Öffentlicher Raum

trau di! – eine feministische Projektionsguerilla-Tour über den Traunsee
Ein Projekt von Starsky in Zusammenarbeit mit Fiftitu% und dem Frauenforum Salzkammergut.

Foto Violetta Wakolbinger

Foto Violetta Wakolbinger

credits
konzeption / projektion: starsky
musik: elisabeth schimana
team: edith schild / marlene mayer / markus liszt / norbert math / sascha osaka / violetta wakolbiner / brigitte wienerroither / heidi hu / u. v. m. ….
produktion: oona valarie schifffahrt: ms poseidon – traunsee schifffahrt karlheinz eder

Pussy Hats und Cunt Quilts

Sarah Held berichtet über feministische Protestpraxen, aktuelle Diskurse, ästhetisch-kulturelle Interventionen und unter anderem über Strategien gegen den Locker Room Talk.

Stitch’n’Bitch: Hier geht es nicht ums Handarbeiten. Foto Coralina Rodriguez Meyer

Stitch’n’Bitch: Hier geht es nicht ums Handarbeiten. Foto Coralina Rodriguez Meyer

Sexualisierte Gewalt gegen Frauen Stoppen – das fordern seit mehr als 40 Jahren verschiedene feministische (Protest-) Gruppierungen(1). Eine simple und klare Botschaft ist ebenso, dass dabei Hautfarbe oder soziale Herkunft sowie das bei der Geburt zugeordnete Geschlecht keine Rolle spielen sollten. Klingt ziemlich verständlich, auch wenn das nicht immer auf der Agenda feministischer Bewegungen war. Allerdings ist die Forderung einer Gesellschaft ohne sexualisierte Gewalt im Patriarchat eher Utopie als Usus.

Gesellschaftliche Veränderungen können aus verschiedenen Perspektiven angestrebt werden. Innerhalb feministischer Protestpraxen wird der Hebel unter anderem auch mit zeitgenössischen Interventionen gegen sexualisierte Gewalt(-verhältnisse) aus einer künstlerisch-feministischen Position eingesetzt, um die Utopie einer Welt ohne sexualisierte Gewalt ein Stück weit zu verwirklichen. Dabei stehen aktionistische Kunstformen im Vordergrund, die mit textilen Displays, unter anderem bekannt als Critical Crafting, im (teil)öffentlichen Raum arbeiten und so im Popdiskurs erscheinen.

Es werden exemplarisch die pinkfarbenen Pussy Hats, die misogyne Aussagen des aktuellen US-Präsidenten Donald Trump subvertieren und die zum Widerstandssymbol zeitgenössischer feministischer Proteste in der Popkultur avancierten, dargestellt. Wenn hier über das popkulturelle Phänomen der Pussy Hats, gemeint sind pinkfarbene Wollmützen auf Frauen*recht-Demos, geschrieben wird, ist es unerlässlich, kritische Stimmen bezüglich dieser Kopfbedeckung sowie zu der Repräsentationspraxis im Rahmen der feministischen Demonstrationen 2017 abzubilden.

Als Visualisierungsstrategie gemeinsamer Intentionen sind die Pussy Hats als eine Begleiterscheinung der im globalen Westen stattgefundenen Women’s Marches im Januar 2017 aufgetreten.(2) Dabei handelt es sich um handgearbeitete pinke Wollmützen mit Katzenohren, die optisch und sprachlich mit dem Begriff Pussy spielen. Entstanden sind sie als visuelle Metaphorik, um so Protestzeichen gegen Trumps sogenannten Locker Room Talk zu setzen.

Diese Floskel bezieht sich auf einen Gesprächsauszug zwischen Donald Trump und Journalist Billy Bush von der Washington Post. Sie beinhaltet misogyne Aussagen und zeigt den zutiefst sexistischen Habitus des US-Präsidenten.(3) Die aus dem „lockeren Herrengespräch“ resultierende Phrase „Grab ’em by the Pussy“, ging viral und wurde von Feminist*innen ironisch aufgegriffen. Im Rahmen der Demonstrationen dienten die Pussy Hats als visuelle Chiffre für Protest auf den Women’s Marches(4). Die Demonstrationen standen in der Kritik, einen weißen Differenzfeminismus, in dem sich nur die Gruppe der weißen bürgerlichen Frauen abbilden ließe, aufrechtzuerhalten. Schwarze Frauen, Women of Color, Transfrauen und andere marginalisierte und intersektional betroffene Frauen*gruppen würden (erneut) vom feministischen Massenaufbegehren nicht mitgedacht werden. Genau auf dieses Unsichtbarmachen und Exklusionsmechanismen machten beispielsweise schon bell hooks und Angela Davis in den 1970er Jahren vehement aufmerksam. Ihre Kritik bezüglich der oben genannten Ausschlussmechanismen ist immer noch aktuell. Absolut berechtigte Kritiken gab es auch bezüglich antisemitistischer Positionen durch Mit-Organisatorin und Sprecherin Linda Sarsour. Die hier vollständigkeitshalber genannt, aber weiters nicht mehr aufgegriffen werden.

Die oben genannte Kritik an feministischen Protestpraxen in den USA wird auf die Pussy Hats übertragen. Auch sie werden angeprangert, für ausschließende Feminismen zu stehen, denn aufgrund ihrer Farbe würden sich nur weiße Frauen in die pinke Widerstandssymbolik einschreiben können. Des Weiteren wurde betont, sie seien transexklusiv, da nicht alle als Frauen gelesenen Personen über eine biologische Vulva bzw. Vagina verfügen; somit sei der Begriff Pussy für diese Gruppe ebenfalls diskriminierend.(5) Diese Kritik lässt sich von der ästhetisch-bildsprachlichen Ebene aus jedoch einfach dekonstruieren, denn die Politiken der visuellen Kultur funktionieren anders als individualpolitische Ansätze. Die Pussy Hats fungieren als visuelle Vereinheitlichungsstrategie der unterschiedlichen Anliegen der Subjekte, die sich gegen Trumps sexistische Aussagen auflehnen wollen, egal welcher Hautfarbe und egal welches Geschlecht ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde. Es muss in dieser Diskussion danach gefragt werden, ob nun gemeinsam gegen phallogozentristische Diskurse interveniert wird oder die divers strukturierte Kategorie Frau* visualisiert werden soll, zumal es sich bei der visuellen Retourkutsche um ein ironisches Statement handelt, das nicht funktionieren würde, wenn der Begriff Pussy nicht aufgegriffen werden würde. Um bei den Mechanismen der visuellen Kultur zu bleiben, kann an dieser Stelle mit der „Macht der Evidenz“6 argumentiert werden: Das Meer aus pinkfarbenen Mützen, zu dem die einzelnen Subjekte verschmelzen, steht für eine große Masse, die sich visuell eindeutig als Opposition zu Trump, stellvertretend für heterozentristischen Sexismus im Patriarchat, positioniert. Als allegorische Funktion im feministischen Protest ist ein intertextuelles Wirken von Bildsprache und Text („Grab ’em by the pussy“) völlig voneinander abhängig. Das bedeutet, dass die subversive Affirmation, die durch das Tragen von pinken Katzenmützen visualisiert wird, ohne das Benennen des Begriffes überhaupt nicht zustande kommen könnte. Zumal die Kritik, der pinke Farbton stünde ausschließlich für die Vulven von weißen Frauen und der Terminus Pussy exkludiere Transpersonen, hinsichtlich der Allegoriefunktion des Pussy Hats beim Tragen auf der Demo aufgrund der Ambiguität des Begriffes hinfällig ist. In der Mehrdeutigkeit liegt das Potential, denn schließlich wird mit den Katzenohren auch eindeutig auf die weniger vulgär konnotierte Bedeutung des Pussy-Begriffes angespielt.

