Editorial

Johanna, du Dohnal: Neue Rollenzwänge, alte Macht- und Gewaltverhältnisse, wiederauferstandene ewiggestrige Männerbündelei – Wir fragen: Wo ist die menschliche Zukunft? +++ Das wäre eine mögliche Zeile am Cover gewesen. Eine allerdings zu surreal verzweifelte Frage an die verdienstvolle ehemalige Frauenministerin, die nun wirklich als allerletzte was dafür kann. Das Thema zieht sich nun, sozusagen mehr oder weniger an der Oberfläche, durch diese Ausgabe. Wir möchten bei dieser Gelegenheit den oft zitierten Satz von Johanna Dohnal auffrischen, den sie 2004 an der TU Wien vortrug: „Die Vision des Feminismus ist nicht eine ‚weibliche Zukunft‘. Es ist eine menschliche Zukunft. Ohne Rollenzwänge, ohne Macht- und Gewaltverhältnisse, ohne Männerbündelei und Weiblichkeitswahn.“ Gleichberechtigung also zugunsten aller. Im Gegensatz dazu, wie es nun aussieht, neue alte Verhältnisse im Land.

Zweitens, Kulturland retten. Die Kupf, Kulturplattform Oberösterreich, hat in ihrer Kampagne „Kulturland retten“ hervorragend zusammengefasste Zahlen und Argumente präsentiert, die sich wohl kaum den dementsprechenden Schlussforderungen entziehen können: Kahlschlag und Aushungern, gerade von kleinen Initiativen, die zunehmend ums Überleben kämpfen. Mit ähnlicher Argumentation haben die Kulturbeiräte von Stadt und Land reagiert, und viele andere Personen oder Personengruppen. Es ist schlimm und unfassbar, was hier im Zuge eines „Sparkurses“ an Out-of-Order-Feeling vermittelt wird. Die Erzählungen, wie es den großen wie kleinen Häusern und letzten Endes den Menschen damit geht und wie mit ihnen umgegangen wurde und wird, sind bereits jetzt Legende. Wir von der Referentin hätten auch Details zu berichten, und wir machen das auch gerne auf Anfrage. Auch falls die liebe Landesregierung doch noch wegen des versprochenen Termins anfragen würde, die uns heuer permanent übers Jahr vertröstet und am Ende, im Herbst, kurzfristig einen Termin beim neuen Landeshauptmann abgesagt hat. Jedenfalls: kulturlandretten.at.

Das Korrektiv in der Berichterstattung, das ist der dritte Punkt in diesem Editorial. Nicht wenige sind der Meinung, dass die Mainstreamberichterstattung nicht nur kommerzieller denn je agiert, sondern sich zunehmend tendenziös gestaltet. Aber das ist ein derart alter wie nun wieder neu aufgesetzter Hut, dass wir hier schon wieder aufhören und stattdessen auf die Inhalte in diesem Heft verweisen. Jo, do schaut‘s her, so engagiert und kompetent kann man auch ins Kulturland einischaun! Wie übrigens die Handvoll anderer Freier Medien im Land, oder eine Handvoll JournalistInnen, die ihren Auftrag immer noch ausfüllen.

Manche sagen: Aufwachen in Zeiten wie diesen.

Die Referentinnen-Redaktion meint: Trotzdem gut schlafen, aufgeweckt waren wir schließlich immer schon.

www.diereferentin.at

Dunkle Klänge

DVRST, eine Performancekollaboration bestehend aus Tanja Fuchs und Vinzenz Landl bewegt sich zwischen Experimentalkunst und Clubkultur. Erst im Sommer 2017 gegründet, entwickelte sich die Formation stetig und schon spielen DVRST beim MEM Festival for International Experimental Arts in Bilbao. Alexander Eigner hat DVRST getroffen.

Gleich zu Beginn stellen sich Fragen: Heißt die Formation nun DVRST? Sagt man DURST? Oder doch DÖRST? Ist es gar die Abkürzung für DiVerSiTy? Die genaue Bedeutung konnte nicht ermittelt werden. Ein Code scheint naheliegend. Ein Blick auf einen der Tracktitel, l0v34th33mpty, könnte den Anschein irren Geschreibsels erwecken. Aber nein, vielmehr ziehen sich diese Codes durch das ganze Projekt. Vinzenz und Tanja verstehen sich als FreundInnen der Abstraktion. Offensichtlich: o1no1on1o. Somit bleibt Freiraum für Interpretation, was es DVRST ermöglicht, sich selbst und ihre Tracks immer wieder zu verändern, was den konstanten Wandel unvermeidbar macht. Manchmal ist es schlichtweg spannender, sich abseits der Norm auszudrücken: v8edurj422. Man muss schon zwischen den Zahlen lesen.

Frei von Gender- und Genreschubladen geben sich Tanja und Vinzenz ihren Bühnenauftritten hin. Ein kraftvoll-magischer Sound, in Richtung Post-Rave gehend, entsteht. Während sich die Menschen im Publikum langsam in Bewegung setzen, wissen deren Füße nicht genau, was sie jetzt machen sollen, und trotzdem fühlt sich jeder Fuß dabei wohl: Fußtrance. Für DVRST ist es wichtig zu beobachten, wie sich die ZuhörerInnen zu ihrem drückenden Sound bewegen. Selbst wenn diese nur starren, wird das wahrgenommen. Tanja ist stets versucht auf die Menschen einzugehen, sei es durch Blicke oder Bewegungen. Und DVRST sind bereit auf ihr Publikums einzuwirken und das zu liefern, was „der Raum braucht“, selbst wenn dieser nach Wahnsinn verlangt.

„Witches are not explaining the voodoo to everyone“. Tanjas Texte sind oft drastisch, bildhaft direkt und obschon der Sound oft repetitiv-minimalistisch ist, ist die Sprachkunst bestechend körperlich: „Moon was decreasing — skin got burned“. War man schon einmal bei einem DVRST-Gig dabei, ist es nicht auszuschließen, sich bei einem nächsten Gig selbst zu hören. Auf der Loop-Station sammelt Tanja Publikumsgeräusche und Gekreische von vorherigen Shows zusammen, welche sie dann live, Schicht für Schicht, upcycled. Vinzenz, bisher am Synthesizer zaubernd, wird wohl auch bald einen sprachlichen Input zu DVRST liefern.

Geht man näher auf dieses Projekt ein, ist man mit einem weiteren Aspekt ihres Auftretens konfrontiert: dem Artwork. Der Blick fällt auf ein gerne verwendetes Bildsujet: das zweibeinige, dreiäugige, nasenblutende Wesen mit schwerer Kette im Bauch. Klartext gibt es bei DVRST selten. Auch ihre Fotos sind stets nebulös: Stahlkette, Bademantel, Schrottkarre. Offensichtlich weitere Codes. Artwork-Verschlüssler: Andreas Christian Haslauer, Epileptic Media. Foto-Verschlüssler: Johannes Oberhuber, Umbra Umbra.

Tanja, erfahren als Anarcho-Pop-Queen bei Fudkanista oder auch als Abu Gabi, kennt die experimentelle Bühne. Als Abu Gabi feierte sie am 3. November ihren ersten Solo-Auftritt im Quitch. Vinzenz hatte mit The Similars diverse Auftritte in Linz und arbeitete zuletzt als Tontechniker bei vielen Veranstaltungen des Kulturvereins Klangfolger Gallneukirchen. Hier lernten sich die beiden auch kennen und erkannten ihre gegenseitigen Talente. Aus einem Experiment in einem Gallneukirchner Keller wurde im Juli 2017 plötzlich ein Experimentalkunst-Projekt mit Elementen aus Post-Rave, Illbient und Experimental Electronics.

Experimentalkunst, das passt doch zum Mem-Festival for International Experimental Arts in Bilbao, dachte Tanja, als sie für dieses Festival mit der Formation Cine-Concert Fernweh/Heimweh gebucht wurde, und wurde prompt für einen weiteren Auftritt mit DVRST bestellt. Nach Auftritten in der Linzer Kapu und in den Wiener Underground-Clubs SUB (Super Unusual Beings) beziehungsweise Celeste, folgt also der erste große Vergleich mit ähnlich gesinnten Künstlern im ehrwürdigen Guggenheim-Museum in Bilbao.

Ein Auftritt von DVRST – ein Feuerwerk an Intuition. Die Bässe sind stets tief, der Sound grundsätzlich schwer, die Sprache meist schmerzhaft, aber voller Offenheit. Mit dieser Mischung wollen sie ihr Publikum aus der eigenen Dunkelheit zurück in die Wärme begleiten. Der Weg dieses düster-frischen Projektes ist jetzt schon ein interessanter und das Frühjahr wird einige weitere Überraschungen hervorbringen.

Der neue Feminist Desolatismus. Kunstverwertung.

