Editorial

In gewisser Weise geht’s in der Referentin #9 sehr geografisch zu: Über Memphis in Linz berichtet Ingo Leindecker, und damit über eine Initiative, die seit ihrem Initialstart 2009 ihren künstlerischen Blick ebenso in Linz sowie weit über die Linzer Stadtgrenzen schweifen lässt. Fast ein Must ist der Bericht über Time’s Up und ihre Lentos-Präsentation von Turnton, einer fiktiven Hafenstadt irgendwo in Europa – und für alle, die es noch immer nicht gehört haben: Time’s Up feiern heuer ihr 20jähriges Jubiläum. Time’s Up haben der Referentin einen Text zur Verfügung gestellt. Eine besondere Freude ist es uns, wenn uns im Zuge unserer Arbeit immer wieder besonders bewusst wird, wie viele großartige Kunstschaffende und Künstlerinnen hier arbeiten – deren Arbeit aber leider öffentlich relativ unbeachtet bleibt: In diesem Sinn begeben wir uns in die Terrae Incognitae von Terri Frühling und Sonja Meller – die natürlich so unbekannt gar nicht sind, eher angenehm spektakelfrei und von konstant hoher Qualität möchte man sagen. So hat Lisa Spalt über Sonja Meller einen erhellenden Text geschrieben, und mit kennerinnenhaften Kolleginnenblick hat sich Andrea Lehmann dem Werk Frühlings gewidmet. Von beiden sind im Herbst Arbeiten zu sehen. Und dass Terri Frühling mit ihrer Kollegin Elke Punkt Fleisch regelmäßig „Die kleine Referentin“, also die immer wieder gelobte Kinderseite der Referentin, gestaltet, dürfte unseren LeserInnen mittlerweile bekannt sein. Ein letzter, hier an dieser Stelle hervorgehobener Inhalt soll einem nicht nur geografischen, sondern in gewissem Sinn auch klimatischen Aspekt gewidmet sein: So ist in dieser Referentin nicht nur von Clemens Bauders und Rachel Leah Cohns künstlerischem Wüstentripp „Searching for A Fata Morgana“ in Katar zu lesen, sondern – hier der kühne Sprung zurück nach Linz – was deren Präsentationsraum Salzamt anbelangt, scheint es echt an der Zeit, dass hier positiv entschieden wird: Seitens Salzamt wurden alle geforderten Aufgaben erledigt! Bleibt uns nur, an dieser Stelle die übliche Empfehlung auszusprechen: Mögen die Leserinnen, die Leser selbst im Heft navigieren. Allerdings gilt hier eine letzte, kleine Empfehlung unseren Kolumnen, speziell unserem Gastro-Slow Dude. Suhlt er sich durchaus auch des Öfteren in seinen Genüssen und Lobeshymnen an die hiesige Gastronomie, hat er dieses Mal wieder seine bewährte Anti-I-Like-Keule ausgepackt. Am Ende, was immer wieder gesagt werden muss: Wir plädieren für eine offene Gesellschaft, eine freie Kunst und für eine Förderpolitik, die diesen Namen verdient – gerade für die Vereine und Initiativen, die hier die Kunst und Kultur vorantreiben, lange bevor sie im kulturellen Mainstream ankommen. Und, was wir auch noch gerne machen, und das durchaus in diesem Sinn: Wir bedanken uns – anlässlich seines baldigen Amtsrücktritts als Finanzreferent und Vizebürgermeister – bei Christian Forsterleitner, einen der Besten, den die Stadtpolitik je hatte.

Die Referentinnen-Redaktion, Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

www.diereferentin.at

Das vergangene Leuchten

„Erinnerungen verblassen mit der Zeit, manchen hängen wir nach, andere wollen wir verdrängen“ hieß es im Ankündigungstext zu Astrid Benzers Arbeit „Was war …“, die beim Festival der Regionen in Marchtrenk gezeigt wurde. Und weiter: „Die Installation will alte Familienfotos und die dazugehörigen Familiengeschichten sichtbar machen. Sie will eintauchen in die Geschichte der Stadt und die Geschichten ihrer BewohnerInnen.“ Ein Kurzreview.

Foto Norbert Artner

Foto Norbert Artner

Die in einer Halle gezeigte Arbeit „Was war …“ schien immer wieder Menschen und ganze Menschengruppen in ihren dunklen Bann zu ziehen, die zwischen den Bildflächen herumgingen, lasen, schauten und scheinbar zu langen, langen Gesprächen über persönliche wie gemeinsame Geschichte angeregt wurden. Die Taktung zwischen düsterer Helligkeit, Flackern und plötzlicher Dunkelheit ergab sich durch fotografisch/fototechnische Notwendigkeit. Das Leuchten der fluoreszierenden Bildsujets, die Dunkelheit, dann wieder das kurze Lesen in den Zwischenphasen, bildete eindringlich wie leicht ein Szenario, das vielleicht sogar eine symbolische Taktung des Lebens und seiner Zeitrhythmen schlechthin symbolisierte: Vergangenheit, Historie, Erkenntnis, Verdrängtes, Erinnertes, Persönliches, Tag, Nacht, schöne Tage, besondere Ereignisse, Traum, Trauma, Unbewusstes, Ungewusstes. Die Referentin hat bei FdR-Besucherinnen nachgefragt: Neben anderen beeindruckenden Arbeiten des FdR wurde „Was war …“ von vielen als besonderes Projekt bezeichnet. Speziell hinsichtlich der Vergangenheit Marchtrenks als Ort des Krieges und der Flucht, der schon wie früher, durch zwei Weltkriege bedingt, nun neuerlich Ort des Ankommens für vom Krieg Geflüchtete geworden ist. Oder auch, durch persönliche Bilder von Marchtrenker Familien, eines Aufleuchtens von beispielhaften Erinnerungspunkten – am Weltgeschehen hängt Familiengeschichte und vice versa. Ein einnehmendes künstlerisches Statement, das Erinnerung schlechthin thematisiert: Zu den gezeigten Bildern gesellen sich weitere Erinnerungen von BesucherInnen dazu, es entstehen zusätzliche Bilder, so ein Besucher.

Videodoku: vimeo.com/228003866

Memphis in Linz

Was uns die Existenz des Kunstraums Memphis über die Bedingungen dauerhaften, künstlerischen Schaffens in Linz verrät. Ein Portrait über die Geschichte des Projekts und die beiden Künstler Jakob Dietrich und Kai Maier-Rothe, die an der Unteren Donaulände den Offspace betreiben.

Mamphis in Linz. Foto Die Referentin

Mamphis in Linz. Foto Die Referentin

Vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit

2009 machte sich eine Gruppe von Kunst­uniabsolventInnen unter maßgeblicher Mitarbeit von Jakob Dietrich auf die Suche nach Leerständen. Ursprünglich entstand die Initiative, die sich den Namen „Nomadenetappe“ gab, aus einem konkreten Bedarf an Arbeitsplätzen und Ateliers, woraus sich bei der Suche nach Räumlichkeiten die Vorgabe einer mindestens zweijährigen Nutzung ableitete. Das Kernteam bestand dabei zeitweise aus bis zu zwölf Personen und durch die zahlreichen Aktivitäten waren in Folge eine Vielzahl weiterer lokaler wie internationaler AkteurInnen daran beteiligt. Die ehemalige KFZ-Werkstätte Niesslmüller zwischen Dametz- und Marienstraße diente alsbald zwei Jahre lang als erster Ort der künstlerischen Bespielung im (halb)öffentlichen Raum. Der Innenhof mit angrenzenden Garagenräumen schuf gleichzeitig einen charmanten sozialen Treffpunkt. Mit dem Anspruch ein „Little Berlin“ zu schaffen setzte man zumindest zwischenzeitlich den Gentrifizierungsaktivitäten in diesem Viertel ein lebendiges und weithin sicht- bzw. hörbares Kunstschaffen entgegen. Nachdem das Gebäude einem Wohn- und Geschäftskomplex weichen musste, übersiedelte man zunächst in die vergleichsweise kleinen Räumlichkeiten in der Unteren Donaulände. Für die nächste Etappe schielte man auf die ehemalige Tabakfabrik. Noch bevor sie zum Creative-Industry-Standort umgebaut wurde, beteiligte man sich aktiv an den Diskussionen zur Revitalisierung und den Möglichkeiten einer künstlerischen Nutzung. Letztlich ist die Stadt der Gruppe nicht entgegengekommen und hat damit eine weitere Chance, künstlerisches Schaffen in Linz zu erleichtern und Leute hier zu halten, vergeben. Daneben war bei vielen der Beteiligten der akute Bedarf an Arbeitsräumen von größerer Notwendigkeit, als die Ressourcen in die weitere Suche und dauerhafte Bespielung von Leerständen zu investieren. Auch aus diesem Grund verließ ein Teil der Gruppe sukzessive Linz, was schließlich zu ihrer Auflösung führte. Dietrich und Maier-Rothe ließen nicht ab und haben sich im Anschluss mit der Gründung von Memphis institutionalisiert.

Niederlassung Memphis

Seither macht sich im Linzer Kunstleben die Initiative mit vielfältigen künstlerischen Formaten bemerkbar. Inspiriert ist der Name vom Off-Space „Beirut“ in Kairo, den Maier-Rothes Bruder dort vor einigen Jahren eröffnete. Die Idee, dem Raum den Namen einer anderen, in hiesigen Gefilden weitgehend unbekannten, Stadt zu geben, der mehr- bzw. uneindeutig belegt ist und sich bewusst einer Definition entzieht, erschien den beiden Künstlern reizvoll. So wollte man sich bewusst als Freiraum und offene Infrastruktur gegenüber bestehenden Galerieansätzen abgrenzen. Man streicht damit aber überdies den internationalen Charakter des Projekts hervor, denn internationale Kooperationen und multilateraler künstlerischer Austausch sind selbstverständlicher Bestandteil der kuratorischen Praxis. Das Jahresprogramm gliedert sich in mehrere Schienen und wird in Form von Duo- und Gruppenausstellungen, Konzertreihen, Performances und Diskussionsveranstaltungen über die Bühne gebracht. Kuratorisch setzt man sich dabei keine Schranken: Einen thematischen oder formalen roten Faden gibt es nicht. Eingeladen wird, wer interessant erscheint. Wesentliche Stoßrichtung ist jedoch der Fokus auf Transdisziplinarität, die Ermöglichung von Experimenten und die Anknüpfung an künstlerisch-wissenschaftliche bzw. kunsttheoretische Forschungsfelder. Die Ausstellungsreihe „Parallaxe“ versammelt jeweils zwei künstlerische Positionen – eine lokale und eine internationale – zu einem Thema. Dabei finden die Beteiligten auf unterschiedliche Weise zusammen: KünstlerInnen werden entweder bewusst zur Zusammenarbeit aufgefordert oder man lässt die zweite Person von der angefragten selbst aussuchen. Mitunter stellt man auch zwei bestehende Arbeiten bewusst gegenüber. Auf diese Weise bringt die Projektreihe nicht nur Außenpositionen nach Linz, sondern leistet damit auch internationale Vernetzungsarbeit. Ein direkter Dialog mit dem Publikum wird bei den Eröffnungen möglich. In regelmäßigen Konzertreihen (momentan unter dem Titel „OFFNOFF“) loten KlangkünstlerInnen und MusikerInnen die Grenzen der Kunstform aus, oft als Teil ihrer eigenen künstlerisch-wissenschaftlichen Forschung. Über den „Galeriealltag“ hinaus entwickeln Dietrich und Maier-Rothe überdies gemeinsam Projekte, meist in Zusammenarbeit mit internationalen Offspaces oder etablierten Einrichtungen, wie etwa dem Museum für zeitgenössische Kunst Marco in Vigo/Galizien. Jüngst veranstaltete man während der Athen Biennale die performative Stadtrundfahrt „Klassenfahrt Athen“ gemeinsam mit zwölf beteiligten Personen, darunter auch eine Dramaturgin und eine Ethnologin.

