Editorial

Wir sind nicht amüsiert über die Kürzungen bei den Vereinen fiftitu%, Arge Sie und maiz. Und nachvollziehen kann das eh niemand. Ende vorigen Jahres wurde ja noch mit der Spar-Null argumentiert. Jetzt dudelt es aber schon beinahe täglich aus den medialen Endgeräten, dass die oberösterreichische Wirtschaft brummt. Also was jetzt? Einfach kein Interesse am emanzipativen Kerngeschäft?

Damit zu unserem Kerngeschäft: Frauenangelegenheiten, wie es jetzt sprechend im offiziösen Jargon heißt, klingt ja quasi fast schon nach Unterleibsschmerzen oder Gebärgeheimnis, durchziehen diese Ausgabe. Der Hinweis zielt natürlich als allererstes auf den Text von Silvana Steinbacher, die Vertreterinnen der drei oben genannten Vereine getroffen hat. Sarah Held hat einen wunderbaren Text zu Femsploitation und Girls Gangs geschrieben; und wir wollen hier nochmal ausdrücklich festhalten: Feminism is for everybody – oder was sonst? Das Bildsujet unten gehört im Übrigen zu Helds Text. Weitere Angelegenheiten finden sich bei Elisabeth Lachers Porträt von Bernadette Huber, deren Bild aus der Serie „Kunst, die berührt“ als Ausschnitt auf dem Cover zu sehen ist. Noch mehr Referentinnen-Kerngeschäft auch in der Oma-Connection von Wiltrud Hackls Work Bitch und Lisa Spalts „The European Grandma Project“ – ein Text, der über ein filmisches, paneuropäisches Zeitgeschichteprojekt von Alenka Maly berichtet. Die Kolumnistin Andrea Winter rundet ab, und auch so manch Kleine Referentin fragt nach der Rolle der neuen Frau.

Hinweisen möchten wir auch auf das Interview von Pamela Neuwirth, die den Künstler und Kurator Davide Bevilacqua zu seinen Arbeitsthemen und auch speziell zum Festival AMRO befragt hat. AMRO – Art meets radical Openness – ist ein schönes Beispiel dafür, dass sich in der Unesco City of Media Arts mehr Fische tummeln als an der Oberfläche Kulturtanker cruisen: Ganz im Gegenteil machen Vereine wie servus.at seit Jahrzehnten wichtige Arbeit für urbi et orbi.

An dieser Stelle auch noch ein kurzer Hinweis auf den Slowdude, der das Verschwinden des Kasperkellers betrauert. So wie wir. Und übrigens … unterschreiben gehen! Unsere diesmalige Rubrik Man kommt ja vor lauter Unterschreiben nicht mehr nach gibt Auskunft.

Betroffen waren wir vom plötzlichen Tod des Schriftstellers Walter Pilars. Robert Stähr hat einen kursorischen Beitrag geschrieben. Wichtig war uns auch ein Nachruf auf den bereits letztes Jahr verstorbenen Hansjörg Zauner, den Florian Huber verfasst hat. Rest in Peace.

Ansonsten bleibt uns noch zu sagen: There are no gangs around.

Damit grüßt die Redaktion, Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

Foto Tobias Frindt

Foto Tobias Frindt

The European Grandma Project

Porträtfilme über neun Großmütter und ein Meta-Film von Alenka Maly, der wie ein Trailer des größeren Zusammenhangs funktioniert. Lisa Spalt schreibt über den diesjährigen Eröffnungsfilm von Crossing Europe und darüber, dass lange zu leben bedeutet, sehr verschiedene Realitäten zu erleben.

European Grandma on the road, crossing Europe. Foto Alenka Maly

European Grandma on the road, crossing Europe. Foto Alenka Maly

Meine Großmutter hat gegen Ende ihres Lebens oft gesagt, der Herrgott habe sie vergessen. Sie war der Meinung, langsam genug gelebt zu haben. Damals bewunderte ich meine Oma, die zwischen den üppig blühenden Pflanzen in ihrem Garten so nonchalant von ihrem eigenen Tod sprach. Aber ich dachte auch, dass sie von mir gebraucht werde und dass das dem Herrgott, mit dem sie da sprach, hoffentlich bewusst sei. Die Erkenntnis, dass der Mann sie irgendwann unweigerlich zu sich holen würde, hat nicht lange danach einen ersten Keil zwischen ihn und mich getrieben.

Zwei Ereignisse haben mich unlängst an den Satz meiner Großmutter denken lassen.

Das erste war eine Meldung aus den Salzburger Nachrichten. Der Salzburger Identitären-Chef Edwin H hatte zu den demonstrierenden „Omas gegen Rechts“ getwittert: „Wenn man länger lebt, als man nützlich ist und vor lauter Feminismus nie Stricken lernte. Meine Oma schämt sich für euch“.

Welch unsäglicher, klebriger Erguss!

Da wird im 21. Jahrhundert das Stricken zu Hause wieder einmal zum Synonym dafür, dass die „rechte“ Großmutter das öffentliche Leben anderen überlässt. (Damit wir vom Weltbild des Herrn H mehr erfahren können: Großväter gegen Rechts – formiert euch endlich!) Außerdem: Eine Frau strickt, und wenn heute Selbstgestricktes nicht gerade das Epizentrum modischen Schicks darstellt – umso besser! Die Frau – zumal die Großmutter – soll ja dort, wo es um die Welt geht, gar keine Rolle spielen. Sollte sie aber doch auf die Idee kommen, ihre bürgerlichen Rechte wahrnehmen und an Demonstrationen teilnehmen zu wollen, darf ihr, wie der agrammatische Sager des Herrn H wohl vermitteln will, durchaus die Daseinsberechtigung abgesprochen werden.

Die Großmutter: Schürze, Stricknadeln, Dutt – und dann der Kachelofen, in dem die Hexe verschwinden soll? Erinnert sich da wieder einmal einer nicht?

Wenige Tage darauf das zweite Ereignis: Alenka Maly hat mich 50 Minuten ihres (noch nicht fertig geschnittenen) Films „The European Grandma Project“ sehen lassen. Darin sprechen Großmütter aus mehreren europäischen Ländern über ihre Jugend. Es sind keine jungen Großmütter, ganz im Gegenteil: Sie sind zwischen 1920 und 1935 geboren. Die Frauen kommen aus verschiedenen Milieus, aus verschiedenen, wenn auch europäischen Kulturen. Zu Beginn des Films begegnen wir ihnen in ihrem Alltag. Sie kochen und schälen Kartoffeln, neben dem Bett steht der Rollator, frau verwünscht das Radiogerät, weil die gewohnten Sender plötzlich nicht mehr dort sind, wo sie gerade noch waren. Haben wir hier endlich diese von unserer offensichtlich schon wieder so großen Zeit verlangten Großmütter, deren Leben sich im Privaten abspielt? Nun, weit gefehlt. Denn hier wird eben gerade das Private zum Gegenstand der Öffentlichkeit, und dieser Umstand hat es in sich. Die Frauen beginnen zu erzählen, sie lassen ihren Alltag transparent werden auf die Geschichte, die hinter ihm steht und ihn gewissermaßen ja auch hervorgebracht hat. Und diese Großmütter haben unerhörte Erinnerungen, die glücklicherweise gehört werden. Sie haben – gut für uns – Enkelinnen, die Regisseurinnen sind und einem Aufruf zu einem Europa vereinenden Filmprojekt gefolgt sind.

Eingeladen haben zu diesem „European Grandma Project“ die Regisseurin und Schauspielerin Alenka Maly und ihre Mitstreiterinnen Barbara Steiner (Politikwissenschaften), Nora Gumpenberger (Vergleichende Literaturwissenschaften / Deutsche Philologie) und Veronika Peterseil (Konferenzdolmetscherin und Übersetzerin).

