Man kommt ja vor lauter Unterschreiben nicht mehr nach
Initiative zur Bewahrung der Unabhängigkeit des ORF –
Eine Unterschriftenaktion der IG Autorinnen, Autoren
Mail mit Namen, Berufsbezeichnung und Herkunftsort an gr@literaturhaus.at
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Die Umbrüche in der heimischen Gastroszene sind epochal. Der Slowdude ist erschüttert und sitzt mit aufgerissen Augen, offenem Mund und feuchten Händen vor der Schreibmaschine. Aber der Reihe nach: Das allseits beliebte Cafe Jentschke samt inkorporiertem Kasperkeller ist Geschichte. Schön bleiben in Erinnerung die netten Nachmittage vor oder im Cafe. Mit Blick auf die Landstraße. Re-presenten oder Leute-schauen waren ein beliebter Zeitvertreib an diesem neuralgischen Punkt der Linzer Landstraße. Im Inneren verwinkelt und auch ein wenig aus der Zeit gefallen wurden Kaffee, rauchgeschwängerte Mehlspeisen oder das eine oder andere Bier genossen. SchülerInnen fanden eine Zuflucht beim Schwänzen, aufgetakelte Matronen legten eine Pause beim Powershoppen ein oder die nette alte Dame aus der Herrenstraße verweilte bei einem Verlängerten, während sie auf ihre Freundinnen wartete. Ein Stück Stadtgeschichte. Der Slowdude hasst Jazz und findet das berühmte Zappa-Zitat* überaus passend. Aber im Kasperkeller gehörte der Studentenjazz gemeinsam mit dem Seiterl und Gulasch einfach dazu. Stammtische, Musik und handfestes Essen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ganz anders verhält es sich mit dem nun masseverwalteten Klosterhof. Konsequent wurde das von einem Champagner-Dieter-Bohlen der Linzer Gastroszene baulich einzigartige Lokal über die Jahre verunmöglicht. Das Essen teuer und grauenhaft. Die Veranstaltungen befremdlich und das gesamte nach außen getragene Stimmungsbild verheerend. Hoffentlich findet sich hier ein tragfähiges Konzept, das die Institution weiterleben lässt. Denn der Platz, die Räume und der Garten würden eine würdevolle Nutzung verdienen. Hoffentlich keine XXL-Tapas Bar.
Ein Lichtblick ist jedenfalls das wiederbelebte „Leopoldi“-Stüberl. Wie es scheint, ist die neue BetreiberInnen-Truppe angetreten, das große Erbe des am Adalbert-Stifter-Platz gelegenen Lokals in verjüngter Form fortzuführen. Die investigativ angelegten Testessen des Slow-Dude verheißen nur Gutes. Der freundliche Empfang ist schon mal Balsam auf der Seele des geschundenen Testessers. Das Menü passt. Die Suppe gut und die Kartoffeln zum Schnitzerl kommen nicht aus der Convenience-Packung. Und das Schnitzerl selbst ist auch sehr fein. Winner ist allerdings der – dem Slowdude sehr wichtige – Salatindikator. Super Dressing, frische Salate und liebevoll arrangiert. Hier war ein Update wirklich nötig. Zwar war der Oma-Salat der alten Küchencrew auch recht fein – Essigessenz rules – aber jetzt ist es schon wesentlich besser. Auch die armen Vegetarier haben es leichter und bekommen gute Küche. Was Veganer betrifft, kann der Slowdude nichts sagen, außer, dass sie ihm leidtun. Auch die schonende Renovierung der Einrichtung soll hier nicht unerwähnt bleiben – das Interieur ist weitgehend erhalten und nur schonend und bewusst adaptiert. Der Slowdude denkt: So geht Gastro und so geht sanfte Modernisierung. Top!
Die befreundete Gastrojournalisten-Posse des Landeshauptblattes ist anderer Meinung. Die sollten ihren Testrayon aber auf die neuen „Promenaden-Galerien“ beschränken. Da sind sie zu Hause. Corporate Media at its best.
In den Galerien war der Slowdude auch schon. Und hat probiert, nicht reflexartig zu schimpfen und objektiv zu bleiben. Aber die ersten Schritte in diesem Mix aus Abflughalle und Peripheriewohnbauanlage haben alles zunichtegemacht. Glorious Bastards (wie kann man nur?!?), My Indigo und Barefoot Cafe halten, was sie versprechen. Nichts. Systemgastro, wie sie im Bilderbuch steht. „Witzige“ Namen, austauschbare Konzepte und lahmes Essen erwarten einen dort. Da isst der Slowdude lieber am Sonntag ein kaltes Thunfisch-Sandwich von Freitag in der Tankstelle. Das hat mehr Stil und ist schneller vorbei.
In Kürze: Café Jentschke und Kasperkeller. Ewig schade drum. Klosterhof. Wie sollte es anders kommen. Leopoldistüberl. Daumen hoch. Glorious Bastards, My Indigo und Barefoot Café. Daumen runter.
* „Jazz ist nicht tot, meine Damen und Herren, er riecht nur komisch“
Ein zeitgenössisches Frühlings-Tanz-Fest zwischen Südasien und Europa. Gerlinde Roidinger schreibt über vielfarbige Städte, bunte Kulturen und eine Menschenwelt: Inter-Dance-Project Linz Kalkutta#2, Teil II eines interkontinentalen Tanzprojekts von Elias Choi-Buttinger in Linz, ein verbindendes Städtchen an der türkis-blauen Donau.