Lokale Lokale, die Ausgeh-Kolumne der Referentin, streift dieses Mal bei diversen Eröffnungen herum. Es beginnt im lichten Linz und endet im dunklen Land Oberösterreich. Am Ende stellt sich die Frage: Kulturland retten? Die kolumneschreibend ausufernde 50.000 Euro Klit ist in der Referentin #10 eine Gruppe von Menschen, die unter anderem in der Tabakfabrik, im Valie Export Center, im Cafe Meier, im Schlossmuseum und bei qujOchÖ auf Besuch war.

Was hat die Stadt schon mit der Tabakfabrik gelacht, über verkräuselte Botschaften von Kreativaortas, -triaden und -kathedralen und vieles mehr an Wunderwuzzi-all-in-one-Eierwollmilchsau-Begrifflichkeiten, die in den letzten Jahren in schöner Regelmäßigkeit als PR-Rauchwolken mühelos aus den Schloten der – sagen wir es ähnlich verquirlt – denkenden Industriemanufaktur aufgestiegen sind. Der PR-Hype hat sich schon länger gelegt, fällt uns auf, als wir in die Tabakfabrik zur Eröffnung des neuen Valie Export Centers gehen. Eine schöne Sache, das Center. Dort performt zur Eröffnung die Formation Dr. Didi, was meine Freundin wenig später im Cafe stirnrunzelnd kommentiert mit: „Aber das ist ja das andere Universum!“ Und wer sich jetzt nicht auskennt: Dr. Didi = 3 Haberer (an sich eh sehr super) und Valie Export = feministische Ikone (unter anderem). Na gut. Schade jedenfalls, dass vom Kunstunirektor Reinhard Kannonier weder die bei der Eröffnung frisch verkündete und anwesende neue Leiterin des Valie Export Centers, Sabine Folie, noch die schon länger für das Center arbeitende Geschäftsführerin Dagmar Schink, auf die Bühne geholt wurden. Und das löste bei doch einigen Anwesenden richtiggehend schlechte Stimmung aus. Erheitern konnte uns, dass während Bürgermeister Lugers Rede und seiner zum Ausdruck gebrachten Freude über das neue Center in den hinteren Reihen flüsternd angestimmt wurde: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ – eine kleine private Einlage von Stehnachbarn, die sich wohl nicht auf das Center bezogen hat und die allerdings eh fast niemand mitbekommen hat. Der Bürgermeister schätzt unbequeme Kritik, sagt er auch immer wieder in seinen Reden, und so soll es sein. Lustig auch, dass passend zu Valie Exports Status als international anerkannte Medienkünstlerin, Kulturstadträtin Doris Lang-Mayrhofers wiederkehrende Parole von der Unesco City of Media Arts zunehmend selbst einen gewissen performativen Charakter entwickelt, in gewohnt frischer Manier. Wir lieben es. An Marketing und Kunst denke ich noch, als meine Freundin und ich auf dem Rückweg ins Cafe Meier schauen. Mir fällt ein, dass bei einer anderen Eröffnung drei Wochen vorher, im O.K bei „Alice – Verkehrte Welt“ der den LH vertretende Politiker überhaupt nur vom Tourismus gesprochen hat. Er hat bis zum Kaiser und seiner Verlegung der Sommerresidenz nach Bad Ischl ausgeholt (Beginn des Kulturtourismus, und Alice als kulturtouristische Fortsetzung, wirklich? Habe ich das geträumt??). Wir holen weiter aus. Mein Sitznachbar meinte damals, die Rede sei absichtliche Parodie gewesen … ich bin aber nicht so überzeugt davon, dass das neue Türkis da so viel Spaß versteht und die Politik bringt’s mit dem Tourismus schlichtweg auf den Punkt. Am Ende wurde dann fast vergessen, die KünstlerInnen auf die Bühne zu holen, aber das kann bei so viel Spektakel leicht passieren. Ich sage zu meiner Freundin im Cafe: „Verkehrte Welt“. Sie lächelt müde. Und abgesehen von all den angesprochenen Diskrepanzen, wir holen noch weiter aus: Wirklich schlimm sind die allseits bemerkbaren Verschiebungen hin zu Konservativismus und Kommerzialisierung, die auch in der Kunst sichtbar werden, sagt sie. Und horrend, dass abseits dessen an allen Ecken und Enden ein gesellschaftspolitischer Desolatismus vor sich hinbrodelt, der sich gewaschen hat. Das ist zu sehen und das pfeifen die Spatzen von den Dächern, die Spatzen aus der sogenannt freien Szene und auch die Spatzen aus den Kultureinrichtungen von Stadt und Land, die Spatzen vom Landeskulturbeirat und die Spatzen vom Stadtkulturbeirat, Stichwort suboptimale Kommunikation, untransparente Pläne, Stichwort Prekarisierung, und wir fügen noch das Stichwort Rechtsruck dazu. Und ebenso pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass im Zuge der Sparmaßnahmen im Land umgeschichtet wird – in Richtung Sicherheit, Wirtschaft und Digitalisierung. Das ist der Kern einer Sache, die mit einer großen Spar-0.- inszeniert wurde. So ist es zu hören. Im Übrigen imponiert es meiner Freundin und mir null, dass sich die LandespolitikerInnen im Rahmen der Sparmaßnahmen selbst eine Nulllohnrunde verordnet haben, da verdreht sowieso jeder nur mehr die Augen. Im Gegenteil sind wir bestürzt vom Umgang mit einkommenschwächeren Bevölkerungsgruppen, vom Umgang mit Kultureinrichtungen, Frauen und Fraueninitiativen, Stichwort Fiftitu%, Feminismus&Krawall, oder auch: keine Frau in der Lenkungsgruppe zur Umgestaltung der Museumslandschaft. Gerade diejenigen Häuser mit weiblicher Leitung scheinen gefährdet. Und wir sind – wieder abgesehen davon – geradezu entsetzt, was andere politische Stellen und andere politische Ebenen in Stadt und Land anbelangt, über geplante Ausgangssperren für Asylsuchende (???), Ukraine/Krimreisen von Stadtpolitikern, rechtsextreme Verbindungen und man weiß gar nicht mehr, wo man anfangen soll. Später nichts davon gewusst haben zu wollen, wird nicht möglich sein, sagen wir. Und weil das mit der Leistung als Bemessung für Geld=Leben sowieso nicht mehr so ganz funktioniert, wenn man sich die Lebens-Mikrokosmen wie die globalen Krisen so ansieht, von sozialen globalen Unterschieden bis hin zu einem mittlerweile ganz real drohenden ökologischen Kollaps (und ja, das wird alles zusammenwirken und tut es schon), plädieren wir – wie viele andere auch – für eine gesellschaftspolitische Vision, die die Menschen in Zukunft nicht verhungern oder anderweitig krepieren wird lassen. So schaut die Realität für viele Menschen aus. What the fuck – wo sind jetzt die Alternativen und die nichtauferlegten Denkverbote? Weil wir im alternativen Cafe Meier just in diesem Moment ermahnt werden, unseren Computer eingeschaltet zu haben, was hier wegen Kaffeehausstimmung=Technologieverbot nicht erlaubt ist, werden wir unterbrochen (Digitalisierung? Unesco City of Media Arts? Aber der Wirt hat immer recht). Und wir sehen zu unserem Sitznachbarn hinüber, der schon die ganze Zeit unter dem Tisch in seinem Kindle liest, anscheinend heimlich. Er sagt, dass er gern zum Lesen herkommt, weil es so angenehm ruhig hier ist, wegen des Handyverbots telefoniere zumindest niemand. Tja. Wir verlassen das Lokal, weil wir uns einen Museumsnachmittag verordnet haben, und besteigen den Schlossberg, um in Tagen wie diesen die Schlossmuseums-Ausstellung „Wir sind Oberösterreich“ anzusehen. Beziehungsweise möchte ich meiner Freundin was zeigen. Kurt Holzinger, der dort neben diversen Käferforschern und Malstiften (Familienausstellung) und quasi mit der zur Legende gewordenen 80er-Jahre-Band Willi Warma noch bis Jänner ausgestellt ist (in der Abteilung „Wir sind modern“, „Cafe Landgraf“), und dessen Bild überlebensgroß in der Ausstellung zu sehen ist, dessen Konterfei auch Drucksorten schmückt, hat mir erzählt, dass niemand ihn gefragt habe, ob er damit einverstanden sei, derartig verwendet zu werden. Niemand habe mit ihm Kontakt aufgenommen. Und er erzählt, dass dort unter anderem Bilder aus seinem Archiv die Basis der Ausstellung bilden, Fotos, die er für das Buch „Es muss was geben“ demjenigen Verlag lediglich für den Abdruck zur Verfügung gestellt hat, der jetzt kurzerhand als Rechtehalter angeführt wurde („Mit freundlicher Genehmigung des Verlags der Provinz“). Wie ist sowas eigentlich möglich? Kurt Holzinger hätte außerdem einiges zum Begriff „Identität“ zu sagen und dazu, wie er zum Titel „Wir sind Oberösterreich“ steht, nämlich: „Dieser identitäre Scheißdreck ist nicht zu ertragen. Wir wollten genau nicht Oberösterreich sein. Das, was wir gebraucht haben, war nicht vorhanden. Wir mussten es selbst machen. Und wir wollten raus. Alles war damals Post-Nationalsozialismus“. Soviel zur alten und neuen Identität, zur Provinzialität und zur Kunstverwertung. Und wieder: Wie ist es möglich, dass – auf vielen Ebenen – die Menschen, die es betrifft, nicht gefragt werden? Zu viel Verwertung im Fokus? Dann gehen wir noch zum Konzert von Klitclique. Dort, am Abend im Kulturverein Qujochö, wird von zwei jungen Frauen auf herzerfrischend starke Weise eine, sagen wir, 50.000-Euro-Literatur-Kunst-White-Cube-The-Feminist-Empowerment-Mucke abgezogen, die wir als Empfehlung hier stehen lassen: Nachschauen unter The Feminist, Inge Borg oder Klitclique zu Gast bei FM4 oder auch bei den Wiener Festwochen. Und mit diesem beispielhaft abschließenden Schwenk zur aktuellen Kunst und Kultur: Es gibt sie, die unabhängige Kunst, in Form von großen, kleinen und noch kleineren Initiativen und vielen, vielen ambitionierten Menschen, an den diversen Orten der Stadt, und das tröstet uns. Noch gibt es sie. Und um auf die Spardebatte zurückzukommen: Es wäre angebracht, gerade diese Bereiche aufzuwerten statt zu kürzen, liebe Landesregierung, und im Landhausslang bedeutet das: Kunst und Kultur ist das inhaltliche Breitband unserer Zukunft. Und in unseren Worten: Es geht um Kunst, Kultur und Initiative, die unbestechlich, kritisch und unbändig ist und die von der Volksseele meistens erst dreißig bis vierzig Jahre später als „modern“ anerkannt wird, oder noch später, oder sogar nie erkannt und anerkannt wird, während sie uns in der Zeit, in der wir leben, in Wahrheit unseren kulturellen Arsch rettet. Deshalb, wer noch nicht hat: Aufs Kulturland scheißen und Kulturland retten unter: kulturlandretten.at. Wir wollen 200.000 Unterschriften.

