Editorial

Good Old Kulturentwicklungsplan der Stadt Linz – alias KEP neu. Dem im Herbst 2012 veröffentlichten KEP neu ist es unter anderem zu verdanken, dass es „Die Referentin“ gibt, bzw dass dieses unabhängige und aus dem freien Kunst- und Kulturschaffen kommende Medium seit 2015 seitens der Stadt Linz finanziert wird. Trotz Rückenwind durch den großangelegten KEP-Prozess war es zwar trotzdem ein gutes und langwieriges Stück Arbeit, bis die Referentin was geworden ist – aber ja, es ist was geworden. Auch, weil sich die engagierteren Menschen in Stadtverwaltung und Stadtpolitik auf den KEP neu berufen konnten, im dem das Fehlen eines derartigen Mediums verankert war. Was wiederum auf das Vorläuferprojekt der „Referentin“ und wiederum auf eigene Arbeit zurückgeht – denn das Projekt hat über mehrere Jahre ohnehin schon bewiesen, dass es geht, nur unter finanziell hochprekären Bedingungen. Aber what shalls und völlig ironiefrei: Good old KEP neu – vor allem in Tagen wie diesen.

In Tagen wie diesen – man glaubt es ja noch kaum – wurde seitens der Stadt Linz tatsächlich das Kulturbudget erhöht. Dass der finanzielle Spielraum für die so genannte freie Szene um 13 % auf mehr als zwei Millionen Euro erhöht wurde, wird 2020 konkret eine Kulturbudget-Steigerung von 250.000 Euro im Vergleich zum Vorjahr bedeuten. Und in der Begründung für die Aufstockung wurden mehrere Passagen aus dem KEP neu zitiert. Es wurde in diesem Zusammenhang natürlich auch auf die Strahlkraft der Unesco-City-of-eh-schon-wissen verwiesen, aber eben vor allem auf die Potentiale, die in den freien Szenen vorhanden sind – und die gefördert werden müssen. Und das ist gut. Und: Wir fügen hinzu, dass hier, in diesen freien Szenen, die tatsächlichen, langfristigen und nachhaltigen Veränderungen passieren, von denen auf den diversen Wunschhorizonten die Rede ist. Hier, in den weniger institutionalisierten Kulturfeldern passieren reale Entwicklungen, hier werden wichtige Korrektive gebildet, hier wird unabdingbare Kritik formuliert, hier wird die immer wieder zitierte „Innovation“ gemacht, auch wenn das in dieser Begrifflichkeit kaum mehr wer hören kann, wegen zu viel heißer oder auch nur lauwarmer Luft rundum. Puh, ja, von zu viel Fön kriegt man Kopfweh.

13 % Aufstockung seitens der Stadt Linz – ja, das ist gut. Anzumerken sei aber, dass zahlreiche Kulturinitiativen oder auch die Kupf als oberösterreichischer Kultur-Dachverband bereits seit Jahren darauf aufmerksam machen, dass es schon seit den 90er-Jahren bei den Förderungen keine Inflationsanpassung gegeben habe, was für Initiativen aus dem freien Kunst- und Kulturbetrieb ohnehin bis dato einen realen Wertverlust von – weit über – die 13 % bedeutet hat. Insofern war es sogar höchste Zeit, das Budget in diesem Bereich zu erhöhen, schlichtweg um einen sinkenden Realwert endlich abzufangen. Was wiederum die Frage aufwirft: Ist diese Erhöhung insofern nicht einmal der Rede wert? Tja. Ist sie schon. Denn in den Jahren zuvor hat das in der Stadt Linz niemand zusammengebracht. Und das Land Oberösterreich – … Dort wurde, wie man weiß, in den letzten Jahren trotz brummender Wirtschaft und aktuell neu gebildeter Budgetreserven drastisch gekürzt, eine Motohall gefördert und neuerdings ein Zweijahreskulturbudget vorgestellt, das – laut Kupf – für die Freien eine Verringerung der Mittel bedeutet, während es im Gegenzug die eigenen Häuser stärkt. Beim Land laboriert man außerdem an einem Kulturleitbild herum, dessen partizipative Elemente ein Witz sind. Kleiner Tipp deshalb ans Land: Bezüglich des so genannten Kulturleitbildes einmal in der Linzer Kulturverwaltung nachfragen! Oder ein Tipp an den Landeshauptmann: Bezüglich Erhöhung der Kultur-Fördermittel sich auch mal bei Parteikollegin Doris Lang-Mayrhofer erkundigen! Sie war hier in der Stadt nicht nur federführend beteiligt, sondern war bei ihrem Amtsantritt schließlich auch höchstselbst bei den freien Initiativen, um sich selbst ein Bild zu machen, während beim Land OÖ nach den diversen Amtsantritten sogar bereits ausgemachte Termine ersatzlos gestrichen wurden. Und noch eine Beobachtung, von einer der vergangenen Schäxpir-Eröffnungen: Während die Kulturstadträtin Doris Lang-Mayrhofer als junge, engagierte Frau sehr glaubhaft die sinnlose Trennung von Stadt und Land hinsichtlich des kulturellen Wirkens in ihrer Eröffnungsrede mitschwingen hat lassen, hat der oberste Kulturverwalter des Landes in bester breitbeiniger Mann-Macht-Manier nur das Land und die „eigene“ Herrlichkeit verkündet. Aber um aufs Geld zurückzukommen, Botschaft ans Land OÖ, ganz einfach: Es wäre mehr als angebracht, wenn das Land Oberösterreich bei der „Erhöhung der Mittel“ für die Freien mitziehen würde – die real eigentlich nur eine INFLATIONSANPASSUNG bedeuten. Ein solches Wording müsste doch sogar für die wirtschaftsgesteuerte ÖVP verständlich sein. Aber sie geben nichts. Zumindest geben sie nicht mehr. Im Namen des Teile, des Herrsche und der Portokassenbeträge.

Über die Inhalte dieser Ausgabe 18 möge sich die LeserInnenschaft selbst orientieren. Es zahlt sich aus, wie die RechnerInnen unter uns sagen.

Die Referentinnen, Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

Von Lady Bitch Ray zu »Bitchsm«

Fiftitu, die Vernetzungsstelle für Frauen in Kunst und Kultur, hat Anfang Dezember Reyhan Şahin aka Dr. Bitch Ray zur Buchpräsentation eingeladen. Als Frau im wissenschaftlichen Unialltag, als türkisch-muslimische Alevitin und als Rapperin weiß Reyhan Şahin, wie alltäglich Sexismus, Diskriminierung und Rassismus sind. Ihr Buch »Yalla, Feminismus!« ist eine Streitschrift und ein Manifest der weiblichen Selbstermächtigung. Der Referentin hat Reyhan Şahin erfreulicherweise einen Textauszug aus Kapitel 1 zur Verfügung gestellt.

Reyhan Şahin aka Dr. Bitch Ray Foto Carlos Fernandez Laser, Hamburg

Mit zwölf habe ich begonnen, Musik zu hören. Mein älterer Bruder war Graffitisprayer, ein sogenannter Writer, der immer Kassetten und später CDs mit nach Hause brachte – von Ice-T, Public Enemy oder Eazy-E. Die hörte ich eifrig mit, schließlich schliefen wir zu dritt in einem Kinderzimmer und keiner konnte dem Ghettoblaster entkommen. Mir gefiel der aggressive gespittete Rap, mit dem ich meine Wut ausdrücken konnte, denn ich hatte eine Wut in mir, die ich damals noch nicht steuern konnte. Ich fing an, diesen Sound zu lieben. Deshalb nannten wir unseren Hamster nach dem Rapper Ice-T. Cora E. war damals die einzige sichtbare Frau im Deutschrap. Mich faszinierte als Kind, wie eine Frau ins Mic spittete. Das wollte ich auch! Nie hatte ich eine Faszination für Boygroups entwickelt, die fand ich schon immer uncool. New Kids On The Block, Backstreet Boys, Take That, sie begleiteten mich zwar durch meine Jugend, aber während sie heute wegen ihres Kultstatus gefeiert werden, waren es damals einfach nur langweilige, weißgespülte, fucking Boygroups, die die coolen Street Kids nicht hörten. Sie füllten die Seiten der Bravo oder damaligen Popcorn und wurden von fast allen jungen Mädchen unterwürfig angeschwärmt. Ich fand das schlimm. Ich wusste schon sehr früh, dass ich nicht wegen eines Mannes und seines Aussehens kreischend in Ohnmacht fallen würde, dass es viel wichtiger ist, als Frau selbst etwas zu schaffen und darauf stolz zu sein. Mein Vater hat immer gesagt, dass ich als Frau mindestens das Doppelte leisten muss wie Männer und dass Bildung sehr wichtig für Frauen ist, damit sie unabhängig werden. Heutzutage bin ich froh, dass ich so war! Woher ich in diesem Alter meine kluge Einsicht hatte, weiß ich nicht. Sicherlich nicht aus Magazinen oder aus dem Fernsehen.

Die Schwarzen US-amerikanischen Rapperinnen waren es, die mein Interesse für Emanzipation in meinen jungen Jahren weckten. MC Lyte, Lil’ Kim, Foxy Brown, Missy Elliott oder Lauryn Hill – sie empowerten mich, das Mic in die Hand zu nehmen und die Missstände der türkischen, muslimisch sozialisierten Frau kundzutun. Erst während meiner Promotionsphase entdeckte ich die Schriften von islamischen beziehungsweise muslimischen Feminist*innen. Mit ihnen fühlte ich mich neben dem US-amerikanischen Black Female Rap im feministischen Sinne zuhause. Denn diese muslimischen Feminist*innen sprechen genau die unterschiedlichen Patriarchate, Sexismen und Rassismen an, von denen ich und andere muslimisch sozialisierte Frauen und LGBTQI*s betroffen sind.

2006 wurde ich mit meiner Musik über Nacht berühmt. Über das soziale Netzwerk Myspace, das es damals gab, eine Internetplattform für Musiker*innen. Rap gemacht habe ich aber schon länger, seit 1994. Damals hörten fast nur »Kanaken«, also die Kinder von Arbeitsmigrant*innen, Hip-Hop und R & B. Weiße Deutsche hörten eher weiße Musik, Boybands, Grunge, Heavy Metal oder Rock. Guns N’ Roses zum Beispiel, das war whity-Rock pur. Schwarzen Rap oder Soul, den wir hörten, haben sie eher belächelt, aber keiner traute sich etwas zu sagen, weil’s sonst Ärger von uns gab. US-amerikanischer Rap wurde von der Mehrheit der Weißdeutschen viel später gehört, eher seit den Hits von Snoop Dogg und Dr. Dre. In meiner Schulklasse fingen weißdeutsche Jungs erst mit der Musik des afrodeutschen Rappers Nana an, Rap zu hören. Aber Nana war tatsächlich eher Euro-dance-Popmusik und kein echter Rap. Auch dafür lachte ich viele dieser Jungs aus.

Als ich mit dem Rappen begann, nannte ich mich »Lady Ray«. »Ray« ist seit meiner Schulzeit mein Spitzname, abgeleitet und verkürzt von meinem Vornamen »Reyhan«. Und »Lady« davor wegen folgender Vorgeschichte: 1995 nahm ich mit einem französischsprachigen Rap, den ich zuvor mithilfe des Französisch-Schulwörterbuchs geschrieben hatte, bei einer sogenannten Hip-Hop-Jam teil. Ich liebte damals französischsprachigen Rap von MC Solaar, Ménélik und Soon E MC. Meine französischen Schulwörterbuch-Sex-Rapsongs hat zwar niemand verstanden, aber alle fanden ihren Klang »so wunderbar«. Einmal war ich auf einem Black-Music-Konzert. Der Moderator, der die Acts ankündigte, war schon angetrunken, weshalb er mich wiederholt nach meinem Künstlernamen fragte. »Wie heißt du?«, sagte er und hielt das Mikro weg, damit nicht alle die Frage mitbekamen. »Mademoiselle Ray!«, sagte ich in sein Ohr. »What?!«, schrie er, »Mademoiselle Ray«, »Say it again, say it again …«. Er versuchte, das »Mademoiselle« halb-lallend zusammenzubrechen. Ich merkte, dass er’s nicht packen würde. Ich musste schnell etwas Leichteres sagen, da der Auftrittsmoment nahte. »Lady Ray!«, rief ich ihm unter Druck zu und er kündigte mich an. So war der Name Lady Ray geboren – für ein paar Jahre zumindest.

