Das Professionelle Publikum

Die Redaktion hat für diese Ausgabe Tobias Eder, Wolfgang Fuchs, Marlene Gölz, Klaus Hollinetz, Jürgen Köglberger, Michaela Kramesch und Herbert Stöger um ihre Veranstaltungsempfehlungen gebeten. Vielen Dank!


Tobias Eder
ist Mitglied im Kulturverein „Strandgut“.

Ausstellungseröffnung Peco présentez-vous Le congo-la-merat
Ausstellungseröffnung Lafenthaler/Mayrhofer/Waldenberger: „Überunterwasser“

Wolfgang Fuchs
arbeitet am Spagat zwischen Familie, Verwaltung, Improvisationsmusik, (Klang)bildender Kunst und Text. In, um und weit weg von Linz.

CONDOR
music unlimited

 

Foto: privat

Marlene Gölz
ist Autorin und u. a. freie Mitarbeiterin im StifterHaus, wo sie in der Öffentlichkeitsarbeit tätig ist.

„Unsere Stadt ist noch niemals beschrieben worden“
Tschick

 

Foto: Werner Puntigam

Klaus Hollinetz,
geb. 1959 ist Komponist und Klangkünstler; Konzerte, Veröffentlichungen, Festivals, Workshops, Groß- und Kleinprojekte und anderes in aller Welt, Lehrbeauftragter am IEM, Kunstuniversität Graz, lebt in Traun. de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Hollinetz

Musik im Raum TREE_TALK
IMPROVISATION ANREGEN-LERNEN-UNTERRICHTEN LECTURE-PERFORMANCE

 

Foto: privat

Jürgen Köglberger
(Köxx) ist über 10 Jahre Vorstandsmitglied im Röda und davon einige Jahre Obmann. Im Zweitleben ist er Sonderpädagoge.

Friska Viljor (SWE)
SOAP&SKIN (AUT)



Michaela Kramesch
ist Soziologin, Geschäftsführerin und Austronautin beim Freien Rundfunk OÖ.

FROzine
3. Internationales Menschrechtssymposium der Bewusstseinsregion Maut­hausen-Gusen-St. Georgen

 

Foto: privat

Herbert Christian Stöger
ist Künstler, Autor und Initiator von Lesungs- und Ausstellungsprojekten.

LOGOtheSEN 01. Literarisches zu Anestis Logothetis
LOGOtheSEN 02. Literarisches zu Anestis Logothetis
Ausstellungseröffnung Anestis Logothetis
Folge Ton #


Tipps von die Referentin

 

 

Ausstellungseröffnung The Amateur Naturalist – Uku Sepsivart
Buchpräsentation Anna Weidenholzer
Führung durch die Ausstellung „Unsere Stadt ist noch niemals beschrieben worden“
Serie von KünstlerInnenpositionen „Und eins und zwei und drei und vier“
KLANGFESTIVAL 2019 weaving in

 

Editorial

Zeitgenössische Kunst und Kultur these days: Viele, viele Künstler, Künstlerinnen, Kulturschaffende und AutorInnen sind erschüttert von den gesellschaftlichen und politischen Krisen, die sich seit geraumer Zeit anbahnen, und sich nun von ihrer aktuell unglaublich skurril-hässlichen Performance zeigen – um es so zu sagen.
Während wir hier als Editorial-Schreiberinnen Worte formulieren, sehen wir vorläufige Ergebnisse der EU-Wahlen vor unseren Augen auftauchen. Der nicht so schlimm ausgefallene, und dennoch drohende Rechtsruck in der EU wird diskutiert, Menschen wie Steve Bannon beraten weltweit in Sachen staatlicher Destruktion. Während diese Zeilen geschrieben werden, betritt ein befreundeter Autor die Räumlichkeiten und erzählt davon, dass auf einem öffentlichen Platz gerade eben rechte Parolen herumgerufen wurden, der Schock ist ihm anzusehen und wir sind ebenfalls schockiert. Genug ist eben leider nicht immer genug.
In Tagen und Zeiten wie diesen ein Editorial für ein Heft für „Kunst und kulturelle Nahversorgung“ zu schreiben, ohne sich von all dem berührt zu zeigen, ist eine Herausforderung, die schlichtweg nicht gelingt und auch nicht gelingen kann. Es geht um Gefährdung auf allen Ebenen – und diese Gefährdung spiegelt sich bis in die „lokalsten“ Realitäten und auch in vielen Beiträgen in diesem Heft.

Zum einen findet Wiltrud Hackl in ihrer Work-Bitch-Kolumne über die male Egomanen von Ibiza bis Linz klare Worte. Dominika Meindl sieht sich die Lage der Kunst- und Kulturschaffenden an, die seitens des Landes OÖ immer noch von Kürzungen betroffen sind; und die sich noch vor wenigen Tagen mit dem Umstand auseinandersetzen mussten, dass beinahe ein Deutschnationaler in den Landeskulturbeirat berufen wurde, während zeitgleich die Auftaktveranstaltung zum neuen Kulturleitbild des Landes erfolgte.