Ich bin zu früh, stelle zuerst den Motor und dann das Licht ab, und warte. Es scheint irgendwie mehr los zu sein als letztes Mal, vielleicht weil Freitag ist, kurz nach Mittag. Ein Anruf, keiner hebt ab. Ich beginne ihn zu beobachten, diesen dunkelhäutigen Mann mit Zigarette, oder ist’s eine, wie heißt das noch mal, Tüte? Dann eine Frau mit Turban, weniger ein Kopftuch. Linz, Kalkutta. Ich sollte wahrscheinlich wissen, wie das zu unterscheiden wäre. Egal. Ein junger Mann, vielleicht ein Student, kommt mir entgegen, er hat helle Haare, blond, eigentlich mehr rötlich. Ich schaue auf die Uhr, löse den Gurt, bleibe sitzen. Eine ältere Dame, stark geschminkt, quert die Straße, mit vollen Einkaufstaschen. Von der anderen Seite quert jetzt ein älterer Mann die Straße, er hat ergrautes, leicht schütteres Haar, schaut irgendwie freundlich aus, trägt ein so genanntes Sackerl. Zu Deutsch Tüte. Es ist nicht viel drin, vielleicht ein kleines Geldbörserl. Kalkutta, Linz. Ich immer noch im Auto. Das Gesicht im Rückspiegel kann ich nicht erkennen, vielleicht ein Mann, eine Frau, … Ich kann’s nicht sagen. Beim Dunkelhäutigen weiß ich’s genau, er trägt eine dunkelblaue Haube und eine khakifarbene Jacke, steht noch immer an der Kreuzung. Wider Erwarten bleibt er an der Ecke, quert nicht die Straße, wartet, raucht. Der Rothaar-Student geht jetzt wieder retour, ich schätze ihn 28, vielleicht jünger. Eins nach. Ich öffne die Fahrertür, betrete den sauberen Gehsteig: Linz, Ghegastraße.
In der Wohnung angekommen, erzählt mir Elias von seiner Reise nach Indien, von einer befremdlichen Ankunft am Flughafen, der nicht endend wollenden Taxifahrt quer durch Kalkutta und einer von Angst erfüllten, schlaflosen Nacht: Zu viele Eindrücke, zu viel Neues. Und von einem Tanzstück namens Inter-Dance-Project, das er nach einer mehrtägigen Eingewöhnungsphase im geruchsintensiven Kalkutta mit lokalen Künstler*innen initiiert und zur Aufführung brachte. Es handelt sich um ein Tanzstück, das er 2 Jahre später nach Linz transferiert. Linz? Eine Stadt, in der sich knapp 194 Tsd. Menschen begegnen und aus dem Weg gehen, aus Europa oder Asien, aus aller Herren-, Frauen- und Genderländer. Ebenso wie in Kolkata, Calcutta oder Kalkutta, auch „Stadt der Freunde“ genannt, in der rund 30 Mio. Menschen leben, vorwiegend auf der Straße und in Armut. Elias lernt manche davon kennen und trifft sich regelmäßig mit ihnen. Mehrere Wochen leben und trainieren sie gemeinsam. Während sie probieren und experimentieren erarbeiten sie schließlich ein umfassendes Projekt, das Inter-Dance-Project, in dem sie zwei scheinbar völlig gegensätzliche Tanzstile gegenüberstellen, reflektieren und verbinden: Breakdance und klassischen indischen Tanz. Elias und seine indischen Kolleg*innen sind fasziniert von der Vielfalt der Tanzstile und deren Gemeinsamkeiten. Das Ergebnis dieser intensiven Auseinandersetzung wird später in Ahindra Manch, einer der größten Bühnen Kalkuttas, präsentiert, und Szenen daraus auch im öffentlichen Raum, etwa in U-Bahnen und auf Brücken, öffentlichen Marktplätzen und auf dem Uni-Campus. Elias will auf diese Weise den zeitgenössischen Tanz voranbringen und so einen Austausch für professionelle Tänzer*innen ermöglichen, um die Szene zu bereichern und Menschen aus verschiedenen Kulturen zu verbinden.
Kultur(en)! Oje, schon wieder dieses inflationäre Wort! Sorry, aber ich kann es schlichtweg nicht mehr hören. Ein kleiner gedanklicher Abstecher ins World Wide Web sei mir hier deshalb hoffentlich verziehen: Als erstes Suchergebnis finde ich (welch Überraschung!) einen Wikipedia-Eintrag mit der wörtlichen Bedeutung aus dem Lateinischen „cultura“ (= Bearbeitung, Pflege, Ackerbau), wobei Kultur im weitesten Sinne „alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt“ beschreibt und im engeren Sinne „ein System von Regeln und Gewohnheiten, die das Zusammenleben und Verhalten der Menschen leiten“.
Aber zurück zum Tanzstück: Es gehe um Integration, höre ich Elias später sagen. Shit, denke ich: Wort Nummer 2, das bei mir rein ins Ohr und direkt gegenüber gleich wieder rausfliegt, einfach weil es mein Gehirn wegen Übersättigung nicht mehr aufnehmen kann. Keine Sorge, dieses Mal wird es kein Exkurs, nur so viel: „Integrare“, ebenfalls lateinisch: erneuern, ergänzen und geistig auffrischen.
Die Idee für das integrativ-interkontinentale Tanzprojekt sei also in Kalkutta entstanden, erklärt Elias weiter. Er, selbst zeitgenössischer Tänzer und professioneller BBoy sowie Breakdance-Lehrer, trifft dort auf Darshana Borkotoky, eine der besten Tänzer*innen des klassischen indischen Tanzes und Gewinnerin von zahlreichen Preisen indischer Tanzwettbewerbe, mit einem Masterstudium in Bharatnatyam, der wohl berühmteste der indischen Tänze. Die beiden verstehen sich auf Anhieb, unterrichten sich gegenseitig, lernen voneinander, erforschen ihre Art zu tanzen und versuchen im Austausch Neues entstehen zu lassen. Gemeinsam mit den anderen Tänzer*innen aus der Breakdance- und klassischen Szene experimentieren sie mit den unterschiedlichen Tanzstilen, vermengen Breakdance-Moves mit indischer Hochkultur und tanzen für Kali, die indische Göttin der Erneuerung. Bald haben sie ein Stück entwickelt, mit dem sie dank LinzEXPORT 2016 durch ganz Kalkutta touren und welches nun durch Elias’ unermüdliches Bemühen um Förderungen und die Unterstützung des österreichischen Bundeskanzleramtes als Inter-Dance-Project#2 im Frühling 2018 in Linz fortgeführt wird.
