Hinters Wort und Licht geführt

„Framed“ hieß die im Kunstraum Goethestraße xtd im Oktober und November gelaufene Ausstellung, bei der die beiden KünstlerInnen Lotte Schreiber und Siegfried A. Fruhauf Arbeiten präsentiert haben, die im Bereich Film und Video angesiedelt sind. Tanja Brandmayr hat die Ausstellung besucht.

Foto Reinhard Winkler

Foto Reinhard Winkler

Mit Lotte Schreiber und Siegfried A. Fruhauf waren im Kunstraum Goethestraße eine Künstlerin und ein Künstler ausgestellt, die seit langen Jahren mit Film, Video und im Kontext dieser Medien arbeiten. „Framed“, der Titel der gemeinsamen Schau, bezieht sich dabei zuerst auf den „Frame“, das Einzelbild, die kleinste filmische Einheit des bewegten Bildes – also jenes nur einen Wimpernschlag dauernde Aufleuchten eines einzelnen Bildes, das vom bloßen Auge nicht wahrgenommen wird. „Framed“ verweist aber auch auf die Rahmensetzung oder einen Bearbeitungsmodus generell. Im Englischen kann mit dem Wort „Framed“ auch ein Hinters-Licht-Führen gemeint sein, was in schöner Weise auf die Illusionsmaschine Kino verweist. Und bereits auf einen wesentlichen Aspekt in Siegfried A. Fruhaufs Ansatz hinweist, der sich mit dem Licht als dem konstituierenden Element des Filmes schlechthin auseinandersetzt, um aber in seinen Arbeiten den „Apparat Kino“ in seine Bestandteile zu zerlegen. Jedenfalls, insgesamt etwa 20 Werke waren im Hauptraum, Untergeschoss und im angrenzenden Schaufensterraum des Kunstraumes präsentiert – als Bilder, Videos, Installationen und im Fall von Lotte Schreibers „Image Memory III“ auch als Eröffnungsperformance. Hier wurde das Schaufenster des Kunstraumes mit Zitaten von bekannten RegisseurInnen bis befreundeten FilmemacherInnen überzogen, was wiederum auf wesentliche Elemente in Lotte Schreibers Arbeiten hinweist – auf das Wort und die Erzählung als konstituierendes Element oder auch auf Figuren als bild- oder prozessgestalterische Elemente vs. schauspielernde AkteurInnen im klassischen Sinn.

Schreiber begann mit weiteren KünstlerInnen bereits einen Tag vor Ausstellungseröffnung das Schaufenster in weißen Lettern zu beschreiben, von innen und in Spiegelschrift. Wie kleinteilig diese Arbeit voranging, zeigte sich den BesucherInnen, als dieser installativ-performerische Zugang während der Eröffnung beobachtet werden konnte. Während sich von außen die RegisseurInnen-Sätze quasi mühelos entziffern ließen, offenbarte sich von innen ein hieroglyphenartiges Schriftbild, das sich auf den ersten Blick dementsprechend sinnentfremdet zeigte und auch mit Vorlage geschrieben werden musste. Für Lotte Schreiber wurde hier Sprache in (Schrift)Bild und vice versa überführt, während diese Herangehensweise der Schriftbildinszenierung ebenso das „Potential des Schaufensters als Screen“ untersuchte, so Lotte Schreiber in einem späteren Publikumsgespräch. Ein weiteres Beispiel für die Verquickung von Text und Bild bzw. die Umwandlung von Text zu Bild ist ihre Videoarbeit „Manchmal also denkt man, weil es sich bewährt hat. Wittgensteins Haus in 8 Kapiteln“. Das 11-minütige Video versteht die bekanntermaßen streng hierarchischen Sätze und Satzordnungen des Philosophen Ludwig Wittgensteins, bzw auch dessen Aphorismen in unerwarteter Weise als Handlungsanweisungen an eine Person, die das Wittgenstein-Gebäude auf der Suche nach Wittgenstein-Rätseln betritt. Eine dritte, hier beispielhaft genannte Arbeit, wesentlich für einen politischen Ansatz bei Schreiber ist die Arbeit „Ciò che conta, … (Was zählt, …)“. Sie bildet die noch unberührten pontinischen Sümpfe ab, die später von Mussolini bebaut wurden. Das Bild wurde mit einem Pasolini-Zitat überschrieben, das nicht nur die megalomanischen Diktatoren-Taten konterkariert, sondern auch für eine ästhetische wie politische Haltung steht, dass das politisch Notwendige – auch entgegen dem megalomanischen Polit-Apparat – gesagt und gemacht werden muss.

Ist in Schreibers Arbeiten vor allem das Verhältnis von Sprache und Bild von Belang, so geht es Fruhauf in seinen Arbeiten vor allem um die Zerlegung, um das Vordringen bis in die Mikrostruktur des Filmes, um den Blick hinter die Fassade. Hinsichtlich einer Totalität versteht er dieses Zerlegen insofern als politisch, als dass der Illusionsapparat für die Masse schon zu einer Einheit geworden sein mag, die analogen oder digitalen Unterschiede seien hier einmal dahingestellt. Fruhauf bezweckt das Verborgene offenzulegen, die Gemachtheit zur Schau stellen, eine Illusion von Kino zu zerstören, die durchaus mit den Stärken des Kinos, des Filmes, seiner Affektivität, der Direktheit und vor allem einer ganz grundlegenden Erfahrung von Licht und Raum arbeitet. Er widmet sich in einzelnen Arbeiten technisch-handwerklichen Details, aus denen er utopisch-dystopische, insgesamt meist abstrakte Ästhetiken generiert („Siemens Star“). Besonders aber in der Reduktion auf Licht und Transparenz, etwa in den Arbeiten „Kunst Filter“ und „Kino Elementar Exzerpt“ entwickeln diese Arbeiten, man möchte sagen, in paradoxer Weise, aber in bezeichnender Eindringlichkeit des „Apparates“ starke imaginative Kraft.

Um auf den gemeinsamen Ausstellungstitel zurückzukommen: Im Ausstellungskontext inkludiert der Titel „Framed“ auch einen Hinweis auf eine gemeinsame Präsentation von zwei künstlerisch-filmischen Positionen, die, O-Ton Ausstellungstext, kein „Making-Of der filmischen Arbeit, sondern eine Dynamik eigenständiger Kunstwerke“ verfolgten. Insofern hat „Framed“ die jeweiligen Ansätze, ihre Medialität und Herangehensweisen extrahiert und neu zueinander in Beziehung, in den gemeinsamen Rahmen, gesetzt. Dies ist auf beeindruckende Weise gelungen.

 

„Framed“ – Lotte Schreiber und Siegfried A. Fruhauf im Kunstraum Goethestrasse xtd
www.kunstraum.at/index.php/framed

Publikumsgespräch von Lotte Schreiber und Siegfried A. Fruhauf auf Dorf Tv.

Ins Organische gehen oder: die Lust am 90°-Absprung

Die Künstlerin Betty Wimmer taucht ins Material ein, versteht Performance als räumliches Gedicht und hat über die Jahre ein verzweigtes, wiederkehrendes und sich transformierendes Bezugssystem in ihren Arbeiten geschaffen. Sie hat heuer eine Installation gezeigt, die in der ersten Version bereits 1998 entstanden ist. Tanja Brandmayr hat die Arbeit gesehen und Betty Wimmer im Atelier besucht.

5 trees, die Arbeit, die Betty Wimmer im Mai 2018 anlässlich ihrer Aufnahme in die Künstlervereinigung Maerz neu installiert hat, entstand bereits 20 Jahre zuvor und war ursprünglich mit After Christmas betitelt. 1998, noch während des Studiums der Bildhauerei, „in einer ungemein produktiven und experimentellen Phase“, wie sie im Atelier stehend sagt, begann Wimmer zum Thema „Holz und Werkzeug“ zu arbeiten. Dies führte kurzerhand zum Aussteigen aus der herkömmlichen Form von Bearbeitung. Ein Kreieren und Schnitzen etwa wurde zu einer Hinwendung zum Material – und zu einer prozesshaften Abarbeitung der Fragestellung, ab wann der Baum zum Holz wird, sozusagen in der Frage organisch vom Baum in Richtung Holz gehend.
Vorgefundene Bäume wurden, ganz in Manier eines experimentell-künstlerischen Zugangs, auf ihre Materialeigenschaften geprüft, wurden entnadelt, beschnitten, angesägt, geklappt, gedreht, gewendet und verhackt. Danach wurden diese Phasen als sichtbar gewordene Prozesse miteinander und zueinander gestellt. Zu Material- und Bearbeitungsthemen wie Holzkern und Hackstock wurden Perspektivenwechsel und diverse Baum-Formalisierungen arrangiert. Und heute wie damals sprechen verkehrt gehängte, zu groß geratene oder geknickt inszenierte Bäume ambivalente Gefühle vom Bruder Baum bis zur Holzwirtschaft und zur ausgebeuteten Umwelt an. Einem beschnittenen, fast nackten, in den Raum gestellten Stamm wird das Stereotyp eines Tannenbaumes, wie ihn Kinder zeichnen, zu Füßen gelegt – gleichzeitig verspielt wie nur mehr Schatten seiner selbst. Der verkehrt gehängte Baum biegt sich unerklärlich, als ob wochenlang Wind durch den Raum geblasen wäre. Ein Baum entfaltet dramatische Wildheit im ausgebreiteten Geäst. Besonders in der 2018er-Version werden über die Ausstellungsdauer von mehreren Wochen Prozesse der Vertrocknung und Abnadelung sichtbar. Und trotz der offensichtlich großen Ähnlichkeit der beiden Versionen meine ich 2018 insgesamt eine Verschiebung zu „mehr Organischem“ zu erkennen, während ich in der Galerie Maerz noch den Bezug auf das im 98er-Titel referenzierte Weihnachten finde, als versteckte blaue Christbaumkugel in den Zweigen.