Kunstschaffen zu zweit

Auch wenn Maier-Rothe erst nach dem Ende der Nomadenetappe in die Gründung von Memphis einstieg, verbindet Dietrich und ihn eine langjährige künstlerische Zusammenarbeit, bei dem das Thema „Leerstand“ stets ein zentrales Thema war. Mit gemeinsamen Soundarbeiten wurden Räume oder ganze Gebäude „vertont“. Im Mittelpunkt standen dabei sowohl die Eigenakustik dieser Räume als auch ihre Verortung in der Stadt. Die akustischen Interventionen in diesen „Nicht-Orten“ führten so zur Umdeutung und Neudefinition ihrer ehemaligen Funktion und Denotation. Die Wahl der leerstehenden Räumlichkeiten orientierte sich dabei an ihrer urbanen Entortung: Es sollten vor allem jene Räume zum „Sprechen“ gebracht werden, die sich dem umgebenden städtischen Kontext entziehen oder ihm entzogen wurden. Das reichte von der Bespielung von Industrieanlagen bis hin zu historisch aufgeladenen Bauten. Dokumentarisch materialisiert wurden die Soundproduktionen wiederum in Form von Vinyl­editionen. Auf Grundlage dieser temporären Interventionen entwickelten die beiden ein künstlerisches Format, das sie während zahlreicher Auslandsaufenthalte auf die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten und Architekturen adaptierten, so etwa in China, Indonesien oder aber auch in den vormals geschlossenen Tabakwerken in Linz. Dabei verstehen die beiden ihre Eingriffe ebenso als Teil einer explorativen künstlerischen Praxis, mit der sie fremde Städte und Stadtgefüge für sich (neu) entdecken. Auch das gemeinsame Diplom an der Kunstuniversität Linz hatte den akustischen Raum der Stadt zum Thema: Die Soundinstallation „Reflector“ verstärkte Umgebungsgeräusche im Innenraum und richtete sie mittels einer verspiegelten Glasfläche, die als Membran fungierte, wieder nach außen. Wenngleich Dietrich und Maier-Rothe ein langes, gemeinsames künstlerisches Schaffen verbindet, trennen sie ihre Solo- bzw. Duoarbeiten strikt vom Betrieb des Memphis, in dem sie sich selbst mehr in einer kuratorisch-organisatorischen Rolle sehen.

Produktionsbedingungen

Trotz Jahresförderungen von Stadt, Land und Bund bleibt die Arbeit prekär. Erst die Bundessubvention ermöglichte überhaupt den regulären Betrieb des Art Spaces, während die Förderungen von Stadt und Land seit Jahren auf niedrigem Niveau stagnieren. Das Programm kann daher meist nicht in der geplanten Quantität umgesetzt werden. Auch die starke Konzentration auf künstlerisches Schaffen in Wien macht es selbst in den „eigenen Reihen“ schwierig, Öffentlichkeiten für das eigene Programm vor Ort zu schaffen. Wichtige MultiplikatorInnen, wie etwa Kunstuni-Lehrpersonal, leben vielfach selbst in Wien und haben daher oft lokale künstlerische Aktivitäten nicht in jenem Maße im Blickfeld, das man sich wünschen würde. In Summe schrumpft der Freiraum für eigene künstlerische Betätigung daher zusehends, was sich nicht zuletzt an den Förderungen der freien Szene durch die Stadt Linz ablesen lässt, wo heute derselbe Betrag wie 2001 ausgeschüttet wird, was einer faktischen Kürzung von über 30% entspricht. Ein Symptom, das sich durch eine älter werdende Künstlergeneration zieht: Nach zwanzig Jahren prekärer Arbeit von Projekt zu Projekt sind viele freie Kunstschaffende erschöpft. Wenn neben Administration, Programmentwicklung und Infrastrukturbetrieb noch Familie und gar selbständiges künstlerisches Schaffen möglich sein soll, wird das immer schwieriger. So ist die Institutionalisierung durch Memphis letztlich auch der (notwendige) Versuch, im künstlerisch-experimentellen Feld dauerhaft arbeiten zu können und dabei auch ein Auskommen zu finden. Es ist daher wenig überraschend, dass das Verhältnis zu Linz ambivalent ist: Während Maier-Rothe seinen Lebensmittelpunkt ohnehin außerhalb hat, ist Dietrich vor allem wegen seiner Familie hiergeblieben. Ob sich also aus dem Offspace langfristig mehr entwickelt, ist wohl wesentlich von den weiteren Bedingungen in der Stadt abhängig. Pläne zur Expansion gibt es: Stünden mehr Mittel zur Verfügung, würde in bessere und größere Räume investiert, sodass neben einem vergrößerten Ausstellungsbetrieb auch Art Residencies finanziert und durchgeführt werden können. Aktuell beschäftigt man sich im Rahmen des Researchprojekts „Essay as a state of mind“ mit dem Essay als Methode künstlerischer Forschung. Stellt, wie oft behauptet, künstlerische Forschung in der Bildenden Kunst ein Pendant zum literarischen Essay dar? Diese und ähnliche Fragen werden in Zusammenarbeit mit dem Kulturwissenschafter Leander Gussman behandelt und die Ergebnisse in Form von Ausstellungen, Diskussionsveranstaltungen, Filmvorführungen und einer abschließenden Publikation im Laufe des nächsten Jahres präsentiert. Kooperiert wird dabei mit verschiedenen Institutionen in Linz und Wien. Man darf gespannt sein.

 

MEMPHIS, Untere Donaulände 12, 4020 Linz Öffnungszeiten: Mo/Di/Do/Fr 13.00–18.00 h

www.memphismemph.is

Turnton und die utopische Dystopie

Wir befinden uns im Jahr 2047 in Turnton, in einer nicht näher definierten, kleinen Küstenstadt irgendwo in Europa: Time’s Up eröffnen ihre Ausstellung Turnton Docklands Anfang September im Kunstmuseum Lentos. Als Teil des Ars Electronica Festivals sind Time’s Up heuer auch „featured artist“. Die Referentin hat Time’s Up um einen Text gebeten, der im Vorfeld ihre Zugänge des „Future Fabulatings“ und der „Physical Narratives“ veranschaulicht.

Time’s Up bauen ins Untergeschoss des Lentos Teile des Hafenviertels der fiktiven Stadt Turnton. Die Besucher und Besucherinnen befinden sich beim Ausstellungsbesuch auf dem Marktplatz des „Hafengrätzls“. Sie sehen die Hafenmeisterei, repräsentiert als Kulissenwand in Form eines Leuchtturms, samt Registrierungsterminal für anlandende Schiffe. Sie sehen silhouettenhaft zwischen den Häuserfassaden vertikale Wälder, inzwischen eine urbane Normalität. Sie sehen weiter hinten den angedeuteten verseuchten, vergifteten und vermüllten Meerzugang, jedoch auch die reinigende Algenzucht. Das Fortbewegungsmittel einer Pflanzenbestäuberin steht prominent auf dem Platz. Gleich dahinter das Reisebüro „Travel without Borders“, wo aktuelle Reiseangebote eingesehen werden können. Zum Eintreten lädt Medusas Hafenkneipe. Diese folgt weniger einer baulichen Logik, als dass sie eine Sammlung von Geschichten, Anekdoten und Informationen präsentiert. Hörspiele und akustische Barkulisse verschwimmen, die regionale Zeitung, Veranstaltungsposter oder schlicht die Speisekarte orientieren über Dinge der Zukunft. Verschiedene Ausgänge der Bar führen in verschiedene Ideen einer möglichen Zukunft.

Mit Turnton Docklands konstruieren Time’s Up eine reale Umgebung – eine kulissenorientierte Architektur, die teils baulich, teils mit Licht- und Tonlandschaften und teils mit Narrationen Imagination erzeugt. Was sich inhaltlich wie das Was-ist-was der globalen Problemlagen liest, haben Time’s up mit ihrer Ausstellung Turnton Docklands ihrer typischen künstlerischen Bearbeitung von „Future Fabulating“ und „Futuring“ unterzogen – und zu einem neuen „Physical Narrative“, also einer „Verzimmerung“ von Rauminstallation, Erzählung und Zukunft gemacht. Anthropozän is over und auf Rückzug wie eine globale Gletscherlandschaft? Permanenter Ausnahmezustand und eine Mischung aus Liquid Democracy und Anarchosyndikalismus? Und in dieser Dystopie: Der große Zukunftswunsch nach Wohlstand für alle – ist das der neue Luxus, quasi wie zum Trotz? Die Referentin hat Time’s Up im Vorfeld der Ausstellung gefragt, wie man sich Turnton Docklands und die Geschichtsschreibung bis 2047 vorstellen kann und den folgenden Text erhalten: Keine Angst vor Utopie und vor dem Wunschzettel an die Zukunft.

Text Time’s Up

Zeitlich befinden wir uns im Jahr 2047, geografisch bewegen wir uns im Hafenviertel einer am Meer gelegenen und nicht weiter lokalisierten, kleinen Stadt namens Turnton. Wir wandeln in einer Zeit, in welcher die verheerenden Langzeitwirkungen von Umweltverschmutzung und deren einhergehende Erschütterung des Naturhaushaltes den globalen Alltag dominieren. Schadstoffbelastungen und Altlasten vergiften Böden und Gewässer, ganze Ökosysteme kollabieren, in den Ozeanen ist das Leben durch größer werdende tote Zonen bedroht. Umweltbedingte Gesundheitsschäden sowie Todesfälle mehren sich bedenklich. Die bis Mitte der 2020er Jahre politisch immer nur zögerlich bekämpfte globale Erwärmung wütet mit weltweiten Wetterextremen und erheblichen, klimatischen Veränderungen. Überflutungen, Dürren und Stürme samt stetigem Anstieg des Meeresspiegels verunmöglichen die Nutzung von weitläufigen Landstrichen und Küstengebieten.

