Ein Buch gegen die Angst

Geheime Papiere gegen den Faschismus. Europa ist in Zonen aufgeteilt, die Menschen sind angesichts des neuen faschistischen Regimes verängstigt. Während Claire hinter Barrikaden kämpft, sitzt ihre Freundin Su mit geheimen Papieren im Zug. Wenn es ihr gelingt, damit unbemerkt die Grenze zu passieren, ist es vielleicht noch nicht zu spät – so der Plot von Eva Schörkhubers neuem Roman „Nachricht an den Großen Bären“. Ein Interview mit der Autorin von and pawe.

Wie flach die Welt geworden ist. Flach und rissig. Auf riesigen Schollen treiben wir voneinander fort. Wir umzäunen unsere Denk-, unsere Sehterritorien mit Worten aus Stacheldraht. Wir schießen aufeinander, nicht nur in Sätzen. Der Pulvergeruch betäubt unsere Sinne. Jeder Sicht-, jeder Perspektivenwechsel wird als Verrat geahndet. Alle müssen sich für eine Seite entscheiden. Der Horizont reicht gerade bis zum Rand der Scholle und keinen Schritt weiter. Es gibt keine Möglichkeit, einen anderen, einen etwas abseits gelegenen Standpunkt zu erreichen. Das Gelände ist vermint. Ich bin froh, dass sich wenigstens die Landschaft vor dem Zugfenster zu falten beginnt. Leichte Erhebungen, eine sanfte Hügellandschaft. Mitteleuropa hat das einmal geheißen. Aber Europa gibt es nicht mehr. Der Kontinent ist zerklüftet, auseinandergerissen. Die Schollen sind zu weit auseinandergedriftet.

Im April erschien in der Edition Atelier Eva Schörkhubers drittes Buch „Nachricht an den Großen Bären“. Nach ihrem Debütroman „Quecksilbertage“ und der Erzählung „Die Blickfängerin“ ist dies nun ihr zweiter Roman. Dieser erzählt von einer Zeit, in der Europa in Zonen aufgeteilt und von einem autoritären rechten Regime regiert wird. Su, die Hauptfigur im Roman, hat sich dem Widerstand angeschlossen, sitzt im Zug und ist dabei, geheime Papiere außer Landes zu schaffen. Eva Schörkhuber zählt zu jenen Autor_innen, die gekonnt politische Inhalte mit hohem erzählerischem Anspruch und sprachlichem Feingefühl verbinden. Es ist auffällig, dass diese Art von Literatur gehäuft in der Edition Atelier in Erscheinung tritt. Das ist gut so. Denn es gibt genug Autor_innen, die wenig zu sagen haben und dies in einer leichten und gefälligen Sprache über hunderte von Seiten zum Ausdruck bringen. Die Bestsellerlisten sind voll davon. Literatur könnte aber soviel mehr sein … Ein Vorgeschmack über dieses „Mehr“ soll im Gespräch mit der Autorin über ihren neuen Roman, Arten des Schreibens, über Europa, die Politik mit der Angst und inspirierende Nachbarschaften gegeben werden.

Bei deinem ersten Buch ist mir aufgefallen, dass du in deinem Erzählen die Sprache gerne verdichtest, um sie im nächsten Augenblick wieder loszulassen, dass Wörter gleich einem losgelassenen Luftballon im Kopf herumfliegen. Gab es für dich in diesem Buch ebenso stilistische Vorüberlegungen? Welchen stilistischen Schreibimpulsen wolltest und konntest du nachgehen?

Ich wollte verschiedene Erzähltechniken und Erzähltempi ausprobieren, also mit Perspektiven und traumähnlichen Einschüben spielen, sowie beschleunigte, verdichtete Passagen mit langsameren, epischeren und reflektierenden abwechseln. Das Ausgangsmaterial für den Roman sind einige Erzählungen gewesen, die im Laufe der letzten drei Jahre entstanden sind, und die alle das Thema „Angst“ verhandeln. Diese Erzählungen sind in eine durchgängige Rahmenhandlung eingewoben und durch weitere Erzählungen ergänzt worden. Bei der Rahmenhandlung wollte ich einen Spannungsbogen bauen, der sich über die Reise der Hauptfigur Su von der Stadt aus über die Grenze spannt. In den Erzählungen wiederum liegt der Fokus auf einzelne Figuren, denen Su entweder auf ihrer Reise oder früher einmal begegnet ist. In den Erzählungen hatte ich die Möglichkeit, mit verschiedenen Perspektiven und Erzählstilen zu arbeiten.

Gleich zu Beginn des Romans antwortet Su auf die Frage, ob sie Angst habe: „Nein, ich habe keine Angst. Angst ist doch das größte Problem hier.“ Im weiteren Verlauf zeigst du die Angst in ihren verschiedensten Ausformungen; die Angst vor Fremden oder auch jene Angst, die einem im Wasser das Gefühl gibt, nach unten gezogen zu werden; und eines der letzten Kapitel hast du „Die Dichte der Angst“ genannt. Was unterscheidet die Angstlosigkeit der Widerständischen von der Angst, die ein autoritäres Regime erzeugt?

Angst zu haben ist etwas Menschliches, jeder und jede von uns kennt das Gefühl. Die Frage ist, wie mit dem Gefühl der Angst umgegangen wird. Wird sie geschürt, um Menschen leichter regierbar zu machen, wie es in rechtspopulistischen Diskursen und autoritären Regimen geschieht? Oder wird sie benannt und gemeinsam verhandelt? Wenn es keinen Platz dafür gibt, sich mit Ängsten, den eigenen ebenso wie mit jenen der anderen, auseinanderzusetzen, kann das dazu führen, dass man sich in sehr enge, disziplinatorische und autoritäre Zusammenhänge begibt, die – scheinbar – Sicherheit und Stabilität gewährleisten. Tatsächlich sind es aber diese Zusammenhänge, in denen Angst geschürt wird. Eine emanzipatorische Möglichkeit, mit Angst umzugehen, ist sich ihr zu stellen, sie zu benennen und sich schrittweise mit ihr auseinanderzusetzen. Die Menschen, die sich dazu entschließen, in den Widerstand gegen autoritäre Regime zu gehen, haben auch Angst – berechtigterweise, denn sie sind permanent von Gefängnis, Folter und Hinrichtung bedroht. Damit sie aber überhaupt in Betracht ziehen können, diese enormen Risiken einzugehen, haben sie Möglichkeiten gefunden, ihre Ängste gemeinsam und solidarisch zu verhandeln und sich ihnen also auch zu stellen.