Femicides im Spiegel der Heimat beleuchtet Sarah Held, und sie dringt tiefer in die rassistischen Ressentiments, die auch hierzulande oft selbstredend mit Gewalt gegen Frauen einhergehen. Weitere Gefährdungspotentiale sind zweifelsohne im Heft auszumachen und nachzulesen, die Kunst- und Kulturprojekte sprengen aber erfreulicherweise den fatalistischen gesellschaftlichen Rahmen. Sie orientieren sich an ästhetisch und politisch größer angelegten Visionen einer besseren, sozialeren, emanzipierteren, ökologischeren Welt.

Hervorgehoben seien an dieser Stelle exemplarisch sehr unterschiedliche Texte: Einerseits jene beiden zu den Arbeiten des Papiertheater Zunders. Das Kollektiv hat sich der frühen sozialen Bestrebungen der Rätebewegung und ihrer ProtagonistInnen angenommen und berichtet quasi aus der Innensicht der Produktion. Andererseits hat Lisa Spalt den „Rurbanisten“ Christoph Wiesmayr besucht, um mehr über seine Insect City zu erfahren, beziehungsweise über eine stadtplanerische Sicht aus „insektoider Perspektive“.

Perspektivenwechsel ist jedenfalls angesagt – nach den ökologisch destruktiven Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und auch nach den politischen Wahnsinnigkeiten der letzten Tage. Beim Schreiben des Editorials hat sich nun nach den Politnews wieder das Musikprogramm in den Äther geschoben und aus dem Radio klingt „What a Wonderful World“.

Was immer das bedeuten kann.

Die Referentinnen, Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

People from Ibiza. Men at work – auch hierzulande

Weil die Redaktion mir hier blind vertraut, gesteht sie mir immer sehr, sehr späte Abgabe­termine zu und ich meine, angesichts des irren Wochenendes, das hinter uns liegt, hat sie auch völlig Recht damit. (Wenn ihr das lest, liegen schon wieder mehrere Wochenenden hinter euch und auch hinter mir, und ich übernehme keine Garantie dafür, wer sich bis dahin schon wieder alles besoffen, filmen lassen und selbstüberschätzt hat.)

Es hat also Ibiza gebraucht, um patriarchal gesinnten Mitmenschen zu zeigen, warum viele Bürger*innen mittlerweile der Meinung sind, dass diese eher ungeeignet sind, öffentliche Ämter zu bekleiden: nicht allein besaufen sie sich gern und reden viel, schwadronieren und wollen Frauen beeindrucken, nein, auch wenn sie nicht auf Ibiza waren und dennoch in diese Regierungskrise zutiefst verwickelt sind, beweisen sie mit ihren Aussagen, dass sie nicht im geringsten Politik für uns, die Bürger und Bürgerinnen, Politik im Sinne des Gemeinwohls und sozialen Friedens machen, sondern ausschließlich zum reinen Machterhalt, genauer vielleicht, um den Rausch, den sie aus der Idee der eigenen potentiellen Mächtigkeit und Wichtigkeit schöpfen, aufrechtzuerhalten. Diese Männer, die uns da regieren (bzw. regiert haben) leben höchstens Projektionen von sich selbst und scheitern sogar daran, sind sich selbst wohl die größte Enttäuschung. Sie sind keine Politiker, wie sie vielen von uns noch in Erinnerung sind: ideologisch, streitbar und diskursfähig und politisch im besten Sinn. Dass die Parteizugehörigkeit bei dieser neuen Form unpolitischer Politiker nicht wirklich eine Rolle spielt, unterstreicht das ihrem Wirken innewohnende Un-Ideologische, das durch unbedingten Inszenierungswillen kompensiert wird. Oder, wie die Politikwissenschafterin Natascha Strobl in ihrer fundamental wichtigen Analyse der Kurz’schen Reaktion es beschreibt: „Rabiate Selbsterhöhung und einschmeichelnde Bescheidenheit. Er opfert sich wieder und stellt es offensiv zur Schau. Schaut, wie arm er ist und was er erduldet. Jetzt kommen wir an gefühlt 57. Stelle zu den eigentlich problematischen Dingen des Videos. Aber die Priorisierung zeigt uns, dass es nur noch ein Nebengedanke ist. Und auch nur, um wieder sein Narrativ des „für uns“ zu bedienen. Sein politischer Zugang ist, uns zu dienen. Und gleich macht er wieder das Gegensatzpaar zu den anderen auf, dieses Mal zur FPÖ, die das leider nicht so sieht, wie ihm heute plötzlich in Gesprächen klar geworden ist. Was für ein Schock! Deswegen muss es jetzt Rücktritte geben. Das war so zuvor nicht absehbar.“

