Noch weit ins Unbekannte hinein

Elisa Andessner ist bekannt für Performances, die von ihr sehr kontinuierlich als Mimesis in Schwarz umgesetzt wurden. Jetzt bricht für die Linzer Künstlerin eine neue Phase an. Erfreulicherweise erscheint in Kürze auch ein Katalog über die letzten Schaffensjahre des Performancelaboratoriums. Pamela Neuwirth hat mit Elisa Andessner über künstlerische Entwicklungen, Bruchlinien und über die Ästhetik des zärtlichen Interieurs gesprochen.

Es ist mittlerweile etwas Zeit verstrichen, fast eine Dekade, seitdem Elisa Andessner die Performance als zentrales körperliches Vehikel anzuwenden begonnen hat. Doch von Anfang an hat eine bestimmte, wie beständige Konzentration und ein gewisser Minimalismus ihren Ausdruck begleitet. Die hintergründige Thematik ihrer Performances ist oft kompliziert angelegt und kann an das Arbeitsrepertoire einer Schauspielerin erinnern oder an Method Acting. 2009 entstand beispielsweise Speech, eine Performance, welche Andessner auch im bb15 zeigte. bb15 ist Linzer Raum und Kollektiv, mit dem das sogenannte Performancelaboratorium kooperierte, aber unabhängig davon seine inhaltliche Schiene entwickelte. In Speech analysierte die Künstlerin den Habitus politischer Repräsentantinnen und Repräsentanten. Diese Handlungsebene wurde von ihr mit einem zweiten, viel weniger repräsentativen Handlungsprogramm verschränkt, nämlich mit dem von psychischen Störungen, wie etwa der Hysterie. Für das Langzeitprojekt (2009–2011) vertiefte sie sich in die Bildsprachen von Politikerinnen und Politiker, aber auch in entsprechende historische Konzepte, wie Freuds Es-Ich-Überich und zelebrierte sie im zeitgenössischen Handlungsschema der Politik. Doch einigermaßen frappant wirkt heute die Aktualität von Speech, zumindest scheinen die damals von ihr erarbeiteten Schemata von Repräsentation und Irrationalität noch immer einer gesellschaftspolitischen Realität standzuhalten.

 

Surrender in Spaces

Das wechselnde Kollektiv Performancelaboratorium, in dem Elisa Andessner nicht nur festes Ensemblemitglied war, um im Kontext eines schauspielerischen Dramas zu bleiben, sondern auch Dramaturgin, war der zentrale Ort, an dem Andessner, neben unterschiedlichen Kooperationen, künstlerische Position und Haltung entwickeln konnte. Der Hang zur Serie oder zu Arbeiten, die wie längerfristige, aufwendige performative Studien funktionieren. In den Laboratorium-Jahren entstanden jedenfalls zahlreiche internationale Kontakte zu unterschiedlich ausgerichteten PerformancekünstlerInnen und führte die junge Künstlerin (*1983) an unorthodoxe Orte, wie Friedhöfe oder leere Strände, an denen sie ihre Praxis vertiefen konnte. Im Gespräch erzählt Elisa Andessner, dass der konkrete schöpferische Prozess einem viel abverlangt. Einsamkeit, zum Beispiel. Und zwar weniger aus einer romantischen Vorstellung heraus oder weil man kompliziert sei, sondern, weil das geistige Geschöpf oder Konstrukt über einen längeren Zeitraum recht wenig Einmischung von außen erlaubt. „Es verhält sich sogar so,“ überlegt Andessner im Gespräch, „dass man nicht einmal selbst zu sehr, zu aktiv in den autonomen Prozess eingreifen dürfe, weil man damit beginnen würde, die oft mäandernde oder zumindest diffuse Entwicklung auf kontraproduktive Art und Weise zu manipulieren. Setzt die eigene Kritik oder auch Kritik von außen zu bald ein, entzieht sich das Ding wie von Geisterhand, entweicht, funktioniert nicht mehr. Das sind Phasen, die schwer auszuhalten sind, da man nicht weiß, wohin die Reise geht, und in dem Zeitkontinuum oft unklar ist, ob Konzept und Entwicklung überhaupt etwas taugen.“

