Zukunft denken

Der Audiowalk „über.morgen“ führt im April durch eine Stadt der Zukunft. theaternyx* arbeitet an Wirklichkeit, die das Morgen im Heute überschreibt. Theresa Luise Gindlstrasser hat Regisseurin Claudia Seigmann zum Gespräch getroffen.

Hier wurde Zukunft noch geprobt: 8 Minuten Audiowalk-Testlauf im Dezember vor dem Menschenrechtsbrunnen. Foto theaternyx

Hier wurde Zukunft noch geprobt: 8 Minuten Audiowalk-Testlauf im Dezember vor dem Menschenrechtsbrunnen. Foto theaternyx

„Schluss mit dem Patriarchat. Die gesamte Gesellschaft hat sich neu geordnet, musste sich neu ordnen, weil sich plötzlich niemand mehr in einem Abhängigkeitsverhältnis befunden hat. Damit musst du erstmal lernen umzugehen. Ein Wahnsinn! Zum Beispiel: Gender Pay Gap? Plötzlich null. Das war earthshaking“, zeigt sich eine Zeitwohlständerin zufrieden. Es ist das Jahr 2050. Mikro-Oasen und Indoor-Biotope laden während der heißen 37-Grad-Mittagsstunden zum Verschnaufen ein. Bedingungsloses Grundeinkommen für alle und technologische Entwicklungen gewährleisten die Voraussetzungen für das „Recht auf Nicht-Effizienz“. Willkommen in Linz! Willkommen bei „über.morgen“!

Ab 4. und bis zum 14. April bittet theaternyx* zum performativen Stadtspaziergang durch Linz. Der Audiowalk führt eine Reisegruppe von 25 Personen durch den öffentlichen Raum. Mit Kopfhörern ausgestattet, lauscht das Publikum der Erzählstimme, dem Sounddesign von Abby Lee Tee und Christian GC Ghahremanian, den Stimmen von Zeitzeug*innen, die aus dem Jahr 2050 zurückblicken, Entwicklungslinien aus unserer Gegenwart in die behauptete Zukunft zeichnen. Während die Reisegruppe von der Erzählstimme angeleitet durch Linz manövriert, wird die visuelle Gegenwart mit einer Audio-Zeitreise überschrieben. Startpunkt für die 80-minütigen „über.morgen“-Touren ist am OK-Platz.

Aus dem Anspruch heraus positive, ermächtigende Geschichten zu erzählen, arbeitet theaternyx* – seit Gründung im Jahr 2000 durch Claudia Seigmann und Markus Zett – vor allem an ortsspezifischen Stückentwicklungen. 2009 gab es für „siebenundzwanzig. eine geistergeschichte“ den Bühnenkunstpreis des Landes Oberösterreich. 2017 für „DREIHUNDERTFÜNFUNDSECHZIG+“ eine Nominierung für den Stella – Darstellender Kunst Preis für junges Publikum. Für die bei „über.morgen“ angestrebte Kombination aus Stadtspaziergang und Wirklichkeitsüberschreibung gibt es ein Vorgänger-Projekt: 2016 eröffnete Corinne Eckenstein ihre erste Spielzeit als künstlerische Leiterin am Dschungel Wien – Theaterhaus für junges Publikum mit der Produktion „Quartier 2030 – Die Stadt sind wir“. Seigmann konzipierte damals für das Areal des Museumsquartiers einen Performance-Parcours mit utopischem Ausblick. Die Welt im Jahre 2030 wurde als eine grünere vorgestellt. Als eine mit mehr Dachgärten, mehr Windmühlen und weniger Müll. Eigentlich gar keinem Müll. Denn, so erklärte es die Stadtführerin, jeder Abfalleimer sei an das zentrale Mikrotransportsystem angeschlossen, das die weggeworfenen Objekte an die Hersteller zurück und also zum Recyceln freigibt. Das Publikum wurde in Gruppen von Station zu Station geleitet, insgesamt sechzehn Performende sorgten für die Darstellung dieser Vision einer besseren Zukunft. Es gab eine Brücke der Wünsche, an der die Visionen geäußert werden konnten, eine Terrasse, von der herab auf sich fröhlich drehende Menschen geblickt werden konnte und einen Flur, an dem Gedanken über das bedingungslose Grundeinkommen gebracht wurden.