Immer wieder kommen in deinem Roman traumähnliche Szenen und düstere urbane Landschaften vor, die an Filme und Gemälde erinnern. Du zeichnest intensive, fast bildnerische Szenen und schreibst auch über Bilder. Mir ist, als experimentiertest du mit erweiterten Formen des Erzählens. Als versuchtest du in benachbarte künstlerische Felder zu wechseln, dort Elemente zu nehmen und sie in literarische Formen zu verwandeln. Was waren für dich bei diesem Roman benachbarte Inspirationsfelder?

Während des Schreibprozesses habe ich einige Filme und Videoinstallationen gesehen, die inspirierend waren. Einer dieser Filme ist „La Cité des Enfants Perdus“ (Die Stadt der verlorenen Kinder) von Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro gewesen. Dabei ist es mir weniger um thematische oder inhaltliche Bezüge gegangen als um Erzähltechniken, die es ermöglichen, der Erzählung eine bestimmte Färbung oder einen bestimmten Tonfall zu verleihen. Bei visuellen Medien wird in dieser Hinsicht mit Farben und mit prägnanten Einstellungen gearbeitet: Mit einem Bild kann so viel gezeigt und atmosphärisch erzählt werden, wofür es in einem Text vieler Sätze bedarf. Und ich habe mich immer wieder gefragt, wie es möglich ist, auch in und mit Sprache solche Effekte zu erzeugen, ohne dass ich dafür seitenlange Beschreibungen benötige. Die Manifesto-Videoinstallationen von Julian Rosefeldt sind in diesem Zusammenhang auch interessant gewesen. Anhand von kurzen filmischen Episoden sind Kunst-Manifeste (des Surrealismus, des Futurismus, des Dadaismus, des Situationismus usw.) dargestellt und in Szene(n) gesetzt worden. Die Möglichkeit, komplexe sprachliche Setzungen episodisch und narrativ aufzubereiten, ohne in irgendeiner Form illustratorisch zu werden, hat mich dabei fasziniert. Ein anderer Film, der während der Arbeit an dem Roman wichtig gewesen ist, ist der letzte Teil von Lars von Triers Europa-Trilogie, der auch den Titel „Europa“ trägt …

Der Traum von Europa ist in deinem Buch zum Albtraum geworden. Einiges davon, was du beschreibst, kann man auch in der gegenwärtigen Situation erkennen. Auf der einen Seite stehen die (Wirtschafts-)Liberalen, die die europäischen Werte hochhalten. Nennen wir sie die „good guys“ und auf der anderen Seite stehen die „bad guys“, die primär chauvinistisch und kulturkämpferisch auftreten, also die vom neuen und alten rechten Diskurs geprägten Fraktionen. Das ist jetzt eine sehr vereinfachte Dichotomie, aber die letzten Präsidentschaftswahlen in Österreich und Frankreich waren genauso gelagert. Diese Reduktion und der Zwang sich für eine der beiden Positionen entscheiden zu müssen, ist natürlich eine Falle. Wofür und wogegen muss heute gekämpft werden?

Ich denke auch, dass es ein Fehler ist, zu glauben, man könne sich heute für die eine – (wirtschafts-)liberale – oder für die andere – national-chauvinistische – Seite entscheiden. Wir befinden uns in einer Phase der massiven Reterritorialisierung. Das Prinzip des Nationalstaates ist in allen Bereichen tragend, nicht nur in rechtspopulistischen Diskursen. Die so genannten europäischen Werte sind viel abstrakter als die realpolitischen Auswirkungen: 60 Kilometer von Wien entfernt, in Bratislava, verdienen Menschen für dieselbe Arbeit um zwei Drittel weniger. Was, wie wir alle wissen, zur Folge hat, dass gewinnorientierte Unternehmen ihre Firmensitze und Produktionsstätten dorthin verlagern. Unter dem Deckmantel der so genannten Standortsicherung werden dann sukzessive Regelungen zum Arbeitnehmer_innenschutz abgebaut, Lohn- und Gehaltniveaus zum Stagnieren gebracht oder gar nach unten revidiert. Und da kommen die rechtspopulistischen Parteien ins Spiel: Sie kanonisieren die Ängste, geben ihnen einfache Ausdrucksformen und bieten monokausale Erklärungs- und Lösungsvorschläge an, die niemals umgesetzt werden (können). Die anderen Parteien (darunter auch die so genannten sozialdemokratischen) sind nicht mehr in der Lage, die Menschen, die tatsächlich von sozialem Abstieg, von Armut und Existenzkämpfen bedroht sind, zu repräsentieren. In dem Roman habe ich versucht, diese Entwicklungen nachzuvollziehen und in ihren weiteren Konsequenzen zu befragen: Die Aufteilung Europas in A-, B-, C- und D-Zonen, die einer binneneuropäischen Kolonialstruktur entspricht, ist nicht soweit an den Haaren herbeigezogen, wenn wir an den Ausverkauf Griechenlands oder jetzt an die an den Rändern Europas errichteten Lager für geflohene und schutzbedürftige Menschen denken. Ich denke, dass es diese Reterritorialisierungen sind, gegen die wir heute kämpfen müssen: Also gegen die realpolitischen und diskursiven Nationalismen und für globale Umverteilungen. Auch das ist ein Thema im Roman: Widerstand muss immer an und über Grenzen gehen, er kann nur als transnationaler funktionieren.

 

Eva Schörkhuber,

Nachricht an den Großen Bären

Roman, Edition Atelier, 200 Seiten, 20 Euro

ISBN 978-3-903005-27-3

E-Book: 12,99 Euro, ISBN 978-3-903005-48-8

 

Lesung und Gespräch:

Eva Schörkhuber (Nachricht an den großen Bären) und Mascha Dabic (Reibungsverluste).

Mo, 12. 06., 19.00 h, Stifterhaus Linz

 

Eva Schörkhuber, 1982 geboren, aufgewachsen in Oberösterreich. Exil-literaturpreis 2012, Theodor-Körner-Preis 2013. Lebt und arbeitet in Wien und Bratislava. Gemeinsam mit Elena Messner Konzeption und Durchführung der Wiener Soundspaziergänge. Zuletzt in der Edition Atelier erschienen: „Die Blickfängerin“ (2013) und „Quecksilbertage“ (2014).

