Die Unmöglichkeit der Zeit

„Ein Sommernachtstraum oder Badewannengriffe im Preisvergleich“: Kurt Palm inszeniert ein Stück, das als Probe für ein Obdachlosen-Shakespeare-Festival angelegt ist. Groteske Zeiten und verstaubte Konventionen: Wer hat an der Uhr gedreht? fragt sich Christian Wellmann angesichts des Stücks und definiert einen DEFCON-Modus „65 Minuten nach 5 vor 12“ am Theater Phönix.

„Ist es wirklich schon so spät“, trällerte Pink Panther Paulchen mit dem Cartoon-Clouseau im Vorabend-Fernsehen. Bett­hupferl, Zeit vorbei, gute Nacht. Traumpanther gleitet, Roadmovie in den Wolken endet abrupt. In „Ein Sommernachts­traum oder Badewannengriffe im Preisvergleich“, einer dem Geiste des Sozialismus verpflichteten Groteske/Palmeske, wird der Slapstick-Inspektor Clouseau mit Aktentasche (und Diaprojektor) zum wiederkehrenden Indikator, als Vorbote zum Tod1. Seine stoischen Auftritte als DDR-Diavortragender (grandios repetitiv gespielt von Tom Pohl), der als Clouseau von der Bühne abgeht, werden zu einer Endlosschleife, in der die Zeit aussetzt. „Es wird ja immer absurder“, dieser Stehsatz beendet dann stets dieses absurde Treiben und alles danach scheint ungetrübt weiterzulaufen, nichts ist passiert.

„Wer hat an der Uhr gedreht?“ Im neuen Theaterstück von Kurt Palm, einer lose angelegten Fortsetzung der 09-Aufführung „Der Zwerg ruft“ in ebenjenem Theater Phönix, liegt dieser Zeit-Loop als Verfremdungseffekt im Epizentrum des Zeitlochs, das sich über das ganze Stück erstreckt. Darin werden jegliche Illusionen des Publikums wie ein Rudel Kätzchen ertränkt. Die Zeit springt von Klippe zu Klippe, von einer möglichen nahen Zukunft (Marslandung), dem Jetzt (Trump-Bezug), einer stehengebliebenen Zeit (Sozialismus/Kommunismus), zur Vergangenheit (der Original-Sommernachtstraum, das Schwelgen der drei Hauptcharaktere, DDR) bis zur direkten Zukunft des Stücks selbst, das (zu) oft angesprochene Ende des Stücks. Alles von postmodernen Sprenkeln durchzogen, die ebenfalls in der Zeit eingefroren sind. Gitterstäbe der Postmoderne, am Bestehenden fummelnd. Nichts wird unversucht gelassen, die Zeit ungreifbar, glitschig zu machen. Darum herum schlängelt sich eine vordergründig seichte Story mit Kalauern, üppig aufgetischt, wie’s sich fürs ländliche OÖ gehört. Fettig, triefend, die (zu) oft erwähnte Abneigung Palms gegen das konservativ eingeschnürte Land ob der Enns schmachtet sich am Abgrund des gerade noch Verträglichen vorbei. Der DEFCON-Modus der zentral im Theaterraum hängenden Uhr ist auf 1 Uhr festgenagelt, natürlich bleibt die Zeit hier stehen, auf 65-Minuten-nach-5-vor-12. Wobei DEFCON 1 = Uhrzeit 1 Uhr die maximale Einsatzbereitschaft bedeutet, alle Truppen werden eingesetzt = Trump-Zeit? Fake Time?

Der Begriff der Zeit verschmilzt mit dem Ursprungsmaterial Shakespeares. Eine Gratwanderung entlang eines verstaubten Kommunismus-Begriffs, den Palm jetzt festhalten und in die Gegenwart/Zukunft retten will. „Der Sommernachtstraum“ ist Trash-Theater, ein Messie-Versatzstück, eine postmoderne Zeitkapsel – sie nimmt alles, das direkt greifbar ist (Requisiten) oder überhöht werden kann (politisches Geschäft/Gesellschaft), lädt es ironisch auf, und wickelt es um das Original-Stück herum. Metafiktion, selbstreflektierend, ja teilweise selbstverliebt, eitel. Der Überraschungseffekt bleibt (zu) oft auf der Strecke, aber auch das ist wohl Absicht, um Reaktionen im Publikum zu generieren. Die Gehirnwäsche in Palms Sommernachts-Interpretation funktioniert, weil einem Brocken apportiert werden, die einen beschämen, vordergründig (absichtlich) platt rüberkommen, provozieren. Landestheater-Polemik, OÖN, Stadtwache, rechte Hirnstillständler, der gsöchte Pforra – mit Genuss bohrt Palm in die Fontanelle des Jetzt-Zustands, hier, im Oberstübchen von Österreich. Den Skandal suchend, obwohl einem dabei manchmal auch eine, äh, Face-Palm auskommt ob der Pop-Politik mit seichten Schmähs abzulenken, unterhalten um zu vergessen. Da wären wir wieder beim Zeitbegriff.

Episches Theater nach Brecht ist hier genauso drinnen wie Beckett, Flann O’Brien, klar, ist ja eh immer bei Palm dabei, aber: Handelt es sich hier eigentlich um ein Theaterstück? Oder einen Laienschelmenschwank? Eine zufällige Probe, von zufällig vorbeischauenden Probenden? Den Versuch einer Probe? Ist die DDR der hier auftretende Tod? Auf alle Fälle schimmert ein durchgängiger, jedoch disziplinierter Dilettantismus durch, alle drei Hauptdarsteller (solidarisch: gefühlt gleichlange Texte) erblühen in dieser von ihnen abverlangten Gratwanderung glaubhaft.

„Der Sommernachtstraum“ hat als Klassiker der Laientheater-Inszenierung (im englischen Sprachraum) immer noch eine große Tradition. Reflexionen auf zeitgenössische Irrungen lassen sich treffender – zeitlos – bestreiten, wenn sie in klassische, erprobte Universalstücke getränkt sind. Das gibt es schon, seit das Gilgamesch-Epos, das Ursprungswerk der Literatur, von griechischen Dichtern geplündert wurde – eines der meist kopierten Stücke überhaupt, auch William Shakespeare bediente sich bei dieser Mutter aller Schriften.