Als weiteres Beispiel für künstlerischen Aktivismus zum Aufzeigen gesellschaftlicher Missstände sei an dieser Stelle der Cunt Quilt erwähnt, der sich ebenfalls mittels bildsprachlicher Bewaffnung gegen Trumps Misogynie auflehnt. Die New Yorker Künstlerin Coralina Rodriguez Meyer rief im Internet dazu auf, ihr getragene Unterwäsche zu zuschicken, um daraus den Cunt Quilt, in Stitch’n’Bitch-Sessions zu fertigen.(7) Die Künstlerin animiert zudem, ihre Adressat*innen dazu, die besonders dreckigen mit diversen Körperflüssigkeiten benetzten Exemplare einzureichen. Ihr Anliegen ist es, so lange getragene Wäsche zu sammeln und öffentlich im Cunt Quilt zu zeigen, bis es eine Präsidentin in den USA gibt.

Der Cunt Quilt steht somit in der Tradition abjektiver Kunstpraxen, wie sie vor allem in den 1970er Jahren im Kontext der zweiten Frauenbewegung von Künstlerinnen wie Ana Mendieta oder Cindy Sherman umgesetzt wurden. Abjektion leitet sich aus dem Französischen her und meint Niedrigkeit oder Verworfenheit. Die Abject Art arbeitet häufig mit Ekel erzeugenden Substanzen wie Kot, (Menstruations)Blut, diversen Körperflüssigkeiten und evoziert durch diese transgressiven Praktiken gesellschaftlich akzeptierter Erwartungshaltungen provokative Tabubrüche. Die genannten Kunstpraxen werden häufig mit Attributen wie „verstörend“ und „irritierend“ oder schlicht „ekelhaft“ versehen, können aber dennoch als witzig interpretiert werden. Auch der Cunt Quilt ist im Zuge des Locker Room Talks entstanden und wurde zu Demonstrationszwecken im öffentlichen Raum bei den Women’s Marches verwendet. So kann die Praxis als performatives „dreckige Wäsche waschen“ gelesen werden, um auf Sexismus und Misogynie mittels künstlerischem Handelns im öffentlichen Raum aufmerksam zu machen.

Die dargestellten künstlerischen Interventionen verstehen sich somit als Zusammenschluss aus verschiedenen diskursiven Strategien, die gemeinsam mit weiteren soziokulturellen oder auch legislativen Eingriffen in den gesellschaftlichen Ist-Zustand eine strukturelle Veränderung erzeugen möchten: Ein gleichberechtigtes Miteinander der Geschlechter, ohne biologische Determinierung, sexualisierte Gewalt oder Klassen- bzw. Ethniendiskriminierung. Die Forderung ist eigentlich gar nicht so utopisch.

 

1 Vgl. Force Upsetting Rape Culture oder The Antirape Movement in Barrie Levy: Women and Violence. Berkeley: Seal Press, 2008. S. 135–164.

2 www.theguardian.com/lifeandstyle/live/2017/ jan/21/womens-march-on-washington-and- other-anti-trump-protests-around-the-world-live-coverage (aufgerufen 28. 03. 2018)

3 www.nytimes.com/2016/10/08/us/donald-trump-tape-transcript.html (aufgerufen 28. 03. 2018)

4 Der 2017 mit drei bis vier Millionen Teilnehmenden der größte Protestaufmarsch in der US-Geschichte war.

5 www.iwf.org/blog/2805547/Distinctive-P- Hat-Deemed-Offensive-to-Transgender-Women (aufgerufen 28. 03. 2018)

6 Sigrid Schade; Silke Wenk: Studien zur visuellen Kultur. Einführung in ein transdisziplinäres Forschungsfeld. Bielefeld: Transcript, 2011.

7 www.dazeddigital.com/artsandculture/article/34401/1/carolina-meyer-wants-your-dirty-knickers-for-her-cunt-quilt (aufgerufen 28. 03. 18)

Buchtipp

8M – Der große feministische Streik Konstellationen des 8. März

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#VivasNosQueremos, #NosMueveElDeseo, #NosotrasParamos – Wir wollen uns lebend(ig). Uns bewegt der Wunsch. Wir Frauen streiken. So gelangen die Slogans neuer feministischer Bewegungen aus Lateinamerika seit 2016 als Hashtags zu uns. Die hier versammelten Texte untersuchen die Genealogien dieser vielfältigen Bewegungen, die aus einem lauten Aufschrei gegen blutige, regelmäßig ungestrafte Feminizide entstanden und schließlich als internationaler feministischer Streik 2017 und 2018 massive Dimensionen erreichten. Die Mitte dieses Streiks bildet allerorts die entscheidende Frage, wie Sorgearbeit bestreikt werden kann. Ausgehend von einem tiefen Überdruss gegenüber allen Formen machistischer Gewalt tritt der Streik hier als sorgfältiges Flechten eines gemeinsamen Gewebes, als gemeinsames Organisieren und Lernen auf, aber auch als unmissverständliche Warnung: Mujeres en huelga, se cae el mundo – Wenn die Frauen streiken, zerfällt die Welt. Das Buch ist die erste deutschsprachige Publikation, in der Aktivistinnen aus Argentinien, Mexico, Uruguay, Brasilien, den USA und Italien zu Wort kommen. Mit Beiträgen von Verónica Gago, Raquel Gutiérrez Aguilar, Susana Draper, Mariana Menéndez Díaz, Marina Montanelli, Marie Bardet / Suely Rolnik. Aus dem Spanischen von Michael Grieder und Gerald Raunig. Mit einem Vorwort von Isabell Lorey.

transversal texts transversal.at/books

Popkulturelle Sextherapie im Abbruchklo

Die Coming-Of-Age-Serie „Sex Education“ dreht sich um das Sextberatungsprojekt „Clinic“, das an der Morendale High von der toughen Meave initiiert wird. Sarah Held hat sich die Serie angesehen und stellt hier einige Charaktere mit ihren toxischen bis vulnerablen Männlichkeitskrisen vor. Auch wir meinen: quite zeitgeisty.

