Editorial

Dieser letztklassige Skandal um die mit Kulturgeldern geförderte KTM-Motohall stellt ein Punkt in einer Entwicklung dar, der einem die Haare zu Berge stehen lässt. Untragbar ist, wie mit den Kunst- und Kulturinstitutionen seitens des Landes OÖ zuletzt umgegangen wurde. Horrend ist die Prekarisierung des freien Kunst- und Kulturbetriebs. Perfide ist es, wenn es heißt, dass dem Kulturdirektor des Landes OÖ nie irgendwelche Probleme oder Beschwerden zu Ohren gekommen sein sollen. Unglaubwürdig waren die Versuche einer Einbindung in längerfristige Prozesse wie dem des Kulturleitbildes. Schlimm ist, dass dem Kulturbereich seit Jahren nur mehr Parameter von Besucherzahlen und wirtschaftliche Kennzahlen vorgegeben werden.

HIER WAS ZUM NACHDENKEN:

In der neuen Referentin trotzdem solide Kultur.

Die Referentinnen, Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

Urteil mit Signalwirkung

Zwei Farbbeutel, unbekannte Täter und ein Urteil, das aufhorchen lässt: Nach der Demonstration gegen den rechtsextremen Kongress zur Verteidigung Europas 2016 – bei zwei Gebäuden entstand Sachschaden – klagten die Geschädigten die Demonstrationsveranstalter. Die sollen nun rund 23.000 Euro bezahlen. Ein Urteil, das die Versammlungsfreiheit in eine völlig neue Perspektive rückt. Eine Betrachtung von Silvana Steinbacher.

Rebellion und Pflicht. Foto Otto Saxinger

 

Dieses Urteil hat meine Phantasie beflügelt. Dies­­mal gefielen mir meine gedanklichen Aus­­flüge allerdings ganz und gar nicht. Erste Vision: Ich schmuggle mich in eine Pegida-Demonstration, klopfe ein paar markige Sprüche, ziehe mir in einem unbeobachteten Moment ein Tuch übers Gesicht und knalle mit voller Wucht einen Farbbeutel gegen ein Gebäude und einen Ziegelstein gegen ein Autofenster. Anschließend schleiche ich in eine Seitengasse. Dass die Veranstalter der Demo durch meine mutwillig herbeigeführte Zerstörung wahrscheinlich ordentlich zur Kassa gebeten werden, erfüllt mich schon jetzt mit Hochgenuss!

Zweite Vision: Ich gehe an einem Platz vorüber, auf dem sich viele Menschen versammeln, um endlich ihren Unmut über einen politischen Missstand – und diese sterben bekanntlich nicht aus – zu äußern. Sie möchten von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen, haben lange im Vorhinein diesen Termin im Netz vereinbart! Immer mehr Menschen schließen sich der Gruppe an, doch die Atmosphäre droht bald chaotisch zu werden, denn die Polizei hindert die DemonstrantInnen zunächst, ihre Route einzuschlagen, und treibt sie schließlich sogar auseinander. Die Kundgebung, so die berechtigte Argumentation der Polizisten, sei nicht ordnungsgemäß angemeldet worden. Und tatsächlich hat es niemand gewagt, sie offiziell zu veranstalten, um bei etwaigen Schadensfällen nicht finanziell ruiniert zu werden.

Und jetzt zur Realität und zum aktuellen Fall:
Am 29. Oktober 2016 trafen sich die rechten Recken in den Linzer Redoutensälen, den Festsälen des Landes OÖ, und hielten ihren Kongress zur Verteidigung Europas ab. Diese Veranstaltung war eines der größten rechtsextremen Vernetzungstreffen im deutschsprachigen Raum. Das Bündnis Linz gegen Rechts rief zu einer Demonstration gegen diesen Kongress auf, und diesem Aufruf folgten rund 2000 Menschen. Im Zuge der Versammlung wurde je ein Farbbeutel gegen den Kaufmännischen Verein und ein Gasthaus geschleudert. Daraufhin klagten die Geschädigten die Sozialistische Jugend OÖ und die Kommunistische Jugend Ö. Sie hatten die Kundgebung angemeldet.
Keine Frage, natürlich ist es ärgerlich und mehr, wenn Gebäude, Autos oder was auch immer im Zuge einer Demonstration beschädigt werden. Laut Gesetz haben in diesem Fall die Verursachenden die finanziellen Folgen zu tragen, doch eben jene ausfindig zu machen, bleibt in der Praxis schwierig. So auch bei der Demonstration Ende Oktober 2016.
Im konkreten Fall fand voriges Jahr die Verhandlung an jeweils zwei nicht aufeinanderfolgenden Tagen statt. Nina Andree, Landesvorsitzende der Sozialistischen Jugend OÖ und mit der Kommunistischen Jugend Ö eine der Veranstalterinnen der Demo, berichtet mir von diesen Verhandlungstagen. Die Richterin, so sagt sie, erschien ihr in ihrem Verhalten neutral, Andree konnte keine Voreingenommenheit bei ihr erkennen. Ihre Fragestellungen waren detailliert und sachlich. Videos von der Kundgebung wurden gezeigt, ZeugInnen von beiden Seiten befragt, der Hergang der Demonstration so gut wie möglich rekonstruiert.
Im Juni dieses Jahres sprach nun das Bezirksgericht Linz den Klägern in erster Instanz einen Schadensersatz inklusive der Prozesskosten zu. Die beiden Jugendorganisationen müssen demnach laut Urteil 23.263,45 Euro bezahlen. Sie haben gegen das Urteil berufen. „Sollte es in der zweiten Instanz erneut zu einem Schuldspruch kommen, würden wir Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einreichen“, stellt Nina Andree fest.
Begründet wird das Urteil unter anderem damit, dass die Veranstalter verpflichtet gewesen wären, verdächtige Personen – wie viele von 2000? – auf gefährliche Gegenstände zu durchsuchen. Doch zu diesem Vorgehen sind Zivilpersonen, wie es die Veranstalter sind, gar nicht berechtigt.
Die Juristin und Kriminologin Angelika Adensamer arbeitet für den Arbeitskreis epicenter works, der sich auch für die Wahrung von Grundrechten engagiert. Sie kann sich nicht vorstellen, dass das jetzige Urteil hält. Juristisch gesehen ist es verfassungswidrig, fügt sie hinzu. Sie würde es als Markstein der Justizgeschichte betrachten, falls das Urteil nach der Berufung nicht aufgehoben würde, stellt die Juristin fest, außerdem könnte das Urteil Tür und Tor öffnen, sich unter falscher Flagge in eine Demonstration zu schmuggeln, um dort etwas zu beschädigen und so dem politischen Gegner zu schaden (siehe die erste Imagination zu Beginn des Textes).
Nun hat das Bündnis Linz gegen Rechts, dem viele Organisationen und eben auch die Sozialistische Jugend OÖ und die Kommunistische Jugend Ö angehören, eine Kampagne eingerichtet, um eventuelle, auf sie zukommende Kosten bewältigen zu können:
linz-gegen-rechts.at/versammlungsfreiheit-verteidigen