Die Folgen der rücksichtslosen Eingriffe der Menschheit in über Millionen von Jahren entstandene, ökologische Systeme treiben diese Welt um Turnton des Jahres 2047 also ihrem desaströsen Höhepunkt entgegen. Was Time’s Up diesem Turnton der ökologischen Dystopie entgegenhält, ist eine gesellschaftliche Utopie. Ausgehend von der Frage, wie denn Luxus in 30 Jahren aussehen könnte, kontern wir der vorhergesagten Öko-Katastrophe mit der Fülle von bereits im Hier und Jetzt existierenden Visionen und Entwürfe, die in den nächsten 30 Jahren einen zivilisatorischen Wandel zum Besseren erlauben. Das heißt, wir wandeln in einer Welt, in der die Maxime „Wandel war unsere einzige Chance“ nicht nur von einer Fülle kleiner Initiativen und AktivistInnen implementiert wurde, sondern begann, die Massen zu bewegen. Wir erlauben eine Welt, in der das Streben nach Kooperation die gegenwärtige Gewinn- und Profitsucht überflügelte. Eine, in welcher die gepredigten Glaubenssätze des Neoliberalismus gebändigt und das entfesselte Wachstumsmantra in die Schranken gewiesen wurde, ohne in einen populistischen, nationalen Protektionismus zu münden: Wirtschaftlicher Erfolg erfuhr eine Umdeutung, er hat die faire und ressourcenschonende Bedürfnisbefriedigung von Mensch und Natur im Blick, dient der universell geachteten Lebensqualität und dem Gemeinwohl. Eine der Nachhaltigkeit dienende Rohstoff-, Energie- und Verkehrswende wurde in die Wege geleitet; Handels-, Produktions- und Arbeitsweisen zirkulieren um Maßnahmenkataloge für Klima- und Umweltverträglichkeit, Menschenrechte, Verteilungsgerechtigkeit und Arbeitsstandards. Folglich hat auch Migration ihren Schrecken verloren, inter- und transkontinentale Siedlungs- und Reisebewegungen in alle Richtungen wurden zur Normalität, sind gut organisiert und Ankommende werden als neue NachbarInnen in den Gemeinschaften aufgenommen. Kulturelle Diversität wird als Kraft erkannt. Sprich, alternative Lösungsansätze, die teils weit ins vergangene Jahrhundert zurückreichen, jedoch oft noch in den beiden ersten Dekaden des 21. Jahrhunderts mehrheitlich als naiv abgekanzelt wurden, gewannen in diesem Turnton des Jahres 2047 die Oberhand.

Zweifelsfrei, alles in dieser Stadt, in diesem Hafengebiet, in diesem fiktionalen Versuch einer möglichen Zukunft zeigt Mut zur Lücke. Turnton kann, darf und soll nicht das eine fertige, umfängliche Bild einer prognostizierten Zukunft sein. Turnton bündelt und skaliert bereits existierende Propositionen. Es erlaubt sich, Signale, von denen wir gehört und gelesen haben, mit einer spielerisch injizierten Portion Fabulation zu kombinieren und daraus Zukunftsvarianten zu präsentieren. Turnton erlaubt sich, den Ängsten zu widerstehen und Anstöße für eine mögliche Welt zu bieten, in der wir leben wollen. Eine, die irgendwann dann tatsächlich das gute Leben für alle zulässt. Als im Sommer 2016 die norwegische Regierung ankündigte, dass sie ab 2025 die Neuzulassung von Verbrennungs- und Dieselmotoren verbieten würde und nur wenige Monate später die schwedische Vizepräsidentin prophezeite, dass Schweden ab 2045 CO2-frei sein würde, glaubte wohl kaum jemand daran, dass diese Verheißungen sowohl zeitlich wesentlich früher als auch geografisch ausgedehnter eintreten würden. So war es dann aber in der Geschichte Turntons: Im Jahr 2047 gehören weit über die Region Skandinaviens hinaus fossile Brennstoffe der Vergangenheit an, als dominierende Energiequelle im Fahrzeugantrieb, in der Wärme- und Stromerzeugung. Alternative Energie-, Transport- und Handelsindustrie sind eingeführt und akzeptiert. Möglich wurden solche Erneuerungen durch flexibel organisierte Institutionen, die teils schon 2016 existierten, teils aus diesen erwachsen sind und sie ersetzten. So beispielsweise die über Dekaden hinweg gewachsene „General Authority for Sustainability (GAS)“ oder auch die „Global Transparency Agency (GTA)“. In wechselseitiger Abstimmung sind diese beiden Autoritäten zuständig für die Verabschiedung, Koordination und Umsetzung weltweit geltender Gesetzesgrundlagen, die von elementarer Bedeutung für ein sozial, ökologisch und wirtschaftlich verantwortungsvolles und kulturell vielfältiges Gesellschaftssystem sind. Lokal aktive Einheiten adaptieren die Grundsätze des Regelwerks jeweils regional flexibel.

Ebenfalls der sozialen Gerechtigkeit und der Umweltschonung dient das dichte Netzwerk autonomer Bildungs- und Forschungsknotenstellen – subsumiert als Zentren für hochentwickelte Technologien (Center for Advanced Technologies – CAT). Laboreinheiten entwickelten Alternativenergie-Lösungen, welche die Energie- inklusive Transportwende einläuteten. Weitere Schwerpunkte der Labor-Netzwerke sind intelligente Lösungen für die Beseitigung von Altlasten, die Regeneration von Artenvielfalt, medizinische bzw. transhumane Forschung oder auch die Luft- und Wasseraufbereitung. In Turnton selbst ist eines der „Networked Oceanic Labs“ darauf spezialisiert, Unterwasserorganismen zu züchten, die in der Lage sind, das Mikroplastik im Meer zu dezimieren (Microplastic Reduction Lab). Finanziert sind die Netzwerk-Labors unter anderem durch die freigewordenen Gelder aus direkter und versteckter Subvention der fossilen Rohstoffindustrie.

Für die Reinigung des unmittelbar an Turnton angrenzenden Küstenstreifens zeichnet sich der lokale Algenfarmer Hamish Dornbirn verantwortlich. Als Pionier dieses Sachgebietes dienen seine verfeinerten Verfahren der „Ocean Recovery Farm“ inzwischen als Grundlage für ähnliche Anlagen, die weltweit verseuchte Küstengebiete und offene Ozeanbereiche regenerieren. Er ist es auch, der die Hafenkneipe Medusa vor Ort mit Ingredienzien für die angebotenen Snacks und Drinks beliefert. Verkocht und serviert werden diese mitunter von der Besitzerin selbst, der ausgebildeten Meeresbiologin Fenfang Lin. Die Liebesbeziehung der beiden ist in der Umgebung des Hafenviertels bekannt. Die Kneipe selbst ist beliebter Treffpunkt für die Menschen des Handelshafens und des künstlerisch-kulturellen Milieus. Magaret Bloomenfeld, ambitionierte Koordinatorin des Handelshafens, mit Büro in unmittelbarer Nähe zur Bar, ist oft gesehene Besucherin wie auch enge Freundin von Fenfang.

Der hohe gesellschaftliche Stellenwert von Kunst und Kultur wird repräsentiert durch die „Always Arts- and Culture“-Einrichtungen, die wie alle etablierten Institutionen weltumspannend vernetzt sind, jedoch in regional-lokaler Autonomie agieren und dementsprechend variable Schwerpunkte setzen. Turnton selbst wird in wenigen Tagen Schauplatz eines mehrtägigen Festivals unter dem Motto: „Celebrating the strength of diversity”. Die „New Neighbour Integration Bewegung“ feiert ihren 20sten Jahrestag

– ein Anlass, mit einem abwechslungsreichem Kunst- und Kulturangebot aufzuwarten, im Zuge dessen auch Maja Jorecki, Theaterregisseurin und Pflanzenbestäuberin, in Erscheinung tritt. Die in und um Turnton kulturell und künstlerisch ausgerichteten Plattformen und Werkstätten, geführt als offene Orte, werden gerne auch von neu Ankommenden genutzt, um sich zu orientieren und auszutauschen – zusätzlich zur bereits erwähnten Hafenkneipe Medusa.

Initiativen wie das „New Neighbour Integration Bureau“ (NNIB) oder „Travel without Border“ (TwB) koordinieren international die unkomplizierte Abwicklung im Bereich der Migrationsbewegungen. Lokale Anlaufstellen stimmen die gesellschaftlich akzeptierten Reise-, Wanderungs- und Siedlungsaktivitäten aufeinander ab und unterstützen abwechslungsreiche „Teilnahme und Teilhabe-Programme“ der heterogenen, wechselhaften Gemeinschaften. Im Zentrum von Turnton wird sowohl eine „Travel without Border“ Börse als auch ein regionales NNIB betrieben. Ein erst kürzlich durchgesetzter Bescheid bewegt: Die bislang in Privatbesitz befindlichen Lagerhallen-Leerstände wurden dem Gemeingut überschrieben und können ab sofort umgenutzt werden. Speziell für die ZuwanderInnen aus dem in Kürze zu evakuierenden Küstengebiet einer atlantischen Inselgruppe ist diese Umwidmung ein willkommener Bescheid. Benötigter Wohnraum kann unverzüglich geschaffen werden – genau wie, so der örtliche Sprecher des NIBB, Olufemi Badour, endlich auch die Pläne für zusätzliche Proberäume und -bühnen umgesetzt werden können.

Die Travel without Borders Einheit kann auf eine noch längere Geschichte als das NNIB zurückblicken. Bereits 2020 erwuchs sie aus einer kleinen Gruppe ambitionierter Community-Workers auf der italienischen Insel Lampedusa, um aus der damals noch als „Flüchtlingskrise“ bezeichneten Situation, etwas Positives gedeihen zu lassen. Die Ergebnisse sind inzwischen gesellschaftlich verankert. Speziell in einer Zeit des neuen individuellen Reisens haben sich die umfangreichen Angebote der TwB als wertvolle Alternative erwiesen, die Welt zu bereisen und auch zu bewohnen. Am Ende als nennenswerte, übergeordnete Information steht der Hinweis auf das politische System: Im Zukunftsgefüge des Szenarios zirkulieren wir um ein vages Gemenge aus Liquid Democracy, Politie (im Sinne Aristoteles) und partiellem Anarchosyndikalismus. Irgendwo zwischen und inmitten von – zugegeben widersprüchlich klingender – organisierter, durch Recht geregelter Selbstbestimmung mit demokratisch gewählter Vertretung wird auch die alternative Wirtschaftsordnung definiert. Zentral an dieser ist neuerlich der Verweis auf die Abkehr von Gewinnorientierung, sowie Anleihen aus verschiedenen Konzepten der Gemeinwohlökonomie, Schumachers „Small ist Beautiful“ oder den Thesen um „Buen Vivir – Gutes Leben für Alle“.