Zwei Jahre später hatte ich einen Auftritt in einem Freizeitheim in Bremen-Tenever, dort, wo Ferris MC geboren ist. Männliche Jugendliche tummelten sich vor der Bühne. Es hatte sich schon herumgesprochen, dass ich Türkin bin und unanständige Raptexte über Sex schrieb. Die Blicke der Jugendlichen durchbohrten mich, als ich zum Hintereingang der Bühne lief, ich fühlte mich, als wäre ich ein nackter Alien. Breite Klamotten, Baggyjeans, bauchfreies Top und dicke Goldklunker, meine Vorbilder waren T-Boz von TLC und MC Lyte – sowas gab’s damals sonst nur in den Rap-Videos auf MTV. Und eben bei mir, Lady Ray. Als ich auf die Bühne ging, hörte ich schon einige Flüstern: »Bitch«, »Schlampe«, »voll die Nutte«, schallte es leise aus verschiedenen Richtungen. Ich atmete tief ein und legte los. Der erste Song bouncte und die Herren wippten mit starrenden Blicken zu meinem Beat. Als ich losrappte, merkte ich, dass es ihnen gefiel. Nach drei Songs, als die Stimmung im positiven Sinne angeheizt war, stellte ich mich ganz vorne an den Rand der Bühne und kniete mich hin. Ich konnte manchen der Typen direkt in die teilweise ängstlichen Augen sehen. Ich sagte: »Ihr nennt mich also ›Schlampe‹? ›Hure‹, ›Bitch‹?« Ich machte eine Pause und ging auf der Bühne wütend auf und ab. Das Publikum wich sichtbar einen Meter nach hinten. – »Jaaa, das stimmt. Ich bin eine Bitch! Bitch Lady Ray, Lady mo-ther-fu-cking Bitch Ray!« Die drei Wörter dröhnten melodisch auf den Beat. Die Augen wurden noch größer. »Habt ihr mich verstanden?!«, fragte ich. Einige Köpfe nickten zustimmend, als hätte ihnen ihre Mutter gerade gesagt, dass sie heute auf keinen Fall zu spät nach Hause kommen dürfen, weil es sonst kein Abendessen gibt. Seit dem Tag nenne ich mich Lady Bitch Ray. Mir war damals nicht bewusst, dass die US-amerikanische Rapperin Roxanne Shanté den »Bitch«-Begriff zehn Jahre zuvor als Selbstbezeichnung auf einer Bühne in Philadelphia bereits für sich genutzt hat, doch dazu später mehr.

Mit meinen Songs »HengztArztOrgie« und »Ich hasse dich!« wurde ich berühmt. Dass das, womit ich seitdem in den sozialen Netzwerken stündlich überhäuft werde, ein Shitstorm war, eingebettet in übelsten Hatespeech, lernte ich erst zehn Jahre später. 2007 diskutierte ich bei Menschen bei Maischberger über Pornorap, 2008 schenkte ich Oliver Pocher bei der Sendung Schmidt & Pocher ein Döschen echtes Votzensekret von mir, 2011 diskutierte ich mit Alice Schwarzer über ihre einseitige Sicht auf das Kopftuch (auch wenn ich mich von ihr nicht verstanden gefühlt habe). Ich erinnere mich noch sehr gut an den Moment im Juni 2009, als ich vor dem Psychiater in der Klinik stand, in die ich wegen akuter Depression und Angst-Panik-Attacken, die mich im August 2008 überfielen, gegangen war. Er sagte zu mir: »Sie müssen sich das gut überlegen, Frau Şahin: entweder Sie entscheiden sich für Ihre Gesundheit – dann müssen Sie hier genau einen Cut machen und an Ihrer Heilung arbeiten, denn mittelschwere Depressionen sind kein Kinderspiel! Oder Sie machen weiter und fallen irgendwann tot um, weil Sie sich nicht um sich selbst gekümmert haben, Sie haben die Wahl.« Ich kümmerte mich von da an um mich und machte einen Break mit allem anderen. Da meine Musik vom Mainstream überwiegend fehlinterpretiert wurde, fühlte ich mich gezwungen, 2012 das Werk Bitchsm zu veröffentlichen. In diesem Buch erkläre ich, wie die Kunstform von Lady Bitch Ray als sexpositiver Weiblichkeitsentwurf verstanden werden kann, gehe auf die Emanzipation der muslimischen Frau ein, gebe Sextipps und empowere Frauen, trans-, intersexuelle und queere Menschen für eine selbstbestimmtere Sexualität. Da Bitchsm Jahre vor der weltweiten #MeToo-Bewegung erschien, wurde es von deutschen Medien weitgehend ignoriert. Also begann ich, meine Gedanken zum Feminismus in Form von Vorträgen zu verbreiten. Und widmete mich der Wissenschaft.

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Feministische Intersektionalität. In den letzten zehn Jahren fiel das Wort Intersektionalität ziemlich häufig im feministischen Diskurs. Als gängigste Erklärung dafür taucht Mehrfachdiskriminierung auf, welche der Überschneidung von Schnittstellen entspricht, durch die Menschen in mehrfacher Hinsicht diskriminiert sein können, zum Beispiel als Schwarze Frau gleichzeitig von Rassismus und Sexismus betroffen zu sein. Fangen wir aber mal vorne an, denn das Thema der Intersektionalität ist alles andere als eindimensional. Intersektionalität gewinnt dann an Bedeutung, wenn nicht nur das Geschlecht einer Person beim Thema Unterdrückung und  /oder Geschlechterungleichheit eine Rolle spielt, sondern auch race. Oder zusätzlich noch die klassenspezifische Zugehörigkeit, was Triple-Oppression oder Dreifachunterdrückung genannt wird. Außerdem können weitere Faktoren wie etwa Körper, Alter, Gesundheit, Kultur, sozialer Status oder Religion bei der Mehrfachdiskriminierung eine Rolle spielen. Die Frage, ob eher race oder Geschlecht Unterdrückung ausmachen, gehört zu den zentralen und entscheidenden Themen, die bisher die Befreiungskämpfe bezüglich Geschlechterungleichheit mitbestimmt haben. Der Einbezug mehrfach marginalisierter Frauen und LGBTQI*s und insbesondere ihre Erfahrungen, so etwa innerhalb der Schwarzen Frauenbewegung, der lateinamerikanischen, muslimischen oder kurdischen Frauenbewegungen sind beim Thema Intersektionalität unabdingbar.

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Textauszug (Kapitel 1) aus:
Reyhan Şahin aka Dr. Bitch Ray Yalla, Feminismus!
Klett-Cotta, 1. Aufl. 2019, 316 Seiten,
Klappenbroschur
ISBN: 978-3-608-50427-9

Fr 06. 12. 2019
Lesung Reyhan Şahin aka Dr. Bitch Ray: YALLA FEMINISMUS!
Gespräch mit der Autorin und Marie Luise Lehner
Musik von Bad&Boujee
Kunstuniversität Linz 
Hauptplatz 6 – Glashörsaal C, 5. Stock
Einlass: 20.00 Uhr, Beginn 20.30 Uhr
Eintritt frei! Um Anmeldung unter office@fiftitu.at wird gebeten
Supported by Frauenbüro Stadt Linz, Linz Kultur, Land OÖ, Bundeskanzleramt Eine Veranstaltung von FIFTITU% und dem Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen, Kunstuniversität Linz.

www.lady-bitch-ray.com

Lokale Lokale

Meine Freundin. Sie ist jetzt auf ausgedehnten Reisen. Im Totenreich. Gerade kommt sie zurück. Wegen einer kleinen Angelegenheit, wie sie sagt. Es sei aber nicht notwendig, darüber im Detail zu sprechen. Das sagt sie noch im Stehen. Dann setzt sie sich nieder. Es geht nur mal kurz ums Leben außerhalb des Totenbetts, sagt sie, und: schlimme Zeiten, Anachronismen überall, ein Übergangsopportunismus, wohin man schaut. Die Totengräber haben sich überall an die Oberfläche gegraben, sagt sie. Sie meint diejenigen, die sich – in einem letzten pathologischen Aufbäumen – die Welt nach den Regeln des Alten neu herrichten wollen. Sie meint die Herrichter, die Einpeitscher aller Art. Oder auch die, die sich einfach gerne anpassen. Sie meint die, die sich billige Vorteile verschaffen und große Systeme daraus bilden. Und die, die sich gegenseitig Schlimmes antun. Sie meint das, was sich hinter der Fassade und unter der Oberfläche tut. Sie meint die Psychos und die Zombies. Sie spricht davon, dass sich das Totalitäre auf allen Ebenen ausgebreitet hat, und in jede zwischenmenschliche Beziehung eingesickert ist. „Eh schon wissen“, sagt sie. Und singt eine Melodie an, mit einem selbstkreierten, jedenfalls anzitierten Text, nämlich „T-t-t-t-talking bout my A-lie-nation“. Was das wieder soll. Und überhaupt. Aber egal. Jedenfalls meine Freundin, von wegen „Eh schon wissen“, ist dann doch wieder ganz das Gegenteil: Sie will es dann nämlich doch immer wieder wissen. Und will die Zonen oder Ereignisse finden, die frei sind von sowas. Das ist sie. Aus dieser Mischung besteht sie. So treibt sie sich grade in der Nacht herum. Weil sie es wissen will. Zieht durchs Nachtleben der Innenstadt, noch lieber durch die Spelunken der Vorstadt, fällt in Beisln an Schnellstraßen. Am Wochenende in der Früh sucht sie Großraumdiscos, Systemgastrostätten oder andere Eventkonzentrationen auf. Dann wieder zurück in die Stadt. Schaut herum. Hat Verschiedenes erlebt. Am Tag schläft sie, dämmert dahin oder denkt im abgedunkelten Raum nach. Nur halblebendig im Bett. Das ist ihr kleines Totenreich-Spielchen, ihr kleines Unzeit-, Lebens- und Zwischenreich-Experiment der Stunde. Für dieses Mal hat sie sich eine besonders abgefuckte Arbeitshypothese mitgenommen, sagt sie. Sowas in der Art macht sie immer. Sie habe mal im Flieger nach Athen neben einem sehr liebeswürdigen Herrn gesessen und sich mit ihm unterhalten, über Freundschaften, sagt sie weiter. Und sie glaube sich zu erinnern, dass dieser Herr seinen Landsmann Aristoteles zitiert habe, der gemeint habe, dass: „ein Freund einen warnt bzw. auf die Folgen des eigenen Handelns aufmerksam mache, selbst wenn diese Folgen erst in 300 Jahren zu tragen kommen“. Das habe ihr imponiert. Auch wenn sie jetzt, Jahre später, nicht mehr wisse, ob der Name des Philosophen hier stimme oder das Zitat nur irgendwie korrekt ist. Oder sie das überhaupt nur geträumt habe. Jedenfalls sei ihr dieser Satz und diese Begebenheit wieder eingefallen. Und jedenfalls habe sie diesen Satz in der Nacht jetzt auf ihren Streifzügen dabei. Sie „überprüfe die Realität“, die sie sehe, in dem sie „diesen Satz gegen die Realität stelle“. Was das genau bedeute, wisse sie noch nicht ganz, das harre noch dem ungewissen Ausgang des Experiments. Aber ganz sicher habe ihr der Satz in einer Sache selbst schon sehr geholfen. Indem sie sich selbst in dieser Weise beraten habe, sozusagen als Freundin ihrer selbst: Sie habe ihr Handeln in dieser bestimmten Angelegenheit, über die sie aber nicht konkret sprechen wolle, auf eine Auswirkung von, sagen wir, diesen dreihundert Jahren hin überprüft. Sie sagt, das sei wichtig gewesen. „Ja gut“, sage ich kurz angebunden, „das passt eh, aber hör bald wieder auf mit dieser Herumtreiberei in der Nacht, das schadet dir jetzt schon“.