Zurück ins Atelier. Es scheint typisch für Betty Wimmer zu sein, Materialthemen wieder aufzugreifen, sie anderswo vorzufinden, verschiedene Strategien anzugehen, Dinge mitunter auch sprichwörtlich zu nehmen. Hinsichtlich Holz bedeutete das etwa, dass in den späten 90ern das sprichwörtliche „Brett vor dem Kopf“ zu einem ganzen Brettsystem vor dem Kopf wurde – als vernageltes Labyrinth aus in Kopfhöhe angebrachten Brettern. In der Serie Durchbruch wurden Türen mit verschiedenen Werkzeugen durchstoßen, um sie in einer anderen Arbeit, Nach dem Durchbruch, wieder zu einer undurchdringbaren Gesamttüre zusammenzuzimmern. Sozusagen im tischlerischen Zeitsprung kommen ab 2009 Holzhäuschen dazu, die ebenfalls in Kopfhöhe aufgehängt werden. Die mittlerweile mehrfach verwendeten und bespielten Sound-Häuschen stammen ursprünglich aus dem Projekt Die Homebase des kranken Hasen (Kunstraum Goethestrasse, 2009) und hatten den Titel Hütteldorf: Mit dem eigenen Kopf in die Häuschen hineingeschlüpft, hörte man Menschen von ihren Spleens berichten. Und an diesem Punkt eröffnet Betty Wimmer weitere Verzweigungen in ihrer Werksgeschichte, wie etwa Sitzgelegenheiten, die sie für diese Ausstellung gemacht hatte, und die als mit Gras bezogene Minimulden später ins Europäische Parlament wanderten (innerhalb des Projekts Hörstadt). Zwischenzeitlich entwickelte Betty Wimmer auch, motiviert durch die Idee, „zur Ruhe zu kommen“, andere Sitzgelegenheiten, die in Berliner Galerien bis zum Steirischen Herbst aufgestellt wurden, etwa als rot-samtene palettes deluxe (2010). Und, um auf die Häuschen aus Hütteldorf zurückzukommen: Diese wurden 2014 in der Urban Farm in Leonding als houses neu gehängt und mit einer Akustik von Fallgeräuschen versehen. Genauer gesagt stammten die Sounds von fallenden Lebensmitteln wie Mehl, Salz, Reis aus einer ebenfalls längeren Auseinandersetzung, die auch bis in die früheren Jahre der Ausbildung zurückreichten: Aus dem Thema „Fluss“ hat Betty Wimmer weitreichend von Blutzirkulation bis kommerziellem Warenfluss assoziiert, um dann ihre – durchaus zu größerer Weitreiche geratenen – Fallbilder zu entwickeln, wo etwa Mehl, Salz, Reis, Trockenpüree oder auch Mohn in derartiger Weise verschüttet wurden, dass sie gleichsam auf sehr eindrückliche Weise zu performativen Bildern wurden, quasi zu Wasserfällen unterschiedlicher Texturen (Fallbilder, 1999). Beinahe selbstverständlich führten diese Materialien später zu anderen performativen und visuellen Arbeiten.

Während ich nun im Atelier auf ein Bild einer Mehlperformance in den Straßen Berlins blicke, erzählt Betty Wimmer von ihrem sinnlichen Interesse am Prozess; von einem „Lustaspekt und neugierigem Hedonismus“ in ihrer Kunst, der sie „in kindlicher Verspieltheit, in forscherischem Umgang nicht nur mit Material arbeiten, sondern ins Material hineingehen“ lässt. Im Falle der eben angesprochenen Mehlperformance beschreibt das in poetischer Weise ein Eingehülltsein in organische Partikel. Mitten in Berlin befindet sich die Künstlerin sozusagen in einer Mehlwolke aus Weizen. Insofern versteht sich eine Definition von Performance „als räumliches Gedicht“, wie Betty Wimmer ihren Zugang zur Performance beschreibt, in bildhafter Leichtigkeit fast von selbst. Ebenso scheint dies für eine Klebestreifenarbeit zu gelten, Textur meiner Haut (2000), wo Betty Wimmer sich zuerst mit Farbe bedeckt hatte, um danach Tape-Abzüge ihrer Haut zu machen, die sie auf Glas anbringt. Der Ansatz aus räumlichem Gedicht und der Körperlichkeit eines „ins Material Hineinkriechens“, bedeutet allerdings nicht nur sphärische Leichtigkeit, sondern auch offensivere Konfrontation mit dem Material, O-Ton: „Ich mach gern so viel Sauerei, wie geht, ich arbeite zum Beispiel nicht nur mit Mehl, sondern knete meine Haare hinein, verschwende zu diesem Zeitpunkt keinen Gedanken danach, wie es weitergeht, ob etwa das Mehl dann in der Dusche zu Teig wird, und so weiter“.

Zwei Arbeiten mehr, im assoziativen Zickzack-Kurs durch die Schaffensphasen: Das Eintauchen in Körperlichkeit, Materialien und Texturen zeigt sich auch in frühen Ölbildern (1997). Hier hat sich Betty Wimmer als Ganzes in Olivenöl getaucht, um sich anschließend auf der Leinwand abzudrucken. Durchaus lässt sich hier eine Referenz auf Yves Kleins blaue Performances ziehen, allerdings organisch transformiert, transparent und von sexuell aufgeladener Zartheit. Und, um an dieser Stelle wieder in ganz andere, äußere Atmosphären zu wechseln: Wir nehmen in der Schiliftgondel Heart of Gold Platz, womit wir an dieser Stelle wieder zu den Sitzgelegenheiten zurückkehren. Die dreisitzige Gondel Heart of Gold wurde ab 2010 an unterschiedlichen Plätzen in Linz positioniert, ermöglichte verschiedene Blicke auf die Stadt, etwa vom Schigebiet des Linzer Schlossbergs, je nach erlebter Wetterlage auch mal mit verlaufenden Regentropfen auf der Plexiglaskuppel vor Augen. Später wanderte Heart of Gold auch im Vorgarten des Kulturvereins Kapu, mit dem Betty Wimmer unter anderem Projekte wie die WIR-AG (2005) verwirklicht hat. Diese für zeitgenössische KünstlerInnen ja durchwegs zum künstlerischen Selbstverständnis gehörende Positionierung zu sozialen Themen, aber vor allem auch ihr vielgestaltiges kulturpolitisches Engagement in der weniger institutionalisierten Szene, haben ihr über die Jahre wohl auch eine Bezeichnung als Aktivistin eingebracht.

So im Atelier stehend, inmitten von Fotos, Bildern und Relikten von vielen Arbeiten aus über 20 Jahren Kunstschaffen, bin ich beeindruckt von einem, ich möchte sagen, Auseinanderdriften der gewählten Mittel bei gleichzeitiger konsequenter inhaltlicher Weiterführung und Transformation der künstlerischen Themen. Aussagekräftig ist auch die Vielzahl an Zusammenarbeiten mit KollegInnen und Institutionen; ebenfalls ein Humor, der vielen Arbeiten innewohnt. Beziehungsweise: Ist das nun Humor oder sozial paradox, wenn im Gang eines Berliner Leerstands (Moabit, 2000 und 2001) eine Anlaufbahn für einen Weitsprung markiert wurde, und kurz vor dem Absprungpunkt der Gang eine 90-Grad-Ecke aufweist? Ist das einfach nur lustig oder deutet das auf eine Lebenssportlichkeit, die quasi schon unmögliche Leistungswendungen, das heißt: Leistungskurven bis Leistungsecken, inkludiert?

Wie die geneigte Leserin, der geneigte Leser vielleicht schon bemerkt hat: Die lediglich beispielhaften Aufzählungen sind nicht ansatzweise vollständig, und verfolgen zudem eher nachgeordnet die chronologisch geordnete Information. Sie kultivieren geradezu Betty Wimmers Arbeitsansatz der thematischen Verzweigungen und einer Art gegensätzlicher Verwandtschaft. In diesem Sinne zwei abschließende Arbeitsreferenzen, die nun doch etwas der Chronologie der neueren und kommenden Arbeiten geschuldet sind: Eine der letzten performativen Arbeiten, Light, hat Betty Wimmer im Herbst 2017 gezeigt. Eine Lichtschlange in einen weißen Overall gestopft, ließ die Künstlerin zur erleuchteten Skulptur werden (Flat1, Wien). Und im kommenden Jahr wird es ein installiertes Bett im botanischen Garten in Linz geben – eine vergrabene Liegestelle mit „Gras in Augenhöhe“, wie Betty Wimmer meint. Und wie kann es anders sein – mit Referenzen auf ein früheres Projekt, in diesem Fall dürfte das mit Pflanzen aus der Berliner Zeit zu tun haben. Aber warten wir ab.

Alles in allem, nach einigen sich vielleicht auch textlich widerspiegelnden 90°-Wendungen: Besonders hervorstechend finde ich ein Element, das sich in einer Fähigkeit zu äußern scheint, Themensetzungen auf höchst eigene Weise auszulegen und weiterzuführen; ein Talent, auch innerhalb von Gruppen oder KünstlerInnenverbänden gemeinsame Vorhaben nicht nur nahe am Thema abzuarbeiten – sondern in künstlerischer Eigenständigkeit eine Navigation über die hochassoziativen Meere zu finden, die die eigene sowie die gemeinsame Arbeit anreichert und permanent weiterführt. Oft verwässert ja die Teilnahme vieler Köchinnen den Brei, Betty Wimmer scheint er aber erst zu Hochform aufgehen zu lassen. Für mich bleibt nun – im gedanklichen Geflecht dieser vielen Arbeiten und weitläufigen inhaltlichen Verzweigungen stehend – der Wunsch nach einer größeren Präsentation dieser Arbeiten und Zusammenhänge.