Mit Konservativem ebensolches in den Arm kneifen. Im Original sind es Handwerker, die ein Theaterstück proben, hier sind es drei gefallene Engel, die eine Probe zu einem Obdachlosen-Shakespeare-Festival im Vereinsheim der KP Linz abhalten – und mit Tod, Geistern und dem DDR-Clouseau in ebenjenes Zeitloch kippen. Dieses Stück im Stück wird dort geprobt (eigentlich nur der Versuch), und steht im Mittelpunkt von Palms Inszenierung. Demaskierung eines Klassikers mit Lokalkolorit, das einen vermeintlich verstaubten Inhalt (Shakespeare) mit dem verstaubten Linz (Athen) und Kommunismus (Gespenst) staubbewedelt. Im besten Wer-hat-uns-verraten-Sozialdemokraten-Chic, in Linz täglich Brot, rollt dieser surreale Traum über alles und jeden. Der Tod tanzt vor dem Bildnis Stalins, Mekka ist dort, wo die Toiletten sind.

Probe der Probe: die Vorzüge, die Hauptprobe des Stücks besucht zu haben und in der letzten Reihe zu sitzen – hinter einem nur Regie und Assistenz – „viel zu leise“, „leere Plätze“ (Anm.: 22 leere Plätze bei der Hauptprobe im frostigen Jänner, glatteisbedingt!), Block gefüllt, Knacken von Bleistiftspitzen, murmelmurmel … So gesehen war die öffentliche Hauptprobe eigentlich die wahre Premiere, das eigentliche Stück, bzw. eines Stückes, das sich selbst als Probe definiert, mehr Probe geht nicht, nach dem ersten Mal, dieser Hauptprobe, ist’s keine Probe mehr …

Alle Dinge ändern sich. Auch dieser Text ist ein Probegalopp eines Beschreibungsversuchs, der nur einen Zweck verfolgt: eure dafür verwendete Zeit unabänderlich an dieser Stelle abzulegen. Zum Wiederauffinden und immer wieder Zurückkehren, als Mahnmal für ein nie mehr wiederkehrendes Zeitgefühl.

1 Aktentaschen-Indikator, humoristischer Versuch, aus dem Füllungszustand der Aktentasche von Alan Greenspan schon bei dessen Erscheinen zur jeweiligen US-Notenbank-Sitzung auf die späteren Entscheidungen zu schließen.

 

Kurt Palm liest außerdem im März im StifterHaus aus seinem Roman „Strandbadrevolution“.

Wir zitieren aus dem Verlagstext: „Im Sommer 1972, in dem die Amerikaner Nordvietnam bombardieren, bereitet Ernst, der sich nach seinem Idol von den Rolling Stones Mick nennt, mit seinen Freunden im Strandbad die Revolution vor. Während sein Vater meistens in der Garage beschäftigt ist und seine Mutter die Tiefkühltruhe zum Bersten anfüllt, sollte Mick eigentlich für die Französisch-Nachprüfung lernen, lässt sich jedoch von zwei bislang im Bad noch nie gesichteten Mädchen ablenken. Doch schließlich endet dieser Sommer nicht nur für Candy, den jüngsten der Freunde, mit einer Katastrophe. Kurt Palm erzählt, wie lange ein Sommer in der Provinz in Österreich sein kann und wie kurz und unerbittlich das Leben.“

 

Lesung StifterHaus

16. 03. 2017 19.30–21.00 h

KURT PALM: „Strandbadrevolution. Roman“

„Ein Sommernachtstraum oder Badewannengriffe im Preisvergleich“

Noch bis 9. April im Theater Phönix

theater-phoenix.at

 

Claus Harringer hat auf Radio FRO einen Beitrag übers Stück verfasst – unter anderem ist darin über Kurt Palms Abneigungen gegen die Theaterkonventionen und das Theater an sich zu hören.

fro.at/article.php?id=11934

Stadtblick

stadtblick_tabak-shopping_einkaufen in der tabakfabrik kann ihre gesundheit gefährden

Neue Warnhinweise auf großen Zigarettenpackungen: Einkaufen in der Tabakfabrik kann Ihre Gesundheit gefährden!

Von Menschen und Flaggen

Mitte März wird bei den Tanztagen im Posthof Helena Waldmanns neues Stück „Gute Pässe Schlechte Pässe – eine Grenzerfahrung“ gezeigt. Die Choreographin und Regisseurin gab – im Vorfeld und noch während der Erarbeitungsphase des Stücks – ein Interview über Flaggen, Grenzen und politische Haltung in der Tanzkunst.

Jeweils vier TänzerInnen und AkrobatInnen treffen auf 20 Mauerbauer – das ist in Kurzbeschreibung der Plot des Stücks „Gute Pässe Schlechte Pässe – eine Grenzerfahrung“. Dahinter und darunter liegt die Auseinandersetzung mit Grenzen und Grenzübertritten, mit Tanz, Akrobatik, kultureller Differenz und ökonomischer Diskrepanz. Helena Waldmann ist international tätige Choreographin und Regisseurin und gilt als eine mit globalen Themen agierende Künstlerin. Weitläufige Einflüsse für ihre ungewöhnlichen Arbeiten nimmt sie aus der ganzen Welt und aus unerwarteten Lebensbereichen mit auf die Bühne. Anfang März hat das neue Stück in Ludwigshafen Premiere, die Österreichpremiere erfolgt kurz danach im Linzer Posthof. Hier das Interview, die Fragen hat Tanja Brandmayr gestellt.

Zum aktuellen Stück „Gute Pässe Schlechte Pässe – eine Grenzerfahrung“ haben Sie ein etwa halbminütiges Video auf ihre Homepage gestellt, auf dem eine durchsichtige Flagge zu sehen ist, die im Wind weht. Ich fand dieses Bild ungemein zart und widersprüchlich in einem, gleichzeitig hoffnungsvoll und unheimlich. Vielleicht können Sie verraten, wo sie diese Visualisierung gefunden haben, bzw. wie Sie darauf gekommen sind und ob diese durchsichtige Flagge auch im Stück vorkommt?

Bei einem der ersten Treffen mit meinem Dramaturgen Tobias Staab sprachen wir über Nationalhymnen und Fahnen. Ich erzählte ihm, dass die Akrobaten, mit denen ich arbeiten werde, eine „human flag“ performen können. Da „weht“ ein Mensch sozusagen wie eine Flagge am Mast. Vom menschlichen Körper als Fahnenmaterial sind wir auf transparentes Fahnenmaterial gekommen und so auf die Künstlerin Edith Dekyndt und ihr wunderbares Video „One Second of Silence – (Part 1) N.Y.“ von 2008. Das Original ist 18:29 min lang*. Da ich im Stück mit richtigen „human flags“ arbeiten kann, werde ich in der Inszenierung auf die durchsichtige Flagge aber verzichten.