Dann lachen wir los, weil meine Freundin weiß, dass das kein Ratschlag war, sondern die pure Anerkennung – für sie und ihre Geschichtenherumtreiberei. Und natürlich wissen wir, dass wenig, wirklich wenig momentan in dieser Welt noch auf 300 Jahre angelegt ist.

It is (a) happening: Migration im Museum

Genealogie einer Selbsthistorisierung: Elena Messner gibt einen Überblick über Ausstellungen im Migrationskontext und beschreibt die Hintergründe einer Ideenwerkstatt, die aktuell an einem Konzept für ein Museum für Migration arbeitet – und an der sie beteiligt ist. Die Wanderausstellung „MUSMIG“ startet im Februar in Wien und könnte im kommenden Jahr auch in Linz zu sehen sein.

Globalisierung, Arbeitsmigration, Flucht, Vertreibung oder Mobilität zählen zu den dominierenden Phänomenen des 20. und 21. Jahrhunderts. Sie werden aber in staatlich finanzierten National- oder Stadtmuseen kaum dargestellt. Als eine lose Gruppe von Migrationsforscher_innen, Aktivist_innen und Theoretiker_innen arbeiten wir darum an der Vorbereitung des Projekts „MUSMIG“, einer Ideenwerkstatt für ein Museum der Migration. Dieses wird im Dezember 2019 in Wien gestartet und endet mit einer Ausstellung im Februar 2020, die als Wanderausstellung konzipiert ist.

Die bisherigen Versuche, Migration zu archivieren und in musealen Kontexten auszustellen sind in Österreich v.a. im Rahmen von Initiativen zur verstärkten Sichtbarmachung von Gastarbeit zu verorten. Das ist kein Zufall: kaum eine Form von Migration war für das Land seit den 1960ern so prägend, wie die Arbeitsmigration aus Jugoslawien bzw. seinen Nachfolgestaaten und der Türkei. Gegenwärtig ist ein verstärktes Interesse an dieser Thematik zu vermerken. Das Stadtarchiv Salzburg1, das Stadtmuseum St. Pölten2, das Vorarlberg Museum in Bregenz, das Stadtmuseum in Graz3, das Stadtmuseum Ferdinandeum und das Volkskundemuseum in Innsbruck, das Volkskundemuseum in Wien4 sowie das Wien Museum haben im den letzten Jahren Ausstellungsprojekte, und zwar zumeist im Kontext der Jubiläen der sog. „Gastarbeiterabkommen“ organisiert.

Die Impulse diesbzgl. kamen zumeist nicht aus den Museen oder der Politik, sondern wurden von Aktivist_innen oder Wissenschaftler_innen an die Institution herangetragen. Fakt bleibt, dass nur Selbstarchivierung und Selbsthistorisierung der Subjekte der Migration die Basis dafür boten, Migration in musealen Kontexten sichtbarer zu machen. Denn, wie Arif Akkiliç, Vida Bakondy, Ljubomir Bratić und Regina Wonisch es formulieren, „die Historisierung, Archivierung und Musealisierung der Migration wären ohne die Repräsentationskämpfe ihrer Subjekte und die Initiativen zur Selbstdokumentation nicht denkbar“. Das ist ein Statement, das als Ausgangsthese einen fixen Platz in unserer Werkstatt hat. Es ist unmöglich, alle bisherigen Projekte und Initiativen an dieser Stelle zu diskutieren, einen guten Überblick darüber kann man sich aber im Buch „Schere Topf Papier. Objekte zur Migrationsgeschichte“ (Mandelbaum, 2016) verschaffen, dem oben zitiertes Statement entstammt.
Für unser Vorhaben sind jene Initiativen relevant, die als Markierungen im Diskurs rund um das Thema Migration und Museum herangezogen werden können. Dazu zählt die Sonderausstellung „Gastarbajteri: 40 Jahre Arbeitsmigration“, die 2004 im Wien Museum von einem Rechercheteam5 in Kooperation mit der Initiative Minderheiten organisiert wurde (die Idee dafür lieferte Cemaletin Efe), oder auch das Nachfolgeprojekt „Viel Glück! Migration heute. Wien, Belgrad, Zagreb, Istanbul“.6
Andererseits sind für uns Kampagnen relevant, die den Diskurs um ein Museum der Migration vorangetrieben haben, wie das künstlerisch konzipierte Projekt „Verborgene Geschicht(en)/Remapping Mo­zart“7, ein von Ljubomir Bratić, Araba Evelyn Johnston-Arthur, Lisl Ponger, Nora Sternfeld und Luisa Ziaja kuratiertes Projekt im Rahmen des Mozartjahres 2006.8 Vier Konfigurationen, d. h. Ausstellungen, Vorträge, Kunst in Schaufenstern, Bustouren, Podiumsdiskussionen, wurden von je zwei Kurator_innen gestaltet. „Remapping Mozart“ war auch aufgrund der programmatischen Mehrsprachigkeit (Bos­nisch/Kroatisch/Serbisch, Türkisch, Deutsch und Englisch) exemplarisch.
Ein Höhepunkt der Debatte war die Kampagne „50 Jahre Arbeitsmigration – Archiv jetzt!“, die von Akkılıç und Bratić koordiniert wurde und den Migrations-Diskurs noch tiefer in Politik und in Museen trug. In Folge davon kam es zur Gründung des „Arbeitskreises Archiv der Migration“, welchem neben Bratić und Akkılıç noch Vida Bakondy, Wladimir Fischer, Li Gerhalter, Belinda Kazeem und Dirk Rupnow angehörten. Als eine Aktion der Kampagne wurde vor dem Wien Museum ein Plakat aufgestellt, auf dem die Forderung nach einem Migrationsarchiv ausformuliert war. Insbesonders auf Grund dieser Aktion wurde das Wien Museum von der Wiener Abteilung für Integration und Diversität beauftragt, ein Sammelprojekt zu organisieren. So kam es dazu, dass 2015 eine bis dahin in Österreich einzigartige Initiative unter dem Titel „Migration sammeln“ gestartet wurde. Das Projektteam Akkılıç, Bratić, Bakondy und Wonisch, wissenschaftlich von D. Rupnow beraten, sammelte für das Wien Museum Migrationsobjekte, und arbeitete dafür intensiv mit Vereinen, Akti­vist_innen, NGOs und Privatpersonen zusammen. Im Jahr 2017 konnten 770 Objekte ans Museum übergeben werden. Das Projekt mündete in einer leider nur eintägigen Ausstellung in fünf Vitrinen, die genauso wie die entstandene Sammlung, online dokumentiert ist.9 Als Nachfolgeprojekt wurde die Ausstellung „Geteilte Geschichte“ 2017–2018 von Vida Bakondy und Gerhard Milchram kuratiert.
Die vorangegangene aufwendige Recherchearbeit fand in dem eingangs zitierten Buch Niederschlag. Im Vorwort schreibt Museumsdirektor Matti Bunzl, die Initiative „Migration sammeln“ sei „durchaus programmatisch gemeint.“ Er spricht sich gegen die Idee von Migrationsmuseen aus, die er zwar als „potente Korrektive“ in „hegemonischen Narrativen“ sieht, aber auch als Fortführung der Trennung in normale und migrantische Geschichte. Mit dieser Positionierung geht sein Versprechen einher, die neu gesammelten „Kernstücke“ würden in der Dauerausstellung ihren fixen Platz bekommen – da er die Geschichte Wiens als eine migrantische sehe. So begrüßenswert solche Vor-Worte sind, so irritierend ist die behauptete Selbstverständlichkeit angesichts der Tatsache, dass erst die von Aktivist_innen initiierten Kampagnen dazu geführt haben, dass eine angeblich selbstverständliche Sammelpraxis im Museum implementiert wurde. Das Wien Museum wird derzeit renoviert und vergrößert. Nach der Sanierung wird, so darf man hoffen, genügend Platz und Gelegenheit vorhanden sein, um sich, wie Bunzl als Schlusssatz seines Vorwortes formulierte, weiter „an die Arbeit“ zu machen. Spannend bleibt, ob die Zusammenarbeit mit Aktivist_innen und Migrant_innen beibehalten wird, bzw. auch, ob auf der Personalebene nachhaltige Fortschritte zu erwarten sind. Denn trotz gelegentlicher Besetzungen von Migrant_innen oder deren Einsatz bei Projekten gilt nach wie vor, dass diese – freilich nicht nur im Wien Museum, sondern in den meisten kulturellen Institutionen – seltener als Kurator_innen oder Wissenschaftler_innen arbeiten.
Die Tatsache, dass in letzter Zeit Stadtmuseen verstärkt (lokale) migrantische Perspektiven in ihre Ausstellungen implementieren, sollte allerdings nicht als Argument dagegen benutzt werden, Migration zusätzlich in einer eigens dafür vorgesehenen staatlichen Institution zu archivieren und zu musealisieren. Migration beschränkt sich nicht auf Stadtgeschichte, sie betrifft nicht bloß Stadtmuseen, sondern sie umfasst nationale, transnationale und globale Geschichte und Kultur. Den archivierenden Blick auf Migration, und damit auf Rassismus und Kolonialismus zu lenken, ist als Aufgabe aktivistischer Initiativen längst nicht obsolet geworden. Angesichts punktueller Alibi-Aktionen von Museen und folgenloser Diversitäts-Slogans kultureller Institutionen ist sie wichtiger denn je. Zum Glück waren und sind Migrant_innen erfolgreich in der Selbst-Historisierung, auch außerhalb etablierter Institutionen.
Etwa Slobodan Jovanović, der zur ersten Generation der Gastarbeiter_innen gehört, die nach Wien gekommen waren. Er war aus privatem Interesse Sammler und Archivar. Vor rund zehn Jahren organisierte er eine Ausstellung, die heute noch im Sitzungsraum des Serbischen Dachverbandes in Wien hängt, ein prototypisches Beispiel der Selbstdokumentation von Migrierten. Diese Ausstellung wurde 2016-2017 zur Gänze im Belgrader Museum Jugoslawiens gezeigt, für welches Bratić gemeinsam mit Aleksandra Momčilović und Tatomir Toroman die Ausstellung „Jugo, moja Jugo“ organisierte. In Rahmen dieser Ausstellung in Belgrad wurde auch eine andere Ausstellung über aus Jugoslawien nach Deutschland migrierte Frauen integriert, die Bosiljka Schedlich 1987 in Berlin gemacht hatte. Diese wurde als Gesamte dem Museum in Belgrad geschenkt und noch mehrmals gezeigt. Der spannende Perspektivenwechsel (Zielland – Herkunftsland) wirft vor allem die Frage auf: an wen richtet sich eigentlich ein Museum der Migration, und wie kann eine transnationale Ausrichtung gewährleistet werden – außer durch (radikal) migrierende Ausstellungen selbst.
Eines der aktuellsten Projekte, das für Österreich zukünftig eine Markierung darstellen dürfte, ist das 2017 am Volkskundemuseum von den Kuratoren Alexander Martos und Niko Wahl geleitete Projekt „Museum auf der Flucht“, mit dem „das Volkskundemuseum Wien die Grundlage für eine intensive Auseinandersetzung mit den Themen Flucht, Migration und Ankommen in seinen Forschungs-, Sammlungs-, Ausstellungs- und Vermittlungs­tätigkeiten10 schuf“. Im Rahmen dieses Pilotprojektes kam es auch zu einer Stellenausschreibung, die sich durch gezielte Rekrutierung von Kurator_innen mit Asylhintergrund aktiv gegen automatische Ausschlüsse richtet. Das Projekt legt sich diskursiv mit dem Modell von Nationalmuseen an, es fragt neben einer Museologie des 21. Jahrhunderts auch nach einer Ethnologie des 21. Jahrhunderts, verbunden mit der Forderung eines noch zu erarbeiteten Konzepts für ein „Museums der Weltlosen“ bzw. eines „Hauses der Kulturen der Weltlosigkeit“. Im Rahmen der Wiener Festwochen wurde 2017 hierfür die „Akademie des Verlernens“ veranstaltet, und dieser künstlerische Rahmen verdeutlicht einmal mehr, dass die Debatten rund um Migrationsmuseen im 21. Jahrhundert die Grenzen von Performance, Kunst, politischer Diskussion, Wissenschaft und Straßen-Aktivismus mit großer Selbstverständlichkeit überschreiten.
Auch die Absicht hinter unserem Projekt ist mehr als Wissensvermittlung. Unsere Auseinandersetzung reagiert auf drängende gesellschaftliche Fragen, sie soll Plattform sein für theoretische Debatten, für Kunst- und Wissenschaftsaktivismus. Darum stellen wir auf methodischer Ebene die Frage danach, wie Ansätze aus der Migrationsforschung, der Geschichtswissenschaft und -pädagogik mit einer reflektierend-partizipativen Demokratiepraxis zusammen gedacht werden können. Auf der Ebene der künstlerischen Gestaltung fragen wir, wie das ästhetische Feld der Bewegung und des Transitären dargestellt werden kann. Auf der inhaltlichen Ebene fragen wir, ob es gelingen kann, das Museum der Migration selbst als Objekt auszustellen, nicht nur im Sinne der historischen Aufarbeitung der Debatten, die sich mit entsprechenden Konzepten beschäftigten, sondern als Sammlung realer und fiktiv-utopischer Museumsobjekte, die zusammengenommen als das – selbst ausgestellte – Museum fungieren könnten. Auf museumspolitischer Ebene beschäftigt uns die wiederkehrende Frage: Kann man beweglichen Migrationsaktivismus mit der konservativen Darstellungsform der statischen Ausstellung zusammenbringen?
Relevante Bezugspunkte für unser Projekt „MUSMIG“ sind daher Ausstellungen, die die Geschichte antirassistischer Praktiken dokumentieren. Etwa jene, die die Plattform no-racism.net im September 2019 anlässlich ihres 20jährigen Bestehens – und ihres Endes – organisierte. Was Objekte eines Migrationsmuseums sein können, und welche Ziele das Ausstellen solcher Objekte verfolgt, zeigt das Beispiel eines Flugblatts, auf dem ein Wanderdenkmal gefordert wird. Die auf dem Flugblatt propagierte Aktion, unter großer Beteiligung der schwarzen Community in Wien, war einer der Mitgründe dafür, dass Ulrike Truger den Gedenkstein für den bei einer Abschiebung getöteten Marcus Omofuma gestaltete. Die Ausstellung des Flugblattes dokumentiert somit einen gelungenen Akt aktivistischer (Selbst-)Historisierung.
Am Ende dieser kurzen Darstellung der schöpferischen Energie von Selbstorganisation soll die Geschichte eines Objekts stehen: Das Transparent „Wir würden wählen, wenn ihr nicht rassistisch wärt“ wurde von Vlatka Frketić, Andreas Görg und Ljubomir Bratić im Rahmen des Projekts „BUM – Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ gestaltet. Nachdem es bei mehreren Demonstrationen eingesetzt worden war, kam es im Jahr 2006 als Teil des Projektes „Remapping Mozart“ zweifach zur Anwendung, einmal in einer unangemeldeten kurzen Aktion vor dem Parlament, bei der es darum ging, das Thema Wahlrecht für Migrant_innen zu markieren, sowie in der Ausstellung „Es ist kein Traum!“. Im Jahr 2016 wurde es im Rahmen des Projektes „Migration sammeln“ dem Wien Museum geschenkt.
Wir schlussfolgern: Wie dieses Transparent so sollten auch das Museum der Migration und seine Objekte radikal grenz­offen sein, nicht nur hinsichtlich territorialer und nationaler Fragen, sondern auch hinsichtlich ihres Wirkungszusammenhangs. Und als ebenso grenzoffen verstehen wir unsere Ideenwerkstatt.