So weit so gar nicht gut.
Versuchen wir ausgehend von diesem Linzer Fall die Konsequenzen und Perspektiven zu überdenken. Bei den aktuellen medialen Berichten zu diesem Urteil sind in den Postings, die ich immer als Stimmungsbarometer werte, durchaus auch Zustimmungen zu der vorläufigen richterlichen Entscheidung zu finden. Was würde es, sollte das Urteil Schule machen, beispielsweise für die Friday-for-Future-Demonstrationen bedeuten, die hauptsächlich von Jugendlichen veranstaltet werden? Wären deren Eltern nach wie vor mit diesem Urteil einverstanden, sollte eine der Kundgebungen einmal ausarten?
Ich stelle mir auch die Frage, was denn dieses Urteil für das Versammlungsrecht, aber auch was es grundlegend für unser demokratisches Verständnis bedeuten würde. Soll ein hart errungenes Recht zwar auf dem Papier unangetastet bleiben, in der Praxis aber ausgehöhlt und hintertrieben werden, nur damit die Fassade stimmt? Wie nach dem Motto: Wir laden zum Schwimmen ein, aber leider wurde der Pool nicht eingelassen.
Ich kann mir unter diesen Voraussetzungen – ich erinnere: der oder die Veranstalter hätten jeden etwaigen Schaden zu übernehmen – nicht vorstellen, dass jemand jemals wieder die Courage aufbrächte, eine Demonstration anzumelden, es sei denn er oder sie ist sehr reich, naiv oder über die Maßen mutig.
Die Versammlungsfreiheit zählt in jedem demokratischen Staat zu den Grundrechten. Bereits im Jahr 1867 wurde dieses Recht in Österreich im Staatsgrundgesetz verankert. Im Februar 2017, um in die jüngste Vergangenheit zu blicken, plante der damalige Innenminister Wolfgang Sobotka am Demonstrationsrecht zu rütteln und wollte eben genau dies: Sogenannte VersammlungsleiterInnen sollen für Sachbeschädigungen durch DemonstrantInnen haften. Dies rief in weiten Kreisen Empörung hervor.
Daraufhin relativierte Sobotka, sprach sich aber dafür aus, „Spaßdemos“ zu verbieten. Was bitte ist eine Spaßdemo? Mit der Kundgebung gegen die Abhaltung des Kongresses zur Verteidigung Europas wollten sich die VeranstalterInnen sicherlich keinen Jux machen. Sie arbeiten alle ehrenamtlich und hätten Besseres zu tun, als sich ausgerechnet auf diese Art und Weise zu amüsieren. Einige meiner Bekannten und Freunde nahmen den Anlass ebenfalls sehr ernst. Sie reisten aus Salzburg und Wien an, um gegen die Abhaltung dieses Kongresses zu demonstrieren, der dann ja auch zum letzten Mal in den Linzer Redoutensälen über die Bühne ging. Und schließlich erinnere ich mich noch an zwei wesentliche Demonstrationen in Österreich, die im Sinne der AktivistInnen erfolgreich waren: Die Demonstrationen gegen Zwentendorf und die Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des bereits fertiggestellten Atomkraftwerks 1978, und die Besetzung der Hainbuger Au 1984.
„Unser Leben beginnt aufzuhören an dem Tag, an dem wir über wichtige Dinge Stillschweigen bewahren“, sagte der legendäre Bürgerrechtler Martin Luther King. Oder auf Grund mangelnder Alternativen Stillschweigen bewahren müssen.

„Keine Gewalt, sondern Erkenntnis!“

Die Referentin bringt seit mehreren Heften eine Serie von Porträts über frühe Anarchist_innen und den Anarchismus als eine der ersten sozialen Bewegungen überhaupt. Andreas Gautsch schreibt in dieser Ausgabe über Karl F. Kocmata – einen Anarchisten und Zeitungsherausgeber mit rauem Tonfall.

„Die Österreichische Scheißfreundlichkeit wurde revolutioniert. Das Produkt dieses Tuns war die Wahl in die Nationalversammlung. (…) Aber die Danke schön-, Bitte sehr- und Küß die Hand-Republikaner, dieses Volks ohne Rückgrat und Besinnung, das zu den monarchistischen Fes­ten und Festzügen mit derselben Begeisterung lief als es sich zur Wahl in die Nationalversammlung wie eine Schafherde treiben ließ, dieses Volk holt seine Gesinnung aus den vergifteten Quellen des deutsch-österreichischen Blätterwaldes.“ (Revolution, Nr. 1, Jänner 1919, S. 1)

Von der Revolution! bis zur Ver!
So polterte vor hundert Jahren, im Jänner 1919, der Anarchist, Schriftsteller und Re­dakteur Karl Friedrich Kocmata im Leitartikel der ersten Ausgabe seiner Wochenzeitung Revolution!. Der Autor war zu diesem Zeitpunkt kein Unbekannter mehr. Bereits im letzten Kriegsjahr hatte er den Jungen und Wilden der expressionistischen Avantgarde, zu der er ebenfalls zu zählen ist, mit der von ihm 1917 gegründeten Zeitschrift Ver! ein Sprachrohr gegeben. Neben Gedichten, kunstvollen Gra­fiken, meist Linolium- oder Holz­schnit­ten, finden sich darin zeitgenössische Auseinandersetzungen über Krieg, Naturheilkunde, die Lebensreformbewegung, wie auch über das Schaffen von Egon Schiele oder das letzte Schönbergkonzert. Hinzu kommen ausführliche Hom­magen an die Säulenheiligen dieses Ver!-Kreises: Karl Kraus und Peter Altenberg. Letzterer steuerte Titel und Schriftzug der Zeitschrift bei. Der Literaturwissenschaftler Thomas Reineke zählte über 100 Mitarbeiter_innen, die in der kurzen Zeit ihres Bestehens von 1917 bis Jänner 1919 dort publizierten, die meisten Namen sind heute vergessen, abgesehen von dem bereits erwähnten Peter Altenberg oder dem Anarchisten Erich Mühsam.
Kocmata selbst trat in der Zeitschrift eben­falls als Autor in Erscheinung, beispielsweise mit einer Kritik am herrschenden Literaturbetrieb. Er sah die Aufgabe der Literatur in der Volksbildung und nicht in der Unterhaltung. „Mich dünkt, daß gerade dies fade, unwahre Ästhetisieren dem Schrifttum in Österreich schwere Nachteile brachte. Das Lesepublikum wur­de verzogen: Das Lesen, das eine Angelegenheit auch des Denkens sein soll, wurde ihm zu leicht gemacht, wenn man es nicht gar als überflüssig betrachtet.“ (Ver!, September,1917, S. 30) Die damals wie auch heute ökonomisch schwierige Situation für Autor_innen kritisierte er ebenfalls und vertrat hier die Ansicht, dass die soziale Frage der Kulturschaffenden nur von diesen selbst zu lösen seien. Wie das aussehen könnte, führte er in diesem Artikel nicht näher aus, sondern begnügte sich damit, seinen Pessimismus hinsichtlich einer staatlichen Unterstützung kundzutun: „Heute weiß ich, daß der Staat wohl ein Interesse an der Förderung der Volksbildung haben sollte, doch ist jegliche Hoffnung auf diese Unterstützung aussichtslos.“ (Ver! September 1917, S. 31)

Vom Gesindel zur Avantgarde
Diese Skepsis gegenüber dem Staat entspricht nicht nur seiner anarchistischen Einstellung, sondern auch seiner eigenen Lebenserfahrung. Als sechstes Kind einer Wiener Arbeiterfamilie im Jahre 1890 geboren absolvierte er zunächst eine kaufmännische Ausbildung und entwickelte sich in den 1910er Jahren zu dem für die anarchistische und sozialrevolutionäre Bewegung typischen autodidaktisch gebildeten Intellektuellen. Diese vertrauten auf ihren Wegen der Befreiung und Selbstermächtigung weniger den Versprechungen und Politiken der dominierenden sozialdemokratischen Bewegung, sondern den anarchistischen Idealen der individuellen Autonomie und gegenseitigen Hilfe. Obwohl Kocmata ein Mensch der Worte war, entwickelte er keine eigene anarchistische Theorie, sondern orientierte sich an Personen wie Leo Tolstoi, Pierre Ramus oder Peter Kropotkin. Er war mehr ein Praktiker – Redner, Journalist, Dichter und Her­ausgeber und zählte, neben Pierre Ramus, Olgar Misar und Max Nettlau zu den auffälligeren Anarchist_innen der ersten Jahr­zehnte des 20. Jahrhunderts in Österreich. Zumindest, wenn man den schriftlichen Output als Gradmesser nimmt.
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg bewegte sich Kocmata in den anarchistischen Kreisen um den bereits erwähnten Ramus (Rudolf Grossmann). Dieser hatte Anfang des 20. Jahrhunderts der anarchistischen Bewegung in Österreich, dank seiner umtriebigen propagandistischen und publizistischen Tätigkeiten, wieder neues Leben eingehaucht. In seine Zeitschrift Wohlstand für Alle!, die für Herrschafts- Gewaltfreiheit stand, verfasste Kocmata unter dem Pseudonym Karl F. Heiding seine ersten Artikel. Im Jahr 1911 brachte er auch seine erste eigene Zeitschrift, die den klingenden Titel Das Gesindel. Monatsschrift für die Wiener Gesellschaft, trug, heraus. Ramus lobte diese als „eine ganz eigenartige Produktion unserer Wiener Zeit­schriften-Literatur, die an Lesbarem unendlich arm ist. Der Geist der Freiheit weht durch das Heftchen und verdient dieselbe Beachtung und Förderung seitens aller Vorkämpfer für ein neues Leben und für eine Revolution auf dem Gebiete unserer heute so korrumpierten und hohltönenden Literatur.“ (Ohne Herrschaft. Literarisches Beiblatt des „Wohlstand für Alle“ Nr. 5, Mai 1912,) Im Folgejahr war jedoch bereits Schluss mit dem Gesindel, stattdessen gründete er den Adria Verlag und brachte u. a. einen Gedichtband von Hugo Sonnenschein heraus. 1914 ging er nach Berlin und trat dort mit Franz Pfemfert, Herausgeber der bedeutenden Zeitschrift Die Aktion in Kontakt. Der Stam­mersdorfer Arbeitersohn war nun im Zentrum der linken, expressionistischen Avant­garde angekommen.