 

Die 50.000 Euro Klit ist dieses Mal eine Gruppe von Menschen, die unter anderem in der Tabakfabrik, im Valie Export Center, im Cafe Meier, im Schlossmuseum und bei qujOchÖ auf Besuch war. Diese Erlebnisse wurden zu einem Text unter Freundinnen, und zu einer etwas ausufernden Kolumne, formuliert. Aufmerksamen Lesern und Leserinnen wird nicht entgangen sein, dass das Klitclique-Konzert nicht am Tag der Eröffnung des Valie Export Centers stattgefunden hat, sondern bereits eine Woche früher zu sehen und zu hören war. Eine kleine textflussbedingte Unschärfe und hiermit deklariert.

Das Spiel mit der Serialität, Zeit atmen

Kunsthistorisch und zeitgeschichtlich bemerkenswert ist die Landesgalerie-Ausstellung „Spielraum. Kunst, die sich verändern lässt“. Ebenso im Haus zu sehen: Waltraud Cooper.

Ausstellungsansicht. Foto Oö. Landesmuseum, A. Bruckböck

Ausstellungsansicht. Foto Oö. Landesmuseum, A. Bruckböck

„Die Ausstellung widmet sich dem Phänomen veränderlicher Kunstobjekte, deren Elemente von Betrachter/innen zu unterschiedlichen Konstellationen arrangiert werden können. Charakterisierende Schlagwörter dazu sind ‚Betrachter/innen-Partizipation‘, ‚Interaktion‘, ‚Raum-Zeit-Verhältnis‘ sowie das Jahr 1968 mit seinen folgenreichen politischen Protesten“, so ein Textauszug zur Ausstellung. Die formal verbindende geometrische Formensprache lässt sich kunsthistorisch aus dem Konstruktivismus ableiten. Einen Höhepunkt erlebte diese Kunstform Ende der 60er Jahre mit dem beweglichen bis seriellen Charakter von so genannten Multiples. Es ging um serielle, formalisierte Konzepte, um die Idee von Kunstwerken in hoher Auflage, teilweise industriell hergestellt. Dabei waren die frühen Multiples alle veränderlich, und diese Veränderlichkeit, Beweglichkeit der Kunstwerke diente auch als Legitimation für deren Vervielfältigung in hoher Auflage. Hier zeigt sich ein interessanter kunsthistorisch wie zeitgeschichtlicher Punkt, ein interessantes Detail, das sich in der Frage der Kommerzialität verdichtete: Wenn man so will, stand die serielle Produktion quasi den Ideen einer lebensweltlich linken Ausrichtung von Kunst entgegen. Die Kunst sah sich nah an der Politik, wollte etwa direkte Aktion, oder die Kunst auf die Straße, hatte die Idee einer Kunst für alle, sah Kunst und Leben im Alltag verbunden. Und laut Kurator Frederick Schikowski waren für manche Kunstschaffende diese Probleme, die sich hinsichtlich Kommerzialität und auch Erfolg zeigten, derartig unmöglich, dass sie dann letzten Endes mit der Kunst aufhörten. Und um in Bezug zur Serialität hier eine größere Abgrenzung zu markieren: Die Warholsche Serialität ist nicht nur von ihrem insgesamt mehr „campen, ironischen“ Charakter anders (lt. Kurator Frederick Schikowski), sondern nimmt vielleicht gerade in diesem Aspekt die Kommerzialität volée.

In der formalisierten, geometrisch-konstruktivistischen Formensprache jedoch, die sich wohlweislich kinetisch, aber nicht maschinell versteht, zeigt sich ein weiterer interessanter Gegensatz. Denn in der intendierten Demokratisierung von Kunst lassen sich weitreichende Entwicklungslinien verfolgen, die heute noch aktuelle Begriffe wie „Interaktion“ oder „Partizipation“ nicht im kunsthistorischen und zeitgeschichtlichen Vakuum hängenlassen, sondern die künstlerisch-lebensweltlich Demokratisierung geradezu fundieren. Hier etwa auch ein Hinweis auf Roland Goeschls recht populär gewordenen „Großbaukasten“ (Humanic-Werbung). Ebenso zeigt sich inmitten des politischen wie spielerischen Charakters des seriellen Formalismus bereits ansatzweise ein noch größerer Aufbruch, der sich später in einer ganz anderen Entwicklungslinie der technologischen Maschinen verwirklicht: Wenn man zum Beispiel Vasarely betrachtet, weist dessen Arbeit auch in eine Idee von Programmierung hinein, deren serieller Formalismus sich aus Rationalität, Kybernetik, eines Programmierens von Kunst speist, wenn auch hier spielerisch angedeutet. Dies ist als Programmblatt für eigene Komposition anzusehen.

„Spielräume, Kunst die sich verändern lässt“ – eine höchst bemerkenswerte Schau, die im kommenden Jahr auch im Museum im Kulturspeicher in Würzburg gezeigt wird. Fruchtbar, dass Kurator Frederick Schikowski auch Werke von hier arbeitenden Kunstschaffenden aufgenommen hat. Wie etwa von Josef Bauer, der mit seinem „Farbraum“ in den frühen Sechziger Jahren die Höhe der Zeit beinahe schon vorweggenommen hat. Wesentlich, dass zeitgenössische Künstlerinnen wie Margit Greinöcker mit New Town (eine Art Planungsstadt aus Plastilin) oder David Moises (The Ultimative Machine aka Shannons Hand) das Thema quasi von aktueller Seite komplettieren.

Ein allerkürzester Hinweis noch am Ende auf die Arbeiten von Waltraud Cooper, die im ersten Stock in einer eigenen Ausstellung mit dem Titel „Licht und Klang“ zu sehen sind. Sowohl mit Coopers Lichtinstallationen, die mehrfach bei der Biennale in Venedig gezeigt wurden, als auch insbesondere mit der Arbeit „Klangmikado“ kann man eine Zeit atmen, wo begonnen wurde, das aleatorisch-verspielte Kind mit dem Namen der Digitalen Kunst zu labeln.