Schauplatz der postmodernen Teenie-Sextherapie. Foto Netflix

Schauplatz der postmodernen Teenie-Sextherapie. Foto Netflix

In der von Maeve kurzerhand aus Geldnot initiierten „Clinic“ übernimmt der schüchterne Otis die Rolle des Sextherapeuten. Trotz seiner Jungfräulichkeit kann er aufgrund seiner Erziehung sowie des heimlichen Belauschens der Therapiesitzungen bei seiner Mutter Jean, renommierte Sex- und Paarpsychologin, in dieser Rolle agieren. Die hormonelle Achterbahn des adoleszenten Klientels der Moredale High wird von nun an im asbestverseuchten Abbruchklo der Schule therapiert.

Die Serie bietet eine große Auswahl divers angelegter Identifikationscharaktere, darüber hinaus auch eine Vielzahl interessanter Untersuchungsaspekte – eine thematische Fokussierung ist besonders schwer. Meine Wahl fällt auf die Thematisierung von toxischer Männlichkeit, personifiziert durch Adam Groff, Sohn des Schulleiters, ein Bully, der zwar mit einem immens großen Penis ausgestattet ist, aber unter einer psychosomatischen Dysfunktion leidet. – Adam kann nicht abspritzen. Kontrastierend hierzu ist er mit einem Repertoire vermeintlich typisch maskuliner Eigenschaften ausgestattet, denn er verkörpert die heilige Dreifaltigkeit idealisierter Maskulinität, bestehend aus stattlicher Größe inkl. körperlicher Stärke, Brutalität und wortkarger Verschlossenheit. Er entspricht somit Archetypen wie John Rambo, John Wayne oder John McClaine. Deshalb führe ich an dieser Stelle den Modellbegriff Testo-John als semiotische und somatische Schablone für hegemoniale Männlichkeit ein. Folgt man dem sozialen Script, das dieser Persona zugrunde liegt, ist es absolut nicht verwunderlich, dass Adam im Staffelfinale post-koital homophobe Züge aufweist. Denn während einer Arrestsitzung haben er, bisher als heterosexuell inszeniert, und sein bevorzugtes Objekt der Drangsalierung, Eric, Sex. Letzterer ist ein queerer Charakter, der seine Vorlieben für Crossdressing und Make-Up trotz sozialer Repression und Gewalt auslebt. Dessen Gesprächsversuche über die sexualisierten Handlungen werden von Adam strikt verboten und mit Gewaltdrohungen unterstrichen, falls Eric je mit anderen darüber sprechen sollte. Ironischerweise ist es Adam, der danach im Unterricht heimlich körperliche Nähe zu Eric sucht. Dieses Handlungsmuster deckt sich ebenfalls mit der Persona Testo-John, da echte Männer schlicht keine Worte, sondern nur Taten benötigen und vor allem schon gar nicht schwul bzw. bi sind.

In Adaption bester freudscher Manier suche ich die Ursache für Adams (Fehl)verhalten natürlich beim Vater. Schulleiter Groff gehört ebenfalls der Kategorie Testo-John an und sozialisiert Adam dementsprechend. Das Verhältnis von Sohn und Vater ist durch Strenge, Repression, Sanktionen, sozio-emotionalen Druck und Härte geprägt. Das lässt kaum Raum für liebevollen Umgang und positive Bestärkung. Die stereotype Emotionspalette erlaubt nur eine asymmetrische Gefühlsperformance, alle affektiven Regungen, die nicht dem aggressiven Spektrum angehören werden pauschal als feminin, wenn nicht gar direkt als schwul und damit schwächlich deklariert. Zeichen der Zuneigung zeigt Groff Sen. öffentlich gegenüber dem Schulsportstar Jackson und impliziert Adam somit unverkennbar die eigenen Defizite und zementiert das unterkühlte Vater-Sohn-Verhältnis. Dabei ist hervorzuheben, dass die positive Bestätigung weniger echter Sympathie zur Person Jackson, denn mehr von finanzieller Begabtenförderung motiviert wird. Das starre Unvermögen des Familienpatriarchen wird durch den emotionalen Sozialkitt der Mutter versuchsweise ausgeglichen. Gleichzeitig nutzt der Vater Groff die Vulnerabilität der Mutter als Druckmittel gegen Adam. Konservative (Familien)Politik der harten Hand wird als restriktives Modell inszeniert, das im Privaten (wie auch im Politischen) zum Scheitern verurteilt ist.

Vulnerable Maskulinität

Eric ist als gegensätzliche Figur zu Adam lesbar. Gerade das Verhältnis zwischen Eric und seinem Vater eignet sich als Kontrastfolie, obwohl der religiöse Vater einem ähnlichen sozialen Script wie Schulleiter Groff folgt, denn er ist vom Schwul-Sein seines Sohnes irritiert und leistet im ersten Teil der Staffel wenig Unterstützung. Nach einem tätlichen homophoben Übergriff auf Eric scheint dieser zwar für einige Zeit gebrochen und wählt einen gedeckten Kleidungsstil, findet aber durch schwule Rolemodels zu seiner schräg-schrullig-queeren Identitätsperformance zurück. Sein Vater macht ebenfalls einen Entwicklungsprozess durch und erkennt endlich seinen Sohn in all seinen Persönlichkeits-Facetten an. Weiters leistet er den nötigen väterlichen Support mit emotionaler Care-Arbeit. Die Serie zeichnet ihn somit als wandelbaren Charakter, der bereit ist, sich aufgrund sozialer Verhältnisse zu verändern.

Protagonist Otis ist auch kontrastierend zur Persona Testo-John angelegt. Bei ihm wird deutlich ein Identitätsmuster gezeichnet, das signalisiert, das auch durch die hyper-liberale und offene Erziehung der Mutter ebenfalls Defizite ausgebildet werden können. Die Sextherapeutin überfordert bzw. beeinträchtigt Otis mit ihrer direkten Art in seiner Entwicklung. Als Folgeerscheinung hat er Masturbations- und Sexprobleme. Zudem ist sie überwachend, beispielsweise, wenn sie Otis bei einem Partybesuch hinterherfährt. Die Situation wird von Adam treffend mit „I thought my parents were controlling!“ kommentiert.