 

Betty Wimmer, geboren 1973 in Bad Ischl. HTBLA Hallstatt (Bildhauerei), Kunststudium (Bildhauerei, Raumstrategien, Multimedia) an der Linzer Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung (bei Renate Herter) und an der Hochschule der Künste Berlin (bei Rebecca Horn). Künstlerin, Performerin, Aktivistin. Die ausgebildete Bildhauerin arbeitet seit Jahren an Raum- und Designstrategien, die meist in Installationen oder Performances münden. Ausstellungen und Performances in Linz, Wien, Frankfurt, Berlin, Toulouse, Budapest, Brüssel, Basel, Köln, …

Betty Wimmer lebt und arbeitet in Linz.

bettywimmer.net

Die kleine Referentin – Auflösung

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Das Professionelle Publikum

Die Redaktion bedankt sich bei Christian Haselmayr, Gabriele Kepplinger, Günter Mayer, Veronika Moser, Pamela Neuwirth, System Jaquelinde und Florian Voggeneder für die persönlichen Kunst- und Kulturempfehlungen bis März 2019.

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Foto_Christian HaselmayerChristian Haselmayr
ist ehemaliger Geschäftsführer der KAPU, seit kurzem im Tresor Berlin tätig. Nebenbei Musik- und Kulturwastl.

Isolation Berlin, Schapka
Scarabeus Dream – Album Release Show

Foto Gabriele KepplingerGabriele Kepplinger
ist Mitbegründerin und Programmgeschäftsführung von Dorf Tv

Budget-Gemeinderatssitzung
Bureaumaschine live und DJ Wurmbrand

 

gm-fotoGünter Mayer
ist Kurator, Kunsthistoriker, Leiter der Galerie der Stadt Wels und des Medien Kultur Hauses.

Vernissage der Ausstellung Lorenz Esthermann
frauenzeit (donne di fronte/ frauen im gegenüber)

Vero MoserVeronika Moser
arbeitet an der Schnittstelle von Medien, Musik und Pädagogik. Wenn sie gerade nicht als Frau Tomani (Singer-Songwriter) auf der Bühne steht, gibt die Linzer Radio- und Kulturarbeiterin Workshops oder geht ihrem Masterstudium „Elementare Musikpädagogik“ an der Bruckneruni nach.
www.frautomani.at

KinderMitmachKonzert – „Im Fluss“

frequenzPamela Neuwirth
ist freie Radiomacherin.

Radiokunststücke
Ausstellung Kabbalah

 

Referentin_System-JaquelindeSystem Jaquelinde
Seit 2005 arbeiten Frances Cat und Pira Tin gemeinsam unter dem Namen „System Jaquelinde“. Ihre Vorliebe, analoge und digitale Prozesse miteinander zu verschränken findet in unterschiedlichen Medien Ausdruck. In ihrem „Labor für Visuelles“ bildet das Zusammenspiel von Konzept und Koinzidenz die Basis ihrer Arbeiten.

MIAU Publishing präsentiert Risographien von System Jaquelinde
THE FUTURE SOUND #84

VOG_6861-2Florian Voggender
ist Fotograf und Medienkünstler aus Linz. Derzeit beschäftigt er sich mit Konzepten astronautischer Raumfahrt.

The Future Sound #84: Dorian Concept Album Release
„The Drake Equation“ Künstlergespräch mit Paul Kranzler und Andrew Phelps

Tipps von Die Referentin

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Gigaldi, Raffetseder Wildfellner Raffetseder, Newton’s Law of Cool
Ausstellungseröffnung MITEINANDER KONSTRUKTIV/ KONKRET/KONZEPTUELL
Christgsindlmarkt
Irene Kepl, BACH ALS PALIMPSEST
ZURÜCKLASSEN – AUFGREIFEN – ANEIGNEN
Dorf-Tv-Live-Diskussion zu „1968 und die Folgen“
Sestetto Internazionale
Jamie Saft „Genua Solo“
artacts – Festival für Jazz und improvisierte Musik

Editorial

Auf dem Cover ein Mann im Fels. Das Bild stellt den Bergsteiger Reinhold Duschka dar, der während des Nationalsozialismus zwei Menschen versteckt hat. Wir zitieren Pamela Neuwirth, die Erich Hackls Buchbesprechung „Im Seil“ so beginnt: „Denkt man an eine Seilschaft, so sieht man heute möglicherweise zuerst die Verbindung zwischen Menschen, die sich unterstützen, um Privilegien oder Ziele durchzusetzen. So liest sich das auch im Duden, allerdings unter Pkt. 2. In erster Linie gibt das Lexikon unter Seilschaft die knappe Definition an: Gruppe von Bergsteigerinnen u. Bergsteiger, die bei einer Bergtour durch ein Seil verbunden ist. So konträr die beiden symbolischen wie konkreten Auslegungen von Seilschaft sind, – hier die augenscheinlichen Vorteile einer Gruppe von Personen, die sich begünstigen, dort die augenscheinliche Abhängigkeit innerhalb der alpinistischen Seilschaft, – nur durch die herausfordernden Tugenden, die mit letzterer verbunden sind, ja von ihr tatsächlich abhängen, hat sich jedenfalls das ungewisse Schicksal von Reinhold Duschka, Regina Steinig und ihrer Tochter Lucia Heilmann zum Positiven wenden können.“ Und Pamela Neuwirth schließt an: „Diesem Bild von Seilschaft ging Erich Hackl nach.“ Aus vielerlei Gründen ist diese Passage aussagekräftig für mehrere Texte in dieser Ausgabe der Referentin. Vor allem im historischen Bezug auf die mörderische NS-Zeit, mit der heutzutage skandalös sorglos umgegangen wird. Davon zeugt Silvana Steinbachers Interview mit Willi Mernyi, der über rechtsradikale, öffentliche Äußerungen einer gewissen Regierungspartei spricht. Und zur „Verbindung zwischen Menschen, die sich unterstützen, um Privilegien oder Ziele durchzusetzen“ wäre wohl auch einiges zu sagen – solche Seilschaften laufen heutzutage wohl wieder unter „Leistung“. Bleibt noch der Stolz – und die vielleicht für manche am Cover kryptische Bemerkung: „Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz“: Diese schöne Volksweisheit bezieht sich auf die Kolumne „Lokale Lokale“, man möge hier selbst nachlesen.

Einige wenige Kurzhinweise noch an dieser Stelle: Marianne Jungmaiers „Sonnenkönig“ hat Ines Schütz besprochen, den Höhenrausch und das Wasser-Thema „Das andere Ufer“ hat sich Robert Stähr angesehen, Fashion und Attitude gibt’s von Sarah Held, über die feministische Radioreihe „Not To Disappear“ reflektiert Sandra Hochholzer. Valerie Straßmayr zeigt uns die Steel City von ihrer Metal-Seite, während wiederum Georg Wilbertz den Posaunisten und Fotografen Werner Puntigam portraitiert. Zu Beginn startet aber Andrea Lehmann mit einem Porträt über Elke Punkt Fleisch, die nicht nur Bildende Künstlerin, Bildhauerin und Keramikerin ist, sondern gemeinsam mit Terri Frühling die „Kleine Referentin“ gestaltet.

Damit der Sprung zu unseren regelmäßigen KolumnistInnen, Work Bitch Wiltrud Hackl, Spiele!-Andrea Winter, diesmal die Lokale Lokale-Watchdog Pallas und der Dude, der langsam, aber beständig seine kulinarischen Bahnen um Linz herum zieht. Sie alle haben wieder ihren Verstand, ihr Herz, ihr Gefühl, ihren Witz und ihre Sinne sprechen lassen.

Referentinnen-intern freuen wir uns über so viel positive Rückmeldungen wie noch nie. Vielen Dank.

Die Referentinnen, Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

Elke Punkt Fleisch

Die Bildende Künstlerin, Bildhauerin und Keramikerin Elke Punkt Fleisch kommt auch ohne verbale Wegweiser des Denkens aus. Das ist rar, impliziert Talent und eine außerordentliche Peilnadel zur Kunst – meint Andrea Lehmann.

Die Tendenz, dass bildende KünstlerInnen im Stillen arbeiten und dass es wichtig ist, sich als InteressierteR persönlich an der Kunstentdeckung zu beteiligen, ist seit jeher so. Doch durch Passivitätsschübe von Kunstinteressierten ist es schwieriger geworden. Für KünstlerInnen der sichtbar haptischen Gedankenfreimachungen ist es kaum möglich, ohne Kunstvermittlungspilze/ Aufbereitungshäuser an den Menschen zu kommen. Und für die Leut ist es schwieriger, durch die Membran der Aufbereitung zu schlüpfen, um sich ein Leben mit der Kunst anzueignen. Über die Medien werden Lebensläufe erschlichen, Fotos und dokumentarische Kunst-Kunsttexte konstruiert, aber das Leben mit der Kunst an sich macht das nicht aus. Und einige fordern diese Entwicklung durch ihre Arbeitsweise geradezu heraus. Dazu gehört Elke Punkt Fleisch.

1980 in Grieskirchen geboren, begibt sie sich sehr jung aus dem unvorbelastet-ländlichen in ein künstlerisch-städtisches Umfeld. Für die sensible Sucherin begann ein Befreiungsweg. Hierbei sollte der Linzer Bildhauer und Maler Erich Ruprecht die ersten Kunstversuche der damals erst 16-Jährigen unterstützen. Es stehen am Anfang mehrere Optionen zur Debatte. Elke Fleischs Peilnadel ist auf Malerei, Bildhauerei – und auf noch Unbekanntes gestellt. Das noch Unbekannte wurde später dann zum Ankommen im Bachelorstudium Keramik von 2003–2008 an der Kunstuni Linz. Dies führte dazu, ihre grundlegende Tendenz zur Dreidimensionalität auszuleben und förderte ihre Fähigkeit, im verwendeten Material mehrere Dimensionen sichtbar und erlebbar zu machen. Wie ihre Körperabformungen, die bis heute – wunderbar reduziert – abstrakter Bestandteil der künstlerischen Entwicklung sind. Ich entdeckte die ersten Handabformungen, betitelt mit Reigen 2005/06. Hier stellte sich mein Bezug zu Fleischs bildhauerisch-keramischen Arbeiten ein. Die zwölf Kleinskulpturen beherbergten die Möglichkeit von Berührung – in keramische Formen gebunden. Aber die Konzeption der Arbeit erschloss sich mir erst in Kombination von gebrannter Keramik mit einem Reigen, der tatsächlich performt wurde.