Für „Quartier 2030 – Die Stadt sind wir“ wurde eine fertige, funktionierende Gesellschaft der Zukunft gezeichnet ohne auf dystopische, totalitäre Implikationen zu verweisen. Fürs aktuelle Projekt, das den Schritt vom Morgen (2030) ins Übermorgen (2050) wagt, spielen mehr oder minder dystopische Assoziationen aber durchaus eine Rolle. Die Zeitzeug*innen verhandeln den Wandel, den Bruch, das Katastrophenmanagement, die Ideen, jedenfalls die Veränderungen, die von einer Gesellschaft 2019 zu einer Gesellschaft 2050 geführt haben. Die Verweise ins Heute sind mannigfaltig: Da geht es um Ressourcenknappheit, um Arbeitsplätze und darum, wie die Gesellschaft der Zukunft zu Entschleunigung und Nachhaltigkeit gefunden hat. „Technologie kann uns frei spielen für ein anderes Miteinander“, so Seigmann. Ob die Zeit langsamer laufen soll? „Unbedingt!“.

Die Anbindung der heutigen Erlebniswelt ans utopische 2050 – auch durch Herausarbeitung der Differenzen die zwischen der visuellen Gegenwart und der Audio-Zukunft bestehen – legt den Fokus auf den Weg dorthin, „es wird ihn brauchen, den Weg“, sagt Seigmann. Die Zukunft 2050 soll nicht als bloße Utopie gedacht (Utopie als altgriechisch für Nicht-Ort), sondern das Denken von Zukunft generell als prinzipiell möglich herausgestellt werden. Nicht Zauberei wird die Klimakatastrophe verhindern, nicht irgendein Nicht-Ort wird als fertiges Paradies bereit stehen, sondern Ideen und Handlungen sind nötig. „So wie es ist, so kann es nicht bleiben“. Damit zielt theaternyx* in Richtung individuelle und gesellschaftliche Selbstermächtigung und sieht „über.morgen“ als emanzipatorisches Unterfangen. Dass die Zukunft 2050 dabei nur über das Hören zugänglich ist, öffnet die Augen für die Differenzen, für die Handlungsmöglichkeiten heute. Das Aktivieren der Phantasie, der Vorstellungskraft ist für theaternyx* ein großes Anliegen. Das Gehen in der Gruppe, bei gleichzeitiger Vereinzelung bzw. Sensibilisierung für Körper im Raum durch das Tragen von Kopfhörern unterstreicht diesen Ansatz. Wenn „Quartier 2030 – Die Stadt sind wir“ eine Vision von Zukunft vor allem einmal vorgestellt hat, dann macht „über.morgen“ eine Zukunft erlebbar.

„Ich meine, alle wesentlichen Entwicklungen in Bezug auf Nachhaltigkeit sind ja ewig in die falsche Richtung gelaufen. Nicht nur bei uns. In den 2010er Jahren gab es dann endlich immer mehr Versuche über Gesellschaftssysteme nachzudenken, die sensibel mit den bestehenden Ressourcen umgehen. Obwohl ich auch sagen muss, dass sich der Glaube an das heilbringende Wirtschaftswachstum noch sehr lange gehalten hat. Es ist ja nicht so leicht eine Religionsgemeinschaft von ihrem kollektiven Irrglauben zu überzeugen.“

Das neue Leitungsteam am NTGent um den Theatermacher Milo Rau hat sich im Mai 2018 ein Manifest gegeben. Dessen erster Punkt lautet: „Es geht nicht mehr nur darum, die Welt darzustellen. Es geht darum, sie zu verändern. Nicht die Darstellung des Realen ist das Ziel, sondern dass die Darstellung selbst real wird“. Was es in diesem Kontext bedeutet, die Welt als eine schon veränderte darzustellen? „Wir stellen die Welt als eine veränderbare dar, wir sagen, dass sie sich verändert und sprechen eine Einladung zur positiven Veränderung aus“, erklärt Seigmann, „es ist komplex“. Für „über.morgen“ haben Claudia Seigmann und Markus Zett zum wiederholten Male mit der Autorin und Dramaturgin Claudia Tondl zusammengearbeitet. „Es gab viel zu tüfteln“, so zum Beispiel in Bezug auf den Straßenverkehr, „die Erzählstimme muss ja auch auf rote Ampeln reagieren können“. Und wie geht das? „Das verraten wir nicht“. Der Audiowalk wird auch Teil des internationalen Symposions „Superstadt!“ der Kunstuniversität Linz im Mai 2019 sein. Vielleicht lüftet sich ja dann das Geheimnis der roten Ampeln.