Abschließend

Sex Education dient als Trojanisches Pferd für queer-feministische Anliegen. Die Serie zeigt Themenkomplexe von kriselnder Männlichkeit, das Aufheben von Klassenunterschieden, die Implementierung lesbischer Ehe als scheinbar normative Bilderbuchfamilie sowie die Inszenierung von tougher Weiblichkeit, außerdem markiert sie Queer-Sein als cool. Pointiert und selbstreferenziell wird das Thematisieren von Männlichkeit in der Krise in der letzten Folge als „quite zeitgeisty“ bezeichnet.

Neben der Darstellung verschiedener Tücken der Pubertät sind Personalitätsentwürfe, die Fehler machen und auch mal scheitern dürfen, omnipräsent. Das ist eine interessante Entwicklung, denn in den vergangenen Jahrzehnten wurden in der Popkultur tendenziell eher Teenie-Figuren gezeigt, die der Mainstream-Idee von Coolness entsprechen, man denke dabei insbesondere an diejenigen 80er-Jahre High-School-Filme, die coole Cliquen und Popular-sein als non plus ultra stilisierten. Etwas Ähnliches geschieht bei Sex Education auch, aber mit einer großen Portion ironischer Reflexion, wenn beispielsweise Aimee zwar als „most popular girl in school“ inszeniert wird, aber eigentlich unter ihren Cool-Kids-Freund*innen leidet und heimlich mit der von ihnen als asozial bezeichneten Maeve befreundet ist.

Abschließend ist für mich zu sagen, dass mir Sex Education in meiner Rolle als Kulturwissenschaftlerin, Genderforscherin sowie als profane Konsumentin einfach total viel Spaß macht; zumal auch diese Serie mit einem großartigen Soundtrack auffährt.

Feminismus & Krawall

Illustration Silke Müller

Illustration Silke Müller

„Wir müssen furchtlos gegen den Strom schwimmen.“

Das kollektive Gedächtnis und ihre Gedächtnisverluste: Olga Misar war unerschütterlich in einer Vielzahl früher emanzipatorischer Bewegungen engagiert. Die 1876 in Wien in eine jüdische Textilhändlerfamilie geborene feministische Autorin, Rednerin und Organisatorin portraitiert Brigitte Rath.

Bild Nachlass Leopold Spitzegger, Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich, Universität Graz.

Bild Nachlass Leopold Spitzegger, Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich, Universität Graz.

Nur wenige Frauen dominieren den österreichischen Kanon der Ersten Frauenbewegung. Die bürgerliche Feministin, Philosophin und Multifunktionärin Rosa Mayreder und die sozialdemokratische Feministin und Abgeordnete zum Nationalrat Adelheid Popp gehören dazu. Dass diese Bewegung ein weitverzweigtes Netzwerk mit einer Vielzahl von – zum Teil heute unbekannten – Aktivistinnen unterschiedlicher politischer Herkunft war, bleibt dabei oft ausgeklammert. Eine dieser Aktivistinnen, die in ihrer Zeit sehr bekannt war und heute kaum mehr erinnert wird, ist Olga Misar. Sie war in unterschiedlichen emanzipatorischen Bewegungen engagiert, überschritt die Grenzen traditioneller Frauenpolitik und trat als aufmerksame politische Beobachterin und Kommentatorin in Erscheinung.

Die am 11. Dezember 1876 in Wien in die jüdische Textilhändlerfamilie Popper geborene Olga verbrachte ihre Jugend in England und heiratete 1899 – sie war inzwischen zum evangelischen Glauben übergetreten – den Mittelschulprofessor und Freimaurer Wladimir Misar, späteren Sekretär der Großloge Wien. Im Jahr 1900 bekam das Paar die Zwillinge Olga und Vera.

Love and Peace

Seit 1908 trat Olga Misar als Referentin zu diversen Themen in der bürgerlichen Frauenbewegung auf. Mitgliedschaften in unterschiedlichen bürgerlichen Frauenvereinen, wie dem Stimmrechtsverein oder dem Allgemeinen Österreichischen Frauenverein (AÖF), kennzeichneten ihr Engagement. Als Journalistin für den Österreichischen Bund für Mutterschutz von 1911 bis 1912 setzte sie sich für die Entdiskriminierung unehelicher Mütter ein, forderte eine Legalisierung von Abtreibung und die Einführung von staatlichen Unterstützungen bei Geburten. Politische Erkenntnisse und persönliche Erfahrungen – sie hatte eine länger andauernde Liebesbeziehung neben ihrer Ehe – führten dazu, dass sie 1919 die 60 Seiten umfassende Broschüre „Neuen Liebesidealen entgegen“ veröffentlichte. In dieser sexual-ethischen Schrift kritisierte sie die bürgerliche Ehe als einzige Form legitimer Sexualität, analysierte den Einfluss der Religion und sparte auch nicht mit Vorwürfen gegen die konservative Haltung der bürgerlichen Frauenbewegung.(1)

Im Weltkrieg war die Mehrzahl der Frauen patriotisch gesinnt und trat für soziale Unterstützung an der Heimatfront ein. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von gleichgesinnten Frauen, die im genannten AÖF engagiert waren, entwickelte Misar ein friedenspolitisches Engagement. Dies bedeutete eine Überschreitung der traditionellen Frauenrolle bis hin zu einer Einmischung in die allgemeine Politik. Ihren Überlegungen lagen geschlechtsspezifische Zuschreibungen und Differenzierungen, z. B. Vorstellungen einer stärkeren Friedensliebe von Frauen, zugrunde. Gemeinsam mit der Journalistin und Feministin Leopoldine Kulka, mit der sie eine enge Freundschaft verband, nahm sie an der internationalen Frauenfriedenskonferenz in Den Haag im April 1915 teil. Bei diesem außergewöhnlichen Treffen von Frauen aus kriegführenden und neutralen Ländern wurden mögliche Friedenslösungen diskutiert und die Unabdingbarkeit des Frauenwahlrechts gefordert.