Gesucht: nicht nur ein neuer Blick auf die europäische Geschichte, sondern auch ein spezifischer Blick von filmemachenden Enkelinnen auf ihre Großmütter.

Als Vorgabe für ihr Porträt bekamen die Regisseurinnen einen Fragenkatalog, an dem sie sich lose orientieren sollten. Dann gings los.

Entstanden sind Porträtfilme von neun Frauen, die das einst so genannte 1000-jährige Reich auf sehr unterschiedliche Wei­se überlebt haben und nun gemeinsam beinahe tausend Lebensjahre zusammenbringen: Alenka Malys Großmutter, die als junge Frau in Gusen gearbeitet hat, Großmutter Ruchana aus Israel, die Deutschland als Jugendliche ganz allein verlassen und ihre Familie nie wiedergesehen hat, Großmutter Lubov aus Sankt Petersburg, die ihrer sterbenden Mutter in der verhungernden Stadt Leningrad das letzte Stück Brot gereicht hat, Monica aus Großbritannien, die sich als kleines Kind vorstellte, wie es wäre, wenn eine Bombe in den blühenden Garten vor ihr einschlüge, …

Es sind Lebensgeschichten, die nur die Betroffenen selbst erzählen können, wenn sie richtig bleiben sollen.

Daher werden sie hier besser ausgespart bleiben.

Aber über Aspekte, über Perspektiven kann gesprochen werden. Maly erzählt, dass sich immer, wenn sie ihre Großmutter bittet, von der Vergangenheit zu erzählen, eine spezielle Verbundenheit einstellt. Diese Verbundenheit zwischen den Enkelinnen und ihren Großmüttern ist beim Sehen des Films stark zu spüren, nicht zuletzt aufgrund des Settings. Denn jede Zuschauerin, jeder Zuschauer, befindet sich beim Sehen der Porträts von seiner Position im Raum her in der Rolle der Regisseurin, die hinter der Kamera unsichtbar bleibt und ihr Gesicht / die Linse zur erzählenden Großmutter wendet. Die erzählende Großmutter, die Trägerin der Geschichte: ein Topos, der hier ganz anders als die strickende des Herrn H Leben wird. Denn wir alle, die Öffentlichkeit, sitzen bei diesen Porträts als ZuschauerInnen vor der Leinwand / der Großmutter, die an die Öffentlichkeit geht. Wir haben eine Verabredung von Bedeutung: Das teilt sich mit. In dieser Veröffentlichung des Privaten wird deutlich, dass nur wir selbst die Öffentlichkeit sein können, dass wir zählen, dass die Geschichten einzelner Menschen die Geschichte ausmacht, dass es nicht darum gehen kann, dass jemand – hinter dem Ofen unsichtbar gemacht – für längst vergangene Füße Socken strickt.

Dieses Erzählen, die Geschichten der Frauen, verbindet unsere Gegenwart mit ihrer Vergangenheit, sodass Geschichte entsteht, nämlich als erlittene Realität hinter den Fakten um Führer, Verträge und Mächte, sie lässt uns überlegen, wie es in der Welt weitergehen soll, weil wir letztlich die Welt sind und eben nicht die Daten, die wir in der Schule lernen. Beim Sehen dieser Porträts ist zu spüren, wie wichtig es ist, zu wissen, wo man herkommt, und in diesem Spiegel der Frauengesichter auch ein wenig in die eigene Zukunft zu blicken.

Die Regisseurinnen Alenka Maly, Hadas Neuman, Fleur Nieddu, Anna Ólafsdóttir, Giorgia Polizzi, Berke Soyuer, Desislava Tsoneva, Maria Tzika und Ekaterina Volkova teilen mit uns diesen Blick. Und Alenka Maly hat schließlich zu den entstandenen Porträts einen Meta-Film gemacht, der wie ein Trailer für das Gesamtprojekt funktioniert.

 

Der rund 80-minütige Film, der eben nun bei Crossing Europe gezeigt wird, tritt ein in eine Zeit, in der die Schrift verloren geht und die Menschheit immer mehr zu denken scheint, es gebe weder eine vergangene Welt, an die man sich erinnern, noch eine Zukunft, für die man die Welt bewahren müsse. Wir stellen uns derzeit vielleicht noch vor, dass Tiere so leben: ohne Wissen um die Vergangenheit, im Moment etwas in sich hineinfressend, ohne Ahnung vom unweigerlich eintretenden Tod. Aber auch wir Menschen scheinen kaum mehr zu kapieren, dass wir als Menschen in der GESCHICHTE leben können, dass wir gestalten können, wenn uns die Geschichte etwas lehrt.

Unlängst hat mir ein junger Mensch erklärt, Lebensweisheit sei kein aktueller Wert mehr.

Ich meine, das „European Grandma Project“ könnte hier einige Aufklärung leisten – nicht nur darüber, was damals geschehen ist, sondern auch darüber, worauf es in allen Zeiten ankommt, was im etymologischen Sinn des Wortes „actuel“ ist, und das heißt „tätig“, „wirksam“ (eher nicht: strickend). Diese Großmütter haben uns zu den Themen Überlebensangst, Zufälligkeit, zum Wesentlichen und zum Kampf um die Menschwürde viel zu sagen. Und nicht zuletzt kommen sie über die von ihnen erzählte Geschichte, die Europa in viele Stücke explodieren ließ, als das eine Europa zusammen, das neben den heute so zahlreichen menschenverachtenden Bestrebungen eben auch vorstellbar wäre. Eine Nachfrage wert wäre es daher, warum dem Projekt von der EU keine Förderung zuteil wurde. Letztlich haben es die Stadt Linz und eine anonym bleiben wollende Sponsorin möglich gemacht. Und vielleicht kann sich sogar das Land Oberösterreich noch für eine Förderung entscheiden.

Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass das Projekt in jeder Schule zum Unterrichtsstoff gehörte. Geschichte bedeutet doch, Zeit zu verstehen und sich über die Verständnisweisen, Zukunft denkend, auszutauschen, um eine ganz persönliche Identität zu entwickeln. Zumindest habe ich es so erfahren. Meine Großmutter hat mir einmal davon erzählt, wie ihr Vater und ihre Brüder im ersten Weltkrieg fortmussten und ihre Mutter auf dem Acker weinend grüne Kartoffeln ausgrub, weil sie nichts mehr hatte, was sie den Kindern zu essen geben konnte. Bei diesem Aufblitzen von Geschichte ist mir klargeworden, dass lange zu leben bedeutet, sehr verschiedene Realitäten zu erleben, dass gleichzeitig mein Leben neben dem meiner Großmutter das Nebeneinander zweier Welten bedeutete, die doch innig verbunden waren. Damals hat sich bei mir das Gefühl eingestellt, dass die Welt vielfältiger und die Möglichkeiten zahlreicher sind, als wir erahnen können, und dass es daher sinnvoll wäre, achtsam zu walten. Ich denke, dieses Gefühl vermittelt auch dieser Film.

 

15 Jahre CROSSING EUROPE Filmfestival Linz

CROSSING EUROPE geht von 25. bis 30. April 2018 in die 15. Runde. Seit 2004 verschreibt sich das Festival der Idee, mit einer handverlesenen Auswahl von rund 160 Spiel- und Dokumentarfilmen anspruchsvolles europäisches Filmschaffen zu präsentieren. Das diesjährige Spotlight ist der aus Rumänien stammenden international renommierten Produzentin Ada Solomon gewidmet, der heurige Tribute-Gast ist der italienische Regisseur Edoardo Winspeare. Neben den drei Wettbewerbssektionen (Competition Fiction, Competition Documentary und Competition Local Artists) sind auch die seit Jahren etablierten Schienen Arbeitswelten, European Panorama Fiction & Documentary und Nachtsicht Teil der Programmstruktur. Weiters zu finden sind die Reihe Architektur & Gesellschaft und die 2018 zum vierten Mal präsentierte Schiene Cinema Next Europe.