Im Masterstudium der Plastischen Konzeption belegte sie, aus Interesse am Handwerklichen – sowie an den postkommunistischen Gesellschaften – 2009 ein Semester Bildhauerei und Malerei an der Kunstakademie in Krakau. Fleisch entwickelte die Skulpturenserie Working Class Heroes, über die Martina Gelsinger, Kunsthistorikerin, schreibt: „(…) An Stelle des Materials als Trägerin von Repräsentation, stellt sie Werkstoffe (…)“ Erst auf den zweiten Blick provokant, weil mit geschlossenen Augen gar nicht heroisch: Auf Bauziegel gestellte breite Männerfiguren, in Keramikweiß mit Maurerwerkzeugen in Händen und in Schlaftextilien gehüllt. Sickert da der Eindruck von Schlafenden ins Arbeitsbewusstsein? Auch die Vorgängerarbeit, Allzweckreinigerinnen, von 2007–10 entstanden, gehören zum sozialkritischen, figuralen Ansatz von Elke Punkt Fleisch. Hier waren putzende, kopftuchtragende Frauen zu sehen, aus weißer Keramik. Die in mehr als zehn Ausstellungen, z. B. in Bornholm in Dänemark, ausgestellten Arbeiten wurden noch 2016 als Aushängeschild angefragt. Eine Wahnsinns-Karriere für kopftuchtragende Frauen! Zu dieser Art der figürlichen Auffassung könnte auch der Gurkerlflieger zählen, wäre da nicht der Aspekt der surreal-zerteilten Ästhetik. Die als kinetisches Objekt bezeichnete, mit Motor bewegliche Skulptur, ist in erster Linie aus Ton gefertigt und bezieht sich auf Erntearbeit und Arbeitsmigration. Metall, Holz, Gummihandschuhe und Textil verstärken die Schwerfälligkeit der inneren Diskrepanz unserer (Ver)Sklaverei, die die Künstlerin selbst durch das Abformen der über 1000 Gurkerl, die den Boden der Skulptur bilden, am eigenen Leib erspürt haben musste.

Eine verstärkte Zuwendung zur sinnlichen Erarbeitung wird bei Elke Punkt Fleisch 2012 ersichtlich, so etwa in Ghosts. Es ist die Eigenschaft der Keramik und deren Form, die maßgeblich scheint. Auch in Das Maß ist voll, eine keramische Performance, wo ungebrannte Tongefäße mit Wasser gefüllt, ihrer Vergänglichkeit hingegeben werden. In der interaktiven Installation H2OHHH! zeigt sie 2015 ungebrannte Rosenkugeln aus Ton, von Weidenzäunchen umschlossen, auf Teichwannen gesetzt. Diese „Keramikgärtchen“ durften mit Wassersprühflaschen von BesucherInnen „zerflossen“ werden. Die sinnliche Essenz dieser zerflossenen Erkenntnisse brannte Fleisch zu grünlich-oliv glasierter Haltbarkeit. Dies wurde dann zu Rosenkugelobjekten in I Never Promised You A Rose Garden. „Ungebrannter Ton hat mehr sinnliche Substanz. Gebrannter Ton wirkt irgendwie … leerer; zumindest ändert sich was“, sagt Elke Punkt Fleisch im Gespräch. 2014 kehrt Elke Punkt Fleisch markant in die abstrakte Qualität der frühen Handabformungen zurück. Sie erweitert Körperabdrucke von Yogastellungen, in den Auffangbecken 1 und 2. Mit körperlicher Präsenz und Anstrengung wird die amorphe Form umgesetzt. Nichts ist dem Zufall überlassen. Ein vergleichbar intensiver Ansatz dann auch ein Jahr später in den Stillereien – hier setzt sich die Eigentümlichkeit von Körperlichkeit fort. Diese Keramiken, einerseits Berührungskörper des Stillens zwischen Kind und Mutter, sind andererseits Berührungsorte, eingebettet im rosa Textilpolster, als Entsprechung umhüllender und undefinierter ambivalenter Gefühle.

Für den Tag des offenen Ateliers im Oktober entwickelt Elke Fleisch gerade Pullover-, Hemdärmel- und Kragengefäße unter dem Titel Fleischhäppchen. Diese sind angedockt an die vorhergehende Skulpturenserie Von der Stange. Genauso zeigt sie bei dieser Gelegenheit die neuere Serie Hoch sollen sie leben, kleine weiße Remakes von Geburtstags- und Jubiläums-Figuren der Landbevölkerung. Hier praktiziert Fleisch meiner Meinung nach reinigenden Voodoo. Ein anderes neues, von Linz Export gefördertes Projekt, wird Fleisch als Projektleiterin verfolgen, mit den KünstlerkollegInnen Terri Frühling, Wolfang Fuchs, Barbara Klammer und Hanja Niederhammer: In Kemenesmagasi fühlen sie in Ungarn dem Phänomen der österreichischen „Aussteigerpensionist_innen“ nach, im Galerieraum Raumschiff wird präsentiert. Zuletzt greift Elke Punkt Fleisch im Gespräch – mit ihr anzusehender, verschmitzt wirkender Freude – ihre „Körperabformungen“ wieder auf – unerwarteter Weise mit einer Arbeit über Stifter, die sie erwähnt – den Schädel. Er wird im Herbst in der Stiftervilla Kirchschlag gezeigt.

Mit Gespür für ihre Kunst emanzipierte sie sich von Konventionen. Ihre Peilnadel scheint sich im Herzen der Linzer Kunstszene angesiedelt zu haben. Und ihre Art künstlerischer Argumentation mäandert von Figuralem-Sozialkritischem zu abstrakter Verinnerlichung und wieder zurück. Ich würde behaupten, ein Markenzeichen, wo es unbedingt notwendig ist, sich von Eigenheit und der Atmosphäre vor Ort zu überzeugen.
Elke Punkt Fleisch schafft es, bildhauerische Konzepte, Ton und dessen langfristige Prozesse mit performativen Elementen zu verbinden, also das Keramisch-Skulpturale auf die gegenwärtige, schnelle Welt zu transferieren. So schrieb Cecile Dujardin von der Angewandten Kunst in Wien: „Elke Punkt Fleisch’s work cannot be reduced to a particular style. The artist moves light heartedly back and forth between realism and abstraction (…)“

 

„Schädel“, Gemeinschaftsausstellung
Eröffnung: 15. 9. 2018
Stiftervilla Kirchschlag
Kirchschlag 38, 4202 Kirchschlag bei Linz

Tage des offenen Ateliers
20. und 21. 10. 2018
Öffnungszeiten: 14:00–18:00 Uhr
gemeinsam mit Monika Migl Frühling, Terri Frühling, Wolfgang Fuchs, Elke Punkt Fleisch Atelier Migl Frühling
Im Tal 3, 4040 Linz

„Kemenesmagasi“
Gemeinschaftsausstellung
Eröffnung: 26. 10. 2018
Raumschiff
Pfarrplatz 18, 4020 Linz

Aufmerksamen LeserInnen wird nicht entgangen sein, dass Elke Punkt Fleisch gemeinsam mit Terri Frühling „Die kleine Referentin“ in diesem Heft gestaltet.
www.elkepunktfleisch.at

Mehr als hundert Einzelfälle …

Sie sehen Flüchtlinge als Menschenmaterial, drohen politischen Gegnern mit Zwangsarbeit auf dem „Kartoffelacker“ und empfinden die Bezeichnung Nazi als Ehre. Silvana Steinbacher stellt im Interview mit Willi Mernyi eine Broschüre des Mauthausen Komitees vor. Aufgelistet sind darin rechtsradikale, öffentlich geäußerte Attacken, die eines verbindet: Sie stammen ausschließlich von FPÖ-Politikern.

Eine Art Heimathirte. Foto Die Referentin

Eine Art Heimathirte. Foto Die Referentin

68 rechtsextreme Fälle innerhalb von mehr als vier Jahren ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Unter dem Titel „Lauter Einzelfälle? – Die FPÖ und der Rechtsradikalismus“ hat das Mauthausen Komitee über viereinhalb Jahre Schmähungen, Untergriffe und Drohungen von FPÖ-Politikern quer durch die Hierarchien dokumentiert – bis zum Oktober 2017. Zwei Monate später wurde die FPÖ Regierungspartner. Jetzt hat das Mauthausen Komitee die „Einzelfälle“, die seitens der FPÖ immer als solche deklariert wurden und werden, aktualisiert. Die Attacken wurden allerdings weder seltener noch gedämpfter, stellt Willi Mernyi, Vorsitzender des Mauthausen Komitees fest. 14 neue Fälle zeigen antisemitische Bezüge, 15 nationalsozialistische oder neonazistische, 19 sind verbale Angriffe auf Flüchtlinge und Minderheiten. Bedrohlich mutet auch die Tatsache an, dass acht der aufgelisteten verbalen Angriffe von Mitgliedern der Parteispitze stammen, vier weitere von engen Mitarbeitern einiger FPÖ-Minister.
Mernyi: Das hat die Auswirkung, dass genauso, wie Sie es in dieser Dokumentation vorfinden, auch die österreichische Regierung agiert. Das sind Spitzenpolitiker und nicht der siebte Zwerg von hinten oder der stellvertretende Gemeinderat in einem kleinen Dorf. Das ist natürlich bedrohlich. Der Vizeparteichef von Wien, der Herr Gudenus hat gesagt, wenn wir an der Macht sind, kommt der Knüppel aus dem Sack. Diese Sprache muss man sich erst einmal vorstellen: der Knüppel aus dem Sack. Doch das gehört bei dieser Partei dazu. Das Androhen von Gewalt ist Teil der FPÖ.