Am Vortag unseres Interviewtermins war in Linz gerade das VALIE EXPORT Archiv in den Tabakwerken eröffnet worden. Heuer erhielt die österreichische Performancekünstlerin Renate Bertlmann einen österreichischen Kunststaatspreis. Zwischen Archivierung und späten Preisen wendet sich unser Gespräch zur #metoo-Debatte. Stellt sich die Frage eines femininen Prinzips in der Performancekunst? Während Männer, zumindest in der Literatur, oft das große Panorama entwerfen, entspricht das sehr subjektive, am eigenen Körper ausgetragene, oft einer weiblichen Herangehensweise. In Gruppenarbeiten seien solche Tendenzen schon bemerkbar. Das Klischee, dass männliche Kollegen die schnellen Entscheidung treffen, findet man auch in der Kunst. Das kann schön sein, sich nicht in langwierigen basisdemokratischen Verhandlungen zu verstricken, aber manchmal reicht es eben auch nicht und man muss, sozusagen unter Einsatz des hohen Energielevels dranbleiben. Dranbleiben. Eine gewisse Abgeklärtheit macht sich im Gespräch breit, doch bevor diese spezielle Stimmung erklärt werden kann, erzählt Andessner noch von der sehr großartigen Performancephase, die unter dem Titel Surrender in Spaces von ihr nicht nur an internationalen Schauplätzen gezeigt wurde, sondern sie das Spiel zwischen Objekt und Subjekt doch einigermaßen zur Meisterschaft gebracht hat. Für die Surrender in Spaces-Serie inszenierte sich die Künstlerin in zahlreichen Settings und differenzierte dabei die Mimesis in Schwarz aus. Eine wiederkehrende, etwas abweisende Geste wird zum ästhetischen Mittel, denn durch die von ihr suggerierte Abgewandtheit, wird die Performancekünstlerin zugleich zum Objekt, zum Denkmal und zum Inventar unterschiedlicher Architekturen oder Gegenden. In den unterschiedlichen Sujets, wie dem bereits erwähnten Friedhof in Oberwart, wird das Denkmalhafte ihres Körpers besonders ausgeprägt. War die Zurückhaltung am Friedhof anfangs noch dem Respekt geschuldet, mündete diese Haltung in dem Resultat, die unterschiedlichen Bestattungsriten und Kulturen besonders gut nachvollziehen zu können, was auch für die BetrachterInnen der Serie sehr gut deutlich wird. Weitere Räume beziehen sich auf das Innen, also Innenräume. In den Innenräumen war die Parallaxe ein zentrales Thema. Andessner zoomte dafür mitunter ihren Körper ins Kleinformat und passte sich so in eine spezifische Raumsituation ein, in eine geometrische Ecke, ins Interieur, stehend in der Wiese oder, wenn es notwendig erscheint, auch auf einen Baum …

 

„Quite elegant … groove“

Interieur liefert ein Stichwort, das eine andere Richtung aufzeigt, zu einer anderen Arbeit führt, die Anfang nächstes Jahres als 80-teilige Grafikserie „Being Human“ und in unterschiedlichen Formaten von Elisa Andessner gezeigt werden wird. Möbel sind schon lange eine spezielle Leidenschaft der Künstlerin. Das Interesse für ein Gebrauchsstück wie das Möbel, ist aber nicht nur dem Design oder ästhetischen Annehmlichkeiten geschuldet, sondern steht mit etwas in Verbindung, das man mit Behaglichkeit und Vertrautheit, mit etwas sehr Intimen und einem menschlichen Grundbedürfnis in Verbindung bringen könnte. Als Andessner ein altes Büchlein über Möbel mit dem Titel „The Observer’s Book of furniture“ in die Hände fällt, beginnt sie es zu bearbeiten, bemalt Seite um Seite, bis die Seiten durch die weiße Ölfarbe etwas Körperliches und Schweres anhaftet. Auf jeder Seite im Buch wurden nur wenige Worte nicht übermalt, die weiße Farbe stellt so die Möbel vom Textblock frei und jene Worte, die noch lesbar sind, scheinen unterhalb des Mobiliars zu tanzen. Mitunter scheint es, als würden die Möbelstücke zwischen den beweglichen Worten und der schweren, weißen Farbe, zu zierlichen Wesenheiten geraten. Elevated …

 