Zusammen:wachsen lautet der Name der Förderung des bka, und so auch das Ziel von Elias, der überzeugt ist, dass „sich bewegen“ wohl der einzige Weg für die Menschen ist, wenn sie auf diesem Planeten überleben wollen: Wer in Zeiten von Erderwärmung und Klimakatastrophen in den Fluten der immer knapper werdenden Wasserressourcen nicht untergehen will, tut gut daran, neue Plätze kennenzulernen und sich aktiv daran zu beteiligen, miteinander auszukommen, um vorwärts zu kommen, ist der junge Choreograf sicher. Neue Kulturen kennenzulernen heißt für Elias, sich und sein Leben zu erfrischen: „Wir sind JETZT da, und wir leben im Moment. Auch wenn es manche nicht mitbekommen.“ Diese lebendige Haltung will er auch für Linz spürbar machen.
Aus Indien werden dafür 5 ausgezeichnete Tänzer*innen eingeflogen, um in einem 6-wöchigen Research-Projekt mit weiteren 4 lokalen Künstler*innen aus Tanz und Musik zusammenzuarbeiten. Insgesamt 9 Tanzstile hält dieses Multi-Kulti-Tanzprojekt bereit: Die klassischen indischen Tänze Bharatanatyam und Odissi, drei Stilrichtungen des urbanen Tanzes -Popping, Wacking und Breaking-, sowie auch syrischen und chinesischen Volkstanz und Einflüsse des zeitgenössischen Tanzes und des klassischen Balletts. Bharatanatyam, ein Tanz mit sehr vielen kleinen Bewegungen und Handgesten, vermittelt beispielsweise im Gegensatz zum klassischen Ballett der europäischen Hochkultur keinesfalls ein luftiges Körperkonzept und strebt demnach auch nicht nach Leichtigkeit. Vielmehr ist er erdig, manchmal auch schnell und dynamisch, und erfordert ebenso jahrelanges Training sowie eine enorme Körperbeherrschung. Nahezu jede Muskelbewegung hat eine Bedeutung, etwa auch ganz kleine Bewegungen der Augen und Augenbrauen. Elias, in der europäischen HipHop- und Breakdance-Szene sozialisiert, verbindet in diesem Inter-Dance-Project jedoch nicht nur europäische und indische Kultur, sondern vor allem auch indische Hochkultur mit der Welt des Urban Dance indischer Ghettos. Extreme, die sich zwischen den emporragenden Himalaya-Gebirgsketten und den Straßen der staubigen Slums Indiens abzeichnen, und sich in den Tälern zwischen Arm und Reich sowie auch im Tanz widerspiegeln.
Um diesen Kultursprung mit all seinen Breaking Moves und tänzerischen Highlights möglichst vielen, vor allem auch jungen Menschen in Linz erfahrbar zu machen, wird neben der Anton Bruckner Privatuniversität und der Redsapata Tanzfabrik auch das Jugendzentrum Ann & Pat Schau- und Aktionsplatz von Unterrichtspraxis und offenen Gesprächen sein. Die kontroversen Tanzstile können im Workshop-Format kennengelernt und diskutiert werden, Einblicke in die künstlerische Arbeit der Tänzer*innen und die Möglichkeit zum persönlichen Austausch gibt es immer wieder auch tagsüber. Als sichtbares „Resultat“ dieses Inter-Dance-Project#2 wird das neunköpfige Ensemble Ende April in Wien (27. 4. Weltmuseum Wien, 28. 4. Volkskundemuseum Wien) und Anfang Mai in Linz (3. 5. Lentos Kunstmuseum) schließlich ein Tanzstück präsentieren, das die zeitgenössische Tanzszene bereichern sowie die Menschen vor Ort und darüber hinaus zum kulturellen Diskurs einladen soll …
Elias muss gleich zum Training, ich verabschiede mich. Auch bei Aruna, sie strampelt gerade ihre nackigen Füßchen in die Luft. Aufgeweckt lächelt sie jetzt ihren Papa an, während ich in ihren Augen die Ähnlichkeit mit ihrer Mama Wendy aus Macau, ebenfalls Tänzerin des Inter-Dance-Project#2, erkennen kann. Die Kleine ist erst ein paar Wochen frisch und hat gerade fleißig in die Windel gepfeffert. Scharfsinnig hält sie still und reagiert auf meine Stimme: So ein schönes Mädchen! Beautiful!
Inter-Dance-Project#2
26. März – 6. Mai 2018 in Linz
danceidp.com
Fr 27. 04. im Weltmuseum Wien
Sa 28. 04. im Volkskundemuseum Wien
Do 03. 05. im Lentos Kunstmuseum Linz
Gegen Rechtsextremismus in Österreich
Offener Brief von Universitätsprofessor_innen und Universitätsangehörige an Bundeskanzler Sebastian Kurz + Bundesminister Prof. Dr. Heinz Faßmann, zur Beendigung jeglicher Zusammenarbeit mit sämtlichen Mitgliedern rechtsextremer Burschenschaften, sowie rechtsextremer Medien.
www.openpetition.eu/at/petition/online/gegen-rechtsextremismus-in-oesterreich
Nadine Redlich lebt und arbeitet als Cartoonistin in Düsseldorf, ist Next-Comic-Artist und Artist in Residence im Salzamt. Laut Rotopol, dem Verlag für grafisches Erzählen, erscheint „nach ihren spannungslösenden Büchern ‚Ambient Comics‘ und ‚Ambient Comics II‘ dieses Jahr ihr Stresswerk ‚Paniktotem‘“.
Mehr unter www.nadineredlich.de
NEXTCOMIC Festival: 16. bis 24. März 2018, www.nextcomic.org
Zurück von der Transmediale und jetzt mit dem Streamingprojekt in Kooperation mit Museion Bozen beschäftigt, traf Pamela Neuwirth den Medienkünstler und Kurator Davide Bevilacqua zum Interview über das AMRO Festival in Linz, welches er 2018 organisiert. Sie sprach mit ihm auch über die Grauzone zwischen Kunst und Kuratierung.
Davide, du kommst eben von der Transmediale in Berlin zurück. Wie wars?
Intensiv. Festivalthema war Face Value. In unterschiedlichen Formen und Formaten auseinandergesetzt, dehnte sich das Thema inhaltlich in ein breites Spektrum aus, das von Bitcoin bis hin zu Fragen digitaler Kartografie reichte, es waren auch ganz schön paranoide Szenarien dabei.
