreisen – aber unterschiedlicher nicht sein könnten: Silvana Steinbacher hat den, wie es so schön heißt: „scheidenden“ Schauspielchef Gerhard Willert zum Interview gebeten, also die große Bühne, während sich Christian Wellmann der höchst amüsanten und amüsanten Auslegung des Ballettbegriffs von Walter Schalter hingegeben hat.

Konklusio: Bühne, Seebühne, Wasser, Genuss der Weltoberfläche, Impuls, Export, Spiele!, Lesen – die vorgestellten Motive der Referentin #4 könnten sich auch zu etwas anderem verbinden: nämlich zu Urlaub. In diesem Sinn wünscht die Referentin das gemütlichste Auslands-Hinterland für Multikulti, das man sich vorstellen kann.

Und, was auch wieder einmal gesagt werden muss: Vielleicht gibt’s nach dem Urlaub auch eine Party.

Die Referentinnen Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

www.diereferentin.at

„Herausschälen, bis wir halbwegs zufrieden sind“

Mit Ende dieser Spielzeit kehrt Schauspielchef Gerhard Willert der Bühne des Linzer Landestheaters den Rücken und wird im Herbst durch den deutschen Regisseur Stephan Suschke abgelöst. Willert hat mit seinem Schauspielprogramm und seinen eigenen 55 Inszenierungen dem Linzer Theater eine unverwechselbare Note verliehen und das Theaterpublikum auch polarisiert.

Ein Jahr lang will sich Gerhard Willert nach Ende dieser Spielzeit einen Luxus gönnen, den er seit Beginn seiner Funktion in Linz 1998 kaum kannte: Ruhe und Entspannung, um Pläne für die Zukunft zu schmieden. Willert ist in der Nähe von Regensburg geboren und inszenierte unter anderem in Cardiff/Wales, München und Hamburg. 1993 wird er am Schauspielhaus Wien engagiert, für seine Inszenierung von Philip Ridleys Disney-Killer wird er mit der Kainz-Medaille ausgezeichnet. Als Schauspielchef und Regisseur in Linz habe ich Willert als leidenschaftlichen Theatermenschen kennengelernt, der manchmal wahre Theatererlebnisse auf die Bühne gebracht hat. Zu unserem Gespräch treffen wir uns in der Theaterkantine. Während eines verspäteten Mittagessens plant Willert mit seiner Assistentin die nächsten Tage, beide müssen umdisponieren und jonglieren, da dem Autor Christoph Nußbaumeder in seinem Stück Das Wasser im Meer, Willerts letzter Inszenierung in Linz, noch eine „Figur zugewachsen ist.“ Aus dem subjektiven Blickwinkel einer Theaterbesucherin, die seine Inszenierungen geschätzt hat, habe ich anschließend ein – vielleicht nicht objektives – Interview mit Gerhard Willert geführt.

Du siehst dich selbst als einen Theaterjunkie, was tut ein „Süchtiger“, wenn man ihm seinen Stoff nicht mehr gibt, also in diesem Fall die Bühne wegzieht?

Ich ziehe sie mir ja selber weg. Ich möchte jetzt mit dem Intendantenwechsel und bevor ich mich wieder neu orientiere noch in Linz bleiben, ruhiger treten und die Zeit nutzen, um zu lesen und zu schreiben.

Wirst du denn, um bei dem Bild zu bleiben, nicht bald deinen Stoff vermissen?

Ich denke spätestens im Herbst, wenn die Saison wieder beginnt, werde ich die Proben vermissen. Aber nicht allzu sehr, denn wenn ich jetzt schon an einem anderen Ort die neue Spielzeit hätte programmieren müssen, wäre das mit meiner Aufgabe in Linz nicht kompatibel gewesen. Inszenieren kann ich ja, auch ohne Direktor zu sein. Ich strebe jedoch wieder eine Leitungsposition an, allerdings frühestens ab der Spielzeit 2017/18. Ich lass mir Zeit, schließlich will alles gut vorbereitet sein. Bis dahin bleibe ich lieber hier als – wie so viele – nach Berlin oder München zu ziehen.