 

Premiere: 04. April, 17:00 Uhr
Weitere 10 Spieltermine: 05. – 14. April
Start- und Endpunkt: OK Offenes Kulturhaus, OK-Platz 1
Der Audiowalk führt zirka 80 Minuten zu Fuß durch die Stadt.
Kartenvorverkauf: Moviemento & OK Kassa. Infos: 0732/784090.
Mehr Infos: theaternyx.at

Mehr über den Audiowalk im Rahmen des Kunstuni-Symposions „Superstadt!“ im Mai: theaternyx.at

Konsequenzen, Schwimmen, Fliegen

YAAAS! bei Crossing Europe: Innerhalb der neuen Jugendschiene wurde von Gleichaltrigen ein Spielfilmprogramm von sechs Filmen mitprogrammiert. Drei davon hat sich die von der Referentin beauftragte Schülerin Valerie Straßmayr im Vorfeld angesehen – und gibt einen Vorgeschmack auf ein Programm zwischen Roadtrip und Coming of Age, und auf mögliche Diskussionsthemen.

Všechno Bude – Winter Flies (CZ/SI/PL/SK 2018) Foto: Cercamon Films

Všechno Bude – Winter Flies (CZ/SI/PL/SK 2018) Foto: Cercamon Films

Posledice / Consequences.

Es wird Konsequenzen geben! Glaub nicht, dass du so davonkommst! – Aber welche Konsequenzen kann es für jemanden geben, der nichts zu verlieren hat? Posledice ist ein slowenisch-österreichisches Jugenddrama von Darko Štante, was zugleich auch sein Langfilmdebüt ist. Der Film porträtiert das Leben des 18-jährigen Andrej (Matej Zemljic), der, nachdem er vermehrt straffällig auffiel, zu einem Aufenthalt in einem Heim für kriminelle Jugendliche verurteilt wurde. Dort soll er resozialisiert und für die Arbeitswelt vorbereitet werden. Doch sobald er ankam, merkt er, dass hier eine ganz andere Hierarchie herrscht, in der er, zumindest derzeit, ganz unten ist. Die Alphas Žele (Timon Šturbej) und Niko machen sich einen Spaß daraus, Andrej zu mobben. Die Betreuer sind hilflos und überfordert. Das wird Konsequenzen geben! Ich werde sonst die Polizei rufen müssen! – Schon sind sie am Ende ihres Vokabulars. Nichts und niemand kann die Jugendlichen stoppen. Im Heim lernt Andrej seinen Zimmergenossen Luka kennen, dieser bestreitet den Alltag, indem er ein Mitläufer ist und sich nicht gegen Želes Clique wehrt. Andrej möchte mehr, er will Teil der Gruppe werden. Nun darf er die Jungs am Wochenende, der Freizeit, auf Partys begleiten. Sie nehmen gemeinsam Kokain und andere Drogen. Sie stehlen Autos und schlagen Leute zusammen, es kommt sogar zu einer Messerstecherei. Andrej verfängt sich immer mehr in dem Netz aus Lügen und Gewalt, aus dem er nicht mehr aussteigen kann. Seine Position in der Gruppe festigt sich vor allem, nachdem ein Neuer ins Heim kommt. Mitar wird das nächste Opfer, das an seinen Platz verwiesen wird. Zwischen Žele und Andrej kommt es zu einer sexuellen Annäherung. Sie tanzen gemeinsam und küssen sich, am Ende schlafen sie miteinander in einem Hotel. Žele lebt seine Homosexualität nicht offen. Er hat eine Freundin, Svetlana, die aber von seinen Neigungen weiß. Der verliebte Andrej macht nun alles für Žele. Auch von Luka treibt er Geld ein, er ist korrupt und kalt. Dadurch verliert er seinen einzigen, wirklichen Freund. Als er 300 Euro von einem „Zigeunerjungen“ eintreiben soll, öffnen sich Andrejs Augen. Žele hat ihn die ganze Zeit nur benutzt, um seine Drecksarbeit zu erledigen. Als Andrej vor Žele Gesicht zeigt, merkt er, wie hinterlistig und unfair gespielt wird. Aus dem Teufelskreis gibt es kein Entkommen, am nächsten Morgen soll er erfahren, wie es einem Aussteiger geht. Posledice ist ein emotionaler Film, der die Fragilität der Männlichkeit porträtiert. Regisseur Darko Štante beschreibt die noch sehr verbreitete Homophobie im slawischen Raum. Gleichzeitig spricht er die Probleme in solchen Heimen, wie jenes, in dem Andrej lebt, an. Obwohl viele Versuche gemacht werden, um die Jungen zu resozialisieren, machen sie was sie wollen, jegliche Autorität ist wirkungslos. Auch wenn die Teenager fast wie in einem Gefängnis wohnen, sind sie doch so frei wie noch nie. Ihr Leben ist exzessiv, die einzigen Grenzen sind die ihrer eigenen Hierarchie.

Schwimmen.