Die kleine Referentin

Illustration Terri Frühling Text Elke Punkt Fleisch

Illustration Terri Frühling Text Elke Punkt Fleisch

„Make a total massacre and leave no one behind“

Mit schreddernden Gitarren, schillernder Gesichtsbemalung und schlagfertigen Texten haben es Post Period schnell von den lokalen Bühnen in Linz und Umgebung auch nach Wien geschafft, nicht zuletzt bis zum FM4-Protestsongcontest. Protest ist generell fixer Bestandteil der Band und zieht sich durch ihr Konzept, meint Alexander Eigner über die Band.

Links Vivan Bausch, rechts Nora Blöchl und im Auto Linda Greuter. Foto Bastian Moser

Links Vivan Bausch, rechts Nora Blöchl und im Auto Linda Greuter. Foto Bastian Moser

Post Period haben sich im November 2015 gegründet und bestehen aus Nora, Linda und Vivian. Instrumente kann man den drei Frauen allerdings nicht direkt zuordnen, denn diese wechseln bei diversen Gelegenheiten die Musikerin. Gitarre, Bass, Schlagzeug und Keyboard werden von den Dreien wechselnd bespielt und die Singstimme wechselt ebenfalls von Song zu Song. Das ständige Ändern der Formation spiegelt sich auch im Sound wieder, der eine Mischung aus Punk, Surf Rock und Pop erzeugt oder anders gesagt: Post! Schließlich ist alles, was irgendwann später kommt, eben die Post Period, egal ob aus musikalischer, geschichtlicher oder gesellschaftlicher Perspektive. Wenn diese Phase wiederum vorbei ist, kommt auch etwas Neues, also wieder eine Post Period und so lässt sich das immer weiterspielen. Es geht um die Ära danach. Mit diesem Konzept hat sich das Trio auch etwas Großes vorgenommen: musikalischen Stillstand vermeiden und eine stetige Neuerfindung forcieren.

Beim FM4-Protestsongcontest haben sie schließlich ihren Song sonic war präsentiert, dieser hat ihnen, dank des guten Votings des Publikums, zum sechsten Platz verholfen. Bei der Bewerbung dafür haben sie sich noch wenig Chancen ausgerechnet, was generell mit der Skepsis für Conteste zu tun hat. Diese sind oft negativ behaftet, wie man aus zahlreichen dieser Wettbewerbe weiß. Schließlich muss man sich immer mit anderen messen, die meist etwas völlig Gegensätzliches machen. Anschließend wird man von einer Jury bewertet oder eventuell sogar abgewertet. Nichtsdestotrotz war der Auftritt im Rabenhof Theater der größte ihrer bisherigen musikalischen Karriere. Der Song an sich ist ein Schrei danach, dass auch Frauen nicht nur genauso aggressiv sein dürfen, wie das bislang hauptsächlich männlichen Kollegen vorbehalten bleibt, nein sogar müssen. Er handelt aber ebenso vom Hadern mit persönlichen inneren Konflikten und soll die Zerrissenheit der Medien aufzeigen. Genau deswegen lässt sonic war so viel Raum für eigene Interpretationen offen, ein Songzitat: „Make a total massacre and leave no one behind“.

Um Post Period vollends zu verstehen, sollte man sie einmal gesehen haben. Ihr Auftreten, mit rebellischer Eleganz, verfeinert mit ihren stilvollen Gesichtsbemalungen lässt einen erst einmal staunen, regt zum Nachdenken an und bereitet Vorfreude auf das, was noch kommen wird. Die Verzierungen im Gesicht entstanden ur-sprünglich daraus, dass ein Bandmitglied längere Zeit ein blaues Auge hatte und dieses bei einem Auftritt kaschiert hat. Solidarisch mit ihr taten es ihr die beiden weiteren Frauen der Band gleich. Und weil es so viel positive Resonanz dazu gegeben hat, haben sie beschlossen es beizubehalten, was auch nicht weiter schlimm ist, da alle drei große Bowie-Fans sind. So wurde aus einer Not ein Ritual. Ein Ritual der Gemeinschaft, denn das gegenseitige Schminken vor einem Gig gibt ihnen Ruhe. So stimmen sie sich auf den bevorstehenden Auftritt ein. Mittlerweile ist es zu ihrem Markenzeichen geworden.

Post Period – die sich selbst auch als Stromgitarrenfrauenkapelle bezeichnen – sind trotzdem viel mehr als Frauen mit Kriegsbemalung. Als Frauenrockband setzten sie, ob gewollt oder ungewollt, sowieso ein Zeichen, denn manche Klischees bestehen immer noch: Schlagzeug, Bass und E-Gitarre sind keine typischen Frauen-Instrumente. Oft haben sie das zweifelhafte Kompliment gehört, dass sie für Frauen ja ganz gut spielen würden. Mit ihrem Auftreten sind sie nun dabei diese Stereotypen zu widerlegen und krachen chaotisch, aber authentisch, geradewegs in die Männer-Rockwelt der Stahlstadt.

Im September 2016 haben Post Period bei der Recording-Session Girls Rock Edition im Ann and Pat ihre ersten beiden Singles veröffentlicht, darunter findet sich auch die Nummer sonic war. Auch wenn es ihnen selbst mehr Freude bereitet live aufzutreten, haben sie mittlerweile genug Material gesammelt, um das erste Album auf-zunehmen. Die Zeit scheint reif zu sein. Fertig sein soll es noch im Sommer, denn da ist eine kleine Tour Richtung Deutschland geplant, ehe es wenig später weiter nach Italien gehen soll. Im Sommer in den Norden und im Herbst in den Süden. Dabei soll dann wiederum viel neue Musik entstehen. Wenn es nach ihnen geht, dann sind das im besten Fall Stücke, die in zwei Minuten fertig sind.

Derzeit wird noch eifrig gearbeitet. Einen Vorgeschmack auf das Album und die folgende Tour kann man sich aber schon live am 29. Juli Open-Air vor der Stadtwerkstatt holen. Man darf gespannt sein, wie Post Period im Sommer überraschen werden.

 

Post Period, 29. Juli, Stadtwerkstatt Open-Air

www.postperiod.at

Vernetzung, Bauchgefühl

Große Pläne werden geschmiedet. Zwei junge Männer aus Linz haben nichts Geringeres vor, als die junge Musikszene der Stadt neu zu vereinen. Daraus entstand der Gedanke für ein eigenes Label. Über Tentik Records berichtet Alexander Eigner.