Spannend – wenngleich nicht überraschend –, dass nach diesem Wochenende auch andere türkise Politiker diesem Ductus folgen. Thomas Stelzer etwa, oberösterreichischer Landeshauptmann, Kulturreferent, nach Ibizagate ebenso in der Bredouille mit seiner FPÖ-Koalition wie Kurz auf Bundesebene, gibt sich im ersten Ö1-Morgenjournal nach diesem Wochenende ebenso nichtssagend und ablenkend, spricht immer noch von „roten Linien“, die die FPÖ jetzt überschritten hätte, und dass man nun „klärende Gespräche“ führen müsse. Das ist schlicht Realitätsverweigerung, denn allein die Causa Manfred Wiesinger hat Stelzer eine Woche davor ausreichend offene Briefe, Appelle und Mails beschert, die ihn auf permanent überschrittene rote Linien auch seitens der oberösterreichischen FPÖ aufmerksam gemacht haben. Erst als der Wind strenger ins Gesicht weht, und das eigene Ansehen in Gefahr gerät, hat sich Stelzer – möglicherweise nicht ganz ohne Drängen aus Wien – entschlossen, Wiesinger als Mitglied des oö. Landeskulturbeirats doch abzulehnen. Das ist nicht Politik im Sinne einer respektvollen, demokratischen Bevölkerungsmehrheit, die den Begriff der „Minderwertigkeit“ gegenüber zeitgenössischen Künstler*innen oder das dreist zur Schau gestellte Frauenbild eines Herrn Wiesinger schlicht ablehnt, da steht der eigene Machterhalt im Vordergrund, da steht die Inszenierung im Vordergrund, die Handlungsfähigkeit und Entscheidungsmacht suggerieren soll, eine Inszenierung, die wiederum Anleihen an Kurz nimmt: „Er entscheidet. Es war also seine Entscheidung und nicht die Not der Umstände, dass es Neuwahlen gibt. Denn nur so kann ER uns wieder die gute Zeit bringen. Mit uns und als einer von uns. Die anderen sind nicht willens oder sie sind schwach. (…) Es braucht klare Verhältnisse. Es braucht Ordnung. Es braucht Eindeutigkeit. Weg aus dem Chaos und der Dramatik. Hin zum Guten und Schönen, für das ER steht.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass es zu 99 % nur um Kurz, seine Rolle und sein Empfinden für uns und unser Empfinden für ihn geht. Es geht nicht auf einer Sachebene um die schweren Verfehlungen der FPÖ oder den Schaden für die Republik. Es geht nur um Kurz. Es ist faszinierend, wie viel man über sich selbst reden kann.“

Was Natascha Strobl in kürzester Zeit aus Kurz’ Rede herausgearbeitet hat, ist ein Sittenbild aktueller patriarchaler Politikkultur. Es ist eine Form von populistischer Politik, die nicht – so zeigt sich spätestens jetzt – von einer politischen Vision, einem politischen Ziel getragen ist, die uns allen – unabhängig davon, welcher Partei wir unsere Stimme geben, zugutekommen soll. Als Beispiel darf ich meinen Vater, ÖVP-Mitglied, bringen, der voll des Lobes für die sozialdemokratische Bildungspolitik war, einfach, weil er sich eingestehen konnte, dass die zu einer gerechteren Gesellschaft beitragen wird. Eine gerechte Gesellschaft, eine Gesellschaft, die Zugänge zu Bildung, Strukturen und Ressourcen für alle bietet, hat die oben beschriebene Politinszenierung eines Kurz oder Strache der letzten 17 Monate, haben diese Politiker nicht im Blickfeld. Darüber sollten wir uns im Klaren sein und davor ist im Übrigen keine Partei gefeit, solange sie überwiegend und in ihren Grundfesten patriarchal strukturiert ist.

 

www.falter.at/archiv/wp/ich-ich-ich

dotheyknowitsprovinzposse.eu

dotheyknowitsprovinzposse.eu

Provinzposse mit Happy End?

Oberösterreich ist ein Bundesland für Menschen, die Ambivalenzen ertragen. Dank des Wirtschaftsbooms darf sich die Landesregierung über 100 Millionen mehr im Budget freuen, Frauen, Kulturschaffenden und sozial Schwache werden aber von der schwarzblauen Koalition behandelt, als sei sie insolvent. Gerne rühmt sie sich der „Aufarbeitung“ der NS-Geschichte, zugleich wählt sie um ein Haar einen Deutschnationalen in den Kulturbeirat. Ein Stimmungsbild mit Aufforderungscharakter von Dominika Meindl.

Ein erster lauer Abend Anfang Mai. Mit Mühe müssen die freundlichen MitarbeiterInnen der Kul­turdirektion die Men­schen, die angeregt in Trauben vor der Landesbibliothek schwat­zen, in das kühle Haus treiben. Ein neues Kulturleitbild soll entstehen, und dieser Abend bildet den Auftakt für einen längeren Diskussionsprozess. Nicht geplant ist eine Diskussion darüber, warum es überhaupt eines neuen Leitbildes bedarf – das „alte“ ist gerade einmal zehn Jahre alt und in etlichen Punkten noch gar nicht umgesetzt.