Mut gegen den patriotischen Mainstream aufzutreten bewies Olga Misar durch ihre Beteiligung an weiteren Friedensversammlungen während des 1. Weltkrieges, die ab 1917 vermehrt abgehalten wurden. – Wohl nach dem amerikanischen Vorbild der Women’s Peace Party – engagierte sie sich auch in der 1917 gegründeten Friedenspartei. Das Engagement in der ab 1919 als Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) bezeichneten Organisation behielt Misar – in unterschiedlicher Intensität – bis zu ihrem Tod im Oktober 1950 bei. Bei der 3. Internationalen Tagung der IFFF 1921 in Wien brachte sie das „Gelöbnis keinen Waffendienst zu leisten“ ein.(2) Dem Gelöbnis für den Kriegsdienst, das bei der Aufnahme in die Armee zu leisten war, stellte sie eine frühe Form des Slogans der Friedensbewegung der 1970er Jahre – „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“ – entgegen. Ihre Hinwendung zum Antimilitarismus war stark von den Theorien des österreichischen Anarchisten Rudolf Großmann, (als Pseudonym Pierre Ramus) getragen, mit dem sie auch eine Freundschaft verband. Dieser Publizist, Redner und Aktivist war wesentlich im Bund herrschaftsloser Sozialisten engagiert und gab die Wochenzeitschrift Erkenntnis und Befreiung heraus. In dieser Zeitschrift publizierte Misar etwa über Gewaltlosigkeit oder gegen die Einführung eines Berufsheeres. Die begabte Rednerin reiste häufig in kleinere Orte, beispielsweise in der Steiermark, wo der Bund herrschaftsloser Sozialisten viele Mitglieder begeistern konnte, um dort über Antimilitarismus oder das Engagement von Frauen für den Frieden zu referieren.

Frauenwahlrecht

Als Frauen im Jahr 1919 bei den ersten Wahlen das aktive und passive Wahlrecht erhielten, kandidierte Olga Misar für eine der zahlreichen bürgerlichen Parteien, der Demokratischen Mittelstandspartei. Diese hatte der Multifunktionär, Schriftsteller und Abgeordnete zum Reichsrat Ernst Viktor Zenker im Oktober 1918 ins Leben gerufen. Auf ihrem Programm standen Frieden, die Einführung der Zivilehe, eine Ablehnung des Anschlusses an Deutschland und stattdessen die Forderung nach einem wirtschaftlichen Zusammenschluss mit Nord- und Südslawen. Mit dieser Forderung stand die Partei im Gegensatz zu fast allen anderen Parteien. Misar betrieb einen intensiven Wahlkampf und im Winter 1919 trat sie beinahe täglich bei Wahlveranstaltungen auf.

In welchem Ausmaß antifeministische Schmähungen in dieser Zeit auch bei Intellektuellen verbreitet waren, zeigt folgender Eintrag in der pazifistischen Wiener Wochenzeitschrift „Der Friede“. Der bekannte Journalist Anton Kuh schrieb am 25. Oktober 1918 in der Rubrik „Deutschösterreichisches“: „Man liest jetzt in der Zeitung viel von radikalen Versammlungen. Es sprechen unter anderen: ,Reichsratsabgeordneter Neumann, Bezirksvorsteher Blasel, Frau Professor Misar.‘ Kein Zweifel: Wien steht vor einer Rohövolution.“(3) Mit Rohö war die Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs gemeint, deren Vorsitzende Helene Granitsch für die Bürgerlich Demokratische Partei kandidierte. Ziel dieser misogynen Schmähung wurde jedoch Olga Misar, die keine Verbindung zur Rohö hatte. Die Bedeutung transnationalen Austauschs innerhalb der Frauenbewegung wird auch sichtbar als Misar zwei Jahre später, nach ihrem Misserfolg bei den Wahlen von 1919, für die schwedische feministische Zeitschrift Hertha. tidskrift för den svenska kvinnorörelsen (=Hertha: Zeitschrift für die schwedische Frauenbewegung) die Entwicklung der Repräsentanz von Frauen im parlamentarischen System beschrieb. Kritisch stellte sie fest, dass Parteien qualifizierte Frauen oft an unwählbarer Stelle hinter mittelmäßigen Männern reihten und nur die Sozialdemokratische Partei ernsthaft für die Rechte der Frauen eintrat. Bürgerliche Frauen seien von der wirtschaftlichen Not besonders betroffen und daher nicht in der Lage sich politisch zu engagieren.(4)

Ihr eigenes Engagement konzentrierte sich in den 1920er Jahren auf die Organisation des Bundes der Kriegsdienstgegner, für den sie unermüdlich Vorträge hielt, Demonstrationen organisierte, an Kongressen teilnahm, und eine Vielzahl von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln veröffentlichte. Von 1923 bis zu seiner behördlichen Auflösung 1936 war sie als Sekretärin dieser Organisation tätig.

Wie schwierig es war, in einer Situation ständig steigender physischer Gewalt einen Diskurs über Frieden und Kriegsdienstgegnerschaft zu führen, lässt sich immer wieder feststellen. Bei einer Versammlung im Jahr 1926 äußerte sie über die Arbeit der Kriegsdienstgegner Folgendes: „Wir müssen furchtlos gegen den Strom schwimmen, uns nicht durch Schmähungen oder Hohn beirren lassen. Wer gegen den Strom zu schwimmen wagt ist eine Kraft und wirkt als solche; wer mit dem Strom schwimmt, wird von ihm mitgeführt und wirkt überhaupt nicht als selbstständige Kraft, wird vom Strom verschlungen.“(5)

1928 organisierte sie in Sonntagsberg bei Waidhofen an der Ybbs das 2. Internationale Treffen der War Resisters International, der transnational agierenden Dachorganisation der Kriegsdienstgegner, an dem über hundert Teinehmer aus aller Welt gezählt wurden.

In den folgenden Jahren beteiligte sie sich an Zusammenschlüssen der zersplitterten Friedensorganisationen. Für diesen Zusammenschluss lud sie im Oktober 1931 Mahatma Gandhi mit folgenden Worten nach Wien ein: „All of us would be happy and honoured if we could once in our lives see Gandhi, who is for us the personification of non-violence and who has practically realised our ideal.“(6) Den Brief adressierte sie an Gandhi, London. Dieser erreichte ihn auch; allerdings konnte er die Einladung nicht annehmen.

Exil in England

Im April 1939 flüchteten Olga und Wladimir Misar ins englische Exil nach Enfield, nördlich von London. Während des Krieges blieb ihr politisches Engagement beschränkt. 1946 äußerte sie sich noch in gewohnt optimistischer und kämpferischer Weise brieflich bei der Tagung der IFFF, dass es in der Zukunft neue Methoden des Friedensaktivismus brauche.(7)

Nach Olga Misars Tod im Jahr 1950 beschrieb die Vorsitzende der englischen Gruppe der Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF), Barbara Duncan Harris, in ihrem Nachruf ebenfalls die optimistische Einstellung von Misar, die bei einem Meeting, in dem die Frage des fehlenden Nachwuchs problematisiert wurde, geäußert hätte:  „I am old, and I am poor, but I have gathered a few women together to interest them in the WILPF.”(8) Olga Misar war unerschütterlich in einer Vielzahl emanzipatorischer Bewegungen engagiert und sollte daher stärker im kollektiven Gedächtnis verankert sein!