Diese Ambivalenz der Unsichtbarkeit scheint das Thema Grenzen perfekt einzufangen: Geld oder Warenströme passieren zunehmend ungehindert die Grenzen, Menschen hingegen nicht. Sie sprechen von guten Pässen, etwa dem deutschen Pass, der die Einreise in 178 Länder ermöglicht, und schlechten Pässen, die das in weit geringerem Ausmaß tun. Sie sprechen davon, dass die Bewegungsfreiheit von Menschen von der Kreditfähigkeit ihrer Staatszugehörigkeit abhängt. Und hinsichtlich der Grenzen von den großen zeitlosen existenziellen Fragen nach Identität, dem Widerspruch von Sicherheit und Freiheit. Sie schreiben interessanterweise zu Ihrem Stück: „Die einmal errichtete kulturelle Differenz scheint umso nötiger zu werden, desto deutlicher wird, dass die Grenze gar nicht oder nur virtuell existiert.“ Ist das die Analyse des Jetztzustandes – die große Ähnlichkeit nach innen, andererseits der Ausschluss, und insgesamt eine unüberwindbare gesellschaftspolitische, kulturelle und ökonomische Diskrepanz?

Ich glaube, es ist immer eine Frage, wie und an wen die Menschen ihr legitimes Sicherheitsbedürfnis delegieren. Eine Grenze kann der eigene Gartenzaun sein, aber auch die Atmosphäre unserer Erde. Wie man Grenzen definiert, zumal als stabile Gebilde, die sie mit einem kurzen Blick in die Geschichte ja niemals gewesen sind, das ist meines Erachtens eine kulturelle Verabredung. Man denkt bei Grenzen gleich an Sprachgrenzen, aber nur ein Blick in die Schweiz zeigt, dass selbst diese Grenze nur eine gedachte sein kann. Dabei unternehmen wir doch fast alles, um uns dieser Grenzen gewiss bleiben zu können. Wir jubeln für Nationalmannschaften, wir identifizieren unsere Zugehörigkeit mit der Farbe unseres Passes – was aber, sobald es um die Farbe der Haut geht, auch nicht immer zu helfen scheint. Wir versuchen bunt zu sein, aber immer nur innerhalb von Grenzen, und das meine ich, gebildet aus tatsächlich völlig virtuellen Volkswirtschaften eines virtuellen Binnenmarkts oder eines virtuellen Bruttoinlandsprodukts. All diese Kennzahlen bezeichnen in Wirklichkeit doch nur das, was in die Kasse einzelner Staaten gelangt, während die tatsächlichen Geld- und Warenströme nahezu ungehindert um den ganzen Globus reisen. Warum Menschen nicht genauso reisen können, oder nur analog zum Ansehen ihres Reisepasses, will mir nicht in den Kopf. Liegt es vielleicht daran, dass sich der Wert eines Passes in genau dem Maße bestimmt, wie es gerade um die Kreditwürdigkeit eines Landes bestellt ist? Zumindest ist es doch erstaunlich, dass die Pässe, die einem den Eintritt in andere Länder ohne Visum oder mit Visa on arrival erlauben, in der Regel von Ländern ausgestellt werden, die auch die internationalen Finanzagenturen im Ranking mit AAA, also top bewerten, während die Kreditwürdigkeit afrikanische Länder oder Afghanistan, Syrien usw. auf demselben Ramsch-Niveau bewertet sind wie die Pässe ihrer Einwohner.

Als Bühnenkünstlerin lassen Sie zur Verdeutlichung der kulturellen Differenz Tänzer und Akrobaten aufeinandertreffen, als symbolische Kollision von unterschiedlichen ästhetischen Überzeugungen und Traditionen. 20 menschliche „Mauerbauer“ formieren außerdem Menschenmauern – oder versinnbildlichen die vierte Wand zum Geschehen an sich … Im Sinne einer Annäherung, etwa, dass sowohl der zeitgenössische Tanz als auch der Cirque Nouveau seine Grenzen ständig erweitert, und sich die Formen ja auch annähern: Ist das konkret ästhetisch-kulturell dann doch nicht auch ein Match des eher feinen zeitgenössischen Unterschiedes? Das hat ja auch was Humoreskes?

Humor finde ich schön, und angesichts der auch ästhetischen Debatten sehr nötig. Ist das jetzt noch Ballett oder etwa nicht? Hat das noch Stil oder wurde er dem zeitgenössischen Tanz geopfert? Wann wird endlich mal wieder „richtig“ getanzt? All diese Erwartungen finden ihren Ausgangspunkt in der Ausbildung, also in den jungen Jahren von Tänzern und Akrobaten, die nominell zwar, wie in Rotterdam oder Berlin, zusammen studieren, tatsächlich aber sehr früh zu Spezialisten erzogen werden, und die sich, wie das bei Jugendlichen normalerweise der Fall ist, gegenseitig auch ein wenig verachten. Die einen machen Show, die anderen Theater. Die einen können erstaunliche Tricks, die anderen nicht. Dafür werden Tänzer vom Staat alimentiert, Akrobaten nach Möglichkeit aber nicht. Auch hier wimmelt es vor virtuellen Grenzziehungen und es ist wohl tatsächlich der Postmoderne und ihrer Idee vom Patchwork zu verdanken, dass sich die Unterschiede nach Möglichkeit so horizontal wie möglich einebnen sollten. Heute hingegen geht es gegen den Schlachtruf „Alles ist möglich“ wieder tüchtig zur Sache. Das Theaterensemble sei besser als eine freie Gruppe. Die Oper besser als der Tanz. Das historisch Gewachsene besser als irgendetwas in der Gegenwart Entstehendes. Richtig lachen kann ich da nicht. Und auf der Bühne von „Gute Pässe Schlechte Pässe“ werden wir genau diese künstlichen Differenzen weidlich ausschlachten.

Ihre politische Haltung ist unübersehbar, sie agieren global. Sie hatten ein Stück über den Nahostkonflikt, eines über Textilarbeiterinnen in Bangladesch, „Letters from Tentland“ handelte von iranischen Frauen. Sie arbeiten mit Menschen vor Ort zusammen. Wie kommen Sie zu ihren AkteurInnen?