Turnton Docklands im Lentos Kunstmuseum

Eröffnung: 6. September, 19.00 h Ausstellungsdauer: 7. September bis 22. Oktober

Turnton Docklands ist Rauminszenierung und Physical Narrative. Die Rezipientinnen sind eingeladen, Turnton Docklands zu erforschen und zu interpretieren. Turnton ist ein utopischer, positiver und mit Mut zur Lücke gedachter Vorschlag für eine mögliche Zukunft, die dem Gemeinwohl dient.

Das Linzer, international aktive KünstlerInnenkollektiv Time’s Up wirkt an den Schnittpunkten von Kunst, Wissenschaft Technologie und Unterhaltung. Time’s Up feiern auch ihr 20jähriges Jubiläum. Watch out for more Time’s Up Activities.

www.timesup.org

Vom gesehen werden und zählen lassen.

„Viele Österreicher sehen inzwischen keinen Sinn mehr im Gendern“. Nicht oft hat ein Satz die Gelegenheit, sich selbst so unwidersprochen und gültig im Spiegel zu betrachten und bestätigend zuzunicken: Ja, sag ich doch! Geboren wurde er in der oberösterreichischen Redaktion von orf.at in einer Zusammenfassung einer Umfrage zur Akzeptanz des Genderns in der österreichischen Bevölkerung. Die Schlagzeile dazu ließ wenig Spielraum: Akzeptanz für „Gendern“ sinkt. Da läuft einer schon beim Lesen der kalte Schauer über den Rücken – wuuuaah, dieses „Gendern“ schon wieder. Das haben diese „Feministinnen“ erfunden. Die wollen meinen „Arbeitsplatz“ und gleich danach die „Weltherrschaft“. (Das mit der Weltherrschaft stimmt übrigens.)

Während hierorts Umfragen in Auftrag gegeben werden, um ganz nah an Volkes Stimme zu sein, lassen andernorts Menschen Studien erstellen, die keine Befindlichkeiten, sondern Zahlen abfragen. So eine machte die Medienwissenschaftlerin Elizabeth Prommer im Auftrag der deutschen MaLisa Stiftung zum Thema audiovisuelle Diversität in Deutschland, sie wurde viel besprochen und noch einmal mehr besprochen, nachdem der ZDF-Moderator Klaus Kleber ein Interview mit der Ärztin, Schauspielerin und Stifterin Maria Furtwängler (ja, manche machen kluge und richtige Dinge mit ihrem Geld) dazu führte, das ihn eher unglücklich aussehen ließ. Er bediente ganz wunderbar das Weltherrschaft-Klischee, und fragte, ob Furtwängler die Menschen vor den Bildschirmen umerziehen möchte. Quasi nach dem Motto – wenn die Zahlen aussagen, dass bedeutend weniger Frauen als Männer in bestimmten Rollen und Funktionen am Bildschirm zu sehen sind, müssen jene, die die Zahlen erheben, eindeutig ein politisches Motiv haben, oder, wie die Studienautorin es in einem Interview mit Doris Prieschnig in der Tageszeitung Der Standard ausdrückte: „Wir haben uns auch gewundert, warum uns schon das Zählen als politisches Instrument unterstellt wird.“ In Oberösterreich übrigens scheint es eine völlig andere gesellschaftliche Entwicklung zu geben – denn da heißt es in einer gemeinsamen Aussendung des oö. Presseclubs und der GPA djp anlässlich einer Einladung zur Podiumsdiskussion mit dem Titel Frauen im Journalismus in Oberösterreich: Weiblich, billig, arbeitswillig?: „Journalismus und Medien sind heutzutage weiblich. Vor allem im Fernsehen, bei Radios, Magazinen und OnlineMedien findet man einen hohen Frauenanteil.“ Zahlen oder Hinweise, wo diese zu finden wären, liefert die Einladung keine, dafür war wahrscheinlich zwischen all den Klischees kein Platz mehr. Jedenfalls diskutieren hier „der oö. Presseclub und die Journalistengewerkschaft (sic!) in der GPA djp über die aktuelle Situation der Frau im Journalismus und fragen nach, was Frauen tun können, um sich im Beruf gut zu positionieren.“ In erster Linie, die alten weißen Männer loswerden, die solche Einladungstexte verfassen, würde ich polemisch als Vertreterin der offenbar nach Sicht von Presseclub und Gewerkschaft homogenen Gruppe „die Frau“ mal sagen und blicke zurück auf die sogenannten Golden Handshakes, mit denen im ORF vor einigen Jahren Frühpensionierungen euphemistisch umschrieben wurden. Oder auf Kolleginnen in Printmedien, denen Altersteilzeit in einem Alter angeboten wurde, in dem dies schlicht und ergreifend eine Verhöhnung darstellt. Gibt es hier Zahlen, wie vielen Männern und wie vielen Frauen diese Angebote gemacht wurden? Wenn nein, warum nicht? Meine Erinnerung mag mich trügen, aber ich kenne überwiegend exzellente Journalistinnen (die im Übrigen jahrzehntelang bewundernswert unbeeindruckt von der latenten Frauenfeindlichkeit dort ihrer Arbeit nachgingen), die im ORF Landesstudio OÖ diesen Golden Handshake annahmen, nachdem er ihnen eher nachdrücklich angeboten wurde, auch ein Mann fällt mir ein, und ganz bestimmt gab es einen zweiten. Zahlen wären hier wie immer hilfreich.

Die Zahlen der deutschen Studie sind jedenfalls erschreckend und es steht zu befürchten, dass Oberösterreich dazu im Vergleich keine Oase der Gleichberechtigung ist. Nur eine herausgegriffen – im Bereich TV Information, nach Funktionen gereiht, stehen in der Gruppe ExpertInnen 79 % Männer 21 % Frauen gegenüber. Auf die Frage, ob Frauen womöglich deshalb seltener als Expertinnen vorkommen, weil sie im Ruf stünden öfter abzusagen, antwortet Prommer (noch einmal im ITV mit Doris Prieschnig): „Ich glaube dieses Argument nicht. Wenn jemand zählen würde, wie oft ein Mann absagt, dann würden wir vielleicht draufkommen, dass Männer viel öfter absagen. Nur, da hast du dann den nächsten Mann auf der Liste.“ Wohingegen die Liste mit den oft ohnehin nur zwei weiblichen Experten rasch durchgefragt sei.

„Wir haben eh Frauen gefragt, aber die konnten/wollten nicht“ ist tatsächlich eine Antwort, die immer wieder auftaucht, übt frau Kritik an rein männlich besetzten Podien. „Wie viele habt ihr gefragt?“ wäre demnach die einzig richtige erneute Frage auf diese Antwort.

Ich habe kürzlich eine Hamburger Uniprofessorin zu einer Tagung eingeladen und ihr einige der bereits fixierten Referent_innen genannt – allesamt Frauen, unbeabsichtigt, ich wollte ihr nur Zugänge zum Thema weiterleiten und habe drei Frauen (insgesamt sprechen vier Referentinnen und drei Referenten) herausgegriffen. Sie musste terminlich bedingt absagen und erkundigte sich freundlich, ob sie auch einen Mann als ihre Vertretung empfehlen dürfe, oder ob nur Frauen eingeladen würden. … Nein, es ist keine Frauenkonferenz, wenn drei Frauen teilnehmen – es bleibt eine Konferenz. Dass es sogar eine Frau irritiert, wenn Podien – die keine „Frauenthemen“ behandeln – überwiegend mit Expertinnen besetzt sind, hat mich überrascht und gleichzeitig ernüchtert. Weil ich – wenn ich ehrlich bin – nur zu oft genauso reagiere wie die Hamburger Uniprofessorin.

Ein sehr bestimmtes Schema davon, wer als Experte wichtig und glaubwürdig wahrgenommen wird, muss sich in uns als Wertesystem eingebrannt haben: Männer sprechen auf Podien, im TV und im Radio – Frauen moderieren oder sitzen im Publikum. Das ist das Bild, das uns vermittelt wurde und wird. Das ist das Bild, das wir als „normal“ wahrnehmen. Und ja, selbstverständlich hat dies mit der Sichtbarkeit oder eben Unsichtbarkeit von Frauen in Medien, in Sprache und in bestimmten Positionen und Funktionen zu tun.

Auch darum bin ich überzeugt, dass der Ruf nach „Gendern“ weniger mit Gouvernantenpolitik und Sprachpolizei zu tun hat, auch und gerade wenn sich stets irgendwo ein Mann bedroht fühlt, wenn eine Frau spricht. Oder wie die Journalistin Julia Pühringer es ausdrückt: Diese perfide Kombi, Frauen zwar ständig zu ignorieren und/oder niederzumachen, nicht für voll zu nehmen, ihnen ihre Erfahrungen einfach abzusprechen und ihnen nicht zuzuhören (außer man will was von ihnen) und dann lässig zu sagen: „Ja machts halt öfter den Mund auf, tuts was, wehrts euch!“ regt mich ja am allermeisten auf.

Quellen:

www.uni-rostock.de, Broschüre über audiovisuelle Diversität

Der Standard, Printausgabe 12./13. August 2017, S. 28

Der Schluss muss wie ein Hammer fallen

Die oberösterreichische Schriftstellerin Evelyn Grill ist eine Meisterin des ironischen Blicks und durchleuchtet in ihren Texten genüsslich die Abgründe unserer Existenz. Die vergangenen dreißig Jahre hat Grill in Deutschland verbracht, vor einigen Monaten ist sie wieder nach Linz zurückgekehrt. Im Gespräch mit der Autorin hat Silvana Steinbacher erfahren, warum sich Grill Linz zugehörig fühlt und was Abfälle mit Romanen zu tun haben.

Foto Christina Fritsch

Foto Christina Fritsch

Vor der Villa eines durch gegenseitigen Ekel verbundenen Ehepaars lungern Obdachlose in Designerklamotten mit ihren Hunden … Szenenwechsel: Am Bett der sterbenden Mutter ergötzt sich eine Familie daran, den Vater mit den Liebesbriefen an eine andere Frau bloßzustellen … Oder: Eine Schickimicki-Clique verfügt in selbstgefälliger Manier über das weitere Schicksal eines Messies …

Evelyn Grill entführt ihre Leser/innen ohne Erbarmen, mit hoher Erzählkunst und in oft sarkastischem Ton zu den Abgründen der menschlichen Existenz. Und diese Abgründe liebt sie zu sezieren. „Die Normalen interessieren mich nicht, was gäbe es da schon zu entdecken“, stellt die seit kurzem wieder in Linz lebende 75jährige Autorin fest, während sie mir in ihrer neuen Wohnung Tee eingießt.

Dreißig Jahre hat Evelyn Grill mit ihrem zweiten Mann, einem Germanistik-Professor und Rilke-Experten, in Freiburg im Breisgau gelebt. Die süddeutsche Stadt zählt etwas mehr Einwohner als Linz, doch Linz unterscheidet sich für sie in einer angenehmen Weise von Freiburg. Freiburg strahlt für Grill – sie wohnte zudem in einem sogenannten noblen Stadtteil – Prosperität aus, Linz erlebt sie vielfältiger. Sie veranschaulicht mir ihren Eindruck an einer Begebenheit, die sie kurz nach ihrer Rückkehr nach Linz beobachtet hat.