Between Time and Space

Während der letzten Periode, in welcher der Between Time and Space-Zyklus entstand, passierte für die Performancekünstlerin etwas Neues. Vielleicht war der Prozess des Verschwindens daran schuld? Im Rahmen von Between Time and Space setzte sich Andessner jedenfalls nicht mehr nur mit speziellen Räumen auseinander, sondern bewegte die Räume oder Elemente gewissermaßen in ihre Richtung, in sich hinein, verleibte sie sich ein und verschwand dabei letztendlich selbst in einer neuen Virtualität. In Between Time and Space finden sich die BetrachterInnen zwar wieder in der Natur oder innerhalb spezieller Architekturen, doch spielen dieses Mal auch flüchtige Elemente, wie Rauch oder Wolken oder die Oberflächenstruktur des Meeres, eine Rolle. Zentral war während der gesamten Phase die Arbeit mit der Kamera, wofür sie eine Canon EOS 70D verwendet, um die jeweiligen Situationen zu fotografieren. Between Time and Space arrangierte sich Elisa Andessner derart mit dem Fotos, dass sie ihre Silhouette brechen oder daran andocken, die Bilder schieben sich vor ihre jeweiligen Körpergrenzen und schieben ihren Leib, Layer um Layer, langsam aus dem ursprünglich gemeinsamen Bildnis und bringen ihn scheinbar zum Verschwinden. Die Virtualität, die dabei entsteht, hat einen neuen und unbekannten Möglichkeitsraum für die Linzer Künstlerin eröffnet.

Die Performance als künstlerischer Ausdruck rückt zurück und gibt Raum für das, was Andessner formuliert als Wunsch, noch tiefer in das Unbekannte hineinzugehen, aber subtiler, intermedial und ästhetisch komplexer, als das mit dem performativen Zugang möglich wäre. Uns bleibt der Ausblick auf den Katalog, der nächstes Jahr von ihr mehr oder weniger unabhängig vom bb15 und in Eigenregie, über die Arbeiten im Performancelaboratorium veröffentlicht wird sowie ihre geplante Ausstellung der zärtlichen Interieurs: Being Human.

 

Die Bildserie „Between Time And Space“ ist während eines Residencyprojektes in Norditalien, im Rahmen des LinzExport Stipendiums der Stadt Linz, entstanden.

Elisa Andessner hat zuletzt im Kulturquartier bei der Ausstellung anlässlich „60 Jahre Egon Hoffmann Atelierhaus“ teilgenommen.

Ein umfangreicher Einblick in Elisa Andessners Arbeiten: elisa.andessner.net

Rubrik Wirtschaft sagt, was Performance ist.

Der Exportmotor brummt: Die oö. Wirtschaft zeigt herausragende Export-Performance. 2017 wird zum erfolgreichsten Exportjahr in der Geschichte Oberösterreichs. Jetzt Kurs weiter halten, mit Top-Support für Unternehmer.

 

Aus einem aktuellen Wirtschafts-Newsletter.

Bedeutungs-Flüsse

Christian Steinbachers neues Buch Gräser im Wind als Abgleich und Genealogie. Über die Idee einer bis zum Stillstand verlangsamten Wahrnehmung, über Sprachskepsis und Ambivalenz anstelle universeller Wahrheiten schreibt Florian Huber.

„[…] und dann schien, obgleich nicht der leiseste Wind wehte, wahrscheinlich ein ganzer Baum zu erschauern, wobei alle seine Blätter einen plötzlichen, letzten Regen abschüttelten, dann fielen noch ein paar Tropfen, und dann, eine ganze Weile danach, noch ein Tropfen – und dann nichts mehr.“ – Mit diesen Worten endet der im Original 1958 erschienene Roman Das Gras des französischen Schriftstellers Claude Simon in der 1971 erstmals publizierten deutschen Übersetzung durch Erika und Elmar Tophoven, der 2005 eine Neuübertragung durch Eva Moldenhauer folgte. Der von Simon in diesen Zeilen gemachte Versuch, etwas Vergangenes wenigstens in der Sprache festzuhalten, indem man die eigene Wahrnehmung zu verlangsamen und zum Stillstand zu bringen sucht, ist vermutlich auch dem Lesen und literarischen Übersetzen inhärent. Diese Idee bildet jedenfalls das zentrale Motiv im Schreiben des 1913 in der madagassischen Hauptstadt Tananarive geborenen, und 2005 in Paris verstorbenen französischen Literaturpreisträgers, dessen Werk dem 1960 geborenen Linzer Schriftsteller Christian Steinbacher in seinem neuen Prosabuch Gräser im Wind. Ein Abgleich (Czernin Verlag 2017) als poetologischer Angelpunkt dient: „Ein Dehnen von Momenten ist’s, das uns da zum zentralen Vorhaben wird. Ja, immerzu gedehnt will das sein, ja und ja, und ja und ja und ja“ (S. 75).