 

Spielraum. Kunst, die sich verändern lässt Landesgalerie Linz, Bis 14. Jänner 2018 „Waltraut Cooper – Licht und Klang“, Landesgalerie Linz, bis 21. Jänner 2018

Hinweis: Pamela Neuwirth hat ein Gespräch mit dem Spielräume-Kurator Frederick Schukowsky geführt, nachzuhören auf Radio FRO: www.fro.at/spielraeume-in-der-landesgalerie-linz

Langer Vorlauf – späte Entscheidung

Sechs Jahre hat es gedauert, bis das VALIE EXPORT Center als Forschungszentrum für die Arbeiten der international bekannten Medienkünstlerin VALIE EXPORT eröffnet werden konnte. Spät, nämlich erst beim Festakt, wurde auch die Direktorin, Sabine Folie, präsentiert. Silvana Steinbacher im Gespräch mit Sabine Folie und der Geschäftsführerin Dagmar Schink.

Auf mehr als 300 Quadratmetern soll das VALIE EXPORT Center zu einer international beachteten Institution werden, deren Hauptintention die Erforschung und die Aufarbeitung des VALIE EXPORT Archivs sein wird, das bereits seit 2015 in Linz seinen Platz hat. Welchen Auftrag sehen Sie als Direktorin mit dem Werk dieser Ikone und vielseitigen Künstlerin verbunden?

Sabine Folie: Es ist ein enormer Fundus eines reichen Künstlerinnenlebens, den wir hier erforschen können. Wir werden zum einen das Archiv mit seinen verschiedenen Dokumenten beforschen, auch die Themen, die sich herausdestillieren lassen. Neben der historischen Einordnung suchen wir, ganz im Sinne von VALIE EXPORT, den Anschluss an die Medien- und Performancekunst der Gegenwart, um damit auch noch einmal eine ganz andere Perspektive, einen anderen Zugang zu ihrem Werk zu bekommen, um die Gegenwart auch über dieses historische Gedächtnis bewerten und einordnen zu können. Außerdem werden wir aus dem Archiv Forschungsansätze entwickeln und fördern, den Diskurs suchen, mit jungen Künstlerinnen und Theoretikerinnen arbeiten. Wir werden zur bereits bestehenden Bibliothek von VALIE EXPORT noch eine zweite einschlägige anlegen, die den aktuellen Forschungsstand mit abdeckt. Ich wünsche mir, dass das VALIE EXPORT Center Strahlkraft nach außen bekommt, national und international, schließlich ist das Center eine international einzigartige Einrichtung. Und dass es zu einem lebendigen Ort der Debatte wird.

Dagmar Schink: Ich finde den Bogen zur Gegenwart gerade bei VALIE EXPORT extrem wichtig, ihre Themen sind im Jetzt, deswegen ist es notwendig, daran zu arbeiten und nicht als Vergangenes zu verschließen.

 

Die zahlreichen Werke, Skizzen, Entwürfe, die persönliche Korrespondenz der vergangenen 50 Jahre bilden den Schwerpunkt des VALIE EXPORT Centers, das vom Lentos in Kooperation mit der Linzer Kunstuniversität betrieben wird. Was fasziniert Sie besonders an dieser Künstlerin?

Sabine Folie: Um nur einen Aspekt zu erwähnen: Sie war in ihrer Karriere nicht nur auf sich selbst und ihre eigene Arbeit konzentriert, sie hat auch mit anderen kollaboriert und war immer eine hoch talentierte Vermittlerin. So konzipierte und organisierte sie etwa Mitte der 1970er-Jahre MAGNA, (Anm.: wichtige Schau feministischer Kunst), eine Ausstellung, die nicht nur österreichischen Künstlerinnen eine Plattform bot, sondern auch deutsche und amerikanische präsentierte. Zu nennen sind auch die international viel beachtete Ausstellung Kunst mit Eigensinn oder die lehrreichen, niveauvollen und dabei avantgardistischen Sendungen für den ORF zur breiten Vermittlung von Kunst wie Das bewaffnete Auge und vieles mehr. Aus ihrem Archiv wird deutlich, welch eine akribische Sucherin sie immer war und ist, wie gründlich und wissbegierig und wie neben aller ästhetischen Erfindungsgabe politisch.

Wir wollen auch überlegen, welche Möglichkeiten bieten sich an, um an einen politisch-ästhetischen Diskurs anzuschließen, wenn auch nicht auf so spektakuläre Weise wie sie es getan hat.

 

Das kann als Forschungszentrum wahrscheinlich auch nicht das Ziel sein?

Sabine Folie: Natürlich, aber wir wollen die Qualität der kulturpolitischen Debatte mitbestimmen, denn wir sehen in Oberösterreich gibt es Zuspitzungen, die den Spielraum verengen, und es wäre schön, wenn wir etwas dazu beitragen könnten, um die Wichtigkeit von Forschung, Bildung und Kultur hervorzustreichen.

 

Damit spricht Sabine Folie einen nicht zu vernachlässigenden Aspekt an: Der Gemeinderat hat 2015 mit Mehrheit, aber bei Stimmenthaltung der FPÖ, beschlossen, das Archiv zu kaufen. Was die Finanzierung des VALIE EXPORT Centers betrifft, soll die Stadt Linz die Infrastrukturkosten bestreiten, die Kunstuniversität ist für die Kosten des Forschungsbetriebs zuständig. Für 2018 sind 200.000 Euro für das Center budgetiert.

 

Sabine Folie: Es ist die Frage, wie die Mehrheiten sind. Der Bürgermeister hat ein eindeutiges Statement abgegeben, dass ihm das VALIE EXPORT Center und Kultur generell ein echtes Anliegen sind, und ich vertraue darauf, dass er sich auch in Zukunft dafür einsetzen wird. Stadt und Universität investieren hier und ich gehe davon aus, dass der Bund ebenfalls wie im Falle des Forschungsinstituts von Peter Weibel, das in der Wiener Angewandten angesiedelt ist, seinen Teil beiträgt.

Das VALIE EXPORT Center muss lebendig gehalten und ein offener Ort sein und dazu bedarf es entsprechender Mittel.

 

In der Wiener Angewandten wurde – Sie haben es erwähnt – vor rund sechs Wochen das Peter-Weibel-Forschungsinstitut für digitale Medienkulturen eröffnet, das vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft finanziert wird. VALIE EXPORT und Peter Weibel waren viele Jahre Weggefährten und gehörten in den frühen 1970er-Jahren zu den ersten, die im Ausstellungskontext interaktive, elektronische Konzepte erprobt haben. In den Medien war bezüglich der beiden Center vom Kampf der Archive die Rede, Sie wohnen in Wien, wissen Sie dazu Näheres?

Sabine Folie: Peter Weibel hat gut verhandelt. Ich verstehe, dass Weibel wie auch andere nahezu „historische“, prägende Figuren ihre Archive für die Nachwelt in guten Händen wissen wollen. Der Zeitpunkt des Zusammentreffens ist in der Tat überraschend. VALIE EXPORTs Hinarbeiten auf ein Performance- und Medienzentrum reichen ja schon lange zurück, ich weiß nicht, wie lange die Gespräche auf der anderen Seite verliefen.

 

Die Initiative zum VALIE EXPORT Center stammt vor allem von Reinhard Kannonier, dem Rektor der Linzer Kunstuniversität. Von der Idee bis zur Realisierung sollte allerdings noch ein sechsjähriger Kampf folgen, ehe das Center für die international bekannte gebürtige Linzer Künstlerin eröffnet werden konnte. Im Gegensatz zur langen Vorlaufzeit hatte die Direktorin wenig Zeit, sich mit ihrer neuen Aufgabe vertraut zu machen, denn sie musste kurzfristig in ihre neue Funktion „springen.“ Der Grund dafür seien, so Rektor Kannonier, die zahlreichen und hochkarätigen Bewerbungen gewesen, einige davon auch aus dem Ausland. Aus diesem Grund gestaltete sich die Terminfindung für die Hearings schwierig. Die gebürtige Südtirolerin Sabine Folie hat zuletzt die kürzlich eröffnete Ausstellung VALIE EXPORT – Das Archiv als Ort künstlerischer Forschung im Lentos kuratiert. Die Schwerpunkte der Kunsthistorikerin und Kuratorin sind Studien zu (feministischer) Kunst, Theorie und Sprache, Kunst der Postavantgarde der 1960- und 1970-er Jahre bis in die Gegenwart. Sie war leitende Kuratorin an der KUNSTHALLE Wien und bis 2014 Direktorin der Generali Foundation, in deren Sammlung sich auch Werke von VALIE EXPORT befinden.

Zurzeit arbeitet Sabine Folie freischaffend mit internationalen Institutionen und Universitäten zusammen und hat eine Gastprofessur im Fach Kulturgeschichte der Moderne an der Bauhaus Universität in Weimar inne. Sie lebt in Wien. Im Gegensatz zur Geschäftsführerin Dagmar Schink wird Sabine Folie also nicht immer vor Ort sein. Die ungewöhnlich kurzfristige Entscheidung verlangt von ihr flexibles Vorgehen.