Die Schriftstellerin sitzt in einem kleinen Café im Zentrum der Stadt, um im Freien zu frühstücken. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sieht sie einige Menschen, die sofort erkennbar finanziell bedürftig sind, in Deutschland würde man diese auf den ersten Blick als Hartz-IV-Empfänger einstufen, meint sie. Grill bewundert an diesem Vormittag, mit welcher Phantasie sich die beiden Frauen dieser Gruppe trotz ihrer bescheidenen Mittel gekleidet haben. Und in diesem Moment denkt sie: „Hier gefällt es mir, da gehör’ ich hin.“ Das soeben Wahrgenommene ängstigt sie aber auch, wie schon so oft. In den vergangenen Jahren beobachtete sie die zunehmende Verarmung sowohl in Deutschland als auch in Österreich. Den Wirtschaftsliberalismus, den Rechtsradikalismus und die Reichsbürgerbewegung, die in Deutschland schon wesentlich stärker ausgebreitet ist, nimmt sie mit Besorgnis wahr. Grill, in deren Büchern immer auch die Kunstgeschichte einen zentralen Raum einnimmt, schätzt allerdings auch das Angebot an Kunst in Linz, vor allem das Lentos und das Musiktheater, das sie bisher nicht kannte, und die große Donau, mit der sich die kleine Dreisam in Freiburg natürlich nicht messen kann.

Ausgehend von ihrem jetzigen Eindruck der Stadt erzählt sie mir von ihrer früheren Zeit in Oberösterreich, wohin sie zurückgekehrt sei, weil zwei ihrer mittlerweile erwachsenen Kinder hier wohnen. Bedrückend. Dieses Attribut verwendet Evelyn Grill jetzt einige Male, als sie mir ihre Erinnerungen schildert. Geboren und aufgewachsen ist sie in Garsten bei Steyr, wo sie als Kind das Gefängnis als dominant und furchterregend empfand, als junge Frau lebte sie einige Jahre in Hallstatt, das sie später zum Schauplatz ihrer beiden Romane Wilma (1994) und Der Sohn des Knochenzählers (2013) wählte. Die auratische Enge des für viele zauberhaften Tourismusortes wirkte auf sie bedrohlich, und so entspricht die Kulisse der beiden Romane sicher nicht dem, was sich eine Fremdenverkehrswerbung wünscht. Als Schauplatz für die Sujets dieser beiden Bücher erwies sich Hallstatt jedoch als außerordentlich inspirierend. Und heute, nach Jahren der Abwesenheit, sieht sie den Ort anders und weiß seinen Reiz zu schätzen, auch weil ihre Tochter und Enkel dort leben. Während ihrer Ausführungen bemerke ich, dass sich an vielen Stellen in Grills Wohnung nicht nur Bilder, sondern auch Büsten und Statuetten befinden, was mich nicht wundert, da künstlerische Exponate auch in ihren Büchern eine große Rolle spielen. Mir fällt auch auf, dass die Autorin die Farbe Grün bevorzugt, die in ihrer Wohnung bei Teppich, Sofa und Bildern wiederkehrt.

Ich bitte die Autorin, die im Gespräch nicht nur trockener Humor, sondern auch eine feine Aura des Understatements umgibt, die realen Lebenswelten zu verlassen und zu ihren literarischen zu wechseln. „Zuerst muss ich eine Idee und ein Schicksal haben und dann brauche ich einen konkreten Ort, ein fiktiver Ort würde mir nicht entsprechen“, berichtet Grill. „Vor allem das Umfeld, das ich aussuche, muss ich gut kennen, da will ich souverän agieren können. Danach stellt sich die Frage, in welcher Situation, welcher Phase ihres Lebens fange ich eine Figur auf.“ Und angesprochen darauf, wie sie denn zu ihren Stoffen kommt, meint sie knapp: „Die Abfälle meiner Reisen mit meinem Mann geben meine Romane.“

In den Rezensionen ihrer Bücher lobt die Kritik auch Grills überbordende Phantasie. Doch die Autorin verweist auf die Wirklichkeit, die manchmal kaum überboten werden kann. So habe sie beispielsweise die fast weltweit tingelnde Ausstellung Körperwelten mit den plastinierten menschlichen Körpern des Anatomen Gunther von Hagens als ein reales Element in ihrem für den Deutschen Buchpreis 2005 nominierten Roman Vanitas oder Hofstätters Begierden überhöht. Und auch ich erinnere mich jetzt an den Besucheransturm in der Linzer Tabakfabrik vor zwei Jahren und die begeisterten Berichte jener Menschen, die sich an dieser Schau voyeuristisch delektierten.

„Ich versuche mich in meine Figuren und ihre Abgründe hineinzuversetzen, hineinzudenken“, sagt Evelyn Grill. „Mich interessiert, warum sie so handeln, wie sie es tun.“ Ob und wie die Figuren handeln könnten, hänge doch ausschließlich von ihr ab, schließlich hielte sie die literarischen Zügel in Händen, halte ich entgegen. Grill stockt für einen Moment, will mir scheinen, oder habe ich mich getäuscht? Doch ich werde die Vermutung nicht los, dass sie ihre Figuren, sobald sie sie entworfen und umrissen hat, aufs Papier und somit in die Selbständigkeit entlässt. Ein Gedanke, den ich reizvoll finde und jetzt nicht weiter hinterfragen möchte.

Ende Oktober vergangenen Jahres hat Evelyn Grill ihren bisher letzten Roman Immer denk ich deinen Namen im Linzer StifterHaus präsentiert. Die Schriftstellerin schildert darin eine Liebe, die sich hauptsächlich in Briefen ausdrückt, Briefe voll von Sehnsucht und Begehren, bis der berüchtigte Hammer zuschlägt. „Der Schluss muss wie ein Hammer fallen“, stellt die Autorin fest, und auf dem Weg dorthin kann sie ihre Figuren völlig empathielos vor sich hertreiben. Empathielos wie die Narzissten, die sie literarisch faszinieren, doch in der Realität ängstigen, und bald darauf endet unser Gespräch dort, wo es begonnen hat, bei der Politik. „Putin, Erdogan und vor allem Trump sind Narzissten, Narzissten sind völlig empathielos; ich empfinde diese Situation wie einen Sprengstoff, vor allem, wenn es sich um Politiker bedeutender Länder handelt.“ Ein politisches Buch zu schreiben läge ihr jedoch fern, dazu sei sie politisch nicht gebildet, sogar naiv, antwortet sie mir auf meine Frage – wie gesagt: Understatement! –, doch wenn sie in Linz richtig angekommen sei, möchte sie mit einem nächsten Roman beginnen, und ich bin schon jetzt überzeugt: Bis ihr gnadenloser Hammer dann fällt, wird es auch in diesem neuen Roman nicht an Abgründen fehlen.

Grenzgängerin zwischen den Sinnen

Sonja Meller – das sind für mich zuerst einmal: feine Fäden und die Beteiligung aller Sinne, meint Lisa Spalt, die die Bildende Künstlerin und Illusionistin Sonja Meller getroffen hat.

1999 hängt sie – es ist Winter – an langen Schnüren wunderschöne rote Äpfel in die Linzer Martinskirche. Schon außerhalb des Gebäudes ist der Duft der Pracht wahrzunehmen. Da ist sie: „Diese Süße, die sich erst verdichtet“, ein Gewebe von Assoziationen, das sich erfreulich fassbar darbietet. Als Geschaffenes sind die Früchte anbetungswürdig, als Utensil der verführenden Eva negativ und attraktiv zugleich. Und dann hängen sie auch noch in Reichweite, von diesem Angebot der Erkenntnis könnte man abbeißen, das alles, dieses Paradies, hängt einem in den Mund als Verheißung, die sich – welch ein Glück – mitten im Alltag auftut. So bietet sich das Kunstwerk an als ein Weg zu einer süßen Erfahrung: Erkenntnis gewinnt der Leib, Erkenntnis wird über die Sinne erreicht.

Mit dem Geschmack, der Vorstellung desselben oder der Erinnerung an diesen spielt Meller in der Arbeit „Honighimmel“ aus dem Jahr 2015. Fäden hängen im Kreis von der Decke, die Künstlerin lässt an diesen Honig in eine goldene Schale rinnen. Die Arbeit ist auf Auftrag der Diözese Linz zum Thema Advent entstanden. Ihr sinnlicher, Zeit streckender Aspekt, der das Ankommen – diesfalls des Honigtropfens in der Schale – zum süßen Ankerpunkt der Erwartung macht, wirkt, wie die Künstlerin berichtet, sogar auf Kinder, die sich von der Arbeit kaum losreißen können. Zu spannend ist es, zuzusehen, wie der süße, klebrige Tropfen dem Abgrund zurinnt und sich endlich dazu entschließt, vom Fadenende in die Schale zu hüpfen, das Ros’ ist entsprungen, der Tropfen malt in der Schale sein zähes Gemälde. Aufregend ist der Moment der Suspension, der Moment des Atem-Anhaltens, wenn der Tropfen sich im freien Fall befindet, sich nirgends mehr festhält, nichts berührt, während er von einer „Welt“ in die andere wechselt. Die Arbeit ist pure sinnliche Mitteilung, die es schafft, das Thema jenseits rationaler Überlegung erfahrbar zu machen.

Sonja Meller, Magistra artium, hat von 1995 bis 2001 an der Kunstuniversität Linz Bildhauerei studiert, dann noch einen Master of Arts in San Francisco erworben. Sie arbeitet derzeit in einem Atelier des Egon-Hofmann-Hauses in Linz. Ihr Interesse gilt, wie man an den Arbeiten unschwer erkennen kann, vor allem dem Raum. Diesen verändert sie mit oft sehr zarten Angeboten, so auch bei der Arbeit „Eis-Grillen“, mit der sie 2009 mit Hilfe von „Lucky Chirping Crickets“ aus China Town in San Francisco sommerliches Grillengezirpe auf den verschneiten Linzer Schlossberg zauberte und damit Raum quasi in zwei Jahreszeiten gleichzeitig versetzt. (Für nach wie vor Wintermüde gibt es übrigens eine Variante in der Dose. „Langsam öffnen“, steht drauf, als wären empfindliche, lebende Wesen drin und könnten sich erschrecken.)

So ist die Arbeit der Künstlerin also ins Akustische ausgeufert wie übrigens auch in „Sonic Fruit“ aus 2004, einer Arbeit, die in Kalifornien realisiert wurde: Goldene Früchte hängen an einem Baum, in ihrem Inneren verbergen sich Spieluhren, die jeweils Teile von Brahms’ „Wiegenlied“ spielen. Es liegt an den BesucherInnen, diese Teile zu aktualisieren und ein Ganzes ahnbar zu machen. Sich beteiligend dürfte man vielleicht erfahren, dass die Entstehung eines Brahms’schen Werkes ein seltener Glücksfall ist, der ein Zusammenspiel unzähliger Faktoren verlangt. In wie vielen tausende „Weisen“ andererseits Menschen hier zusammenwirken können, welche Möglichkeiten einer Musik die Zufallsgesellschaft der BesucherInnen aktualisieren kann, macht die Skulptur in sehr feiner Weise hörbar.