Der Titel seiner Textsammlung erinnert dabei gleich doppelt an Claude Simon, indem neben Das Gras auch der prominente Vorgängerroman Der Wind von 1957 evoziert wird, während die für den Band zentralen „23 Seilschaften“ an die bereits 1947 entstandene Prosa Das Seil denken lassen. Das titelgebende Flechtwerk fungiert bei Simon als Sinnbild einer Historie, die dem Menschen geradlinig und zielgerichtet erscheint, aber letztlich doch unentwirrbar, verschlungen und voller Widersprüche ist, wie auch das dem Roman Das Gras vorangestellte Motto des russischen Autors Boris Pasternak unmissverständlich deutlich macht: „Niemand macht die Geschichte, man sieht sie nicht, ebenso wenig wie man das Gras wachsen sieht.“ Ihre Betrachtung verlangt daher nach einer Methode, die die inneren Widersprüche historischer Vorgänge und die mit ihnen verbundenen Traumata offenlegt, indem sie das „Werden der Menschheit [als] eine Abfolge von Deutungen“ begreift, wie der Philosoph Michel Foucault im Anschluss an Friedrich Nietzsches Genealogie der Moral formulierte.

Literatur wie Geschichtsschreibung dienen damit weniger der Begründung kultureller Identität als ihrer permanenten Kritik, indem sie an ihre Kontingenz, ihr historisches Gewordensein und somit auch an ihre Veränderbarkeit und Abhängigkeit von den herrschenden Machtverhältnissen erinnern: „Werden auch Schlussfolgerungen geboren? Oder gehen sie nur hervor?“ (S. 50). An die Stelle universeller Wahrheiten tritt dementsprechend ein Plädoyer für die Vielfalt historischer Gegenstände, Akteure und Sinnzuschreibungen, die nicht in einem gemeinsamen ahistorischen Ursprung wurzeln, sondern in ein Geflecht vielschichtiger Machtbeziehungen und Handlungen, eingebettet sind, die die Genealogie zu verorten und beschreiben sucht: „Und in ihrer Ansicht, dass schleifen auch ‚verwickelt‘ sein können, und nicht nur etwa ‚kompliziert‘, möchte ich unserem Professionistenpaar gerne recht geben.“ (S. 50). Wahrnehmungsroutinen werden durchbrochen, Worte und Dinge erscheinen in einem neuen Licht, indem festgefügte Wertvorstellungen und vermeintlich selbstverständliche Bedeutungen hinterfragt und andere Möglichkeiten des Handelns und Denkens in Betracht gezogen werden: „Auch bei L-leder denken wir unweigerlich an etwas Glattes. Ein pelziges Leder sei daher völlig widersinnig, meinte mein Gesprächspartner, als ich ihn scherzhaft fragte, wo es ihn denn mehr hinziehe, zu dem pelzigen oder zum krümeligen.“ (S. 54). Wie Claude Simons Prosa verdankt sich Steinbachers Erzählen mithin einer Sprachskepsis und einem Streben nach Ambivalenz, das das Seil kurzerhand zur Seilschaft macht und dadurch gleichermaßen auf Bergfreundschaften wie korrupte Vorteilsannahmen verweisen kann. Der Verlust feststehenden Sinns wird zum Ermöglichungsgrund poetischer Rede, da die begriffliche Mehrdeutigkeit zugleich den Garanten für sprachliche Unterscheidungen und Nuancierungen darstellt: „[…] also haltet bitte fest: Ein Volant ist keine Rüsche, ein Boy kein Portier, und eine Haube kein Deckel.“ (S. 46).