Es gibt kaum eine Zeit, in der sich so viel verändert, in der so viel neu ist, in der jeder Tag eine neue Weltanschauung bedeuten kann. Schwimmen ist ein deutscher Coming-of-Age-Spielfilm von Luzie Loose, der eine ehrliche und objektive Perspektive auf das Teenagerdasein bietet. Der Beginn der Handlung könnte einem schon bekannt vorkommen. Eine introvertierte Außenseiterin, die gerade die Trennung ihrer Eltern miterlebt, wird von ihren MitschülerInnen gemobbt. Elisa (Stephanie Amarell) hat Kreislaufprobleme und bricht im Schwimmbad zusammen. Ihre SchulkollegInnen nutzen den Moment, um mit ihrem reglosen Körper zu posieren und Fotos zu machen. Diese verbreiten sich binnen des nächsten Tages an der ganzen Schule. Allein ist sie machtlos gegen diese Attacken, doch Anthea (Lisa Vicari) kommt ihr zur Hilfe. Gemeinsam wollen sie sich rächen und arbeiten eine Liste mit Elisas Peinigern ab. Ganz im Zeichen der Gegenwart nutzen sie die Technik und filmen ihre Aktionen. Anthea unterstützt Elisa, doch bringt sie in eine Situation der Abhängigkeit. Das unschuldige Mädchen wird selbst zur Täterin. Die Charakterzüge der zwei Freundinnen unterscheiden sich stark. Während Anthea immer auf sich achtet und egoistische Charakterzüge aufweist, meldet sich bei Elisa das Gewissen. Elisa fürchtet sich davor, wieder einsam zu sein. In jedem Streitpunkt springt sie für ihre beste Freundin ein. Dabei muss sie oft ihre eigenen Ideale verraten. Nach einiger Zeit eskaliert das Spiel der beiden Mädchen, indem sie mittlerweile Videos zur Erpressung nutzen, und Elisa erkennt das wahre Gesicht von Anthea. Die Regisseurin porträtiert diese komplizierte Lebensphase, ohne jedoch zu werten. Die vielen Aspekte, die einen in diesem Lebensabschnitt beschäftigen, werden nüchtern und ehrlich beleuchtet. Liebe, Drogen, Partys und der soziale Druck, der auf den Schultern lastet. Auf Fehler wir nicht mit dem Finger gezeigt und der Film wirkt nicht belehrend. Neben den dramatischen und schweren Momenten werden auch die schönen, von Leichtigkeit erfüllten Augenblicke beleuchtet. Diese Momente, in denen die Kinder alle Probleme vergessen können und sich von der digitalen Welt abschotten. Elisa wächst an ihren Herausforderungen im Film vom Kind zur Teenagerin heran. Sie lernt aufzustehen und für ihre Meinung den Kopf hinzuhalten. Der Film überzeugt auch mit viel Abwechslung im Schnitt zwischen Realität und Handykamera, die ihn umso lebensnaher erscheinen lassen.

Všechno Bude – Winter Flies.

Es gibt nichts Stärkeres als den Bund der Freundschaft. Všechno Bude ist ein Coming-of-Age-Spielfilm von Olmo Omerzu auf Tschechisch. Im Film werden die zwei Teenager Heduš (Jan František Uher) und Mára (Tomáš Mrvík) auf ihrem Roadtrip mit einem gestohlenen Auto durch ganz Tschechien begleitet. Die zwei Freunde könnten nicht unterschiedlicher sein. Heduš ist tollpatschig, naiv und noch sehr kindlich. Der etwas ältere Mára wirkt cool, rational und kalt. Mára prahlt immer wieder mit seinen Frauengeschichten und die zwei gabeln eine junge Frau, Bára, auf der Straße auf. Beide Jungs stellen sich vor, mit ihr schlafen zu werden. Bára wird dabei nicht wirklich als Mensch, sondern als Objekt wahrgenommen. Heikle Themen wie Sexismus, Homophobie und Transphobie, die es noch immer zu überwinden gilt, werden angesprochen. Der Film switcht zwischen den Szenen auf der Straße zu einer Polizeibefragung von Mára. Dabei spielt er mit dem extremen Kontrast der Freiheit und der Gefangenschaft. Während der Befragung kommen wiederholt Aufnahmen einer Fliege vor. Zuerst ist ihr Zustand völlig intakt. Im Verlauf des Gesprächs wird sie immer mitgenommener, wie Mára. Durch die Tricks der Polizistin gibt er immer mehr von sich preis. Letztendlich liegt die Fliege im Aschenbecher, bedeckt von Zigarettenstummeln, aber sie kann sich befreien. Am Ende führen die beiden Parallel-Geschichten wieder zusammen. Všechno Bude beschreibt die Vielseitigkeit der Freundschaft, die Ups und Downs. Die Geschichte zeigt, wie wichtig es ist, zu vertrauen und wie schön es ist, aufeinander zählen zu können. Durch ihre unterschiedlichen Charakterzüge läuft zwar nicht immer alles harmonisch zwischen den Freunden ab, doch sie wachsen durch sich und den anderen über ihren Horizont heraus und finden doch immer wieder zusammen. Am Ende wissen sie, dass dieser Trip noch lange nicht vorbei ist.