Gegen Krieg und seine Apologeten
Zurück von Berlin, der Krieg war ausgebrochen, kam er zunächst in Untersuchungshaft, später wurde er für kriegsuntauglich erklärt und im November 1917 zog man ihn ins Kriegspressequartier ein, wo er Schriftleiter der vom freisozialistischen Reichsratsabgeordneten Simon Starck herausgebenen Zeitung Neue Bahnen wurde. Wie bereits erwähnt begann er in diesem Jahr auch mit der Zeitschrift Ver!. Mit dem Zusammenbruch des Habsburger Imperiums und dem Ende des Ersten Weltkrieges machte sich eine Aufbruchsstimmung breit, in der in Wien dutzende Zeitschriften und Zeitungen gegründet wur­den. Jede sozialistische oder intellektuelle Strömung und Vereinigung hatte ihr publizistisches Organ und Kocmata beendete Jänner 1919 seine Ver! und setzte nahtlos mit der anarchistischen Zeitschrift Revolution! fort. Die verschiedenen Zeitschriften waren sowohl künstlerische Ausdrucksmittel als auch Orte politischer Aus­einandersetzung, Diskussion und Schreibgefechte, womit wir beim Spezialgebiet Kocmatas gelandet wären. Wie im Eingangszitat ersichtlich liebte er den rauen, polemischen Tonfall mehr als die feine Klinge. Sein Spott und seine Verachtung galten vor allem jenen Schriftsteller_innen, die sich in den Zeiten des Kriegs für die Kriegspropaganda einspannen ließen und sich nach dem Krieg ganz republikanisch oder gar revolutionär gebärdeten. Den Kriegsdichtern widmete Kocmata bereits 1916 eine scharfe Polemik. In der letzten Nummer der Revolution!, die im Jänner 1920 erschien, kam er nochmals darauf zurück und verfasste einen wunderbaren Leitartikel, in dem er seine Kritik an Autor_innen wie Felix Salten, Alfred Petzold, Alice Schalek noch einmal bekräftigte. „Nicht oft genug können die Namen dieser Menschen genannt werden (…) da die Tinterln gesund und munter sich die Augen reiben und sich einer Neuorientierung der politischen Verhältnisse unterziehen, sich diesen Verhältnissen geschickt und gewandt anpassen.“ (Revolution, Nr.33/34, Dezember 1919, S. 1)
Als bekennendem Kriegsgegner und Antimilitaristen waren ihm nicht nur diese intellektuellen Wendehälse ein Gräuel, sondern auch jeglicher Patriotismus und das in der noch jungen Republik wieder auflebende Heeres- und Milizenwesen. Kocmata lehnte jede Form von Zwang und Waffengewalt ab und schaffte hierfür die Kurz­formel: „Keine Gewalt, sondern Erkenntnis!“ (Revolution, Nr. 19, 28.Juni 1919, S. 1)

Vom Ende der Revolution und Rückzug von der Bewegung
Mit dem langsamen Abklingen der revolutionären Phase in Österreich wandte sich Kocmata zu Beginn des Jahres 1920 verstärkt der proletarischen Bewegung und Fragen des Klassenkampfes zu. Zusammen mit Genoss_innen versuchte er ein Organ einer anarchistisch-syndikalistschen Gewerkschaft, den Arbeiter-Kampf auf die Beine zu stellen. Die Zeitung existierte jedoch nur ein paar Ausgaben lang. Anschließend zog sich Kocmata von der anarchistischen Bewegung immer mehr zurück. Seine Freundschaft und Zusammenarbeit mit Pierre Ramus zerbrach in einem Streit, der sich bereits 1919 abzuzeichnen begann und in der Zeitung Revolution! nachlesbar ist.
Von 1921 bis 1925 arbeitete Kocmata bei der in dieser Zeit sozialdemokratisch ori­entierten Tageszeitung Der Abend, verfasste zwei Schriften über Prostitution in Wien und arbeitete danach als Redakteur bei kleineren Blättern. Über seine Tätigkeiten in den 30er Jahren ist kaum etwas bekannt und überliefert. Soweit es sich anhand von Aussagen seiner letzten Weggefährten rekonstruieren lässt, verstarb Kocmata verarmt und vereinsamt, physisch und psychisch zerrüttet, im Winter 1943 auf einer Parkbank in Wien. (vgl. Thomas Reinecke: Karl F. Kocmata und Ver!-Kreis, in: Klaus Amann, Armin A. Wal­la (Hg.), Expressionismus in Österreich. Literatur und die Künste., Wien, 1994, S. 110)

 

Die Serie in der Referentin ist auf Anregung von Andreas Gautsch entstanden.

Öffentlicher Raum

Foto Violetta Wakolbinger

wir sind sichtbar! Projektion: starsky.

Metall und mehr

Forum Metall, Forum Design sowie die Meisterklasse für Metall: Ein großangelegtes Ausstellungsprojekt würdigt das Wirken von Helmuth Gsöllpointner – als Künstler, Netzwerker, Vermittler und Lehrender. Die Landesgalerie Linz ist neben Kunstuniversität, Galerie MAERZ und Kunstraum LinkZ an dieser Kooperation beteiligt. Kuratorin Inga Kleinknecht gibt einen Überblick.

Bürowand von Helmuth Gsöllpointner in der Kunsthochschule Linz, um 1990. Foto Unbekannt

Dass Metall weit mehr sein kann als ein wichtiger Werkstoff für Industrie und Technik und sich nahezu allen Bereichen der künstlerischen Gestaltung etablieren kann, hat Helmuth Gsöllpointner unter Beweis gestellt. Mit Projekten, wie dem Forum Metall (1977) und dem Forum Design (1980) hat er sich in die jüngere Kunstgeschichte Oberösterreichs eingeschrieben. Er initiierte aber auch den Weg für eine solide universitäre Ausbildung für Studierende, die sowohl die Technik der Metallverarbeitung als auch die Prinzipien von Kunst und Design erlernen wollen.

Während seiner Zeit als Professor der Meisterklasse für plastisches Gestalten in Metall war Gsöllpointner Rektor der Kunst­universität (1977–1981) und konnte in dieser Doppelfunktion seine Vorstellungen und Pläne für eine Kombination von künstlerischer Ausbildung und technischen Fertigkeiten gezielt umsetzen. Dabei ging es ihm vor allem darum, neue Maßstäbe in der Optimierung von Lehrinhalten zu formulieren. Es galt nicht nur die Technologie und Methodik der Me­tallverarbeitung zu vermitteln, sondern vor allem das geistige und künstlerische Potential der Studierenden zu fördern. Die „Integration der Linzer Hochschule für Gestaltung in das Bewusstsein der Bevölkerung im allgemeinen und der Absolventen der einzelnen Studienrichtungen in das Praxisleben und in die Wirtschaft im besonderen“1 bezeichnet Gsöllpointner als sein Herzensanliegen.