Im Rahmen literarischer Übersetzungen scheint dieses Differenzierungsvermögen besonders gefordert, wie Gräser im Wind durch die textliche Integration der Claude Simon-Übertragungen von Eva Moldenhauer und von Elmar und Erika Tophoven deutlich zu machen sucht. Während die literarische Leistung des Ehepaars Tophoven in der Rezeption häufig alleine Elmar zugeschrieben wurde, kommen bei Steinbacher stets Elmar und Erika zu Wort, deren Reden von einer dritten Figur namens Evas flankiert werden: „Eva: ‚was soll das beruhige dich‘ / Erika und Elmar: ‚ach was‘ / Eva: ‚was soll das‘“ (S. 102). So besehen liegen dem Verfertigen literarischer Texte und ihrer Übertragung kollektive Erfahrungen zugrunde, die das Geräusch der eigenen Stimme mit fremden Klängen in Gestalt anderer Sprachen und Themen, alternativer Lektüre- und Lebenserfahrungen konfrontieren. Deutschsprachige Leserinnen verdanken dem Ehepaar Tophoven etwa auch die Bekanntschaft mit dem Werk Samuel Becketts und von Nathalie Sarraute, während Moldenhauer neben Texten des französischen Ethnographen Claude Lévi-Strauss im Verlauf des letzten Jahrzehnts insgesamt sechs Romane Claude Simons ins Deutsche übertrug, die gemeinsam gelesen neue Motive, Fragestellungen und literarische Lösungsansätze sichtbar werden lassen. Sie alle umkreisen in ihrem Denken und Schreiben die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts und ihre traumatischen Zumutungen für das Individuum und die Gesellschaft, indem sie die begriffsschwache Erfahrung der Sinne in Sprache zu übersetzen und dabei literarische Traditionen umdeuten oder zu dekonstruieren suchen. Der eigene Text ist dabei Resultat des Austauschs mit anderen, deren Denken, Leben, Fühlen und Schreiben die eigene Ästhetik prägt. So treten in Steinbachers Prosa neben Claude Simon und seinen deutschen Übersetzerinnen etwa Felix Philip Ingold, Tomas Schmitt, Gunnar Ekelöf, Arthur Køpcke, Stefan Ripplinger und vor allem die Linzerin Elisa Andessner, die für den Band Fotografien beisteuerte – als künstlerische Weggefährtinnen in Erscheinung, zu denen sich Familienmitglieder und andere vertraute Stimmen gesellen, die den Schreib- und Redefluss zusätzlich durchkreuzen: „Ein Prachtsatz des Peppe heute: „,Ich weiß, dass das dort nicht passt, aber so kommt es mehr zu Geltung.‘“ (S. 265). Durch die Vielheit der Stimmen und ihre Uneinheitlichkeit wird die Prosa zur Genealogie. Im Akt des Zitierens erteilt der Dichter dem herrschenden Druck zur Anpassung eine poetische Abfuhr, die anstelle homogener Identitätskonzeptionen plurale Anschauungen und Lebensformen setzt. Florian Huber schreibt und forscht über den Zusammenhang von Literatur und Wissenschaft und lehrt an der Leuphana Universität Lüneburg.

Literatur sagt …

Es ist ein Kampf. Gegen Krankheiten. Gegen die Stadt Essen. Gegen drohende Altersarmut. Gegen den Alkohol. Gegen das Vergessen. In der grausigen Dunkelkammer Deutschland.

 

Über das durchschnittliche oder weniger durchschnittliche Erliegen von Engagement und Kunst in einer anderen mittelgroßen Stadt berichtet Florian Neuner in seinem neuen Buch Drei Tote. Wir zitieren zu den drei Toten aus dem Verlagstext: „Das ist eine Künstlerin, die mit ihren großformatigen Collagen zu einer ganz eigenen feministischen Position gefunden hatte, ehe Kunstvermittlung und soziokulturelles Engagement in den Vordergrund traten, Kunst und Lebenspraxis verschwammen. Das ist ein Vertreter der konkreten Poesie, der als Linguist an einer Universität lehrte und darob als literarischer Autor zunehmend in Vergessenheit und Isolation geriet, ohne freilich seinen Glauben an die neoavantgardistische Literatur zu verlieren. Das ist schließlich ein Musiker, dessen Arbeit als Komponist aufgrund seines publizistischen Engagements und seines Alkoholismus letztlich zum Erliegen kam.“ Florian Neuner, Drei Tote, Verlag Peter Engstler

Die kleine Referentin

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Turntabling the Sound

What does John Cage have in common with Afrika Bambaataa? And Edgard Varèse with DJ Shadow? They were all turntablists at some moment of their lifes. In short, these personalities spent a lot of time in front of their record players, manipulating the sound of their records for producing electronic music. And this is also the case of Wolfgang Fuchs, the artist living and working in Linz. Enrique Tomás met him for knowing more about what he is producing these days.