Resümee.

In allen drei Filmen spielt Freundschaft eine wichtige Rolle. Posledice und Schwimmen zeigen, wie leicht man in diesem Alter in Abhängigkeit geraten kann. Das Handeln der Personen wird vom Gruppenzwang beeinflusst. Ist man einmal Teil, wird es schwer, sich aus diesem Netz zu befreien. In diesen zwei Filmen sind soziale Medien sehr zentral. Fotos und Videos sind Mittel zur Erpressung – relevant und realitätsnahe.

Všechno Bude porträtiert eine ganz andere Welt, in der Medien eine weniger große Rolle spielen. Die Freundschaft der Hauptcharaktere ist offen und herzig. Heduš und Mára vertrauen einander und können auf den jeweils anderen auch in herausfordernden Situationen zählen.

Das Thema Drogen ist häufig aufgetreten. Es wird sehr objektiv behandelt, aber nicht verherrlicht. Die Geschichten drehen sich nicht um Abhängigkeit, sie porträtieren einfach, dass Drogen für viele Jugendliche eine gelegentliche Realitätsflucht bedeuten. Die Figuren wirken aufgeklärt und verantwortungsbewusst, wie es heute auch die meisten Teenager sind. Auch hier ist Všechno Bude eine Ausnahme, weil Drogen keine Rolle spielen.

Die Coming-of-Age-Filme der neuen Crossing Europe-Schiene Yaaas! sind interessante Aufnahmen, die das Heranwachsen an schweren Aufgaben Jugendlicher repräsentieren. Die Filme sind sehr spannend im Stil und abwechslungsreich. Nicht alle Geschichten hören mit einem Happy End auf, wie im echten Leben. Doch aus den emotionalen Herausforderungen wachsen die Charaktere und werden ein Stück erwachsener.

Crossing Europe: Programm-Special zu Edith Stauber

DIESES NEHMEN_CE19-LA_Linz-Stadtpfarrkirche-6

Crossing Europe widmet der Linzer Filmemacherin und Künstlerin Edith Stauber ein Programm-Special innerhalb der Sektion Local Artists. Edith Stauber (*1968) hat Visuelle Mediengestaltung/ Film und Video an der Kunstuniversität Linz studiert, seit 2001 arbeitet sie im Bereich Dokumentar- und Animationsfilm sowie an der Schnittstelle von Film, Zeichnung und Malerei. Sie war seit den Anfängen von CROSSING EUROPE regelmäßig im Filmprogramm vertreten. Das diesjährige Special versammelt alle kurzen Animationsarbeiten, die Weltpremiere des neuesten Films Linz / Stadtpfarrkirche inklusive. Edith Staubers humorvoller Blick auf unsere Lebensrealität und ihr untrügliches Gespür für Momentaufnahmen und Details, die allzu leicht übersehen werden, machen ihre animierten Filme zu kostbaren „Alltagsminiaturen“. (Auszug Programmtext Crossing Europe)

Die Referentin hat bereits über Edith Stauber berichtet – im Rahmen der Gemeinschaftsausstellung mit Alenka Maly und Bibiana Weber in der Galerie Forum Wels. Die Referentin #8, Juni 2017, Text „Von meinem Privaten in dein Politisches“ playground233.servus.at/von-meinem-privaten-in-dein-politisches

Coming of Politics

Beim diesjährigen Filmfestival Crossing Europe laufen zwischen 25. und 30. April drei ausgewählte Dokumentarfilme über Frauen in der Politik. In Sachen Filmbesprechung hat die Referentin im Vorfeld drei Expertinnen in Sachen Politik gewinnen können: Karin Hörzing hat sich „I Had A Dream“ angesehen. „We Did What Had To Be Done“ wurde von Doris Lang-Mayrhofer gesichtet. Und „Sylvana, Demon Or Diva“ bespricht Eva Schobesberger.