 

 

1 Olga Misar, Neuen Liebesidealen entgegen, eingel. von Brigitte Rath, Reprint von 1919, Wien 2017.

2 Wiederabgedruckt in: Beatrix Müller-Kampel (Hg.), „Krieg ist Mord auf Kommando“ Bürgerliche und anarchistische Friedenskonzepte, Bertha von Suttner und Pierre Ramus, Nettersheim 2005, 247–249.

3 Der Friede, Bd. 2, Nr. 40, 25. 10. 1918, 315.

4 Olga Misar, Österrikiskorna och de politiska partierna. (Die Österreicherinnen und die politischen Parteien), in: Hertha. Tidskrift för den svenska kvinnorörelsen, 1, (1921), 8–10.

5 Bund der Kriegsdienstgegner Österreichs, in: Erkenntnis und Befreiung, 7/10 (1926), 2–3.

6 Brief von Olga Misar an Gandhi vom 22. Oktober 1931, Archiv des Sabarmati-Aschrams. Gandhi befand sich zur zweiten britisch-indischen Round-Table Konferenz von September bis Dezember 1931 in London.

7 Letter from Olga Misar, in: X. International Congress of the Women’s International League for Peace and Freedom, Luxembourg, Geneva 1946, 64–65.

8 In: Pax International, 16/5 (1950), 3.

Buchtipp

Die schönen Kriegerinnen
Technofeministische Praxis im 21. Jahrhundert
Cornelia Sollfrank (Hg.)

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Die schönen Kriegerinnen versammelt sieben aktuelle technofeministische Positionen aus Kunst und Aktivismus. Auf höchst unterschiedliche Weise erweitern diese die Denk- und Handlungsansätze des Cyberfeminismus der 1990er Jahre und reagieren damit auf neue Formen von Diskriminierung und Ausbeutung. Geschlechterpolitik wird unter Bezugnahme auf Technologie verhandelt, und Fragen der Technik verbinden sich mit Fragen von Ökologie und Ökonomie. Die unterschiedlichen Positionen um diesen neuen Techno-Öko-Feminismus verstehen ihre Praxis als Einladung, an ihre sozialen und ästhetischen Interventionen anzuknüpfen, dazuzukommen, weiterzumachen, nicht aufzugeben. Mit Beiträgen von Christina Grammatikopoulou, Isabel de Sena, Femke Snelting, Cornelia Sollfrank, Spideralex, Sophie Toupin, hvale vale, Yvonne Volkart. (Verlagstext)

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5050 en 2020

100 Jahre Frauenwahlrecht – und wir weichen kein Stück zurück.

Im Gegenteil. Wir fordern weiter und wir wollen mehr. Wir wollen Macht, wir wollen politische Macht, wir wollen finanzielle Macht, wir wollen Entscheidungsmacht und absolute selbstbestimmte Handlungsfreiheit und -hoheit in unseren eigenen Entscheidungen, Selbstbestimmung über unsere Körper und unsere Reproduktionsorgane.

Der Angriff auf das Abtreibungsrecht war mit dieser reaktionären ReGIERung früher oder später zu erwarten. Zählt das Weib doch nur als Brutstätte des nachkommenden Brutto-Sozialprodukts. Mancher Mann meint ob seiner ‚Objektivität‘ – da er keine Kinder bekommen kann – stehe ihm das alleinige Entscheidungsmonopol zu (!). Frauen sind ja viel zu emotional, hysterisch und können in dieser Lage keine vernünftige Entscheidung treffen. Diese selbsternannten ‚Retter des Lebens‘ aberkennen das Leben der Frau. Als Reproduktionsmaschine hast du kein eigenes Leben zu führen oder zu wünschen.

Die Sorge um die Reproduktionsfähigkeit war seit dem 19. Jahrhundert die dominanteste Argumentation gegen eine Teilhabe von Frauen im Sport. Es galt als unästhetisch, vermännlichend und medizinisch bedenklich – wegen der möglichen Unfruchtbarkeit. Interessanterweise forderte zuvor im Jahre 1762 der Pädagoge Rousseau genau das Gegenteil, nämlich die körperliche Ertüchtigung der Frauen, damit sie kräftigen Nachwuchs zur Welt bringen.

Doch aller Hürden zum Trotz erkämpften sich die Frauen mühsam ihren Zugang zum Sport und zu Wettkämpfen. Bei den Olympischen Spielen 1932 triumphierte Ellen Müller-Preis als Österreichs bisher einzige Fecht-Olympiasiegerin. 1949 wurde sie als 1. SportlerIN des Jahres geehrt. In ihrer unglaublichen Laufbahn gewann sie neben Gold noch 2 olympische Bronzemedaillen, 3 WM-Titel, 8 weitere WM-Medaillen und 21 nationale MeisterInnentitel. Im Alter von 44 Jahren erreichte sie noch das Olympische Finale. Im Anschluss an ihre Karriere unterrichtet sie u. a. Bühnenfechten am Max Reinhardt Seminar für eine ziemlich bekannte Schar an SchauspielerInnen und Kunstschaffenden.

Einer anderen Fechterin, Elisabeth Knechtl, die 1993 die Gesamtwertung im Weltcup gewann, wurde bei Olympia 1996 in Atlanta die Chance genommen, eine Goldmedaille im Degen zu erkämpfen, weil der Platz vom ÖOC für einen Funktionär (!) benötigt wurde. Passt zu den seit 2015 neu bestehenden OÖ Schnapser-Regeln: Bauer sticht Frau bzw. männlicher Funktionär sticht weibliche Olympiamedaillenhoffnung! Ach ja, freundlicherweise wurde das ganze ca. eine Woche vor Abflug per Telegramm (!) mitgeteilt.

Seit 1984 organisiert die APA die Wahl zum Fußballer des Jahres. 34 Jahre später wurde nun endlich die 1. Fußballerin des Jahres gewählt. Sarah Zadrazil. Mittelfeldspielerin im Österreichischen Nationalteam und bei Turbine Potsdam in D.

Das bedeutendste Filmfestival Deutschlands, die Berlinale, stand dieses Jahr im Fokus der FilmemacherINNEN. Von der Berliner Tagespost als „Festival der Frauen“ tituliert. Prinzipiell find ich das super, aber was heißt das konkret? 100% Frauenfilme, Filme von Frauen oder Filme über Frauen?! Nein, aber immerhin sind 7 der 17 Wettbewerbsfilme von Regisseurinnen (von 21% auf 42%), auf insgesamt 400 Filme kommen 191 Regisseurinnen (47,75%). Diese Quoten sind unglaublich im Vergleich zu anderen Filmfestivals. Der scheidende Festivalleiter hat trotz alledem ein Gleichstellungsversprechen nach dem französischen Vorbild „5050 en 2020“ unterzeichnet. Damit verpflichtet sich die Berlinale, die Leitungen und Auswahlgremien paritätisch zu besetzen und Transparenz bzgl. der Geschlechterverteilung bei Filmeinreichungen und -auswahl zu gewährleisten. Eine Konsequenz dieser filmischen Frauenförderung sind die vielen wunderschönen vielfältigen, starken Frauenbilder, die immer mehr auf der Leinwand zu sehen sind. JUHUUU!!

