Schöne Illu, aber die Beinhaare müssen weg!

Soziales Design als illustrierter Aktivismus: Silke Müllers ausdrucksstarke Plakate verschönern die graue Fadesse von Linz – speziell die alljährlichen zu Feminismus & Krawall. Rollenklischees haben ausgedient, ebenso Beschränkungen im Stil. Christian Wellmann versucht dem Namen Silke Müller ein Bild in Worten zu geben.

Auf keinen einheitlichen Stil festgelegt, illustriert Silke Müller am liebsten zu gesellschaftspolitischen Themen, Frauenrechten und Ökologie. Sozial engagiert und mit Charme. Bevorzugt werden äußerst lebendige Menschen (starke Frauen!), Pflanzen und Tiere entworfen – für Poster, Zeitungen und Magazine (Augustin, Das Magazin/Berlin, Datum etc.). Vieles mit Ausziehtusche und Pinsel, in dicken, schwarzen Konturen, manchmal auch digital – die Arbeitsweise ist einem stetigen Wandel unterzogen. Zudem Arbeiten u. a. für die Stadt Linz, Time’s Up, Nordico, Kulturquartier OÖ, pro mente – sowie Ausstellungen, wie zur Frankfurter Buchmesse (100 Frauen, 2018, das Buch erschien bei Jacoby & Stuart) oder Artist-in-Residence-Aufenthalte (Klaipeda/Litauen). Wer in Linz (und anderswo) auf Plakate achtet, auch diesen Menschenschlag soll es noch geben, sollte die Augen bereits des Öfteren auf ihren wirkungsvollen Sujets ausgerastet haben.
Homebase ist das Atelier im HolzHaus, in der namensspendenden Holzstraße in Linz. Diese Ateliergemeinschaft, mit sechs geteilten Ateliers und derzeit 11 KünstlerInnen, nimmt dort ein ganzes Stockwerk ein. Im Hof werden Mülltonnen des gegenüberliegenden Schlachthofs ausgespült, aber wo Elend, da auch Jauchzen im HolzHaus: Zwetschgen können direkt vom Küchenfenster gepflückt werden. Der Offspace ist zugleich Kulturverein, mit einem Projektraum, offen für externe Ausstellungen oder Konzerte. Neben Epileptic Media waren dort in letzter Zeit Ausstellungen von Franziska Wiener oder eine Präsentation von sechs Skizzenbüchern (An einem Sommer im August), an der die HolzHaus-Obfrau Müller beteiligt war, zu sehen. Aktuell gibt’s die Dezember-Ausstellung – Hey, schau vorbei! – Infos siehe unten. Sie genießt es, in so einem Haus ihren Zeichentisch zu beackern, wo ein Einverständnis von Menschen vorhanden ist, die sagen: „Ich will von dem leben, was ich mir ausdenken kann.“ Das Atelier teilt sie sich mit der Kostüm- und Bühnenbildnerin Leonie Reese. Mit ihr pflegt sie das Trash-„Fetisch“-Hobby „Elsa im Holzhaus“: Bei geschenkten Möbeln war u. a. ein Holzschaukelpferd dabei, die Elsa – daraus begann ein Sammeln von Pferdedeko, eher Kitschpferdesachen vom Flohmarkt (check Tumblr-Seite, s. u.).

Von der Ostsee in die Donau
Müller kommt von Rügen, der Ostseeinsel, einem Dorf mit 29 EinwohnerInnen, und beschreibt ihre ersten Schritte dort wie folgt: „Ich habe großes Glück gehabt, unsere Nachbarin war Grafikerin, die hat viel Tiefdruck und Radierungen gemacht. Bei ihr durfte ich zwei Tage die Woche sein, statt im Kindergarten. Ich hab ganz viel von ihr gelernt, da hab ich quasi angefangen zu zeichnen. Die hat vorgelebt, dass man vom Zeichnen leben kann.“ Sie hat dann Mediengestalterin in einer kleinen Agentur auf Rügen gelernt, die Tourismuswerbung gemacht hat und sie auch illustrieren ließ, danach folgte ein Kommunikationsdesign-Studium in Wismar. „Ende des Sommers 2009 bin ich nach Linz, alles war toll, wie das Gelbe Haus, die vielen Ausstellungen. Irgendwie alles so charmant und schön, ich bin dann relativ schnell beim Strom gelandet, und dann dachte ich, hier kann ich auch wohnen.“ Über ein EU-Projekt, Leonardo, kam sie zu Radio FRO. Auch jetzt macht sie noch Sendungen, selten und meistens mit Petra Moser, wie 2019 für das Ottensheim-Festival. „Anfangs hab ich für den Kultur- und Bildungskanal Beiträge gemacht, viele Porträts, dann auch Grafik, Plakate. So bin ich auch in der Stadtwerkstatt bekannt geworden: ‚Ah, die kann ja auch ein Plakat machen‘ …“

Illustrierter Aktivismus
Etwas, mit dem ihre Arbeit gut beschrieben werden kann, ist Social Design, das Gestalten für NGOs oder politische Anliegen, nun ein neuer Studienlehrgang an der Angewandten Wien. „Ich habe bei FRO gemerkt, es liegt mir selber am Herzen, dass Illustrationen einen sozialpolitischen Antrieb haben können und es nutzt, ein Anliegen zu vertreten. Bei mir ist das ein großer Motivator, wie ich mitbeeinflussen kann, wie Menschen auf etwas blicken. Wie sind Frauen abgebildet, wie werden Familien dargestellt. Es ist wichtig, Sachen anders abzubilden, jenseits von Rollenklischees. Körperformen in der Bandbreite, wie es uns gibt, darzustellen. Ich find es ganz schlimm, wenn Illustrationen Frauenbilder immer reproduzieren, wie im Großteil der Frauenzeitschriften. Wie Erwartungen an Frauen aussehen, ob Frauen kurze oder lange Haare haben, Beinhaare oder nicht. Das ist ein Klassiker, dass die KundInnen sagen: „Schöne Illu, aber die Beinhaare müssen weg!“ Das kann auch von Menschen kommen, von denen man das nicht erwartet … dieses in konservativen Bildvorstellungen festhängen.“ Als Illustratorin kann sie das mitbestimmen. Dies zu nutzen, ist ihr ausgesprochen wichtig. Sie arbeitet für niemanden, wo sie nicht mitträgt, was diejenigen machen.

Der Kampf geht weiter!
Den Frauentag hat Müller in Linz als großes Lerngeschenk erfahren: „Ich bin in der DDR sozialisiert, da war Frauentag, dass Frauen eine Blume bekommen. Es hieß: wir feiern die Frauen, weil sie genauso starke und ‚nützliche‘ ArbeiterInnen sind, wie alle anderen Personen auch. Beim Mauerfall war ich noch Jungpionierin, bevor ich das rote Halstuch bekommen hätte, fiel die Mauer. Ich bin dankbar, dass es keine Mauer mehr gibt, und ich nicht in diesem System aufwachsen und in diesem Gehorsam mein Leben verbringen musste. In Linz habe ich auch kennengelernt: das ist auch ein Frauenkampftag, wo man sichtbar macht, dass ein Kampf für Frauenrechte stattgefunden hat und immer noch stattfindet. Ich habe Feminismus & Krawall jetzt seit sieben Jahren begleitet, und die Plakate dafür gemacht. Ich will Plakate gestalten, wo es nicht um einen lieben Feiertag geht, sondern darum, sich für etwas stark zu machen. Und es darum geht, starke Frauen abzubilden oder ein politisches Plakat zu machen … Wo klar wird: das ist ein gesellschaftspolitisches Anliegen, wir machen jetzt nicht nur ein Konzert und eine Party. Für mich war es ein totales Geschenk, die machen zu dürfen.“