Die Stimmung ist betont freundlich. Nach den heftigen Protesten der freien Kunst- und Kulturszene gegen den Kahlschlag im Vorjahr und existenzbedrohendem Chaos in den Förderabteilungen (#kulturlandretten) bemüht man sich seitens des Landes offensichtlich um ein gutes Auskommen. Die Anwesenden werden in Gruppen ge­teilt, die Autorin landet in jener mit dem Titel „Kunst als Botschaft nach außen und Motor nach innen“. Ein redegewandter Mitarbeiter der Landesregierung erklärt, es gehe hier um die „Positionierung der oberösterreichischen Kultur als Marke“. Die Mitglieder diskutieren artig über die Einbindung der Jugend, eine junge Frau lobt das Förderwesen. Die Autorin verkneift sich ein Augenrollen und schreibt konstruktiv „Landesmusikschulwesen auf sämtliche Sparten ausdehnen“ auf die Flipchart.

Fünf Tage später positioniert die Landes-FP die heimische Kultur auf ihre ganz eigene Weise: Sie nominiert Norbert Ho­fers Lieblingsmaler Manfred „Odin“ Wie­singer für den Landeskulturbeirat. War der mäßig geniale Innviertler Kunstmaler bis dahin hauptsächlich in freiheitlich-deutschnationalen Kreisen bekannt, dürf­ten seine Vita und seine Geisteshaltung nun hinlänglich bekannt sein. Wer im Mai auf Urlaub oder im Tiefschlaf war: Wie­sin­gers Lieblingssujet sind schlagende Bur­schenschafter und Wehrmachtsoldaten, Frauen sind für ihn schon mal ein „hässliches und dummes Stück Fleisch“, beim Holocaust ist er sich nicht sicher, und seinen KritikerInnen droht er nach den heftigen Protesten: „Euch merke ich mir, und irgendwann seid ihr dran.“ Hinweise etwa der Grazer AutorInnen Autorenversammlung Oö, dass seine Mitgliedschaft gegen das oberösterreichische Kulturfördergesetz (Kultur als „Trägerin einer humanen Gesellschaft) verstoße, ver­hallten ungehört.

Die zunächst erfolgreiche Nominierung durch die FPÖ geriet zum beabsichtigten Skandal; dem rechtsextremen Flügel schien seine Legitimierung und Normalisierung über die Gremien zu gelingen; die Opposition sowie die Kunst- und Kulturschaffenden entflammten in hellem Zorn, die unnötige Posse zog Kreise bis ins Ausland. „Was ist denn da bei euch schon wieder los?“, war die Frage des Tages. So viel zur „Kunst als Botschaft nach außen“. Landeshauptmann Thomas Stelzer verwies kühl auf die Gepflogenheit, das Nominierungsrecht anderer Par­teien zu respektieren. Die Oberösterrei­chi­schen Nachrichten vertraten die Blattlinie, dass man sich habe provozieren lassen wie ein Kind, dass auch schon Thomas Bernhard ein Provokationskünstler gewesen und dass der Landeskulturbeirat ohnehin zahnlos sei.

Auch die folgenden Ereignisse sind bestimmt noch bestens bekannt: Die FPÖ jag­te auf Ibiza die Koalition in die Luft. Hektisch wurden auch auf Landes- und Ge­meindeebene „Diskussionsprozesse“ eingeleitet. Fazit: Die FPÖ muss ihren Sicherheitslandesrat, Aula-Fan und AfD-Berater Elmar Podgorschek opfern. Und der Landeshauptmann hat die Eingebung, dass „Odin“ Wiesinger im Kulturbeirat doch untragbar ist. Podgorschek und Wiesinger treten zurück, um weiteren Schaden von ihren Familien fernzuhalten.

Dem Land und seinem Kulturbeirat ist eine gewaltige Peinlichkeit erspart ge­blie­ben, Schaden ist dennoch zur Genüge angerichtet. Es bleibt zu hoffen, dass die Ver­antwortlichen Konsequenzen ziehen. Der Beirat hat kein Politikum zu sein, sondern ein Gremium aus bewährten Fachkräften, dem die Bedeutung beikommt, die es verdient. Wie absurd ist es eigentlich, wenn die Regierungsparteien Fixplätze mit ih­ren Vertrauensleuten besetzen, dann aber die Empfehlungen nicht einmal ignorie­ren?