Kartografie wäre ein Stichwort, servus.at hat sich letztes Jahr in einem Projekt damit befasst und ihr habt die Resultate im Kunstraum Goethestrasse präsentiert. Bevor wir davon sprechen, lass uns doch über deine letzte Vergangenheit hier in der Stadt reden, wo du nach deinem Studium in Venedig Interface Cultures studiert hast. Daneben die Zusammenarbeit mit quitch oder deine kuratorischen Aktivitäten. Was hat dich am Studienfach interessiert und wohin hat sich dein Forschungsinteresse und die Kunst bis heute entwickelt?
Ich komme eigentlich aus der bildenden Kunst, vom Theater und der Performance. In Venedig habe ich vom Studienfach Interface Cultures an der Kunstuniversität erfahren und von Linz im Allgemeinen durch die Ars Electronica. Jedenfalls kam es so, dass ich einen mehrmonatigen Crashkurs in Programmierung absolviert habe, bevor es hier losgegangen ist. Das Studium ist vielfältig, das geht von Tiefenprogrammierung bis hin zu klassischen bildschirmbasierten Interfaces oder sehr haptischen Umsetzungen. Es gibt große Diskussionen, wie man Informationen nicht nur visuell, sondern durch Motoren oder Sound vermittelt; dieses physische Feedback hat mich immer interessiert, weg von diesen Tendenzen „Alles schön und oberflächlich“, was gerade in den Interfaces passiert. Eine kleine Nebensache: Ich habe immer gerne Sachen organisiert. Während des Studiums habe ich 2015 die Ausstellung Unmade Displays an der Universität Udine mit Vincenzo Estremo organisiert. Seitdem habe ich das Kuratieren weiterverfolgt und daneben meine eigenen Projekte realisiert. Beim Palinsesti Festival bin ich seit drei Jahren als Kurator engagiert, dort hat es sich ergeben, mit Michele Spanghero, der mit Ad lib. (2017) bei der Ars vertreten war, in interessanter Konstellation zu arbeiten. Das Kuratorische war Nebenschauplatz, wir haben als Künstler miteinander funktioniert. Ich habe damals die Ursuppe entwickelt gehabt, eine Soundperformance mit Obst und Elektronik, wo es starke Parallelen zu Micheles Arbeit gab. Ursuppe war als eine Echtzeit-Umsetzung konzipiert; diese Form haben wir in seine – davor statische – Arbeit übertragen, wo eine fertige Komposition abgespielt worden wäre und sie in eine große Live-Performance transformiert. Es war bei der Masterarbeit klar, diese beiden Ebenen zu verbinden mit dem Ziel, die Grenze zwischen Kunstwerk und Ausstellung zu verwischen oder aufzuheben. In dieser feinen Grauzone, künstlerisch wie kuratorisch, neue Ansätze zu finden, einen echten Perspektivenwechsel. Linz ist dafür eine super Stadt. Ich bin im Künstlerkollektiv quitch aktiv. 2017 haben Ushi Reiter, System Jaquelinde, Veronika Krenn und ich das Kartografieprojekt HIC SVNT DRACONES umgesetzt; es war aufregend, die unterschiedlichen Denkweisen und Ideen miteinander zu erarbeiten.
Mit Veronika Krenn arbeitest du regelmäßig. In Summernights I Looked For Insects habt ihr erst letztes Jahr und zwar in London bei „Emotion + the Tech(no)body“ gezeigt. Wie funktioniert eure Arbeitsweise?
Uns interessieren momentan selbstentwickelnde Prozesse, die wachsen oder reagieren. Evolving Calculators ist ein Beispiel. Wir haben verschiedene Wirtschaftstheorien und ökonomische Konzepte miteinander abgeglichen. In den Konzepten spielen mittlerweile Maschinen eine Rolle. Unsere Idee war eine Maschine, die nicht Ökonomie erzeugt, sondern Theorien. Für das Unterfangen mussten viele Theorieblöcke gebaut werden, damit das eine Maschine lernen kann. Wir haben neben den Theorien Metaphern und Bilder generiert, um den Bruch zwischen Marxismus und Kapitalismus darzustellen. So generell, was das Arbeiten als Duo betrifft: Wir haben keinen Namen, aber einen dichten Austausch an Ideen. Bei den Insekten (Anm.: In Summernights I Looked for Insects) war es so, dass ich zu einer Ausstellung in Italien eingeladen war und es gab da diese Idee. Ich entwickelte Sounds und Stromkreise, Veronika die Realisierung der Objekte, visuelle Repräsentation liegt ihr sehr, sie ist auch eine ausgezeichnete Grafikerin.
Auf deiner Homepage war zu lesen, du beschäftigst dich vor dem Hintergrund der KI und Robotik mit Fragen des „technologischen Positivismus“ und der „Rhetorik der Kybernetik“. Das nimmt beinahe meine Frage vorweg, was die Diskurse sind, an denen du dich orientierst oder die du kritisierst?
Positivismus und Rhetorik der Technologiewelt sind für mich Probleme, um die man nicht herumkommt und ein Grund, warum ich gerne bei servus.at arbeite. Was Technodiskurse betrifft, interessieren mich Zusammenhänge zwischen monopolistischen Strukturen durch Konzerne, open source-Philosophie und ethische Fragen. Hinsichtlich der Verbindung von kapitalistischer Entwicklung und Technologie stören mich manipulative Versprechungen. Die trügerische Darstellung eines Produktes, einer Entwicklung. Die „neuen Ideen“ wurden ebenso von Open-Source-Communities hervorgebracht, wie das auch in der Medienkunst oder durch die Medienkunst vor zwanzig oder dreißig Jahren passiert ist. Die Ars Electronica hat die Themen KI und Machine Learning aufgenommen, weil es in ist. Bitcoin und Blockchain sowie Desinformation im Kontext von Social Media sind weitere Komplexe, um die man sich kümmern muss. Ich habe bei all dem aber das Gefühl, die Rhetorik ist oft fehlgeleitet. Weiß man ungefähr, wie eine KI funktioniert, bleibt man gegenüber Präsentationen, die eine künstliche Intelligenz suggerieren, skeptisch. Der Begriff ist zu großzügig, die Ingenieure meinen meistens etwas anderes. Der Sensor misst, die Maschine schaltet sich ein oder aus. Das ist nicht besonders smart, aber wir nennen es so. Vielleicht, weil es cool klingt, wie auch die Geschichten von Maschinenintelligenz. Intelligenz ist eine Frage des Begriffs. Im aktuellen Trend ist dafür zumindest viel Platz für Interpretationen.