Herr Mernyi, bei dieser Dokumentation fällt auf, dass sich die Verbalttacken und Unwahrheiten vor allem an jene richten, die sich nicht oder kaum wehren können, also an Schwache, Minderheiten, Migrantinnen und Migranten. Wie sind Sie bei dieser Dokumentation vorgegangen?
Die Dokumentation ist eine Sammlung von bekannten, nachvollziehbaren Einzelfällen. Diese Fälle haben wir nicht aufgedeckt, sondern nur dokumentiert. Jeden Fall, den wir erfasst haben, hat die FPÖ gekannt, jeder Fall ist in den Medien gestanden.

Innerhalb der rassistischen Untergriffe wurden neben Beschimpfungen der Flüchtlinge auch antisemitische Attacken dokumentiert, wie jene des FPÖ-Nationalratsabgeordneten Johannes Hübner, der sich öffentlich in antisemitischer Weise über Hans Kelsen, den Architekten der österreichischen Bundesverfassung geäußert hat. Vor einigen Monaten hat Bundeskanzler Sebastian Kurz die Internationale Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem besucht, aber zu den antisemitischen Aussagen von einzelnen Mitgliedern seines Koalitionspartners schweigt die ÖVP. Wie sehen Sie deren Haltung?
Ich bemerke das große Schweigen, es wird ausgewichen, ich finde aber Politik sollte nicht von Sonntagsreden, sondern von Montagshandlungen bestimmt sein. Es hilft niemandem, mit einem betroffenen Gesicht durch die Gedenkstätte Yad Vashem zu gehen und im eigenen Land zu antisemitischen Vorfällen zu schweigen, so würde ich den Unterschied zwischen der Sonntagsrede und der Montagshandlung sehen.
Doch der Hauptfeind der FPÖ sind nicht die Juden, sondern die Moslems und somit versuchen sie sich mehrheitlich im Kampf gegen die Moslems mit den Jüdinnen und Juden zu verbrüdern. Ein FPÖ-Funktionär hat es einmal in einer Diskussion mit mir so ausgedrückt: Ein normaler Jugendlicher hat ja mit einem Juden keinen Kontakt, aber mit einem Türken schon, also müssen wir dieses Feindbild bedienen. Das ist doch eh klar.

Wieso folgen keine Sanktionen?
Wenn man diese Menschen in die Regierung holt, ist man auch gezwungen, dazu zu schweigen. Würde die ÖVP die Attacken der FPÖ vehement und lautstark verurteilen, wäre die logische und berechtigte Frage: Warum haben sie dann eine Regierung mit denen gebildet?

Man könnte den Eindruck gewinnen, die FPÖ spekuliere mit der Vergesslichkeit ihrer Wählerinnen und Wähler. Als Beispiel möchte ich Udo Landbauer nennen, der vor einem Comeback in die Regierung stehen soll. (Anm.: ehemaliger Spitzenkandidat der FPÖ Niederösterreich. Infolge der NS-Liederbuchaffäre der Burschenschaft Germania legte er im Februar 2018 alle politischen Funktionen zurück.)
Ich glaube man spekuliert mit der Vergesslichkeit und dem typisch österreichischen „Schau ma mal, wird ja nicht so arg gewesen sein“. Beim Herrn Landbauer wurden Grenzen überschritten und ich lasse mich nicht gerne für dumm verkaufen. Mir ist ein aufrechter Rechter wie der Herr Mölzer lieber, der sagt, was er sich denkt, aber was ich überhaupt nicht leiden kann, ist, wenn mir jemand weismachen will: Wir haben ein Liederbuch, aber wir haben daraus nie gesungen. Jeder weiß, dass nach dem dritten Bier bei den Burschenschaften gesungen wird. Die haben ein Liederbuch gehabt, das war in Verwendung, aber gesungen haben sie nie. Also bitte, das kann ich nicht leiden, wenn jemand glaubt, die Leute sind blöd.

Sehen Sie derzeit Symptome einer Unterhöhlung der Demokratie?
Ich sehe Symptome einer Abstumpfung. Wissen Sie, wenn versucht wird, das Wort Gutmensch zum Schimpfwort umzufunktionieren, verstehe ich die Welt nicht mehr. Meine Eltern waren einfache Arbeiter. Sie haben immer versucht mich so zu erziehen, dass ich ein guter Mensch werde, dass ich grüße, in der Straßenbahn aufstehe, höflich bin. Das Ziel meiner Eltern bestand darin, dass ich ein guter Mensch bin. Dazu gehört auch, dass man anderen hilft, wenn sie es brauchen. Dafür bin ich meinen Eltern auch dankbar. Heute ist Gutmensch teils ein Schimpfwort.

Viele Anhänger der rechten Parteien fühlen sich von der intellektuellen Linken nicht ernstgenommen, sogar gedemütigt, da sich die Linken auf kein Gespräch auf Augenhöhe mit ihnen einließen, so ein oft gehörter Vorwurf. Wie sollte Ihrer Meinung nach ein Diskurs aussehen, und ist er überhaupt möglich? Diese Kritik verstehe ich und ich finde es auch vollkommen falsch, die Diskussion über die FPÖ mit Präpotenz zu führen. Wenn jemand einem FPÖ-Anhänger auf sein Posting genüsslich zurückschreibt, dass er einen Rechtschreibfehler gemacht hat, dann schreib ich dem zurück: Lass das sein! Wirf ihm doch nicht vor, dass er möglicherweise Hilfsarbeiter ist, nicht die entsprechende Bildung hatte. Was ist denn das für ein idiotischer Vorwurf von einem Linken? Mit Präpotenz kommt sicher kein Diskurs zustande.

Und es schafft weitere Aggressionen zwischen den Lagern.
Ja absolut. Ich war bei einer Diskussion, wo ein Politiker gesagt hat, ihr müsst doch sehen, was Europa für Vorteile bringt, er nannte unter anderem das Erasmus-Programm. Die Menschen, die aber dort im Publikum gesessen sind, haben nicht gewusst, was ein EU-Projekt, geschweige denn ein Erasmus-Programm ist, und schon gar nicht könnten es ihre Kinder jemals in Anspruch nehmen. Wie kommt denn das bei diesen Leuten an, die bei diesen Projekten nie eine Chance haben werden, aber wissen, dass sie das mit ihren Steuern alles finanzieren?

Die Infragestellung der seriösen Berichterstattung einiger Medien seitens der FPÖ ist nicht neu; neu hingegen ist die Drohung, die Kunst in ihrer Freiheit einzuschränken. Ich möchte an den Vorfall erinnern, der sich im Sommer ereignet hat, als die FPÖ Schwechat den dortigen Nestroyspielen drohte, sie würden deren Subventionen nicht mehr zustimmen, falls der Regisseur nicht bereit wäre, einige Zusatzstrophen, die der FPÖ missfielen, zu streichen. Empfinden Sie diese Vorgangsweise, die an Metternich erinnert, als ein bedenkliches Signal?
Ich bin mir nicht sicher. Die Anzeichen waren ja schon immer da. Der Herr Gudenus hat gesagt: „Knüppel aus dem Sack“, der Herr Hofer meinte: „Man wird sich noch wundern, was alles möglich ist.“ Ich verstehe nicht, warum wir uns jetzt wundern, sie haben es uns ja vorher angekündigt: Wenn du nicht für uns bist, bist du gegen uns. So lautet das Mantra einer Führerpartei.
Also, wenn die Künstler meinen, sie kämen ungeschoren davon, dann werden sie sich irren. Es ist ja die typische Haltung dieser Partei: Wir sind an der Macht und zeigen es ihnen. Du schreibst nicht so, wie ich will, du spielst nicht so, wie ich will, also bist du weg. Das alles ist einer Demokratie unwürdig.

 

Die Dokumentation „Einzelfälle und Serientäter“ – Die FPÖ und der Rechtsradikalismus“ ist unter www.mkoe.at/rechtsextremismus/broschuere-einzelfaelle-und-serientaeter zu finden.
An der Erstellung der Dokumentation war auch das Antifa-Netzwerk beteiligt.

Andere Seilschaften

Der Autor Erich Hackl fügt mit seinem neuen Buch „Am Seil“ der Zeitgeschichte ein weiteres historisches Detail hinzu und veröffentlicht damit eine biografische Notiz und Überlebensgeschichte im Nationalsozialismus. Der Chronist Hackl offenbart mittels Oral-History den rätselhaften Charakter eines Ex-Berliners und Neo-Wieners: Wer war Reinhold Duschka? Pamela Neuwirth hat das Buch gelesen.