Hättest du gerne deinen Vertrag verlängert oder siehst du den Intendantenwechsel und deinen damit verbundenen Abschied aus Linz als willkommene Zäsur in deinem Leben?

Es ist eindeutig eine willkommene Zäsur. Das Landestheater hat sich durch das Neue Musiktheater verändert, ich meine das deskriptiv, nicht wertend. Es sind nicht mehr die Arbeitsbedingungen da, die mich interessieren. Da ich selbst keine Lösung für das Dilemma finde, ist es so das Beste. Das ist der Grund meiner Trennung vom Landestheater. Ich hätte außerdem ohnehin nie gedacht, dass ich so lange bleiben würde. Wenn mir jemand vor 18 Jahren gesagt hätte, dass ich 2016 noch immer hier sein werde, hätte ich ihm den Vogel gezeigt.

Wenn du an deine 18-jährige Zeit als Schauspielchef des Landestheaters zurückdenkst, was ist dir in erster Linie gelungen?

Vor sehr vielen Jahren gab mir der große Kollege Patrice Chéreau den Rat: Mach dir keine Gedanken über deinen Stil, das sollen andere tun. Auf deine Frage bezogen heißt das: wenn ich mich jetzt mit einer mittlerweile geflügelten Redewendung frage: „Wos woar mei Leistung?“, so würde ich zum einen sagen Stilpluralismus statt Monokultur, zum anderen aber und vor allem ist es das maximal emanzipierte Ensemble. Ich habe versucht, flache Hierarchien zu schaffen.

Was hättest du noch gerne umgesetzt?

Prinzipiell fällt mir inhaltlich dahingehend nichts ein, außer dass ich einige Stücke noch gerne gemacht hätte, oder um Shakespeares Zettel aus dem Sommernachtstraum zu zitieren: „Lasst mich den Löwen auch noch spielen.“ Baulich betrachtet hätte ich natürlich gerne das renovierte Schauspielhaus, das ich mitgeplant habe, eröffnet, und als kleine intime Spielstätte die Alte Tischlerei. Das eine hat das Denkmalamt verhindert, das andere unser neuer kaufmännischer Direktor. Aber bof … c’est la vie … Und ich habe letztes Jahr das Landestheater in das europäische Theaternetzwerk ETC überführt. Konkret profitieren davon werden jetzt meine Nachfolger, der Hermann und der Stephan, und das ist auch gut so.

Könntest du dich in Zukunft auch in einem anderen Beruf sehen, Gerhard Willert als Autor …

Ja, als Autor durchaus. Allerdings ohne das Theater aufzugeben.

Interessant, denn ich habe Autor eigentlich spontan und beispielhaft genannt.

Da ist dir wohl instinktiv das Richtige eingefallen. Doch, doch, literarisch zu arbeiten würde mich durchaus reizen, aber dazu fehlte mir neben dem Job bisher der Atem, übersetzen ging gerade noch. Ich war diesbezüglich manchmal neidisch auf Joël Pommerat, der beide Berufe zu verbinden weiß. (Anm.: französischer Schriftsteller und Regisseur, den Gerhard Willert für den deutschsprachigen Raum entdeckt und von dem er am Linzer Landestheater vier Stücke inszeniert hat.)

Könntest du dir vorstellen, Stücke zu schreiben?

Sagen wir so: Textsorten. Ich finde zu sagen, ich schreibe ein Stück ist bereits ein falscher Ansatz. Man muss prozesshaft arbeiten, die involvierte Energie muss die ihr adäquaten Formen finden. Wenn das dann aufgeführt wird, ist es ein Stück.

Als Schauspieldirektor eines großen Hauses verfügt man über eine nicht zu unterschätzende Machtfülle, wie bist du damit umgegangen?