Du hast eingangs die Paranoia erwähnt. Wie sieht deine aktuelle Situationsanalyse in Sachen Internet aus? Ich meine, nachdem die Weltöffentlichkeit von Snowden erfahren hat und während die Netzneutralität von staatlichen und wirtschaftlichen Interessen zerrieben wird, wie lassen sich aus deiner Sicht etwa Überwachungsszenarien im Internet beschreiben?
Das ist sehr schwierig. Überwachung, Datenschutz und Privacy … ich glaube, das Thema hat an Kraft verloren. Vor ein paar Jahren war es virulent, Wikileaks hat gezeigt, was nicht funktioniert, die Überwachung der NSA usw. Der Öffentlichkeit wurde das schon bewusst, aber es gibt mittlerweile andere Themen, die Raum brauchen, wie Extremismus im Netz. Es scheint, als ob sich die Menschen daran gewöhnt hätten, überwacht zu werden; es ist wie eine Post-Konditionierung. Daneben kümmert man sich um die Netzneutralität und geht gegen rassistische Inhalte in Filterbubbles vor; letzteres scheint momentan der stärkere Trend zu sein. Man ist mit einer Rhetorik konfrontiert, die sagt, man braucht Facebook, damit man nicht in Isolation gerät. Also die Konsequenzen tragen: Ich weiß, meine Daten werden gefressen, mache aber trotzdem mit. Kommunikation wäre ein Weg, Probleme nicht nur in kleinen, kritischen Gruppen, sondern in einer breiteren Öffentlichkeit zu lancieren. Um das zu erreichen, muss man die Kanäle dieser Öffentlichkeiten nutzen. Es geht um eine Balance zwischen kritischen Zugängen, wie AMRO oder Transmediale und daneben um populärere Zugänge. Auf der Transmediale sind die Themen leicht zu diskutieren, aber wenn wir uns bemühen, die Welt besser zu machen, dann sollten wir uns bemühen, die Diskussion breiter anzulegen. Es ist problematisch, dass manche der Überwachung durch CCTV-Kameras positiv eingestellt sind. Der tagespolitische Diskurs rund um Terroristen, Kriminalität und Migration hat die Gesellschaften nach rechts gerückt. Sicherheit ist nur ein Schlagwort. Wir wissen von den Problemen, Migration mit Gefahr gleichzusetzen. Solche radikalen Rhetoriken haben mitgeholfen, dass Überwachung heute von einer Mehrheit toleriert wird.
AMRO wird heuer von dir kuratiert. In welche Richtung geht das Festival bzw. gibt es Inhalte, wo du schon sagen kannst, dass diese in Lectures oder Performances umgesetzt werden?
Aus den Linux-Wochen Linz hat sich AMRO in den letzten Jahren biennal konzipiert, d. h. ein Jahr Research Lab, im nächsten werden die Resulate des Labs für das Festival aufbereitet. Für das Festival gibt es ein Kernthema, dem immer noch andere damit zusammenhängende Themen angeschlossen werden, die einen Open Source aufzeigen. Im Research Lab 2017 zu Kartografie oder Digital Mapping haben wir technische oder ästhetische Fehler in Kartografien untersucht und angewandt. Das Thema bei AMRO wird also Kartografie sein, vielleicht als Grundlage noch einmal abstrakter angelegt. Es geht nicht nur darum Karten zu zeichnen. Das Konzept der Critical Cartography finde ich, neben technischen oder ästhetischen Fragen, spannend. Critical Cartography bedeutet, BürgerInnen wenden die Kartografie selbst an. Karten haben mit Macht zu tun. Selbstermächtigung ist eine Taktik, einem Machtverhältnis etwas zu entgegnen. Das ist ein sehr schönes Bild: Zuerst musst du die Situation verstehen, das Netz, die Kommunikation, das Mapping aufbauen, und dann erschließt sich, was Kartografien fehlt, welche Schlüsse noch nicht gezogen wurden. AMRO funktioniert nicht top down, alle Beteiligten diskutieren auf einer Ebene unterschiedliche Perspektiven. Wie können post-demokratische Diskurse umgangen werden? Wie können wir uns in politische Verhältnisse einmischen? Beim Steirischen Herbst ist mir eine Gruppe aufgefallen, die für ihre Arbeit, The Left-to-Die Boat, die Meeresroute eines libyschen Schiffs auf dem Weg nach Italien untersuchte. Das Schiff havarierte, die Menschen, es waren Flüchtlinge, wurden auf dem offenen Meer zurückgelassen. Forensic Architecture sind ein Konglomerat von Leuten unterschiedlicher Sparten, wie Statistik, Informatik, Soziologie, Architektur. Für The Left-to-Die Boat wurden neben Weg-Zeit-Diagrammen, Daten mit ganz anderen räumlichen Informationen verschränkt. Die Adria ist ein hochüberwachtes Gebiet. Durch die unkonventionelle Verschränkung der ohnehin vorhandenen Informationen, haben Forensic Architecture gezeigt, dass nicht hätte passieren müssen, was passiert ist. Das Unglück wurde zugelassen. Forensic Architecture wären interessante Gäste für AMRO.
2018 – Art Meets Radical Openness (#AMRO18)
16.–19. Mai 2018
Unmapping infrastructures
AMRO – Art Meets Radical Openness, das Festival für Kunst, Hacktivismus und Open Cultures seit 2008 von servus.at in Kooperation mit der Kunstuniversität Linz organisiert, wird dieses Jahr von 16. bis 19. Mai im afo – architekturforum Oberösterreich, der Kunstuniversität Linz und der Stadtwerkstatt stattfinden.
Retten wir die Almtalbahn!
Unterschreibe für den Erhalt der Nahverkehrsanbindung von Wels nach Grünau im Almtal!