 

THE EUROPEAN GRANDMAY PROJECT

Alenka Malys THE EUROPEAN GRANDMA PROJECT ist eine der fünf Eröffnungspremieren von Crossing Europe 2018. Der Film wird im Rahmen der Festivaleröffnung am 25. April in Anwesenheit von den neun Filmemacherinnen Alenka Maly (AT), Hadas Neuman (IL), Fleur Nieddu (GB), Anna Ólafsdóttir (IS), Giorgia Polizzi (IT), Berke Soyuer (TR), Desislava Tsoneva (GB), Maria Tzika (GR), Ekaterina Volkova (RU) präsentiert. Die Linzer Filmemacherin und Schauspielerin Alenka Maly nahm ihre eigene intensive „Gesprächsbeziehung“ mit ihrer Großmutter zum Anlass, um das europäische Oral History-Filmprojekt THE EUROPEAN GRANDMA PROJECT zu realisieren. Unter dem Motto „Grandmothers telling their versions of European history“ startete sie 2015 einen europaweiten Aufruf und fand acht gleichgesinnte Filmemacherinnen, die in Israel, Griechenland, Italien, Island, Bulgarien, Russland, England, der Türkei und Österreich parallel zueinander ihre Großmütter porträtierten. Diese, in den 20er und frühen 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts geborenen Frauen, erzählen darin ihren filmenden Enkelinnen von Krieg, politischen Umwälzungen, Liebe und Alltag zu ihrer Zeit in Europa. Neben dem Eröffnungsfilm The European Grandma Project werden in der Kulturtankstelle im Kulturquartier von 25.–30. April außerdem die ungekürzten Porträts der neun Großmütter gezeigt.

Mars Attacks

Österreich fühlt sich grad manisch-depressiv an. Dieses Land gibt mir mehrmals täglich Gründe dafür entweder himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt zu sein. Da liegen oft nur wenige Stunden dazwischen. Einerseits hat das Jahr mit einigen ganz großartigen Begegnungen begonnen, bei denen sichtbar wurde, wie viele gescheite Frauen sich aktuell zusammentun und wie das geht und was sich ereignet, wenn sie sich zusammentun. Das gab und gibt nach wie vor so etwas wie Hoffnung oder – yeeeeah – Frühlingsstimmung. Und andererseits schlittert Österreich parallel dazu in eine der reaktionärsten, dunkelsten Phasen, mit einem Schlittenhund von Vizekanzler, der – nein, ich mag jetzt nicht aufzählen, was der in den letzten Woche gesagt, widerrufen, wieder gesagt und gegen wen er gehetzt hat – und einem Bundeskanzler, der einfach nicht in der Lage zu sein scheint, zu erkennen wie demokratiepolitisch gefährlich das alles ist. Der das Treiben der Rabauken nicht nur nicht mahnend kommentiert, sondern sich wie ein Kind benimmt, das sich die Hände vor die Augen hält und meint, die Welt verschwinde und – tataaa! – sei wieder da.

Möglicherweise müsste ihm das einfach jemand sagen: Ja, doch, das alles passiert wirklich um Sie herum, Herr Bundeskanzler, Strache sagt das tatsächlich und er meint das auch genau so, egal, wie oft er mit Hundeblick beteuert, dass alles nicht so gemeint war, und es ist an Ihnen, rassistische, antisemitische, europa- und demokratiefeindliche und all jene Äußerungen, die sich gegen die Freiheit der Presse richten zu kommentieren und aufs Schärfste zu verurteilen.

Möglicherweise aber sagt ihm das eh jemand und möglicherweise vergeblich, denn möglicherweise hat er einfach keinen blassen Schimmer, was mit Politikern, die verdrängen, passiert, wenn sie sich mit rücksichtslosen Extremen einlassen und auf deren kalmierende Versprechungen hereinfallen? Ich frage euch: Hat dieser Mann denn niemals Mars Attacks gesehen?

Wir erinnern uns: Mars Attacks – wer rettet die Erde da? Eine Oma mit ihrem Enkel und viel Volksmusik. Genau. Behaltet den Gedanken mal eine Weile. Kulturelle Hegemonie und so. Ich streichle meine Goldhaube schon ein Weilchen intensiver …

Wenn es nämlich nach einem FPÖ-Politiker aus Tirol geht, liegt unsere Chance ein Stück weit genau da: Markus Abwerzger (seine Fans auf Facebook muss man immer mal dran erinnern, dass er so und nicht Abzwerger heißt, und ja, ich bin tatsächlich so leicht zu unterhalten), meint nämlich zum Thema Kulturpolitik in einem Interview mit der Tageszeitung Der Standard, dass „feministische und queere Kunst“ keine öffentlichen Gelder mehr bekommen sollten, dafür aber wolle er „die Tradition und das gelebte Heimatbewusstsein in Tirol (…) fördern, weil es kulturstiftend ist und man damit die Masse erreicht.“ Gramsci schimmert nun also bis ins tiefste Tirol, und, nachdem ihn die deutsche Neue Rechte im Mund gehabt hat, darf auch der Tiroler Lokalpolitiker dran lutschen. Im Umkehrschluss bleibt bloß übrig, uns in Trachtenvereine einzuschleusen. Allerdings erweckte ich schon als Kind bei diversen Trachtenumzügen in meiner Herkunftsstadt trotz Goldhäubchen, Tracht und großem Bemühen um Mimikry offenkundig massives Misstrauen – lasst es uns dennoch ins Auge fassen.

Generell finde ich ja, dass wir viel mehr Chuzpe und vor allem Freude an Aneignung entwickeln könnten und dieses Spiel keinesfalls den Konservativen und Rechten überlassen sollten, sondern damit beginnen, mit großer Selbstverständlichkeit Dinge einzufordern: Frauenpolitikerinnen mit frauenpolitischem Bewusstsein etwa. Das Ende von all male Panels. Das Ende von Frauenverstehern und Mithelfern im Haushalt. Das Ende von Missbrauch. Das Ende des unlauteren Vermischens von Sexualität und Missbrauch. Und noch vielem mehr. Diskutiert und gefragt haben wir, unsere Mütter und unsere Großmütter immerhin lang genug. 2018 wird nicht mehr gefragt, 2018 wird nur noch gefordert. Das so strikt durchzuziehen, ist anstrengend und ich bin irre müde und nicht selten grantig. Weil es mich deprimiert, wenn ich sehe, dass wir seit Generationen auf verlorenem Posten antreten: gegen Dummheit, gegen Vereinfachung, gegen Gewalt. Und auch gegen Frauen, die sich stockholmsyndromartig nicht gegen die Vereinnahmung und Instrumentalisierung durch Männer zur Wehr setzen, weil sie meinen, sie würden dann ihre Sexualität, ihre Weiblichkeit etc. verlieren. Der Blick von außen ist bei manchen eben immer noch stärker und wird als notwendiger erachtet als das eigene (Selbst)Bewusstsein. Und gleichzeitig: wenn wir uns vergegenwärtigen, wie viele vor allem junge Frauen* in ganz unterschiedlichen Gruppierungen oder/und auch „nur“ für sich selbst aktuell klar und deutlich Stellung beziehen, keine Angst haben, dann ist das großartig. Längst hat eine neue Generation begonnen, zu hinterfragen in welcher Form – wenn überhaupt – von Beziehung sie leben wollen. Es ist die Zeit der Supernichten/neffen und Supersöhne/töchter angebrochen, die sich allesamt daran machen, ein sehr breit und offen angelegtes Bild von Gesellschaft zu entwickeln und zu leben und selbst wenn sie sich etwa auf ein eher klassisches Bild von Familie am Land eingelassen haben, mit großem Selbstbewusstsein ihre Mutter/Vaterrolle neu und vor allem selbst zu definieren. Wenn Frauen* die Forderungen anderer Frauen* unterstützen können, auch wenn diese nicht zu hundert Prozent den eigenen entsprechen, dann ist das zukunftsgewandt und demokratisch reif. Wenn junge Frauen* etwa im Kunstbereich (und überall anders) ein Gefühl dafür entwickeln, was ihre Arbeit wert ist und sie entsprechende Honorare fordern, dann ist das notwendig und richtig. Und wenn sich Frauen* über Partei- und Ideologiegrenzen hinweg endlich zusammentun und ein Frauen*volksbegehren auf die Beine stellen können, dann gibt das Hoffnung, so pathetisch sich das nun auch anhören mag.