Als ich nach Linz kam, war ich mir bewusst, was auch diesbezüglich auf mich zukommen wird. Aber man muss es in der Relation sehen. Seien wir ehrlich, das bisserl Macht über hundert Leute, was ist das schon? Ich bin fast sicher, dass ich da nicht gefährdet bin. Ich habe mich intensiv mit Michel Focault beschäftigt, auch andere Literatur zum Thema gelesen, ich hatte also eine Basis.

Ich hatte bereits Anfang der 1990-er Jahre das Angebot, Schauspielchef zu werden, da hat es mich noch nicht interessiert. Erste Leitungserfahrung hatte ich im Schauspielhaus Wien. Mich hat es an vielen Theatern genervt, wie mit Macht umgegangen wird, da gab es feindliche Lager, viele fühlten sich unterdrückt, die Direktoren agierten manchmal sehr willkürlich, die Regisseure standen in einem Konkurrenzverhältnis zueinander. Ich wollte ein freundschaftliches, kollegiales Klima. Von dieser Mission war ich erfüllt, als ich hierher kam, und es ist mir gelungen, sie umzusetzen.

Muss denn das nicht zwangsläufig Illusion bleiben, denn sobald Menschen miteinander arbeiten, entsteht doch Konkurrenz und daraus resultierend Konflikte. Ist Freundschaft für ein sachliches berufliches Klima nicht sogar eher hinderlich?

Das glaub ich ganz und gar nicht … und die jüngeren Erkenntnisse der Neurowissenschaften bestätigen meine Erfahrung … der Fisch stinkt vom Kopf her. Man kann durchaus mit Schauspielerinnen und Schauspielern arbeiten, mit denen man auch gut befreundet ist. Für mich war das noch nie ein Hindernis, im Gegenteil. Wenn ich einen Menschen sehr gut kenne, kann ich mir viele Worte sparen, ich weiß, wo ich anknüpfen muss, ich erinnere ihn an Situationen, die wir gemeinsam erlebt haben, und derjenige weiß dann genau, was ich meine.

Du hast, wenn ich mich zurück erinnere, öfters Stücke gewählt, die die orientierungslose westliche Gesellschaft des beginnenden neuen Jahrhunderts in den Mittelpunkt rücken, vor allem bei den Inszenierungen von Joël Pommerat, den du sehr schätzt. Gibt es deiner Meinung nach Themen, die aus politischen oder aktuellen Gründen auf die Bühne müssen oder muss dies nicht Aufgabe des Theaters sein? (Anm.: Willert hat beispielsweise knappe drei Monate nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 mit einer spontanen Änderung reagiert und das Stück Drei Wochen nach dem Paradies auf den Spielplan gesetzt.)

Klar, ich lebe ja in der Zeit, das hat alles mit uns zu tun. Doch wir finden die aktuellen Bezüge nicht nur in zeitgenössischen Stücken, wir finden sie auch beim Parasiten Tartuffe, der als Figur sehr aktuell ist, obwohl Molière ihn vor 350 Jahren geschrieben hat. (Anm.: Tartuffe ist noch bis 7. Juli in Willerts Inszenierung in den Kammerspielen zu sehen.)

Du hast, wie gerade angesprochen, einige Stücke gewählt, die sich am Puls der Zeit bewegen. Es gibt andererseits auch die Auffassung, gerade in politisch brisanten Zeiten sollte man in der Kunst Gegenpositionen aufbauen, nicht im Sinne des sogenannten Wahren, Guten und Schönen natürlich, aber dennoch eine Gegenwelt, die neue Räume der Phantasie eröffnet. Wie stehst du dazu?

Sowohl als auch, in der Ausschließlichkeit des einen oder anderen finde ich mich nicht wieder, für mich schließen sich die beiden Positionen nicht aus, sie lassen sich vereinen.