In dasselbe Horn bläst das Mission Statement von FC Gloria*. Filme von Frauen zeigen den Blick von Frauen auf die Welt und fördern so das weibliche Selbstverständnis. In diesem Sinne freue ich mich schon auf Sabine Derflingers Dokumentation über Johanna Dohnal: Wir wollen die Hälfte vom Kuchen!

 

!!! FRAUEN*STREIK am WFT 8. März 2019 – in Österreich und weltweit !!!
ReGIERung gegen die Frauen – Frauen gegen die ReGIERung und deren patriarchales, frauenfeindliches, rassistisches, kapitalistisches, neoliberales System frauenstreikt.noblogs.org (→ es gibt viele Möglichkeiten zu streiken)
→ Streiksymbol sind lila Tücher

Feminismus & Krawall am WFT 8. März 2019 in Linz ab 16h beim AEC www.feminismus-krawall.at

* www.fc-gloria.at steht für die Wahrnehmung der künstlerischen, wirtschaftlichen, rechtlichen, sozialen und politischen Interessen von Frauen in der österreichischen Filmbranche.

Die kleine Referentin

Terri Frühling/Elke Punkt Fleisch

Terri Frühling/Elke Punkt Fleisch

Linz und der NS, wir und der NS

Erinnerungskultur in der ehemaligen Führerstadt Linz: Anlässlich abgesagter Stolpersteine und einem neuen Gedenkprojekt hält Wolfgang Schmutz ein Plädoyer für ein herausforderndes Erinnern.

Im Erinnern an den Nationalsozialismus sollte Konsens herrschen, so meint das historisch aufgeklärte, antifaschistisch gesinnte, verantwortungsbewusste Österreich, ich nenne sie einmal: die Wohlwollenden. Das sei doch selbstverständlich, in einem Land mehr als 70 Jahre danach, obwohl, ja, mit einer zäh erkämpften Anerkennung der Opfer und einem spät erfolgten und trüben Blick auf die Täterschaft. Aber mit öffentlichen Bekenntnissen der Staatsspitzen, die, zugegeben, in der Regel umfangreicher ausfielen, als die tatsächlichen Entschädigungen oder Förderungen von Gedenkstätten und Erinnerungsprojekten. Aber immerhin. Die Mission Anerkennung sollte, gibt man sich nur ein wenig bescheiden, erfüllt sein. Aber war es jemals angebracht, hier bescheiden zu sein?

Darüber rede und schreibe ich schon ein paar Jahre. Vielleicht zu offensiv, zu ungestüm, nicht einladend genug. Jedenfalls hat noch kaum jemand öffentlich darauf reagiert. Zustimmung ist, was ich im Halbschatten ernte, was zur Seite gesprochen wird, aber nicht geradewegs in die Mikrofone. Aber auf welche Resonanz sollte meine Kritik auch stoßen, wenn die Selbstzufriedenheit, zumindest etwas bewegt zu haben, stets einnehmender ist und sich auch besser mit dem Pathos des „Nie wieder!“ vereinbaren lässt? Ein Pathos ohne Erfolge wirkt schal, und niemand müht sich gerne umsonst ab. Das gilt auch für mich, den Kritiker. Gefalle ich mir zu sehr in meiner Rolle? Öffne ich oder schließe ich Zugänge? Gehe ich zu weit, weiter als man mir folgen möchte? Worauf ich abziele, ist ein Diskurs (widersprecht mir!), jedenfalls ein Prozess, in dem möglichst viele entdecken, wie sie ihren Zugang zu einer schwierigen Geschichte finden und den Ereignissen auf den Grund gehen können. Und was es heißt, dazu Stellung zu beziehen. Ich bin der mit dem Bildungspathos.

Geschichte als Flachware und die Utopie des Erinnerns

Es geht mir aber nicht um feststehende Lektionen, wie etwa: Töten ist schlecht! Antisemitismus ist schlecht! Rassismus ist schlecht! Dazu brauchen wir den Holocaust nicht, das ist kein Lernen im eigentlichen Sinn, und das verzerrt am Ende nur das historische Bild, wie es der Didaktiker und Kurator Paul Salmons präzise formuliert. Je voreingenommener wir in die Vergangenheit blicken, desto weniger sehen wir. Tun wir es mit einer zu spezifischen Agenda, moralisch, politisch, ideologisch, filtern wir die Widersprüche heraus. Was eigentlich geschehen ist, wird zugunsten einer wohlfeilen Lektion vereinfacht, wie es genau geschehen ist, muss dafür in den Hintergrund treten. Blicken wir etwa auf Opfer, Täter*innen, Bystander, Widerständige als abgezirkelte Gruppen, als feststehende und unveränderliche Rollen? Bad guys and girls against good ones? Es ist viel komplizierter, viel komplexer als uns lieb ist, als mir lieb sein kann. Je tiefer ich in die Geschichte schaue, je mehr ich mich mit den Akteuren, ihren Entscheidungen und Handlungen beschäftige, desto verwirrter werde ich, einerseits. Andererseits erkenne ich mich mehr und mehr wieder, entdecke meine Verwandtschaft, meine eigenen Kapazitäten als Mensch.

Ich rede hier nicht von Opferschaft. Zu dieser Gruppe kann ich niemanden zählen, der zu meinen Vorfahren gehört. Und das gilt für die Allermeisten. Außerdem entscheiden die Opfer nicht, Opfer zu werden, aber Täter zu sein, dazu kann sich jede*r entscheiden. Und Täter*innen brauchen Dritte, die Täter*innenschaft ermöglichen und Opferschaft zulassen. Diese Dritten sind in der Regel die Mehrheit. Eine Mehrheit, mit der wir uns historisch aber so gut wie gar nicht beschäftigen. Wenn, dann nur als naive, jubelnde, verführte oder geblendete Masse. Nie mit Individuen, die nachdenken, abwägen, sich entscheiden, sich im Sinne der eigenen Interessen verhalten und handeln. Wir setzen uns kaum mit den Beweggründen dieser Mehrheit auseinander, mit jener Position, die wir am wahrscheinlichsten innehaben würden, die unsere Vorfahren mehrheitlich innehatten. Stattdessen widmen wir uns immer wieder den Opfern, in Bildungskontexten wie im Gedenken, wir leiten die entscheidenden und drängendsten Fragen auf sie um, und diese damit von uns selbst weg. Wir benutzen die Opfer als Totem unserer mangelnden Verantwortung und nennen es würdiges Erinnern. Ist es das? Anerkennen wir damit wirklich ihre Opferschaft? Was laden wir ihnen damit zusätzlich auf? Niemand ist dafür gestorben, dass wir Töten für schlecht halten können. Diese Instrumentalisierung der Geschichte, die Verflachung der Ereignisse und ihrer Protagonisten macht unseren Blick auf den Nationalsozialismus zur rückwärtsgewandten Utopie: So wie wir mit ihr umgehen, wird die Vergangenheit nie gewesen sein.