Wesentlich sind die innovativen Lehrmethoden, die das Experimentelle, die erlebnishafte Erfahrung sowie das projektbezogene Arbeiten und die außerschulischen Veranstaltungen als Teil der Ausbildung berücksichtigen. Das Klima in den Metallklassen hat legendäre Episoden und bleibende Erinnerungen hervorgerufen und gleichzeitig zu kreativen Prozessen angeregt, die weit über die reine Metallverarbeitung hinausgehen.

„Gestalten in Metall heißt Gestalten in allen Materialien“, dieser von Helmuth Gsöllpointner geprägte Leitsatz, oder besser gesagt sein Credo, klingt bis heute nach und wird immer wieder gerne zitiert, wenn die Meisterklasse ihre Erinnerungen Revue passieren lässt.

Seine erste Abteilung für Metallplastik gründete Gsöllpointner 1955 in den Lehrwerkstätten der VOEST Alpine AG in Linz. Ermöglicht wurde diese Lokation durch eine Vereinbarung von Bund und Voest und die Unterstützung des damaligen Generaldirektors der Voest, Herbert Koller. „Durch die Situierung im Gelände der Voest waren nicht nur alle technischen Möglichkeiten der Metallbearbeitung gegeben, sondern auch der unmittelbare Kontakt zur Industrie, welcher besonders im Bereich der Industrieformgebung ideale Voraussetzungen schafft.“2

Die erste Generation der Meisterklasse studierte somit hautnah im dualen System von Industrie und Kunst. In der männerdominierten Runde – unter anderem mit Beni Altmüller, Gerhard Bogner, Charles Kaltenbacher und Gerhard Knogler – behaupteten sich die ersten weiblichen Positionen, allen voran Waltrud Viehböck. Eine erste räumliche Annährung zur Kunsthochschule war eine Außenstelle, die Werkstatt in der Linzer Bischofstrasse. Die Übersiedlung in die Reindlstrasse brachte die Meisterklasse schließlich auch räumlich noch ein Stück näher an die Kunsthochschule.

Für Gsöllpointner galt in allen Phasen, in denen er seine Meisterklasse unterrichtete, die Grundprinzipien von Technik und Handwerk sowie Kunst und Gestaltung gleichermaßen einzutrichtern. Nicht zuletzt um seine Schützlinge so aufzubauen, dass ihnen später beruflich eine große Bandbreite an Möglichkeiten offenstehen konnte.

Impulse, die rein künstlerischer Natur waren, überließ er Künstlern wie Gerhard Knogler, Anregungen zur ausgeprägt technischen Seite wiederum kamen etwa von seinem Kollegen Kristian Fenzl. Gsöllpoint­ner vergleicht beide gerne mit einem irrationalen und einem rationalen Flügel3. Die Pufferzone zwischen den beiden Flügeln bildete der Meisterschüler und später Lehrende Stefan Brandtmayr. Der technische Erfindergeist, der Daniel Düsentrieb der Runde, war Arthur Viehböck. In und um Gsöllpointners Meisterklasse wirkten dem­nach unterschiedliche Kräfte und Widerstände, die genau in dieser Polarität verschiedene individuelle und künstlerische Ausprägungen der Studierenden ermöglichten.

Aufmerksamkeit von internationaler Seite erlangte die Meisterklasse schließlich mit dem Projekt „Netz Europa“ (1994), das zu einem regen Gedankenaustausch mit Gastprofessoren führte und Studienaufenthalte im Ausland ermöglichte. Hauptanliegen der Meisterklasse blieb das „Kennenlernen neuer Strukturen und die Auseinandersetzung in offener Diskussion“.4

Die aktuelle Ausstellung der Landesgalerie Linz hat es sich zum Ziel gesetzt, nicht nur einzelne künstlerische Positionen zu zeigen, sondern eben genau diese Grundstimmung der Meisterklasse zu dokumentieren. Neben Schnappschüssen aus der Zeit vermitteln einzelne Filmdokumente von diversen Projekten oder Studienreisen etwas von dem künstlerischen Austausch, der auf gemeinsamen Erlebnissen und Gesprächsrunden basierte.

Diskutiert wurden Fragestellungen mit städteplanerischen Relevanz, zum Beispiel die Erhaltung des Steyrer Wehrgrabens. Dabei ging es um die Regulierung und Revitalisierung des Wasserstandes im technischen Sinne und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, die durch künstlerische Ob­jekte und Installationen angeregt wurde.
Weitere Themenfelder bilden die Gestaltung von Innenräumen und Außenanlagen von Häusern und öffentlichen Plätzen bis hin zu neuen Ideen rund um das Thema Form und Funktion von Denkmälern. Der sogenannte Zigarettenturm der Linzer Tabakwerke von Karl-Heinz Klopf und Gerhard Knogler gehört zu den bekannten Beispielen, die eine neue Richtung im Umgang mit Großplastik im urbanen Raum widerspiegeln.
Darüber hinaus entstanden Ideen zur Erweiterung des Mediums Skulptur, die funktional und spielerisch sein kann. Exemplarisch dafür ist die „Kuppel“ von Wolfgang Georgsdorf zu nennen, die sich dauerhaft im Skulpturenpark der Landesgalerie befindet. Der Künstler verschweißte Eisenfundstücke aus der Voest zu einer Art Behausung, die im Inneren mit einer Schaukel erlebbar gemacht werden sollte. Die Erweiterung von Möglichkeiten von Gestaltung und Design wurde neu definiert und in allen Maßstäben umgesetzt. Schmuck und Objektdesign entwickelte sich zu einem wichtigen Schwerpunkt in der künstlerischen Auseinandersetzung der Meisterklasse.

Die Ausstellung fokussiert Werke aus der Studienzeit und Diplomarbeiten der KünstlerInnen, wirft aber gleichzeitig einen Blick auf die vielfältigen beruflichen und künstlerischen Karrieren. Das Spektrum reicht dabei von KünstlerInnen, die Metall als Werkstoff wählen (Wolfgang Georgsdorf, Gerhard Gutenberger, Andreas Sagmeister, Bibiana Weber), sich der Bildenden Kunst verschrieben haben (Beni Altmüller), konzeptuell arbeiten (Peter Sommerauer) oder in mehreren künstlerischen Sparten tätig sind (Karl-Heinz Klopf, Barbara Mungenast, Ursula Witznany), über GrafikerInnen, Produkt- und IndustriedesignerInnen (Rainer Atzlinger, Andreas Bauer, Christian Kreiner), ModemacherInnen und SchmuckgestalterInnen (Andrea Auer, Tina Haslinger) bis hin zu FotografInnen (Norbert Artner, Gregor Graf, Katharina Struber), TechnikerInnen, FilmemacherInnen (Ella Raidel) und BühnenbildnerInnen (Stefan Brandtmayr), die in der Metallproduktion arbeiten oder an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung lehren (Susanne Jirkuff).

Es geht aber auch um Kunstschaffende, die ganz andere Wege gegangen sind, einfach weil sie in der Meisterklasse von Helmuth Gsöllpointner gelernt haben, den Mut zu haben, mal etwas anderes auszuprobieren und ihr Leben zu gestalten.

 

1 Helmuth Gsöllpointner: Meisterklasse für plastisches Gestalten – Metall an der Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz, in: Intelligenz der Hand, Metallgestaltung in Österreich am Beispiel von Arbeiten der Meisterklasse für Metallgestaltung an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien und der Meisterklasse für Plastisches Gestalten – Metall an der Hochschule für Künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz, Wien 1980, Vorwort.

2 Helmuth Gsöllpointner, Kristian Fenzl, Josef Priemetshofer, Gerhard Knogler (Hgg.): Metall, 1976/1977, Linz 1977, Vorwort.

3 Vgl. Helmuth Gsöllpointner, Meisterklasse Metall, 10 Jahre Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz, Ternberg 1984, S. 6.

4 Helmuth Gsöllpointner, Gerhard Knogler, in: Meisterklasse Metall Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung, MK Metall, Linz 1994, Vorwort.