„Auf den Bühnen wagt man keine Grenzgänge mehr. Der Erfolgsdruck entmachtet die Phantasie“, schrieb der mittlerweile verstorbene Schauspieler Peter Kern bereits vor einigen Jahren in der FAZ. Teilst du sein hartes Urteil, hattest du in Linz manchmal den Eindruck, dass der Erfolgsdruck deine Phantasie entmachten könnte?

Nein gar nicht, ich kann diese Haltung nicht teilen. Den Theatern geht’s ja nicht schlecht im Allgemeinen, die meisten sind gut besucht und ich sehe auch sehr viele tolle Stücke. Die in den letzten etwa fünfzehn Jahren entstandenen Missstände liegen primär darin, dass die Subventionen bei nicht wenigen Häusern über das künstlerisch vertretbare Maß zurückgefahren wurden.

Das Theater Bremen beispielsweise hat mittlerweile bei gleichem Output nur noch 19 SchauspielerInnen statt 28 wie früher (wir in Linz haben immer noch 28). Es wurden außerdem aus finanziellen Gründen nur noch junge Schauspielerinnen und Schauspieler engagiert. Wenn Schauspieler wie am Fließband von einer Rolle zur nächsten durch die Spielzeit gehetzt werden, sind sie bald leer und ausgebrannt. Das kann keine Perspektive sein. Aber andererseits: Ich verfolge beispielsweise mit großer Freude die Arbeit von Falk Richter, der einst mein Assistent war. Das ist auch eine Freude, wenn eine Hoffnung, die man in jemanden steckt, aufgeht. Und ein toller Autor ist er auch noch geworden.

Was erwartest du von einer Schauspielerin, einem Schauspieler, mit der/dem du arbeiten möchtest?

Vom Handwerk müssen wir nicht reden, ich gehe davon aus, dass sie ihr Handwerk beherrschen. Mich interessiert an SchauspielerInnen, wie sie denken, ich mag intelligente Schauspielerinnen und Schauspieler, sie sollen sich einbringen, sich nicht verstellen, die spezifische Sensualität eines Textes für sich entdecken. Wobei das Denken und das Fühlen für mich als unbeirrbarer Anhänger von Diderot natürlich untrennbar verbunden sind …

Die sogenannten Figuren, die Schauspieler darzustellen haben, werden schon seit langem in Frage gestellt. Auch in Linz waren Stücke zu sehen, in denen keine Figuren im eigentlichen Sinne verkörpert, sondern eher Stimmen in Szene gesetzt wurden. Einige deiner Inszenierungen haben mich an Partituren erinnert, wenn ich an Das Gipfeltreffen vor acht Jahren denke. Wie schwierig ist die Erarbeitung mit den Schauspielern unter diesen Voraussetzungen?

Der Figurenbegriff ist ja überhaupt schwierig. Ich mag in diesem Zusammenhang eine Geschichte, die man sich über Michelangelo erzählt, recht gerne. Demnach soll er, als er für eine seiner Statuen gelobt wurde, geantwortet haben, er habe die Statue nicht im herkömmlichen Sinne geschaffen oder gemacht, er habe lediglich Überflüssiges aus dem Marmorblock entfernt. So ist es auch im Theater, man entfernt Überflüssiges, bis sich das herausschält, womit man halbwegs zufrieden ist. Es ist ein ständiger Prozess.

Das erfordert allerdings viel Zeit, die Bereitschaft zum Experiment und zur ständigen Auseinandersetzung mit dem Stück, der Regiearbeit und den einzelnen Schauspielerinnen und Schauspielern.

Ja, aber anders will ich es nicht und wollen es auch meine Mitarbeiter nicht. Ich finde, ein Regisseur, der „vom Blatt weg“ inszeniert, ist faul. Das ist nicht mein Ding, wir proben sieben bis acht Wochen lang. Die Zeit dürfen und müssen wir nützen.

Ich kenne Künstlerinnen und Künstler, die lange unter einer schlechten Kritik leiden, wie gehst du damit um?