Und wenn es schon eines neuen Kulturleitbildes bedarf, möge die Politik ihre Verantwortung wahrnehmen und darin den in der Verfassung verankerten Anti­faschismus festschreiben. In ihrem ge­mein­samen Protestbrief schlugen KUPF und die Gesellschaft für Kulturpolitik folgenden Satz vor: „Ein neues Kulturleitbild muss ein ganz klares und glaubwürdiges Bekenntnis zu einer demokratischen, offenen, inklusiven Kulturpolitik enthalten, die alle rechtsextremen, identitären Kultur- und Heimatbilder, die sich aus einer Geisteshaltung ableiten, von der Öster­reich 1945 befreit wurde, eindeutig ab­lehnt.“ Word. Das muss gar nicht mehr diskutiert werden und stünde Oberösterreich, dem Spitzenreiter bei rassistischen und rechtsextremen Straftaten, auch mehr als gut an. Gar nicht mehr diskutiert werden muss auch eine adäquate Frauenpolitik; sämtliche Kürzungen müssen flugs zu­rückgenommen und per Neuformulierung im Landesfördergesetz verhindert werden. Mit diesem „Motor nach innen“ dürfte die Kulturpolitik des Landes wirklich eine „Botschaft nach außen“ senden. Und wir alle müssen uns nicht schämen, wenn wir das Wort „Heimat“ hören. Irgendwann können wir es dann vielleicht sogar ohne Anführungsstriche ans Ende eines Essays schreiben.

Femicides im Spiegel der Heimat

 

Sarah Held gibt Einblicke in die Verflechtungen von genuin feministischen Forderungen und einer Regierungspolitik, die mit sexualisierter Gewalt gegen Frauen fremdenfeindliche Politik betreibt.

Österreichische Zustände – Femicides im Spiegel von Heimat und rassistischer Ressentiments
Mit der Schlagzeile „Die Taten werden brutaler“ zitiert Silvana Steinbachers Artikel in der letzten Ausgabe der Referentin aus dem aktuellen (Zeitungs-)Diskursuniversum zum Thema Frauenmorde in Österreich. Frauenmorde bzw. Femicides sind hierzulande demnach seit Beginn des Jahres eklatant gestiegen. Dieses Gespräch über einen wichtigen gesellschaftlichen Missstand wird auch stark von Boulevard-Formaten und rechten Parteien/ Gruppierungen beeinflusst. An die Gedanken der Kollegin anschließend gibt dieser Artikel weitere Einblicke in die Verflechtungen von eigentlich genuin feministischen Forderungen und einer Regierungspolitik, die mit sexualisierter Gewalt gegen Frauen fremdenfeindliche Politik betreibt.
Zur Erinnerung bzw. Einführung an dieser Stelle zunächst einmal die Definition: Femicides, ein Neologismus aus den englischen Begriffen Female und Homicide, sind Verbrechen gegenüber Frauen (in der Regel handelt sich um Frauen, aber auch als Frauen gelesene Personen sind davon betroffen), die meistens von Männern ausgeübt werden, die durch Hass, Dominanzverhalten und Machtasymmetrien motiviert sind. Patriarchal geprägte Gesellschaftsordnungen, in denen Sexismus allgegenwärtig ist, perpetuieren diese misogynen Mechanismen. Im kulturellen Gedächtnis sind Femicides fest mit südamerikanischen Ländern verzahnt, so wurde das im Norden Mexikos liegende Ciudad Juárez zum Sinnbild des Grauens. Dort wurden seit den 1990er Jahren mehrere tausend Frauen ermordet oder sind verschwunden. Daher ist auch das spanische Kofferwort Feminicidio sehr geläufig. Es handelt sich also scheinbar um Verbrechen, die assoziieren, dass sie in der Ferne und nicht in der Heimat stattfinden. Das wirft die Frage auf, wer ist wo von wem und generell davon am meisten betroffen? Zudem scheint diese Verbrechenskategorie nicht nur auf sprachlicher Ebene einen exotischen Anstrich zu haben. Exotisch, wird hier im Sinne von weit weg verstanden, also Verbrechen, die von den Anderen an Anderen im Anderen ausgeübt werden. Soweit der eurozentrische Blick und seine kulturelle Wirkmächtigkeit auf gesellschaftliche Ausschluss- und Wahrnehmungsmechanismen innerhalb von westlichen Industriekulturen Mitteleuro­pas. Seitens der FPÖ/ÖVP-Regierung wird die steigende Rate an Frauenmorden mit einer gestiegenen Zuwanderungsrate aus Krisengebieten begründet. Zudem erscheint es einfach, dabei mit dem Finger in Richtung Südamerika zu zeigen und hegemoniale Verhältnisse als Begründung für barbarische Phänomene wie Femicides anzuführen.