Gegründet aus dem Gedanken, das Potential der jungen Künstlerinnen und Künstler der Stahlstadt zu bündeln, entstand Anfang des Jahres das Label Tentik Records. Der Name hat sich aus der Frage ergeben: Was ist das Wichtigste im Musikbusiness? Nach Meinung Tentiks ist das die Authentizität. Allerdings wird das Wort Authentizität, besonders bei wiederholtem Aussprechen, schnell zum Zungenbrecher. Es wurde einige Zeit gegrübelt, wie man dieses komplexe Wort etwas einfacher verpacken könne. Viele Ideen haben sich ergeben, aber letztendlich ist die Wahl auf eine simple phonetische Abkürzung gefallen: Tentik.

Hinter Tentik Records stecken Yuri Binder (19) und Kristian Fodor-Arus (20). Der Name Binder ist in Linz nicht unbekannt, so handelt es sich hier um den Sohn des Attwenger-Schlagzeugers/Sängers und Autors Markus Binder. Dass sich die nächste Generation auch ins Musikbusiness wagt, ist also wenig überraschend. Auch Kristian hat sich nach der Matura im letzten Jahr voll und ganz der Musik verschrieben. Zuletzt hat er sich verstärkt mit Rechtlichem in der Musik auseinandergesetzt. Beide sind sie, manchmal auch zusammen, in verschiedensten musikalischen Projekten unterwegs: Von Punk, Funk, Indie, Synth-Pop, Stoner-Rock bis Hip Hop und Rap haben sie einiges auf Lager. Sie scheuen es eben nicht, über die eigenen Grenzen hinweg zu blicken und Neues zu probieren – mit der Botschaft an die jungen Musikerinnen und Musiker der Stadt: Versucht euch in den musikalischen Bereichen, die euch Spaß machen. Seid aber auch offen für andere Sektoren der Musik.

Momentan umfasst Tentik Records sowohl die beiden Bands Slavica und Gerhard als auch den Rapper Cool K. Die aus vier Jungs bestehenden Slavica kombinieren auf ihrer ersten EP No contract geschickt den Rhythmus aus Synthesizer, Drums, Bass und Gitarre, um mit ihren prägnanten Texten die Welt ein bisschen auf den Arm zu nehmen. Gerhard umfasst insgesamt fünf junge Männer und eine junge Frau, die der Groove gepackt hat und die damit neuen Austrofunk kreieren. Auf der dazugehörigen EP Groove mit mir, stimmen sich der männliche und der weibliche Gesang ideal auf das markante Saxophon ein, wobei ein Sound entsteht, der einen – ja genau – eben grooven lässt. Mit Cool K gesellt sich auch noch ein Rapper zum Label. Unterstützt von Labelgründer Kristian Fodor-Arus erschaffen die beiden etwas, was sich am ehesten als Dialekt-Hip-Hop beschreiben lässt. Die EP – Karamel Karma weist auf eine interessante musikalische Entwicklung der urbanen Linzer-Szene hin.

Sie alle haben ihre erste EP bei Tentik Records veröffentlicht. Man muss allerdings erwähnen, dass sich Tentik Records noch am Anfang ihrer Arbeit befinden. Ebenso sollte man nicht vergessen, dass es sich um ein langfristiges Projekt handelt. Ganz entscheidend ist, dass das Label für alle Arten der Musik offen ist. Es soll eine Plattform entstehen, auf der sich Musiker*innen vereinen und vernetzen können. Rechtliches und musikalisches Know-how ist vorhanden. Und es bleibt sicher spannend, wie sich dieses Projekt weiterentwickelt. Die Idee dahinter ist ohne Zweifel toll: Junge Künstler*innen unterstützen sich gegenseitig. Dabei haben die beiden Labelgründer reichlich Vorarbeit geleistet. Nun muss das Projekt nach außen weitergetragen werden.

Weiter darf man auch gespannt sein, denn für den 12. Juni ist ein weiterer Release bei Tentik Records geplant. Der Gitarrist von Gerhard hat ein Solo-Projekt gestartet. Wie das klingen wird oder in welche Richtung er damit geht, verrät er noch nicht. Ebensowenig wird der Deckname dieses Projektes preisgegeben. Die Vorfreude auf frische Musik bleibt.

 

www.facebook.com/tentikrecords

Musik mehr als 4020

Klangwelten, die von einer thematischen Klammer gleichsam am Auseinanderdriften gehindert werden, Musik jenseits Neo-Biedermeier, MusikerInnen zwischen E und U – im Übrigen scheint Robert Stähr der Meinung zu sein, dass das Festival „4020 – Mehr als Musik“ bis zur heurigen Ausgabe 2017 die Grenzen mit assoziativer Leichtigkeit überwunden hat.

„Die andere Seite“ als Thema: Ein Kompositionsauftrag von 4020 ging an Judith Unterpertinger. Foto Michael Wegerer

„Die andere Seite“ als Thema: Ein Kompositionsauftrag von 4020 ging an Judith Unterpertinger. Foto Michael Wegerer

Er plane ein Musikfestival. Ein musikalisches Mehrspartenfestival, das „4020“ heißen werde, nach der Linzer Postleitzahl, mit Musikern aus Linz und Umgebung, erzählte mir Peter Leisch, es muss um 2000 herum gewesen sein. Leisch, bis heute für Förderungen zuständiger Abteilungsleiter am Kulturamt des Linzer Magistrats, startete „sein“ Festival, dessen Mastermind und Kurator er ebenso nach wie vor ist, im Jahr 2001 mit einem einwöchigen Parforceritt durch unterschiedliche musikalische Welten, welche von einer thematischen Klammer gleichsam am Auseinanderdriften gehindert wurden.

Dem Grundansatz – thematische Klammer, MusikerInnen und KomponistInnen aus dem Großraum Linz; musikalische Vielfalt jenseits von E und U, immer fernab eines wie immer definierten Mainstreams; begleitende Veranstaltungen („mehr als Musik“) – ist „4020“ bis in die Gegenwart treu geblieben, hat ihn freilich kontinuierlich weiterentwickelt. Ein nicht zuletzt atmosphärisch wirksames Charakteristikum des Festivals ist seit jeher die Bespielung unterschiedlicher Lokalitäten, deren Zentrum das Brucknerhaus ist. Die Linzer Synagoge, Kirchen, Lentos, Schlossmuseum, AEC sind weitere Veranstaltungsorte im Laufe der Geschichte des Festivals gewesen. Solcherart positioniert, hat „4020“ – obwohl zwischenzeitlich von verschiedenen Seiten in Frage gestellt – seinen speziellen Platz, seine Nische im „Kulturzirkus“ der oberösterreichischen Landeshauptstadt gefunden.