Nein zum Ein-Stil
Ihre Vorlieben sind zwei-, dreifarbige Arbeiten – bunt sind sie nie. Eine dunkle Kontur ist fast immer da, ganz selten nicht. Es gibt drei, vier unterschiedliche Arbeitsweisen, die sich immer wiederholen, aber auch zum Nachteil für Kommerzialität geraten können. „Bei Illustrationen sagt man oft: wegen ihrem Stil gebucht, deswegen versuchen die meisten Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, dass die Illustrationen immer gleich aussehen. Mich langweilt das.“ Zurzeit macht es ihr auch unheimlich viel Spaß mit dem Grafiktablett zu zeichnen. „Sowas wie die Zufälligkeit von Wasserfarben lässt sich aber digital nicht generieren – oder der Dreck auf den Zeichnungen, wie vom Kohlepapier. Ich möchte mich nicht beschränken, daher habe ich so viele unterschiedliche Arbeitsweisen, die sich im Laufe der Zeit verändern.“
Mit dem Autor (und Vokalisten) Stephan Roiss reichte sie bei der Akademie Graz eine Arbeit für einen Graphic-Novel-Wettbewerb ein, die prämiert wurde. Es entstanden die zwei Zines Bergen und Hafen (Anm.: als Trilogie geplant. Lieber Stephan, falls du das hier zufällig lesen solltest: Vollende doch bitte!). Verpackt in szenische Lesungen, die von Manuel Stadler musikalisch begleitet wurden – dazu ließ sie die Webkamera hubschraubergleich über die gezeichneten Berge fliegen. Zu einer solchen Lesung kam Tim Boykett von Time’s Up, der sie danach einlud, auch mal für sie zu zeichnen. Daraus wuchs eine langjährige Zusammenarbeit, das erste Mal für Mind the Map, wo Müller ein Tagebuch zum Thema Migration illustrierte, das sich mit Praktiken der europäischen Asylpolitik, insbesondere mit den Flüchtlingsbewegungen im Mit­telmeer, auseinandersetzte.
Danach gestaltete sie bei der Turnton-Ausstellung im Lentos die Medusa Bar sowie kraftvolle einseitige Illus für das 20-Jahre-Jubiläumsbuch von Time’s Up (Lückenhaft & Kryptisch, 2018). Drei davon sind auch als Risoprints erhältlich – ein erster Test mit der (sehr individuellen und haptischen) Risotechnik.
Mit der deutschen Kinderbuchillustratorin Tine Schulz verbindet sie eine langjährige Freundschaft. Der Austausch hält an, sei es durch Projekte (wie die oben erwähnten Skizzenbücher), oder durch die unterschiedlichen Bereiche, in denen die beiden illustrieren. „Ihre Sachen sind lustig. Die meisten Sachen, die ich mache, sind überhaupt nicht lustig, vielleicht ganz selten. Ich arbeite für ganz viele Menschen, wo die Themen eigentlich nicht lustig sind“, so Müller. Auch Comics macht sie sehr gerne – oft nebenbei, von Beobachtungen.
Aktuell ist Silke Müller bei einer Ausstellung in Graz (Arm in Österreich) beteiligt, mit Zeichnungen für Katalog und Reader, sowie mit Figuren in der Ausstellung. Zum 20-Jahre-Stadtmuseum-Leonding-Jubiläum machte sie aus einer 2D-Zeichnung ein 3D-Objekt: den Turm gibt es ganz frisch als goldenen Pin – erhältlich im Stadtmuseum.
Jedes Jahr erscheint ein Wandkalender zu einem bestimmten Thema, wie 2018 über zivilcouragiertes Handeln. Nun gibt es ihn in einer Neuauflage, da er ihr so wichtig ist, dass sie ihn noch einmal machte. „Gerade bei sexuellen Belästigungen oder rassistischen Übergriffen, wenn man so etwas beobachtet oder wenn das einem selber passiert … Da weiß man oft überhaupt nicht, was man machen soll und ist so hilflos, und im Nachhinein fällt einem dann ein, was man hätte machen können. Der Kalender ist als Leitfaden zu sehen, wie man reagieren oder einschreiten kann. Oder der Kontakt zur Person, die angegriffen wird … dass man nicht mit dem Angreifenden spricht, sondern sich mit der Person solidarisiert, die belästigt wird. Auf die Monate verteilt, gibt es immer eine Illu, und dann ist beschrieben, wie man jetzt sprechen oder unterstützen kann.“ Zu bestellen ist der Kalender in ihrem Webshop oder direkt im HolzHaus abzuholen.

 

www.silkemueller.net
www.instagram.com/silke.mueller.illustration
elsa-im-holzhaus.tumblr.com
www.dasholzhaus.at
www.museum-joanneum.at/museum-fuer-geschichte/ausstellungen/ausstellungen/events/event/8774/arm-in-oesterreich-1

 

HolzHaus-Dezember-Ausstellung:
noch bis 11. Dezember 2019
Eine Ausstellung mit allen, die aktuell im Holzhaus arbeiten: Ahoo Maher, Julia Hinterberger, Yara Lettenbichler, Silke Müller, Leonie Reese, Franziska Wiener, Katharina Grafinger, Melanie Moser, Maxi Kumpf

Dem gesellschaftlichen Verkehr mit Künstlern entrückt

Die Referentin bringt seit mehreren Heften eine Serie von Porträts über frühe Anarchist_innen – und den Anarchismus als eine der ersten sozialen Bewegungen überhaupt. Andreas Gautsch schreibt in dieser Ausgabe über Agathe Löwe, die Grafikerin der Revolution!

Im letzten Porträt über Karl F. Kocmata wurden die Zeitschriften Ver! und Revolution! erwähnt. Eine der Künstler_innen, die dort laufend ihre Grafiken publizierten, war Agathe Löwe. Als Künstlerin vergessen, als Kunsthandwerkerin anonym geblieben und selbst in der anarchistischen Bewegung ist sie eine der vielen Unbekannten, obwohl sie anregende Spuren hinterlassen hat.

Agathe Löwes Grafiken in Ver! und in der Revolution!
Die erste Veröffentlichung von Agathe Löwe in der Zeitschrift Ver! ist eine Zeichnung vom Dichter Arno Holz und erscheint im August 1918. Zwei Monate später wird auf einer Doppelseite ein Linolschnitt abgedruckt, der das erdrückende Elend in der Großstadt thematisiert. Hinter einem großen Torbogen sitzt eine Frau neben einem weiteren Durchgang, eingehüllt am Boden. Als wären die vielen Türen und Wege, die auf dem Bild zu finden sind, nicht für sie gebaut. Der Schnitt zeigt die Situation vieler Menschen in Wien nach dem Krieg, geplagt von Hunger, Wohnungsnot und Krankheiten.
Agathe Löwe war eine der vielen jungen Künstler_innen die, wie der Herausgeber Karl Kocmata, der Schriftsteller Fritz Karpfen und der Maler Michael Zwölfboth, den Kreis der Freien Künstlervereinigung Ver! bildeten. Wie alle Zirkel hatten auch sie ihr Stammkaffeehaus, das Ringcafé am Stubenring 18. Sie waren jung, modern, radikal, expressionistisch und verkörperten die Zukunft ihrer Zeit. Sie verabscheuten Patriotismus und Nationalismus, Militarismus und Krieg.
In der von Kocmata im Feber 1919 gegründeten Revolution! erscheint nach dem Peter-Altenberg-Linolschnitt im Heft 3 eine Grafik voll revolutionärem Pathos – eine wehende schwarze Fahne vor einer weißen Sonne mit spitzen schwarzen Strahlen. Hier zieht die Freiheit in eine strahlende Zukunft. Veröffentlicht wurde das Bild im März 1919, in einer Zeit, als die Russische Revolution für viele noch eine Hoffnung war, und es an unzähligen Orten Europas brodelte und gärte. In Österreich versuchten verschiedene linke Gruppen wie die Rote Garde und die frisch gegründete Kommunistische Partei die Revolution voranzutreiben. Auf dem am 1. Mai 1919 erstmalig erscheinenden, von Ignaz Holz-Reyther herausgegebenen Blatt Anarchist findet sich unter dem Leitartikel Freiheit, die wir meinen. ebenfalls ein Linolschnitt von Löwe mit dem Titel Die mühselig und beladen sind. Zu sehen ist ein Heer an einem Kreuz schleppenden, gebückten, weißen Silhouetten.
Bis ins Jahr 1921 lassen sich Grafiken von Agathe Löwe in verschiedenen Publikationen der jungen Avantgarde finden: zum Beispiel in der anarchistischen Zeitschrift Freie Jugend von Ernst Friedrich, der mit seinem Buch Krieg dem Kriege und dem ersten Antikriegsmuseum internationale Bekanntheit erlangte, oder in Irma Singers jüdischem Märchenbuch Das verschlossene Buch, in dem Löwe vier Textbilder gestaltete. Auch einige Titelzeichnungen von Büchern aus dem Ver! Verlag, wie beim Literarische Verbrecher-Album von Fritz Karpfen und dem Gedichtband Einsamer Wald von Kocmata, stammen von ihr. Eine kurze Erwähnung findet sich auch in dem Artikel Die Unabhängigen über eine Ausstellung im Haus der jungen Künstlerschaft.
Doch wer war Agathe Löwe? Was ist über sie heute noch zu erfahren?