Denkt man an eine Seilschaft, so sieht man heute möglicherweise zuerst die Verbindung zwischen Menschen, die sich unterstützen, um Privilegien oder Ziele durchzusetzen. So liest sich das auch im Duden, allerdings unter Pkt. 2. In erster Linie gibt das Lexikon unter Seilschaft die knappe Definition an: Gruppe von Bergsteigerinnen u. Bergsteiger, die bei einer Bergtour durch ein Seil verbunden ist. So konträr die beiden symbolischen wie konkreten Auslegungen von Seilschaft sind, – hier die augenscheinlichen Vorteile einer Gruppe von Personen die sich begünstigen, dort die augenscheinliche Abhängigkeit innerhalb der alpinistischen Seilschaft, – nur durch die herausfordernden Tugenden, die mit letzterer verbunden sind, ja von ihr tatsächlich abhängen, hat sich jedenfalls das ungewisse Schicksal von Reinhold Duschka, Regina Steinig und ihrer Tochter Lucia Heilmann zum Positiven wenden können. Diesem Bild von Seilschaft ging Erich Hackl nach. Der oberösterreichische Autor ist ja mittlerweile bekannt dafür „die Geschichte aufzuarbeiten“ – unvergessen seine minutiöse, im chronistischen Stil verfasste, aber ebenso behutsame Beschreibung der von den Nazis ermordeten Widerstandskämpferin Gisela Tschofenig und wie es dazu kam, dass heute nur eine kleine Sackgasse in Ebelsberg bei Linz ihren Namen trägt –, so erzählt er mit seinem jetzt im schweizerischen Diogenes Verlag erschienen Buch „Am Seil“, wie zwei Leben im faschistischen Terror-Regime des SS-Staates dank der Haltung eines deutschen Alpinisten und Kunst-Schmiedes in Wien verschont blieben. Der Untertitel von „Am Seil“ lautet im Übrigen: Eine Heldengeschichte. Das ist interessant, weil ein Falsch und Richtig darin liegt: So prekär sich immer beim Helden ein Pathos gestalten mag – in der Historie, wie auch der historischen Perspektive –, der Biografie des stillen Reinhold Duschka wird das sicher gerecht – als Zuschreibung. Ein ausdrucksvolles und feierliches Heldentum fehlte Reinhold Duschka (1900–1993) selbst jedoch vollkommen.

Erinnern mit Lucia
Langsam, nach und nach, entblättert sich in dem Buch „Am Seil“ eine Geschichte. Es ist, als würde man als Leser den vielen Gesprächen zwischen dem Autor Erich Hackl und der Zeitzeugin Lucia Heilmann beiwohnen. Das gemeinsame Nachsehen im Erinnern, Fragmente und konkrete Orte, Zeitpunkte und Anlässe zu einem Faden zusammenziehen. Ein sanftes Kreuzverhör, wo Antworten mit Beweisen abgeglichen werden, wo Fragen es schaffen, den verschütteten Erinnerungen nachzuspüren und sie in die historisch gesicherten Ereignisse zu setzen. „Am Seil“ veranschaulicht die Oral History und zeigt vor allem im ersten Teil des Buches, wie diese funktioniert. Das erscheint dann während des Lesens wie ein weitläufiger Schlüsselmoment, was ein Oxymoron ist, doch erlaubt Hackls Erzählweise, dem Zeitzeugengespräch und gleichzeitig einer Geschichte mit den handelnden Personen beizuwohnen. Die Protagonisten von „Am Seil“ sind nicht, wie in der Literatur, Personen, wo durch Autorenschaft die Gestaltung der Persona stattfindet und nachvollziehbar wird, warum die Person in der Geschichte fühlt, wie sie fühlt. Zu Beginn der Hackl’schen Chronik bleiben die Personen erst einmal seltsam fremd, wie Schablonen, die Leser müssen sich vorantasten, jede Information, jedes weitere Zeit-Weg-Diagramm, bildet zunächst nur Fragmente einer Person, die in Verbindung mit anderen steht. In dieser Weitläufigkeit ergeben sich Schlüsselmomente, die die Stärke und Beweiskraft der Oral History verdeutlicht. „Ich habe einfach zu sprechen aufgehört“, erinnert sich die mittlerweile pensionierte Ärztin Lucia Heilmann und hat diesen traumatischen Befund als Kind erst indirekt durch eine beiläufige Aussage ihrer Mutter zu verstehen gewusst, als diese bei Kriegsende einmal überrascht feststellt: „Du sprichst ja wieder!“ Die langen Momente, die sich bei jedem, der sich erinnert, als sein persönliches Gefühl für die erlebte Zeit offenbart; so auch bei Lucia: im Gefühl der Isolation. Die langen Tage im Versteck in der Kunstwerkstatt, wo das Kind de facto über Monate und Jahre mit dem Metallfeilen und anderen kleinen Handarbeiten beschäftigt sein wird und dabei nichts Geringeres erlernt als das „Wiener Kunsthandwerk“ von Josef Hoffmann, welches auch Reinhold Duschka in Wien erlernt hatte. Seine Kunst-Werkstatt im 6. Wiener Gemeindebezirk sollte ihr erster Zufluchtsort vor den Nazis werden. Lucias Mutter Regina Steinig war Chemikerin und bewegte sich in Kreisen, die auch Duschka kannte. Vage sind Lucias Erinnerungen an ihre gute Freundin Erna Dankner. Erna und ihre Eltern werden von den sogenannten Sammelwohnungen abgeholt, um deportiert zu werden. Während des Transportes fällt das kleine Mädchen von dem offenen Lastwagen der SS und wird überfahren. Der Autor Erich Hackl sorgt sich eben um diese bruchstückhaften Erinnerungen und gleicht sie mit gesicherten Informationen ab. Die kleine Erna Dankner starb nicht bei dem, vielleicht aus Erzählungen rekonstruierten Unfall in der Berggasse, sondern wurde im Jahr darauf mit ihren Eltern Moshe und Cipore mit dem zweiunddreißigsten Transport österreichischer Juden, der am 17. Juli 1942 vom Wiener Aspanghof abging, in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert.
Wie das Überleben von Regina und Lucia durch Reinhold Duschka zu einer Möglichkeit wurde, wird aus den Kindheitserinnerungen von Lucia deutlich, und zeigt sich durch Methode und Selbstdisziplin des Alpinisten und Kunstschmiedes. Auch der Enkelsohn von Reinhold Duschka erwähnt in diesem Zusammenhang den Begriff vom intelligenten Widerstand. Dem willkürlichen Terror der SS etwas entgegenzusetzen und nicht in Panik oder Apathie zu verfallen, wie das nachvollziehbar von Viktor Frankl und Eugen Kogon beschrieben worden war, ist eine außerordentliche mentale Leistung. Denn, die beiden Jüdinnen Regina und Lucia in den Jahren 1942 bis 1945 im 5. Stock eines Hauses in der Mollardgasse und anderenorts vor denunzierenden Nachbarn über die Jahre verstecken zu können, verlangt etwas Anderes und gelang schließlich durch Methode, Verlässlichkeit und Vertrauen. Woher Reinhold Duschka Essensmarken für zwei weitere Personen herbeischaffte – unbekannt. Warum Duschka irgendwann während des Krieges beschlossen hat, nicht mehr in seine Wohnung zurückzukehren und stattdessen mit beiden im Werkstatt-Versteck zubleiben – unbekannt. Wie er zu den Büchern für Lucia kam – unbekannt. Duschkas Vorgehen hatte sogar aus Perspektive des kleinen Mädchens und in der späteren Erinnerung der Ärztin Lucia eine Methodik, die an ein Regelwerk erinnert. Es geht niemals etwas Klaustrophobisches von ihm aus, kein Aktionismus, keine Kühnheit, kein Heroismus liegt in seinem Handeln. Er spricht nicht viel, wird niemals ungeduldig. Für ein Kind war das stille Arbeiten in der Werkstatt aber auch ein Gefängnis. An ein paar Ausgänge mit Reinhold könne sie sich erinnern, erwähnt Lucia Heilmann. Ein „Ausgang“ entspricht dem temporären Austritt aus einem Gefängnis; so auch mitten in Wien, weil es außerordentlich riskant war auf der Straße angehalten und erfasst zu werden, somit waren die Ausflüge an den Stadtrand sehr selten. Die Arbeit im Stillen war schwierig, zugleich aber eine Lösung, die Situation dauerhaft zu ertragen. Das zeitgeschichtlich generell Interessante, so auch am Nationalsozialismus und in der Perspektive auf Holocaust und den Widerstand, ist: Niemand wusste damals, dass der Krieg 1945 zu Ende sein würde. Am Anfang der Versteckzeit, als Reinhold Duschka nach seinem Tagwerk in der Werkstatt noch in seine eigene Wohnung zurückkehrte, ging er an den Wochenenden zum Bergsteigen, weiß Lucia. Dem Leser wird spätestens dann die klaustrophobische Situation im Versteck deutlich.

Wer war Reinhold Duschka?
„Wer weiß, wie man selbst reagiert hätte?“ ist ein geflügeltes Wort im Hinblick auf die nationalsozialistische Vergangenheitsbewältigung. In der Sozialphilosophie wird die häufige Reaktion von Menschen auf eine Gefahr als blinde Unbarmherzigkeit des Überlebenswillens beschrieben und bezeichnet einen instinktgeleiteten Egoismus, der in gefahrvoller Situation blind in eigener Sache agiert. Dank der Tugenden eines Bergsteigers sah Reinhold Duschkas Enkel den Großvater wie geschaffen für den intelligenten Widerstand: Selbstdisziplin, Einzelgängertum, Menschenkenntnis und Verschwiegenheit. Als einmal ein befreundeter Bergsteiger und Gestapo-Unterläufer sehr viel später nach dem Krieg erzählen wird, dass eine anonyme Anzeige die beiden „Fremdarbeiterinnen“ in Duschkas Werkstatt verraten sollte, verlieren die Bergkameraden nicht viele Worte über das Ereignis.
In dem halb pazifistisch und halb kommunistischen Freundeskreis, von dem sich der Kunstschmied Reinhold Duschka und die Chemikerin Regina Steinig vor dem Krieg kannten, wurde über die letzten Tage der Menschheit und die russische Revolution, den Expressionismus, das rote Wien, gesunde Ernährung, den gläsernen Menschen und die freie Liebe diskutiert. Der Vegetarier Duschka könnte vordergründig als tiefes Wasser beschrieben werden, das im Laufe der Erzählung aber einem komplexen wie rätselhaften Charakter weicht. Seine Courage gegen das Terror-Regime erstand aus seinem großen Freiheitswillen. Die gleiche Freiheit war es aber auch, die ihn nur bedingt zum Familienmenschen prädestinierte, und seine Bindungsangst in der Liebe verkomplizierte sein Leben. Später wird Lucia Heilmann die Geschichte ihrer Rettung an die Gedenkstätte Yad Vashem übermitteln. Auch dem weltweiten Aufruf, der mit Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ einhergeht, Holocaust-Opfer sollen ihre Geschichte der Shoa-Foundation erzählen, wird sie folgen. In Die Letzten Zeugen, einem vom Burgtheater 2013 realisierten Theaterstück, gab Lucia Heilmann Reinhold Duschka erneute eine Stimme; einem der selbst wohl kein Wort darüber verloren hätte.