Vieles ist mir als Stammbesucher des Festivals erinnerlich: die zweite Ausgabe von 2002, in welcher sich der Bogen von Markus Hinterhäuser, ab 2017 Intendant der Salzburger Festspiele, der als Pianist im Alten Rathaus Kompositionen der bemerkenswerten russischen Komponistin Galina Ustwolskaja spielte, bis zum im Clubkontext bekannt gewordenen Crooner Louie Austen (Konzert im Cembrankeller) spannte. (In seiner Spannweite zwischen „Zeitgenössischer Musik“ und Pop ist „4020“ nur noch vergleichbar mit dem legendären Wiener Festival „Töne Gegentöne“, das der Ausnahme-Kulturjournalist Wolfgang Kos gemeinsam mit Edek Bartz zwischen 1983 und 1991 kuratierte.) Ebenfalls ein starker Eindruck waren die Auftritte des litauischen Komponisten Rytis Mazulis während der unter dem Thema „Minimal Maximal“ stehenden Ausgabe von 2008; er kombinierte mikrotonale Stücke für Computer und Streichquartett mit Kompositionen für ein Vokalensemble, das sein Konzert mit einer konzentrierten, archaisch anmutenden Choreographie verband. 2011 gestaltete eine für „4020“ zusammengestellte Gruppe von MusikerInnen im Veranstaltungssaal des neuen Südflügels des Schlossmuseums ein beginn- wie endloses Konzert mit einem Werk des tschechisch-amerikanischen Komponisten Petr Kotik nach Textfragmenten von Gertrude Stein, das nach knapp neunzig Minuten endete.

Seit 2015 ist das Brucknerhaus der alleinige Austragungsort des Musikfestivals, welches sich 2013 und 2015 dem kulturellen Raum des Nahen und Mittleren Ostens widmete. Kuratiert hat Leisch das heurige Festival gemeinsam mit der Musikwissenschaftlerin Marie-Theres Rudolph.

Die diesjährige Ausgabe von „4020 – Mehr als Musik“, das seit 2006 biennal stattfindet, öffnete, ergänzt durch einen Workshop mit SchülerInnen und Lesungen aus dem Roman, einen musikalischen Assoziationsraum zu Alfred Kubins „Die andere Seite“. Das Festival steht in einem gemeinsamen Veranstaltungsschwerpunkt rund um das Werk des Zeichners mit dem Linzer Musiktheater (Opernaufführung), der Landesgalerie (Ausstellung im wiedereröffneten Kubinkabinett und im Gotischen Zimmer) und dem Stifterhaus (Installation zu Briefen Kubins im Literaturmuseum).

Die vier Konzertabende folgten unter verschiedenen Überschriften (z. B. „Der Ruf“; „Im Bann“) jeweils einer ähnlichen Struktur: Sogenannte „Recitale“, in deren Rahmen Musiker wiederum vornehmlich aus dem vorderasiatischen Raum einzeln und in unterschiedlichen Konstellationen Stücke auf verschiedenen Instrumenten darboten, standen neben Konzerten mit Kammermusik: „Kubiniana I bis V“. In diesen von verschiedenen Ensembles gespielten, sorgfältig kuratierten Konzerten trafen Stücke von Komponisten der Klassischen Moderne auf Material aus weiter zurückliegenden Epochen der „Abendländischen Musik“ und (als Auftragswerk für „4020“ geschriebene) Kompositionen von Musikern aus dem Nahen und Mittleren Osten. Zu betonen ist in diesem Zusammenhang der nicht auf vordergründige Kontrast-Effekte abzielende, äußerst durchdachte Charakter der „Kubiniana“-Konzerte.

Meinem Empfinden nach am ausgeprägtesten war dieser Charakter im Konzert des „Trio Weinmeister“ am letzten Abend zu spüren. Einzeln, im Duett und im Trio spielten die MusikerInnen – zwei Frauen, ein Mann – abwechselnd einzelne Sätze oder ganze Stücke für Streichinstrumente der Barockkomponisten Purcell, Gabrielli und Tartini sowie der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirkenden Tonsetzer György Ligeti und Giacinto Scelsi. Das Alternieren zwischen „Barock“ und „Moderne“ spannte einen akustischen Raum („eine Architektur fragiler Klänge“) auf, in dem sich gedankliche wie emotionale Assoziationen entfalten konnten. Dieser verdichtete sich im Zusammenspiel mit den Positionswechseln der MusikerInnen zu einem überzeugenden Konzept, welches in keiner Minute aufgesetzt oder zu bedeutungsbeladen anmutete.

Unter den Solo-Konzerten hervorzuheben ist das Eröffnungskonzert mit der estnischen Musikerin und Komponistin Maarja Nuut. Ihre Stücke oszillierten zwischen folkloristischen Klängen, Ambient und Minimal Music; Verwandtschaften mit Musikerinnen wie der tschechischen Geigerin und Sängerin Iva Bittova kommen mir in den Sinn. Auch Maarja Nuut spielt Geige und singt, ihr zweites Saiteninstrument ist eine Art Fiedel. Zusätzlich setzt sie elektronisches Aufzeichnungsequipment ein, um – auf Basis live kreierter Loops – gleichsam „mit sich selbst“ zu spielen.

Das Gesamtkonzept des diesjährigen „4020“-Festivals war weder ein bloß vager „Ansatz“ noch ein rigides, mit Konzerten befülltes Programm-„Korsett“. Es schuf eine Plattform für verschiedene musikalische Konstellationen, die sich – wenn auch nicht immer ganz zwingend – mit Motiven und Stimmungen des einzigen Romans von Alfred Kubin assoziieren ließen. Der hier mehrfach bemühte assoziative Zugang erscheint mir insofern adäquat gewesen zu sein, als Kubins Text weniger durch seine narrative Struktur denn vielmehr seine sprachlichen Bildwelten, die wiederum eng mit seinem zeichnerischen Werk korrespondieren, zu beeindrucken vermag. An im Foyer des Brucknerhauses verteilten Hörstationen waren gelesene Textauszüge der „Anderen Seite“ zu hören.

Mit den Konzerten asiatischer Musiker setzten Peter Leisch und Marie-Theres Rudolph den in den letzten beiden Ausgaben des Festivals zum Thema gemachten Schwerpunkt unter anderem Vorzeichen fort. Hier wurde wieder der Beweis erbracht, dass Konzerte mit „ethnischer“ Musik auch außerhalb des boomenden „World Music“-Wanderzirkusses aufmerksame HörerInnen finden können. Dies- bzw. jenseits des damit oft verbundenen Post-„Flower Power“-Biedermeier forderten MusikerInnen und Instrumente zum Mit-Hören und Mit-Denken auf.

