Sechs Jahre hat es gedauert, bis das VALIE EXPORT Center als Forschungszentrum für die Arbeiten der international bekannten Medienkünstlerin VALIE EXPORT eröffnet werden konnte. Spät, nämlich erst beim Festakt, wurde auch die Direktorin, Sabine Folie, präsentiert. Silvana Steinbacher im Gespräch mit Sabine Folie und der Geschäftsführerin Dagmar Schink.
VALIE EXPORT Center, Symposium, am Tag der Eröffnung. Foto Violetta Wakolbinger
Foto Reinhard Haider
Auf mehr als 300 Quadratmetern soll das VALIE EXPORT Center zu einer international beachteten Institution werden, deren Hauptintention die Erforschung und die Aufarbeitung des VALIE EXPORT Archivs sein wird, das bereits seit 2015 in Linz seinen Platz hat. Welchen Auftrag sehen Sie als Direktorin mit dem Werk dieser Ikone und vielseitigen Künstlerin verbunden?
Sabine Folie: Es ist ein enormer Fundus eines reichen Künstlerinnenlebens, den wir hier erforschen können. Wir werden zum einen das Archiv mit seinen verschiedenen Dokumenten beforschen, auch die Themen, die sich herausdestillieren lassen. Neben der historischen Einordnung suchen wir, ganz im Sinne von VALIE EXPORT, den Anschluss an die Medien- und Performancekunst der Gegenwart, um damit auch noch einmal eine ganz andere Perspektive, einen anderen Zugang zu ihrem Werk zu bekommen, um die Gegenwart auch über dieses historische Gedächtnis bewerten und einordnen zu können. Außerdem werden wir aus dem Archiv Forschungsansätze entwickeln und fördern, den Diskurs suchen, mit jungen Künstlerinnen und Theoretikerinnen arbeiten. Wir werden zur bereits bestehenden Bibliothek von VALIE EXPORT noch eine zweite einschlägige anlegen, die den aktuellen Forschungsstand mit abdeckt. Ich wünsche mir, dass das VALIE EXPORT Center Strahlkraft nach außen bekommt, national und international, schließlich ist das Center eine international einzigartige Einrichtung. Und dass es zu einem lebendigen Ort der Debatte wird.
Dagmar Schink: Ich finde den Bogen zur Gegenwart gerade bei VALIE EXPORT extrem wichtig, ihre Themen sind im Jetzt, deswegen ist es notwendig, daran zu arbeiten und nicht als Vergangenes zu verschließen.
Die zahlreichen Werke, Skizzen, Entwürfe, die persönliche Korrespondenz der vergangenen 50 Jahre bilden den Schwerpunkt des VALIE EXPORT Centers, das vom Lentos in Kooperation mit der Linzer Kunstuniversität betrieben wird. Was fasziniert Sie besonders an dieser Künstlerin?
Sabine Folie: Um nur einen Aspekt zu erwähnen: Sie war in ihrer Karriere nicht nur auf sich selbst und ihre eigene Arbeit konzentriert, sie hat auch mit anderen kollaboriert und war immer eine hoch talentierte Vermittlerin. So konzipierte und organisierte sie etwa Mitte der 1970er-Jahre MAGNA, (Anm.: wichtige Schau feministischer Kunst), eine Ausstellung, die nicht nur österreichischen Künstlerinnen eine Plattform bot, sondern auch deutsche und amerikanische präsentierte. Zu nennen sind auch die international viel beachtete Ausstellung Kunst mit Eigensinn oder die lehrreichen, niveauvollen und dabei avantgardistischen Sendungen für den ORF zur breiten Vermittlung von Kunst wie Das bewaffnete Auge und vieles mehr. Aus ihrem Archiv wird deutlich, welch eine akribische Sucherin sie immer war und ist, wie gründlich und wissbegierig und wie neben aller ästhetischen Erfindungsgabe politisch.
Wir wollen auch überlegen, welche Möglichkeiten bieten sich an, um an einen politisch-ästhetischen Diskurs anzuschließen, wenn auch nicht auf so spektakuläre Weise wie sie es getan hat.
Das kann als Forschungszentrum wahrscheinlich auch nicht das Ziel sein?
Sabine Folie: Natürlich, aber wir wollen die Qualität der kulturpolitischen Debatte mitbestimmen, denn wir sehen in Oberösterreich gibt es Zuspitzungen, die den Spielraum verengen, und es wäre schön, wenn wir etwas dazu beitragen könnten, um die Wichtigkeit von Forschung, Bildung und Kultur hervorzustreichen.
Damit spricht Sabine Folie einen nicht zu vernachlässigenden Aspekt an: Der Gemeinderat hat 2015 mit Mehrheit, aber bei Stimmenthaltung der FPÖ, beschlossen, das Archiv zu kaufen. Was die Finanzierung des VALIE EXPORT Centers betrifft, soll die Stadt Linz die Infrastrukturkosten bestreiten, die Kunstuniversität ist für die Kosten des Forschungsbetriebs zuständig. Für 2018 sind 200.000 Euro für das Center budgetiert.