Was können wir über Agathe Löwe wissen?
Sie war die Tochter des jüdischen Lederfabrikanten Moritz Löwy und seiner Frau Regine und hatte vier Geschwister. Geboren wurde sie im August 1888 in Hinterbrühl bei Mödling, ab 1907/08 besuchte sie die Kunstschule für Frauen und Mädchen. Für Mädchen aus bürgerlichem Haus war dies kein ungewöhnlicher Werdegang. Die 1897 gegründete private Kunstschule war in diesen Kreisen beliebt, hatte sie doch das Ziel, „dem weiblichen Geschlechte, so weit es Begabung und Fleiss erweist, auch auf dem Gebiete künstlerischer Betätigung eine uneingeschränkte Entwicklung ermöglicht werden soll.“ (Plakolm-Forsthuber, 1994: 52) Um die Jahrhundertwende hatte sich die künstlerische Landschaft in Wien auf mehreren Ebenen zu verändern begonnen. Junge und moderne Künstler_innen wie Gustav Klimt und Josef Hoffmann etablierten sich mit der Sezession als neuen Kunstraum. Auch Frauen schafften es langsam und mit Beharrlichkeit, als Künstlerinnen wahrgenommen zu werden und vor allem ausstellen zu können. Voraussetzung dafür war die Mitgliedschaft in einer Künstlervereinigung, bis Ende des 19. Jahrhunderts war diese für Frauen nicht möglich. Im Jahr 1910 gründeten einige Künstlerinnen die Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs. Eine davon war Tina Blau, die auch an der Kunstschule unterrichtete.
Neben den emanzipatorischen Kämpfen der Künstlerinnen gab es auch eine ökonomische Entwicklung, die diesen Prozess unterstützte, jedoch unter anderen Vorzeichen. Um am Kunstmarkt konkurrenzfähig bleiben zu können, wurden in den Kunstwerkstätten ausgebildete, aber billige weibliche Arbeitskräfte benötigt.
Josef Hoffmann und seine Wiener Werkstätte (1903–1932) waren, sowohl was den Stil als auch die Vermarktung betrifft, Trendsetter. Hoffmann, der nicht nur an der Gründung der Sezession beteiligt war, sondern auch an der Kunstgewerbeschule unterrichtete, prägte den Kunstgeschmack des bürgerlichen Publikums einer ganzen Generation im Sinne einer klaren, stilvollen Formensprache und kunsthandwerklicher Perfektion. Im Gegensatz zur industriellen Massenproduktion sollten in überschaubaren Mengen edle Alltagsgegenstände, Möbel, Druckwerke und Stoffe hergestellt werden. Da in den Werkstätten überwiegend Frauen arbeiteten und auch neue künstlerische Impulse gaben, wurde diese von „Kritikern“ als „Weiberkunsthandwerk“ disqualifiziert.
Dieser Exkurs ist insofern wichtig, da sich Agathe Löwes Weg in diesen sozialen und ökonomischen Bedingungen wiederfinden lässt. Als Tochter einer jüdisch-bürgerlichen Familie besuchte sie die Kunstschule mit Unterbrechung bis 1916. Mit Kriegsende wirkte sie im Kreis der revolutionären Künstlervereinigung Ver!, machte ihre Grafiken für anarchistische Zeitschriften, agierte ab 1918 unter dem Künstlernamen Löwe. Selbst im Telefonbuch ist sie Anfang der 20er Jahre unter diesem Namen eingetragen. Im Oktober 1923 trat sie aus der israelitischen Kultusgemeinde aus, 1925 begann sie ein Studium an der Kunstgewerbeschule, in der Emailklasse von Josef Hoffmann. Sie schloss 1930 ihr Studium ab.
Ob sie jemals für die Wiener Werkstätte gearbeitet hat, ist nicht bekannt. In der einschlägigen Literatur wird ihr Name nicht erwähnt. Vielleicht hat sie ihr zugearbeitet oder ist für andere Kunstwerkstätten tätig gewesen. In den 20er Jahren ging es mit dem Kunsthandwerk schließlich bergab. Die Wirtschaftskrise ließ auch diesen Markt schrumpfen. 1932, im Jahr, als die Wiener Werkstätte Konkurs anmeldete, heiratete Agathe Löwe den Taxiunternehmer Ernst Schmied.

Zwei Briefe von 1949
Alle folgenden Informationen stammen aus zwei längere Briefen von Agathe Schmied, vormals Löwe, an den Bildhauer Gustav Ambrosi aus dem Jahr 1949. Den ersten hat Ambrosi, zu dieser Zeit bereits ein angesehener und hochdekorierter Künstler, beantwortet, den zweiten nicht mehr.
Die Anrede ist mit „Herr Professor“ zwar recht förmlich, der Tonfall entspricht jedoch mehr einer Plauderei. Im ersten Brief berichtet sie dem gehörlosen Ambrosi von den neuesten technischen Entwicklungen bei Hörapparaten, dass sie alles aus Zeitschriften erfahren habe und drückt ihr Bedauern darüber aus, dass der Maler Sturm Egger Skla, der seinerzeit seine Grafiken ebenfalls in der Ver! veröffentlicht hat, so früh verstorben sei. Sie erwähnt, dass er in der vergangenen Zeit immer nett zu ihr gewesen sei. Sie bedauert auch die Schäden, die die Bomben in Ambrosis Wiener Atelier angerichtet hatten. Weiters berichtet sie, dass sie sich nicht mehr der Malkunst widme, im Moment ihrem Mann beim Kolportieren von Zeitungen helfe und damit vollauf beschäftigt sei. Im Antwortschreiben geht Ambrosi auf die immensen Schäden an seinen Kunstwerken ein und meint, dass er sich nicht entmutigen lasse und sie wieder reparieren werde.
Im zweiten Brief beginnt Agathe Schmied wieder mit einer neuen technischen Erfindung, doch dann berichtet sie Folgendes: „Ich bin dem gesellschaftlichen Verkehr mit dem Künstlern völlig entrückt, seitdem ich heiratete, was für mich ein Glücksfall war“. Mit dem Glücksfall meint sie, dass sie die NS-Zeit in einer sogenannten Mischehe als Jüdin in Wien überleben konnte. Ihr Mann befreite sie „aus den Klauen der Gestapo, steckte ich schon damals im Sammellager drinnen, für die Deportierung bestimmt.“ Sie schreibt Ambrosi, dass ihre ganze Familie und Verwandtschaft in den Vernichtungslagern der Nazis umgekommen ist. Sie erzählt auch, auf welches Unverständnis sie bei Bekannten stößt, wie der Malerin Grete Wilhelm oder der Gattin ihres Malerlehrers Robert Philippi die nichts von den NS Verbrechen wissen wollten oder sie für Propaganda halten. In diesem Zusammenhang schreibt sie auch folgende Sätze: „Nur mein Mann bindet mich noch an Wien, sonst hätte mich nichts hier zurückgehalten. Die Zeit damals hatte tief ihre Spuren bei mir und auch bei meinem Mann geprägt.“

Zwei Briefe, ein dutzend Grafiken und die institutionell erfassten Daten, verstreut in Archiven und Bibliotheken, in Büchern, Zeitschriften und Datensätzen ist alles, was trotz intensiver Recherche zu Agathe Löwe (Schmied) zu finden ist. Es ist nicht viel, dennoch ist es ein kleines Universum, eines in Menschengröße. Ernst Schmied verstirbt 72jährig 1957 in Wien, Agathe neun Jahr später, beide wurden am Zentralfriedhof begraben. Die Gräber sind mittlerweile aufgelassen.
Der Kunstmarkt mit seinen Meistern und Stars ist ein reduktionistisches System, das fortlaufend ausschließt und Vergessenheit produziert. Vor allem Künstlerinnen sind davon betroffen. Ähnlich ergeht es der radikalen Arbeiter_innen- oder Alternativbewegung, die generell gern als Kuriosität betrachtet wird. Dass Agathe Löwe/ Schmied vergessen und in der Geschichte verschollen
ist, ist eine Konsequenz dessen.