Im Übrigen bin ich nicht nur der Meinung, dass „4020 – mehr als Musik“ unbedingt fortgesetzt werden muss, sondern auch, dass die Institution Salzamt budgetären Einsparungen auf keinen Fall zum Opfer fallen darf.

 

Die andere Seite

Die diesjährige Ausgabe von „4020 – Mehr als Musik“ stellte Alfred Kubins wenig beachtete Tätigkeit als Autor mit ins Zentrum. Der Zeichner Kubin entwarf in seinem visionären Roman „Die andere Seite“ von 1908 eine Traumstadt namens Perle, sozusagen als Traumreich eines Überwachungsstaates, in dem Gut und Böse nicht zu unterscheiden sind. Dieses Werk inspirierte immer wieder Schriftsteller, Musiker und Künstler – so auch die Komponistin Judith Unterpertinger in einem Auftragswerk des Festivals 4020 oder Michael Obst in seiner Oper, die im Mai im Musiktheater uraufgeführt wurde und noch im Juni zu sehen ist.

„Die andere Seite“ als Thema des Festivals „4020“ stand und steht im weiteren Zusammenhang mit Ausstellungen rund um das Werk Alfred Kubins. In der Landesgalerie und im Stifterhaus sind dazu aktuell Präsentationen zu sehen.

 

www.festival4020.at

Stadtblick

Foto Die Referentin

Foto Die Referentin

Ein Stadtblick diesmal aus dem Innenraum des oberösterreichischen Architekturforums: Ausstellungsansicht von Charles Youngs Paperholm, in der von Rositza Alexandrova kuratierten Schau „BAUhahaHAUS. bebaut bewohnt belustigt“. Im afo, architekturforum oberösterreich, noch bis 17. Juni zu sehen.

Heimat bist du großer Töchter und starker Frauen!

Zum ersten Mal seit der Austragung einer Frauenfußball-Europameisterschaft (1984) hat sich das österreichische Frauen-Nationalteam dafür qualifiziert. Die Begeisterung ist groß und der ORF überträgt 25 Spiele, zumeist am Spartensender ORF Sport+. Eine kleine Sensation ist die Übertragung des ersten Frauenfußballspiels überhaupt in der Primetime des ORF eins am Samstag, den 22. Juli gegen Frankreich. Da gab es wohl einen Bewusstseinswandel. Danke der weiblichen Programmdirektorin! Ein Hoch auf die Quote!

Der Sportdirektor des ÖFB war nach der erfolgreichen Qualifikation im Herbst bei der Pressekonferenz sehr angetan von „seinen Mädels“. Eine Mitarbeiterin versicherte mir nach meiner schriftlichen Aufforderung, er möge doch mit seiner Verniedlichungsform aufhören und sich einer geschlechtergerechten Sprache bedienen, dass er die Frauen keineswegs abwerte. Sagen, aber nicht meinen … jaja … das unbewusste Verständnis über etwas oder jemanden lässt sich allerdings an der Sprache erkennen. Es besteht ein Unterschied, ob ich im eigenen Team zu anderen Frauen sage: „Gemma, Mädls“ oder ob dies von einem Mann als offizieller Funktionär des Verbandes bei einem öffentlichen Fernsehinterview geäußert wird.

Leider ist die Verniedlichungsform von Frauen – und somit das „Kleinmachen“ – oder das Reduzieren der Frauen auf sexualisierte Inhalte oder ihr Aussehen Usus in der Sportlandschaft. Gerne lässt mann die Frau überhaupt unerwähnt. Leidiges Thema Nationalhymne. Die Tatsache, dass jeder Mann von einer Tochter geboren wurde, ist noch nicht in den Köpfen angekommen. Auch mancher Frauen nicht. Sprache schafft eben Bewusstsein.

Geschichtsschreibung schafft Bewusstsein. Forschung schafft Bewusstsein. Und diese sind u. a. männlich besetzt. In der Archäologie ist mann früher, vor der genauen Geschlechtsbestimmung durch eine DNA-Analyse, sehr einfältig mit den Ausgrabungen umgegangen. Ein Grab mit Pfeilspitzen, Schwert oder Speer wurde als männlich deklariert, Skelette mit Schmuck oder Haushaltsgegenständen als weiblich. Die indoktrinierte Rollenverteilung wurde übernommen, ohne sie auch nur im Ansatz zu überdenken. Mann=Jäger, Krieger. Frau=Sammlerin, Köchin und Putze. Die Amazonen galten als Mythos, eine männliche erotische Phantasie, vor der sie sich zugleich fürchteten und ihnen ein nach dem Beischlaf männermordendes Attribut beifügten. In den südrussischen und ukrainischen Steppen, aber auch im Baltikum, in England, Deutschland und Skandinavien wurden antike Frauengräber mit Schmuck UND Waffen gefunden. Die Vorstellung einer kämpfenden Frau, die sich und ihre Sippe zu verteidigen weiß, kratzte wohl zu sehr am Ego der Männlichkeit und tut es noch immer.

Jahrtausende voller Frauenverachtung und Frauenhass sitzen verborgen, aber sattelfest in der Epigenetik der Menschen. Patriarchale Religionskonzepte verankerten diese tief und fest im Unterbewusstsein und dämonisierten die starke, selbstbestimmte und gelehrte Frau, die sich ihre Kraft und Macht nicht nehmen lässt, die Gleichberechtigung und Freiheit verlangt, die keine Angst hat vor ihrer Sinnlichkeit und überschäumenden Weiblichkeit und eine klare, kompromisslose Liebe verbreitet, die sehr erfrischend und leidenschaftlich ist. Diese archetypische Urkraft (Lilith) wird noch immer verfolgt, verdrängt und bekriegt. Das Ein-Gott-Prinzip mit seiner Leibfeindlichkeit verschärfte die Problematik. So wurde auch Pan, der Gott der wilden Natur, der Musik, Tanz und Fröhlichkeit liebte, verteufelt. Aber das ist wichtig für uns. Es ghert vü mehr tanzt! Und gsungen! Und glacht! Sich spüren im eigenen Körper. Der Körper ist so wunderbar, so sensationell, so phantastisch. Keine Angst. Ohne Körper wären wir nicht da. Der Körper als Ursprung der Welt und des Lebens. Heimat bist du großer Töchter und starker Frauen!