 

Erich Hackl, Am Seil. Eine Heldengeschichte.
Diogenes, Zürich
13. September 2018, 19:30 h
Stifterhaus

Buchpräsentation und Lesung mit dem Autor

 

Am Seil. Eine Heldengeschichte.
Verlagstext zum Buch: „Wie es dazu kam, dass der stille, wortkarge Kunsthandwerker Reinhold Duschka in der Zeit des Naziterrors in Wien zwei Menschenleben rettete. Wie es ihm gelang, die Jüdin Regina Steinig und ihre Tochter Lucia vier Jahre lang in seiner Werkstatt zu verstecken. Wie sie zu dritt, an ein unsichtbares Seil gebunden, mit Glück und dank gegenseitigem Vertrauen überlebten. Was nachher geschah. Und warum uns diese Geschichte so nahegeht. Diese Erzählung gäbe es nicht ohne das Versprechen, das Lucia Heilman sich selbst gegeben hat: den passionierten Bergsteiger Reinhold Duschka (1900–1993) zu würdigen, der sie und ihre Mutter vor der Deportation in ein nazideutsches Vernichtungslager bewahrt hat. Auf Lucias Erinnerungen gestützt, spannt Erich Hackl einen weiten Bogen von einer Zeit, „in der Männer noch beste Freunde und Frauen beste Freundinnen hatten“, über die dramatischen, zugleich eintönigen Jahre im Versteck bis in die unmittelbare Gegenwart. In Hackls genauer, vor Leidenschaft leuchtender Sprache werden nicht nur Retter und Gerettete lebendig – sie zwingt uns auch, die Aktualität dieser Geschichte zur Kenntnis zu nehmen in einem Europa, in dem mehr denn je Zivilcourage gefragt ist.“

Erich Hackl, geboren am 26. Mai 1954 in Steyr, OÖ. Nach dem Studium der Germanistik und Hispanistik ist er seit 1983 freier Schriftsteller und Übersetzer sowie Herausgeber von Werken unbekannter oder an den Rand gedrängter AutorInnen. In seinem literarischen wie publizistischen Schaffen geht es Hackl darum, Fäden zu knüpfen zwischen denen, die sich mit heutigem Unrecht nicht abfinden, und jenen, die sich schon früher empört haben und damit nicht allein bleiben wollten. Seinen Erzählungen, die in 25 Sprachen übersetzt wurden, liegen authentische Fälle zugrunde. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u. a.: Kulturpreis des Landes OÖ. für Literatur, 1994; Großer Kulturpreis des Landes OÖ., 2013; Menschenrechtspreis des Landes OÖ., 2017.

Wasser, gewaschen?

Fruchtbare Fragen, gesellschaftliche Diskrepanzen oder die mehrdeutige Kunst, die zwischen Ästhetisierung und Realpolitik verrieben wird? Robert Stähr hat sich den diesjährigen Höhenrausch „Das andere Ufer“ angesehen. Und stellt einige Projekte in den größeren Kontext zu den Themen Wasser, Meer oder Ufer, die in Zeiten wie diesen ihre Unschuld verloren haben.

Zu Beginn des Rundwegs eine Barriere: Um den Ausstellungsparcours zu betreten, gilt es, eine Konstruktion aus Absperrbrettern von Ovidiu Anton zu überwinden, mit Hilfe welcher der rumänisch-österreichische Künstler laut Begleitheft gesellschaftliche Vereinbarungen in Frage stellt. Welche, verrät der in bestem Kunsterklärungslatein gehaltene Text nicht. Wie viele weitere ästhetische und didaktische Ansätze der diesjährigen Ausgabe der seit 2009 (fast) jährlich stattfindenden „Höhenrausch“-Ausstellung verbleiben Werk und „Beipacktext“ im Vagen und Ungefähren. Das mag beabsichtigt sein, um Raum für … eigene Gedanken und Vorstellungen der Besucher/innen zu schaffen; und der klassischen Funktion solcher Texte entsprechen, eine Spur zu legen und gleichzeitig für Betrachter/innen genug offen zu lassen. Aber es mag auch einer allgemeinen Ausweichbewegung geschuldet sein, die dem Trend folgt, Räume öffentlicher und damit politischer Debatte enger werden oder überhaupt verschwinden zu lassen.
Der Besucher/in bietet sich ein Rundgang durch verschiedene Räume von OK und Kulturquartier, über die Dachböden der Ursulinenkirche und den mittlerweile zum Stadtbild von Linz zählenden hölzernen Turm auf dem Dach des Offenen Kulturhauses bis zur Außenstelle Mariendom, den eine qualitative und künstlerisch große Bandbreite von Exponaten zum (gewollt oder ungewollt mehrdeutigen?) Thema „Das andere Ufer“ säumt: eine vordergründig schöne Ausstellung mit Erlebnischarakter über das Element Wasser, die dafür konzipiert ist, über den engen Kreis von Insidern hinaus Publikumsschichten anzusprechen, die sonst nur peripher mit zeitgenössischer Kunst in Berührung kommen. Das ist – so sei hier vorab betont – für eine Institution wie das „OÖ Kulturquartier“ ein berechtigtes und erwartbares Anliegen. Ich bin bei meinem Rundgang Familien begegnet, deren Kinder vor allem an begeh- und betastbare Arbeiten „andocken“ konnten und daran ihre Freude und Anregung hatten. Alexander Ponomarevs hölzern-monumentales „Flying Ship“, so etwas wie das Flaggschiff dieses „Höhenrauschs“, sowie die Soundinstallation mit Videoergänzung der deutschen Künstlerin Tamara Grcic, mit welcher sie die Fließbewegung eines Flusses in ein akustisches Zusammenspiel von Stimmen zu übersetzen (Begleitheft) sucht, seien in ihrer Unmittelbarkeit als positive Beispiele genannt. Der gemeinsame Nenner der überwiegenden Anzahl der gezeigten Positionen liegt aber vor allem in ihrer Mehrdeutigkeit, oft auch Unverbindlichkeit. Daran ändert auch die Gliederung der Ausstellung in verschiedene thematische Bereiche („Vom Nutzen des Wassers“, „Vom Schrecken des Wassers“, „Lebensraum Wasser“, …) nichts. Die symbolische Aufladung von Trivialitäten zu „Wasser“ und deren in den mitgelieferten „Erklärungen“ erfolgte didaktische Verbrämung soll die Besucher/innen vielleicht nicht überfordern; sie vielleicht sogar zum sicheren Hafen des Verstehens geleiten; ob das nicht eher eine Unterschätzung interessierter Menschen von Kurator/innenseite bedeutet, sei dahingestellt. Und ob nicht ein thematisch deutlicher benannter Bereich wichtig gewesen wäre, der den Umstand benennt, dass Meer und Wasser ihre Unschuld verloren haben, sei ebenfalls dahingestellt – das jedenfalls ist die Konnotation, die sich in diesen Tagen von selbst einstellt.
Insgesamt gibt es einiges zu problematisieren: den unfreiwilligen Zynismus, der dem Gesamttitel der Schau sowie einzelnen Bereichstiteln (s. o.!) angesichts von Meeren als nur unter Lebensgefahr überwindbarer Barrieren für Migrantinnen und Migranten innewohnt; die Ästhetisierung dieser Thematik im Rahmen einer Kunstausstellung; schließlich die offensichtliche Empathielosigkeit politischer Entscheidungsträger, welche genau dies nicht nur nicht stören dürfte, sondern die künstlerische Ausdrucksformen vor allem dann schätzen, wenn sie ihnen – diskursiv, performativ, aktionistisch – nicht in die Quere kommen.

Drei Arbeiten soll diese kritische Perspektive überprüfen: Die aus Japan stammende Künstlerin Chiharu Shiota, die mit eine „Vorläuferarbeit“ bei der vorletzten Biennale in Venedig vertreten war, bespielt unter dem Titel „Uncertain Journey“ den großen Saal des OK mit einer raumgreifenden Installation aus einem Geflecht roter Wollfäden, welches sie mit im Raum verteilten Metallbooten verbunden hat. Einerseits eine eindrucksvolle Arbeit. Andererseits: Jeder dieser Fäden kann als ein Aspekt des Lebenswegs eines Menschen verstanden werden. So trägt jedes der Metallboote eine Fülle von individuellen Personen, stets verflochten mit anderen. Jedoch hat diese „Reise ins Ungewisse“ kein Ende … (Text: Begleitheft) So what? Tappe ich in die Falle plumper Aktualitätsbezogenheit, wenn (sicher nicht nur) ich mich weigere, den sich aufdrängenden politischen Kontext auszublenden? Auch wenn Shiota universelle Begriffe wie Identität und Erinnerung, Tod und Leben, und die Existenz in Abwesenheit (!) (Text: Begleitheft) bearbeitet? Oder spricht die blutrote Farbe in der Arbeit Bände, und die Abwesenheit der eindeutigen Termini beschreibt vielmehr den gegenwärtigen Zustand gesellschaftlicher und politischer Ignoranz? Von der Dreikanal-Videoinstallation des Südafrikaners Mohau Modisakeng wiederum wird im Begleittext behauptet, sie sei eine Meditation über den Zerfall afrikanischer Identität durch die Sklaverei. Die mit Symbolik überfrachtete Arbeit pendelt zwischen verschiedenen metaphorischen Ebenen von Wasser (u. a.: Leben spendend und Tod bringend) (Text: Begleitheft). Hat der Künstler kein Problem damit, den aktuellen politischen Kontext durch stark stilisierte Bilder/Szenen zu evozieren und gleichzeitig ins verblasen Allgemeingültige aufzulösen? Der Titel verweist aber auch darauf, dass wir alle Passagiere auf Reisen sind und jede Reise einen Anfang und ein Ende hat. (Text: Begleitheft) Bleibt an dieser Stelle die Frage, ob dem Betrachter, der Betrachterin das Fertigschreiben der Kontexte selbst zugemutet werden kann.
Ärger, Amüsement oder beides in … fruchtbarer Ambivalenz? Das erzählerische Potential von Bildern zu erforschen (Begleitheft), stellt sicher nicht nur für die Australierin Tracey Moffatt eine kontinuierliche Aufgabe dar. Ob diese genuin literarische Aufgabe angesichts der konkreten Narration: Ein übervoll besetztes Flüchtlingsboot ist in Seenot geraten und droht zu kentern (Begleitheft) in ihrer Videoinstallation mit dem Titel „Vigil“ darin bestehen sollte, einschlägiges Bildmaterial mit Sequenzen aus Hollywoodfilmen zu kombinieren, die drei Schauspieler/innen mit vor Schreck geweiteten Augen durch ein Fenster starren lassen, und zwar – so die verbindende Erzählung – auf eben dieses mit Geflüchteten besetzte Boot (!), muss die Künstlerin vor sich selbst verantworten. Ob hier aufrüttelnder Zynismus, der „gesellschaftliche Spiegel“, beabsichtigte oder unbeabsichtigte Komik, gar eine Metaebene des Humors am Werk ist, vermag ich, eingestandenermaßen, nicht zu entscheiden. Große Skepsis halte ich für angebracht.