 

Die Serie in der Referentin ist auf Anregung von Andreas Gautsch entstanden.

Literatur:
Sabine Plakolm-Forsthuber: Künstlerinnen in Österreich 1897–1938,
Malerei. Plastik. Architektur, Picus Verlag, 1994

Öffentlicher Raum

Neuentdeckung eines Linzer Urgesteins

Karl Wiesinger war eine prägende Gestalt der Linzer Kulturszene. Der 1991 in Linz verstorbene Schriftsteller gilt als einer der wichtigsten Repräsentanten der politisch engagierten Literatur in Oberösterreich. Durch seine kommunistische Haltung fühlte er sich vom Kulturbetrieb ignoriert. Schließlich narrte er diesen aber mit einem schillernden Husarenstück. Zurzeit erinnert eine Ausstellung im Linzer Stifterhaus an den vielseitigen Linzer Autor. Von Silvana Steinbacher.

Foto OÖ. Literaturarchiv/Adalbert-Stifter-Institut

Ein Mann steht in einem kleinen Boot und lächelt zufrieden in die Kamera, hinter ihm die Landschaft in einiger Entfernung. Ein Wochenendausflug mit Freunden, vermittelt mein flüchtiger Blick. Ich sehe mir ein Foto von Karl Wiesinger an, dem derzeit im Linzer Stifterhaus eine umfangreiche Ausstellung gewidmet ist.
Es dürfte kein leichte Arbeit gewesen sein, diese vielschichtige und facettenreiche Person in einer Schau zu bündeln, denke ich schon bald, als mir der Herausgeber der digitalen Edition der Tagebücher und Mitkurator der Schau Helmut Neun­d­linger von Karl Wiesinger erzählt.
Wiesinger, der politisch Kämpferische, der Journalist und Schriftsteller, der in Linz den verstaubten Kulturbetrieb der Nachkriegszeit prägte und die Linzer Literaturszene mit einem Pseudonym narrte, und schließlich der emsige Tagebuchschreiber, der in seinen Aufzeichnungen teils vernichtend über seine Zeitgenossinnen und -genossen, ja sogar seine engen Freunde herzog. Und wahrscheinlich gibt es noch so manch andere Seite an Karl Wiesinger zu entdecken.
Ich beginne mit einer Aktion rund um seinen „Bauernroman“ Weilling, Land und Leute. In einer Schaffenskrise erfindet Karl Wiesinger 1970 unter dem Pseudonym Max Maetz einen literarischen Bauern und lässt diesen ohne Interpunktionen und ohne Respekt vor sprachlichen Konventionen über sein Leben in Weilling erzählen. Weilling ist eine aus zwei Vierkanthöfen bestehende Siedlung in St. Florian. Die reale Verortung in diesem Buch wird Wiesinger noch zum Verhängnis werden und sogar Maetz’ „Tod“ bedeuten. Doch zunächst gelingt Karl Wiesinger genau das, worauf er abgezielt hat. Nachdem der mittlerweile 47-jährige Künstler bereits mehrere Niederlagen einstecken musste und seine Manuskripte von einigen Verlagen abgelehnt wurden, wird der Roman von der Düsseldorfer Eremiten Presse publiziert und durch neue Facetten ergänzt, und sein Max Maetz erregt mit diesem Buch bald Aufsehen. Wiesingers Coup des talentierten, wenig gebildeten Bauern, der mit Frische und unverbrauchtem Stil erzählt, schlägt also voll ein. Erst als sich Journalisten in Weilling auf die Suche nach Max Maetz begeben und dort natürlich nicht fündig werden, entscheidet sich der hinter der Kunstfigur verborgene Schriftsteller Wiesinger, sie kurzerhand sterben zu lassen und veröffentlicht sogar eine Sterbepate in einem lokalen Medium. Diese Aktion empfinden viele, die ohnehin über die Täuschung verärgert sind, als äußerst geschmacklos.
Warum ich dieses Ereignis hier an den Beginn setze? Es scheint mir charakteristisch für Wiesinger zu sein, soweit ich das, ohne ihn gekannt zu haben, überhaupt beurteilen kann.

Karl Wiesinger ist 1923 in Linz geboren und 1991 auch hier gestorben. Mit 19 Jahren betritt der politisch interessierte Mann die Bühne, die er bis zu seinem Tod nicht mehr verlassen soll. Auch unter dem Eindruck der Februarkämpfe 1934, die er als Kind erlebte, sympathisiert er mit den Kommunisten und wird einige Jahre später Mitglied der KPÖ. 1941 wird Wiesinger zur Wehrmacht eingezogen und begeht an der finnischen Front Sabotageakte, die bald entdeckt werden. Nach einem Freispruch ist er weiterhin im illegalen kommunistischen Widerstand. An seinem Lungensteckschuss aus dem Krieg leidet er bis zum Ende seines Lebens – bereits zwanzig Jahre vor seinem Tod klagte er über Atemnot – und an seinem Lungenleiden ist er letztlich auch gestorben.
Im Linz der Nachkriegszeit und in der späteren Aufbruchszeit in den 1960ern wird Wiesinger trotz seiner kommunistischen Haltung eine prägende Figur.
Unter anderem gründet er gemeinsam mit Ernst Ernsthoff und Paul Blaha das Linzer Kellertheater, das damals, im Gegensatz zum heutigen Programm, einen durchaus anspruchsvollen, experimentierfreudigen Spielplan präsentierte. Auch beim „Club der Todnahen“, dessen Performances an jene der Wiener Gruppe erinnern, hat er sich engagiert.
Ab 1960 lebt Wiesinger dann als freier Schriftsteller, der Verkauf seiner Dentistenpraxis und eine Invaliditätspension ermöglichen ihm diesen Schritt. Er schreibt Hörspiele, Romane und Theaterstücke und er ist ein intensiver Tagebuchschreiber. Und diese – somit schlage ich den Bogen zur Ausstellung im Linzer Stifterhaus – spielen eine nicht unwesentliche Rolle für die beiden Kuratoren, den Germanisten Helmut Neundlinger und den wissenschaftlichen Mitarbeiter des Adalbert-Stifter-Instituts Georg Hofer. Die Tagebücher, ursprünglich im Besitz von Wiesingers Ehefrau, wurden vor sieben Jahren von Wiesingers Nichte dem Institut übergeben. Seit zwei Jahren bearbeitet Neundlinger diese Aufzeichnungen. „Karl Wiesinger hat auch über seine Kontakte genauestens Buch geführt und sich über jeden abfällig geäußert. Ursprünglich wollte er ja seine Tagebücher veröffentlichen. Glücklicherweise nahm er davon wieder Abstand. Ich denke, sonst hätte niemand mehr mit ihm gesprochen. Wiesinger war ein Mann der Selbststilisierung, der zum Teil auch Facetten aus seiner Biografie literarisch überhöht hat. Als Zeitdokument eines hochpolitisierten Menschen im Spannungsfeld des Ost-West-Konfliktes ist das Tagebuch jedoch eine wertvolle Quelle“, stellt Helmut Neundlinger fest. Einiges aus Wiesingers Tagebüchern fließt auch in die Ausstellung Vorwärts, Genossen, es geht überall zurück. Karl Wiesinger (1923–1991) ein.
„Das Konzept der Schau ist eher reduziert gehalten, sie besteht aus zweiundzwanzig Stationen, beinhaltet Zitate und Dokumenten, die unter anderem auch aus dem KPÖ-Archiv stammen“, erzählt mir Georg Hofer.
In seinen literarischen Texten thematisiert er hauptsächlich die Zwischenkriegszeit über NS- Regime bis in die Nachkriegsära des Kalten Krieges. Und er benützt seine fiktiven Figuren hauptsächlich, um ihre Zerrissenheit in den Zeitläuften zu demonstrieren. So unter anderem in seinem erstmals 1967 publizierten Roman Achtunddreißig. Angesiedelt ist Achtunddreißig am Vorabend des Einmarsches deutscher Truppen. Besonders einprägsam empfand ich beim Lesen des Buches, wie der Autor hier die Diskrepanz zwischen der Unentschlossenheit des jüdischen Protagonisten und der kalten Zielorientiertheit der Nationalsozialisten darstellt. In ihrer Wankelmütigkeit vertraut die Hautfigur darauf, dass ein Leben unter den Nazis für ihn vorstellbar sein könnte. In einer klaren Sprache schreibt Wiesinger über seine Themen mit der Intention, eine bestimmte Botschaft zu transportieren. Drei seiner Romane, eben Achtunddreißig, Standrecht und Der rosarote Straßenterror, in denen Wiesinger prägnante Zäsuren der jüngeren Geschichte Österreichs, nämlich 1934, 1938 und 1950, thematisiert, sind vom Promedia Verlag 2011 neu aufgelegt worden. „Ich würde wohl am ehesten von einer Agit-Pop-Literatur sprechen“, stuft Helmut Neundlinger Wiesingers Stilistik ein. „Wiesinger verzichtet fast gänzlich auf psychologische Ansätze, auch bei seiner Figurenzeichnung fehlt teils die Tiefe.“ Auch der 1997 verstorbene Schriftsteller Franz Kain, mit dem Wiesinger eine lange gemeinsame, auch freundschaftliche Geschichte verband, vermerkte in einer Rezension durchaus auch kritische Punkte. In Bad Goisern sind beide zur Schule gegangen, bei der Neuen Zeit, der oberösterreichischen Ausgabe der Volksstimme, begegneten sie einander wieder. Kain wagte nun in einer Rezension von Wiesingers Drama Der Poet am Nil die „Wurzellosigkeit“ und „mangelnde weltanschauliche Eindeutigkeit“ zu kritisieren. Ich möchte kurz Wiesingers nicht wirklich freundliche Tagebucheintragungen, von denen niemand verschont wurde, in Erinnerung rufen und überlege mir für einen Augenblick, mit welch scharfer Pranke der Apodiktiker Wiesinger wohl auf diese Beurteilung seines Freundes reagiert haben könnte.
Gegen Ende betrachte ich noch einmal eingehend ein Foto. Es zeigt den Arbeiterschriftsteller, als ihm 1981 der „Berufstitel Professor“ verliehen wird. Fast ein wenig erstaunt sehe ich auf dem Foto einen seriösen Herrn im schwarzen Anzug und mit stolzer Miene, wie zumindest ich es interpretiere. Wie diese Anerkennung auf den Provokateur und Verächter alles Bürgerlichen gewirkt haben mag, wussten wohl nur wenige Freunde. Angenommen hat Wiesinger den Titel jedenfalls. Und noch einmal komme ich zum Beginn meines Textes zurück. Er bleibt vielschichtig und facettenreich: Wiesinger, der Rebell, der sich die Anerkennung der Gesellschaft, der er kritisch gegenüberstand, dennoch immer wieder wünschte.