Und jetzt geht hin, zieht eure Lederhosen an, lernt Jodeln, schnappt eure Omas und gründet queer/feministische Trachtengruppen! Wer von uns kann schon sagen, ob es nicht morgen bereits notwendig sein wird, gegen die Marsians mit Jodelklängen zu Felde zu ziehen.

Frauenland retten

Ihre Mitarbeiterinnen engagieren sich für Frauen, deren Leben meist von Armut und Ausgrenzung geprägt ist, doch jetzt sind drei wichtige Anlaufstellen in Gefahr: Knapp vor Weihnachten wurde den Frauenberatungsstellen maiz, FIFTITU% und Arge SIE nämlich eine gar nicht frohe Botschaft überbracht: Die 100%ige Streichung der bisherigen Förderung aus dem Frauenreferat OÖ.

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Wenn ich mit einem wachen Blick durch die Stadt gehe, werde ich ihnen begegnen: der Migrantin, der Asylwerberin, der wohnungslosen Frau oder der Migrantin in der Sexarbeit. Ich könnte aber auch mit einer Künstlerin oder Kulturschaffenden sprechen, die nach individueller Information und Vernetzung sucht. Natürlich kann ich diese Frauen völlig aus meiner Wahrnehmung ausblenden, doch das ändert nichts an ihrem Leben, das meist nur von einer schwankenden Basis gestützt wird.

 

„Wir sind kürzlich umgezogen, denn die Miete in der Altstadt ist zu teuer geworden“, erklärt mir Luzenir Caixeta vom Verein maiz, Autonomes Frauenzentrum von & für Migrantinnen, als ich mich mit ihr und drei weiteren Frauen – Oona Valerie Serbest, Karin Falkensteiner und Bianca Wieland – im neuen maiz-Büro in der Linzer Scharitzerstraße treffe.

Die Frauen arbeiten zwar teils in unterschiedlichen Vereinen, es verbindet sie aber nicht nur ihr Engagement für Frauen, sondern momentan auch dieselbe missliche Lage, aus der sie jetzt einen Ausweg suchen. Es handelt sich dabei um maiz, um Arge SIE, Beratung, Begleitung und Wohnen für wohnungslose Frauen, und um FIFTITU%, Anlauf- und Vernetzungsstelle für Künstlerinnen und kulturschaffende Frauen. Diese Vereine – das sei betont – kümmern sich nicht etwa um die Freizeitgestaltung von Frauen, sondern um jene, die dringend Unterstützung suchen und die sich zum Großteil in akuten existentiellen Notlagen befinden. Maiz etwa berät derzeit jährlich 400 Migrantinnen in sieben Sprachen und Arge SIE 240 wohnungssuchende Frauen.

 

Was ist geschehen? Kurz vor Weihnachten wurden Mitarbeiterinnen der drei Frauenberatungsstellen zu Einzelgesprächen ins Frauenreferat des Landes Oberösterreich zitiert. Ihre Arbeit, so wurde ihnen jeweils mitgeteilt, gehöre nicht mehr zum sogenannten Kerngeschäft des Frauenreferats und aus diesem Grund werde die Förderung – insgesamt rund 60.000 Euro – umgehend gestrichen. Die Leiterin des Frauenreferats des Landes Oberösterreich, Beate Zechmeister, führte als Argument an – so erzählt mir Karin Falkensteiner von Arge SIE –, „dass die Zielgruppen der drei Vereine zu spezifisch seien, daher solle die Förderung aus anderen Bereichen kommen.“ Was denn unter einem Kerngeschäft zu verstehen sei, wurde den zuständigen Frauen nicht erläutert, und auch mir ist es nicht wirklich verständlich. Um die Lücke meiner Allgemeinbildung dahingehend zu schließen, ziehe ich den klugen Duden zu Rate, der mich wie folgt aufklärt: Ein Kerngeschäft ist ein „wichtiger, zentraler geschäftlicher Bereich; Geschäftsfeld, auf das sich ein Unternehmen o. Ä. spezialisiert“. Diese Definition verwirrt mich, schließlich zeigte sich vor allem die Spezialisierung der drei Vereine als Hindernis für eine weitere Förderung, so jedenfalls die Argumentation seitens der Politik. Keine Frage aber, dass die jahrelange Erfahrung und Spezialisierung der Mitarbeiterinnen für die ohnehin an die Peripherien der Gesellschaft gedrängten Ratsuchenden nur von Vorteil sein kann, aber das nur nebenbei.

Als ein anderer wesentlicher Punkt stellt sich die Frage, aus welchen „anderen Bereichen“ denn die notwendigen Gelder fließen sollten, denn bereits in den vergangenen Jahren wurden die Förderungen auch von anderen Seiten gekürzt.

Angesichts dieser Entwicklungen könnten wir jetzt natürlich auch über das Gesellschafts- und Frauenbild der politisch Entscheidenden zu sinnieren beginnen, und auch darüber, worauf wir uns denn künftig einstellen müssen. Ist das Leben, der Alltag von Migrantinnen, der obdachlosen oder akut wohnungssuchenden Frauen nur von geringer Relevanz? Sollen ihre Probleme an den Rand gedrängt werden, das Stadtbild nicht stören? Welches Signal sendet ein Frauenreferat aus, wenn es das Engagement gegen die Nöte der betreffenden Frauen nicht mehr als förderungswürdig erachtet?

Eine Leserin des Standard schreibt zu diesem Thema in ihrem Posting vom 17. Jänner 2018:

„Streichung von Fördermitteln für Migrantinnen, Kunst und Kultur und Beratung für wohnungslose Frauen – was für ein Klassiker … Kunst und Kultur – brauch ma ned, Migrantinnen sowieso nicht und auch das österreichische Heimchen hat am Herd zu bleiben.“

Der Vollständigkeit halber sei dazu erwähnt, dass natürlich auch inhaltlich gegenteilige Kommentare zu lesen waren. Doch kehren wir zurück zur Realität, dem Alltag der Vereinsmitarbeiterinnen und vor allem den Frauen, für die sie sich engagieren.

Ich frage Bianca Wieland und Karin Falkensteiner von Arge SIE, welche Konsequenzen diese Förderungsstreichungen für die betroffenen Frauen nach sich ziehen. Arge SIE ist gezwungen, die Wartezeiten zu verlängern, und muss an andere Stellen wie etwa FRIDA, das Tageszentrum für wohnungslose Frauen der Caritas, oder an die Notschlafstellen verweisen. Die Mitarbeiterinnen von Arge SIE können aber auch durch deren Spezialisierung, die sich jetzt offensichtlich als fatal entpuppt, gezielter für die Betroffenen arbeiten. Sie sind in der Lage, die Frauen zu beraten und auch psychosozial zu begleiten, ohne bei ihnen eine Opferrolle zu forcieren. Die komplette Streichung der Fördermittel seitens des Frauenressorts bedeutet für Arge SIE nun einen Verlust von einem Viertel des Jahresbudgets.