Pädagogisch-didaktische Attitüde, sich am „Allgemeingültigen“ orientierende Symbolik, metaphorische Aufgeladenheit; ein Ausstellungsparcours mit Erlebnischarakter; bloßes Streifen einer nicht ausblendbaren, hochpolitischen Thematik: All das charakterisiert diese von der Intention ihrer Gestalter/innen zwar irgendwie interessante, aber doch – nicht nur irgendwie – einen schalen Nachgeschmack hinterlassende „Höhenrausch“-Ausstellung. Wir leben in einer Zeit, in der mit dem künstlichen Hochschaukeln (auch so eine Metapher …) einer Bedrohungsproblematik durch flüchtende Menschen, die eine inhumane Abschottung vor deren „Ansturm“ rechtfertigen soll, politisch „große Scheine“ gewechselt werden. Fragen zum Verhältnis von Ästhetik, Erkenntnisgewinn und Politik können wahrscheinlich nie endgültig beantwortet, müssen eben deshalb immer aufs Neue gestellt werden. Sicherlich ist es gerade das breit angelegte, kulturellen Repräsentationszwecken folgende Ausstellungskonzept, dass das Benennen von Kontroversen gesellschaftspolitischer Natur bei der Auswahl der künstlerischen Positionen gescheut hat. Vielleicht wäre die konkretere Benennung der „Flüchtlingsproblematik“ an sich schon eine Provokation für Politiker, die dieses Thema am liebsten völlig aussparen würden und eine Kunst der Behübschung wünschen. Das steht zu befürchten. Es geht rund.

Stolz auf Stolz.

Mit meiner Freundin war ich in der Altstadt, wir sitzen an einem lauen Abend draußen. Ein Mann kommt zu uns her mit den Worten: „Entschuldigung, ich bin schon ein wenig betrunken, darf ich mich kurz zu euch setzen, ich werd auch nicht stören“. Wir nicken, schaut nicht so schlimm aus, weiter: „Entschuldigung, ich möchte nicht stören, aber worüber habt ihr gerade geredet, ich bin gleich wieder weg“. Wir schauen ihn an und sagen: „Filme aus den siebziger Jahren, Rocky und Saturday Night Fever“, und er: „Interessant, ich bin zwar betrunken, nichts für ungut, aber geht’s um den Inhalt oder wie man sich erinnert?“. Ich sage: „Hm“ und sehe ihn an und er meint plötzlich geradeheraus: „Es gibt ja Menschen, die meinen, es gibt jüdische und nicht-jüdische Filme“ und ich: „Bist du wahnsinnig?“. Seine Augen zucken weg und stattdessen ein Ausweichen, wie vor einem grade noch verhinderten Auffahrunfall und er meint, dass niemand mehr Feindbilder habe. Meine Freundin fragt: „Brauchst du Feindbilder?“. Er: „Jeder reagiert auf Reizwörter“, hier brauche er nur etwa „Erdogan“ zu sagen, woanders halt was anderes usw. Was alles im Netz stehe, man könne sich das gar nicht vorstellen usw. … alles im agitierten Ton … und dann kommt grade eine Kupfermuck’n-Verkäuferin, der wir zwei Euro spendieren, was er, der angeblich Betrunkene dann auch macht, ein Verhalten namens Anpassung, Tarnverhalten möchte ich sagen, denn ich nehme ihm seine Betrunkenheit mittlerweile nicht mehr so ganz ab. Ich habe den Verdacht, dass er ein Identitäts-Organisierter ist, denn die Frage nach dem jüdischen- und nicht-jüdischen Film ist so was von deppert bis ungeheuerlich, dass einem das Hirn stehen bleibt. Ich möchte das herausfinden. Aber er verwickelt die obdachlose Frau in ein Gespräch, sagt so etwas wie: „Du regst dich nur auf, dass die anderen dir Unrecht getan haben, du musst selbst was machen“, uswusw. Amikal lädt er sie ein. Meine Freundin, die meine Gedanken liest, flüstert mir währenddessen zu, dass sie eher glaube, dass dieser Typ so eine Art Traumatisierter sei, der den Blödsinn aufgeschnappt habe und geradezu zwanghaft das Gesagte wiederholen müsse, „weil so ein Vollschas weder emotional noch rational verdaut werden kann“, flüstert sie, eben quasi wie eine ideologische Traumatisierung. Ich frage mich kurz, ob SIE die Besoffene ist. Wir sehen ihn jedenfalls an, als er aufspringt und gehen will. Unerwartet sagt er wirklich: „Es tut mir leid. Was mich aber echt aufregt, ist diese Brücke vom Pöstlingberg zum Freinberg. Sollen da die Tiere vom Linzer Zoo drübergehen, oder was?“. Wir sind etwas ratlos, ein Brücken- wie Grenzgang das alles, wir wissen es nicht. Geben ihm aber trotzdem mit: „Du erholst dich schon wieder. Lass dich nicht verarschen“. Tatsache ist, dass es kursiert. Der Umstand, dass man wieder Antisemitismus hört auf den Straßen unseres Landes, ist schockierend. Er sitzt wie ein Krönchen auf alle anderen Menschenhasser-Ideologien. Dieser geschürte Hass ist unerträglich. Diese Dummheit tut weh. Ein anderes Beispiel, auch eine Freizeitsituation, meine Freundin erzählt es mir ein paar Tage später: Am Donaustrand torkelten zwei Vollbesoffene heran, diesmal wirklich Betrunkene und haben gerufen: „Jetzt kommen sie über die Grenzen, sie überrennen uns, jetzt kommen sie, sie greifen uns an“, dann geben sie den Juden Schuld (inklusive, was man mit ihnen machen sollte) und kurz darauf später beschimpfen sie eine schwarze Frau (als was, schreibe ich hier auch nicht). Vollbesoffen, ja. Die Menschen rundum sind befremdet. Meine Freundin war mit einem Freund bei der Donau, er wiederum hat Gäste aus dem Ausland dabei, die den Sommer über an einem FH-Projekt arbeiten. Sie waren entsetzt von dieser Situation. Diese Dinge kursieren im Fahrwasser von Identitätsgelaber und Heimatpartei, sind entfesselt von oben, durch eine Politik, die diese Dinge schürt. Sagt der Freund zu seinen Gästen. Schließlich treffen sich unsere Politiker mit internationalen Rechtsextremen, sagt jemand am Donaustrand noch, und: „Da können wir echt stolz sein“. Er sagte plötzlich fast schon hysterisch kichernd, erzählt sie, nämlich von wegen Banalität, Stolz und seine Gäste: „Die haben ja bei dieser Stolz-auf-Linz-Busen-Kampagne schon aufgeschrien vor Peinlichkeit, das war das Erste, was ihnen hier aufgefallen ist – negativ. Dieser ganze Aufwand der Stadt, für so eine Null-Aussage, was hat denn ein Busen mit Politik zu tun usw.“. Stimmt schon, Politik, Badestrand, Holz vor der Hütte, Rechtsextremismus – es ist anscheinend alles echt schwer auseinanderzuhalten, ja eh … sagen wir jetzt, very dry. Dazu kommt noch die Leistungsbereitschaft, darüber reden wir auch noch. Manche der politischen Verantwortlichen und Wirtschaftsträger scheinen wieder einen Klassenkampf entfesseln zu wollen. Man diskreditiert wieder, nicht nur die Schwachen, auf furchtbar überhebliche Weise, sondern gleich alle – zum Beispiel als faul und dumm. Elitengequatsche. Darüber reden wir. „Das gute alte ‚Teile und herrsche‘“, sagt meine Freundin, „in Seilschaften hängend, das gute neue Einpeitschen und Auspeitschen für die neue Zeit“, sage ich. Heimat meint Haltung – so heißt es neuerlich wieder – und währenddessen saufen die Menschen ab. Wir sitzen in einem Gastgarten in der Altstadt. Sie sagt nochmal zum Abschluss: „Es ist wie in den dreißiger Jahren, nur, dass nicht alles schwarz/weiß ist, wie in den Nazi-Dokus, sondern in Farbe.“ Na dann, Prost Mahlzeit. Stolz auf Stolz.