Wolfgang Fuchs is one the most relevant turntablists in Austria. We can imagine him carrying a comfortable bag with no more than a small pile of records, arriving some art gallery of club, checking the needles of the record players on stage and almost being prepared to improvise a sonic perfomance. From loud and strange experimental music to calm and delicate pieces of improvisation, alone or together with other musicians. He soon admitted at our interview that he prefers a good conversation before the concert for preparing himself than many hours of rehearsals. “At rehearsals sometimes I feel as if we were consuming the energy for the concert” — asserted. When I ask him if he also plays with laptops, he quickly smiles and admits that he did it, “but only two or three times”. “I even once prepared a conceptual performance. It was just me on a club stage, faking clearly that I was playing live with my laptop. Everything was played back of course, nothing live. The point was clearly criticizing the lack of embodiment at many laptop performances. Sometimes I see laptop performers with mostly the attitude of checking their emails more than playing live!”. This idea resonated to me. Almost the same feeling impulsed DJ Moldover a decade ago to develop “controllerism” the next revolution after the decay of turntablism. Basically, it means the use of musical controllers (basically MIDI controllers) for live performance on stage, mostly for playing the music that traditionally was played with records. How is it possible that our technological advances have constrained so much the communication with our audience? “What I like of playing with records” — explains Fuchs “is that I can touch the sound. Everything I do is embodied and visible. I have direct haptic feedback with the instrument, and it is intimately connected with the musical content. Indeed I noticed how after some years of performance my earliest records begin to sound different. They begin to suffer the pass of time, and the use of many needles on many stages. But this makes me feel good. My records are evolving with me! I decided to archive the question about if he likes digital format of music, and I asked about the records he performs on stage. “In fact all the records I use at performance are bought from some other geeks like me. I prefer that the sounds used to build my works have some personal connection, some story”. In fact, that seems a strategy with a perfect logic. The more personal connection one has with the contents of a performance the easier is manipulating them. I can think of the same case when I played musical scores written by composers friends of mine. It was always easier to remember the notes. Interestingly, turntablism has had already periods of more and less activity. Golden years of experimentation and decades of commercial commodification. From the experimental years of avant-garde to the adveniment of the DJ phenomena. Probably the greatest days of turntablism were connected with the american hip-hop culture which started on the late 70s. But in the late 90s the appearance of computer applications brought a particular decay to the figure of the turntablist, even at hip-hop. In fact, one of the most popular definitions of the art, described by the composer John Oswald, directly engages this art with hip hop: “Turntablism is a phonograph in the hands of a ‘hiphop/scratch’ artist who plays a record like an electronic washboard with a phonographic needle as a plectrum, producing sounds which are unique and not reproduced. The record player becomes a musical instrument”. During our conversation, Wolfgang Fuchs clarifies his position regarding specific techniques with record players “I use plenty of techniques, but what I decidedly never use is scratching. It brings me to another aesthetics where I do not feel comfortable my art. It is strange” — continues “because the first technique which is explained to beginners is usually scratching. But this will affect all their learning about playing records”. And it seems coherent too. The culture of scratching has become almost a cultural cliché, a placeholder used when there are no other creative things to do with records. “My technique has evolved towards producing very abstract sound. Sometimes, when I play with other musicians, especially with those playing acoustic instruments, it is difficult to discern which sound is produced by each instrument”.

The conversation turns, and we dedicate our time to talk about more personal questions and about his recent years of career. Wolfgang Fuchs grew as a turntablist in Vienna, where he was surrounded by other artists and with the collective klingt.org he did his first steps as performer decades ago. “I still feel quite connected to the scene in Vienna. Still many of the projects I am involved were initiated there”. Then I asked about his connection with the Jazz Atelier Ulrichsberg. “Of course, I have been performing a couple of times there and this Summer I could produce one of the projects which I am more proud of”. He talks about the project ‘Kammerflimmern’, an artistic intervention with found objects at the Atelier spaces during the last festival Kaleidophon. “I was able to spend a couple of months collecting relevant objects from the corners of the Atelier. Like old posters, the saxophone suitcase of Anthony Braxton, and other strange objects too. For instance, tools used for fixing parts of the building. I decided to intervene various spaces with these objects alluding to the music produced around them at certain years. As well I wanted to remember all those important people who have contributed to keep the Jazz Atelier alive during so many years. For me and for Alois Fischer, the responsible of the Atelier, it was a very emotional project. We hope to have communicated it well to the visitors”.

Finally we commented the musical projects he is involved in nowadays. Among various formations Wolfgang Fuchs remarks the trio ‘SARROS’ with Veronika Mayer and Lale Rodgarkia-Dara. “I am quite happy about the combination of elements of this project. Electroacoustic music, experimental literature, radio artivism … The project does not look spectacular, but in contrast, the music produced is calm and meditative, but quite expressive”. He also reminds at the last moment the next release of a CD by Confront Recordings containing one of his works and that he is active part of the Baby Success Club … although that was already featured at another edition of Die Referentin.

 

Wolfgang Fuchs war im November in der argentinischen Stadt Lincoln auf Soundart-Residency, in der “Comunitaria – residencia de arte contemporáneo”: www.comunitaria-argentina.org

Vor seiner Residency war er ein paar Tage in Buenos Aires, um „u. a. ein Konzert mit Otomo Yoshihide, Luis Conde etc …“ zu spielen.