Über das Interesse. Meist leite ich, wie in Teheran, einen 1–2wöchigen Workshop. Oder finde eine Partnerschaft wie in Bangladesch, eine Tanzschule. Aus der Auswahl der Teilnehmer dort entwickelt sich dann das Casting für eine Produktion. Auch für „Gute Pässe Schlechte Pässe“ wurde ich bei einer Tänzer-Audition in Berlin fündig. Bei den Akrobaten war es allerdings etwas energie- und zeitaufwendiger. Ich bin ein Neuling in dieser Szene, bekam hier aber Hilfe von Anke Politz, der Geschäftsführerin des Berliner Theaters Chamäleon, um an die richtigen Artisten heran zu kommen. Bis ich die vier Akrobaten gefunden hatte, die sich auch auf mich einlassen konnten, das hat länger gedauert, was vor allem am System der Akrobaten liegt. Ein Artist arbeitet in der Regel mindestens 3 Monate, oft aber auch 6 Monate lang en suite an einem Varietétheater. Man kann ihn also für einzelne Vorstellungen an verschiedenen Orten gar nicht engagieren, da sie sich aus ihren täglichen Vorstellungen nicht verabschieden können. Es gibt aber Akrobaten, die ihr starres System satthaben – und die hab ich jetzt in meiner Gang.

Welche Beziehungen entstehen während, oder auch nach einer Stückerarbeitung?

Da ich von beteiligten Künstlern immer erwarte, dass sie an der Autorenschaft des Stücks beteiligt sind, wird unsere Beziehung in den meisten Fällen sehr eng und vertraut.

Was die Formensprache ihrer Arbeiten anbelangt: Empfinden Sie sich selbst als eine Art Grenzgängerin, in dem Sinn, dass Sie derartig verschiedene künstlerische Stilmittel einfangen, tänzerische Stile, theatralische Mittel? Ich meine etwa „GlückStück“, das die starke Macht des tänzerisch-theatralen Ausagierens feierte, fast anarchisch wirkend – im Gegensatz zu „revolver besorgen“, das die Demenz thematisiert – und das als klassisches Soloballett in gewisser Weise den Verlust der strengen Form auf die Bühne bringt. Was treibt Sie um, welche Fragen, welche Bildsprachen – und was sind die Dinge, die Sie als verbindende Elemente betrachten?

Mich treibt das Nomadische. Die Neugierde auf den Rest der Welt. Ich habe alle Kontinente der Welt bereist und auf vier von ihnen mit meinen Stücken gespielt. Manchmal fällt mir auf den Reisen etwas auf, das ich nicht vergessen kann. Ich nenne das meine „Fundstücke“. Aus diesen Fundstücken entwickeln sich oft auch die Themen für meine Tanz-Inszenierungen. „BurkaBondage“ zum Beispiel beruht auf Workshop-Erfahrungen in zwei so unterschiedlichen Ländern wie Japan und Afghanistan. Die Zuschreibungen, die bei uns etwa das japanische Shirbari, also Bondage, und die Burka in Afghanistan erfahren, hat nicht unbedingt etwas mit der Wirklichkeit zu tun. Zuschreibungen sind etwas Trennendes. Guck mal, die unterdrückte Frau unter der Burka. Guck mal, die gefesselte Frau, total das Opfer. Zuschreibungen trennen. Das ist ein Aspekt, der mich auch bei „Gute Pässe Schlechte Pässe“ interessiert. Was, wenn nicht Unterstellungen, bringt Menschen dazu, überhaupt Grenzen zu ziehen? Und was, wenn nicht die Suche nach dem Glück oder die Phänomenologie des Vergessen treibt uns an?

Vielleicht können Sie über das Verhältnis des Ästhetischen und des Politischen ein paar Worte sagen? Ihre Bühnenarbeiten sind, wie oben angedeutet, thematisch und global weit gestreut, bleiben dabei aber auch selbstreflexiv auf den eigenen Bühnenkosmos bezogen, sind Ästhetik, Analyse und Wagnis – oder in der Gegenüberstellung auch Provokation. Bei „Made in Bangladesh“ haben Sie etwa auch die harte Arbeit der TextilarbeiterInnen dem westlichen TänzerInnenprekariat gegenübergestellt. Der sich emanzipierende Mensch als das politische und ästhetische Thema schlechthin?

Das ist nicht falsch. In „Made in Bangladesh“ ging es um Textilfabriken, um die Arbeitsbedingungen dort, aber es war doch ein Stück für Tänzer, denen es oft nicht besser ging als den Näherinnen, die sich immerhin hoch gearbeitet und ihre relative Rechtlosigkeit in ihrem Dorf hinter sich gelassen hatten. Wie sollte ich da nun die Situation der Tänzer übersehen, auch wenn es im Stück zunächst um die Ursachen der globalen Dumping-Spirale geht? Gibt es die denn nicht auch bei uns? Immer mehr gut ausgebildete Künstler kämpfen um einen immer geringer finanzierten Theaterjob. Es fällt mir wirklich schwer, da die Augen zu verschließen. Ich bin nicht absichtlich eine politische Künstlerin. Ich weiß nur nicht, wie man das Politische übersehen soll. Manchmal beneide ich Künstler, die das können und sich für die übrige Welt gar nicht interessieren.

Die abschließende Frage: Sie befinden sich zum Zeitpunkt des Interviews noch in der Stückerarbeitung. Wie entwickelt sich das Stück, wie geht es Ihnen persönlich mit dem Status Quo der Erarbeitung?

Gut, danke der Nachfrage, sehr gut, weil das Stück von Neugierde angetrieben wird, von der Lust, Neues von Tänzern und den Akrobaten zu lernen, von Zeitgenossen, die sich etwas trauen, die etwas wagen, die etwas riskieren. Jetzt tun sie es mit mir, aber an allen anderen Tagen auch ohne mich. Ich bin ziemlich elektrisiert von einem Team, das sich schon am ersten Probentag getraut hat, mit wildfremden Menschen, die ich als „Mauerbauer“ einfach mit eingeladen habe, umzugehen. Was übrigens verblüffend einfach war. Sie haben sich einfach menschlich einander genähert und herausgefordert.