1 Das Archiv initiierte eine Ausstellung unter dem Titel „KOMMEN/GEHEN/BLEIBEN – 50 Jahre Anwerbeabkommen Österreich-Jugoslawien 1966–2016“.
2 Dort wurde 2014 unter dem Titel „Angeworben! Hiergeblieben! 50 Jahre Gastarbeit in der Region St. Pölten“ eine mehrmonatige Ausstellung organisiert.
3 Verena Lorber organisierte dort 2015-2016 eine Ausstellung zu slowenischen Gastarbeiterinnen, www.grazmuseum.at/ausstellung/lebenswege.
4 Der Verein JUKUS organisierte 2014 dort eine Ausstellung zu türkischer und 2016 zu jugoslawischer Gastarbeit.
5 gastarbajteri.at/im/107455867486.html
6 initiative.minderheiten.at/wordpress/wp-content/uploads/2019/05/03_Ausstellung-Viel_Glück.pdf
7 trafo-k.at/remapping-mozart/htm/main/konfigs/index.htm
8 trafo-k.at/remapping-mozart/htm/konfig2/rundgang/sub01.htm
9 Siehe: migrationsammeln.info
10 www.volkskundemuseum.at/museum_auf_der_flucht

MUSMIG. Ideenwerkstatt für ein Museum der Migration
14. 12. 2019: „Inventur“. Öffentlicher Workshop und Arbeitsgruppentreffen
21. 02. 2020: „MUSMIG. Museum der Migration“. Ausstellung in der Galerie „Die Schöne“ (Wien)
Teilnehmende: Fatih Özcelik, Petja Dimitrova, Sónia Melo, Arif und Evrim Akkiliç, Alice Fehrer, Georg Kö, Elena Messner, Natalie Bayer (angefr.), Goran Novaković, Alexander Matos, Petra Sturm, Handen und Ali Özbas, Ljubomir Bratić, Simon Inou, Sandra Chaterjee, Brigita Malenica, Gizem Gerdan, Regina Wonisch.
Detail- und Programminfos: www.textfeldsuedost.com/musmig-museum-der-migration

Die Wanderausstellung „MUSMIG“ startet im Februar in Wien, und könnte im kommenden Jahr auch in Linz zu sehen sein. Watch out.

Die kleine Referentin

Die Verortung von Erinnerung(en) im Raum

Das afo architekturforum oberösterreich fragt in der aktuellen Ausstellung zum Thema „Kontaminierte Orte“ danach, wie sich Gewalt und Kriminalität in Orte einschreiben oder wie die Rezeption solcher Orte aussieht – und ist gleichzeitig eine Geschichte darüber, jene zu erreichen, die sensibel genug sind, damit in „ange­messener Weise“ umzugehen. Bettina Landl hat die Ausstellung besucht.

Also es war immer dieses Lächeln, da hat man gewusst: Jetzt, o Gott, jetzt passiert irgendetwas Furchtbares.“, zitiert der Bildtext zu Stift Kremsmünster einen Konviktsschüler, der deutlich macht, dass es nicht ganz einfach ist, sich den dramatischen Ereignissen zu widmen, von denen diese Ausstellung auch erzählt.

Wer agiert wie mit dem Ort und dem Geschehen?
Die Ausstellung geht von Martin Pollacks wichtigem Essay „Kontaminierte Landschaften“ (2014) sowie von der anhaltenden Diskussion um Hitlers Geburtshaus in Braunau am Inn aus, spannt einen weiten historischen und geografischen Bogen und setzt sich mit 14 exemplarischen Orten in Oberösterreich auseinander. Von Architekturhistoriker und Kurator Georg Wilbertz wird der Blick auf jene Orte gerichtet, an denen Gewalt, Kriminalität, soziale oder ökonomische Verwerfung stattfanden, um sie vor dem Vergessen zu bewahren und die Kluft zwischen offizieller Geschichtsschreibung und kollektiver Erinnerung zu überbrücken. Aus einer unzähligen Fülle von Möglichkeiten wurden Orte ausgewählt, in verschiedene Kategorien der Gewalt und des Leidens eingeteilt und der Versuch unternommen, diese Methode epochenübergreifend anzuwenden.
Eingebettet ist das Thema in den umfang­reichen Diskurs zur Ortstheorie, wobei die Aspekte und Fragestellungen, die unmittelbar mit dem Thema der Gedenk- und Erinnerungskultur zusammenhängen, im Vordergrund stehen.
Individuelle Erinnerungen sind es, die unser Leben und unsere Persönlichkeit prägen. Das gilt auch für „Kollektivindividuen“, wie z. B. die Bewohner*innen einer Stadt bzw. einer Region oder auch für ganze Nationen. Insbesondere die verschiedenen Deutungen und Aneignungen der Orte im Laufe der Zeit, die Herausarbeitung ihrer Instrumentalisierung durch politische Gruppierungen sollen für die Manipulierbarkeit des kollektiven Gedächtnisses sensibilisieren.

Wie sieht die Rezeption von Ort und Geschehen aus?
Die Diskussion um Hitlers Geburtshaus dient der Ausstellung lediglich als Einstieg in die Thematik, die das oft beschworene Idyll Oberösterreichs durchbricht und den widersprüchlichen Umgang mit solchen Orten aufzeigt. Anhand der Einführung, einer Überblickskarte, einer künstlerischen Intervention und 14 exemplarischen Orten, die durch Gewalt, Leid oder kriminelle Handlungen geprägt waren und sind, wird das komplexe Thema vorgestellt. So ist beispielsweise das Kriegsgefangenenlager Marchtrenk, das von 1914 bis 1918 in Betrieb war und 1915 eine Höchstbelegung mit 35.000 Gefangenen verzeichnete und das aus einer umfangreichen Infrastruktur mit Verwaltungstrakten, Lagerspital, Quarantänelager, Schlachthof, Klärschlammverbrennung, Werk- und Arbeitsstätten sowie einem Lagerfriedhof bestand, Forschungsgegenstand und Teil der Ausstellung. Ebenso Teil der Ausstellung ist auch das Bettler-Haftlager in Schlögen, das von Sommer 1935 bis zum „Anschluss“ 1938 nach landesweiten Bettlerrazzien in Oberösterreich mit bis zu 739 Männern belegt war. Lager dien(t)en der Aussonderung, der Repression, der „Erziehung“. Sie ermöglich(t)en Gesellschaften und politischen Systemen, diejenigen sozial zu isolieren, die man als schädlich oder gefährdend identifiziert, und an dafür vorgesehenen Orten zu konzentrieren. Das 20. Jahrhundert wird immer wieder als „Jahrhundert der Lager“ bezeichnet. Verfolgt man aktuelle Debatten und Diskurse in rechtskonservativen Kreisen, scheint das „Lager“ als probates Mittel der Problemlösung eine bedenkliche „Renaissance“ zu erleben.

Erinnerungsorte
Zu den Orten, die mit dem Enthusiasmus der Reform, des Heilens und der philanthropischen Sorge um den Menschen verbunden sind, gehören etwa psychiatrische Einrichtungen (früher als Tollhäuser, Irrenanstalten etc. bezeichnet). Dass jedoch die wohlmeinenden Intentionen oft in ihr krasses Gegenteil verkehrt wurden, zeigen v. a. die psychiatrischen Einrichtungen des 18. und 19. Jahrhunderts. Diese sind häufig gekennzeichnet durch Verwahrlosung und Verrohung. Man sonderte die vermeintlich nicht integrierbaren Mitglieder einer Gesellschaft ab. So wurde beispielsweise das Prunerstift in Linz 1734–39 zuerst als Anstalt für Waisenkinder und Bedürftige erbaut, 1786 durch Joseph II. aufgelöst, dann bis 1833 zu einem Findelhaus und einer Gebäranstalt umfunktioniert, bis es von 1833 bis 1867 eine Irrenanstalt war (seit 1979 die Musikschule der Stadt Linz).