Zeichen und Bezeichnetes

In der Ausgestaltung des Erinnerns hat sich diese Utopie, haben sich deren Formen längst festgesetzt. Heroische Monumente gehören zum festen Inventar von Gedenkstätten. Sie suggerieren, dass KZ-Häftlinge für die Freiheit von ganzen Nationen gestorben wären, sie erzählen von der Selbstvergewisserung europäischer Länder, jeweils Opfer gewesen zu sein und lenken das Scheinwerferlicht weg von Kollaboration und Duldung. Alles ist auf das Opfererinnern zugeschnitten. Das ist per se nicht falsch, denn mit dem Anerkennen der Opfer fing es an. Das Problem ist, damit hört es bis heute meistens auch auf. Wir haben keine Form entwickelt und generell kaum eine Sprache dafür, wie wir der Täterschaft und deren Unterstützung erinnern könnten. Es schwingt manchmal mit, aber explizit, geschweige denn zu einem Fokus wird es nicht.

Jüngere Formen des Gedenkens haben sich von der heroischen Formensprache verabschiedet, künstlerische Gestaltungen machen vielschichtige Perspektiven auf. Und doch fokussieren sie nach wie vor auf die Opferschaft. Auch die Stolpersteine tun das. Ihre Stärke besteht aber darin, jene Stellen zu markieren, an denen die Opfer ihren letzten frei gewählten Wohnsitz hatten. Sie liegen vor Häusern, im öffentlichen Raum, durchsetzen und markieren, was wir nicht a priori als geschichtlich relevante Umgebung betrachten würden. Die Stolpersteine verweisen darauf, dass es in einer Nachbarschaft seinen Anfang nahm, dass die Opfer aus der Mitte einer Gesellschaft rekrutiert wurden. Sie sind ein Türöffner zu dieser Dimension der Taten. Auch wenn sie nicht ansprechen, wie die Deportationen abliefen, aufgenommen und angenommen wurden. Aber auf dieses Ausbuchstabieren käme es an.

Worüber wir nicht stolpern sollten

Trotz dieser Einschränkungen: Ich habe die Petition für Stolpersteine in Linz unterschrieben. Weil es ein dezentrales Erinnern ist, das in die Gesellschaft hineinreicht, den öffentlichen Raum bespielt und dadurch die Erinnerung an den entscheidenden Ort bringt. Ich habe unterschrieben, weil die Gegenwehr des Linzer Bürgermeisters kaum nachvollziehbar war, er durchsichtig argumentierte und dies obendrein im Brustton einer proto-autokratischen Überzeugung vorgetragen hat. Aber um ihn soll es hier nicht gehen. Die Stadt, das ist nicht ihr Bürgermeister! Die Petition half jedenfalls, es gab ein Einsehen. Und nun, da ein Gedenkprojekt beschlossen ist, wird alles gut? Nein, denn wir befinden uns nach wie vor in der Logik einer Anerkennung von oben. Das vom Bürgermeister erwartete Einlenken ist ein von ihm kontrolliertes und limitiertes: Geladene Künstler (nach welchen Prämissen?) repräsentieren ebenso wenig wie er die Stadt, und eine Jury (wie ist deren Stimmrecht gewichtet?) ist noch kein Prozess. Doch der politische Gewinn, er wird von den Initiatoren der Petition bereits eingelöst. Leider.

Nehmen wir Anteilhabe ernst, steht die eigentliche Auseinandersetzung aber erst bevor. Dabei könnte man auf rezente Zeiten zurückgreifen, in denen die Potentiale eines herausfordernden Gedenkens sichtbar wurden. Temporäre Ausstellungen und Projekte im Kulturhauptstadtjahr 2009 waren nicht nur wohlgelitten, man sorgte sich auch um das Image der ehemaligen „Führerstadt“. Es gab Konfliktstoff. Heute jedoch ist die Fassade am Brückenkopf wiederhergestellt, die Spuren von „Unter uns“ haben sich verwischt, die Stencils von „In situ“ sind verblasst. Eine vergleichbare Stadt wie Nürnberg hat sich derweil längst auf den Weg gemacht, leistet sich ein Dokumentationszentrum, renoviert den Schauplatz Zeppelintribüne und spricht nach außen wie nach innen offensiv über dieses Erbe. Den Anfang nahm alles mit einer Handvoll Geschichtestudent*innen, die damit begannen, Gruppen über das ehemalige Reichsparteitagsgelände zu führen. Heute hat der Verein „Geschichte für Alle“ über 400 Mitglieder, und ehemalige Gründer*innen forschen und gestalten im städtischen Auftrag.

Stadt der Erinnerungsarbeit?

Der Vergleich macht sicher: Linz hat immer noch einen weiten Weg vor sich. Die wiederkehrende Aufzählung bisheriger Leistungen in Sachen „Aufarbeitung“, mit der sich die Stadt zu schmücken pflegt, wandert seit über zwei Jahrzehnten via copy-paste von einem Papier zum nächsten, mit nur geringfügigen Ergänzungen. Es ist höchste Zeit, für eine Entwicklung zu sorgen, die sich wirklich fortschreibt. Aufgrund des Mangels nun für etwas Dauerhaftes wie die Stolpersteine zu plädieren, ist verlockend. Hilfreicher ist es jedoch, eine andauernde Auseinandersetzung ins Auge zu fassen. Damit diese sich verändern, ergänzen, wandeln kann.

Es geht um einen Richtungswechsel, auch perspektivisch. Als Bürger*innen sollten wir nicht darauf warten, was von oben verordnet oder genehmigt wird. Relevanz entsteht, wenn man etwas an sich nimmt, etwas vertritt und sich dazu exponiert, sich mit anderen dazu austauscht und vereinbart. Eine Stadt mag gut oder weniger gut mit Zuschreibungen leben, Bürger*innen, die etwas auf ihre gesellschaftliche Rolle halten, sollten eigeninitiativ Profile und sinnstiftende Angebote entwickeln. Die mehr als 2360 Unterzeichnenden der Stolperstein-Petition, sie könnten einen ersten Schritt in diese Richtung machen, hin zu einer Stadt der Erinnerungsarbeit. Wenn es schon ein Etikett sein soll.