 

Sabine Folie: Zwischen Professur, Kandidatur für das VALIE EXPORT Center, Ausstellung und Entscheidung knapp vor Eröffnung des VALIE EXPORT Centers samt Symposion war es in der Tat ungewöhnlich dicht und es war daher angesagt, einen kühlen Kopf zu bewahren und geschmeidig zu navigieren, um alle Aufgaben konzentriert zu erfüllen.

 

Das Center soll auch ein Work in Progress sein, das EXPORT begleiten wird, betrifft das nur die ersten Jahre?

Dagmar Schink: In der ersten Phase ging es um eine Übergabe, die hat sie intensiv begleitet, es ist VALIE EXPORT auch ein großes Anliegen, sie steht uns immer zur Verfügung.

 

Eine Intention des Centers besteht auch darin zu vernetzen, mit anderen Institutionen in Kontakt zu treten. Gibt es da bereits Ansätze?

Dagmar Schink: Wir haben mit Initiativen schon Kontakte geknüpft, die sich zum einen mit VALIE EXPORTs Werk beschäftigen beziehungsweise vergleichbare Forschungsmaterialien haben. Dies werden wir international weiter ausbauen.

Sabine Folie: Ja, und wir haben in den vergangenen Tagen schon wieder viel Networking betreiben können mit internationalen Archiven und Interessierten.

 

Kommen wir zur unmittelbaren Zukunft des Centers, der erste Schritt ist die Digitalisierung des Vorlasses von VALIE EXPORT, in welchem Stadium befindet sich dieser Prozess?

Sabine Folie: Wir werden die Expertise von anderen Archiven einholen, werden mit Expertinnen auf diesem Gebiet arbeiten. Es wird aber vorerst nicht so sein, dass alle Dokumente online einsehbar sein werden, sondern dass es auf Antrag bestimmte Zugriffsrechte gibt. Bezüglich der Rechte tut sich hier ein nicht ungefährliches Terrain auf, das man erstmal eingehend abtasten muss. Da werden wir vorsichtig sein und darum bemüht, uns auf abgesichertem Boden zu bewegen. Die Digitalisierung muss weiter vorangetrieben werden, am besten vermutlich mit Fördergeldern, damit auch die Forschung parallel begonnen werden kann und nicht wertvolle Jahre vergehen, in denen die Bestände nur digitalisiert und nicht beforscht werden können. Diese Dinge müssen alle noch eingehend diskutiert werden.

 

Sie sind durch ihre Gastprofessur in Weimar ständig mit jungen Menschen in Kontakt, ist VALIE EXPORT noch eine prägende Figur für sie?

Sabine Folie: Ja, das Interesse ist da, auch viele Künstlerinnen stellen sich die Frage, welche gesellschaftliche Rolle der Kunst angesichts einer aufgeheizten Kommerzialisierung der „Ware“ Kunst, heute zukommt. Es gibt eine starke Gegenbewegung, einige Künstlerinnen der jungen Generation beschäftigen sich mit aktivistischer politischer Kunst und wollen mit dem Kunstmarkt nichts zu tun haben.

Dagmar Schink: Das ist auch ein Thema für uns, wir wollen auch in die Bildung gehen, Studierenden vor Ort das Center näherbringen, wir haben darüber hinaus auch schon Anträge für Fellowships, wir werden mit Studierenden aus dem In- und Ausland zu arbeiten beginnen.

 

Ich möchte zu den Filmen und Videos von VALIE EXPORT kommen, wie kann man sich das Center in der Praxis vorstellen. Kann ich beispielsweise in die Tabakfabrik kommen und mir Exports Film Unsichtbare Gegner, der mich nachhaltig beeindruckt hat, ansehen?

Dagmar Schink: Ja, es wird Öffnungszeiten geben, im Schnitt drei Tage, wir werden Plätze zur Verfügung stellen, wo die filmischen Werke laufen, wir arbeiten mit Sixpack Film zusammen, mit dem Filmmuseum Wien. (Anm.: Sixpack Film ist ein nicht gewinnorientierter österreichischer Filmverleih und Filmvermarkter.) Wir wollen ein Best-Practice-Modell anstreben.

 

Besonders reizvoll empfinde ich die Linzer Tabakfabrik als Präsentationsort, nicht nur, weil es ein gutes Forum bietet, schließlich wurde ja – als kleine Spitzfindigkeit – das Export Zigarettenpackerl VALIE EXPORTs Markenzeichen. Wie ist es zur Wahl des Ortes gekommen?

Dagmar Schink: Das ist vor meiner Zeit entschieden worden, ich find es gut, man sollte die Tabakfabrik nicht nur Wirtschaft und Industrie überlassen. Dass unser unmittelbarer Nachbar Gerhard Haderers Schule des Ungehorsams ist, gefällt mir auch.

 

Im Lentos ist noch bis Ende Jänner 2018 die Ausstellung zu VALIE EXPORT zu sehen. Wodurch unterscheiden sich die Kompetenzen der Kunstuni und des Lentos?

Dagmar Schink: Da besteht eine klare Aufgabenteilung, die Stadt Linz hat den Vorlass, das Lentos ist für das Material zuständig und wir dürfen es beforschen. Was Ausstellungen betrifft wird es sicher Kooperationen mit der Lentos-Direktorin Hemma Schmutz geben.

 

Das VALIE EXPORT Center ist also fest in weiblicher Hand, auch wenn einige monierten, dass jene Frauen, die sich bereits für das Center engagierten, bei der Eröffnung nicht einmal erwähnt wurden?

Dagmar Schink: Ja, es sind nur Frauen im VALIE EXPORT Center tätig, aber wir schließen natürlich keine Männer aus.

Ein Mann, der gerne noch was werden möchte.

Oberösterreich ist um ein unwürdiges Schauspiel zum Thema „Frauen und Führungspositionen“ reicher. Wie es in einer Aussendung des Landeshauptmanns und Kulturreferenten vom 20.11.2017 hieß, „wird der Vertrag auf Wunsch von Dr.in Gerda Ridler in beiderseitigem Einvernehmen vorzeitig aufgelöst.“ Eingeleitet von dem Satz: „Vor dem Hintergrund der anstehenden Neupositionierung der einzelnen Kulturinstitute und Häuser des Landes Oberösterreich.“ – ein Satz, der hier so unangebracht wie nur irgendwie möglich ist. Denn die „anstehende Neupositionierung“ – wie es der Satz insinuiert – als solche hat wohl kaum damit zu tun, dass die Leiterin das Haus verlässt. Wohl aber die Informations- und Kommunikationsfehlleistungen, von denen die Neupositionierung begleitet wurde. Am 8. November war in einer Tageszeitung zu lesen, dass ihr Vertrag wohl nicht mehr verlängert werde. Bereits davor war hinter vorgehaltener Hand zu hören, dass der Lenkungsausschuss, der für diese Neupositionierung eingerichtet wurde, sowohl ohne Gerda Ridler (wie offenbar zum aktuellen Zeitpunkt ohne jede andere Expertin mit internationaler Expertise) besetzt werden würde. Über Zeitpunkt und Inhalt der Veröffentlichung der Neupositionierungspläne war sie als wissenschaftliche Direktorin laut OÖN vom 5. 10. nicht eingeweiht. Derartige Kommunikationsaussetzer „passieren“ nicht einfach. Sie haben Struktur, sie haben System, sie haben Absicht. Machen wir uns nichts vor: egal, in welche Positionen Frauen kommen und vielleicht noch kommen werden, überall sitzen sie schon – jene Männer, die es sich in den vergangenen Jahrzehnten dort gemütlich gemacht haben, gut vernetzt sind und sich abgesichert haben – wenige durch außerordentliches Talent, immense Anstrengung oder den Willen mehr als andere zu geben, viele durch das gegenseitige Wissen um die Leichen in den Kellern der jeweils anderen und brüderliches zur-Seite-Stehen, sollten die fragilen Konstrukte des Machterhalts bedroht werden.

Und jede kluge Frau ist so eine Bedrohung.

Eine Kleinstadt wie Linz und ein Bundesland wie Oberösterreich eignen sich ganz wunderbar für solche Spielchen. Da gibt es viele Leichen, eine Handvoll Clubs, denen man(n) beizutreten hat, viel Mittelmäßigkeit und immer was zu tratschen. Um Inhalte geht es längst nicht mehr, nur noch darum, die höchstpersönlichen Anliegen am geschicktesten zu verkaufen.