Weiters ermöglicht die Ausstellung eine Auseinandersetzung mit Orten wie dem Kriegsgefangenenlager in Mauthausen, der Psychiatrischen Klinik Niedernhart, dem Sozialpädagogischen Jugendwohnheim Wegscheid, dem Intertrading-Gebäude und dem Landesgericht in Linz, dem Benediktinerstift in Kremsmünster, der Jahnturnhalle in Ried im Innkreis, dem „Dichterstein“ in Offenhausen, der Siedlung Ennsleite in Steyr, dem Richtstättenweg in Lochen sowie dem Frankenburger Würfelspiel in Frankenburg.
All diese Beispiele machen deutlich, dass sich kollektive Erinnerungen immer in irgendetwas manifestieren, sei es in einem Ort, einer Persönlichkeit, einer mythischen Gestalt, einem Ritual, einem Brauch oder einem Symbol, also eine Gestalt annehmen bzw. einen begrifflichen Topos (wörtlich: einen Ort) bilden, in dem gemeinsame Assoziationen kondensieren. Erinnerungsorte sind identitätsstiftend. Dabei haben verschiedene gesellschaftliche Gruppen durchaus unterschiedliche Erinnerungsorte.

Ausstellen gegen das Ausschweigen und Verdrängen
In der Ausstellung werden Fälle seit der frühen Neuzeit exemplarisch beleuchtet, es wird das jeweilige Geschehen beschrieben und die Frage gestellt, wem Erinnerung nützt, wer sie verdrängt, wer sie steuert oder gar von ihr profitiert. Gleich ob Taten Einzelner oder jene staatlicher bzw. öffentlicher Institutionen eingeschrieben sind, beeinflusst die Kontamination von Orten unsere Rezeption der Geschichte. Manche Grausamkeit wandelte sich mit zeitlichem Abstand zu Folklore oder zum touristischen Event.
Falsch verstandene Erinnerung, das Exponieren als „faszinierender“ Ort des Gruselns oder der voyeuristischen Neugierde sind Indizien dafür, dass sich mit zeitlichem Abstand die Erinnerung und die Rezeption der Taten wandeln. Es gibt nicht DIE Erinnerung, nicht DIE Erzählung, die mit einem kontaminierten Ort verbunden sind.

Die Ausstellung zeigt, dass um Erinnerung, ihre Orte und die Interpretation historischer Ereignisse gesellschaftliche Auseinandersetzungen geführt werden. Es geht um Deutungsfragen, die konstituierender Teil unseres kollektiven Bewusstseins sind.
Der Verzicht auf kontaminierte Orte im Österreich der Nazizeit in der Ausstellung stellt eine bewusste Entscheidung dar. Sie ist begründet in der Dimension der Verbrechen von 1938 bis 1945 und der Tatsache, dass diese durch berufenere Institutionen, Gedenkstätten und Forschungseinrichtungen bereits sehr weit aufgearbeitet und dokumentiert sind.

Zur Aktualität von Geschichte(n)
Die Ausstellung hat eine eigene innere Ordnung, die sich aus Bezügen entwickelt hat und ist nicht, wie man annehmen würde, chronologisch aufgebaut. Vom Dokument bis zum Buch und Interviews mit Zeitzeugen wird der Zugang zum Thema bzw. zu den Themen auf vielfältige Weise ermöglicht.
Wenn gleichzeitig auf politische Inanspruchnahme oder den politischen Missbrauch bestimmter Begriffe und Phänomene hingewiesen wird, macht die Ausstellung anschaulich, dass einzelne Fragestellungen höchst aktuell sind.
Neben der Fülle der Aspekte und Fragen, die mit den konkret ausgewählten Orten und Bauten verbunden sind, geht es u.a. darum, möglichst viele Fragestellungen und Phänomene anhand der Einzelbeispiele exemplarisch zu erfassen und darzustellen. Ziel ist nicht nur die Darstellung eines möglichst breiten Spektrums, sondern die Erstellung eines „Katalogs“ der mit problematischen Orten verbundenen Aspekte und Herausforderungen.

„Kontaminierte Orte“ bietet bzw. bieten vielfältige Möglichkeiten der Rezeption. Die Spanne kann von der politisch-gesellschaftlichen Instrumentalisierung über Legitimations- und Identifikationsstrategien bis hin zur ökonomischen Nutzung reichen. Dem gegenüber stehen Interessen und Strategien des Vergessens, der Tilgung oder der Verdrängung. Beide Richtungen können je nach historisch-politischer Situation in ein dynamisches Wechselverhältnis treten. Ein spezifischer Aspekt ist die touristisch-ökonomische Nutzung derart problematischer Orte. Der in den letzten Jahren verstärkt geführte Diskurs zum Stichwort „Dark Tourism“ stellt bezüglich der Theoriebildung und theoretischen Aufarbeitung derartiger Orte einen wichtigen Beitrag dar. Damit wird in und mit der Ausstellung ein sensibler Umgang eingefordert und eingeübt und das notwendige Gespräch über diese Themen (weiter-)geführt.

 

Anmerkung Redaktion: Hinsichtlich Nazizeit und der Dimension der Verbrechen von 1938 bis 1945 findet sich in der aktuellen Versorgerin #124 ein Text über doch immer noch nicht so recht aufgearbeitete und dokumentierte Orte der Nazi-Verbrechen in Oberösterreich.

Kontaminierte Orte
Ausstellung bis 31. Jänner 2020
Mi–Sa 14.00–17.00 Uhr, Fr 14.00–20.00 Uhr
afo architekturforum oberösterreich
Herbert-Bayer-Platz 1, 4020 Linz
Kurator: Georg Wilbertz
Gestaltung: Leonie Reese
Produktion: afo

Ende Gelände

Christel Kiesel hat mit der Masterarbeit Ende Gelände dieses Jahr ihr Studium der Plastischen Konzeption abgeschlossen. Die Arbeit war danach mehrfach in Linz zu sehen und wurde bereits mit zwei Preisen bedacht. Tanja Brandmayr hat sich die Arbeit angesehen und mit der Künstlerin gesprochen.

Zuerst die kurze, aber doch beachtliche Ausstellungsgeschichte der Arbeit und die Info für alle, die beim Thema Preise hellhörig werden: Ende Gelände war heuer im März als Masterarbeit in der Kunstuniversität ausgestellt, danach im Sommer in der Galerie Maerz, und im Oktober wieder in der Kunstuni bei Best Off. Dazwischen hat Christel Kiesel mit Ende Gelände den AK-Kunstpreis zuerkannt bekommen sowie den Preis des Diözesankunstvereins. Weiter geht es in puncto Präsentationen im Dezember mit einer Ausstellung bei EFES42, einem Verein für Skulptur in der Linzer Schubertstraße. Voraussichtlich im kommenden April wird Kiesel in der Arbeiterkammer zu sehen sein, im Mai in der Diözese.

Damit zum Werdegang von Christel Kiesel: Die Plastische Konzeptionistin bzw. die Bildhauerin und bildende Künstlerin wächst im ehemaligen Osten Deutschlands in einem Betrieb in Südbrandenburg auf, einer Töpferei, die es seit 1837 gibt. Später studiert sie Industriedesign in Halle an der Saale (2009–2014), danach Plastische Konzeption in Linz (2015–2019). Die Arbeit Ende Gelände markiert 2019 den Schlusspunkt und die Masterarbeit dieses Studiums. Was sich im beruflichen Werdegang schon längere Zeit abzuzeichnen scheint: Das Faible für Gegensätzlichkeiten, einerseits zwischen Keramik und Industriedesign (Kiesel: „auch zwei sehr entgegengesetzte Bereiche – mich interessiert das“), andererseits später – und immer noch – zwischen Industriedesign und Kunst. Obwohl sie schon während ihres Designstudiums immer wieder die Rückmeldung erhalten habe, dass sie „eigentlich in die Kunst gehört“, bezeichnet Christel Kiesel ihren industriedesignerischen Zugang als prägend, um Kunst zu machen. Dabei sind für Kiesel „sowohl Kunst als auch Design Methoden, um Objekte wahrzunehmen und zu lesen“. Schlussendlich hinterfrage sie Objekte oder auch Alltagsgegenstände etwa immer noch auf eine Funktionalität und verschiedene Zwecke, wobei sie diese Selbstverständlichkeit des funktionalen Nutzens als „eine Art Poesie“ bezeichnet. Und ihre Herangehensweise folgendermaßen: „Generell geschieht viel mit Plan, der allerdings spontan wieder verlassen wird“. Kiesels Arbeitsprozess findet jedenfalls hauptsächlich zwischen Schreibtisch und Werkstatt statt, weniger im Atelier, und ist sehr materialbezogen. Seit sie in Linz ist, arbeitet sie etwa auch vermehrt mit dem Material Stahl.

Ende Gelände umfasst nun im Wesentlichen drei Komponenten mit jeweils eigener Betitelung – namentlich I Follow, Stiebsdorf Blau und Konglomerat L. Diese drei Komponenten stellen eigene Themenkreise dar und lassen sich jeweils als größere Abstraktionen von Raum und Landschaft fassen. Sie stellen sich in unterschiedlicher Form und Materialität zueinander und thematisieren – gemeinsam und für sich – grundlegende bildhauerische Fragestellungen. I Follow etwa besteht aus filigranen, schwefelgelb lackierten Stahlobjekten, die formal zuerst als Geländer im Raum angelegt sind, zusätzlich aber bei der Form von Schranken, Leitern und Hochsitzen Anleihen nehmen. Das gelbe Gestänge verhandelt dabei bildhauerische Grundfragen von Fragilität, Stabilität, Raumausdehnung und Raumbezug, zitiert aber auch, durchaus auf entfremdete Weise, eben Objektfragen von Nutzung und Design. Die nächste Komponente, Stiebsdorf Blau, hängt als leicht schwebende Stoffbahn im Raum, mit einem vertikalen Farbverlauf von blau nach weiß, was Wahrnehmungen von Wasser, Luft, Sinnlichkeit, Durchlässigkeit und Sättigung eröffnet – und möglicherweise eines Übergangs per se. Dazu weiter unten. Und, last but not least, verlegt Konglomerat L mehrteilige Bodenplatten – und damit etwas sehr Basales, Bodennahes und Schweres. In ihrer offensichtlich organischen Zusammensetzung von Ton bis Kiefernnadeln stellen diese Platten Fragen nach lebendigem und totem Material, bestehen aus Bodenschichten und Erosion, und sind in ihrer Hergestelltheit selbst vergänglich. Dazu Christel Kiesel: „Das sind temporäre Manifestationen, sie würdigen die Präsenz des Materials, wie in einem Moment des Ein- und Ausatmens“. Was wohl auch symbolhaft für eine geologische Zeitdimension stehen soll, die auch dementsprechend angearbeitet wurde. Denn die von Kiesel für diese Bodenplatten in der brandenburgischen Landschaft vorgefundenen Materialien von verschiedenen „Sanden, Tönen und Erden“, teilweise mit Schwefelgeruch und eben mit diversen Beimengungen, wurden im quasi-archäologischen beziehungsweise analytischen Arbeitsprozess von der Künstlerin zuerst voneinander separiert, um danach wieder als Arbeitsmaterial zusammengefügt zu werden. Schlussendlich soll dieses temporär dem Boden entnommene Material der Landschaft zurückgegeben werden.