(Petition aktiv bis 21.03.2018) www.openpetition.de/petition/online/retten-wir-die-almtalbahn
Am Neujahrstag 2018 verunglückte der Schriftsteller, Zeichner, KunstWandWerker & Rauminstallatör Walter Pilar. Robert Stähr mit einem kursorischen Beitrag.
Linz-Urfahr, Ecke Kaarstraße/Landgutstraße. Hinter mir auf der Straße höre ich ein Moped „tuckern“. Der Fahrer, ein bärtiger Mann von – wie ich meine – Ende vierzig, überholt und stellt sich mir auf dem Gehsteig in den Weg. Es ist der Schriftsteller Walter Pilar; wir kennen uns bis jetzt nur vom Sehen auf einschlägigen Veranstaltungen. Du bist der Stähr fragt er im Tonfall zwischen Behauptung und … Vorwurf. Ich bejahe, unsicher, aber doch erfreut über die Frage des Kollegen. Obwohl Walter anschließend mehrmals betont, es eilig zu haben, gleich nach Hause zu müssen, entwickelt sich ein erstes längeres Gespräch zwischen uns beiden, auf dem Gehsteig Ecke Kaar und Landgut.
Walter feiert den 50. Geburtstag in Ebensee, seinem … Heimatort, der Industriegemeinde am Südende des Traunsees, die ihm mitsamt der Umgebung und dem Salzkammergut nicht nur als biographischer Reibebaum, an denen er seine „Funken“ entzünden konnte, diente; als „Traunseher“ (so der Name einer von WP in den siebziger Jahren mitbegründeten Künstlergruppe) fand er in seiner engeren Heimat so etwas wie den Minimundus der „großen“ Welt und ihrer Verwerfungen. Am Morgen nach dem Fest in einem Gasthaus im Ort findet die Annahme der Geschenke im Hof hinter dem alten Bauernhaus in der Langwies, dem von den Eltern geerbten Zweitwohnsitz der Familie Pilar, statt. Die Inszenierung sieht vor, dass Walter, verkatert, nach durchzechter Nacht den Hof betritt und die in dessen Mitte aufgehäuften „Präsente“ begutachtet. Sein Verhalten ist eine Mischung aus Dank, Brüskierung und Provokation der Anwesenden. Ein Disput dreht sich um Qualität und Status des Verlags eines der Buchgeschenke; der „Schenker“ verteidigt den Verlag als renommiert, Walter zieht das in Zweifel. Das im Halbkreis um den Jubilar stehende und sitzende Publikum reagiert mit einer Mischung aus Lachen und Kopfschütteln.
Während des Lesens läuft Walter zur Hochform auf. Er liest zwanzig Minuten lang. Ich komme in den Genuss einer privaten Vorab-Lesung aus den Geraden Regenbögen, nach der Skurrealen Entwicklungsromanesque (1996) – einem „autoautopsischem Biografföweak“ (WP) – die zweite Welle von Lebenssee, dem (hätte er dieses Wort gehasst?) Opus Magnum von Walter Pilar. Die Regenbögen sind 2002 erschienen, es muss in diesem Jahr gewesen sein, als wir in seinem Gartenatelier zusammensitzen; die Frühlingssonne scheint durch die großen Glasfenster, es ist sehr warm. Ich erinnere mich an die Atmosphäre, die Intensität von Walters Vortrag, bruchstückhaft an die gelesenen Passagen, in denen es um eine „Dichterlesung“ seines Freundes Erich Wolfgang Skwara an der Linzer Kepler-Uni und um einen Besuch bei Thomas Bernhard auf seinem Bauernhof in Ohlsdorf („Hea Bernhart, wia wahn jetzt da!“), beides in den späten Sechzigern, geht. Noch während Walter liest, biege ich mich vor Lachen über seine mit Wortschöpfungen und beißendem Humor gespickten Schilderungen. Dann schauen wir einander an, lachen gemeinsam.
Ich müsse zuerst die Abfallkübel in die Mülltonnen entleeren, sage ich zu Walter Pilar, als er mich überraschend zu Hause besucht. Walter geht mir, pausenlos redend, hinterher, hinunter in den Hof hinter dem Wohnhaus. Die Tonnen stehen neben einer Gartenhütte, einem Hitl, wie Walter anmerkt – um augenblicklich Hitler damit zu assoziieren. Wortassoziationen wie diese, die sich in seinen collageartigen Texten in hochdeutscher und dialektaler Schriftsprache oft zu Wortkreationen – „Neologismen“ stimmt zwar, passt aber trotzdem nicht – entwickeln, sind typisch für Pilar. Irgendwo zwischen originell und absurd, erkenntnistief und bisweilen auch trivial: „Pilarismen“.
„Pilarismen“: Shortest Cuts (kleine willkürliche Auswahl) Kuhlenkrampf Unterkapital Kotelettrismen Alkoholfahnigkeit Thomas-Bernhardisten Schnarchotrotzkisten Rauminstallatör Blechbunkel Wixenschaften stupidiert Kleinquerbetreibender Kunstwandwerker Reisgangreisen gegenrund Lebensblumenbüschelkraut Lebensfleckerl hochkarametrig Hausmeisterfeldabfahrtslauf Knabenhau- und Reißschule Dampfsträhne Knackwurschtschläge PaRadieschen dumpfdunkel Dreckamöbenexistenz vaterlandsunwert
Mittagstisch bei Gerti Pilar, Walters Ehefrau, in ihrer Wohnung des gemeinsamen Hauses in Linz. Alle Gäste sitzen am Tisch, nur Walter fehlt noch. Schon von weitem hören wir ihn, „geistliche Gesänge“ anstimmend, kommen. Mit großer Geste betritt er den Raum und erzählt von der Messe in der Pfarrkirche, die er eben besucht und in deren Rahmen er nach der Predigt mit dem Pfarrer diskutieren wollte. Es sei keine Diskussion möglich gewesen. Vor der Messe sei er – in der Hoffnung, linken Freunden zu begegnen – demonstrativ auf dem Pfarrplatz auf und ab gegangen.