Post-Colonialism und rassistisch gefärbte Instrumentalisierungen im Strafgesetz
Die Silvesternacht 15/16 in Köln markiert eine Zäsur in der öffentlichen Wahrnehmung von sexualisierten Übergriffen gegenüber Frauen. Wie keine andere Stadt ist Köln zur Chiffre für sexualisierte Gewalt geworden, die von migrantischen Männern an deutschen Frauen verübt wurde. Dazu beigetragen hat auch die rassistisch-pauschalisierende Sprache der örtlichen Polizei, die die Täter als „Nafris“ (Abkürzung für Nordafrikaner) bezeichnete. „‚Köln‘ steht also für die Behauptung, dass bestimmte Migranten nicht integrierbar sind, sich nicht integrieren wollen und dass es ‚irgendwie‘ doch fundamental unüberwindliche Differenzen zwischen Kulturen gibt.“1 Unter dieser Formel werden im deutschsprachigen Raum aktuell Themen, die zwischen Femicides, sexualisierter Gewalt und Sexualstraftaten oszillieren, von politisch rechten Lagern und Regierungsparteien verwendet, um rassistische Ressentiments zu schüren und fremdenfeindliche Politik zu machen. So verkünden die österreichischen Politikerinnen Edtstadler, Bogner-Strauss und Kneissl auf einer Pressekonferenz im Januar dieses Jahres, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen den gestiegenen Femicides und aktuellen Migrationsbewegungen gäbe. Vergleicht man damit die polizeistatistischen Zahlen, die auf der Homepage der österreichischen Frauenhäuser veröffentlicht sind, wird die Aussage als Panikmache und rassistisches Ressentiment dekonstruiert: „Insgesamt gab es 2018 55 Mordfälle sowie 76 Täter, davon waren 41 Inländer, 35 Täter kamen aus dem Ausland. Laut Medienberichten wurden in den ersten Monaten des Jahres 2019 schon 10 Frauen von ihren (Ex-) Partnern oder Familienmitgliedern ermordet.“2 Die verschärfenden Strafrechtsmaßnahmen, die gerade unter Türkis-Blau in Österreich stattfinden, dienen weniger dem Betroffenenschutz als der Katalysierung von rassistischen Mechanismen, denn ein strengeres Strafrecht in diesen Fällen beschleunigt Abschiebeverfahren. Mit dieser Politik treten vor allem traditionelle Muster von Dämonisierungsmechanismen in den Vordergrund. Die Trope des bösen, fremden (schwarzen) Mannes, der im öffentlichen Raum lauert, um Sexualdelikte zu begehen, wird damit verstärkt. Die Bestärkung dieses Diskurses ist höchst problematisch, da so nicht nur Rassismen perpetuiert, sondern auch Frauen* der Aufenthalt im öffentlichen Raum nicht nur diskursiv eingeschränkt wird.
Das ist immer noch besonders paradox, denn es ist nun kein Geheimnis, dass ein Großteil der verübten sexualisierten Gewalttaten und Sexualdelikte im persönlichen Nahraum betroffener Personen stattfindet und häufig von vertrauten Personen ausgeübt wird. Eine Verschärfung des Strafrechts, gerade im Kontext von Aussage gegen Aussage, ist somit für die Betroffenen eher Hindernis als Befreiungsschlag – zumal sich Betroffene ohnehin mehr Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen wünschen. Genau diese Supportmöglichkeiten, welche häufig von Vereinen, Frauenhäusern oder Nichtregierungsorganisationen übernommen werden, sind allerdings stark von Kürzungen betroffen. Im Narrativ der anti-feministischen und reaktionären konservativen Politik von Türkis-Blau lässt sich mit echtem Betroffenenschutz eben kein Wahlpublikum gewinnen. Schließlich gehören zu deren Zielen keine echten soziopolitischen Maßnahmen zur Unterstützung Betroffener bzw. zur Vermeidung von Sexualdelikten. Bei der aktuellen Fokussierung handelt es sich lediglich um eine rassistisch aufgeladene Instrumentalisierung von Übergriffsfällen.

Trotz aller dystopischer Realitäten, die aktuell vorherrschen, sollte trotzdem der Blick auch auf positive Entwicklungen gerichtet werden. Denn neben dem Demonstrieren auf der Straße werden auch wei­terhin neue feministische Zusammenschlüsse und Allianzen gebildet. Als Beispiel sei hierbei ein junger Verein aus Wien erwähnt: Changes for Women (im Folgenden kurz Changes). Die engagierten Gründerinnen, zu denen auch ich gehöre, möchten mit ihrem Verein als Schnittstelle zwischen ungewollt Schwangeren und Abtreibungskliniken fungieren. Leider haben in Österreich nicht alle ungewollt Schwan­geren Zugang zu Abtreibungskliniken. Das hat auch mit der demographischen Struktur der verschiedenen Bundesländer zu tun, aber häufig sind es finanzielle Gründe. Das österreichische Gesundheitssystem übernimmt keine Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch. Die einzige Personengruppe, die finanziell unterstützt wird, sind Menschen, die Mindestsicherung erhalten. Das bedeutet, dass alle, die nicht gezwungen sind, auf diesem prekären Level zu leben, sondern anderweitig nahe der Armutsgrenze sind (wie Studierende oder geringfügig Tätige), aus dem Raster herausfallen. Diese Lücke möchte Changes füllen und ungewollt Schwangere mit niederschwellig erreichbaren Finanzierungsunterstützungen auffangen. Gerade im Kontext der toxischen Abtreibungspolitik von christlich bis zuweilen fundamentalistisch gefärbten Politstrategien stellt der Verein einen Lichtblick am dunklen Polithorizont Österreichs dar. Der Verein möchte die feministische Parole „Your Body, Your Choice“ ein Stück weit verwirklichen und ungewollt Schwangeren die Möglichkeit schaffen, selbst über den Zeitpunkt der Familienplanung zu entscheiden. Changes steht hier exemplarisch für ein feministisches Aufbegehren in Stellvertretung für eine Vielzahl von Gruppen, die mit ihrer Arbeit versuchen, Österreich ein bisschen weniger sozialkalt zu machen.
Wenn eingangs auf die steigende Brutalität misogyner Verbrechen referenziert wurde, möchte ich abschließend anmerken, dass die strukturelle Brutalität, die von der aktuellen Regierung ausgeht, ebenfalls exponentiell steigt. Man denke an dieser Stelle an die vermeintlich behindertenfreundliche Abtreibungskampagne „#fairändern“, die von Regierungsmitgliedern öffentlich unterstützt wird. Diese fördere einen schrittweisen Abbau vom Recht auf körperliche Selbstbestimmung und die Folge könnte ein sukzessiv umgesetztes generelles Abtreibungsverbot sein.3