Maiz – der Verein berät und unterstützt Migrantinnen und geflüchtete Frauen rund um die Themen Arbeit, bei familiären Angelegenheiten und Fragen, Diskriminierung und Bildung – hat, um den laufenden Betrieb halbwegs fortführen zu können, bereits reagiert: Neben der Reduktion von Sachkosten, musste die Arbeitszeit von Mitarbeiterinnen gekürzt werden, Luzenir Caixeta etwa hat sich für die Altersteilzeit entschieden. Auch der Verein FIFTITU%, der sich für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Frauen in Kunst und Kultur einsetzt, ist, so Oona Valarie Serbest, gezwungen, Mitarbeiterinnen zu entlassen und Serviceleistungen einzustellen.

Als die vier Frauen von ihrer jetzigen Situation und möglichen Perspektiven sprechen, setzt sich in meinem Kopf ein Stichwort fest: Ehrenamt! Auch die drei Mitarbeiterinnen der betroffenen Vereine arbeiten jetzt weit über ihr Pensum hinaus, um die dringend nötigen Aufgaben zu bewältigen, die Frauen, die zu den Vereinen kommen, nicht im Stich zu lassen. Unter Ehrenamt wird altruistisches Handeln verstanden, soll dieses altruistische Handeln auch die Pflichten des Staates übernehmen und kann einstmals bezahlte Arbeit ins Ehrenamt münden?

Ein Zitat dazu aus der wissenschaftlichen Arbeit Ehrenamt zwischen Engagement, Instrumentalisierung und Selbstregulierung von Ursula Ebel:

„Foucaults Machtmodell steht für die Dynamisierung von Machtverhältnissen, die politische Förderung des Ehrenamts zielt auf die neoliberale Selbstorganisation und -führung im Ehrenamt ab. Aufgrund dieser Privatisierung einst öffentlicher Aufgaben werden die Tätigkeiten ihrer politischen Schlagseite enthoben. Ehrenamt fungiert nicht als individuelles Befreiungsideal fern neo­liberaler Politiken.“

Rechnet die Politik in selbstverständlicher Weise mit unbezahlter Arbeit bei einer Arbeitnehmerin, einer Frau? Vielleicht eher als bei einem Mann, oder wird es gar vorausgesetzt? Falls dem so sei, aus welchem Grund eigentlich? Wird die Arbeitskraft einer Frau geringer eingestuft als die eines Mannes? Das bleiben Vermutungen, die ich hier so stehen lassen will.

Da die zuständigen Frauen der drei Vereine die Streichung der bisherigen Förderungen keinesfalls akzeptieren möchten, haben sie in ihrer Freizeit die Kampagnenaktion Frauenlandretten ins Leben gerufen. Seit dem Start können Unterstützungsmails an Landeshauptmann Thomas Stelzer und Landesrätin Christine Haberlander (beide ÖVP) geschickt werden, um die Dringlichkeit der Förderungen zu betonen, Solidarität mit den Beratungsstellen zu zeigen. Den Vereinen wiederum wurde von politischer Seite geraten, sie sollten versuchen, durch Crowdfunding Gelder zu lukrieren. Jede und jeder, die oder der sich schon einmal bemüht hat, eine Crowdfunding-Aktion auf die Beine zu stellen, weiß, wie aufwendig und zeitintensiv dieser Prozess vor sich geht. Und damit schließt sich hier der Kreis zum aufgezwungenen Ehrenamt.

 

Kampagnenaktion: frauenlandretten.at

Arge SIE, arge-obdachlose.at/arge-sie

FIFTITU%, Vernetzungsstelle für Frauen in Kunst und Kultur OÖ, www.fiftitu.at

maiz, Autonomes Zentrum von und für Migrantinnen: www.maiz.at

Start Gangs – Stop Street Harassment!

Femsploitation-Filme und feministische Street Art Projekte: Sarah Held fragt nach dem Einfluss von Femsploitation auf die feministisch-aktivistische Kunstpraxis der Girl Gangs. Oder: Bildet Banden gegen Alltagssexismen!

There are no gangs around here. Foto Tobias Frindt

There are no gangs around here. Foto Tobias Frindt

Switchblade Sisters und weitere Exploitationfilme haben feministische Bewegungen einerseits inspiriert und andererseits wurden Filmproduktionen von feministischer Seite beeinflusst. So war es nicht verwunderlich, dass im transgressionsbereiten Kino der 1970er Jahre die Grenzen von stereotypen Geschlechterrollen überschritten wurden und mit klassischen Zuschreibungen von Sex und Gender experimentiert wurde. Der Exploitationfilm definiert sich als Low-Budget-Filmegenre, das in der Regel von expliziten Gewaltdarstellungen und sexuellen Handlungen geprägt ist. Allgemein werden die Grenzen zur Hardcore-Pornografie selten bis kaum überschritten. Das Genre weist viele themenspezifische und selbsterklärende Subkategorien, wie beispielsweise Sex- oder Blaxploitation auf. An dieser Stelle ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass in den 1970er Jahren schwarze Schauspieler*innen, Re­gisseu­r*innen etc. noch stärker aus dem Filmgeschäft ausgeschlossen waren als heute. Die Nischenproduktionen der Low-Budget-Filme boten somit schwarzen Akteur*innen (Blaxploitation) und Frauen (Femsploitation) die Möglichkeit, außerhalb des Mainstreams in Hollywood und den damit verbundenen Marktmechanismen als aktive Subjekte aufzutreten und selbstbestimmt Schlüsselposition bei (eigenen) Filmproduktionen zu besetzen.

Nicht nur die Roughies, also sexlastige und gewaltreiche Untergrundfilme, wie Russ Meyers Faster Pussy Cat Kill Kill!! (1965), sondern gerade Jack Hills Werke Switchblade Sisters oder Foxy Brown (und damit auch Pam Grier) regten zu feministischen Analysen an (siehe z. B. Feminale in Köln, 2000). Jack Hills bis Mitte der siebziger Jahre entstandene Filme können durchaus als von der zweiten Welle der Frauenbewegung geprägt bezeichnet werden. Sie zeigen selbstbestimmte Frauen im exploitativen Film und sind Teil des Subgenres Femsploitation. Es soll hier nicht der Eindruck einer feministischen Verklärung von Filmen, die (splatternde) Elemente an der Schnittstelle von Weiblichkeit, Sex und Gewalt zeigen, entstehen. Diese Filme wurden vorwiegend von Männern für Männer unter kapitalistischen Interessen produziert. Nichtsdestotrotz hat das exploitativ arbeitende Grindhousekino eine Vielzahl interessanter Filme hervorgebracht, die trotz literweise vergossenem Frauenblut, Vergewaltigungsszenen und blutigen Hexenjagden feministisch gelesen werden können. Es ist eine große Bandbreite an (wissenschaftlichen) Auseinandersetzungen mit Gender- und Exploitationfilmen entstanden. Diese erstreckt sich von diversen Publikationen, über Podien, bis hin zu Ausstellungen rund um das Thema. Aber wie ist es um deren Einfluss auf feministisch-aktivistische Kunstpraxis bestellt?