Über Jahre hinweg dasselbe Frage- und Antwortspiel: Wann kommt Lebenssee drei? – Ja … ja bitte, das braucht Zeit, ich kann doch nicht, bitte, ich schreibe daran … Walter wirkt aufgeregt und geradezu indigniert, wenn ich ihn bei zufälligen Zusammentreffen nach dem Fortgang der Arbeit am nächsten Band von Lebenssee frage. Mit der Zeit wird meine Frage zu einer Art Running Gag – zumindest für mich. Zwischen der Veröffentlichung von zweiter und dritter Welle (Titel: Wandelaltar) vergehen schließlich mehr als zehn Jahre.
Wer zählt den Herbst nach Spreißlholz?
Den Sommer nach den Beerenstacheln,
Den grünen Frühling nach versprühten Eimern Wiesensüling,
Den Winter nach den Abendstunden
Im Wirbel sanften Flockenflugs um Eiszapf. Eisack. Prost!
Am Neujahrstag 2018 stürzt Schriftsteller, Zeichner, KunstWandWerker & Rauminstallatör Walter Pilar über die Kellerstiege seines Hauses. Er müsse, nach ärztlicher Auskunft, mit dem Kopf auf die Steinkante einer Stufe geschlagen und sofort tot gewesen sein. Kurz zuvor hat er die vierte Welle von Lebenssee fertiggestellt. Sie ist, wie die ersten drei, im Ritter Verlag erschienen.
(„Pilarismen“ und Gedicht sind zitiert aus: Lebenssee. Eine skurreale Entwicklungsromanesque. Klagenfurt 1996
Lebenssee. Gerade Regenbögen. Klagenfurt 2002)
Walter Pilar war Schriftsteller, Zeichner und bildender Künstler. Seit 1968 trat er mit Performances, Aktionen, Ausstellungen und Publikationen auf. Am Beginn der schriftstellerischen Laufbahn standen die Gedichtbände klupperln & duesenjaeger, Jederland, An sanften Samstagen. Zu erwähnen sind außerdem vor allem Augen auf Linz (gem. mit H. Vorbach, 1990) und Eingelegte Kalkeier (1993). Das erste größere Prosawerk folgte 1996 unter dem Titel Lebenssee – eine skurreale Entwicklungsromanesque. Charakteristische Stilmerkmale Walter Pilars sind Collagetechnik und Wortschöpfungen, in denen hochsprachliche und dialektale Elemente in Kontrast gebracht werden. Pilar hat für die österreichische Literaturgeschichte das Genre der Heimatromanesque erfunden. Sein Lebenssee präsentiert sich als eine literarische Chronik des Provinziellen, die, vom „autoautopsischen Biograffäweak“ ausschweifend und auf umfassende Ton-, Bild- und Geruchsmaterialien zurückgreifend, zu einer Art fröhlichen Landesgeschichte des Voralpenländischen mutiert. Tatsächlich reiht sich hier der Chronist in die vorderste Linie der Hinterwäldler ein und sein Eintauchen in die Tiefen der verdammten Herkunft (Ebensee) ist vordergründig lustvoll angelegt, dass der Zeigefinger des distanzierten Satirikers oder das Ressentiment des heimatbeschädigt Gequälten ohnehin auf der Strecke bleiben. Walter Pilar lebte in Linz. Im Jahr 1990 erhielt er den oberösterreichischen Landespreis für Literatur.
(Zitiert u. a. aus: Ritter Verlag, Wikipedia)
Ein Text von Christian Pichler zu Walter Pilars Wandelaltar ist auch in der Referentin #1 erschienen.
Zum Tod von Hansjörg Zauner.
Für Widmungsexemplare griff Hansjörg Zauner gerne zur Nadel. Mit ihrer Hilfe zog er rote Wollfäden entlang von Worten und Bildern, die er zuvor aus von ihm gefertigten Texten, Fotografien und Collagen geschnitten, sorgfältig auf eine Buchseite geklebt und schließlich mit seiner Signatur versehen hatte. Der Nadelstich ins Papier fungierte zugleich als Ausweis einer Poetik, die Zauner mit beeindruckender Konsequenz und nicht nachlassendem Enthusiasmus in mehr als 20 Buchpublikationen sowie einem umfänglichen bildkünstlerischen Werk verfolgte, wie auch ein Ausschnitt aus der 2005 erschienenen Prosasammlung die ofensau muß raus verdeutlicht: „bekannt wurde ich also als worteaufschlitzer. ich bin der einzige der mit seinem gesamten körper hineinsteigen kann. so verschwinde auch ich für einige zeit.“ Zauners künstlerische Einlassungen, die zudem Ausstellungsbeteiligungen, Auftritte im Radio sowie die Herausgabe einer Anthologie Gedichte nach 1984 (gemeinsam mit Gerald Jatzek) und mehrerer Zeitschriften umfassten, machten nicht vor Worten und den ihnen zugewiesenen, vermeintlich feststehenden Bedeutungen Halt. Stets nahmen sie den Körper und seine Wahrnehmungsfähigkeit zum Anlass, das Verhältnis von Welt und Sprache neu auszuloten, indem bestehende Sinnzusammenhänge lustvoll dekonstruiert wurden. „ICH HABE DIE WORTE IN VERDACHT“, heißt es dementsprechend in einem Anagramm der Textsammlung zerschneiden das sprechen, die 1989 in der Linzer edition neue texte erschien und heute zu den weitgehend vergessenen, herausragenden Zeugnissen österreichischer experimenteller Dichtkunst der 1980er-Jahre zählt. In formaler Hinsicht deutlich von Autorenkolleginnen wie Friederike Mayröcker oder Reinhard Priessnitz beeinflusst, wollte Zauner das Durcheinander der Wahrnehmung und Dickicht der Worte weniger lichten als mit poetischen Mitteln veranschaulichen: „also liegen legionen worte versehentlich auf steilen rücken strecken alle ihre füße in ihr bezeichnetes hinein warten was sonst noch passiert.