Changing Rules.

In einen subtilen, aber bewusstseinsbildenden Kampf im Sinne einer gendergerechten Sprache, begibt sich eine App namens „Gender Changer“, die Texte automatisch gendergerecht lesbar macht. Ein Umstand, der manchmal vergessen lässt, dass in Wirklichkeit sehr wenige Texte gegendert werden. Warum gendern? Weil ich mich als Frau im generischen Maskulinum nicht angesprochen fühle. Liebe Männer und jene, die sich als solche fühlen und denken, mir genügt es nicht, ‚mitgemeint‘ zu werden. Schon kleine Buben empörten sich bei so manchen Versuchen in der Volksschule, wenn Texte in weiblicher Form geschrieben wurden oder wenn Lehrpersonal darin sprach, und beklagten sich, sich nicht angesprochen zu fühlen. Aber von mehr als der Hälfte der Bevölkerung verlangt ihr genau dies. Dem Argument der Lesbarkeit entgegne ich das Üben. Und wie bei vielen Dingen, die wir lernen mussten (Laufen, Reden, …) mündet das anfänglich schwere Mühen in eine Selbstverständlichkeit. Diese App ist ein Übungsinstrument zur Sensibilisierung und zum Einschleusen der Thematik in die neuronalen Netzwerke. Manchmal ergeben sich auch lustige Konstellationen wie „Frau* und Mann* övirieren“, über die ich gerne schmunzle, weil die App mitunter auch sinnlose Ergebnisse liefert, und die mich auch wieder zurück in die Realität holen. Herzlichen Dank an das Linzer Künstler*innen-Duo Vala Oona Serbest & Ufuk Serbest, die diese Browsererweiterung entwickelt haben. Verfügbar ist sie für Firefox und Google Chrome. Leider wegen Weiterfinanzierungsfragen noch nicht voll ausgearbeitet, ein Umstand der nach einer Crowdfunding-Aktion ruft.

Sprache schafft Struktur. Und gewisse Strukturen verschaffen Macht. Macht, die gerne ausgenutzt wird. Die weltweite Diskussion zu sexueller Belästigung bringt die Machtverhältnisse dieser Welt an die Oberfläche. Täter, zu 90% männlich, werden von einer Wolke des Schweigens gedeckt und lernen, dass vieles durchgeht. Opfer lernen oftmals keine Sprache des Widerstands, viel eher wird ihnen eingeredet, dass sie selbst schuld seien. Manchmal sind die Opfer so jung, dass sie ihre eigene Sexualität noch nicht kennengelernt haben und erben ein lebenslanges Trauma. Die österreichische Sportwelt hatte bereits mit Peter Seisenbacher ihren Skandal. Eine öffentliche Diskussion gab es kaum. Im Gegenteil, die Ermittlungen dauerten zweieinhalb Jahre, weil die Glaubwürdigkeit der mittlerweile erwachsenen Frauen besonders eingehend überprüft wurde. Jetzt ist er auf der Flucht. Ja, Finanzminister oder Judo-Olympiasieger sollte frau* oder mann* in Österreich sein, dann ticken die Uhren der Justiz besonders langsam. Schnell ist die österreichische Polizei hingegen beim Umsetzen einer sehr populistisch geführten Gesetzesänderung. Unter dem Vorwand des Burka-Verbots gibt es fortan eine 24/7-Vollzeiterkennung für alle Bürger*innen – hurra die Gams! Und die staatliche Gewalt bestimmt zum Beispiel fortan auch über das Kälteempfinden der Bürger*innen beim Radfahren, was erträglich und zumutbar ist. Individuelles Empfinden wird abgewürgt.

Zum Abschluss noch zu den konkreten Spielen im Sport bzw. zu den Fußballfrauen: Auf die Beine stellten sich die heimischen Akteurinnen des F_IN-Frauen im Fußball-Netzwerks und hielten das „1. Österreichische F_IN-Treffen“ in Linz bei der Gastgeberin SKVrau ab. Die Präsidentin des Fanclubs Salon Blauweiss stellte die Räumlichkeit zur Verfügung – für einen sehr interessanten Erfahrungsaustausch aus den verschiedenen Gegebenheiten in den Fangruppierungen der Antifa Döbling, Vienna Wanderers oder Tornados Rapid. Eines der nächsten Treffen wird anlässlich der Ausstellung „Fan.Tastic Females – Football Her.Story“ stattfinden. Ein vielfältiges Porträt weiblicher Fußballfans in Europa und ihrer Initiativen. Ich freu mich darauf!