 

METALL UND MEHR. Helmuth Gsöllpointner und seine Meisterklasse Eröffnung: Mi., 13. Nov. 2019, 19.00 Uhr
Ausstellungsdauer: 14. Nov. 2019 bis Jan. 2020
www.landesmuseum.at/de/standorte/landesgalerie-linz.html

Wie macht man das?

Forum Metall, Forum Design sowie die Meisterklasse für Metall: Ein großangelegtes Ausstellungsprojekt würdigt das Wirken von Helmuth Gsöllpointner – ein zweiter Blickwinkel von Ausstellungsgestalter Stefan Brandtmayr.

Helmuth Gsöllpointner, um 2000. Foto Andreas Bauer

Wie macht man das?
Eine Ausstellung gestalten,
eine Ausstellung, über einen Menschen, der mein Lehrer war und jetzt mein Freund ist.
Professor, Rektor, Einmischer, Haudegen (mit Familie) und Künstler. Das alles, außer Diplomat und sicher noch einiges mehr.

Da taucht es auf dieses Wort „mehr“ und ich werde darauf zurückkommen.

Er wird jetzt 86 und hat den Förstersohn nie abgelegt. Wer kann schon von sich behaupten, einen Bilch durch das Mensafenster zu erkennen. „Ansprechen“ zu können.
Wie also gestaltet man eine Ausstellung, die keine Werkschau zum Oeuvre dieses Mannes sein soll, sondern vielmehr den Blick auf das Biotop seiner „Meisterklasse Metall“ freilegen soll.
Wikipedia verweist auf Linzwiki (ja das gibt’s wirklich), wenn man Fakten zur Gründung braucht.

Irgendwie begann alles im Linzer Stahlwerk mit den ersten Studenten und einer „-In“ und entwickelte sich ab 1973 zu einer Abteilung mit Hochschulambitionen.

Die „Meisterklasse Metall“ entstand und wie beim chemischen Element, welches hier namensgebend war, hatte es was zu tun mit „Ehr“ und „Furcht“ und dem dazwischen.
Ich bin erst 1978 eingestiegen, also fehlen mir etliche Jahre. Jahre, die eine männerdominierte Gemeinschaft nahe dem Hochofen verbrachte. Die Artusrunde mit Ateliers in der VOEST. Einer der wichtigen Lehrer meiner Studienzeit, Gerhard Knogler, war ein einfühlsamer Chronist dieser, auch seiner ZEIT.
Wunscheim, Lackner, Geever … Wie Serienhelden sind die Namen bei nächtlichen Streifzügen aufgepoppt. Vom späteren Bibliotheksdirektor bis zum Vietnamveteranen war alles vertreten, was einem klassischen Männerbund entsprach. Ergänzt durch Altmüller, Bogner, Bucheder, Kaltenbacher, um nur einige zu nennen. Allesamt Künstler und Lauser zugleich.
Aber da war auch noch die Student-In Waltrud Viehböck, die als eine der wenigen, bis zu ihrem Tod, in ihrer künstlerischen Arbeit „dem“ Material treu geblieben war.

Was für eine Fügung. Vielleicht war sie auch die Türöffnerin für das Weibliche in diese Testosterongemeinschaft. Später verstärkt durch Edith Zacherl, durch die manche den Begriff Emanzipation das erste Mal erklärt bekamen und zwar deutlich.
Streitkultur und Vielfalt hatten uns erreicht!

Die Meisterklasse wurde ab dieser Zeit auch zur Heimat von vielen Studentinnen. In manchen Jahren hatten sie die „Absolute“. Das hat den Studienplan verändert und den Ereignishorizont. Schmuckgestaltung, Mode, Theater und Film wurden neben Design und Bildender Kunst zu Sehnsuchtszielen und manchmal war die Quersumme der einzelnen Disziplinen der wichtigste Eingriff in die dominante DNA der ursprünglichen Lehre. Einer Lehre, die doch sehr stark ein handwerkliches Fundament forderte und nun vermehrt mit inhaltlichem Diskurs konfrontiert wurde.
Wenn man die Berufsbilder der Absolventinnen betrachtet, erkennt man, wie wichtig dieser Diskurs war und wie richtig die Forderung war.

Nach MEHR!

Als ich den Auftrag zur Gestaltung dieser Ausstellung bekommen habe, stand der Titel schon fest.

METALL UND MEHR

Ich hätte ja MEER vorgeschlagen, aber wer widerspricht schon zwei Kuratorinnen.

Also, wie geht das, wie ist der architektonische Ansatz, eine Struktur zu etablieren, die diesem Klima gerecht und ein Ort der Dinge und Bilder wird.
Liebe Gabi, liebe Inga ich habe Euch einfach beim Wort genommen. Präziser gesagt bei den Worten.
Das Ergebnis sehen wir im November.

Überwachen und Strafen

Shu Lea Cheang kooperiert im September bei der Showcase-Extravaganza STWST48 mit der Stadtwerkstatt. Parallel dazu läuft immer noch ihr Beitrag bei der Biennale in Venedig. Sarah Held hat Shu Lea Cheangs Biennale-Arbeit gesehen und schreibt zu 3X3X6 – und künstlerischem Responding auf Unter­drückungsmechanismen.