 

„‚Vorwärts Genossen, es geht überall zurück‘. Karl Wiesinger (1923–1991)“
Linzer Stifterhaus
Bis 28. Mai 2020
Öffnungszeiten: täglich, außer Montag 10.00 bis 15.00 Uhr

neue begegnungen finden statt.

Zweifellos stellen Prosa und Lyrik der 1939 in Linz geborenen und heute in Thalheim bei Wels lebenden Schriftstellerin Waltraud Seidlhofer gleichermaßen maßgebliche wie notorisch unterschätzte Zeugnisse der österreichischen Literatur nach 1945 dar – meint Florian Huber über Waltraud Seidlhofer, die im Dezember in der Galerie Maerz liest.

in allen diesen begegnungen spielt der zufall eine wesentliche rolle. Foto Otto Saxinger

Obwohl Angehörige ei­ner jüngeren Autorinnengeneration wie Flo­rian Neuner (*1972), Ronald Pohl (*1965), Robert Pros­ser (*1983) oder Lisa Spalt (*1970) Seidlhofers Poesie stets Vorbildwirkung für ihre eigene Schreibpraxis attestierten, wartet ihr umfängliches, unter anderem mit dem Kulturpreis des Landes Ober­österreich für Literatur (1991), dem Heimrad-Bäcker-Preis (2008) und dem Georg-Trakl-Preis für Lyrik (2014) ausgezeichnetes Werk nach wie vor auf die Entdeckung durch das breite Lesepublikum. Viele Jahre ging die Autorin daher nach einem abgebrochenen Germanistik- und Anglistikstudium an der Universität Wien einer Bibliothekarstätigkeit in Linz und später in Wels nach, die ihr ein regelmäßiges Einkommen sicherte und vermutlich auch die Entstehung ihrer literarischen Texte begünstigte, in denen sie sich nicht nur als Kennerin der Klassiker der Literatur- und Wissenschaftsge­schich­te, sondern vor allem auch ihrer Zeit­ge­nossinnen erweist. Neben den Vertreterinnen einer avancierten Dicht- und Bildkunst aus dem Umfeld der Grazer und Wiener Gruppe und der Linzer Künstlervereinigung Maerz haben etwa surrealistische Schreibweisen und die französischen Schrift­steller des Nouveau Roman wie Alain Robbe-Grillet und Michel Butor im Werk von Seidlhofer vielfältige Spuren hinterlassen. Mit Letzteren verbindet sie ein starkes Interesse am Urbanismus, und mit diesen verbindet sie ebenso der Verzicht auf eine nacherzählbare Handlung und damit verbundene Identifikationsfiguren sowie der Gebrauch von formelhaften, gelegentlich bis zur gezielten Erschöpfung wiederholten Redewendungen und Sprechweisen in ihren Büchern. Ab Ende der 1950er-Jahre verfasste Seidlhofer erste eigene Gedichte, die 1971 schließlich in den vom Kulturamt der Stadt Linz veröffentlichten Band bestandsaufnahmen mündeten. Während das poetische Sprechen zu dieser Zeit bisweilen von den Empfindungen eines lyrischen Ich getragen scheint, kommt in den Folgepublikationen eine Distanznahme gegenüber einer ausschließlich am Prinzip der Einfühlung orientierten Dichtung zum Vor­schein, die noch in ihrer neuesten Veröffentlichung wie ein fliessen die stadt im Wiener Klever Verlag aus diesem Jahr bemerkbar ist.

Bereits der Titel ihres Prosadebüts fassa­den­texte, das 1976 die Reihe der Er­zähltexte der edition neue texte des Linzer Verlegers und Schriftstellers Heimrad Bäcker eröffnete, ist daher programmatisch zu verstehen. Anstatt mithilfe psychologischer Kunstgriffe hinter die Fassaden der die Literaturgeschichte bevölkernden Individuen und ihrer Triebschicksale zu blicken, widmete sich Seidlhofer den Zumutungen moderner Biografien an­hand einer Darstellung der sie um­ge­benden Außenwelten. Den Text durch­zie­hen Gespräche zwischen „ich“ und „p“, deren mangelnder Tiefsinn nicht länger durch Bedeutsamkeit verheißende Eigennamen kaschiert werden muss. Auch in späteren Texten der Autorin bleibt bis­wei­len unklar, wer in wessen Namen spricht und inwiefern dieses Sprechen Gültigkeit beanspruchen kann. Am Höhepunkt der neuen Innerlichkeit in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur der 1970er-Jah­re, wie sie etwa von Dichterinnen wie Peter Handke, Peter Schneider, Botho Strauß, Karin Struck oder Christa Wolf proklamiert wurde, formulieren die fassadentexte einen poetologischen Gegenent­­wurf, der die Beziehung zwischen den Dingen und ihren Bezeichnungen, zwischen Text und Welt zur Disposition stellt, wie bereits zu Beginn des Textes deutlich wird: „die stadt besteht fürs erste aus fassaden./jeder, der in einer stadt ankommt, wird sofort mit dieser konfrontiert./es gibt keine moeglichkeit, den fassaden zu entrinnen.“ Die Architektur spiegelt die En­ge der gesellschaftlichen Verhältnisse, de­ren ereignishafte Charakterisierung als „fürs erste“ unentrinnbare Realitäten an ihre geschichtliche Gewordenheit erinnert und dementsprechend ihre Überwindung nahelegt. Vielleicht mag man dabei auch an Ludwig Wittgenstein (1889–1953) denken, der in § 18 seiner posthum publizierten Philosophischen Untersuchungen notiert: „Unsere Sprache kann man ansehen als eine alte Stadt: Ein Gewinkel von Gässchen und Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten; und dies umgeben von einer Menge neuer Vororte mit geraden und regelmäßigen Straßen und mit einförmigen Häusern.“ Wie die Schriften des österreichischen Philosophen sind auch die Prosa und Lyrik von Waltraud Seidlhofer von der Frage nach den grundlegenden Elementen einer Sprache und der ihnen angemessenen Lebensform bestimmt. „so als stellten sie selbst sich in frage/treten woerter/aus den passagen/zie­hen sich/von den schemen zurueck“, heißt es dazu passend in einem ihrer Gedichte. Die Zurückdrängung des klassisch-poetischen Vokabulars, die weitgehende Abwesenheit allegorischer Bezüge weckt bei den Leserinnen die Lust an neuen Begriffen und ihnen korrespondierende Erfahrungen: „neue begegnungen finden statt./in allen diesen begegnungen spielt der zufall eine wesentliche rolle.“