 

Helena Waldmann: www.ecotopiadance.com, www.helenawaldmann.com

* Die im Interview erwähnte durchsichtige Flagge der Künstlerin Edith Dekyndt vimeopro.com/user15725279/edith/video/ 65647087

 

„Gute Pässe Schlechte Pässe – eine Grenzerfahrung“, Helena Waldmann:

14. März, 20 Uhr, Posthof Linz

Das Stück wird innerhalb der Tanztage Linz gezeigt.

Alle Stücke: www.posthof.at

Die kleine Referentin

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… some women actually find it attractive …

Frau weiß gar nicht, womit sie diesmal diese Kolumne beginnen soll – es tut sich ja so wahnsinnig viel auf dem Parkett der Frauenverachtung, und nicht immer ist sie auf den ersten Blick als solche erkennbar. Immerhin steht ja auch der Internationale Frauentag vor der Tür, Tageszeitungen werden womöglich einen Tag lang ausschließlich die weibliche Schreibweise verwenden (und werden damit ungewollt manifestieren, wie ungewöhnlich dies ist, „Zurück zur Normalität!“ würde es Heinz Mayer* verzweifelt formulieren). Und es werden wohl erneut erschreckende Zahlen veröffentlicht zu Themen wie: Frauen auf der Flucht, Mädchen in die Technik, häusliche Gewalt und gläserne Decke. Zu letzterem Thema haben an einem Wochenende bereits im Februar zwei Artikel versucht, mich darüber zu informieren, weshalb wir auf Geschlechtergerechtigkeit in österreichischen Führungsetagen noch länger warten werden. Einer war im Karriereteil des Standard zu finden, wo eine Studie aus dem Jahr 2016 präsentiert wurde, die darlegt, dass „Frauen gar nicht führen wollen“ (Frauen haben weniger Selbstbewusstsein. Frauen steuern weniger bewusst eine Führungsposition an). In der Tageszeitung Die Presse rät ein Human Resources Berater im Rahmen einer Diskussion zur „gläsernen Decke“ Frauen, doch „ruhig einmal narzisstisch“ zu sein. Beide Beispiele zeigen in erster Linie eines: jene Parameter, die definieren, was „führen“ in der gegenwärtigen Arbeitswelt bedeutet, geben nach wie vor Männer vor oder jene Frauen, die es nach männlichen Kriterien „geschafft“ haben, sich dadurch Männern gegenüber als „gleichwertig“ bewiesen haben und demzufolge als befähigt wahrgenommen werden, anderen Frauen in einer männlich dominierten Welt der Führungskräfte Ratschläge zu geben. Dass diese Kriterien, die „beruflichen Erfolg“ oder „Karriere“ definieren, obsolet sein könnten, daran wird kaum ein Gedanke verschwendet, im Gegenteil werden mit solchen Studien und Aussagen Grenzen des beruflichen Aufstiegs manifestiert, Grenzen, die bei Kinderwunsch oder Wunsch nach Arbeitszeitverkürzungen als „typisch weibliche“ Defizite bezeichnet werden, die durchaus auch abwertend auf Männer angewandt werden, wenn diese sich zum Beispiel für eine längere Karenzzeit oder verkürzte Arbeitszeiten entscheiden würden. Von Rahmenbedingungen, die die Kompetenzen, Bedürfnisse und Lebensentwürfe aller Geschlechter ernstnehmen und mitdenken würden, sind wir weiter entfernt denn je. (Auch dank manch konservativer Jungpolitikerin, die bei frauenpolitisch relevanten Themen offenbar eher an Heidi Klum als an Johanna Dohnal denkt.) Es heißt: Frauen, lernt von Männern, die machen’s richtig. Da wird nicht Kritik an starren Bedingungen formuliert, sondern Kritik an jenen Frauen (gleichermaßen dadurch auch an „führungsunwilligen“ Männern), die sich nicht einlassen wollen auf ein uninspiriertes, phantasieloses und sehr unmodernes Bild einer „Karriere“ im klassischen Sinn. Im Rahmen einer so engen Denke können Frauen also nur führen und reüssieren, wenn sie es den Männern gleichmachen, oder gar die „besseren Männer“ sind, um gleich noch ein nicht totzukriegendes Stereotyp zu bemühen. Unter diesem Gesichtspunkt wird nachvollziehbar, wie es passieren kann, dass eine sehr erfolgreiche Frau nach über 10 Jahren in Führungsverantwortung mit den Worten „Das haben wir dir zu Beginn gar nicht zugetraut“ öffentlich verabschiedet wird. Und der Betreffende das nicht einmal böse meint. Und die betreffende Frau einmal mehr ihre Stärke beweist, indem sie den Satz nonchalant überhört. Und dennoch bleiben Aussagen wie diese nichts anderes als Beispiele für einen strukturellen Sexismus, der Frauen damit beschäftigt hält, sich aus einer Schublade nach der anderen zu befreien.

Generell gilt: Bevor ich über Frauen, die nicht nach überkommenen Kriterien „führen“ wollen, urteilen möchte und darüber, ob sich eine Quote für Frauen unter Umständen auch negativ auswirken könnte, will ich erst einmal hinterfragen, auf welcher Basis eigentlich die Jahrhunderte lang etablierte Männerquote sich legitimiert und ob der angeblich „männliche“ Führungsstil noch adäquat ist in einer Welt, die eigentlich nichts weniger braucht als dünnhäutige, „typisch“ männliche Autokraten.

Er sei für eine 100% Quote für Frauen in allen Gremien, Interessensvertretungen, Regierungen und Aufsichtsräten, meinte ein Freund kürzlich. Denn, wenn eines klar sei, dann: „Wir haben es verkackt“. Es sei, betont er, spätestens nach Trump wohl für jeden sichtbar, wie wenig weit Männer die Welt im positiven Sinn gebracht hätten. Und wie möglichst schnell sie ihnen entrissen werden sollte. Bis es soweit ist, richte ich mich an Facebook-Seiten wie Man who has it all immer wieder auf. Es ist das Gegenteil der gutgemeinten „für-einen-Tag-gendergerechten-Schreibweise“ am Internationalen Frauentag. Es ist böse, sarkastisch und sexistisch. Nur in die andere Richtung halt: To all intelligent men. Don’t be AFRAID of your Intelligence. It’s OK to be a man and be intelligent. Some women actually find it attractive.**

 