Sabine Folie: Es ist die Frage, wie die Mehrheiten sind. Der Bürgermeister hat ein eindeutiges Statement abgegeben, dass ihm das VALIE EXPORT Center und Kultur generell ein echtes Anliegen sind, und ich vertraue darauf, dass er sich auch in Zukunft dafür einsetzen wird. Stadt und Universität investieren hier und ich gehe davon aus, dass der Bund ebenfalls wie im Falle des Forschungsinstituts von Peter Weibel, das in der Wiener Angewandten angesiedelt ist, seinen Teil beiträgt.
Das VALIE EXPORT Center muss lebendig gehalten und ein offener Ort sein und dazu bedarf es entsprechender Mittel.
In der Wiener Angewandten wurde – Sie haben es erwähnt – vor rund sechs Wochen das Peter-Weibel-Forschungsinstitut für digitale Medienkulturen eröffnet, das vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft finanziert wird. VALIE EXPORT und Peter Weibel waren viele Jahre Weggefährten und gehörten in den frühen 1970er-Jahren zu den ersten, die im Ausstellungskontext interaktive, elektronische Konzepte erprobt haben. In den Medien war bezüglich der beiden Center vom Kampf der Archive die Rede, Sie wohnen in Wien, wissen Sie dazu Näheres?
Sabine Folie: Peter Weibel hat gut verhandelt. Ich verstehe, dass Weibel wie auch andere nahezu „historische“, prägende Figuren ihre Archive für die Nachwelt in guten Händen wissen wollen. Der Zeitpunkt des Zusammentreffens ist in der Tat überraschend. VALIE EXPORTs Hinarbeiten auf ein Performance- und Medienzentrum reichen ja schon lange zurück, ich weiß nicht, wie lange die Gespräche auf der anderen Seite verliefen.
Die Initiative zum VALIE EXPORT Center stammt vor allem von Reinhard Kannonier, dem Rektor der Linzer Kunstuniversität. Von der Idee bis zur Realisierung sollte allerdings noch ein sechsjähriger Kampf folgen, ehe das Center für die international bekannte gebürtige Linzer Künstlerin eröffnet werden konnte. Im Gegensatz zur langen Vorlaufzeit hatte die Direktorin wenig Zeit, sich mit ihrer neuen Aufgabe vertraut zu machen, denn sie musste kurzfristig in ihre neue Funktion „springen.“ Der Grund dafür seien, so Rektor Kannonier, die zahlreichen und hochkarätigen Bewerbungen gewesen, einige davon auch aus dem Ausland. Aus diesem Grund gestaltete sich die Terminfindung für die Hearings schwierig. Die gebürtige Südtirolerin Sabine Folie hat zuletzt die kürzlich eröffnete Ausstellung VALIE EXPORT – Das Archiv als Ort künstlerischer Forschung im Lentos kuratiert. Die Schwerpunkte der Kunsthistorikerin und Kuratorin sind Studien zu (feministischer) Kunst, Theorie und Sprache, Kunst der Postavantgarde der 1960- und 1970-er Jahre bis in die Gegenwart. Sie war leitende Kuratorin an der KUNSTHALLE Wien und bis 2014 Direktorin der Generali Foundation, in deren Sammlung sich auch Werke von VALIE EXPORT befinden.
Zurzeit arbeitet Sabine Folie freischaffend mit internationalen Institutionen und Universitäten zusammen und hat eine Gastprofessur im Fach Kulturgeschichte der Moderne an der Bauhaus Universität in Weimar inne. Sie lebt in Wien. Im Gegensatz zur Geschäftsführerin Dagmar Schink wird Sabine Folie also nicht immer vor Ort sein. Die ungewöhnlich kurzfristige Entscheidung verlangt von ihr flexibles Vorgehen.
Sabine Folie: Zwischen Professur, Kandidatur für das VALIE EXPORT Center, Ausstellung und Entscheidung knapp vor Eröffnung des VALIE EXPORT Centers samt Symposion war es in der Tat ungewöhnlich dicht und es war daher angesagt, einen kühlen Kopf zu bewahren und geschmeidig zu navigieren, um alle Aufgaben konzentriert zu erfüllen.
Das Center soll auch ein Work in Progress sein, das EXPORT begleiten wird, betrifft das nur die ersten Jahre?
Dagmar Schink: In der ersten Phase ging es um eine Übergabe, die hat sie intensiv begleitet, es ist VALIE EXPORT auch ein großes Anliegen, sie steht uns immer zur Verfügung.
Eine Intention des Centers besteht auch darin zu vernetzen, mit anderen Institutionen in Kontakt zu treten. Gibt es da bereits Ansätze?