Das vorgegebene Regelwerk ist klar: Gesicht zu Markte tragen, Smalltalk-affin sein. Sich überall blicken lassen und zu allem was zu sagen haben. Immer wieder ein freundliches Gesicht auch zu noch so derben Schmähs machen, mitspielen halt. Sich nicht so anstellen. Nicht zu viel und nicht zu lange nachdenken. Wer dieses Regelwerk missachtet, ist quasi selbst schuld, wenn sie sich den Unmut der Honorigen zuzieht. Da heißt es dann: ihr Hang zur Selbstdarstellung sei zu wenig ausgeprägt gewesen. Spannend, wie wir immer noch dazu tendieren, Erklärungen für das Geschasst-werden nicht bei denen zu suchen, die schassen, sondern bei denen, die geschasst wurden. Schon vor Jahren stand eine Direktorin in der Kritik bei Politik, Tourismus und Medien, nicht etwa, weil ihre Ausstellungen zu wenig Qualität zeigten oder zu wenig Internationalität in die Stadt gebracht hätten, sondern schlicht, weil sie zu unnahbar gewesen sei, den lokalen Größen zu wenig geschmeichelt habe. Sie hat nicht in das Linzer oder Oberösterreich-Konzept einer Frau in Führungsverantwortung gepasst. Weil sich damals kaum noch jemand traute, das öffentlich und als Begründung für die ablehnende Haltung einer Museumsleiterin gegenüber kundzutun, wurden Besucher_innenzahlen hervorgekramt, die den plötzlich recht hohen Anforderungen der Politik nicht entsprachen. Heute ist nicht einmal mehr von dieser Scham etwas übriggeblieben. Unverhohlen werden bei Besprechungen, Eröffnungen oder auf Bühnen wieder Witze gegen Frauen gemacht, wird auf die Nennung, Würdigung oder Einladung von Frauen vergessen – ungeachtet ihres Verdienstes an dem zu Eröffnenden – worauf an anderer Stelle und am Beispiel von Dagmar Schink, Geschäftsführerin des Valie Export Centers bereits hingewiesen wurde. Es geht allerdings immer noch ein Stück tiefer: als mir eine Freundin erzählte, wie unverhohlen frauenfeindlich ihr gegenüber sich ein hochrangiger Landesbeamter äußerte, konnte ich es kaum glauben. Im Sinn von: sie wissen nicht – oder vielmehr schon –, was sie sagen, und fühlen sich auf jeden Fall unendlich sicher. Dass das nicht so gut ankommt beim weiblichen Gegenüber: Drauf geschissen quasi und tatsächlich, es ist wieder die Rede davon, was Frauen dürfen, was sie dürfen sollen und was Männer nicht wollen, dass sie dürfen. Genierer gibt’s kaum noch. Mir waren die Zeiten lieber, in denen sie sich für solche Aussagen und politischen Handlungen noch geschämt haben. Heute regieren teflonartige Politiker, an denen alles abperlt, die keine Regung oder Scham zeigen, wenn sie Kulturvereine, Künstlerinnen und Künstler, berufstätige Mütter und Väter so mit Sparsanktionen belegen, dass kaum noch Zeit zum Aufbegehren, Lesen und Denken bleibt. Oder wenn sie eben Frauen in Führungspositionen ohne jegliche fachliche Begründung abdrängen. Und Gerda Ridler ist womöglich nur die erste von einigen hervorragend arbeitenden Frauen, die nun wieder Platz machen müssen – einvernehmlich natürlich – für einen Mann, der so gerne noch was werden möchte in diesem Bundesland.

Stadtblick

Foto Die Referentin

Foto Die Referentin

Drei Buchstaben, schau genau! Normalerweise wird Genitales schnell hingeschmiert, nicht langsam ins Pflaster gemeißelt. Hier hat sich jemand vors Landhaus gehockt. Wo ist das? Such das Landhaus-FUT! Die Redaktion hat das Graffiti schon vor mehreren Jahren entdeckt und spendiert ein Abendessen für die unbekannten Artists (?), wenn sie sich melden. Weiters gibt die Reaktion ein Abendessen für die ersten zwei Personen aus, die die korrekten Positionskoordinaten der abgebildeten Meißelarbeit an folgende Mailadresse senden: diereferentin@servus.at

Sonne, Mond und CERN

Mit Prolog und sechs Überbegriffen zeigt die Ausstellung „Sterne“ derzeit im Lentos eine weitläufig kuratierte Themenschau. Lichtsmog, Bedrohung, Erhabenheit, Romantik, Leitstern und Kosmologie: Die Literatin Angela Flam hat sich zuerst zu eigenen kosmologischen Gedankenellipsen rund um das Thema Sterne inspirieren lassen, um am Ende zu zwei exemplarischen Positionen der Ausstellung zu schweifen.

Immer noch wandeln wir unter den Umherirrenden. Denn das griechische Wort ‚planetes‘ bedeutet übersetzt nichts anderes als die Umherirrenden, die Umherschweifenden.“ Die Sterne sind ein Symbol für das Unerreichbare, für Unsterblichkeit, Orientierung und Ewigkeit (per aspera ad astra).

„Universe shouldn’t exist“, verkündet CERN am 24.10.17. „Die jüngsten Entdeckungen deuten darauf hin, dass es eine perfekte Symmetrie zwischen Materie und Antimaterie gibt – was bedeutet, dass nicht klar ist, warum sie sich bei der Geburt des Universums nicht gegenseitig vernichteten.“ 99,999…% der beim Urknallereignis entstandenen Materie lassen sich durch Annihilation wegerklären. Unser Universum, der unerklärlicherweise verbleibende Rest, ist fast ein wissenschaftliches Ärgernis.

Zurück ins Jahr 1965. Penzias und Wilson hörten in New Jersey auf Wellenlänge 7,3 cm ein seltsames Störungsrauschen, welches mit gleicher Stärke aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen schien. Wie sich später herausstellte, war dieses Rauschen nichts anderes als die kosmische Hintergrundstrahlung, der elektronische Widerhall des Urknalls.

Die romantische Zeit des Sternguckens ist vorbei. Heutzutage werden wir von Satelliten aus dem Weltraum beobachtet, die wie Sterne imponieren. Astronomen durchwachen ihre Nächte vor Computermonitoren, Zahlenkolonnen ziehen über den Bildschirm. Genauer genommen beobachten wir Phantome. Die Himmelskörper, die wir zu sehen bekommen, sind Lichtjahre entfernt und viele bereits erloschen. Wegen der endlichen Geschwindigkeit des Lichts sehen wir einen Stern, der etwa 13 Lichtjahre von uns entfernt ist so, wie er vor 13 Jahren war. Wir sind aus Sternenstaub. Heutzutage können wir uns vom Sonnenlicht ernähren, mit dem Mond kochen, die Marskartoffel ernten und sogar echte Sterne kaufen, verschenken und taufen. Ein Geschenk für die Ewigkeit. Schon gesehen um € 29,95, seriös mit Zertifikat. Oder per Anhalter durch die Galaxis reisen und über die kalten Monde von Jaglan Beta hüpfen und dabei Fragen nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest beantworten. Mitzunehmen ist ein Handtuch! Weshalb, schreibt Douglas Adams: „Man kann an den leuchtenden Marmorstränden von Santraginus V darauf liegen, wenn man die berauschenden Dämpfe des Meeres einatmet …“

Was ist es, das die Welt im Innersten zusammenhält & das Universum immer schneller auseinanderdrückt? Die Gravitationswelle am 17. 8. 17 gab den Astronomen einen völlig neuen Einblick in das Universum. Mit der Beobachtung einer einzigen Neutronensternkollision wurde die Hälfte aller astronomischen Fragen beantwortet – wie der Ursprung von Gammastrahlblitzen, die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Gravitationswellen, die Entstehung von schweren Elementen wie Gold sowie das Maß der Beschleunigung der Expansion des Universums. Durch die weitreichende Abhängigkeit unserer Zivilisation von Elektronik gibt es auch enorme Gefahren durch solare Stürme. Ein Ausbruch wie das Carrington-Ereignis 1859 könnte heute unser öffentliches Leben völlig lahmlegen, ein Gammastrahlenblitz überhaupt sämtliches Leben auf der Erde vernichten.

Was passiert, wenn die Sterne verlöschen? Eine ständig wiederkehrende letzte Frage nach der Umkehrbarkeit der Entropie behandelt Isaac Asimov in seiner Science-Fiction-Geschichte. Eine Sonne nach der anderen brennt aus und kollabiert während sich die Menschen in Galaxien bis zur Körperlosigkeit entwickeln und mit der im Hyperraum existierenden Superintelligenz AC verschmelzen. Kurz vor dem allerletzten Augenblick sagt AC „Es werde Licht!“.