Das feministische Street-Art-Projekt Girl Gangs against Street Harassment wurde von Hills Switchblade Sisters stark geprägt. Frauen, die als starke gemeinsame Einheit auftreten und sich mit Waffen gegen gewalttätige Männer, wie auch gegen Staatsgewalt auflehnen, waren äußerst inspirierend für das Projekt. Die Frauengang in Switchblade Sisters strahlt einfach eine Coolness und Stärke aus, die heute noch wirkt und die heute noch immer gebraucht wird, um alternative Rolemodels zu generieren. Getreu dem Motto „Bildet Banden gegen Alltagssexismen“ praktiziert das Girl-Gang-Projekt eine subversive feministische Raumaneignung. Street Harassment wird gesellschaftlich häufig als Kompliment aufgefasst oder gar als schmeichelhaft bezeichnet, zudem geht damit oft eine Bagatellisierung einher. Dass für viele Frauen aggressives Flirtverhalten und sexuell-bezogene Bemerkungen das unbeschwerte Nutzen des öffentlichen Raums teils tabuisieren und somit den lockeren Aufenthalt darin schmälern können, wird im Mainstreamgespräch oft außer Acht gelassen.

Aufgeklebt werden die Girl Gangs an öffentlichen Unorten, wie beispielsweise dunklen Unterführungen, abgelegenen Wegen oder sie werden gezielt an Plätzen installiert, an denen häufig Street Harassment praktiziert wird. So markieren sie Plätze im öffentlichen Raum und machen diese Form des Alltagssexismus sichtbar. Die Girl Gangs versuchen mittels Cut-Up-Techniken (dabei handelt es sich um eine Collagentechnik auf Papierbasis) aus der stark männlich dominierten Street Art auf Street Harassment aufmerksam zu machen. Das Projekt ist eine visuelle Attacke gegen die verbreitete Praxis Frauen auf ihr äußeres Erscheinungsbild und ihre sexuelle Attraktivität zu reduzieren. Das Cut-Up zeigt eine gewaltbereit wirkende Girl Gang, bestehend aus lebensgroßen Fotoprints der Frauen. Die Girls lächeln die Betrachtenden nicht lasziv oder freundlich an, ganz im Gegenteil, sie sind bewaffnet mit Baseballschlägern, Äxten sowie dergleichen und starren die Betrachtenden bedrohlich an und entwerfen einen gegensätzlichen und unerwartet gewaltbereiten Entwurf von Weiblichkeit im öffentlichen Raum. Neben der Kennzeichnung von Street Harassment als ernstzunehmendes Problem, gilt es, Frauenbilder in der Werbung zu diversifizieren und im urbanen Raum einzugreifen. Die Paper Girls suggerieren zudem ein visuelles Gemeinschaftsgefühl. Die dunkle Unterführung wird zwar dadurch nicht weniger gefährlich, allerdings vermitteln die Paper Gangs gemeinschaftlich „Du bist nicht allein!“ und tragen so dazu bei, das vom Ort verursachte Unbehagen zu verringern. Das Projekt weist Parallelen zur Riot-Grrrl-Bewegung der 1990er Jahre auf. Dabei handelt es sich um ein feministisches Subkulturphänomen, das seinen Ursprung in den USA hat und mit dem Ziel entstanden ist, in der männlich dominierten Hardcore- und Punkszene aktiv zu partizipieren. Die Anhänger*innen der Bewegung gründeten Bands, publizierten Zines und veranstalteten Konzerte mit feministischen Bezügen. Die Bewegung war signifikanter Teil des Third-Wave-Feminism und verband auf unprätentiöse Art die Punk- und Hardcore-Subkultur mit einem feministischen Habitus. Feministische Theorien wurden vom trockenen Hörsaalcharakter entstaubt, auf die Straße getragen und somit einem Personenkreis zugänglich gemacht, der sonst möglicherweise keine Berührungspunkte mit feministisch-theoretischen Inhalten gehabt hätte. Ähnlich wie die Riot Grrrls subkulturellen Raum (zurück)eroberten, nehmen sich die Girl Gangs mittels Papier­avataren öffentlichen Raum und machen dabei nicht nur auf Street Harassment aufmerksam, sondern intervenieren gegen eindimensionale Weiblichkeitsinszenierungen im Kontext von Werbung. Die Girl Gangs setzen dabei auf eine radikale Bildsprache. Dabei gilt es hervorzuheben, dass das Projekt vom Exploitationkino der 1970er im Allgemeinen und vom B-Movie Switchblade Sisters im Besonderen inspiriert wurde. Hier findet keine Glorifizierung gewalttätiger Gruppierungen statt, sondern es wird ein subversiv-affirmativer Habitus praktiziert. So wie Grindhouse-Filme mit einem Augenzwinkern gesehen werden können, sollte auch die Bewaffnung der Girl Gangs als ein symbolischer und nicht als tatsächlicher Aufruf zur Gewalt gelesen werden. Gerade das Spiel mit dem Radikalen einerseits und Stereotypen andererseits im Kontext sexistischer Werbung im Stadtraum macht das Projekt besonders interessant. So entstehen unterschiedliche Wechselwirkungen, wenn eine Frauengruppe im Plakatformat zur Abwechslung mal nicht zu einem „Frauenabend“ zusammenkommt, sondern als bewaffnete und kampflustige Einheit in Erscheinung tritt.

Es lassen sich auch deutliche Parallelen zwischen den Maximen der Riot Grrrl-Bewegung und Switchblade Sisters ausmachen. Der Song Rebel Girl der Band Bikini Kill (Pussy Whipped, 1993) avancierte zur Hymne des feministischen Punksubgenres. Kathleen Hanna besingt weiblichen Zusammenhalt als Sisterhood und prägt damit die Haltung und Identifikation einer neuen aggressiven Girlkultur im Third-Wave-Feminismus. Sie und viele andere aktive Frauen schafften sich eigene, selbstbestimmte Rolemodels oder wurden selbst welche.

Eine ähnliche Verschwesterung ist im Plot von Switchblade Sisters zu finden. Der Film ist zwar von männlicher Gangdominanz der Silver Daggers gegenüber den Dagger-Debs, weiblicher Gegenpart der Männergang, geprägt. Das zeichnet sich durch Zwangsprostitution, Vergewaltigung sowie Machtspiele und Unterdrückung der Frauen ab. Zudem wird ebenfalls nicht wenig Handlungszeit auf die Inszenierung von Eifersucht und das Spinnen von Intrigen verwendet. So ist die Message des Films doch klar ein Appell an Frauen, sich aus männlicher Dominanz zu befreien und sich von eifersüchtigen Intrigen zu lösen. Das wird an mehreren Stellen deutlich, beispielsweise, wenn Protagonistin Maggie die Jezebels als unabhängige Frauengang ins Leben ruft und apodiktisch die feministische Etymologie des Begriffes postuliert. Damit schreibt Regisseur Hill Switchblade Sisters dezidiert in den Diskurs von Frauenemanzipation ein und referenziert auf feministisch gelesene Geschichtsfiguren. Im Film zeichnet sich dieser Sachverhalt im Zwiegespräch zwischen Maggie und der Leaderin der schwarzen Frauengang ab. Besonders markant zeigt sich die Verbundenheit der Frauengang, die gar als Blutsgeschwisterschaft bezeichnet werden kann, bei der Verhaftungsszene am Ende des Films. Statt dem im Plot als Running Gag verwendeten „There are no gangs around here“ bekennen sich alle Frauen geschlossen als Mitglieder der Jezebels und stehen somit gemeinsam füreinander ein. Diese Einschreibung verdeutlicht die Einigkeit und Einheit der Gruppe. Der Ausschluss der intriganten Figur Patch kann als Metapher dafür gelesen werden, dass sich die Frauengang von eifersüchtiger Zwietracht losgelöst hat.

Es wird hier ein ähnlicher Zusammenhalts­ethos erzeugt, der nicht nur in der Popkultur, vor allem unter Männern reproduziert wird. Das (Blutsbrüder)motto „Blut ist dicker als Wasser“ wird zum Sinnbild von Frauenfreundschaft umgedeutet. Daher zum Schluss ein pathosgeschwängertes: There are no boys around here.