 

App Tipp: Gender Changer by Vala Oona Serbest & Ufuk Serbest

Stadtblick

Foto Die Referentin

Foto Die Referentin

Black Friday in Linz: Rauchen und Betteln verboten!???? Adventüberraschung?

10 mal – ich habe alles verloren … Glauben, Würde, ca. 6 Kilo

sd10-illu

Die Krot nicht schlucken können. Runterwürgen. Auf den Magen schlagen. Bitterer Beigeschmack. Sauer aufstoßen. Nicht gut Kirschen essen. Da sind ja Hopfen und Malz verloren. Die Suppe auslöffeln oder jemandem in die Suppe spucken.

Der Bissen bleibt im Halse stecken. In den sauren Apfel beißen. Sein Fett abkriegen.

Sämtliche Zitate und Weisheiten schießen dem Slowdude durch den Kopf, wenn er nur an die politische und gesellschaftliche Situation oder die handelnden Akteure in unserer schönen Heimat denkt. Doch eigentlich muss ja gefeiert werden. Die Referentin bringt die 10te Ausgabe auf den oberösterreichischen Medienmarkt und das muss ordentlich zelebriert werden. Mit einem kleinen Hochamt auf die beste Chefredaktion! Was wäre naheliegender als ein schönes Zahlenspiel. Und so liefert der Slowdude seine persönlichen Top 10 der Linzer Gastrostätten ab – kein besonders kreativer Aufwand für den Dude, dafür aber zu 100% subjektiv. Und nicht so charmant und aufgeladen wie Rob Flemings Top Five in High Fidelity.

Nr. 10: Das Dachcafe. Ein echter Höhenrausch. Man fühlt sich betreut und umsorgt. Das Essen Standard, aber nicht mehr – hier punktet der Gesamteindruck. Etwas aus der Zeit gefallen. Aber genau darum hingehen!

Nr. 9: Das Schlosscafe – nicht die Brasserie oder wie auch immer der andere Gastrowahnsinn im ehrwürdigen Linzer Schloss heißt. Aber Top Team von der Chefin angefangen – gutes Essen und kleine Extras, die zählen: zum Beispiel im Sommer das gratis Kindergetränk.

Nr. 8: Tamusana – afrikanische Küche at it’s best. Unglaublich nettes Service, lecker Essen und gemütlicher Gastgarten. Weiter so!

Nr. 7: Rosis Cafe und Bar – die Mittags- und Jausenkarte ist Top. Und eine Chefin, die mit ihrer herb-sympathischen Art das oft recht anstrengende Alt-Testosteronpublikum gut in Schach hält.

Nr. 6: Der Müli Mittagstisch. Eine Institution am Pfarrplatz. Leckerer Mittagstisch aus korrekten Produkten – nur die kleine Portion könnte sich preislich etwas mehr von der normalen abheben.

Nr. 5: Das Cafe Traxlmayr. Kann zwar in den Einzelwertungen nicht überzeugen. Aber als Gesamtkunstwerk glänzt es – und hat einen Bonus, weil es das letzte seiner Art ist.

Nr. 4: Das Rauner im statistischen Bezirk Bulgariplatz. Korrekte Küche – raffiniert, aber nicht überkandidelt. Die Einrichtung etwas zu „zeitgenössisch“ aber sonst alles top.

Nr. 3: Die Fleischhauerei Lackinger. Ein Urgestein der fleischigen Lust. Gute Auswahl an Tagesgerichten, gutes Sortiment an „Convenience-Produkten“ und schräges Greißlereisortiment. Außerdem sind die Damen unglaublich nett. Auch zum Slowdude.

Nr. 2: Der beste Thai-Laden in Town: PhoHanoi in der Freistädterstraße. Authentische Gerichte, klasse Service und schnörkelloses Ambiente.

Nr. 1: Der Herd im Heim. Geht einkaufen. Kocht drauf los. Ohne Rezept. Das ist IMMER das Beste.

Wie versprochen. Der Slowdude ist absolut subjektiv. Das mag der geneigten Leserin oder dem geneigten Leser sauer aufstoßen. Aber so ist er halt. Der Vertrag geht bis zur Nummer 100. Vorerst. Also 90 Kolumnen to go. Der Slowdude freut sich über die Referentin #10, gratuliert Fr. Brandmayr und Fr. Schütz zum Medium und überreicht symbolisch die golden panierte 10 mit Pommes und Zitrone.

Artwork des Jahres.

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