Musik spielt eine große Rolle in der Raumwahrnehmung der Künstlerin. Da fällt ihr an einem Verkaufsstand mit Grußpostkarten auf, wie spannend deren Soundfiles zusammenklingen. Aus dem Moment der Überraschung entsteht die Arbeit „Mash-ups“, die Grußpostkarten dazu verschränkt, in einen von ihrer eigentlichen Intention abweichenden Dialog zu treten: Jeweils zwei von ihnen werden so gepaart, dass ihr Zusammenklingen ganz neue, „unerhörte“ Musik ergibt.

Quasi musikalischen Raum wiederum inszenierend, hat Meller in der Sound-Installation „Mondscheinsonate“, die 2015 in der Galerie Forum in Wels gezeigt wurde, unterschiedliche Interpretationen des ersten Satzes der „Mondscheinsonate“ von Ludwig van Beethoven aneinander vermessen. Aus der kreisrunden Auslassung inmitten einer stilisierten Plattenhülle hängt ein Paar Ohrhörer. Befördert man sie an ihren Bestimmungsort, starten Interpretationen von Friedrich Gulda, Maurizio Pollini und Daniel Barenboim wie Synchronschwimmerinnen, beginnen nach einem ersten, noch gemeinsamen Moment, einander zu umspielen, abzufälschen, nachzuäffen. Jetzt wird musikalischer Ausdruck als fast räumlicher Abstand erfahrbar. Wie seltsam mutet es an, wenn die Diven der Klaviere sich im Aufeinandertreffen wie „verstimmt“ zeigen. Die Aura der Primaballerina, die das Piano für gewöhnlich umgibt, scheint sich daran zu stören, dass sie die Bühne mit einem Mal mit anderen Glorienscheinen teilen soll. Die Verstimmung bringt aber auch eine verstörende Wehmut mit sich, etwas wie ein Echo aus einer früheren Zeit. Die zeitlose Interpretation des Star-Pianisten scheint, wenn sie neben anderen steht, auf einmal vergänglich. Die Interpretation trägt nicht mehr, wie so oft, aus der Zeit hinaus, sondern zeigt, dass sie eine unter anderen ist und dass wir hier eben eine Aufnahme zu hören bekommen, eine Konserve einer Zeit, die schon vergangen ist und die sich vom Musiker, dem Star, längst getrennt hat. Auch bei dieser Arbeit ist es neben der sinnlichen Erfahrung die Einfachheit der Mittel, die verblüfft. Sonja Meller arbeitet wie eine Illusionistin, die mit einfachsten Utensilien die Welt verzaubert. Wahrscheinlich gelingt ihr das auch so gut, weil sie niemals auf ökonomische Verwertbarkeit schielt, sind ihre Arbeiten doch größtenteils leichte, temporäre Eingriffe in Räume und selten Objekte, die man trophäenhaft nach Hause mitnehmen könnte. Zuweilen sind sie kaum noch fassbar, so zum Beispiel im Fall der Schneebälle, die die Künstlerin 2008 am Pöstlingberg mit Lebensmittelfarbe einfärbt und dann an Passanten verschenkt. Ein Hauch von Kindheit und Jahrmarkt – dann ist die Skulptur auch schon Geschichte.

Arbeiten von Sonja Meller sind ab 6. September in der Gruppenausstellung „Out of Dörfl“ zu sehen, die zum 60-Jahr-Jubiläum vom Egon-Hofmann-Haus in der Kunstsammlung Oberösterreich stattfindet. Etwas später dann wird die Künstlerin in den Iran aufbrechen, um dort, nahe am Zweistromland, Menschen dazu zu befragen, was für sie denn nun eigentlich das Paradies ist.

 

„Out of Dörfl“
60 Jahre Egon-Hofmann-Atelierhaus
Ausstellungseröffnung: Mittwoch, 6. September 2017, 19.00 h (Studiogalerie der KUNSTSAMMLUNG)

www.sonjameller.at

Terri Frühling

Terri Frühling betreibt aufwieglerisch intelligent „künstlerische Feldforschung“. Über gemeinsame Lebensstationen und markante Arbeiten schreibt Künstlerkollegin Andrea Lehmann, und stellt zuerst fest: Terri Frühlings Lebenslauf liest sich wie Terri Frühlings Kunst.

Terri Frühling lernte ich 1989 kennen, als sich unser beider Leben zur Kunst hinzuzubewegen begann. Im Korsett gebrauchsgraphischer Regeln, im Schulgefüge der HTBL für Grafikdesign, und den sozialen Verwirrungen der Jugend begann unser gemeinsamer Weg: Im Wirrwarr der Normalität war Humor ein Ausweg, sowie Terri Frühlings vielfältige Interessen, die seit jeher die Realität bereicherten.

Bestechende Eigenart von Terri Frühling ist ihre Ironie, unterlegt von scharfer Beobachtung, pointierter Realitätsfindung, Einfühlsamkeit und Freiheitsdrang. Während des Masterstudiums der plastischen Konzeption/Keramik in Linz war das notwendige kräftige Quäntchen Ungehorsam unverkennbar integraler Bestandteil ihrer Arbeit. Frühling betreibt, in eigenen Worten, „künstlerische Feldforschung“, und das seit mehr als 20 Jahren. Wobei sich die Feldforschung nicht nur auf die eigene Kunst bezieht, sondern auch auf ein Aufspüren der Konventionen, die auch die Sphären der Kunst selbst betreffen, bzw. geht es Frühling immer auch um deren Überschreitung.

Ihre Werke manifestieren sich in verschiedener Stofflichkeit und in vielen Erscheinungsformen. So war das auch auf der Bühne, gemeinsam mit Elke Punkt Fleisch und Ester Hinten Finster als Szene-Schlagerband Ganshaut, die von 2005 bis 2013 ihre kabarettistischen Musikperformances bis zur Schmerzgrenze überhöhte. 2006 etwa, beim Wiener Protestsongcontest, erspielte die -Band- den 6. Platz, und sie knackten das „zache“ Wiener Publikum. Oder die figurale Arbeit DJ Ötzi, ein lebensgroßes Konterfei, das, erschlagen von einer Maß Bier, und 2009 gezeigt im Kulturquartier, an die Grenze der guten Kunst und deren schöner Präsentationräume führte. Auch setzte Frühling mit der TOTALE, dem Festival für parallele Kunst 2011–2017, in Zusammenarbeit mit Wolfgang Fuchs, den Grenzgang fort. Die Orte und situativen Gegebenheiten der Stadt Linz wurden und werden als Event „missbraucht“. Festivalstationen, unter anderem Super Luna oder Never been to Istanbul, wurden im roten, wegweisenden Festivalplan und als Katalog mit diversen Textspenden aufbereitet. Die Totale ist offiziell heuer noch zu bestaunen. – Pure Ironie!

In den neueren Arbeiten ist eine zusätzliche Dimension von Ernsthaftigkeit und Tiefe zu bemerken. Transfrühling, 2011 vom Land Oberösterreich ausgezeichnet, befasst sich auf sehr lyrische Art mit den Talenten der Künstlereltern und der eigenen Identität. Transfrühling tritt als Zeichnung des Vaters und als Keramik der Mutter in Erscheinung.

Das Generationenthema erfährt 2012 eine radikale Weiterentwicklung mit der matriarchalen Performance Mama Mysterien Theater. Mit Intimität sprengt Frühling den patriarchalen Aktionismus, baut eine Brücke zwischen ambivalenten Gefühlen und spiegelt, sozusagen in Dualität, Hermann Nitschs patriarchales Mysterientheater. Mit Symbolen von Lebensbejahung agieren in drei Akten Terri Frühling, ihre Schwester Sophie und deren Mutter, die Künstlerin Monika Miegl. Unter Horngetöse und strengem Geräusch werden Eier, Milch, Spargel, Beeren(saft) und Nudeln in mystisch anmutenden Handlungen auf mütterlichen Bäuchen verteilt. Die matriarchale Performance für Vegetarier (und natürlich auch für andere) ist filmisch dokumentiert.

Die Vielseitigkeit der Künstlerin unterstreicht den gesamtheitlichen Duktus. An unvorhersehbaren Ecken und Ebenen der Kunst erblicken ihre Arbeiten das Licht der Welt. Provokant pointiert in ihrer Ungezähmtheit, trotz der oftmals, oder gerade deshalb verwendeten klassischen Medien wie Zeichnung und Illustration, Gebrauchsgraphik, Skulpturales, Keramik, Fotographie, Film, Performance, Musik, bleibt sie in den Aussagen unverkennbar kräftig. Als BetrachterIn kann man sich auf einiges gefasst machen, um dann am Kern der Aussage anzukommen, bis einem die gerade entstandene Aussage wieder neue Gedankengänge serviert. GUT SO!

In den letzten Jahren ergab sich die Notwendigkeit, das Zeitmanagement und die Lebensumstände von KünstlerInnen mit Kindern zu thematisieren. Noch vor 10 Jahren war dem Kunstbetrieb diese Art der Lebenswelt, zumindest aus meiner Beobachtung heraus, noch verschlossen. In dieses Themenfeld reiht sich der Baby Success Club, der seit 2013 existiert, ein, und wurde 2015 im Salzamt der Stadt Linz als „Impuls“-Projekt mit Elke Punkt Fleisch erarbeitet bzw. präsentiert. Meiner Meinung hat sich seither in der Kunst- und Kulturlandschaft auch kaum etwas verändert, außer dass durch den realen Lebensdruck der KünstlerInnen der Nachwuchs zu den Ausstellungen mitgebracht werden darf – weil der Nachwuchs der KünstlerInnen zu den Ausstellungen mitgebracht werden will.

#MyKelomatResidency, 2016 entstanden, beschreibt den Arbeitsmarathon unter Kreativitätsdruck von 7.00 bis 22.15 h im Kurhotel, und zielt in eine ähnliche Richtung. Als BetrachterIn wird man in der Restinformation der Katalogform begrüßt. Die Beziehung Kunst/Nichtkunst startet Terri Frühling in Der große Beginn mit einer Hashtag-Diskrepanz aus #Vorfreude und #Startblockade. Es springen einem u. a. Fotos entgegen, die aus einer Bed-In-Performance zu sein scheinen. Perfekt ohne Distanz zum Betrachter. Sofort wird frau wieder auf den Boden der Realität geworfen. Die Künstlerin NUR im Tagaufstehbeginnmodus. „Ich schaffe es aus dem Bett“ – Residence als Kunstwerk: Kunstproduktion, Rechtfertigung und Selbstauslieferung, eingekeilt in Zeit- und Realisierungsnot, sind im Katalog mit Arbeiten von Bioart, Naturstudie, Lichtkunst und mehr, in konsumfähige Einheiten gebracht. Die stundenweise dokumentierten Projekte immer im Kontakt mit saurer Ironie sind am Tag des offenen Ateliers, im Oktober 2017, im Künstlerinnenatelier in Urfahr zu sehen. Querbezüge zu aktuell Gesellschaftlichem, Sozialem, Persönlichem und den Kunstformen bilden sich bei Terri Frühling ständig, und werden gekonnt in Selbstironie mit technischer Vielseitigkeit aufgelöst. Frei bildend und auch sezierend.