Ob und wie sich aus dem Zufälligen der Wahrnehmung des Individuums eine konsistente Weltsicht schält, prägt dabei nicht nur den Inhalt, sondern auch die Form von Seidlhofers fassadentexten und ihres Schreibens insgesamt, wie der Dichter Christian Steinbacher über die 1986 ebenfalls in der edition neue texte erschienene Prosa geometrie einer landschaft bemerkt: „[D]er Entwurf selbst wird gleichsam zum Protagonisten jener fiktiven Räume, Landschaften, Geschehnisse, die von ei­nem scheinbar daran unbeteiligten Subjekt fixiert worden sind.“ Auf längere Passagen, die mit einem vergleichsweise ge­ringen begrifflichen Inventar große Anschaulichkeit erzielen und in ihrer Blockhaftigkeit die Konturen einer Stadt mit Gebäuden, Plätzen und Straßenzügen evo­zieren, folgen in den fassadentexten daher kürzere Textabschnitte, deren Gedichtförmigkeit den Lesefluss irritieren und dem Bedürfnis nach einem kontinuierlichen Fortgang der Geschehnisse eine souveräne Absage erteilen. Anstatt ihre Sicht vom „Lauf der Dinge“ (so der Untertitel einer Publikation aus dem Jahr 2012 im Klever Verlag) lediglich darzulegen, appelliert die Autorin an die Mündigkeit ihrer Leserinnen und Leser, denen sie dadurch zu einer kritischen Reflexion ihrer eigenen Sicht­wei­sen und Erkenntnisinteressen, also ei­nem rundum beglückenden Lektüreerlebnis, verhilft.

 

Waltraud Seidlhofer
Lesungsabend zum 80. Geburtstag der Dichterin
Künstlervereinigung MAERZ
16. Dezember 2019, 19.00 Uhr
maerz.at

Schlagwort Theatergerechtigkeit

„Stahlstadt.online“ war ein Online-Theaterprojekt, das schon im August und im September während der Ars gelaufen ist – als Alternate Reality Soap und als offline Escape-Room-Event. Das Projekt hatte aber vor allem auch eine praktische Stoßrichtung für junge Menschen mit Fluchterfahrung. Theresa Luise Gindlstrasser gibt einen Einblick in das Community-Projekt und spricht danach mit den beiden, die das neue Theaterformat entwickelt haben – mit Clara Gallistl und Philipp Ehmann.

Kommen und gehen – auch mal von der Stahl City in die Plus City. Foto Stahlstadt Online

Und dann ist schon wieder was passiert. Für eine Instagram-Story war die 19-jäh­rige Schülerin @sefdisefda gerade noch da­mit beschäftigt, von @luca.ned.lucas zu schwärmen (der aber mit @notyourjuliett zusammen ist), als im nächsten Bild die Farben verschwimmen und Photoshop ein weißes Loch in die Aufnahme reißt. Auch @amirmstahl erging es ähnlich: Endlich Arbeit gefunden als Verkäufer in einem Kleidungsgeschäft, verzweifelt der 21-jährige Afghane am oberösterreichischen Idiom eines Kunden und beendet seine Insta-Story mit einem Foto vom weißen Loch. Seither war er verschwunden. Das Profil von @linzliebe suggeriert, dass solche „Portale“ auch in Wien gesichtet wurden.

Von 26. August bis 6. September war die Alternate Reality Soap „Stahlstadt.online“ öffentlich zu verfolgen. Das Theaterprojekt passierte online über Instagram und Youtube, am 5. und 6. September kam es im Rahmen des Ars Electronica Festivals in der PostCity Linz zu einem offline Escape-Room-Event. Egal ob digital oder analog, Hauptsache: Interaktion. Die „Theatervorgänge“ schreiben sich über die sozialen Medien in die Instagram-Realität der Abonnentinnen und Abonnenten ein. Auf die Kommentare, fertig, los! Was hat es mit den weißen Löchern auf sich? Solch Niederschwelligkeit ermög­licht das Erleben von Theater ohne Ticket-Kauf, Stillsitzen oder Lektüreschlüssel.

Für „Stahlstadt.online“ haben die Expertin für Community-Building Clara Gallistl und der auf immersives Theater und Urban Gaming spezialisierte Regisseur Philipp Ehmann mit einer Gruppe von 25 Jugendlichen, mehrheitlich mit eigener Fluchterfahrung, zusammengearbeitet. Die Story des Vorhabens wurde in monatlichen Workshops gemeinsam erarbeitet. Außerdem beteiligt sind zwei professionelle Schauspielende.

Vor dem Verschwinden von Amir und Sefda, also vor Beginn des eigentlichen Krimi-Plots, waren Alba, Aimée-Valerie, Matti und Alex (die Personen hinter diesen Pseudonymen betreuen gemeinsam das über den Projektzeitraum hinaus weiterhin auf Instagram bestehende @linzliebe) hauptsächlich mit Konzertmit­schnitten und Momentaufnahmen der schönen Stahlstadt beschäftigt. Im Vor­dergrund stehen aber Videos, die sich mit den Themen Wohnungssuche und Sprach­erwerb oder der Frage, wie und wo junge Leute in Oberösterreich sich freiwillig engagieren können, auseinandersetzen. Aimée-Valerie gibt Tipps für den Umgang mit Angst und Alex unterstützt Amir bei der Suche nach Arbeit.

Das Theaterprojekt „Stahlstadt.online“ hatte insofern vor allem eine praktische Stoßrichtung: Junge Geflüchtete sollen mit Informationen versorgt werden, die für ein selbstständiges Leben in Ober­öster­reich notwendig sind. Auf der Internetbühne verschwimmen nicht nur „real“ und „fiktional“ oder „Agierende“ und „Pu­bli­kum“, sondern auch „Unterhaltung“ und „Informationsweitergabe“. Publi­kums­seg­men­ten, die sich im klassischen Theater nicht repräsentiert fühlen, soll ein Zu­gang ermöglicht werden. Sich wie­derzufinden in den Geschichten, die Theaterkunst über das Leben erzählt, ist ein wichtiger Schritt gegen die Isolation und für die Teilhabe an Gesellschaft und Kultur.

Clara, du hast 2017 bei dem in der Tribüne Linz aufgeführten Community-Theaterprojekt „Perspektiven des Alltags. Neues Oberösterreich“ mitgearbeitet. Wie kam es in Folge zu „Stahlstadt.online“?
Clara Gallistl: Bei einem Treffen mit Landesrat Rudi Anschober haben wir über eine damals neu durchgeführte Studie über die Darstellung von jungen Geflüchteten in oberösterreichischen Medien gesprochen. Die Landesintegrationsstelle versucht über ihre Homepage, über Flyer und Folder Informationen weiterzugeben – über Deutschkurse, Wohnung, Geld, Freizeit. Es ist fraglich, ob diese Medien die Jugendlichen wirklich erreichen. Aber: Jugendliche, egal woher sie kommen, haben ein Smartphone, sind auf Youtube, Instagram und benutzen WhatsApp. Basierend auf diesem Gedanken habe ich ein erstes Konzept entwickelt und bin daraufhin mit Philipp Ehmann in die Planungsphase gegangen. Wir kennen uns schon sehr lange und haben ähnliche Vorstellungen davon, wie wir Theater machen wollen.