I HAD A DREAM / AVEVO UN SOGNO. Zwei Männer flankieren den 2018 erschienenen Film von Claudia Tosi: Silvio Berlusconi, der 2008 zum vierten Mal italienischer Ministerpräsident wurde, und Donald Trump, der ein knappes Jahrzehnt später als amerikanischer Präsident vereidigt wurde. Für Manuela, eine Abgeordnete des italienischen Parlaments, und Daniela, eine Lokalpolitikerin, ist dieser dergestalt männlich markierte Zeitraum der Inbegriff für den politischen Regress. Seit Jahren kämpfen die beiden für mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, für bessere Gesetze zum Schutz vor häuslicher Gewalt gegen Frauen und für ein diverseres Gesamtbild politischer Verantwortungsträger.

Was ist Politik? Was macht Politik aus? Gibt es im beruflichen Leben von Politikerinnen, egal in welcher Stadt, in welchem Land sie arbeiten, Parallelen?
Darauf kann ich nur mit einem klaren Ja antworten, wenn ich den – in 84 min. Filmlänge – geschilderten Einsatz, die Erfahrungen, Erwartungen, Enttäuschungen aber auch Erfolge von Manuela und Daniela Revue passieren lasse.
„I had a dream“ ist kein Film, der keine Fragen aufwirft. „I had a dream“ besticht nicht durch spektakuläre Bilder oder Action, nein, mich hat er fasziniert, weil es sehr subtil gelungen ist, sich in die Welt dieser beiden Politikerinnen hineinziehen zu lassen. Und ich denke, das passiert nicht nur mir, weil ich diese Welt gut kenne, sondern vor allem dadurch, weil es so ungeschnörkelt authentisch ist.
Politikerinnen aus aller Welt setzen sich seit vielen Jahren mit den gleichen Themen wie Manuela und Daniela auseinander: mit dem Einsatz für mehr Gleichberechtigung, mit dem Schutz vor häuslicher Gewalt für Frauen, mit dem Anspruch, dass mehr Frauen auch die Politik gestalten.
„I had a dream“ berührt – er berührt in den Aussagen, den stillen Momenten, den motivierenden Protestmärschen, den Alltagsgeschehnissen.
Er macht wütend, wenn Politikerinnen auf Missachtung treffen (wer hat schon gerne ein schlafendes männliches Publikum 🙂 ), wenn harte Fakten wie beim Thema häusliche Gewalt verniedlicht werden und wenn man merkt, wie populistische Politik gegen die Menschen, von den Menschen, den Wählerinnen und Wählern unterstützt wird.
Und dieser Film lässt einen auch nicht los, weil auch die persönlichen Schicksale, die Zweifel, die Ratlosigkeit, die Diskussionsbeiträge und die humorvollen Momente von Manuela und Daniela so eindringlich – sprachlich und bildlich – eingefangen wurden. Zum Schluss bleibt die Frage offen, welchen Stellenwert der politische Einsatz von Daniela und Manuela hat. Wird es jemanden geben, der den Kampf weiterführt und das Staffelholz übernimmt!? Ich denke, ja – Bella Ciao!

Karin Hörzing (SPÖ) ist Vizebürgermeisterin der Stadt Linz. Ihre Ressorts sind Soziales und Sport.

 

WE DID WHAT HAD TO BE DONE. Die beiden Regisseurinnen Friederike Berat und Ulrike Ertl im O-Ton über ihre Dokumentation von 2018: Dieser Film basiert auf 15 Interviews mit nordirischen Frauen, die wir im Zeitraum von 2009 bis 2017 geführt und zusammengestellt haben. Sie erlebten den Konflikt als Befreiung aus den Rollen, die ihre Gemeinschaften für sie vorgesehen hatten. Eine Befreiung, die sich im Laufe des Friedensprozesses Schritt für Schritt wieder zu ihrer Ausgangssituation zurückentwickelte. Ihre Namen sind – anders als die Namen ihrer männlichen Mitstreiter und Genossen – nicht im öffentlichen Narrativ des Konflikts zu finden. Diese Dokumentation möchte ihre Geschichte erzählen.

Der Film zeigt für mich auch Parallelen zur heutigen Zeit auf. Wenn in Amerika über einen Mauerbau diskutiert wird, oder in Europa ein Brexit bevorsteht, kann man das durchaus mit dem Irland-Konflikt in diesem Film vergleichen, wo es um die Spaltung in einen südlichen und einen nördlichen Teil des Landes ging.
Was allerdings nicht geschichtlich festgeschrieben wurde, ist, wie diese nordirischen Frauen damit umgingen, bzw. was das für sie persönlich bedeutete. Dies war jedoch Thema der Interviews, die in diesem Dokumentations-Film mit diesen Frauen geführt wurden.
Die Erinnerungen an die Probleme sind unterschiedlich und formen dadurch eine dynamische Wahrnehmung dieser Zeit. Die Frauen erzählen von der politischen Prägung, die sie schon in der Kindheit formte, sie beurteilen den Stellenwert der Frauen im Konflikt unterschiedlich, sie fassen Trauer, Trauma und die Auswirkungen von (häuslicher) Gewalt in Worte.
Sie beschreiben ein Umfeld, in dem Frauen die Initiative ergreifen, oder sich dafür aussprechen, jungen Menschen eine Zukunfts-Perspektive zu eröffnen.
Der Film „We did what had to be done“ kann aus meiner Sicht dazu anregen, sich Gedanken darüber zu machen, dass Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte keine Selbstverständlichkeit sind, und dass wir uns alle immer wieder bewusst machen sollten, dass gerade in unserer Europäischen Union diese Werte ein klares und starkes Bekenntnis sind.