Der Überwachungs-Dummie am Eingang. Foto Sarah Held

Shu Lea Cheang vertritt mit ihrer Arbeit „3X3X6“ den taiwanesischen Pavillon auf der 58. Biennale in Venedig. Die in Europa lebende Künstlerin mit taiwanesischen Wurzeln arbeitet mit variationsreichen Medien wie Performance, Net Art, Videoinstallation, Kunst im öffentlichen Raum und ist neben ihrer künstlerischen Arbeit auch als Filmemacherin (z. B. „Fluid0“, 2017) tätig. Sie wird mit ihrer Arbeit „BRANDON“ (1998–1999) als Pionierin der Net Art benannt, diese Arbeit gehört zur Sammlung des Solomon R. Guggenheim Museums, New York City. Thematisch beschäftigt sich Cheang kritisch mit verschiedenen soziopolitischen Dimensionen von Gesellschaft in Korrelation mit wirtschaftlichen Faktoren, geographischem Raum und der (Neu)definierung von Geschlecht, Geschlechterrollen sowie den damit zusammenhängenden kulturellen Mechanismen, die Diskriminierungen und Ausschlüsse begünstigen. Ihre Arbeiten können als Interventionen in tradierte Denk- und Wahrnehmungsmuster gelesen werden. Gemeinsam mit Kurator Paul B. Preciado hat sich Shu Lea Cheang auf der diesjährigen Biennale der Schnittstelle von Überwachen und Strafen, (vermeintlich) devianter sexueller Orientierung und Identitätskonstruktionen außerhalb zäher und starrer Binarismen angenommen.
Die Biennale zeigt die Arbeit nicht im Arsenale, wo das Gros an Pavillons verschiedener Vertreter*innen unterschiedlichster Nationen zu sehen ist, sondern im Zentrum von Venedig. Nur einen Steinwurf vom touristischen Treiben am Markusplatz, neben dem Dogenpalast, liegt direkt am Pier der Palazzo delle Prigioni neben der bekannten Seufzerbrücke. Er gehört zum Gefängnistrakt, in den auch der Legende nach die seufzenden Inhaftierten gehen mussten. So spiegelt sich in der Historizität des Ausstellungsraums auch ein Teilkonzept der künstlerischen Intention Cheangs bezüglich gesellschaftlicher und staatlicher Repressions- und Sanktionierungsmechanismen. Die Referenz auf Foucaults gefängnistheoretische Auseinandersetzung wird in diesem Artikel durch Raum und Thema der Ausstellung gar obligatorisch. Das Thema von Überwachung und Abstrafung prägt „3X3X6“. Bereits beim Betreten des Gebäudes passiert man einen künstlichen Dummy-Portier in einem hölzernen (Über)Wach(ungs)häuschen, der als visueller Vorbote auf Kontrollstrukturen dient, denn wer die Arbeit besucht, wird gleichzeitig von zwei 3D-Kameras gescannt und aufgezeichnet. Eine Datenschutzerklärung weist daraufhin, dass die ermittelten visuellen Daten zwar gespeichert werden, aber die einzelnen Personen unkenntlich gemacht und die Daten nur im Rahmen der Installation auf der Biennale verwendet werden.
„3X3X6“ ist im Mezzanin des Palazzos in drei Raumeinheiten eingeteilt. Die Arbeit wird über „Room A“ betreten, dort finden die Besucher*innen panoptisch angelegte Projektionsstellwände, die implizieren, sich als Besucher*in in deren Mitte zu stellen. Es werden Menschen gezeigt, deren Bewegungsmuster sich immer wieder zwischen realer Abbildung und metrischer 3D-Morphierung transformieren. Kurator Paul B. Preciado beschreibt die Intention dieses Raums folgendermaßen: „Here, gender and racial morphing become queer digital strategies to disrupt the tradition of colonial and anthropometric identification techniques, extending from Alphones Bertilon’s criminological photography of the nineteenth century to today’s facial recognition technologies.“ Mit dieser Inszenierungspraxis kritisiert die Künstlerin rassistische und von Homophobie geprägte Rasterfahndungen. Auf Raum B/C wird im Folgenden detaillierter eingegangen, der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle Raum D aufgeführt, in dem die technische Kontrolleinheit, der Server, der das Ausstellungsprojekt steuert, inszeniert ist.
Die Räume B und C sind V-förmig angelegt, miteinander verbunden und laden die Besucher*innen ein, zwischen zehn auf dem Boden installierten Monitoren um­her­zugehen. Im dunklen Raum zeigt Shu Lea Cheang Kurzclips von zehn Personen, die aufgrund von sexueller Begierde, Krankheit oder Handeln inhaftiert wurden und/oder von weiteren Repressionsformen betroffen waren. Die Beschaffenheit des Raums mit seinem massiven Mauerwerk erzeugt eine Kerkeratmosphäre. Die Assoziation altertümlicher Gefängnisräumlichkeiten wird auch stark von den zudem popkulturell induzierten und internalisierten Vorstellungen von solchen Räumlichkeiten gefördert. Die Bildschirme zeigen poppig-schrille Clips von historischen Persönlichkeiten, wie „Casanova X“ und „Sade X“, über „Foucault X“, sowie Menschen, die durch kontroverse Delikte auffällig geworden sind. Beispielsweise „B X“, eine Frau, die zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, weil sie ihrem Mann nach wiederholter Vergewaltigung den Penis abtrennte und im Müllschredder im Waschbecken entsorgte. Weiters sieht man die Person („MW X“), die sich von Armin Meiwes essen lassen wollte, letzterer wurde in den Medien als Kannibale von Rothenburg bezeichnet. Die letzte Installation beschäftigt sich mit einer Gruppe Frauen („FSB X“) aus Südafrika, die für „harvesting sperm“1 von Männern verurteilt wurden.2
Die Körper-Raum-Beziehung, die die Installation erzeugt, ist – kaum verwunderlich – von Beklommenheit gefärbt. Dafür sorgt einerseits der Gefängnistouch des physischen sowie des metaphysischen Raums, der durch die Inhalte der Videoinstallationen erzeugt wird. Diese zeichnen sich durch mehr inhaltliche Gemeinsamkeiten aus als nur den offensichtlich gemeinsamen Nenner „X“. Alle Akteur*innen in den Videoclips wurden wegen sexueller Begehren (staatlich) verurteilt. Klammert man die unterschiedlichen Verstöße gegen das Strafrecht der einzelnen Delikte aus, geht es bei allen um eine Verletzung der Entscheidungsfreiheit und staatliche Bevormundung.
Cheang bedient sich bei der Inszenierung ihrer, von der Gesellschaft als deviant gelabelten Subjekte, einer Verqueerungsstrategie, indem die Darsteller*innen häufig mit dem Original brechen. So wird „Sade X“ von einer dicken Frau verkörpert oder „B X“ ist eine Drag-Queen. Während die Arbeit nicht an explizitem Material geizt, wird auch an dieser Stelle immer wieder mit den Erwartungshaltungen der Rezipient*innen gebrochen, wenn beispielsweise die Armin-Meiwes-Figur das Innenleben eines Computers verspeist, anstatt einen abjektiv inszenierten Penis.
Der Künstlerin gelingt es durch die Arbeit, beispielsweise mit verspielt-schriller Video­ästhetik, die thematisch schwer konsumierbaren Inhalte auf ironisch bis witzige Weise darzustellen. Das kann durchaus als vereinfachte Zugänglichkeit zum Thema verstanden werden. Die Inszenierungspraxis der Ausstellung spiegelt ein aktuelles Zeitgeistphänomen. So zeichnet sich ein Spiel mit dem Austauschen von Kunst und Popkultur ab. Scheinbar erfüllt die Arbeit alle Diversitätsanforderungen, es werden nicht-normative Körper gezeigt, es findet Genderbending statt, Rollen werden getauscht, karikiert und überzeichnet. Beispielsweise „Foucault X“ ist als stereotyper „Lederschwuler“ mit Ketten im Dungeon zu sehen.
Allerdings finden die eigentlich queeren Momente woanders statt, worauf auch Preciados kuratorischer Kommentar verweist. Diese zeigen sich in der ästhetischen Referenz auf eigene Arbeiten (z. B. „Fluid0“), in unerwarteter Inszenierung, hyperbolischen Bildsprachen bestehend aus Animationen, die sich bewusst auf einem Lo-Fi-Level und die 90er Jahre anlehnen, z. B. beim zerhäckselten Penis oder der „BX“-Persiflage einer rollenkonformen Hausfrau aus Formaten wie der „Donna Reed Show“. Weiters in der slapstickhaften Darstellung von schwer verdaulichen Inhalten unter Verwendung von GIF-überladener Social-Media-Ästhetik von „FSB X“. Genau diese, den traditionellen Blick verqueerende Perspektive erzeugt in der Inszenierung der Ausstellung eine quietschbunte queer-feministische Transformation, die von einer gar bissig-morbiden bis dissoziativen Komik geprägt ist. Ähnliche Bildsprachen und Ästhetiken findet man beispielsweise auf der diesjährigen Transmediale, die stark vom Aufgreifen von Web-2.0-Ästhetiken aus Instragram, Snapchat und vor allem Retro Net Art und Cyberfeminismus geprägt war, in der Arbeit „Ghosts“ von Christa Joo Hyun D’Angelo, die gerade in der Berliner Galerie im Turm gezeigt wird oder Tabita Rezaires Arbeit „Ultra Wet – Recapitulation“ in der Ausstellung „Hysterical Mining“, Kunsthalle Wien.
„3X3X6“ öffnet viele Fragen und Denk­räume, wesentlich mehr als dieser Artikel aufzeigt. Abschließend kann mit einem zwinkernden Auge aufgeführt werden, dass einige Betrachter*innen vielleicht die Inszenierung von Foucault in Leder und Ketten im BDSM-Dungeon zu offensichtlich, vielleicht sogar etwas flach erscheint, wenn in „Foucault X“ die foucaultsche Machttheorie rezitiert wird, aber das in Korrelation mit Ausstellungsraum und der hyperbolischen und subversiv-affirmativen Arbeitsweise Shu Lea Cheangs auch schon wieder Sinn macht, vielleicht sogar fehlen würde.

 

1 Quelle: Videoinstallation zu „FSB X“.

2 Weitere Adaptionen von realen Fällen können der Begleitbroschüre zur Ausstellung entnommen werden.

Shu Lea Cheangs Biennale-Arbeit: 3x3x6.com
Shu Lea Cheang diesen September in Koop mit STWST: stwst48x5.stwst.at

weaving in

Das Klangfestival Gallneukirchen findet heuer bereits zum elften Mal statt und macht aus dem kleinen Städtchen im Mühlviertel einen Hotspot der experimentellen Musik. Von 13.–15. September wird ein umfangreiches Netz aus Musik, Filmen, Installationen, Bildern und Texten gewebt. Alexander Eigner sprach mit zwei der Organisator*innen, Tanja Fuchs und Vinzenz Landl, über das Programm, was ein Zine ist und über Surprises.