Das Licht ist der größte Feind des Astronomen. Gemeint ist der lichtverschmutzte Nachthimmel. Scheinwerfer und permanent pulsierende Lichtquellen stören unsere uralten Rhythmen. In der Natur ist ein klarer Sternenhimmel wie im Planetarium kaum mehr zu finden. Allerdings kann man unter der computeranimierten Sternenkuppel auch nicht (wie mit dem Teleskop) Lichtjahre in die Vergangenheit blicken & auch nicht in die Zukunft, um zu erfahren, welche Stolpersteine uns der nächste Saturntransit aus astrologischer Sicht bringt … Der beringte Saturn ist der äußerste noch mit bloßem Auge sichtbare Planet und war deshalb schon vor Erfindung des Fernrohres bekannt. Am 8. 9. 17 konnte man ihn in der Johannes Kepler Sternwarte in Linz durch ein Teleskop betrachten – mit 15 Minuten Verzögerung. Zurzeit rätselt man über das mysteriöse rotierende Sechseck am nördlichen Pol. In der römischen Mythologie war Saturn Gott der Aussaat und Ernte, mit einer Sichel bewaffnet. Für die Griechen war er Kronos und versinnbildlichte als Gott der Zeit den Ablauf der (Lebens)zeit. Astrologisch steht er als Hüter des Schicksals für das personifizierte Gewissen, Verantwortung, Gesetz und Tod & begleitet uns ein Leben lang als Prüfstein …

Zeitreisen haben (k)eine Zukunft? Ein „kosmisches Wurmloch“ ist nach Kip Thorne ein unverhoffter intergalaktischer Schleichweg, eine Art Tunnel, in dem Überlichtgeschwindigkeit gar nicht notwendig ist, um die Zeit zu überholen. Nach neuesten Erkenntnissen der Quantenphysik sind wir nicht nur Beobachter, sondern auch Mitschöpfer unserer Wirklichkeit. Ändert sich etwas an einer Stelle im System, so hat dies unmittelbare Auswirkungen auf alles andere. Die Quantenwellen sind nicht nur Möglichkeits-, sondern auch Wahrscheinlichkeitswellen und geben eine Struktur vor, wie sich etwas materiell manifestieren kann – wie „Das Aleph“ in Jorge Luise Borges gleichnamigen Roman, welches ein konzentriertes Universum darstellt. Der kosmische Raum darin enthält alles, was jemals war und sein wird & das in jeder möglichen Variante des Augenblicks.

 

Zwei exemplarische Positionen

„Er hatte Genie, aber kein Diplom“, so beschreibt der surrealistische Maler Max Ernst das Lebensschicksal des Amateurastronomen Ernst Wilhelm Leberecht Tempel (1821–1881) und widmet ihm ein künstlerisches Werk, ein in Geheimzeichen verfasstes graphisches Buch mit dem Titel „Maximiliana oder die illegale Ausübung der Astronomie“. Diese Arbeit Maximiliana ist benannt nach dem ersten Planeten, den Tempel mit seinem Fernrohr gesichtet hat – ohne akademische Weihen und deshalb in „widerrechtlicher Ausübung“. Seine Entdeckung wurde nicht anerkannt – und 70 Jahre später beanspruchte ein anderer Astronom diesen Planeten für sich. Die Leidenschaft, die Astronomie in einer Sternwarte ausüben zu können, war ohne wissenschaftliche Ausbildung, ohne das Diplom, anfangs aussichtlos. Tempel war zudem gelernter Lithograph und später, als sich für seine kosmologischen Entdeckungen Anerkennung einstellte und er eine Anstellung bekam, traf ihn der nächste Schicksalsschlag: das Aufkommen der Fotografie machte seine von ihm hergestellten Lithographien überflüssig. In der Ausstellung ist außerdem ein 12minütiger Film über Tempel zu sehen, „ein Film mit und für Max Ernst von Peter Schamoni“, von 1967. Max Ernst spricht darin über ein Leben und Werk, in dem Berufung und Diplom wohl besonders poetisch wie brutal aufeinandertreffen.

Geschöpfe wie von einem anderen Stern tummeln sich in Manfred Wakolbingers Video „Galaxie 4“, die er bei Tauchgängen im Meer von Sulawesi aufgenommen und künstlerisch bearbeitet hat. Leise vor sich hinströmende Gespinste in Blasen- oder Lianenform, pulsierende Leuchtraketen, eingefangen in Spinnennetzen oder entstiegen aus imaginären Luftkutschen, teils mystisch, teils gespenstisch gleiten sie schwerelos durch blaues Licht in allen Schattierungen, manche tauchen aus der völlig dunklen Abgeschiedenheit aus dem Nichts auf. Diese Kreaturen der Tiefe leben dort in ihrem eigenen Universum, genauso gut könnte man auch außerirdisches Leben vermuten oder sich verändernde Spiegelungen, die stets neue Muster zeigen, wie beim Blick durch ein Kaleidoskop. Bildmotive und visuelles Ausgangsmaterial sind dabei Salpen (Pelagische Seescheiden), die auf offenem Meer in Kolonien leben, sich im Alter teilen, dabei schutzlose Einzelwesen werden und die sich letztendlich verflüchtigen. Wie der Mensch gehören diese Wirbeltiere zum Stamm der Chordatiere, die im Frühstadium Ähnlichkeiten mit dem Embryonalzustand des Menschen aufweisen. Wakolbingers Videoarbeit, im Übrigen auch mit meditativ-psychedelischem Sound unterlegt, korrespondiert auch mit dem Ahnenkult der Toraja, einem in Sulawesi lebendem Bergvolk, die, ihrem Mythos zufolge in einem Raumschiff auf die Erde gebracht und nach dem Tod wieder abgeholt werden. Auch ihre Häuser erinnern an Raumschiffe. Die Weite des Weltalls und die Gräben der Tiefsee bergen gleichermaßen Geheimnisse. Wovon erzählen uns die amphibischen Wesen aus den Tiefenschichten des Meeres? Von längst vergangenem und/oder künftigem Leben? Jedenfalls sind sie uns (Menschen) in vielem überlegen. Unter extremsten Bedingungen können sie, in einem für den Menschen lebensfeindlichen Milieu unter hohem Druck in völliger Dunkelheit gedeihen, sich von Kohlendioxid und Schwefelwasserstoff ernähren und haben fast unbegrenzte Fähigkeiten sich zu regenerieren. Solche Wesen würden auch auf fremden Gestirnen Lebensbedingungen vorfinden. Manche Forscher vermuten sogar, es gebe eine Verbindung zwischen Ozean und Kosmos: Nach John Delaney existiere ein Spiegelbild des Kosmos unter der Wasserlinie – ein „inner space“ in der Tiefsee.

 

STERNE – Kosmische Kunst von 1900 bis heute Lentos Kunstmuseum, bis 14. Jänner 2018

Die vielfältige und medienübergreifende Ausstellung gibt Einblicke in das Verhältnis des Menschen zum bestirnten Himmel, der Gegenstand der Forschung, der Romantik, der Schicksalsdeutung, jedoch auch von Bedrohungsszenarien ist. Träumerisch, humorvoll, poetisch, aber auch ironisch loten die KünstlerInnen des 20. und 21. Jahrhunderts die Beziehung des Menschen zur Unendlichkeit des Sternenhimmels aus und setzen sich mit dem Funkeln der Sterne und dessen gegenwärtigem Verlust auseinander.

Zur Ausstellung erscheint im Verlag für moderne Kunst das Buch Sterne. Kosmische Kunst von 1900 bis heute mit einem Vorwort von Hemma Schmutz und Textbeiträgen von Sabine Fellner, Thomas Macho, Elisabeth Nowak-Thaller, Ute Streitt und Margit Zuckriegl in deutscher Sprache.

Der One-to-One Grenzgang

Auf der MS Sissi von Linz nach Ottensheim gefahren. Auf der ruhigen, dicken Donau eine Stunde lang gegen den Strom getuckert. Am 24. September war das, also am zweiten und letzten Tag vom „Spotter Trip“, einem Projekt der Fabrikanten in Kooperation mit KomA. Theresa Gindlstrasser berichtet.

Körperliche Erlebnis, überwältigend angelegt: Ziggurat Project. Foto Erich Goldmann

Körperliche Erlebnis, überwältigend angelegt: Ziggurat Project. Foto Erich Goldmann

Das Publikum aka die Spotter waren „eingeladen, sich beunruhigen zu lassen“. Also eingeladen, im Rahmen von Live-Art-Miniaturen Begegnungen zu erleben.

Anatol Bogendorfer und Jens Vetter haben unter dem Namen „Gitter“ eine für die einstündige Fahrt zugeschnittene Sound-Performance kreiert. Es wabert, es wummert, es wellt. Es Rhythmus, es Synthesizer, es live Recordings. Derweilen geht die Herbst-Sonne unter und ein Herbst-Abend bricht an. Der Matrose bringt Getränke. Und Decken. Ich schaue aufs Wasser, mit einer Zigarette in der Hand. Es ist alles sehr ruhig, beruhigend eigentlich.