Doris Lang-Mayerhofer (ÖVP) ist Stadträtin der Stadt Linz. Ihre Ressorts sind Kultur, Tourismus und Kreativwirtschaft.

 

SYLVANA, DEMON OR DIVA. In Ihrer 2018 releasten Dokumentation hat Regisseurin Ingeborg Jansen eine niederländische Politikerin begleitet: Als die ehemalige TV-Persönlichkeit Sylvana Simons die politische Arena in den Niederlanden betritt, ist sie als „woman of colour“ mit vielen Anfeindungen konfrontiert. Gemeinsam mit ihrer Partei BIJ1 stellt sie sich den Herausforderungen des Wahlkampfs.

Dieser Film begleitet Sylvana Simons auf ihren drei Monaten vor der Wahl zum Amsterdamer Gemeinderat, wo sie als Spitzenkandidatin für eine linke Bewegung um den Einzug kämpft. Er zeigt die Politikerin im Straßenwahlkampf, bei Parteiveranstaltungen, bei zahlreichen Gesprächen und liefert auch zum Teil sehr persönliche Einblicke bis ins chaotische Zentrum ihres Kleiderschranks, wohin sie sich immer wieder zurückzieht. Den Einstieg bilden Szenen aus einer Fernsehdiskussion, die mich sofort zornig machen. Alter weißer Mann versucht mit „lustigen“, rassistischen Bemerkungen gegenüber seiner jungen schwarzen Mitdiskutantin beim Publikum zu punkten. So bin ich ab der ersten Minute im Filmgeschehen gefangen und beginne nahezu sofort mich mit Sylvana Simons zu identifizieren und bin mit ihr. Ich fühle die Kraft, die im Kampf für positive Veränderungen entsteht, genauso wie die Energie, die sie braucht um persönliche Beleidigungen zu parieren. Ich bin schockiert, womit Sylvana Simons zurechtkommen muss. Persönliche Beleidigungen, kränkende Anwürfe oder primitive Sexismen kennt vermutlich jede Frau, in irgendeiner Form. Aber diese unglaublichen, hassgeladenen Rassismen! Ich spüre die Zornesröte in meinem Gesicht und bewundere die Souveränität mit der diese starke Frau das alles bewältigt. Das macht mich dann auch sehr dankbar für das positive Feedback, das Silvana Simons von Mitstreiterinnen oder irgendwelchen Menschen auf der Straße erhält. Mitten im Film treffe ich dann auf einen guten Bekannten. Ich bedauere gerade wieder, dass ich kein Niederländisch spreche, weil mir die Konzentration auf die Untertitel viel von dieser schönen und kräftigen Bildsprache nimmt, die den Film prägt. Und da taucht er auf: Der Erklärbär. Ein großer weißer Mann steht mit einer Bierflasche in der Hand da und erklärt. Er erklärt Sylvana Simons, dass er im Ergebnis eh bei ihr ist, sagt ihr aber, dass sie anders argumentieren soll und dass sie Begriffe die sie verwendet, lieber nicht gebrauchen soll, weil sie zu negativ beladen sind. Auf Sylvana Simons Einschub, dass man Rassismus wohl kaum bekämpfen kann, wenn man ihn nicht als solchen benennt, wirft er ihr schließlich vor, dass sie ihm zu viel erklärt.
Der Erklärbär ist nicht unser einziger gemeinsamer Bekannter. Ich finde mich insgesamt in vielen Elementen dieses Films wieder. Vermutlich liegt das aber gar nicht so sehr am Politikerin-Sein, sondern daran, dass Frauen in unserer Welt eben oft mit sehr ähnlichen Dingen zu kämpfen haben. Sylvana Simons bekommt im Laufe des Wahlkampfes viele mehr oder weniger brauchbare Ratschläge. Einen davon find ich richtig gut und zwar für jede von uns: „Hör auf, so kritisch mit dir selbst zu sein!“

Eva Schobesberger (GRÜNE) ist Stadträtin der Stadt Linz. Ihre Ressorts sind Frauen, Umwelt, Naturschutz und Bildung.