Wortsammlung. Foto Marlene Haider

Seit 2008 wird das Klang­festival jährlich in Gallneukirchen veranstaltet. Zunächst in idyl­lischer Atmosphäre am Warschenhofer Gut, etwas außerhalb des Zentrums. Der Weg zur Musik führte damals über Wiesen, vorbei an Kühen und Misthaufen hin zu einem Stadel, wo sich der große Krach abspielte. Im Jahr 2015 endete allerdings die Zusammenarbeit zwischen dem Landwirt und dem Organisationsteam des Klangfestivals.

Leerstand
Diese Trennung war nun nicht das Ende der experimentellen Kunst in Gallneukirchen, vielmehr wurde sie dadurch auf ein neues Level gehoben. Mitten im Ortszentrum war plötzlich ein leerstehendes Gebäude, die Alte Nähstube, welches vom Verein Klangfestival seit 2016 regelmäßig benutzt wird. In diesem Jahr gab es kein typisches Klangfestival, sondern eine ganze Reihe von Veranstaltungen unter dem Namen „Klangfolger“. Der geänderte Rahmen zog viele neue Menschen an, was am vielseitigen Programm (Konzerte, Lesungen, Performances etc.) liegen mag, oder an der neuen Lokalität. Ein altes leerstehendes Gebäude hat eben einen ganz eigenen Charme. Als das Klangfestival 2018 zum gewohnten Format zurückkehrte, wurde außerdem ein weiterer Leerstand als Veranstaltungsort dazugeholt – die alte Feuerwehrhalle. Zwischen Gemeindeamt, Schule, unweit von Bank und Kirche wurde die „Halle X“ eingerichtet. Diese musste zwar raumakustisch etwas umgestaltet werden, dient seither allerdings als Hauptveranstaltungsort. Die Alte Nähstube erhielt für das diesjährige Festival den Beinamen „Soundspace # Alte Nähstube“. Der Soundspace soll die Zentrale des Klangfestivals darstellen, in der man sich treffen, ausruhen, sehen, hören, probieren kann. Hier können lose Fäden zusammenfinden und neue Verbindungen entstehen – weaving in!

Konzept
Mit dem diesjährigen Motto „weaving in“ versuchen die Veranstalter*innen ein Konzept zu erarbeiten, das sich durch das ganze Festivalprogramm ziehen soll. Spartenübergreifend werden zeitgenössische und experimentelle Strömungen verbunden, wobei neue Verflechtungen und Knotenpunkte entstehen. Das Klangfestival möchte damit Lösungen anbieten, für eine Gesellschaft von Einzelkämpfer*innen, leerstehenden Gebäuden und Unsichtbarkeit. Selbst sichtbar wird das Klangfestival spätestens bei der Eröffnungsfeier. Am Freitag um 19.00 wird mit „Vabrassmas“ eine Marching und Brass Band im New Orleans Style mit fünf Blasinstrumenten, zwei Percussions und mit zwei Stimmen lautstark durch die Straßen Gallneukirchens marschieren und das Festival gebührend eröffnen.

Klänge – Freitag
„Musheen“ sind drei Frauen: Sie verwenden in etwa gleich viele Griffe auf der Gitarre, dazu Schlagzeug, Loop-machine gepaart mit politischen Texten. „Gischt“ aka Ursula Winterauer ist nicht nur Musikerin, sondern auch die Gründerin des Labels „Ventil“. „Rojin Sharafi“ wurde in Teheran geboren und lebt in Wien. Sie sieht sich selbst als Sound-Artistin zwischen akustischer, elektronisch-akustischer und elektronischer Musik. Sie arbeitet allerdings auch interdisziplinär mit Projekten aus Film, Performance und Tanz. „Mermaid & Seafruit“ ist ein polnisch-österreichisches Duo bestehend aus Magdalena Chowaniec und Markus Steinkellner. Sie verbinden verschiedenste Musikstile wie Hip-Hop, Hardstyle und Noise zu einer knallharten Reflexion auf die eigene Gesellschaft.

Klänge – Samstag
Auf geballte Live-Power kann man sich bei „Ausländer“ freuen, wenn das Kollektiv seine Show einleitet: „We support the idea of Anarchism as collective functionality without any form of authority — that’s why we are all Ausländer“. Ausländer bieten neben ihrer unmissverständlichen Haltung einen Mix aus Punk, Electro und Noise. Ein weiterer Höhepunkt am Samstag wird das Ensemble „Gabbeh“. Die unkonventionelle Besetzung aus Klarinette, Kontrabass und Gesang lässt Klangwelten verschmelzen und erzeugt einen leidenschaftlichen, österreichisch-persischen Dialog. Weitere Auftritte am Samstag: „Duo Hofmaninger/schwarz“, „Katharina Ernst“ und „Guili Guili Goulag“.

Zine, Interventions & Surprises
Zum ersten Mal wird es beim Klangfestival ein Zine geben. Aber was ist das überhaupt? Es ist auf jeden Fall kein simples Programmheftl. Es ist viel mehr als das. Es ist eine Sammlung aus verschiedensten Texten, Bildern und Perspektiven, die zusammen ein vielschichtiges Kunstwerk bilden. Unter dem Leitmotiv weaving in wurden in einem Open Call Beiträge aus den Bereichen Kunst, Kultur, Gesellschaft, Politik und Literatur gesammelt. Dieses Projekt wird am Samstag präsentiert und kann vor Ort erworben werden. So bleibt das Klangfestival und die Wieder-Verknüpfung auch über den Zeitraum des Festivals hinaus sichtbar. Mehr kann man dazu noch nicht sagen; ebenso noch nicht zu den „Interventions & Surprises“, die beim Klangfestival auf die Besucher warten und immer wieder an den Strukturen der klassischen Festivalordnung rütteln werden.

Workshop – #KlappeAuf – Styx
Abseits der zahlreichen Konzerte gibt es noch weitere musikalische Akzente. Bereits am 8. und 9. September findet ein Workshop in Gallneukirchen statt. Dabei wird im Zusammenschluss von Jugendlichen aus der Region, der Sozialen Initiative und Student*innen der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien der Soundtrack für das Klangfestival 2019 erarbeitet, aufgenommen und schließlich am Samstag, 14. September, im Soundspace #Alte Nähstube präsentiert.

Hinter #KlappeAuf steckt eine Gruppe Filmschaffender, die bei der Verleihung der österreichischen Filmpreise 2018 zum Widerstand gegen Verhetzung und Entsolidarisierung aufgerufen hat. Sie verwenden Kunst und Kultur, um auf politische Diskurse zu reagieren. Mittels Kurzfilmen wollen sie die Zivilcourage und die Solidarität zwischen den Menschen stärken. #KlappeAuf ist parteiunabhängig und führt Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen und Positionen zusammen. Das passt perfekt zum Motto: weaving in. #KlappeAuf wird am Samstag und Sonntag verschiedene Beiträge zum Festival leisten.

Wenn das Klangfestival am Sonntag dem Ende zugeht, wartet mit „Styx“ noch ein schwerer und düsterer Film, der zur leichteren Verdauung zu einem Brunch serviert wird. „Styx“ handelt von der Notärztin Rilke (Susanne Wolff), die alleine auf dem Atlantischen Ozean segelt und nach einem schweren Sturm ein in Seenot geratenes Flüchtlingsboot entdeckt. Ihre Notrufe bleiben ungehört und größere Schiffe ziehen einfach vorbei. Rilke muss selbst aktiv werden. Der Film, bei dem Wolfgang Fischer Regie führte, wurde 2018 unter anderem mit dem Deutschen Menschenrechtsfilmpreis geehrt.

Das Klangfestival bietet seinen Gästen ein äußerst umfangreiches und spannendes Programm, was viele Menschen aus Gallneukirchen, Linz und Umgebung bereits seit mehreren Jahren sehr zu schätzen wissen. Gäste von außerhalb sind auch herzlichst willkommen. So gibt es in fußläufiger Distanz zum Festival einen Campingplatz, der nicht nur idyllisch, sondern auch gratis ist. Auch hier können lose Fäden zu neuen Verknüpfungen zusammenfinden und damit dem Motto des Klangfestival 2019 gerecht werden: weaving in!