Wie wollt ihr denn Theater machen?
Philipp Ehmann: Wir treffen uns in den Geschichten, die wir erzählen wollen. Wir wollen nicht: Geschichten von weißen Männern auf der Bühne für weiße Männer im Publikum erzählen. Sondern eine komplexe, diverse Gesellschaft abbilden, nämlich so, wie unsere Gesellschaft einfach auch ist, wir sind nicht alle cis, wir sind nicht alle weiß, wir sind nicht alle Mann. Wer wird im Theater wie repräsentiert? Es geht auch darum wahrzunehmen, dass Jugendliche Individuen sind. Teilweise in der Pubertät, teilweise nicht, und es geht darum wahrzunehmen, dass die Menschen, mit denen wir arbeiten, verschiedene Bedürfnisse haben.
CG: Mein Schlagwort ist: Theatergerechtigkeit. Ein transparenter Umgang mit den Ressourcen, ein fairer Umgang mit den Beteiligten, sei es in Bezug auf Honorare oder die Weitervermittlung von Kontakten, das Ermöglichen von Vernetzung, das Verfassen von Referenz-Schreiben, dass alle gesund und gut arbeiten können, die Möglichkeit zur Reflexion auf den Prozess, dass alle mit einem positiven Gefühl rausgehen und das Projekt gut abschließen können – das ist für uns wichtig. Dabei muss aber niemand der Teilnehmenden die gesamte Komplexität des Projektes verstehen – woher das Geld kommt, wie viel Arbeit dahintersteckt, wie sich der Raum oder die Gruppe ergeben. Das ist die Aufgabe von uns, als Organisations-Team. Außerdem: Neue Touchpoints zu schaffen, die nicht das Leporello oder die Hand von der Mama sind.
PhE: Es gilt, Arten des Erzählens zu finden, die sich an Menschen wenden, die normalerweise nicht ins Theater gehen. Es gilt herauszufinden, wie wir Geschichten mit Geflüchteten erzählen können und nicht nur über sie.

Wie ging es mit der Entwicklung von „Stahlstadt.online“ weiter?
PhE: Leider hingen wir, was die Förderung betraf, in monatelanger Unklarheit und mussten im Endeffekt das Projekt verschieben. Anstatt wie geplant bei der Ars 2018 herauszukommen, waren wir dort nur mit einem Info-Stand vertreten und konnten „Stahlstadt.online“ erst 2019 umsetzen.
CG: Vor Beginn des Projekts habe ich eine Community-Building-Strategie entwickelt, aber wegen der ungewissen Verzögerung konnte diese nie von A bis Z umgesetzt werden. Zum Beispiel war es nicht möglich, mit einem gemeinsamen Kick-Off-Event zu starten, bei dem sich eine teilnehmende Gruppe hätte konstituieren können. Teilweise waren die Teilnehmenden schon klar, aber uns war noch nicht klar, ob das Projekt überhaupt in dieser Größenordnung würde stattfinden können.

Wie sah diese Community-Building-Strategie aus?
CG: Es gab drei Ziele. Erstens: Eine Gemeinschaft aufbauen. Damit diese Jugendlichen nicht mehr vereinzelt in ihren Lebenssituationen abhängen, sondern auf eine Community zurückgreifen können. Allen Teilnehmenden wurde eine Dokumenten-Mappe zur Verfügung gestellt, mit Fotos und Protokollen, für Bewerbungsgespräche oder Termine bei Gericht bezüglich Asylverfahren. Zweitens: Aufbau einer medialen Plattform, wo die Jugendlichen Peer to Peer die für sie relevanten Inhalte vermitteln können. Die Seite von @linzliebe wird insofern weitergeführt. Drittens: Abbau der negativen Vorurteile gegenüber geflüchteten Jugendlichen in der oberösterreichischen Gesamtgesellschaft. Leider konnte unsere großangelegte Werbekampagne für @linzliebe mit ober­österreichischen Stars und VIPs aufgrund der unklaren Fördersituation nicht umgesetzt werden.
PhE: Es geht immer um Kommunikationsprozesse. Mit Jugendlichen, die oft von vielen Emotionen und Eingebungen bestimmt werden, so zu kommunizieren, dass Informationen auch wirklich ankommen – das ist ein Prozess.
CG: Ich nenne es: Pubertät plus. Weil die Jugendlichen teilweise traumatisierende Erfahrungen gemacht haben, teilweise in Asylverfahren sind und damit also nicht abschließen können. Die werden oft hin und her gerissen und verstehen es selber nicht genau. Es ist ein Privileg, dass wir hier sitzen und über das Projekt reden können, dass wir die emotionalen, zeitlichen, finanziellen Kompetenzen haben, dass wir hier entspannt sitzen können.
PhE: Bei „Stahlstadt.online“ konnten die Jugendlichen kommen und gehen – wir wollten ein Angebot sein, aber wir wollten auch darauf reagieren können, falls es jemandem nicht gut geht. Es braucht soziale und emotionale Intelligenz um abzuklären, wann es notwendig ist, streng zu sein und auf Abmachungen zu beharren, wann es aber wichtiger ist, Freiheiten zu geben und da zu sein, wenn jemand etwas braucht.

Ihr habt euch für ein Online-Theaterprojekts entschieden. Warum?
PhE: Es ist schon ein sehr komplexes Projekt. Wir haben uns gefragt: Wäre es sinnvoller gewesen, einfach einen Text zu inszenieren, also einfach ein Theaterstück auszuwählen und dieses dann gemeinsam zu erarbeiten? In den gemeinsamen Textwerkstätten ist zutage getreten, wie verschieden das Vorwissen über Theater, über kreatives Arbeiten ist. Oder: Deutsch­kenntnisse.
CG: Hätten wir an der Inszenierung eines vorgegebenen Textes gearbeitet, wäre Anwesenheit der Beteiligten notwendig gewesen. Wiederholbarkeit bedeutet Stress. Für die Einzelnen und für die Gruppe.
PhE: Bei uns wurde viel improvisiert. Wir haben einige Takes für die Instagram-Videos gemacht und uns dann für den Besten entschieden, das ist eine viel entspanntere Arbeitsweise.

Beim Verfolgen von „Stahlstadt.online“ habe ich mich so einsam gefühlt, wie es im Theater, wo ich mit anderen gemeinsam sitze, nie der Fall wäre. Theater und Social Media – wie denkt ihr über diese Verbindung?
PhE: Ältere Semester – da zähle ich auch uns dazu – fällt das Verfolgen einer Geschichte über Instagram schwer, es ist etwas Ungewohntes. Unter 20jährige sind aber eh alle zehn Minuten auf Insta und kriegen das eh mit.
CG: Eine Teilnehmerin hat es so formuliert: „Instagram hast du immer und überall, egal wo du
bist, bei Theater musst du hingehen, Entscheidungen treffen und dann kostet es noch Geld“. Ein anderer Teilnehmer hat mittlerweile eigenständig eine Geschichte verfasst. Für ihn ist es ganz klar, dass diese über Instagram erzählt werden soll. Dann können alle Freunde, egal wo auf der Welt die sind, diese Geschichte verfolgen. Instagram und Realität – das geht für die Jugendlichen seamless zusammen.
PhE: Was von einem theatralen Standpunkt her als dramaturgische Lücken, als das Fehlen von Informationen für den Fortgang der Geschichte gelten muss, das nehmen die Jugendlichen im Rahmen einer sprunghaften, schlaglichtartigen Instagram-Dramaturgie in Kauf.
CG: Wir hatten in den ersten drei Tagen 3000 Views pro Charakter, @linzliebe hat mittlerweile 510 Follower, da werden wir mittlerweile auch getaggt, das läuft, das verbreitet sich, ohne dass wir was machen.
PhE: Online kannst du wirklich auf deine Zielgruppe fokussieren. Mit einem entsprechenden Marketingbudget wäre fünfmal so viel möglich. Ein Wunsch, ein Ziel, ein Vorhaben für das nächste Mal! Theresa Luise Gindlstrasser, geboren 1989, lebt und arbeitet in Wien. Studiert dort Philosophie und bildende Kunst. Schreibt dort, und manchmal woanders, meistens über Theater.