Kunst im öffentlichen Raum

Foto Häferl

Foto Häferl

#WeTogether

Eine starke Frau brachte den Stein ins Rollen und nun wackeln die Berge im fernen Tirol sogar unter der Erde. Die Alpen-Helden waschen den ÖSV wahrlich nicht rein. Seinerzeitige Vertuschungsinterventionen der höchsten Politik und heutige VertuschungshilfeleisterInnen aus höchst amoralischem Regierungsumfeld tun nichts Gutes zur Sache. Eigentlich eine Staatsaffäre, trotzdem oder gerade deswegen (?!) wanderte die Berichterstattung nach Tag 1 der Enthüllungen in den Sportteil, zumindest auf derStandard.at.

Im Gegensatz zum ÖSV, der sich in seiner patriarchalischen Eitelkeit gekränkt fühlt und eine PR-Beraterin engagiert, oder dem aktuell Beschuldigten, der sich hinter einem windigen Anwalt im Selbstmitleid suhlt (O-Ton Charly Kahr: „Mir bleibt nix erspart“), geht Nicola Werdenigg, oben erwähnte starke Frau, einen anderen Weg und gründet #We Together, eine Initiative gegen Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt im Sport. Auf dieser Plattform finden Opfer Anlaufstellen und Interessierte Maßnahmen zur Prävention.

Dort macht sie aber auch öffentlich, dass die von politischer Seite angekündigte Studie „Sexualisierte Gewalt im Österreichischen Sport“, noch immer nicht in Auftrag ist und fordert eine rasche Umsetzung. In Österreich fehlen jegliche Zahlen zu Missbrauchsfällen im Sport. Mit der Prävention betraute das Sportministerium den hauseigenen Verein „100% Sport“, der ebenso eine Studie ankündigte und ebenso wenig beauftragte. Die ExpertInnen und Strukturen für einen Forschungsauftrag an der Sportuniversität in Wien sind vorhanden. Der politische Wille fehlt.

Auch wenn sexualisierte Gewalt gerade ein großes Thema in der Gesellschaft ist, sollte nicht darauf vergessen werden, dass die Schieflage zwischen den Geschlechtern in anderen Bereichen ebenso steil ist. In Österreich wird sich die schlechte Lage angesichts der konservativen Einstellung und Politik der Regierung, v. a. ihrer weiblichen RepräsentantInnen, noch weiter verschlimmern. Die Frauenangelegenheitsvertreterin findet, dass die Forderungen „30 h-Woche für alle“ und „flächendeckende 50% Geschlechterquote“ zu weit gehen. Ist ja wirklich unverschämt, dass 50% der Bevölkerung auch zu 50% repräsentiert sein will. Jetzt dürfen sie doch eh schon wählen, diese „Angelegenheiten“, was wollen sie denn noch alles?!

Für eine 50%-Frauenquote spricht vieles. Der Sport in Österreich ist eine von Männern dominierte Welt. Die gläserne Decke für Frauen hängt sehr tief, gleich über dem Ehrenamt. Frauen, obwohl oftmals die Fähigsten für einen Posten, werden aufs Abstellgleis gestellt und nicht berücksichtigt, könnten sie doch alte Strukturen aufbrechen und z. B. das Förderwesen transparenter und effizienter machen („Das geht wirklich zu weit“). Die Geschäftsführung der neu gegründeten Bundes Sport GmbH bilden zwei Männer. Sie verteilen 120 Millionen an Steuergeldern als Förderungen. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats ist Armin Assinger!!, was den dafür qualifiziert, weiß niemand. Neben zwei weiteren Männern aus der BSO findet sich dort überraschenderweise doch noch eine Frau, weisungsgebunden ans BM für Finanzen.

Wenn Männer in Gremien sich gegenseitig die Posten zuschieben, haben wir Frauen keine Chance. Wir kommen ohne Quote nicht in Entscheidungspositionen und der damit verbundenen Macht!! Und wir wollen Macht. Macht auf allen Ebenen.

Dass es bei Gleichstellung auch wirklich um Gleichstellung gehen kann, zeigte der norwegische Fußballverband und zahlt ab 2018 den Nationalteams der Frauen und Männer die gleichen Gehälter und Prämien. Die Männer, die nun etwas weniger bekommen, willigten nur unter der Bedingung ein, wenn die Frauen auch die gleichen Rechte bekämen (Arbeitsverhältnis). DAS ist gelebte Gleichstellung.

 

Tipp: Weltfrauentag am 8. März

Feminismus & Krawall

Am Weg zur Demo das Frauenvolksbegehren unterschreiben,

ab 15.30 h AEC-Platz,

17.00 h Aufbruch!

20.00 h im GFK-Central: WIR BLEIBEN. TANZEN GEGEN DAS VERSCHWINDEN

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Der berührende Stressfaktor Kunst

Bernadette Huber ist bekannt für künstlerische Projekte, die in sehr unterschiedlichen Räumen und Kontexten umgesetzt werden. Über Bernadette Hubers Arbeiten, über Feminismus, Arbeitswelt und über einen humanistisch-ironischen Stressfaktor Kunst schreibt Elisabeth Lacher.

In Ausstellungsräumen wie im öffentlichen Raum thematisiert Bernadette Huber gesellschaftspolitische Fragestellungen und legt dabei besonderen Wert auf einen feministischen Blickwinkel. Mit verschiedenen künstlerischen Mitteln greift sie in die Alltagsrealität der Menschen ein und fordert sie dadurch heraus, sich gesellschaftlichen Problemstellungen und Tabus zu stellen. Hubers vielschichtiges Werk zeichnet sich durch eine unglaublich große Liebe zum Detail, eine sinnliche Verspieltheit und ein humoristisches Augenzwinkern aus. In ihren Arbeiten zu Frauen, Sexualität und Körperlichkeit versteht sie Feminismus nicht als Vorschreibung, sondern als immer wieder neu auszulotendes Phänomen. Bernadette Huber wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, unter anderem 1999 mit dem Staatsstipendium für Bildende Kunst und 2012 mit dem Gabriele-Heidecker-Preis. Ihre Arbeiten sind national wie international in Ausstellungen zu sehen, zuletzt im Belvedere, im Leopold Museum und dem Wien Museum wie auch im Schiele Art Centrum Krumau.

In der Projektreihe Kunst, die berührt realisierte Bernadette Huber bisher drei feministische Interventionen, die auf unterschiedliche Weise mit Frauenbildern einst und jetzt spielen. Als Trägermaterial setzt sie den Frauenkörper ein und entlehnt dabei zwei Gemälde aus dem 16. Jahrhundert – wohlgemerkt, und wohl auch der Zeit geschuldet, von Männern gemalt. Das Bildnis Gabrielle d’Estrées und eine ihrer Schwestern aus der Schule von Fontainebleau hängt im Louvre und zeigt eine sinnliche Darstellung von badenden Frauen. Im Vordergrund sitzen zwei unbekleidete Frauen am Wannenrand und eine Frau berührt die Brustwarze der anderen. Bernadette Huber verwendet dieses Bildnis für eine Neuinterpretation und montiert auf den Frauenkörpern ihr eigenes Gesicht, das von einer kunstvollen Frisur umrahmt ist. Unwillkürlich schleicht sich beim Betrachten der badenden Kunstfigur in gedoppelter Form ein stilles Schmunzeln ins Gesicht. Diese gelungene Übersetzung von klassischer Kunst in die Moderne ist der Künstlerin hier außerordentlich gut gelungen und berührt die BetrachterInnen auf sehr persönliche und humoristische Art und Weise.