 

Klangfestival Gallneukirchen
13.–15. September 2019
Info: klangfestival.at
Tickets: klangfolger.kupfticket.at
klangfestival.at/tickets

Öffentlicher Raum

Ausschnitt aus „Hot Stats“, der Statistik-Teppich aus dem Frauenbericht der Stadt Linz, Amina Lehner 2019.

wir sind sichtbar ! Feministische Interventionen zum 2. Linzer Frauenbericht. „Geknüpfte Geschichte(n), verstrickte Visionen, verwobener Widerstand, ein Kelim gegen patriarchale und heteronormative Unterdrückung. Auf dem Teppich werden Rituale gefeiert, Menschen miteinander verknüpft, sitzend werden Geschichten erzählt und in Ornamente Geschichte gewebt.“
Konzept und Realisierung: FIFTITU% Vernetzungsstelle für Frauen* in Kunst und Kultur in OÖ.

Donne Pericolose / Wenig ist gefährlicher als das Matriarchat

Ob ich denn gerne die neuesten Gerüchte hören möchte, die derzeit über sie kursieren, fragt mich letztens eine Wiener Freundin (bestens qualifiziert, ausgebildet und vernetzt), als ich von ähnlichen, eigenen Erfahrungen erzähle. Und sie sagt, dass „wo auch immer eine Frau einen guten Job macht, mindestens ein Mann sich wichtigmacht und meint, der Job stünde ihm zu“. Ähnliches habe ich in einer kurzen Rede anlässlich der Präsentation des Linzer Frauenberichts vor wenigen Wochen zusammengefasst: „So viele Beine kann ein Stuhl nicht haben, wie Männer schon dran sägen, sobald eine Frau darauf sitzt“ – und sie ist in der Tat so evident und sichtbar wie selten, jene Angst, die patriarchal strukturierte Männer antreibt, wenn es um Frauen in Führungs- oder halbwegs guten Positionen geht. Das deutsche Wochenmagazin Die Zeit veröffentlichte kürzlich eine Zusammenfassung von 1500 Erfahrungsberichten von Frauen in unterschiedlichsten Bereichen, was Diskriminierung, Diffamierung und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz betrifft und betrachtete vier davon näher. Die Aussagen der Frauen sind fürchterlich, haarsträubend, unfassbar, sie sind aber offenbar vor allem eines, zumindest, wenn man etlichen Reaktionen auf Social-Media-Plattformen Glauben schenken würde: unglaubwürdig. Es sei eine Befindlichkeitsstudie, aus der sich wissenschaftlich nichts ableiten ließe, hieß es etwa, der Bericht sei „anekdotisch“, andere – wieder Männer in erster Linie – meinten, so etwas hätten sie in ihrem Arbeitsumfeld noch nie erlebt oder gehört, also könne das wohl nur schwer wahr sein. Sichtlich hilflos fragte einer, was man denn als Mann dagegen tun könne. Mein Sohn fällt mir dabei ein, der als Medizinstudent soeben an einem Krankenhaus famulierte und einige Male entsetzt von einem Primar erzählte – und den frauenfeindlichen Sprüchen, die der immer wieder von sich gab. In Hörweite aller, die es wohl hören sollten.

Auch wenn es viele Männer gibt, denen diese Sprüche, vor allem auch die strukturellen Diskriminierungen an ihren Arbeitsplätzen wenigstens auffallen und die auch noch vielleicht etwas dagegen tun – kaum etwas scheint Männer aktuell so sehr zu einen wie der Hass auf Frauen, Machtmissbrauch und die strukturelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen. Typen wie Epstein und Ronaldo, Politiker wie Trump und Bolsonaro, das Vorstandsmitglied, der Kollege oder der Chef, die uns schlicht weghaben wollen, weil sie uns als störend empfinden oder der Pimpf in der Straßenbahn, der uns gegenübersitzt und meint, hier sei wohl eine unterfickt, weil sie Platz beansprucht … es ist völlig egal, in welcher Position, in welchem Alter, in welcher Hautfarbe – Misogynität eint. Ungeachtet echter, realer Bedrohungen weltweit – merklich angsterfüllt reagieren auch Medien in erster Linie angesichts drohender Verweiblichung und angeblich sich abzeichnender Übermacht von Frauen. Merklich unbehaglich sind da die Schlagzeilen, wenn es um Frauen in der Politik geht – nachgerade irritiert in deutschen Medien angesichts Merkel, Kramp-Karrenbauer und von der Leyen Ende Juli: Ist das das Matriarchat? war da merklich ahnungslos zu lesen.

Ach, wäre es das bloß. Natürlich aber ist es das nicht, das sind nur drei Politikerinnen, die in unterschiedlich patriarchal strukturierten Systemen aufgewachsen und erzogen wurden, die keinesfalls und nicht die Spur matriarchalisch agieren oder Politik machen. Wäre es das Matriarchat, wären wir längst nicht in dieser ausweglosen Situation. So kennen matriarchale Gesellschaften weder Eigentum noch Besitz, wenn es um Grundbedürfnisse wie Wohnen etwa geht, wie die deutsche Matriarchatsforscherin und Philosophin Heide Göttner-Abendroth in einem Vortrag im Wiener MAK kürzlich ausführte. Ein „gutes Leben für alle“ stünde im Vordergrund, nicht die Anhäufung und das Horten materieller Güter. Menschen würden sich nicht über Statusgüter definieren, sondern darüber, wie nahe sie dem Status einer guten Mutter kämen. Die ist im Übrigen weder biologistisch noch geschlechtlich definiert; heißt: jeder und jede kann allein durch sein/ihr Verhalten eine gute Mutter sein, unabhängig von ihrer Bereitschaft oder Befähigung, sich selbst fortzupflanzen. Verantwortung für Kinder zu übernehmen bliebe nicht länger zwei Menschen überlassen. Göttner-Abendroth hat etliche noch oder bis vor kurzem existierenden matriarchalen Gesellschaften der Erde besucht und beforscht und entwirft in ihren Vorträgen auch Modelle für die Gegenwart bzw. Zukunft und bringt bereits existierende Beispiele – neue Modelle und Genossenschaften etwa, wenn es ums Wohnen geht oder um öffentliche, gemeinsame Gärten. Das alles schürt ein wenig Hoffnung, müsste aber mehr als ein bloßes Aufflackern eines grade interessanten, weil kapitalistisch verwertbaren Kreativwirtschaftszweigs sein, vielmehr bräuchte es ein Verinnerlichen dieses Gemeinschaftsgedankens, egal ob es um Wohnen, Mobilität, Soziales oder Grundversorgung geht. Vor allem aber bräuchte es mehr politischen Willen, Plan und Radikalität. Denn mit Ideen wie diesen gewinnt man keine Gefälligkeitsbewerbe. Im Gegenteil machen Begriffe wie Feminismus und Matriarchat Angst, wie sich zeigt. Wer sich die humorbefreiten, verständnislosen Reaktionen, Postings und Tweets allein angesichts des wunderbaren hashtags #dichterdran vor Augen führt, erkennt, dass das wohl noch eine Weile so bleiben wird, quasi: „Hilfe, da rotten sich Frauen zusammen und drehen mal alles um und wir wissen jetzt nicht, ob das ernst gemeint oder eh nur Spaß ist.“
Ja, es wird noch eine Weile dauern und es werden wohl auch keine Bedienungsanleitungen verteilt. Spannend im Übrigen, dass nach der Radikalität, mit der in den letzten ca. 300 Jahren mittels patriarchal geprägter Industrialisierung und Kapitalisierung die Erde, und damit wir an unsere Grenzen gekommen sind, und mit der patriarchale Systeme die Welt im Großen und im Kleinen (siehe KTMgate in OÖ) so selbstverständlich wie nix unter sich aufgeteilt haben, überhaupt noch irgendetwas radikal erscheinen kann. Bis auch die letzten das verstanden haben, werden Frauen* derweil weiterhin Banden bilden, sich zusammenrotten, sich in gegenseitiger bedingungsloser Wertschätzung, Unterstützung und Gleichberechtigung üben. Und eine* jede* ist dabei willkommen, auch die, die halt ein bissl länger brauchen.