* Heinz Mayer und Eva Blimlinger über das Binnen I, ORF 2, ZIB 2, 15. 7. 2014

** Man who has it all, facebook, 4. 11. 2015

Zeitbasiertes Kegeln, Schnappatmung

Neuerdings gibt es auf der Kunstuniversität Linz ein Institut für Sport. Ein Sportinstitut auf der Kunstuni? Wird die tägliche Turnstunde zuerst an den Universitäten umgesetzt?! Nein, die Zeitbasierten Medien und ihre ProtagonistInnen wollen sich zerstreuen. Und sie wollen ins Gespräch kommen. Unverbindlich und offen wird am Gang an der installierten Kegelbahn nach der Lust am Scheitern und der Freude am Erfolg gefragt. Die Antwort liefert eine selbstgebastelte Bowlingkugel. Sie demontiert U-matic-Kassetten, die als Kegel dienen – mit ungewissem Ausgang. Altes wird umgestoßen. Doch das Umstürzen des Alten droht in den Gebärden des Neuen wieder aufzublühen. Das Alte verfestigt sich im neuen Gewand. Wir brauchen uns keine Gedanken mehr zu machen, wie unsere Großeltern gehandelt haben, wir erfahren es jetzt am eigenen Leib. Unmittelbar, unverhohlen, ein Schlag ins Gesicht. Sport als Zerstörung. Als Vorbereitung auf den Krieg. Als Vorbereitung zur Politikform der Leistung und des Kampfes im alltäglichen Leben. Kommentiert mit zeitbasierten Medien. Uuuups, nein, ganz falsche Schiene … sondern: Sport als eine Kulturtechnik der Zerstreuung. Prozessorientiert an der Freude am Tun und am sozialen Miteinander. In der entspannten Zerstreuung kommen wir ins Gespräch und suchen das Verbindende im Gegenüber. Gelebte Völkerverständigung am Gang der Kunstuniversität.

Eine Völkerverständigung der anderen Art liefern sich chinesische Martial Arts und afghanische Frauen. Sie lehnen sich gegen das ultrakonservative Denken und die zerstörerischen Einstellungen gegen Frauen in ihrem Land auf und wollen sich nicht weiter beherrschen lassen.

Die Trainerin Seema Azimi will durch das Unterrichten der Kampfkunst Wushu auch das Selbstbewusstsein ihrer Schülerinnen stärken und ruft alle Frauen auf, ihre Fähigkeiten zu erkennen und sich den harten Umständen und der Hilflosigkeit entgegenzusetzen. So auch in den Straßen von Kabul, wo Frauen regelmäßig belästigt werden, können sich die Kampfsportlerinnen vor Diebstählen und Übergriffen besser schützen.

Die Frauenverachtung, die die ultrakonservative Herrschaftsform ganz offen auf den Tisch legt, versteckt sich in unseren aufgeklärten Breitengraden meist viel subtiler, kommt gerne durch die Sprache zum Vorschein und enthüllt das heimatliche Denken in einer brachial gewaltigen Eloquenz auf erschütterndem Niveau. Ist gewaltfreie Kommunikation mit jenem Gegenüber nicht möglich, so hilft ein schneller Sprint weg, wohin auch immer. Sport als Mittel zur Befreiung und als Selbstschutz zum Abwehren von Angriffen. Sexuelle Belästigung ist leider auch bei uns normaler Frauenalltag. Ja, meine Damen und Herren, falls sie es nicht glauben, so fragen sie doch bitte in ihrem Bekanntenkreis nach ehrlichen Antworten. Leider wahr.

Den Körper als sicheren und selbstbestimmten Raum zu erleben ist die Basis gesunder menschlicher Entwicklung. Fehlt diese Erfahrung kann Bewegung und Sport dies einleiten und der Körper kann und darf wieder fühlbar werden. Mächtiges Stichwort: Atmen! Über die Schnappatmung hinaus um die Lungen in ihrer Arbeitsleistung zu fordern und die Zellen mit ausreichend Sauerstoff versorgen. Seine Grenzen erkennen. Außer Atem kommen. Entgiftendes Schwitzen. Körperlich müde werden und in der Nacht in einen daraus resultierenden tiefen regenerativen Schlaf versinken. Aus diesem erfrischt aufwachen und frohen Mutes in den Tag starten.

Auf einen Tag im Jahr freue ich mich besonders. Den Weltfrauentag am 8. März. Liebe Frauen, nehmen wir uns Zeit für unsere Rechte! Österreich schließt sich dem globalen Frauenstreik an und verbündet sich mit allen Frauen dieser Welt. In der Linzer Innenstadt stößt die Allianz Feminismus & Krawall kraftvoll und lautstark ins selbe Horn: Aus!!! Es reicht!

 

1. Linzer Bikerinnen* Gang „FMC Cobra“ trifft sich zur 1. Ausfahrt am 8. März 2017 um 15.00h beim Musiktheater. Über den Martin-Luther-Platz gehts zum Hauptplatz, wo wir die Ausfahrt mit Feuer und Flamme gesellig ausklingen lassen.

NEXT COMIC

www.nextcomic.org

Anna Haifisch ist eine der featured artists beim Festival Next Comic, das von 16.–24. März in Linz stattfindet. Wir haben sie im Salzamt besucht, wo sie im Februar und März Artist in Residence ist. Anna Haifisch hat uns für die Referentin einen Comic zur Verfügung gestellt, der aus ihrer Artists-Serie stammt. Wir können verraten, dass Sie selbst sich, im Gegensatz zum dargestellten Artist, im Salzamt sehr gut aufgehoben fühlt. hai-life.com.

Unser Adabei Slowdude.

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Nicht nur das Essen ist zum großen Teil schlecht. Linz und sein pulsierender oberösterreichischer Zentralraum sind auch gastrojournalistische Ödnis. Ja, wieder mal – Grant, Ärger und schlechte Stimmung beim Dude. Aber darf eine Kolumne eines Dilettanten so sein? Ja, sie darf – in Zeiten wie diesen. Und überhaupt: der Slowdude darf sich das erlauben. Der hat Recht. Alles andere ist falsch. Aber nun zum Thema: Die deprimierte Stimmung und resignative Einstellung resultiert aus Jahren des hoffnungsvollen Beobachtens der heimischen Medienlandschaft, gepaart mit einem ernsthaften Interesse an gutem Essen und den Menschen, die dieses ermöglichen, produzieren, bereitstellen – und die darüber schreiben.