 

Changes im Web: changes-for-women.org

1 Hark, Sabine; Villa, Paula-Irene: Unterscheiden und Herrschen. Ein Essay zu den ambivalenten Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart. 2017. S. 10.

2 Zahlen und Fakten zu geschlechterbedingten Gewaltverbrechen: www.aoef.at/index.php/zahlen-und-daten (aufgerufen am 08. 05. 2019)

3 Horaczek, Nina: „Das Ziel ist es den legalen Schwangerschaftsabbruch zu Fall zu bringen“, März, 2019. www.falter.at/archiv/wp/das-ziel-ist-den-legalen-schwangerschaftsabbruch-zu-fall-zu-bringen (aufgerufen am 08. 05. 2019)

Experimentierfreudige Inszenierung

Kinder mit Schreibwerkzeug am ersten Schultag, Briefe oder unlesbare Kürzel in einem Kalender: Das Linzer Stifterhaus zeigt in der Schau „Etwas schreiben“ Objekte aus Frauennachlässen. Die Kuratorin Sarah Schlatter verzichtet dabei auf einzelne Biografien. Im Vordergrund stehen für sie Schrift und Dokumentieren in ver­schiedenen Facetten.

„Kontinuität“, Kindergedichte Rudolfine Fellinger, 1962–88

 

Etwas schreiben über „Etwas schreiben“. Was für eine groteske Situation, denke ich, als die Kuratorin Sarah Schlatter die rund zwanzig Objekte der Ausstellung erläutert und einige Journalistinnen, Journalisten sich Notizen machen, um über diese Schau, die im allerweitesten Sinn Schrift und Geschriebenes thematisiert, zu schreiben.
Ein kurzer Zeitsprung zurück: Einige Minuten bevor ich im Stifterhaus ankomme, überlege ich, was ich dort vorfinden werde. Ich stelle mir Vorstufen zu Texten, korrigierte Manuskriptseiten, hingeworfene Notizen von Autorinnen vor, die im besten Fall einen ephemeren Einblick zur Entstehung eines bestimmten Werks erlauben. Meine Erwartungshaltung wird jedoch keineswegs erfüllt, was ich bei Präsentationen bisher aber als durchaus bereichernd empfunden habe.