Da steh ich mittlerweile drüber. Es ist ja die Frage, wer will oder kann wo hinhören und -sehen. Das Niveau von Kritik ist ja weitgehend zu einer Geschmackskritik verkommen, das ist mittlerweile leider austauschbar, das gilt für die Oberösterreichischen Nachrichten genauso wie den Mannheimer Morgen. Wir haben hauptsächlich eine peopleisation.

Um ein aktuelles Beispiel heranzuziehen, es war schon erstaunlich, dass keiner der Kritiker bemerkt hat, dass ich bei Tartuffe laufend Bildzitate verwendet und mit ihnen gespielt habe, warum und wie ich sie eingesetzt habe und was sie an dieser oder jener Stelle aussagen.

Sind die „lebendigen, wilden Theaterzeiten“ deiner Meinung nach vorbei, wenn ich beispielsweise an Peter Zadek oder Hans Gratzer denke, mit dem du auch intensiv gearbeitet hast?

Diese wilden Jahre waren schon eine besondere Zeit, es waren die 68-er und die Folgezeit. Die Regisseure sind mit der Devise „Wir brechen Sehgewohnheiten auf“ angetreten. Der Nachkriegsmief wurde weggeblasen, es wurde das erste Mal der Faschismus thematisiert. Es war enorm turbulent und lebendig, aber diese Art von Aufgeregtheit geht natürlich nicht immer. Schon gar nicht in Zeiten der Post-Histoire und des „anything goes“. Doch heute erweitert sich das Spektrum wieder. Milo Rau ist spannend, um einen Namen zu nennen, er interessiert mich. Aber auch die leiseren Töne zwischen Crimp und Lagarce und Pommerat und Thomas Arzt und Thomas Köck usw. werden wieder gehört …

Du hast dich in Linz mit einer Inszenierung eines zeitgenössischen, damals jungen Autors, nämlich Franzobel vorgestellt, und du verbeugst dich jetzt gewissermaßen mit einer Inszenierung eines Stücks eines jungen Autors, nämlich Christoph Nussbaumeder, von dem bereits einiges am Linzer Landestheater zu sehen war. Ist dieser Bogen bewusst gewählt oder einfach Zufall?

Nein, das ist kein Zufall, so was ist bei mir selten zufällig. Ich wollte auch unbedingt wieder mit einer Uraufführung enden. Ich war ja an der Entdeckung von Nußbaumeder maßgeblich beteiligt. In seinem neuen Stück Das Wasser im Meer (Anm.: 13. Mai bis 22. Juni), das er für uns geschrieben hat, erzählt er eine Geschichte, die an King Lear erinnert. Es geht um den 80. Geburtstag eines Heimatvertriebenen, der noch einmal ins Sudetenland, das Land seiner Kindheit zurückkehren will, um dort zu sterben. An seinem Geburtstag verkündet er seinen drei Töchtern, dass jene, die ihm dorthin folge, in seinem Testament besonders berücksichtigt werde. Christoph hat mit diesem Stück nicht nur ein bislang auf den deutschsprachigen Bühnen immer noch weitgehend tabuisiertes Thema angepackt. Er verknüpft es auch mit der aktuellen Flüchtlingsthematik. Sein Text ist für mich wie ein Geschenk. Nicht zuletzt, weil mein eigener Vater aus Mähren stammt.

Welche prägende Erinnerung an Linz wird dich immer begleiten?

Nicht die eine. Das letztlich Prägende sind die Kolleginnen und Kollegen, der Geist, die gute Atmosphäre, die hier herrscht. Ich wollte von Anfang an beweisen, dass es so geht, wie ich es mir vorgestellt habe, und das ist gelungen. Und nicht zuletzt: Das so vielgestaltige Publikum ging unsere verschlungenen Wege mit zunehmender Begeisterung mit. Ich gehe also mit Wehmut, das schon, aber ich gehe froh.