 

„Mit 30 anfangen zu studieren??! Da sind sie früher schon gestorben!“
Mehr Infos: www.terrifruehling.at

Terri Frühling gestaltet gemeinsam mit Elke Punkt Fleisch „Die kleine Referentin“

Tage des offenen Ateliers, Sa 21. + So 22. Oktober 2017, 10.00–18.00 h
Atelier Frühling, Tal 3, 4040 Urfahr

Traun ist auch schön

Das Community-Theater-Projekt „Perspektiven des Alltags. Neues Oberösterreich“ dokumentiert einen heterogenen Alltag in Oberösterreich. Erzählt von Rassismus, fragt nach Heimat und stellt den Begriff „Leitkultur“ zur Debatte.

Theater und Alltagsperspektiven von Pangea/Werkstatt der Kulturen der Welt. Foto Bettina Gangl / PANGEA

Theater und Alltagsperspektiven von Pangea/Werkstatt der Kulturen der Welt. Foto Bettina Gangl / PANGEA

N athalie Nyti-Bota redet sich in Rage. Auf der Bühne der Tribüne Linz sitzend, listet sie auf, was Oberösterreich für sie persönlich an angenehmen Alltagserfahrungen bereithält und was Leben in Oberösterreich allgemein an Alltagsrassismus, Leistungsdruck und Leben in Armut bedeutet. Kommt von den schönen Landschaften zu den Obdachlosen, zur Verständnislosigkeit und zum Individualismus. „Jetzt hab ich irgendwie den Faden verloren. Was war das Thema?“. Und die Premiere des Community-Theater-Projektes zum Thema „Alltag und Oberösterreich“ unter dem Titel „Perspektiven des Alltags. Neues Oberösterreich“ windet sich weiter. Durch Erzählsequenzen, Spielanleitungen und Streitgespräche zwischen zwei „Bio-Oberösterreicherinnen“ hindurch. Gefördert durch die spartenübergreifende Ausschreibung „zusammen:wachsen“ des Bundeskanzleramtes sowie durch Mittel der Stadt Linz konnte das Projekt „Perspektiven des Alltags. Neues Oberösterreich“ vom Verein „Pangea. Werkstatt der Kulturen der Welt“ realisiert werden.

Neben Nyti-Bota stehen außerdem Lia Chuguashvili, Juliana Hartig, Abdul Yousefi, Aziz Yusofi und Eric Zachhuber auf der zurückhaltend gestalteten Bühne. Mehrere Stühle, ein Fahrrad, viele Bodenkacheln und eine Gitarre; der inhaltlich reichhaltige Theaterabend hat ein sparsames Erscheinungsbild. Gemeinsam mit 15 anderen Menschen mit den unterschiedlichsten Migrationsbiographien und bisher wenig bis keiner Theatererfahrung haben die sechs Darstellenden in der Zeit zwischen April und Juni 2017 an Schreibworkshops unter der Leitung von Clara Gallistl teilgenommen. Die beiden professionellen Schauspielerinnen Cosima Lehninger und Zuzana Cuker kamen erst während des Probenprozesses mit der Regisseurin Bérénice Hebenstreit zur Gruppe dazu. Seit der Premiere am 29. Juni gastierte die knapp einstündige dokumentarische Theaterarbeit beim Franck-Kistl-Fest, im Wissensturm und im Nordico Museum Linz. Weitere Spieltermine sind während der HelferInnenkonferenz von „ZusammenHelfen in Oberösterreich“ auf dem Ars Electronica Festival und dem Carneval Of Fear in Schärding vorgesehen.

Die in Oberösterreich aufgewachsene und nunmehr für die Liste Pilz kandidierende Autorin, Dramaturgin und Kulturmanagerin Gallistl konzipierte das Projekt „Perspektiven des Alltags. Neues Oberösterreich“. Und leitete den Schreibprozess. Und fungierte während der Probenzeit als Dramaturgin. Von „passiver Aktivierung“ der Teilnehmenden hält sie nichts. Umso mehr von Nachhaltigkeit. Aus der Projektgruppe ist eine neue Initiative entstanden: „Neues Oberösterreich. Verein für integrative Theaterarbeit“ will jährlich eine Produktion fertigen.

Begonnen hat aber alles in Waxenberg. Da wurden während eines dreitägigen Workshops im April erste Diskussionen geführt. Über Theater und andere soziale Räume, über Barrieren und darüber, wie auf einer Bühne ein selbstbestimmtes äußeres Bild entwickelt werden kann, beziehungsweise wie ein Theater beschaffen sein müsste, mit dem sich die Teilnehmenden gemeint fühlen würden. Und über Grenzen. Und über Rassismus. Theoretische Anstöße kamen von der Mit-Konzipierenden und ehemaligen Geschäftsführerin von „Pangea“ Stephanie Abena Twumasi, unter anderem Vorstandsmitglied von „JAAPO. Unterstützungsstruktur für und von Schwarzen Frauen zur Verbesserung der Lebenssituation in Oberösterreich“.

„Wann fühle ich mich ausgeschlossen? Wann schließe ich mich selbst aus? Und wann schließe ich andere aus?“ – aus diesen Fragen ergab sich ein erster Themenkatalog. Für die weitere Schreibarbeit fanden etwa 25 Termine in Kleingruppen statt. Dergestalt wurde versucht, auf die unterschiedlichsten Lebensrealitäten der Teilnehmenden zwischen 16 und 64 Jahren aus insgesamt 16 Ländern einzugehen. Es entstanden circa 50 Seiten Text, hauptsächlich Transkriptionen von Diskussionsverläufen, teils von den einzelnen Teilnehmenden eigenständig verfasste Passagen. Gemeinsam mit der Regisseurin Hebenstreit, die zuletzt zum Beispiel für das Volkstheater Wien „Superheldinnen“ von Barbi Markovic inszeniert hatte, erarbeitete Gallistl eine Spielfassung und ergänzte so das diskursive wie spielerische Material um eine rein fiktive Streitebene. Die beiden Schauspielerinnen Lehninger und Cuker begeben sich für diese Szenen als „Bio-Oberösterreicherinnen“ in Konfliktdialoge. Da geht es um das rassistische Potential der Frage „Woher kommst du wirklich?“, um Unsicherheit und um politisch korrektes Sprechen.

Die knackig konzentrierte Inszenierung findet über lose ineinander übergehende Szenen zu einer Darstellung von heterogenen Perspektiven. Widersprüchlich und voller starker Behauptungen, erzählt sich so ein Nebeneinander, ein Alltag in Oberösterreich. „Ich liebe meine Heimat. Also, das Land, woher ich komme. Aber Traun ist auch schön“. Da werden Wünsche an ein neues Oberösterreich formuliert, die Landes-Hymne intoniert, wieder abgebrochen und im Hinblick auf die Leitkultur-Debatte die Frage „Seid ihr euch unsicher mit eurer Kultur?“ ans Publikum gewendet. Anhand eines Spiels, das Nachahmung als körperlichen Vorgang präsentiert und bei dem alle Macarena tanzen können, aber nur manche mehrere Liegestütze schaffen, lässt die Inszenierung den Begriff „Leitkultur“ in die lächerliche Leere laufen. „Ich wünsche mir, dass es in Österreich keine Leitkultur gibt“.

Hebenstreit formuliert Folgendes über die zweiwöchige Probenarbeit an der Inszenierung: „Wichtig war mir, Formen zu finden, die die Auseinandersetzungen aus den Workshops und die dort verhandelten Fragestellungen sichtbar werden lassen. Auf den Proben haben wir Ideen ausprobiert, dabei auch neues Textmaterial generiert. Die Arbeit war eine tolle Erfahrung. Die Gruppe hat sich durch ein großes gegenseitiges Vertrauen ausgezeichnet, wodurch sich jeder und jede sehr persönlich einbringen konnte. Theater braucht eine hohe Disziplin und Konzentration beim Arbeiten, was neben dem normalen Alltag eine Herausforderung darstellt. Umso wichtiger ist das gemeinsame Anliegen, das eine Arbeit trägt, um beides aufzubringen. Es war für mich besonders überraschend, in wie kurzer Zeit wir einen Theaterabend erarbeiten konnten, von dem sich sowohl Teilnehmende als auch Zuschauende bereichert und berührt fühlten“.

Gallistl versteht das Projekt „Perspektiven des Alltags. Neues Oberösterreich“ als eine Überschneidung von Kunst- und Sozialarbeit. Deshalb sei die Frage nach der gemeinsamen Arbeitssituation auch so ernst genommen worden. „Wer will und kann für eine Aufführung auf der Bühne stehen?“, das ist eine Frage, die für alle 21 am Projekt beteiligten, in ganz Oberösterreich lebenden Menschen mit Migrationsbiographie individuell beantwortet worden sei. Ob Kinderbetreuung oder Auto-Transfer, Gallistl betont: „Es wurde versucht, alles zu ermöglichen“. Die Etablierung einer gemeinsamen Arbeitssituation ist auch Thema der Aufführung geworden. „Check mal, in was für einer Welt wir leben!“, heißt es irgendwann. Wie wir gemeinsam leben und arbeiten wollen, das schwingt beständig mit. Am Ende steht die Frage: „Können wir das in Ruhe besprechen?“. Ein Ausblick auf viele weitere diskursive Auseinandersetzungen.

Weitere Spieltermine sind während der HelferInnenkonferenz von „ZusammenHelfen in Oberösterreich“ auf dem Ars Electronica Festival und dem Carneval Of Fear in Schärding (siehe Tipp Die Referentin).

Searching for a Fata Morgana

Was mit dem Salzamt passiert, ist noch immer nicht entschieden – wird Zeit, meint die Referentin. Wir berichten einstweilen aus dem Salzamt: Unter dem Titel „Searching for A Fata Morgana“ haben zuletzt Clemens Bauder und Rachel Leah Cohn im Sommer ausgestellt. Clemens Bauder im Interview.

Ihr seid in Katar in die Wüste gegangen und habt euch auf die Suche nach einer Fata Morgana gemacht. Dann sind kinetische Holzobjeke entstanden, die einen Bewegungsaspekt forciert haben, eine Sand- und Soundmaschine mit dem Titel „Disco Fata Morgana“ und ein sechseckiger Leuchtturm. War das quasi die selbstgebaute Fata Morgana?