Insgesamt und zusammen befragen die oben vorgestellten Objekte eine ganz grundlegende Materialität und Präsenz. Sie präsentieren sich als eine Art gemeinsames, aber sehr gegensätzliches Ameublement der bildhauerischen Abstraktion. Christel Kiesel zieht nämlich durchaus zarte kunst- und kulturgeschichtliche Bande zu Raum- und Formfragen an sich. So sind etwa die Form- und Arbeitsvorgaben für das schwebende Tuch oder die Bodenplatten die des Vorhanges oder des Teppichs. Oder sie entfaltet innerhalb des Systems Kunst für ihren fröhlichgelben Geländer-Slapstick entsprechend ihrem vorangegangenen Industriedesign-Studium eine spielerische „Stilsicherheit des Designs“, die sie jedoch andersrum in den Raum umleitet und in formale Thematiken einfügt. Während die Arbeit also sozusagen einerseits ein „Ameublement“ aus Kunstreferenzen und ästhetisch geöffneten Formen- und Materialsprachen darstellt, verweist Ende Gelände im größeren inhaltlichen Zusammenhang einer geographisch-territorialen Aufladung aber kräftig nach außen – nämlich auf Christel Kiesels Heimat, das Gebiet von Brandenburg, der Lausitz und damit ins Braunkohlerevier. Im Zentrum steht damit eine real devastierte Landschaft des Braunkohletagebaus und das insgesamt komplexe Thema des Niedergangs und des Verschwindens von Landschaften und Menschen sowie die ökonomischen, sozialen, ökologischen Folgewirkungen in diesem „Energieland“. Titel wie das oben genannte Stiebsdorf Blau beziehen sich genau auf dieses Gebiet. Und auf einer weiteren, theoretisch aufgearbeiteten Ebene, die Christel Kiesel als schriftliche theoretische Arbeit recht umfassend angelegt hat, werden hinsichtlich der weitreichenden Bezüge dieser Landschaft und ihrer Bewohner und Bewohnerinnen „alle diese Fässer aufgemacht“, sagt sie – von der glazialen Erdgeschichte bis zur heutigen Bergbaufolgelandschaft, vom Tagebau, den riesigen Ma­schinen, die selbst Landschaften gleichen, bis hin zur Zerstörung dieser Landschaft, von der Arbeit oder der sorbischen Identität ihrer Familie – bis hin zum Verschwinden und zum nunmehrigen Übergang in eine Sukzessionslandschaft. Einen wesentlichen Teil dieser theoretischen Arbeit bilden die Fotos, die Kiesel vor Ort in Brandenburg aufgenommen hat.

„Für jeden See, sprich für jedes geflutete Tagebaurestloch heute, stehen mehrere verschwundene Dörfer“ – so ein sinngemäßes Zitat aus Christel Kiesels Masterarbeit. Und Stiebsdorf Blau, also die leicht in der Raumluft wehende Stoffbahn mit ihrem Farbverlauf von Wasserblau ins Weiß, ist – in aller irritierenden Leichtigkeit und im mehrfachen Bezug – als Referenz auf ein solches, verschwundenes Dorf, auf eine verschwundene Landschaft und einen nunmehrigen See zu lesen. So verschwanden wegen des Braunkohleabbaus in ihrem Herkunftsland Südbrandenburg seit über 100 Jahren um die 140 Dörfer – mit der meist üblichen Vorgangsweise: Sprengung des Kirchturms, Verlegung des Friedhofes, Umsiedlung der Menschen – dann folgte der Braunkohleabbau im leergeräumten Gebiet. Auf die Industrie beziehen sich übrigens auch die schwefelgelb lackierten Stahlgeländer der künstlerischen Arbeit. Die realen Geländer organisieren im Gelände des Braunkohleabbaus die Raumwege, sie führen, halten auf, sind wie territoriale Bestandteile, die anleiten („I Follow“) – allerdings natürlich weniger diffizil und eigensinnig als in Kiesels Interpretation, denn Form und Material wird im Gebiet dann doch ganz klar dem gemeinsamen industriellen Zweck untergeordnet. In der Riesenanlage wälzen jedenfalls gigantische Bagger wie megalomanische Insektenmaschinen Tag für Tag die Landschaft um. Noch vier davon sind im Braunkohlerevier in Betrieb, trotz bereits mehrfach geplantem Braunkohleausstieg. Die Industrie hinterlässt hier immer noch – bis zum derzeit geplanten Braunkohleausstieg 2038 – in einem großangelegten, anmaßenden Experiment eine aufgerissene, dekonstruierte Landschaft sowie riesige, tiefe Löcher im Boden, die nach dem Abbau „geflutet werden, um sie zu sichern“. In der derzeitigen Bergbaufolgelandschaft bedeutet das dann zum Beispiel, dass diese gefluteten Löcher, alias Seen, dann mitunter giftig sind. Kein Insekt lebt dort. Denn je nach den geologischen Bestandteilen der seit Jahrtausenden gebildeten und nunmehrig in kürzester Zeit aufgerissenen Erdschichten mischen sich durch die Flutung verschiedene Bodenbestandteile und verschiedene chemische Prozesse setzen ein. Ganz generell gibt es in dieser Bergbaufolgelandschaft ganz verschiedene Prozesse – man weiß schlichtweg oft nicht, was passiert. Und so existieren diese Landschaften mitunter auch als Totalreservate oder andere Sukzessionsgebiete, jedenfalls aber Langzeitexperimente mit ungewissem Ausgang, immer mal anders. Christel Kiesel dazu: „Es gibt dabei kein Ziel: Die Sukzession beschreibt den Prozess, wie die Natur sich dieses Gebiet zurückholt. Es verändert sich jeden Tag. Man kann zuschauen. Es ist extrem. Da ist dann über Nacht eine neue Landzunge und plötzlich Lebensraum für 6.000 Kraniche, 20.000 Gänse. Oder der Wolf kommt zurück.“

Alles in allem habe die Arbeit an Ende Gelände ihren eigenen Bezug zum Herkunftsdorf verändert, sagt Kiesel, es geht etwa um ein Gefühl von Heimat und von Verlust. Das Gefühl von früher, dass man immer wegwollte, löst heute ein Gefühl von Erkenntnis ab, nämlich darüber, dass man jetzt versteht, was los ist – „und etwa vor dem See steht und dem See verzeiht“, so Kiesel. Interessant sind jedenfalls die vielen Ebenen dieser Arbeit – wie viele es tatsächlich sind, darüber gibt die schriftliche Arbeit Auskunft. Beziehungsweise: Dass im künstlerischen Teil von Ende Gelände diese realen Tatsachen nicht nur codiert wurden, sondern das Material mit Kontextualität und Eigenschaften aufgeladen wurde, lässt die Raumsituation quasi außersprachlich werden – was natürlich nochmals andere Wirkungen entfaltet. Eine ganz wesentliche Eigenschaft von Kunst. Und eine Arbeit ganz oben.

 

Christel Kiesel wird im Dezember bei EFES42, ein Verein für Skulptur in der Schubertstr. 42, ausstellen und dort die „Linzer Position“ repräsentieren.
www.efes42.at

Und der Rest ist für Sie
EFES42
Eröffnung Mi, 18. Dez, 19.00 Uhr
Öffnungszeiten: Do, 19. Dez., 18.00–20.00 Uhr und per tel. Anmeldung +43(0)650 73 88 464

Sttr – Muto – Wime

Verwirrt? Der Dude löst auf! Wenn in Oberösterreich eine Unternehmung MUTO heißt, liegt der Verdacht nahe, die Besitzerin/der Besitzer habe die ersten beiden Buchstaben des Vor- und Nachnamens hergenommen und das Ergebnis als Firmenwortlaut auf Werbeschilder und Visitkarten drucken lassen. Bei MUTO wären hier Muriel Tomandl oder Mustafa Tok zu vermuten. Die Lateiner jedoch schlagen die vom kleinen Stowasser gestählten Arme über dem Kopf zusammen und rufen „Lingua latina est“ – und so ist es auch. Muto bedeutet „verwandeln“ und ist auch gleich der philosophische Unterbau der experimentellen Küche von Michael Steininger und Werner Traxler. Um die Onomatologie hier abzuschliessen, müsste nach der oberösterreichischen Methodik und unter Rücksichtnahme zweier Gründer das Lokal STTR oder MIWE heissen. MUTO passt besser.

Der Slowdude hat ausführlich testgegessen und berichtet gerne über diesen – er nimmt sein Urteil gleich vorweg – wahren Schatz in der Linzer Gastronomieödnis. Wer hungrig ins MUTO geht, wird sicher satt und zufrieden sein. Aber das Mindset sollte ein anderes sein. Vielmehr sollte man explorativ gelaunt und zugleich richtig horny sein. Quasi ready for Foodporn. Lust auf Neues und Zeit für ein wahrhaftes Eintauchen in die phantastischen Geschmacksebenen der beiden klassen MUTOianer müssen die Gäste unbedingt mitbringen. Das Karussell an ungewohnten Texturen, sensorischen Verbindungen und mannigfaltigen Aggregatszuständen dreht sich schnell und ohne Kompromisse. Und da braucht der geneigte Gast zuweilen auch ein wenig Ruhephasen und Relaxation, die sich aber bestens mit formidablen Getränken und informativen Gesprächen füllen lassen.

Begonnen hat die kulinarische Reise des Slowdude ins MUTO-Land mit zwei Grüßen aus der Küche. Zum einen wurde ein selbstgemachter Frischkäse mit Kresse und Baguette gereicht. Zusätzlich gab es eine kleine Darreichung vom Fisch mit weißer Wasabi-Schokolade und Ingwer.

Der Frischkäse bleibt der einzige Kritikpunkt im gesamten Setting – da zwar in Konsistenz und Temperatur wunderbar – der Geschmack fiel aber etwas fahl aus. Bei der Kombination aus Wasabi, weißer Schokolade und Fisch nahm allerdings das Karussell richtig Fahrt auf. Und so ersann der Dude seine eigene Muto-Regel: Alles zusammen. Nicht wie bei Muttern fein essen, kauen und nicht schmatzen, sondern alles rein in die Backen und kräftig kauen. So entsteht erst die richtige Verbindung und man versteht den Koch plötzlich besser – und möchte sein bester Freund bzw. Freundin sein. Weiter ging es für den Dude mit einer Gartentomate, die derart liebevoll, aber mit Frankenstein-Skills, ihrer eigentlichen Konsistenz beraubt wurde, dass die Verwunderung groß und der Genuss noch größer war. Flankiert wurde die herrliche Zombietomate von jungem Knoblauch in zwei Zuständen und eine geräucherten Vinaigrette, die auch keine Wünsche offen ließ. Der Hauptakt wurde vom Wasserbüffel, der Melanzani, der Paprika und den Pilzen bestritten. Der perfekt zubereitete und angerichtete Wasserbüffel mutierte aber zu Beilage, da die Melanzai-Paprika-Pilz-Phalanx gnadenlos die Geschmackshoheit übernahm. Der „Strauch der Lände“ bildete den gelungenen Abschluss und rundete die vorigen Gänge raffiniert ab. Das mit japanischer Zierquitte und Zitronengeranie angerichtete Joghurt war noch der letzte Paukenschlag der MUTO-Symphonie. Das war aber keine Überraschung. Der Dude ist ein alter Kenner der Zitronengeranie und besonders der japanische Zierquitte. Und der sympathische Umstand, dass die Zutaten von der Linzer Donaulände kommen, machte das Desert noch spannender.

Bemerkt hat der Dude auch den Soundtrack in der MUTO-Stube. Anfangs etwas gewöhnungsbedürftig säuseln Leonard Cohen und Bob Dylan dahin und man fragt sich, ob die jungen Betreiber nicht generationsadäquates Material haben. Wenn die alten Herrn aber auch noch mit bekannten Nummern aus „Lock Stock and Two Smoking Barrels“ und „Pulp Fiction“ flankiert werden, kapiert man es: Die Musik hat man am Teller. Rhythmisiert und komponiert – mal laut mal leise, mal schnell, mal langsam, mal intensiv, mal leicht. So erklärt sich auch zum Schluss noch der Frischkäse. Genial!