“ Der unbedingte Glaube an die dichterische Vernunft machte in seinem Schreiben einer neuen Sinnlichkeit Platz, die ihre Inspiration gleichermaßen aus dem Kanon literarischer Avantgarden von Gertrude Stein bis Meret Oppenheim wie aus der Musik von Sonic Youth, Hüsker Dü, PJ Harvey und Björk oder den Bildern von Cy Twombly, Keith Haring, Jean-Michel Basquiat, Andy Warhol bezog: „gleichzeitig spreche ich zwei wörter. gleichzeitig denke ich drei sätze durcheinander. drei sätze denken sich selbst wenn sie zu splittern beginnen.“ Daneben las Zauner aber auch Gedichte von Pablo Neruda, Ingeborg Bachmanns Der gute Gott von Manhattan oder die Prosa Josef Winklers. Dementsprechend häufig handelt sein Werk vom Blick des Außenseiters auf den multikulturellen Raum der Großstadt und ihr besonderes Lebensgefühl, von Randzonen der Gesellschaft und synästhetischen Grenzerfahrungen. Diese Beobachtungen verdankten sich nicht allein seinem ständigen Wohnort Wien, sondern waren auch längeren Stipendienaufenthalten in Berlin, Rom, Paris oder Istanbul geschuldet: „bis die sprache ganz zusammengekehrt ist dauert es ein paar jahre sagt man in barbès.“ Die dichterische Aufräumarbeit kannte feste Rituale, sah neben dem täglichen, mehrere Stunden umfassenden Schreib- und Korrekturprozess etwa auch intensives Musikhören und den Besuch von Kunstmuseen sowie der immer gleichen Caféhäuser und Clubs vor, die anschließend Eingang in seine Bilder und Texte finden sollten. Am Eindrücklichsten gelang dies vielleicht in seiner 1999 publizierten Textsammlung Jolly, die mittels poetischer Momentaufnahmen Anekdoten und Begegnungen in Zauners ehemaligem Wiener Stammlokal Chelsea oder Streifzüge durch den Pariser Stadtteil Belleville rekapitulierte. „hier oder?“, schrieb Hansjörg Zauner mit rotem Filzstift in meine Buchausgabe von zerschneiden das sprechen und das Vorsichtige und Ungewisse dieser Frage verrät viel von der ihm eigenen Art, sich anderen Menschen und ihren Lebensbedingungen mit künstlerischen Mitteln anzunähern, indem er zunächst seine eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen zu reflektieren suchte. Und es verwundert nicht weiter, dass eine Ausgabe der von ihm zwischen 1988 und 1998 publizierten Zeitschrift für neue Poesie Solande aus nichts als einem rechteckigen Stück Spiegelglas bestand. Die Methode der Selbstbespiegelung und die Fragen danach, wie wir selbst und andere uns sehen, einander begegnen und immer wieder verfehlen, stellten schließlich auch die Fluchtpunkte seiner künstlerischen Arbeit dar: „kein mund mehr in unseren händen sage ich; wir tauschen unsere weichrammelzungen und rauschen weiter. über unseren prallen lippen braust dieser lockere erdteil …“ In seinem filmischen, in Ausschnitten auch auf YouTube zugänglichem Werk rezitiert Zauner häufig eigene Texte vor der Kamera, die seinen Körper zerstückelt und perspektivisch vielfach gebrochen porträtiert, wie die 2008 erschienene Prosa LUXUS formuliert: „ich schlafe mich auseinander. hier ein sack hände. dort ein sack tisch. hier ein sack augen. dort ein sack ohren. hier ein sack mund.“ Im Video Jolly 2 hingegen beobachten wir den Dichter in seiner Wohnung minutenlang in Nahaufnahme beim Verspeisen des gleichnamigen Eislutschers, während er mit monotoner Stimme den Filmtitel repetiert. Einem anderen Prinzip der Wiederholung folgten seine farbigen Mehrfachbelichtungen, die in der Überblendung mehrerer Einzelbilder und Wahrnehmungspunkte auch in seiner Spracharbeit eine Entsprechung fanden: „gleichzeitig spreche ich zwei wörter. gleichzeitig denke ich drei sätze durcheinander. drei sätze denken sich selbst wenn sie zu splittern beginnen.“ Zauners Kunst kombinierte den bekannten Vorrat an Worten und Zeichen zu neuen Sinnzusammenhängen, deren Bedeutung unmöglich auf einen Begriff zu bringen war, getreu dem Motto „denken schützt vor worten nicht sagt naseweis“. Zugleich zeugten Wortneuschöpfungen wie „augenstrickblicke“ und „wackelwortkontakte“ von der Flüchtigkeit und den Unsicherheiten des täglichen Lebens und den Schwierigkeiten seiner literarischen Beschreibung, die er durch einen ständigen Wechsel der Erzählperspektive und eine Umkehrung der vertrauten Kausalitätsbeziehungen seinem Publikum näherbrachte. Mit poetischen Aussagen wie „Gehsteig ist also ein schuh“ oder „Mädchen fraß krokodil“ stellte der Künstler die herrschenden Verhältnisse auf den Kopf, indem er ihre Veränderbarkeit nahelegte. Der darin zum Ausdruck gelangende Optimismus, der Künstler und Freund Hansjörg Zauner, sie fehlen.
Hansjörg Zauner war österreichischer Schriftsteller und bildender Künstler, oder „Autor, Bildermacher, Filmer“. Er widmete sich der experimentellen Dichtung und Prosa, visuellen Arbeiten, der Photographie, Filmen (Super 8) und war Herausgeber der Zeitschrift für neue Poesie SOLANDE. Er war Mitherausgeber der Anthologie „Gedichte nach 1984“ – Lyrik aus Österreich. 1985 wurde er mit dem Theodor-Körner-Preis für künstlerische Fotografie geehrt. Zauner war unter anderem Mitglied der Künstlervereinigung MAERZ. Er lebte in Wien und Obertraun.
Biographie und Werk: www.literaturnetz.at
Akustische „Aufarbeitung“ von Jolly – „Mit dem Bagga mitten in die Worte hinein“:
www.kunstradio.at/2000A/28_05_00.html
Einige Filme und Lesungen auf Hansjörg Zauners youtube-channel: www.youtube.com/channel/UC7q1EKHU_Glup5X7nJ-Gl4g
Viele Jahreszahlenausstellungen in der Stadt (in Anlehnung an Dietmar Brehm).