Ja genau, wir haben die Frage, wie denn eine Fata Morgana aussehen könnte, auf poetische Weise beantwortet und in zwei verschiedene Objekte umgesetzt. Durch die vorangegangene Recherche war Rachel vor allem von den farbenfrohen arabischen Glaslaternen und Narrationen im Schattentheater inspiriert. Die Bilder im Leuchtturm erzählten von einer persönlichen Entdeckung einer künstlich angelegten Oase in der Wüste, die mittlerweile abgerissen wurde und komplett verschwunden ist. Mit Malereien auf Acrylglas und Silhouetten aus Holz versuchte sie einen Ort, an dem die Natur und das Artifizielle für einige Zeit miteinander verflochten waren, wieder ins Gedächtnis zu holen und fatamorganesk wie ein Leuchtfeuer am Horizont auftauchen zu lassen. Ich habe mich über Sound und Licht an die Idee einer Fata Morgana angenähert. Die Stille und absolute Dunkelheit der nächtlichen Wüste waren für mich von Anfang an sehr beeindruckend. In dieser Atmosphäre wollte ich eine kinetische Figur, die Disco Fata Morgana, auftauchen lassen. Eine Maschine, die mit dem Wüstensand einen rhythmischen, repetitiven Sound als auch bewegtes Licht generiert. Diese beiden Ansätze haben wir dann für die Installation im Salzamt zusammengeführt.

Die Arbeiten im Salzamt waren surreal, leuchtend, schienen wie Holzgebilde mit anderer Logik und verborgenem Zweck. Die Fotos ließen vermuten, dass alles insgesamt in der Wüste vermutlich nochmal eine ganz andere Magie hatte. Ins Nachhinein gefragt: Was war diese Arbeit?

Ortsspezifische Arbeiten 1:1 in den Ausstellungskontext zu überführen finde ich schwierig. Wir haben deshalb versucht, mit unseren Erfahrungen in der Wüste eine eigenständige Arbeit, die mit den atmosphärischen Potentialen und Versatzstücken der vorangegangen Objekte spielt, zu entwickeln. So sind drei fata­morganeske Bilder entstanden, die durch einen Leuchtturm immer wieder für kurze Zeit aufflackern. Verknüpft mit dem bei der Eröffnungsperformance gemeinsam mit Andre Zogholy entstandenen Sound. Für mich war die Disco Fata Morgana ein skizzenhafter Prototyp, ein prozesshaftes Experimentieren in einer bis dahin noch unbekannten Umgebung. Etwas, das in der Wüste für kurze Zeit auftaucht und dann wieder verschwindet. Deshalb auch keine Vorankündigung oder Publikum. Im Endeffekt war es also wirklich für uns und die Wüste. Der Wunsch, mit der Disco Fata Morgana in einem größeren Maßstab für ein Publikum zu performen, ist aber da.

Man kennt dich in Linz als Architekt, als Artist, der immer wieder mit Holz zu tun hat, und im Zusammenhang mit urbanen Thematiken. Vielleicht kannst du Arbeitsschwerpunkte ergänzen. Und erzähl bitte auch über deine Kollegin Rachel Leah Cohn, warum und wie ihr zusammengekommen seid und gearbeitet habt.

Rachel und ich haben uns im Dezember 2015 auf der Bi-City Biennale of Urbanism and Architecture in Shenzhen, China, bei der wir beide im Rahmen der Aformal Academy eingeladen waren eine Arbeit zu realisieren, kennengelernt. Nach ein paar Tagen Recherche vor Ort – wir waren beide vom informellen urbanen Erfindergeist im Urban Village Baushizhou, wie zum Beispiel von mobilen Grillstationen, inspiriert – und überschneidenden Interessen wie etwa am traditionellen chinesischen Teeritual hat sich dann eine Kollaboration ergeben. Angelehnt an die klassischen Schubkarren, die das Stadtbild noch immer prägen, haben wir eine mobile Sauna samt Ritual für sechs Personen entwickelt und mit einfachsten Werkzeugen – Hammer und Fuchsschwanz – gebaut. Für den Saunaofen wurde ein Hot Pot, der normalerweise zum Brühen von Suppen verwendet wird, umfunktioniert. Vor jedem Saunagang wurde bei einer Teezeremonie jenes Teewasser, das für das Reinigen der Gefäße abfällt, gesammelt und als Aufgusswasser verwendet. Mit dem Wasserdampf breitete sich auch der Geruch von grünem Tee in der kleinen Sauna aus. Besonders gefallen hat mir, dass die Wände der Sauna aus durchsichtigem Vinyl waren. Mit Fortdauer des Saunagangs ist durch den Dampf der Blick auf die Stadt verschwunden, ebenso für die Passanten der Blick ins Innere. Bei mir hat sich in den letzten Jahren ein Arbeitsschwerpunkt hin zu experimentellen, temporären Architekturen und Installationen, meist im öffentlichen Raum entwickelt. Temporär vielleicht deshalb, weil bei solchen Projekten verschiedene Grenzen etwas weiter ausgelotet werden können. Aber auch, weil man bei diesen Projekten sehr nah dran sein und selbst Hand anlegen kann, von der Idee bis zur Fertigstellung. In der letzten Zeit verknüpfen sich meine Arbeiten immer mehr um eine Soundkomponente und kinetische Momente.

In der Arbeit Disco Fata Morgana wird ein Holzobjekt von Sand angetrieben und bewegt zum Beispiel eine goldene Teekanne, die dann bedeutsam immer wieder verschiedene Richtungen anzeigt. Ihr beiden seid nicht nur im Salzamt in goldenen Kostümen, goldenen Jacken und Kniehosen aufgetreten, sondern auch in der Wüste – soweit ich weiß. Ich komme damit zu Alice. Ich hatte, wahrscheinlich wegen der Teekanne und der Kniehosen, gleich diese Assoziation zu Alice im Wunderland.

Die goldenen Kostüme sind aus der Idee heraus entstanden, in der Wüste selbst zu reflektieren, mittels Sonnenstrahlen oder künstlichem Licht zum Leuchtobjekt zu werden. Die Maßanfertigung an sich war schon ein Erlebnis. Mit dem Schneider haben wir nur kurz eine Skizze hin- und hergeschoben, das tatsächliche Kostüm war dann eine Überraschung. Herr Kamal hat aber einen guten Job gemacht. Und reflektiert hat der Vorhangstoff schlussendlich auch sehr gut. Mit unseren Kostümen waren wir in der Wüstenszenerie seltsame Fremdkörper und dann auch wieder nicht. Die Teekanne war mehr ein glücklicher Zufall als zu Beginn gewollt. Nachdem ich tagelang mit verschiedenen Discokugel-Varianten gespielt hatte, ist sie mir auf dem Basar in die Hände gefallen. Und dass der Schnabel der Kanne stetig in verschiedene Richtungen zeigt, passt natürlich noch viel besser zur Suche nach einer Fata Morgana.

Und dann erzählst du im Vorgespräch, dass du derzeit an Projekten für die Alice-Ausstellung im OK arbeitest. Hat das miteinander zu tun? Oder anders gefragt, was sind deine nächsten Arbeiten?

Es gibt eigentlich keine direkte Verbindungslinie. Gemeinsam mit Kathi Lackner arbeite ich an einer künstlerischen Spiel- und Bewegungszone, dem Gaudimax und gleichzeitig an einer Transformationsschleuse, dem Eingang in die sinnliche Welt von Alice. Gemeinsam mit Markus Reindl und Julia Ransmayr kuratiere ich überdies das multidisziplinäre Format UNTEN. Das Programm bewegt sich zwischen Rauminstallation, Performance und Clubkultur. Wir forschen vielleicht auch ein bisschen nach der dunklen Seite von Alice. In diesem Rahmen ist dann auch die nächste Sound- und Lichtinstallation am Start, Markus und ich kreieren gerade eine Nachtmaschine.

Katar ist ein Emirat, eine absolut regierte Monarchie. Laut Wikipedia das reichste Land der Welt mit einem sogenannten „kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt“ von ca. 127.600 Dollar pro Kopf – und der Scharia als Hauptquelle der Gesetzgebung. Kannst du ein paar Eindrücke von Katar schildern? Und vielleicht auch vom Stellenwert von Kunst, Kunstuniversität und den KünstlerInnen. Wie ist es euch gegangen mit eurem Vorhaben?

Ich war zum ersten Mal im arabischen Raum unterwegs und mein Radius war wegen des straffen Zeitrahmens von nicht ganz drei Wochen ein sehr enger. Auch habe ich mich hauptsächlich im sehr internationalen Umfeld der VCU Qatar, der Zweigstelle einer amerikanischen Universität bewegt. Das heißt, ich habe eine sich sehr in Öffnung begriffene Gesellschaft erlebt, wenngleich Reglementierung und enormer Reichtum überall präsent sind. Bei jeder Rückfahrt aus der Wüste ist mir Doha, die Hauptstadt von Katar, wie eine gigantische, künstliche Fata Morgana an sich erschienen. Mit den Ressourcen der VCU Qatar im Rücken war die Realisierung der Installationen möglich, Materialien auf dem Basar aufzutreiben, ein Abenteuer.

Abschließend zurück zum Leuchtturm. Und wir versuchen damit auch eine inhaltlich verwegene Brücke zwischen Katar und Linz. Mir fällt auf, dass der Leuchtturm zurzeit von verschiedenen Initiativen künstlerisch thematisiert wird. Auf der Florentine gibt es seit etwa zwei Jahren einen Leuchtturm als kinetisches Objekt, Time’s Up werden, was ich weiß, in ihrer Ausstellung Turnton auch einen Leuchtturm dabeihaben. Und heuer wird die Stadtwerkstatt im September insgesamt drei Leuchttürme im Donauraum platzieren, die das neu ausgerufene Urfahraner Areal „Lower East Site“ bespielen. Ihr habt nun bei „Searching for a Fata Morgana“ einen Leuchtturm in der Wüste platziert. Warum diese Symbolik der Orientierung bei euch?

Durch die unglaubliche Weite der Wüstenlandschaft kann einem das Gefühl der Orientierungslosigkeit bereits untertags sehr schnell einholen. Ohne Führer oder GPS ist man tatsächlich verloren und ist über jede Erscheinung am Horizont froh. Nach der nächtlichen Performance haben wir uns in der Stockfinsternis mehrmals mit unserem Truck hoffnungslos verirrt. Da half nur Autospuren lesen. In diesem Moment hätte ich mir einen realen Leuchtturm irgendwo am Horizont gewünscht. Für mich persönlich strahlen Leuchttürme seit jeher eine magische Anziehungskraft aus. Beim Näherkommen an das Leuchtfeuer in weiter Ferne gibt der zuerst nur klein geheimnisvoll rotierende Punkt schlussendlich die Sicht auf die unmittelbare Umgebung immer mehr frei. Ein ähnliches Gefühl hatte ich beim Zuwandern auf unseren Leuchtturm, der mit assoziativen Bildern einen Ort markierte, der nicht mehr ist.