Im Jahr 2015 war die Arbeit in der Linzer Galerie Paradigma als digitaler Druck auf Plane und als Installation im Ausstellungsraum zu sehen. Vergangenen Sommer brachte Huber das Bildnis als Teil einer Ausstellung auch in den öffentlichen Raum der Stadt Steyr: so durfte es für knapp zwei Monate mit dem Stadtbus fahren: als Folie an der Rückwand des Fahrzeugs.

Bernadette Huber erläutert: „Für mich war das Interessante dabei, dass man im öffentlichen Raum auf einem Stadtbus anstelle von Werbung auf Kunst trifft: auf Kunst, die berührt. Anders als bei anderen Projekten in Steyr bin ich dieses Mal als Künstlerin nicht anonym geblieben, sondern die Kunstfigur HuberNADETTE schlüpfte in die Rolle der badenden Frauen. Darunter waren mein Logo und eine Telefonnummer aufgedruckt, die ich für das Projekt eingerichtet hatte. So konnten die Steyrerinnen und Steyrer direkt mit mir in Kontakt treten. Ich war sehr gespannt darauf, wie sie darauf reagieren würden. Schließlich kann man nie genau sagen, was durch eine interaktive Kunstinstallation im öffentlichen Raum dann tatsächlich ausgelöst wird.“

Bemerkenswert an Kunst, die berührt ist der Bruch, der auf mehreren Ebenen erzeugt wird. Besonders Gemälde der klassischen Kunst implizieren einen erhebenden, stillen, kontemplativen Kunstgenuss. Sie vermitteln einen Kunstbegriff, der Kunst als Hochkultur mit ihrem festen Platz im Museum definiert. Diese Kunst aus dem ihr zugewiesenen Platz im Museum herauszureißen und in eine profane Umgebung zu setzen, verleiht dem Kunstwerk – und auch der Erotik, mit dem das Kunstwerk spielt – eine neue Dimension.

Bernadette Huber legt Wert darauf, mit ihren Werken nicht nur in Ausstellungsräumen präsent zu sein. Für sie persönlich hat interaktive Medienkunst im öffentlichen Raum einen besonderen Stellenwert, da sie so die Kunst mitten in die Lebensrealität der Menschen bringen kann. Besonders beschäftigt sie diesbezüglich auch der umgangssprachliche „Tratsch“ in einer Stadt. „Menschen glauben gerne das, was sie glauben wollen“. Dies wurde 2010 in einem Projekt verdeutlicht, das mit der Macht des Tratsches spielte und das Bernadette Huber gemeinsam mit Christina Hinterleitner realisierte. Mit Bar NADETTE – Die Macht des Tratsches. Ein Stresstest für Steyrdorf setzte Huber ihren Wohnort einem regelrechten Stresstest aus und kündigte die Eröffnung eines erotischen Etablissements mitten im Stadtviertel Steyrdorf an.

Bernadette Huber verklebte die Fenster eines Altbaugebäudes mit himbeerroter Folie und Logo der Bar NADETTE und montierte ein dazugehörendes Türschild, das kunstvoll gestaltet auf das erotische Etablissement hinwies. Ein Flyer wurde via Postwurf an den Stadtteil geschickt und kündigte die Eröffnung des Bordells mitten im Herzen der Altstadt von Steyr an. Die ausgewiesene Webseite www.barnadette.at versprach erotischen Genuss auf höchstem Niveau mit diversen, lustvollen Damen und Herren.

In unmittelbarer Nähe zum ersten Weihnachtsmuseum Österreichs ein neues Puff? Zahlreiche Nachfragen und auch Beschwerden gingen damals ein. Die Bevölkerung war ratlos, was es mit der Bar NADETTE auf sich hatte. Schließlich kam ein Schreiben von der Stadtverwaltung an die „Damen und Herren der Bar NADETTE“ mit der Aufforderung, die Folien zu entfernen und hier kein Etablissement zu errichten, da es dafür schlichtweg keine Bewilligung gäbe.

Doch die Schaufensterverklebung blieb bis zur angekündigten Eröffnung als erotische Versprechung bestehen. Erst am Tag der Eröffnung entfernten rot gekleidete Personen – organisiert als Flashmob – die Schaufensterverklebung und enttarnten die Bar NADETTE als Fake-Bordell. In den Schaufenstern montierte die Künstlerin den Hinweis, dass Menschen alles glauben, was sie glauben wollen. Als Trost für diejenigen, deren Vorfreude enttäuscht wurde, gab es einen Wegweiser zu den anderen Bordellen in Steyr, inklusive Angabe der Gehminuten.

Bernadette Huber wurde für dieses Projekt mit dem Gabriele-Heidecker-Preis ausgezeichnet. Vor allem gelang ihr mit dieser Arbeit, auf künstlerisch-interaktive Weise das Thema käufliche Liebe, Prostitution, Tabu und Doppelmoral mit dem Tratsch einer Kleinstadt zu verknüpfen.

Die Künstlerin beschäftigt der Tratsch als interaktives Mittel auch weiterhin in ihren Kunstprojekten: „Für mich hat sich der Tratsch als Möglichkeit der Interaktion mit dem Publikum aufgetan. Mich interessiert daran die Vielschichtigkeit, die mögliche Interaktion, die Überschreitung beziehungsweise Provokation: Was kann der Katalysator des Tratsches sein, was ist Gesprächsstoff? Der Tratsch kann durch meine Projekte initiiert werden, aber dann nicht vorausgesagt oder beeinflusst werden. Für mich selbst ist das dann auch immer ein Stresstest, da ich in den Vorbereitungen zu einem Projekt nie weiß, wie sie ausgehen werden. Das ist immer eine Herausforderung, aber mein Interesse daran ist ungebrochen.“

Anlässlich des Festivals der Regionen 2015 in Ebensee realisierte Bernadette Huber eine sehr poetische Arbeit, mit der sie auf eine immer härtere und menschenfeindlichere Arbeitsrealität hinweist. Sie thematisiert mit In die Luft schauen die Fragilität von Erwerbsarbeit und die Austauschbarkeit von ArbeitnehmerInnen. „Wer nichts tut, fliegt“. Dieses Damoklesschwert, das über vielen ArbeitnehmerInnen hängt, dieser Imperativ, permanent tätig zu sein und genug tun zu müssen, wurde per Flugbanner als doppeldeutige Textbotschaft über Ebensee geflogen. Wer nichts tut, fliegt: Im wahrsten Sinne des Wortes oder übertragen als Grausamkeit des Arbeitsmarktes? Auch hier fehlt das humoristische Element nicht und brachte die EbenseerInnen dazu, in die Luft zu schauen, zu staunen und nachzudenken.

Mit einer zweiten Botschaft verweist Huber auch auf eine gewisse Härte der eigenen Arbeitsrealität als Künstlerin. Das zweite Banner, das per Flugzeug über Ebensee gezogen wurde, war mit SUCHE ARBEIT und Handynummer versehen: Teilweise skurrile, kreative oder auch überlegte Arbeitsangebote wurden auf die Mailbox gesprochen und per Soundinstallation in eine Ebenseer Gasse in den öffentlichen Raum zurückgespielt. Auf der Projekthomepage www.indieluftschauen.at sind die Arbeitsangebote weiterhin nachzulesen.

Der baldige 1. Mai würde sich übrigens gut für einen Besuch der Webseite und ein Nachdenken über Arbeitsrealitäten anbieten. Und angesichts der aktuellen politischen Situation bleibt wohl zu hoffen, dass Arbeitssuchende in Zukunft nicht zu solch drastischen Mitteln der Arbeitssuche greifen müssen, um künftig ihr tägliches Auskommen zu sichern …

 

www.bernadettehuber.at

Tipp für den 1. Mai: www.indieluftschauen.at