 

Buchtipp Comic: Liv Strömquist – Der Ursprung der Welt

befasst sich mit dem, was als „das weibliche Geschlechtsorgan“ bezeichnet wird und warum die Menschheit eine so unentspannte, borderline-mäßige Hassliebe mit diesem Körperteil verbindet. Informativ und extrem lustig.

UEFA Women’s EURO 2017: 16. Juli bis 6. August in den Niederlanden

Bildgeschichte öffentlicher Raum

Buy the Ticket, Take the Ride

Theaterfestival für junges Publikum, mit Schäxpir in 10 Tagen um die Welt: Über das Schäxpir-Programm und über Vermittlung als fast künstlerische Form hat Gerlinde Roidinger mit Julia Ransmayr, einer der beiden Festivalintendantinnen, gesprochen.

New Breed Tournament, Zuzanna Ratajczyk und Eoghan Ryan. Foto Alina Usurelu

New Breed Tournament, Zuzanna Ratajczyk und Eoghan Ryan. Foto Alina Usurelu

Buy the ticket, take the ride! lese ich auf dem Youtube-Video eines Bloggers, der seine 10-tägige Reise um die Welt dokumentiert, welches mir kürzlich mein jugendlicher Cousin vor die Nase hält. Der Globetrotter verdiene damit seine Kohle, während er im Sommer-Outfit laufend vor der Kamera zu sehen ist und mich über den Handy-Screen mit Zitaten wie Above all, try something! oder Action expresses Priorities! und Do more! anheizt … und ich frage mich, diesbezüglich und anlässlich des heraufziehenden Schäxpir-Festivals: Warum als junger Mensch ins Theater gehen, wenn es das bisschen Spaß auch stündlich am eigenen Smartphone gibt und der digitale Er-Lebensraum ohnehin vor Inszenierungen und (Selbst-)Darstellung strotzt?

Warum Theater für junges Publikum? Das fragten sich auch Sara Ostertag und Julia Ransmayr, als sie im Herbst 2015 die künstlerische Leitung des Schäxpir-Festivals übernahmen und damit Stephan Rabls Nachfolge antraten. Entstanden ist ein 10-tägiges Programm für „alle“ – also generationenübergreifend – mit dem Schwerpunkt Vermittlung. Doppelt so viele TheaterpädagogInnen werden daher in „Aktion treten“, weniger um Theater zu erklären, als es mit weiterführenden Inputs anzureichern und um einen Dialog zwischen Publikum und TheatermacherInnen zu schaffen. Vermittlung soll dabei fast als eigene künstlerische Form verstanden, jedenfalls aber innerhalb des Theaterschaffens begreif- und erfahrbar gemacht werden. Als Kuratorin habe sie zwar eine Verantwortung gegenüber dem Publikum, so Julia Ransmayr, doch die Auseinandersetzung mit der Zielgruppe dürfe keinesfalls heißen: „Ich weiß genau, was du sehen willst.“ Für das Programm inspirieren ließen sich die beiden jungen Kuratorinnen vom gegenwärtigen Diskurs der performativen Künste, insbesondere von Belgien, Niederlande und Deutschland – Theaterländer, in denen die darstellenden Künste nicht nur großgeschrieben, sondern auch großzügig gefördert werden.

Die Zusammenarbeit von Theaterhäusern, freien Gruppen, PerformerInnen und Publikum spiegelt sich auch im Festivalthema „Wie wollen wir zusammen leben?“ wider, wobei wie gewohnt Inhalte aus der Erfahrungswelt junger Menschen wie Liebe, Sucht, Gewalt, Familie und Freunde im Mittelpunkt stehen. Erwähnenswert ist neben der Erweiterung der Spielstätten um die OÖ Landesbibliothek und die Anton Bruckner Privatuniversität das bereits seit 2016 laufende Residenz-Programm, bei dem Schäxpir mit den Theaterhäusern HETPALEIS (Belgien) und Maas theater en dans (Niederlande) kooperiert. Dabei arbeiten neun Künst­lerInnen aus Österreich, Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Marokko und Palästina zusammen, um an neuartigen Theaterkonzepten für Kinder zu forschen. Recherche und Proben dieses Pilotprojekts namens SECHSPLUS fanden in Rotterdam, Antwerpen und Linz statt. Bei der Auswahl des Teams, das sich ohne inhaltliche Vorgabe mit neuen Formaten des Theatermachens auseinandersetzt, wurde vor allem auf unterschiedliche Biografien der KünstlerInnen Wert gelegt.

Verschiedenartig sind in jedem Fall auch die partizipatorischen Formate, die zum Mit- und Theatermachen einladen und für die sich experimentierfreudige Menschen aller Altersgruppen bewerben konnten. Neben den workshopähnlichen Ateliers (zusammen bewegen, zusammen Utopien entwerfen und zusammen im öffentlichen Raum), bei denen mit den TeilnehmerInnen prozesshaft Stücke erarbeitet und in Form von Showings im Rahmen des Festivals gezeigt werden, konnten sich theateraffine Menschen für das offene Format Part of the Game Game zum Casting anmelden. Ähnlich einem Gesellschaftsspiel kann sich das Publikum durch ein riesiges Labyrinth „zocken“, um in den Levels à la Super Mario in direkten Kontakt mit den eingeweihten SpielerInnen zu treten. Die Idee dieses interaktiven Spiels stammt aus Graz und wurde von der Gruppe Das Planetenparty Prinzip und dem Theater am Ortweinplatz entwickelt. Völlig anders hingegen das Format der belgischen Künstlerin Audrey Dero, die in der Hip Hip Hip Kabine für jeweils nur eine Person performt und damit Theater auf kleinstem Raum, ähnlich einer Fotokabine, erlebbar macht. Noch etwas experimenteller und ebenfalls für die Festivaleröffnung angekündigt, dürfte das Stück „C“ sein, eine Musikperformance von Simon Løffler (Dänemark), die sich an alle mit Zähnen richtet und offensichtlich ein bissiges Klangerlebnis verspricht. Physisch wird es erfreulicherweise auch im tänzerischen Sinne, wenn De Dansers (Niederlande) und Theater Strahl (Deutschland) mit „The Basement“ stürmisch über den Tanzboden fegen und mit großer Leidenschaft jugendliche Gefühlswelten verkörpern …

… „Cool!“ sag ich jedenfalls zu meinem Cousin, während er kurz zurückgrinst und sich dann tippend einem seiner Whats­App-Dialogen widmet, woraufhin ich mich in Gedanken über das Video verliere: Heißt „Do more!“, ich soll jetzt noch mehr von diesem Weltenbummler streamen oder mich ebenfalls in meine Turnschuhe schmeißen und versuchen „in Action“ mein Geld zu verdienen? Oder anders gefragt: Steht diese Form der Inszenierung tatsächlich in Konkurrenz mit dem (Jugend-) Theater, das mittels appellativer „Action“ Interesse zu wecken versucht? Und wenn ja, was bedeutet das? Und wer wird wohl zu diesem schönen Festival kommen und bei den wertvollen Workshops mitmachen, wenn „alle“ eingeladen sind?