Aber dann! Ankunft in Ottensheim. Es gibt Pizza. Dafür kein Konzert. Alle erzählen von „Bruch“, der Auftritt von Philipp Hanich am ersten Abend war wohl für viele fabelhaft gewesen. Wie schon bei „Hotel Obscura“ (2015) oder „Spotter Night“ (2017), zwei vorangegangenen Projekten der Fabrikanten, ist auch der „Spotter Trip“ ein jeweils individuelles Erlebnis. Aus einem Angebot von insgesamt sechs 15-minütigen Interaktionen (die meisten davon One-to-one) wähle ich drei. Sechs Autos parken auf der Fähre Ottensheim-Wilhering. Die Fähre legt an, wir Spotter werden ins jeweilige Auto eingeladen.

Meinen Rucksack, meine Jacke, sogar meinen Pullover, soll ich in einem Plastiksack verstauen. Der Mann spricht leise, gehetzt. Er setzt mir eine Haube tief über die Augen auf und bindet einen Schal zweimal noch drüber. Ich sehe nichts. Er öffnet die Türe des Kleinbusses und hilft mir beim Einsteigen. Knall, Türe zu, ich alleine, ich sehe nichts. Schreit derselbe Mann nach hinten: „Go to the back! Now!“. Taste ich mich voran, kreische laut auf, als mich mehrere Hände zu sich ziehen, eins, zwei, drei Menschen müssen das sein, wir sitzen nebeneinander auf einer Bank.

Das 2013 in Budapest gegründete Kollektiv Ziggurat Project arbeitet stets site-specific. Für den „Spotter Trip“ wagen sie sich mit „Styx 2.0“ auf wahrlich beunruhigendes Gelände. Nicht nur wird im Hinterteil des Kleinbusses der abstrakte Horror „Flucht übers Mittelmeer“ zum körperlichen Erlebnis, sondern dieses körperliche Erlebnis ist dermaßen überwältigend angelegt, dass reale Angst, Überforderung, Tränen auftreten. Später lasse ich mir von den Beteiligten erklären, dass sie die Choreographie der Ereignisse stets genau mit den Reaktionen der jeweiligen Publikumsperson abstimmen. Die Regisseurin Fanni Lakos dirigiert die Beteiligten, lässt mal Elemente weg, geht mal noch weiter hinein. Solch aufmerksamer Umgang mit den Spottern ist für die Fabrikanten ein wichtiges Element ihrer Bemühungen um die Live Art.

Der Kleinbus rattert über unebenes Gelände. So fühlt es sich an. Stimmen, Geschrei, das Knattern eines Maschinengewehrs. Die Körper rechts und links schunkeln mit mir, schütteln mich durch, pressen meinen Kopf Richtung Boden. Wir alle atmen ängstlich. Dann Möwengeschrei, wir sind auf einem Boot, der Rhythmus der Wellen schaukelt uns weiter. Neben mir weint eine Frau. Sie führt meine Hand und ich schöpfe Wasser, sie trinkt daraus, sie weint, ich auch. Unvermutet hält der Wagen. So fühlt es sich an. Ich steige aus und stehe mit meinem Plastiksack in der Hand etwas verwirrt auf der Donau herum.

Für die Rückfahrt von Wilhering nach Ottensheim bittet mich Vida Cerkvenik Bren die Schuhe auszuziehen. Sie summt vor sich hin. Ich lege mich auf einen Matratzenberg und unter einen Deckenberg. Jemand massiert mir die Füße. Jemand träufelt warmes Wasser über meine Stirn. Ich fühle mich geborgen. Die Arbeit „Flush“ setzt auf das Thema Wasser als Wohlfühlgarant. Durch ein offenes Fenster schauen wir auf den Fluss. Unser Gespräch plätschert unaufgeregt vor sich hin. Das Timing könnte nicht besser sein, wer „Styx 2.0“ erlebt hat, wird bei „Flush“ wieder wohlig aufgepäppelt.

Für meine letzte Fahrt nehme ich Platz in der Personenkabine auf der Fähre. „Tote bei der Arbeit“ von Club Real geht über insgesamt 30 Minuten, also Ottensheim-Wilhering, Wilhering-Ottensheim, und bietet Platz für mehr als nur eine Publikumsperson. Zwei Figuren aus dem Totenreich sitzen mit weißen Masken und schwarzen Umhängen etwas teilnahmslos auf den Bänken herum. Am Boden steht eine Induktionsplatte, ein Topf, darin köchelt wenig Wasser mit viel Zwiebel. Es stinkt. Gewaltig. Außerdem liegt ein Pflasterstein darin. Für dieses „Erlebnis“ wurde wenig vorbereitet, einzige Handlungsanweisung oder Möglichkeit zur Interaktion besteht darin, von erlittenen Schmerzen zu erzählen. Was ein Schmerz mit einem Pflasterstein mit einer Zwiebelsuppe zu tun haben könnten oder inwieweit dieses wenig subtile Arrangement zu einer besonderen „Begegnung“ führen könnte, erschließt sich auch in 30 Minuten nicht.

Seit über 25 Jahren arbeiten sich die Fabrikanten an Konzepten von „Begegnung“ ab. In ihren letzten Projekten haben sie jeweils die Rahmenbedingungen gestaltet und einzelne Kunstschaffende eingeladen in kurzen One-to-one Situationen das Publikum zur Begegnung zu verführen. Obs dazu kommt oder irgendwo in einer wenig einladenden Konstruktion stecken bleibt, das hängt von der jeweiligen Arbeit ab. Insgesamt haben über 100 Menschen am „Spotter Trips“ teilgenommen. Und insgesamt ist die Atmosphäre des „Spotter Trip“ mindestens als geheimnisvoll, manchmal auch als beunruhigend zu beschreiben. Eine Fahrt mit dem Shuttle-Bus zurück nach Linz beschließt das Erlebnis.

Was ich alles nicht gesehen bzw. erlebt habe: Musik hören mit Patrik Huber unter dem Titel „Blinded?“, Kartoffeln essen mit Martha Labil unter dem Titel „Gegen den Strom“, die „Rest Area“ von S. J. Norman, mit Bernadette Laimbauer „sich gehen lassen“ oder mit Boris Nieslony bei „Rent an Artist“ über Live Art diskutiert. „WTF is Live Art“, so heißt eine Interviewreihe der Fabrikanten. Die Videos sind über Youtube zugänglich und versammeln Antworten verschiedener Personen. Die Fabrikanten forcieren den Begriff Live Art in Abgrenzung zur Performance-Kunst und bemühen sich um die Bereitstellung der Rahmenbedingungen für individuelle Begegnungen zwischen Kunstmachenden und Spottern. Immer anders. Immer verschieden. Einzigartig. Und unwiederholbar. Theresa Luise Gindlstrasser geboren 1989, lebt und arbeitet in Wien. Studiert dort Philosophie und Bildende Kunst. Schreibt dort, und manchmal woanders, meistens über Theater.

 

Die Fabrikanten haben außerdem eine neue Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen mit dem Titel: „WTF is LIVE ART?“. Bei der „Vortragsreihe zu partizipatorischen Live Art Strategien“ werden Künstler*innen wie Tim Etchells (Forced Entertainment), Aaron Wright (Fierce Festival), Mary Paterson, Robert Pacitti (SPILL Festival), u. a. eingeladen. Den ersten Doppeltermin zum Thema Live Art gab es Ende November, mehr Infos: www.fabrikanten.at

Auguste Kronheim. Ausstellungsempfehlung.

Einer beinahe in Vergessenheit geratenen Künstlerin widmet das Nordico Stadtmuseum seine Herbstausstellung: In „Auguste Kronheim – Begleiterscheinungen“ wird die Schaffensperiode einer Künstlerin überblickt, die über 50 Jahre andauerte. Kronheims beeindruckender Lebensweg führte von Amsterdam über Linz, nach Irland, zurück ins Mühlviertel und schlussendlich nach Wien, wo sie bis heute lebt, und stellt sozusagen die vielfachen gegenseitigen Begleiterscheinungen von Kunst und Leben ins Zentrum. Auguste Kronheim arbeitete u. a. an sozialkritischen Holzschnittzyklen: Unter dem Titel Hell wie der lichte Tag etwa entstanden Holzschnitte, die sich mit den Wünschen und Träumen einer Fließbandarbeiterin in einer Leuchtmittelfabrik befassen; in der Serie Begleiterscheinungen schildert die Künstlerin drastische Ereignisse, wie sie zu ihrer Zeit in den Mühlviertler Dörfern vorkamen. Ab den 1980er Jahren verlagerte Kronheim ihren Fokus vermehrt auf Zeichnungen und Aquarelle mit naturhaften Sujets und Selbstporträts. In der umfangreichen Retrospektive werden mehr als 200 Holzschnitte und 30 Zeichnungen gezeigt.

 

Auguste Kronheim, Begleiterscheinungen 24. November bis 4. März 2018, NORDICO Stadtmuseum Linz

Zur Ausstellung erscheint ein Sammlungskatalog im Verlag Bibliothek der Provinz, mit einem Vorwort von Andrea Bina und Texten von Albert Müller, Brigitte Reutner (Kuratorin) und Franz Schuh.