Das Professionelle Publikum

In dieser Ausgabe Kunst-und Kulturtipps von Tanja Brandmayr, Sigrid Ecker, Alois Fischer, Robert Hinterleitner, Dagmar Schink, Kulturverein Schlot, Lisa Spalt und Hannah Winkelbauer. Die Redaktion bedankt sich herzlich und wünscht den Leserinnen und Lesern viele Entdeckungen und inspirierende Veranstaltungs-Besuche.

spotsz_maerz_10.qxd

Foto Pamela Neuwirth

Foto Pamela Neuwirth

Tanja Brandmayr
arbeitet seit vielen Jahren & in unterschiedlichen Zusammenhängen zwischen Text, Inszenierung und Kunst, ist Redakteurin und freie Autorin.

Performance Speculative School of Sleep Dance, Tanja Brandmayr
Performance Si(e)Si – 5 mm über dem Boden, SILK Fluegge + SILK Fluegge Guests
Ausstellungseröffnung Vi! – The continuous state of suspense

 

Sigrid EckerSigrid Ecker,
Redaktionsleitung Infomagazin FROzine, Radio FRO und Kulturaktivistin.

Tapfer, wehrhaft, gewaltbereit – Verhängnisvolle männliche Geschlechterrollen
9. Direktwahl zum Europäischen Parlament

 

Foto Caroline Forbes

Foto Caroline Forbes

Alois Fischer
arbeitet seit 1978 für das Jazzatelier Ulrichsberg.

Ausgabe #34 des Festivals „Ulrichsberger Kaleidophon“
Jazzkonzert mit Joe McPhee / John Edwards / Klaus Kugel

 

 

Robert HinterleitnerRobert Hinterleitner
leitet seit 2018 YAAAS! – die Jugendschiene des CROSSING EUROPE Filmfestival Linz und lehrt Video&Film an der HBLA für künstlerische Gestaltung Linz.

Präsentation des YAAAS! Videoprojekt
NEXTCOMIC SUUUPER SONNTAG

 

Foto Ulli Engleder

Foto Ulli Engleder

Dagmar Schink
arbeitet und forscht in den Bereichen Bildende Kunst, Zeitbasierte Medien und am Format Ausstellung. Seit 2017 ist sie mit der Geschäftsführung des international ausgerichteten Forschungszentrums für Medien- und Performancekunst, dem VALIE EXPORT Center Linz, betraut.

Enter the Center_ Exklusiv ins Archiv
Performance New Noveta (Keira Fox, Ellen Freed) mit Vindicatrix (David Aird)

 

Gründer und Vorstand des KV Schlot v.l.n.r. David Riedl, Birgit Koblinger, Florian  Loimayr. Foto Kerstin Kieslinger

Gründer und Vorstand des KV Schlot v.l.n.r. David Riedl, Birgit Koblinger, Florian Loimayr. Foto Kerstin Kieslinger

Seit 2014 veranstalten sie gemeinsam mit ihren KollegInnen Konzerte, Ausstellungen, Lesungen, Pflanzlmärkte, das Schlommerfest und den Christgsindlmarkt. Wenn gerade nichts los ist, ist der Schlot Gemeinschaftsatelier und Proberaum, dessen Räumlichkeiten sich in einer ehemaligen Matratzenfabrik im Franckviertel befinden und die sie sich aktuell neun Personen teilen.

Schlommerfest
Installation „rubber grubs“

 

Lisa SpaltLisa Spalt
ist Autorin und Administratorin des Instituts für poetische Alltagsverbesserung.

„Schreiben in Gesellschaft“
Ausstellung „Hinter den Spiegeln“

 

Foto Marisa Vranjes

Foto Marisa Vranjes

Hannah Winkelbauer
ist Künstlerin und Kulturjournalistin und lebt in Linz und Wien.

Ausstellungseröffnung „Spuren“
Eröffnung „Linz FMR“

 

 

Tipps von Die Referentin

spotsz_maerz_10.qxd

 

 

Lesung Éric Vuillard, Die Tagesordnung
Universal Indians feat. Joe McPhee
Mekons, GIS Orchestra
Erik Friedlander | Throw A Glass | feat. Uri Caine & Mark Helias & Ches Smith
Helmut Qualtinger/Carl Merz Der Herr Karl
Österreichische Erstaufführung Nach uns das All oder Das innere Team kennt keine Pause
Okabre Echtzeitfilmvertonung Tetsuo – The Iron Man
Buchpräsentation Andreas Kump „Über Vierzig“
Zu Ende gedacht Österreich nach Türkis-Blau