Mein Cousin etwa, der hybride Smombie (= Smartphone + Zombie) in Dauer-Wischaktion mit enormen Multitasking-Kompetenzen und chronischem Konzentrationsverlust? Oder gar die selbstverliebten, über Nacht vom Himmel gefallenen Youtube-Teenie-Stars, die emotional-melancholischen Pop covern und die längst aus der Mode gekommenen Boygroups aus den 90ern ablösen? Oder deren Fans, die Selbstwert heischenden Social-User aus Twitter, WhatsApp, Instagram, Facebook und Tinder? Möglicherweise erfahren aber auch die Zocker- und Hacker-Kids auf nächtlichen LAN-Party-Camps davon? Oder vielleicht sind es eher die Kinder von diesen so genannten Helikopter-Eltern der Generation 50+, die von einem Event zum nächsten chauffiert und vor lauter Frei-Zeit-Aktivitäten keine Zeit frei haben, um selbst aktiv zu werden, also permanent passiv aktiviert werden und sich aufgrund fehlender Langeweile kaum der eigenen Fantasie hingeben können?

Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Doch sollten diese eben skizzierten, klischeehaften Kategorien von Jugendlichen in irgendeiner Form existent sein, so hoffe ich, dass sie sich unter das Publikum mischen, Betonung auf MISCHEN. Und vielleicht nimmt mich ja jemand von ihnen mit, oder umgekehrt. Wegen des generationenübergreifenden Schwerpunkts versteht sich. Und wegen der Partizipation. Wegen der Zeiten voller Action. Und wegen der gesellschaftlichen Teilhabe und der instinktiven Kompetenz, die wir den Jugendlichen so gerne zuschreiben, genauso wie das Interesse an Liebe, Sucht, Gewalt, Familie und Freunden – das uns so genannte Erwachsene aber am besten selbst oder mindestens genauso beschreibt. Vermittlung als künstlerische Form scheint das Gebot der Stunde. Und wir selbst lernen währenddessen. An dieser Stelle will ich mir das Above all, try something! des Youtubers tatsächlich zu Herzen nehmen und es gleich mal mit seinen Methoden versuchen, wenn auch ohne Turnschuhe: Also: Buy the ticket, take the ride!

 

Theaterfestival für junges Publikum

vom 22. Juni – 1. Juli 2017

www.schaexpir.at

Make it Count

[Casey Neistat, YouTube Blogger]

Spargelpipi – Pipispargel.

spargelrocket

Volle Breitseite gegen unsere geliebten Lebensmittelmultis. Gegen sinnlose Globalisierung und gegen die zynische Cent-Kalkulation, die auf dem Rücken heimischer ProduzentInnen ausgetragen wird.

Heimische Toiletten – ob privat oder öffentlich – riechen in den letzten Wochen oft unverkennbar nach dem durch die schwefelhaltige Carbonsäure Asparagusin C4H6O2S2 hervorgerufenen Spargel-Urin. Spargelzeit ist nicht nur eine Zeit des lukullischen Wiedererwachens – der Frühling herzt uns mit Frische überall –, sondern ist auch eine Zeit des Preiskampfes und Verdrängungswettbewerbs. So liefern sich die Lebensmittelkonzerne eine wahres Spargelbattle mit Spargel Grün und Weiß, Sauce Hollandaise und anderen Zusatzprodukten und Rezeptideen. Angeboten wird der Asparagus aber nicht aus heimischen Gefilden, sondern aus Chile und anderen Gebieten „just around the corner“. Dass Mangos und Papayas nicht im Innviertel oder im Eferdinger Becken gedeihen, ist wohl bekannt – aber Spargel ist im besten Sinn des Wortes ein Traditionsgemüse der Region. Und wieso, fragt der Slowdude, greift der Handel nicht auf lokale Ressourcen zurück?

Es kann nur einen Grund geben: den Preis. Denn der chilenische Spargel in allen Ehren: er ist alt, holzig und bitter. Pipispargel eben. Und eigentlich im Vergleich zur Marktware der regionalen AnbieterInnen sogar teurer. Hier trifft eindeutig kapitalistische Gier auf die Idiotie und mangelnde Selbstbestimmung der KonsumentInnen. Ein wenig befassen mit: wann ist was reif, wann bekomme ich Produkte lokal oder regional, täte allen HeimköchInnen doch ganz gut.

Stattdessen gibt man sich dem Rezept- und Angebotsdiktat der Lebensmittelmultis hin und nimmt alles stupid, wie es kommt. Und lässt sich vom schicken und Authentizität heuchelnden Auftritt der Multis einlullen. Der eine wirbt mit einem niedlichen Schweinchen und einem Biobauern, der nur der Dorflehrerin nachsteigt, der andere hat eine schlaues 3D-Börserl, das einem in das Wagerl schaut; und der große Dritte im Bund macht alles am „Ursprung“ fest und etabliert gleichzeitig eine Bäckereikillermaschine.

Der Slowdude rät: Geht auf den Markt, schaut auf die Anbaugebiete in eurer Umgebung und ihr werdet alle feststellen: Spargel ist göttlich. Spargel ist sinnlich. Und Spargel gibt es frisch und günstig von März bis Juni.

Noch was in eigener Sache: Der Slowdude ist kritisch und unfair. Und auch oft voreingenommen.

Die letzte Kolumne des Slowdude brachte heftige Reaktionen seitens der gastro-journalistischen KollegInnenschaft hervor. Hier war die Rede von „lästern, schimpfen und beflegeln“ von „Schrott“ und einer „fragwürdigen Kolumne“. Nun ja. Keep calm and carry on. Der Slow Dude ist halt ein Rock’n’Roll-Schreiberling, nimmt sich kein Blatt vor den Mund und legt den Finger in die Wunde. Die Beobachtungen sind natürlich subjektiv – ganz klar. Nur sind sie nicht frei erfunden, sondern fußen auf seiner intelligent analytischen Beobachtung. Und außerdem ist der Slowdude auch selbstkritisch und verträgt auch einiges. Alles ist gut.