Dagmar Schink: Wir haben mit Initiativen schon Kontakte geknüpft, die sich zum einen mit VALIE EXPORTs Werk beschäftigen beziehungsweise vergleichbare Forschungsmaterialien haben. Dies werden wir international weiter ausbauen.
Sabine Folie: Ja, und wir haben in den vergangenen Tagen schon wieder viel Networking betreiben können mit internationalen Archiven und Interessierten.
Kommen wir zur unmittelbaren Zukunft des Centers, der erste Schritt ist die Digitalisierung des Vorlasses von VALIE EXPORT, in welchem Stadium befindet sich dieser Prozess?
Sabine Folie: Wir werden die Expertise von anderen Archiven einholen, werden mit Expertinnen auf diesem Gebiet arbeiten. Es wird aber vorerst nicht so sein, dass alle Dokumente online einsehbar sein werden, sondern dass es auf Antrag bestimmte Zugriffsrechte gibt. Bezüglich der Rechte tut sich hier ein nicht ungefährliches Terrain auf, das man erstmal eingehend abtasten muss. Da werden wir vorsichtig sein und darum bemüht, uns auf abgesichertem Boden zu bewegen. Die Digitalisierung muss weiter vorangetrieben werden, am besten vermutlich mit Fördergeldern, damit auch die Forschung parallel begonnen werden kann und nicht wertvolle Jahre vergehen, in denen die Bestände nur digitalisiert und nicht beforscht werden können. Diese Dinge müssen alle noch eingehend diskutiert werden.
Sie sind durch ihre Gastprofessur in Weimar ständig mit jungen Menschen in Kontakt, ist VALIE EXPORT noch eine prägende Figur für sie?
Sabine Folie: Ja, das Interesse ist da, auch viele Künstlerinnen stellen sich die Frage, welche gesellschaftliche Rolle der Kunst angesichts einer aufgeheizten Kommerzialisierung der „Ware“ Kunst, heute zukommt. Es gibt eine starke Gegenbewegung, einige Künstlerinnen der jungen Generation beschäftigen sich mit aktivistischer politischer Kunst und wollen mit dem Kunstmarkt nichts zu tun haben.
Dagmar Schink: Das ist auch ein Thema für uns, wir wollen auch in die Bildung gehen, Studierenden vor Ort das Center näherbringen, wir haben darüber hinaus auch schon Anträge für Fellowships, wir werden mit Studierenden aus dem In- und Ausland zu arbeiten beginnen.
Ich möchte zu den Filmen und Videos von VALIE EXPORT kommen, wie kann man sich das Center in der Praxis vorstellen. Kann ich beispielsweise in die Tabakfabrik kommen und mir Exports Film Unsichtbare Gegner, der mich nachhaltig beeindruckt hat, ansehen?
Dagmar Schink: Ja, es wird Öffnungszeiten geben, im Schnitt drei Tage, wir werden Plätze zur Verfügung stellen, wo die filmischen Werke laufen, wir arbeiten mit Sixpack Film zusammen, mit dem Filmmuseum Wien. (Anm.: Sixpack Film ist ein nicht gewinnorientierter österreichischer Filmverleih und Filmvermarkter.) Wir wollen ein Best-Practice-Modell anstreben.
Besonders reizvoll empfinde ich die Linzer Tabakfabrik als Präsentationsort, nicht nur, weil es ein gutes Forum bietet, schließlich wurde ja – als kleine Spitzfindigkeit – das Export Zigarettenpackerl VALIE EXPORTs Markenzeichen. Wie ist es zur Wahl des Ortes gekommen?
Dagmar Schink: Das ist vor meiner Zeit entschieden worden, ich find es gut, man sollte die Tabakfabrik nicht nur Wirtschaft und Industrie überlassen. Dass unser unmittelbarer Nachbar Gerhard Haderers Schule des Ungehorsams ist, gefällt mir auch.
Im Lentos ist noch bis Ende Jänner 2018 die Ausstellung zu VALIE EXPORT zu sehen. Wodurch unterscheiden sich die Kompetenzen der Kunstuni und des Lentos?
Dagmar Schink: Da besteht eine klare Aufgabenteilung, die Stadt Linz hat den Vorlass, das Lentos ist für das Material zuständig und wir dürfen es beforschen. Was Ausstellungen betrifft wird es sicher Kooperationen mit der Lentos-Direktorin Hemma Schmutz geben.
Das VALIE EXPORT Center ist also fest in weiblicher Hand, auch wenn einige monierten, dass jene Frauen, die sich bereits für das Center engagierten, bei der Eröffnung nicht einmal erwähnt wurden?
Dagmar Schink: Ja, es sind nur Frauen im VALIE EXPORT Center tätig, aber wir schließen natürlich keine Männer aus.