Der Dude vermutet, dass die LeserInnen seine Begeisterung gespürt haben und verpflichtet diese zu einem baldigen Besuch. Das kann und darf man sich nicht entgehen lassen – der MUTO-Tempel ist ein echter Lichtblick in der kulinarisch sonst so gebeutelten Linzer Stadt. Der Dude ist ein MUTO-Fanboy.

 

Muto Altstadt 7 4020 Linz
restaurant@mutolinz.at
www.mutolinz.at
Reservierungen unter 0699/11089063

Time-Ache

Teresa Cos at bb15: Im November war die Künstlerin Teresa Cos im Rahmen des Artist-in-Residence-Programms im bb15 zu Gast und präsentierte ihr neues Projekt Tunnel Boring Machine. Beatrice Forchini schreibt über Teresa Cos und eine Arbeit, die sich zwischen Zeit und Zug bewegt.

Teresa Cos erforscht im Rahmen ihrer künstlerischen Praxis die Möglichkeiten, mit zeitbasierten Medien lineare Zeitabläufe zu stören und die von ihr untersuchten architektonischen, infrastrukturellen und sozialen Räume schichtweise zu lesen. In ihrer Arbeit werden intime Dimensionen und globale Phänomene, öffentliche Reden und innere Stimmen sowie persönliche Erinnerungen und transhistorische Reflexionen in Verbindung gebracht. Durch die Verwendung von Wiederholungen, Loops, Registern, Archiven, Diagrammen und Karten – als semi-analytische wie poetische Werkzeuge – verkörpert sich in ihrer Praxis eine Dynamik, in der Erschöpfung und Auflösung auf paradoxe Weise produktive Kräfte entfalten. Die Auflösung von Sound in einem sich wiederholenden Loop; die Erschöpfung in all den möglichen Wegen, die an ein Ende führen; das erratische Kartieren von physischen und mentalen Geographien – Prozesse wie diese eröffnen neue narrative Herangehensweisen im Werk von Teresa Cos.

Der Kritiker, Autor und Kulturtheoretiker Jan Verwoert reflektiert über Erschöpfung als Resultat des permanenten Drucks, performen zu müssen und betont im Hinblick darauf die Bedeutung des Latenten – die schlummernden, nicht zum Ausdruck gebrachten Möglichkeiten, die in Werken angelegt sind. Daran anknüpfend denkt er über unterschiedliche Wege nach, dieses latente Potenzial zu aktivieren und neue zeitliche Dimensionen in künstlerischen Arbeiten zu eröffnen.1 Als widerständiges Moment zu den Beschränkungen der ge­genwärtigen neoliberalen „Zeit ist Geld“-Wirtschaft sieht er „Arbeit, die in dieser Weise die Erinnerung an ihren eigenen Prozess einbezieht und so ihre eigenen temporalen Parameter konstituiert, sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer selbst.“ Und weiter: „Durch ihre immanente Zeitlichkeit steht diese Arbeit in einem strukturellen Konflikt jedweder reglementierten Vorstellung von Zeit. Sie stört die homogene Schrittgeschwindigkeit der High-Performance-Kultur durch ihren immanenten Rhythmus gedehnter, geraffter, verzögerter oder beschleunigter Zeit der Erinnerung, die im Prozess der Entstehung am Werk ist.“2

Die künstlerische Praxis von Teresa Cos verhandelt die temporalen Bedingungen der Kontexte, in die sie durch Umordnung, gegensätzliche Wirkungen und Problematisierung zu intervenieren versucht. Im bb15 in Linz präsentiert sie die Multi-Channel-Videoinstallation Tunnel Boring Machine (2019). Die Arbeit basiert auf einer ephemeren Videoperformance-Intervention, die sich zwischen Improvisation und loser Choreographie bewegt. Tunnel Boring Machine spielt in zwei Zügen und zeigt eine repetitive Handlung, die ein integraler Bestandteil der Reise der Künstlerin von Brüssel nach London am Wochenende der letzten Europawahlen wird. Das Stück entspringt den persönlichen Erfahrungen von Teresa Cos, die in den zwei Städten lebt und zwischen ihnen pendelt. Sowohl während der Hin- als auch der Rückfahrt geht sie die gesamte Länge des Zugs ab, während dieser den Eurotunnel passiert.

Mit einer an der Brust fixierten Action-Cam werden Single-Shots in beide Richtungen aufgenommen. Ihr Weg führt sie durch kühl beleuchtete Waggons, die Türen und den funktionalen Raum des Speisewagens, die Erste- und Zweite-Klasse-Abteile; währenddessen registriert sie die Gesichter von mitreisenden Personen, deren Gesten, die Screens ihrer Smartphones und Laptops sowie ein Register an banalen Aktivitäten, die sich durch Langeweile oder Zufall ergeben. Die anderen Personen im Zug werden zu unbewussten ZuschauerInnen und TeilnehmerInnen einer unangekündigten Performance. Während der Intervention wird jede Mikro-Szene, die sich während des Durchgangs entfaltet, doppelt mit einem Delay aufgenommen, das der Dauer entspricht, die man brauchen würde, um denselben Ort im Zug aus entgegengesetzter Richtung zu erreichen. Der Sound wurde mit einem Kontaktmikrofon von einem Zugfenster abgenommen und entsprechend dem geologischen Querschnitt samt den höchsten und tiefsten Punkten des Tunnels moduliert. Umliegende Smartphones verursachen die Störgeräusche auf der Aufnahme und signalisieren einen Overload an Kommunikation und Interaktion.

Tunnel Boring Machine dreht sich um die minutiöse Berechnung der verschiedenen Zeitebenen, die in den verschiedenen Situationen im Spiel sind und aus denen sich die beinahe unmerkliche Partitur der Arbeit ergibt: die „Tunnel-Zeit“ oder „Un­ter­wasser-Zeit“; das Schritttempo der Künstlerin; die Zeit, die sich in den Gesten der mitreisenden Personen materialisiert; die Lücke zwischen dem ersten und dem zweiten Durchgang der Kamera von derselben Stelle aus; die verringerte Geschwindigkeit des Videos; die Rückwärtsbewegung, die verschiedenen Zeitzonen, die der Zug überquert. Durch die scheinbar lineare und nackte visuelle Sprache verdichtet Tunnel Boring Machine die befremdliche, beinahe starre Atmosphäre in der die mitreisenden Personen versunken sind und macht sie für die BetrachterInnen spürbar. Der Zug als Nicht-Ort, als Raum der Anonymität und Monotonie, erscheint durchdrungen von diffusen Gefühlen der Erschöpfung, Passivität oder Langeweile; wirkt wie ein Register an Symptomen des weitverbreiteten time-ache3 (dt. „Zeit-Schmerz“).

Die bildliche Umkehrung der Gefühle von Erschöpfung und Starre ist in der Arbeit Eight Chapters in Four Movements (2015) realisiert, eine zeitbasierte Video-Performance, in der die Zuseher*innen mit dem Strom der Menschenmasse konfrontiert sind, die während der morgendlichen Rush­hour die London Bridge überquert. Hier wird Cos zu einem disruptiven Element in der Menschenmasse, indem sie in deren eingespielte Routine und apathische Gleichförmigkeit eingreift. Die Handlung beginnt zunächst mit der mimetischen Immersion der Künstlerin in die Menschenmasse und steigert sich, indem ihr Gang durch die Menge immer mehr zum Störelement wird; ein Körper wird, der den regulären Fluss der Masse verhindert. Das Gefühl der Erschöpfung tritt dabei in den unzähligen Gesten und Eigenarten einer alltäglichen Szene zutage, die Teresa Cos mit Lefebvres Text Rhythmanalysis erforscht. Der in ein Register an Schlüsselbegriffen fragmentierte und zergliederte Text wird für eine Spoken-Word-Performance verwendet, die synchron mit den bewegten Bildern sowie im Einklang mit den Schritten der gehenden Masse rezitiert wird.
Die individuellen Erschöpfungssymptome dieser Ökonomie der Zeit werden vis-à-vis zu den Anzeichen eines allgemeinen Zu­sammenbruchs in größerem Ausmaß gestellt, Anzeichen, welche durch die verschiedenen Schauplätze, Kanäle, Zwi­schen­räume und Strukturen unseres Lebens ersichtlich werden. Mit diesen Gegenüberstellungen auf Mikro- und Makroebene erfasst Teresa Cos die Potenziale der Erschöpfung als neue Wege zur Auseinandersetzung mit der chronopolitischen Dimension der Welten, die sie bewohnt, beobachtet und konstruiert.

 

1 Jan Verwoert, Exhaustion & Exuberance. Ways to Defy the Pressure to Perform, 2008, in Facing Value, Lauwaert, Van Westrenen, Valiz / Stroom, Den Haag, 2016, S. 143–164
2 Ebd., S. 151
3 Sven Lütticken, Autonomous Symptoms in a Collapsing Economy of Time, in Keine Zeit/Busy, 21er Haus, Wien, Hg. Husslein-Arco, Agnes und Steinbrügge, Bettina, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2012

Die Residency von Teresa Cos fand vom 17. – 28. November im bb15 statt. Im Rahmen der Residency gab es eine Ausstellung und eine Performance zu sehen. Mehr zu Teresa Cos: www.teresacos.co

 

Hosted by bb15

Seit 2009 organisiert bb15 ein professionelles Ausstellungsprogramm mit bis dato mehr als 120 öffentlichen Veranstaltungen. Auf rund 100m2 Ausstellungsfläche finden in monatlichem Rhythmus Ausstellungen, Performances und Screenings statt. Darüber hinaus werden die Räumlichkeiten von den bb15 Mitgliedern als Atelier und Produktionsort genutzt. Internationale Kooperationen mit ähnlichen Institutionen sowie ein jährlicher Open Call spielen eine zentrale Rolle bei diesen Aktivitäten. Als Arbeits- bzw. Nutzungskonzept bemühen wir die Idee eines „artist run space“ – wobei wir diesen Terminus im weitesten Sinne als Label benutzen, um uns in einem Netzwerk ähnlicher Institutionen im In- und Ausland zu positionieren.

bb15 versucht ein Möglichkeitsraum für lokale und insbesondere internationale Künstler*innen zu sein und bietet deshalb auch Residencies an. Die Rolle der eingeladenen Künst­le­r*innen besteht nicht nur in der Produktion von Kunst, sondern auch in der aktiven Reflexion der künstlerischen Positionierung von bb15. Das Hauptaugenmerk wird auf eigenständige und experimentelle Ansätzen im Bereich der Klangkunst und der Schaffung neuer ortsspezifischer Arbeiten gelegt. Installationsbasierte, skulpturale, multimediale oder performative Im­plementierungen sind willkommen. Das kuratorische Team, das aus dem bb15-Vorstand besteht, arbeitet eng mit den Künstler*innen zusammen. In intensivem Austausch werden Arbeiten ausgewählt, Ausstellungskonzepte entwickelt und die Präsentation in den Ausstellungsräumlichkeiten umgesetzt.

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A time-ache

Teresa Cos at bb15: In November the artist Teresa Cos was a guest at bb15 as part of the Artist-in-Residence programme and presented her new project Tunnel Boring Machine. Beatrice Forchini writes about Teresa Cos and a work that moves between time and time ache.

As part of her practice artist Teresa Cos explores the potentialities of time-based media to undo linear temporalities and stratify the reading of the architectural, infrastructural and social spaces she investigates. In her work she holds together intimate dimensions and phenomena of global scale, public speeches and inner voices, personal memories and trans-historical reflections. Through the means of repetition, the loop, the index, the archive, diagrams and maps–used as semi-analytical and as poetic tools–her practice incorporates a drive towards exhaustion and dissipation as paradoxically productive forces. The dissipation of a sound repeated in a loop; the exhaustion of all the possible streets that lead to an end; the erratic mapping of physical and mental geographies – through these processes the work opens up new narrative potentialities.