Die größte Falle der journalistischen Auseinandersetzung mit KöchInnen, Küche, Nahrungsmitteln und kulinarischen Produkten ist das Ego der handelnden Personen. Denn dieses Ego wird früher oder später durch die Adabei-Sehnsucht gefangen genommen und ist danach nur mehr in Fotos gegossen in zweit- oder drittklassigen Tageszeitungen wahrzunehmen: Idiotisch lächelnd neben einem Koch in Uniform, mit einem hippen Winzer mit neckischer Frisur oder einer coolen Küchenboygroup. Um Credibility zu behalten, werden dann noch Fotos und Berichte von der Qualität eines Schulaufsatzes aus der Gefängnisküche beigestellt. Oder Bildstrecken mit meist alten, „urigen“ Menschen – denen man das harte Leben, aber auch die „echte“ Passion ansieht – in deren genuiner Umgebung. Keep it real. Das Niveau wird aber noch weiter runtergeschraubt: Wenn ganze Seiten über das Wunder der Tischwäsche unter dem Motto „Ich bin für Opulenz“ abgedruckt werden. Das ist die völlige Kapitulation vor dem Anspruch auf ein wenig Qualität und Aussage, was das Essen selbst betrifft.

Sieht man sich das gesammelte gastrojournalistische Potential des sogenannten Landeshauptblattes an, so müssen wir folgendes feststellen: 1. Ein armer Koch, der schon genug Sorgen mit dem ewigen Wirrwarr von Vor- und Nachnamen hat und selbst ein Restaurant betreibt, das wie aus den 70er Jahren gefallen scheint. 2. Ein Mensch mit einer Art Bobtailfrisur, der versucht, den eigentlich radikalen und politischen Content der Slowfood-Bewegung auf launiges Weinkostniveau zu senken. Und dies auch bravourös meistert. 3. Eine Dame, die ihre sprachbeschränkten Tagebucheinträge auf Zeitungspapier bringt und sich allen Ernstes beim Profilfoto mit einem Küchenutensil ablichten lässt.

Der Slowdude fühlt sich da in Facebookforen deutlich wohler. Hier wird pragmatisch berichtet und analysiert – ohne große Umschweife. Oder gefakenewst oder geschleichwerbt, was das Zeug hält. Aber: Es geht einfach nur ums Essen. Das Adabei-Getue ist – bis auf ein paar ModeratorInnen der Foren, die gerne etwas schulmeisterlich kommentieren und auch ab und an im fahlen Scheinwerferlicht der lokalen Presse stehen – kein Thema.

Die kleine Referentin – Auflösung

1 Hermann Nitsch – „Orgien Mysterien Theater“

2 VALIE EXPORT – „TAPP- und TASTKINO“

3 Günther Brus – „Kunst und Revolution“

4 Marina Abramovic – „Thomas Lips“

5 Arnulf Rainer – „Übermalungen“

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Manner-Wafferl, ein Apferl und rasierte Beine

Über seine frühe und spätere Leidenschaft für den Radrennsport unterhält sich Johannes Staudinger mit Andreas Baumgartner, der auch Leiter des Theaters des Kindes ist.

Draußen ist es noch Winter bei null Grad Celsius, einige wenige huschen am Cafehaus in der Herrenstraße mit ihren Rädern Richtung Frühling vorbei. Drinnen, im Warmen sitze ich bei kubanischer Musik, Hundegebell und Kaffeetratsch mit Andreas Baumgartner. Wir führen ein Gespräch über Andreas’ Engagement im Radsport und über seine Arbeit als Theatermacher und Schauspieler.

Mit welchem Alter hast du begonnen Rennen zu fahren?

Mit 17, so um 1990, 1991, relativ spät.

Du bist also in einem Alter eingestiegen, wo man eigentlich beginnt auszugehen! Was hat dich grundsätzlich zur Entscheidung gebracht, dich für den Radrennsport zu interessieren?

Mein Bruder ging in eine Lehre. In der Berufschule hatte er einen Kollegen, der ist beim RC Lambach gefahren. Mein Bruder hat mir immer von diesem Radfahrer erzählt, dass der zum Beispiel am Morgen zum Frühstück immer ein Packerl Manner-Wafferl und einen Apfel aß. Das hat mir so gut gefallen, dass ich mir irgendwann ein Rennrad kaufte.

Konntest du dir das Rennrad gleich selber leisten?

Ich glaube, es haben mir meine Eltern gekauft und ich hab etwas dazugezahlt. Ich bin dann gleich nach Lambach zum Radgeschäft Grassinger gefahren und hab gefragt, ob ich nicht beim Lambacher Verein fahren könnte? Nach dem ersten Training ist es gleich ratzfatz gegangen und ich war drinnen.

Wie viele Jugendfahrer wart ihr?

Zwei, drei. Ganz wenige, …

Wie lange bist du dem Radrennzirkus treu geblieben?

Bis 1993, 1994. Das war die brutale Zeit, wo EPO gekommen ist (Anm. Red: EPO wurde als Dopingmittel verwendet). Ich bin dann in meinem zweiten Junioren-Jahr, dieses Erlebnis erzähl ich immer wieder, am Start der Dusika-Tour gestanden und neben mir stand ein Pole oder ein Bulgare, so genau weiß ich das nicht mehr. Ich blickte auf die Seite, sagte Hello!, woraufhin mein Gegenüber langsam den Kopf hob und mich mit starrem, leerem Blick nicht mehr aus den Augen ließ. Dann gab es den Startschuss und die sind gefahren wie die Wahnsinnigen.

Die jungen Fahrer wurden damals mit EPO versorgt?

Das kann ich nicht sagen, ich weiß nur, dass damals einiges nicht mit rechten Dingen zuging! Ich selber hab mir viel erkämpft, von der Technik her hat alles gepasst, aber ich habe nicht unbedingt die besten körperlichen Voraussetzungen gehabt. Ich wusste, ich kann in Österreich mitfahren, vielleicht einmal mit viel Glück eine Österreich-Rundfahrt fahren, aber mehr auch nicht. Das war es mir dann einfach nicht mehr wert.

Wie hast du das Band zum Radsport aufrecht gehalten, oder hast du einen totalen Schnitt gemacht?

Ich machte einen totalen Cut. Aber ich blieb immer am Radsport interessiert. Zum Beispiel war die Tour de France im Fernsehen ein Fixpunkt im Sommer, oder auch die Österreich-Radrundfahrt.

Wie kamst du dann zu Schauspiel und Theater?