 

www.stahlstadt.online
@stahlstadtkids
@linzliebe

Protest zahlt sich aus

Protest zahlt sich aus. Danke, Johanna Dohnal. Wo wäre Österreich nur ohne dich?! Premiere bei der Viennale 2019 und ab 14. Februar in den heimischen Kinos. Der Film von Sabine Derflinger: Die Dohnal.

Protest zahlt sich aus. US-Amerikanische Leicht­athletinnen kritisierten Nike scharf für ihren Umgang mit Vertragssportlerinnen, die sich für eine Mutterschaft entscheiden. Der solidarische Aufschrei vieler Menschen bewog die Firma ihre Richtlinien zu aktualisieren und im Falle einer Schwangerschaft immerhin 18 Monate lang keinerlei Verringerung von Zahlungen vorzunehmen.

Protest zahlt sich aus – für die eigene Gesundheit. In dem Video „I was the fastest girl in America, until I joined Nike.“ prangert eine andere US-Leichtathletin, Mary Cain, nicht nur das Nike-Elite-Programm Oregon an, sondern das gesamte männlich dominierte Sportsystem. Ein System, das Professionalität vorlügt und doch nur von Männern für Männer gemacht ist. Sie fordert Nike auf, dieses Programm und dessen System aufzulösen, um andere junge Sportlerinnen körperlich und emotional zu schützen. Und sie fordert mehr Frauen in Führungspositionen, als Trainerinnen, Psychologin­nen, Ernährungsberaterinnen, Ärztinnen und professionelle Betreuerinnen.

In dieselbe Kerbe schlägt die Initiative „Equal Play“ von Deutschlands größter Sport-Marketing-Agentur Jung von Matt/Sports. Diese Initiative für Frauen im Sport möchte eine Plattform schaffen zum Netzwerken, für Themenaustausch und um die Karriere zu entwickeln, und somit zu mehr Gleichberechtigung beitragen. Zugrunde liegt die Studie „Equal Play – Frauenkarrieren in der Sportbranche“, die auch auf equal-play.de herunterzuladen ist. Nicht unerwartet zeigt diese Studie einige Fakten auf, wie: einen erschwerter Zugang und die generelle Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen, dominierende Männerclubs und -netzwerke, die ‚fehlende Kompetenzvermutung‘. Klingt hart, kennen aber viele Frauen zu Genüge. Genauso wie das Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Deutlich zeigt diese Untersuchung aber auch den bedeutenden Mehrwert, den Frauen für die Unternehmen der Sportbranche bieten.

Den wirtschaftlichen Mehrwert von Frauenfußball erkannte die Fifa und verdoppelt ihr Budget dafür. Dürfte wohl auch an den ZuschauerInnenzahlen liegen. Neuer Rekord mit 31.200 StadionbesucherInnen beim Manchester Derby in der Englischen „Women’s Super League (WSL)“. Das Frauenfußball-Länderspiel England – Deutschland schrammte knapp am europäischen ZuschauerInnenrekord von 80.103 vorbei (Olympia-Finale 2012 in London). Den Weltrekord hält das WM-Finale 1999 in den USA mit 90.185 BesucherInnen.

Protest zahlt sich aus. Erstmals seit fast 40 Jahren durften iranische Frauen wieder im Stadion jubeln. Dieser historische Tabubruch ist ein großer Erfolg im Kampf gegen den erzkonservativen Klerus und die damit verbundenen Diskriminierungen. Ohne den fußballpolitischen Druck der Fifa – durch die Drohung des Ausschlusses Irans bei der Herrenfußball-WM 2022 im benachbarten Katar, falls Frauen weiterhin der Eintritt in die Stadien verboten bliebe – wäre es wohl nicht dazu gekommen.

Protest zahlt sich aus. Finnlands Frauen- und Herrenfußball-Nationalteams erhalten dieselben Verträge und Gehälter. Ebenso ist das so in Australien. Die „Fighting Matildas“ erkämpften sogar eine Angleichung des Grundgehalts in der Nationalen Liga und setzten in weitere Folge die Fifa unter Druck, indem sie eine drastische Erhöhung der Preisgelder forderten. In Spanien gingen die Fußballerinnen Mitte November in den Streik. Sie forderten u. a. eine Einstufung ihrer Arbeit als Ganztagsbeschäftigung – statt der kümmerlichen Teilzeit (Halbtag). In Österreich hat Gott das sagen und für den ist es leider nicht möglich, für Gleichstellung zu sorgen. Wen wunderts?! Weltlicher Ausführungsgehilfe Johann Gartner, Vizepräsident im ÖFB und zuständig für Frauen- und Mädchenfußball, gibt sich zufrieden mit den kleinen Schritten, die bereits erreicht wurden auf dem Weg zur zugegeben meilenweit entfernten finanziellen Gleichstellung. Das nenne ich mal ambitioniert.

 

Tipps:
Viva La Vulva – gewinnt als beste Werbung des Kontinents den Grand Prix des „Art Directors Club of Europe“. vimeo.com/371855635

ab 14. Februar im Kino: Die Dohnal – Portrait & Politik-Film von Sabine Derflinger

Öffentlicher Raum

Das Professionelle Publikum

Die redaktionellen Kunst- und Kulturempfehlungen für die kommende Periode stammen von Zoe Goldstein, Us(c)hi Reiter, Elisabeth Schedlberger, Karin Schneider, The Slowdude, Gabriele Spindler und Andre Zogholy. Werte Leserin, werter Leser, schauen sie da und dort vorbei!

Zoe Goldstein
ist Portraitfotografin, angehende Bildwissenschaftlerin und Vorstandsmitglied des Kulturvereins Kapu. Die Rolle der Geschlechter im fotografischen Bild prägt ihre künstlerischen Projekte wie auch ihre Forschung auf diesem Gebiet.

„Zeitfenster“, Gruppenausstellung
„Gedachtnus“

Us(c)hi Reiter
ist Produzentin, Kulturarbeiterin & Netzaktivistin. Seit August 2017 arbeitet sie für das architekturforum oö und ist Obfrau des Vereins servus.at.

Kontaminierte Orte, Ausstellung
Kuratorenführung: Kontaminierte Orte
Oberösterreich – Vom „Heimat­­gau des Führers“ zur Modellregion der extremen Rechten?

Elisabeth Schedlberger
ist selbstständige Grafik- und Webdesignerin und Künstlerin in Linz/Urfahr. Als Kellnerin auf dem Salonschiff Fräulein Florentine tätig und seit Jahrzehnten im Kulturverein waschaecht in Wels engagiert.

Anthony Braxton – New Standard Quartet
SERIOUS SERIES

Foto: Susanne Maschek

Karin Schneider
ist Zeithistorikerin, Kunstvermittlerin, Forschende im Kontext von Praxis-, Aktions-, und künstlerischer Forschung; leitet seit Juni 2019 die Kunst- und Kulturvermittlung im LENTOS Kunstmuseum und im NORDICO Stadtmuseum.

Wir öffnen die Box
Kontaminierte Orte

The Slow Dude
ist Gastrosoph, Kolumnist und Kulturkritiker. Er arbeitet und schreibt nur für Die Referentin.

Der Slow Dude empfiehlt den wärmepol, weil hier gute Menschen, gute Getränke servieren und die Gruppe Frittenbude, weil die Typen gute Musik mit guter Message verknüpfen.

wärmepol
Frittenbude: Rote Sonne Tour

Foto: Alexandra Bruckböck, Oö Landesmuseum

Gabriele Spindler,
Leiterin der Landesgalerie Linz des Oberösterreichischen Landesmuseums.

METALL UND MEHR. Helmuth Gsöllpointners Meisterklasse
Wolfgang Gurlitt „Zauberprinz“

 

 

 

Andre Zogholy.
qujOchÖ, Kunstuniversität Linz, Johannes Kepler Universität. Lebt, lehrt, forscht und arbeitet in Linz an den Schnittstellen von Gesellschaft, Kunst und Wissenschaft.

Aktion 1 Zukunft der Vergangenheit
5. WURSTVOMHUNDBALL

Tipps von Die Referentin

Die Referentin

 


FRAU.MACHT.FILM 2019
CROSSING EUROPE 2020 – Call for Films
„Schiller. Aufruhr und Empörung“
Buchpräsentation „Rück-Spiegel“
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