Reflecting on exhaustion as a consequence of a constant pressure to perform, the author, theorist and critic Jan Verwoert speaks about the importance of latency in the work – as a potentiality that remains untold, unexpressed – and about ways of activating this latency and opening up new temporal dimensions in the work1. As a drive to defy the constraints of the current neoliberal temporal economy, the work that ‘incorporates the memory of its own process in this way constitutes its own parameters of time both in- and outside of itself. […] Through its immanent temporality such work is structurally at odds with any regimented notion of time. It interrupts the homogeneous pace of high performance culture through the immanent rhythm of expanded and compressed, delayed and accelerated time of the memory at work in the process of its making’2.

The practice of Teresa Cos negotiates the temporal conditions of the contexts in which it intervenes and that she attempts to reprogram, counter-influence and problematize. At bb15 in Linz Cos presents a multi-channel video installation, Tunnel Boring Machine (2019). The work is based on an ephemeral video-performance intervention, halfway between the improvised and the loosely choreographed. Tunnel Boring Machine is a piece that takes place aboard two trains. It consists of a repeated action that becomes part and parcel of the artist’s return trip from Brussels to London on the weekend of the last European elections. The piece stems from Cos’s experience of the commute between the cities where she lives. In both journeys Cos walks the entire length of the train during the train’s passage under the Euro Tunnel.

She walks end to end and back, holding an action camera fixed to her chest, and filming each path as a single shot in both directions. She walks through the cold-lit aisles of the carriages, the doors and the functional spaces of the restaurant area, the first and the second class; she registers passengers’ faces, their gestures, the screens of their phones and laptops, and a whole index of banal activities that come out of boredom or chance. The passengers turn into unaware spectators and participants of a non-declared performance. During the peripatetic intervention each micro-scene that unfolds at her passage is captured twice with a delay–the time required in order to walk back to the same spot again, in the opposite direction. Sound is recorded with a contact microphone applied to the window of her seat, and then modulated according to the geological cross-section of the tunnel, with its peaks and its lowest points. The recording is disturbed by the interferences of the mobile phones, signaling an overload of communications and interactions.

Tunnel Boring Machine revolves around a meticulous calculation of the different temporalities at play in the situation and serves to write the almost imperceptible score of the piece: the ‘Tunnel-time’ or ‘underwater-time’; the pace of the artist’s walk; the time that materializes in the gestures of the passengers; the gap between the first and the second passage of the camera on the same spot; the reduced speed of the video; the reverse motion; the time of two different time-zones that the train crosses. Through its apparently linear and naked visual language, Tunnel Boring Machine thickens and makes palpable the almost numb and alienated atmosphere in which the train’s passengers are all immersed. The train as a non-place, a place of anonymity and monotony, feels like an environment with a diffuse sense of fatigue and passivity, or boredom, an index of symptoms of a widespread time-ache3.

The flipped image of this sense of numbness and fatigue is to be found in the work Eight Chapters in Four Movements (2015), a durational video-performance where the viewer is confronted with the flow of the crowd crossing London Bridge during the morning rush hour. In this work Cos becomes a disruptive character in the crowd, altering its normalized routine and apathetic sameness. The action starts as a mimetic immersion in the crowd and climaxes to the point that the artist’s walk becomes an element of disturbance, a body that obstructs the regular pace of the people. Here the feeling of fatigue reappears in the myriad of gestures and tics of an everyday scene that Cos investigates through the words of Lefebvre’s Rhythmanalysis. The text, fragmented, dissected and made into an index of key-terms, is used for a spoken-word performance, recited in sync with the images in motion and tuned-in with the steps of the walking mass.

The individual symptoms of exhaustion in this economy of time are used vis-à-vis the symptoms of a general collapse happening on a bigger scale, symptoms that become visible in different locales, channels, interstices and structures of our living. In generating this confrontation – this feedback loop between the micro and the macro scale – Teresa Cos’s work embraces the potential of exhaustion as a way of imagining new possibilities of coping with the chronopolitical dimension of the worlds that she inhabits, observes and constructs.

Hosted by bb15

Since 2009, bb15 has organized a professional exhibition program of over 120 public events to date. Exhibitions, performances, and screenings take place every month in around 100m2 of exhibition space. Alongside these activities, the premises are used by the bb15 members as a studio and production site. International co-operations with similar institutions as well as an annual open call play a central role. As a working and usage concept, we strive for the idea of an ‘artist-run space’ in the broadest sense, positioning ourselves within a network of similar institutions at home and abroad.

bb15 tries to be a space of opportunity for local and especially international artists and therefore also offers residencies. The role of the invited artists consists not only in the production of art but also in the active reflection of the artistic positioning of bb15, which focuses on independent and experimental approaches in the field of sound art and the creation of new site-specific works. Installation-based, sculptural, multimedia or performative implementations are welcome. The curatorial team of bb15 works closely with the artists. In an intensive exchange, works are selected, exhibition concepts developed and the presentations implemented in the exhibition spaces.

The artist Teresa Cos was a guest at bb15 in November 2019 as part of the Artist in Residence program and presented her new project Tunnel Boring Machine.

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1 Jan Verwoert, Exhaustion & Exuberance. Ways to Defy the Pressure to Perform, 2008, in Facing Value, Lauwaert, Van Westrenen, Valiz / Stroom, Den Haag, 2016, p. 143-164

2 Ibid., p. 151

3 Sven Lütticken, Autonomous Symptoms in a Collapsing Economy of Time, in Keine Zeit/Busy, 21er Haus, Vienna, eds. Husselin-Arco, Agnes and Steinbrügge, Bettina, Verlag der Buchhandlung Walther König, Cologne, 2012

Stay in bed, bitch!

Müde Zeiten. Zeiten der Verwirrung. Zeiten des Aufbruchs und Übergangs. Zeiten, in denen die Wunderbaren in meiner Umgebung aus Über­zeugung (und der Müdigkeit zum eleganten Trotz) betont aufrecht gehen. Müde aber sind wir doch und alle wissen: es ist zu heiß, zu verrückt, zu unlogisch hier und wir können im Grunde gar nichts (mehr) tun. Die Radikalen haben die Welt seit Jahrzehnten fest im Griff und täuschen Normalität vor. Genug Idioten, die seit Jahrzehnten darauf hereinfallen und sich die Welt schönkaufen. Natürlich alles bio, re-usable, Fair Trade oder wenigstens geschickt greenwashed. Ich mein – würde dieser Schauspieler, der in Filmen wie Syriana spielt, sonst für ein Produkt Werbung machen, das ökologisch und politisch völlig unverträglich ist? Na, sehen Sie.

Normalität ist die wahre Brutalität ist die wahre Radikalität und daran leidet die Welt. Noch bevor manche wissen, wie man Postkolonialismus buchstabiert, setzt schon der Neokolonialismus ein – in Form von Müllbergen aus Plastik und Aluminiumkaffeekapseln, der First-World-Dreck, der sich an den Stränden ehemaliger, doch so preiswerter Urlaubsparadiese breitmacht. Die Meere aber vergessen nichts. Was ins Meer geht, kommt zurück und durchdringt unsere Körper – ob als Nahrung, als Regen, als Erinnerung oder als Geister, die uns jagen. Hoffentlich. Denn was wären wir noch, was würde uns Europäer*innen künftig ausmachen, würden selbst die Seelen jener Menschen auf uns vergessen, die wir im Stich gelassen haben – in den Meeren vor unseren Lieblingsstränden. Sie definieren uns ab nun und werden von jenem Europa berichten, das nicht eingegriffen hat, das keine Kriege verhindert hat, das aus Menschenrechten eine Survival-of-the-Fittest-Show gemacht hat. Eine Erzählung, die nicht mehr schöngekauft werden kann. Ein Europa, das die Chuzpe hat, sich gleichzeitig über die Gefahren des Islamismus zu echauffieren und nichts unternimmt, um zu verhindern, dass kurdische Soldatinnen in Syrien oder gegen den compulsory Hidjab demonstrierende Frauen im Iran ermordet, vergewaltigt oder zu jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt werden; ein Europa, das sich verängstigt zeigt gegenüber jungen geflüchteten Männern; das gleichzeitig aber nichts unternimmt, um Frauen und Kinder aus Flüchtlingslagern zu retten. Ein solches Europa sollte ohnehin das Recht verlieren, von Humanismus und Aufklärung als identitätsbildend zu sprechen. Von Normalität ganz zu schweigen. Hieran ist nichts normal. Normal wäre das Gegenteil, aber das wird als radikal beschrieben. Und so – wie man dem Schauspieler abnimmt, dass an Nespresso-Kapseln alles völlig normal sei – ich mein, der Mann ist schließlich mit der Menschenrechtsjuristin Amal Clooney verheiratet – hat sich das Narrativ der guten Normalität vs. die böse Radikalität in all unsere Geschichten eingeschlichen. Und bleibt unwidersprochen.

Eine Erzählung, in der schon lange nichts mehr gut ausgeht, sondern alles nur noch mit Happy End versehen wird. Ein Happy End, das nichts macht, außer Sehnsucht auszulösen nach dem, was man nicht ist und nicht hat. Das sich darin ergeht, die Unnormalen, Nicht-Dazugehörigen, Zornigen, Empfindsamen, Mehrdeutigen … in Zustände der Sehnsucht zu versetzen nach dem Angepassten, Eindeutigen, Konsumierbaren, Her­zeigbaren. Die braven Asylwerber, die fleißigen, gut ausgebildeten Migrant*innen, die zufriedenen, dankbaren Frauen, die unsichtbaren Behinderten, die weit weg verräumten Alten. Alle sollen sich einpassen und anpassen können und wollen, und wer das nicht schafft, aber zumindest viele ist, dessen Andersartigkeit wird kurzerhand zum Hype, ihre Träger*innen zur kaufkräftigen Zielgruppe oder zur Gruppe der willigen Billiglohnarbeiter & Lehrlinge. Ein jeder, ei­ne jede hier ist in dieser Erzählung von Nutzen, kann entweder kaufen oder gekauft werden oder sich wenigstens danach sehnen, eines von beiden zu sein und zu wollen. Treten Sie unbesorgt näher, im Kapitalismus ist für alle Platz! Wo sind die Märchen und die Erzählungen, die kein Happy End hatten, aber voller Figuren waren, die anders, unbrauchbar, stark und selbstbewusst waren? An deren Ende niemand happy war, weil es nie darum ging. Und niemals war da jemand eindeutig Heldin/Held oder Schurkin/Schurke. Deren Ende uns verwirrt zurück ließ und nachdenklich – aber eben: nachdenklich. Kleine Hoffnungsschimmer ausgenommen, haben wir uns alle ziemlich einlullen lassen. Selbst dieses bewusste Aufrechtgehen bei gleichzeitig unpackbarer Müdigkeit ist Teil dieser normierenden Erzählung der toughen Frau, die sich eh wehren kann, die eh so lange bis wirklich gar nichts mehr geht, durchhält.

Wir kommen alle ein bisschen lausig und als Feministinnen noch viel zu wenig radikal weg in dieser Geschichte, die mehr auslässt als sie erzählt. Was neugierig macht und möglicherweise Lücken ließe, um einzugreifen – aber ernsthaft – sollen wir dafür auch noch Kraft aufbringen müssen? Vielleicht sollten wir alle doch eher einmal unbrauchbar, unproduktiv, unbezifferbar werden, in einem Sinn, der sich nicht einmal mehr als Streik bezeichnen lässt. Wie das genau aussehen könnte – keine Ahnung, aber: lasst mal eine Weile alles liegen. You better stay in bed, bitch!