Wir gründeten eine Amateur-Theatergruppe in Schwanenstadt. Dort haben wir u.a. „Die Munde“ von Felix Mitterer gespielt. Ein Jahr später machten wir dann noch eine Lesung. Danach entschied ich mich, die Aufnahmeprüfung in Linz zu machen, wo ich sofort aufgenommen wurde. Von 1996 bis 1999 studierte ich dort Schauspiel. Währenddessen haben wir in Linz unsere eigene Theatergruppe gegründet, die hieß „TheaterUnser“.

Wer war da noch dabei?

Rudi Mühllehner, Karl Lindner und Henry Mason. Henry ist jetzt wieder in Linz und macht bei mir im Theater des Kindes eine Inszenierung. Nach der Gründung der Gruppe haben wir gleich viel gespielt. Ich bin ein Kind der Freien Szene. Ich bin nicht nach dem Studium in die Freie Szene, sondern während des Studiums. Wir waren sehr aktiv und ich habe extrem viel gelernt, vor allem auch im organisatorischen Bereich.

Nun bist du seit 2003 künstlerischer Leiter beim Theater des Kindes. Was würdest du als eine Besonderheit eures Hauses herausheben?

Stücke nicht unbedingt so umzusetzen, wie man es erwartet. Herausforderungen suchen, gewisse Aspekte aus dem Stück herauskitzeln, die uns besonders interessieren, mit Ästhetiken spielen. Wir arbeiten mit vielen verschiedenen Menschen zusammen. Wir holen immer wieder neue Bühnenbildnerinnen, neue Musiker. Wir haben viele Leute dafür gewinnen können, in ihrem Leben erstmals für Kinder zu arbeiten. Wir machen sehr eigene Geschichten, zum Beispiel eine Heidi-Inszenierung für drei Schauspieler. Mit diesem Stück haben wir auch den Stella 2014 gewonnen, den Preis für herausragendes Theater für Kinder und Jugendliche. Dieses Stück haben wir bereits über 150 Mal gespielt. Auch wenn wir Klassiker machen, versuchen wir sie auf unsere Art und Weise umzusetzen. Das ist unser großes Ding.

Wie kannst du fürs Theater des Kindes deine Begeisterung aufrechterhalten?

Ich hab immer gesagt, solange mir noch was einfällt, solange mach ich diesen Job. Und uns fällt immer noch was ein, es macht Spaß, und es laufen uns immer wieder neue Themen über den Weg. Es soll sich nicht zu wiederholen beginnen, denn dann wird es gefährlich.

Wie bist du dann wieder zum Radsport zurückgekommen?

Das hat 2011 begonnen. Ich bekam immer mehr körperliche und vor allem psychische Probleme. Es stellte sich heraus, dass ich unter Panikattacken litt. Meine Frau hat mir geraten, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Was ich dann auch tat. Im Sommer darauf lag ich auf der Couch und schaute Tour de France. Meine Frau kam zu mir rein und fragte, hast du dich schon mal in den Spiegel geschaut? Ich schnaufte einmal durch und sagte, gut, dann geh ich Radlfahren. Ich hab mich auf mein Citybike gesetzt und bin losgeradelt. Nach zwei Wochen sagte ich zu meiner Frau, dass ich mir wieder ein Rennrad kaufe. In diesem Sommer hab ich innerhalb kürzester Zeit 10 Kilo abgenommen. Im Herbst bin ich dann gleich bei einem Radmarathon mitgefahren. Über den Winter trainierte ich weiter und bin dann wieder in den Rennzirkus eingestiegen. Das Kirschblütenrennen 2013 war dann wieder mein erstes Rennen.

Eigentlich gleich wieder voll in das nächste Szenario rein?

Ja, aber das hat mir das Leben gerettet. Ich hab einfach gemerkt, dass ich nach einer Stunde am Rad in einen Flow kam, wo die Gedanken wieder leichter wurden.

Hast du dir zu Beginn gleich wieder die Beine rasiert?

Sicher! … Dank meines Vorstandes und meiner Kollegen konnte ich die Arbeit am Theater für ein halbes Jahr reduzieren. Dadurch konnte ich mich fast ausschließlich auf das Training konzentrieren. Ich bin die 13er, 14er und die 15er Saison voll gefahren und hatte aber dann in der Steiermark ein prägnantes Erlebnis. Bei einem Rennen in Hartberg hatte ich plötzlich einen Puls von 208. Ich ließ die Beine hängen, rollte ins Ziel und sagte mir, so Andreas, jetzt heißt es wirklich aufpassen. …

2016 traf ich mich mit meinem Teamkollegen Simon und erzählte ihm, dass ich ein U-23 Elite-Team gründen möchte. Wir schrieben ein Konzept für Sponsoren, ich habe mit den jungen Fahrern von meinem alten Verein gesprochen, ob sie das wollen und wenn ja, dann ziehen wir das durch. Ich hab den ganzen Sommer durchgearbeitet. Ich schrieb hunderte E-Mails, machte hunderte Anrufe und bekam hunderte Absagen. Überall hab ich es probiert und schlussendlich auch viel aufgestellt. Es war ein langer und mühsamer Prozess, aber im August war dann klar, dass KTM einsteigt. Danach ging es Schlag auf Schlag, und viele weitere Sponsoren kamen dazu. Nun fahren wir als Team FELDBINDER OWAYO KTM auf internationalem Terrain.

Ihr nehmt im März auch gleich an der Tour of Rhodos teil.

Das wird der Wahnsinn! Dort stehen wir am Start mit Wiggins, Hrinkow, Lotto, also mit richtig starken Continentalteams. 186 Starter!

Wie viele Betreuer nehmt ihr nach Rhodos mit?

Wir fahren mit allen neun Fahrern nach Rhodos, es dürfen aber nur jeweils sechs starten. Zum Auftakt bestreiten wir auch noch den GP of Rhodos. Wir wollten allen die Möglichkeit geben zu fahren. Drei verzichten auf das Tagesrennen, drei verzichten auf die Rundfahrt. Gleichzeitig machen wir dort auch ein Trainingslager. Somit bin nur ich als Betreuer mit und die drei, die gerade keinen Renneinsatz haben, müssen mithelfen. Das ist gut, denn so wachsen wir als Team zusammen und jeder sieht, wie es abläuft. Unser Team hat in Österreich sicher eine Monopolstellung, denn niemand verschreibt sich so dezidiert der Nachwuchsarbeit wie wir.

 

Theater des Kindes, www.theater-des-kindes.at

Team Feldbinder Owayo KTM, www.rennteam-ooe.at