Die aus Vorarlberg stammende und in Berlin lebende Absolventin der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst Sarah Schlatter lässt nämlich Literarisches fast überhaupt beiseite, sondern zeigt die Schrift, das Schreiben im alltäglichen Leben. Dementsprechend eingängig lautet auch der Titel der von ihr kuratierten Schau schlicht „Etwas schreiben“. Sie zog dafür Tagebücher, Taschenkalender, Zettel und Manuskripte von Frauen heran. Schlatter präsentiert das Material in einer eigenständigen Inszenierung. Und gerade diese Inszenierung ist es auch, die im Zentrum ihrer Arbeit steht, was auch mit der grundlegend selektiven Auswahl der Beispiele bestens korreliert.
Ziemlich zu Beginn der Ausstellung sieht die Besucherin, der Besucher keine Schrift, sondern Schwarz-Weiß-Fotografien von zwei Schulanfängern aus dem Jahr 1955, die mit ihrem Schreibwerkzeug in der Hand erwartungsvoll-fröhlich in die Kamera blicken. Ahnen die beiden Kinder womöglich, dass sich ihnen durch die Fähigkeit des Schreibens schon bald eine neue Welt erschließen wird?
Ein weiteres Exponat ist als Projektion zu sehen: Blätter eines Taschenkalenders laufen ab. Eine Sekretärin hat von 1986 bis zu ihrem Tod 2011 mittels teils sogar übereinander geschriebenen Kürzeln, die aber wohl nur sie entziffern sollte, ihr eigenes tägliches Leben, das jeweilige Wetter, ihre Pflichten und Termine notiert. Auf diese Weise enthüllt sich ein Lebensabschnitt vor dem Betrachtenden, lässt die Veränderung von einer individuellen Schrift innerhalb von 25 Jahren erkennen. Sarah Schlatter verzichtet bei dieser Ausstellung auf die Thematik der spezifisch weiblichen Schrift, falls es denn eine solche gibt, sondern setzt auf Individualität, es geht ihr um das Schreiben und Dokumentieren.
Das Schreiben abseits eines qualitativen Anspruchs gehört anscheinend zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Ob der derzeitige Trend zum wieder handgeschriebenen Tagebuch auch auf dieses Grundbedürfnis weist oder eher Ausdruck einer narzisstischen Gesellschaft ist? Die Gegenwart, auch die Schrift und das Schreiben im Kontext der Digitalisierung hat Sarah Schlatter in dieser Ausstellung nicht in ihre Überlegungen einbezogen, was aber keineswegs als fehlend empfunden wird. Die Dokumente dieser Ausstellung stammen aus der Sammlung Frauennachlässe an der Universität Wien und des OÖ. Literaturarchivs des Linzer Stifterhauses und reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück, wobei der Großteil aus dem 19. und 20. Jahrhundert stammt. Ein Stück Zeitgeschichte verbindet sich hier mit dem Erleben und Dokumentieren einiger Frauen.
An den Seiten der schon erwähnten Tagebuchprojektion hat Schlatter zwei korrespondierende Fotografien platziert. Und gerade eines dieser Objekte bleibt mir im Gedächtnis: Es zeigt eine alte Frau, die sich im Spiegel ihres schon vergilbten Spiegels mit dem Fotoapparat abzubilden versucht. Dieses Bild wirkt auf mich in mehrfacher Weise interessant und berührend. Der Versuch der gebrechlichen Frau, ihr Gesicht festzuhalten, misslingt, weil sie offenbar die Kamera nicht mehr entsprechend halten kann. Sie bleibt so quasi anonym, da sie das Gerät direkt vor ihr Gesicht hält. Was steckt hinter der fast spürbaren Anstrengung der alten Frau? Wollte sie sich im hohen Alter noch ihrer eigenen Identität versichern, am Ende ihres Lebens stehend etwas von sich zurücklassen?
Die Ausstellung dokumentiert wiederholt den Wunsch danach, etwas von sich festhalten zu wollen, etwas zu hinterlassen, und geht über das Schreiben im ursprünglichen Sinn auch durch das gerade erwähnte Beispiele hinaus.
Ihr Ausstellungskonzept hat die Kuratorin durch den Einbezug von Material aus im Stifterhaus befindlichen Nachlässen eigens erweitert. Dies betrifft die 1955 in Linz verstorbene Autorin Enrica von Handel-Mazzetti, der 2006 eine eigene Ausstellung im Stifterhaus gewidmet war, und zum anderen die Greiner Schriftstellerin Rudolfine Fellinger (1921–1996).
Neben ihrer Inszenierung vorhandenen Materials bringt Sarah Schlatter auch selbst geschaffene Arbeiten in diese Ausstellung ein. So hat sie in zwei Arbeiten Buchstabe um Buchstabe bis zur Unlesbarkeit übereinandergeschrieben. Dass sie sich dazu entschieden hat, bei dieser vielschichtigen Schau, die auf sehr unterschiedliche Quellen zurückgreift, auch noch die eigene Aktion als weiteres Element hinzuzufügen, kann man reizvoll finden. Für mich verlässt sie dadurch den Fokus ihrer Präsentation.
Mit „Etwas schreiben“ zeigt die Kuratorin Sarah Schlatter aber ein Gefühl für die Ästhetik einer Ausstellung. Die Platzierung der Elemente, die bedachte Färbung einzelner Wandteile beweisen ihren subtilen Umgang mit der Raumsituation. Und natürlich schwingt gerade bei dieser Schau stets die Frage mit: Wie kommt die Zeit in den Raum?
Nach der im Übrigen auch überzeugenden, opulenten Ausstellung davor – „Bezwingung seiner selbst. Liebe, Kunst und Politik bei Adalbert Stifter“ – geht „Etwas schreiben“ wieder in Richtung einer schlichten Raumbehandlung im Linzer Stifterhaus.

 

Etwas schreiben
Eine Ausstellung von Sarah Schlatter
Unter Verwendung von Archivmaterial der Sammlung Frauennachlässe an der Uni Wien und des OÖ. Literaturarchiv, Linz
Dienstag–Sonntag, 10–15 Uhr
Noch bis 13. Juni
StifterHaus
www.stifter-haus.at

Schwimmen im öffentlichen Raum

Witness the Fitness. Foto Die Referentin

Das ‚DIY Fernsehformat‘

Selbstgebaute Guckkastenbühnen und die Sache mit der Rätebewegung: Das Papiertheater Zunder spielte im Mai im Leondinger Dreierhof das Stück „Pannekoeks Katze“, eine Erzählung über die Idee einer radikalen Erneuerung der Gesellschaft nach sozialistischen und rätedemokratischen Vorstellungen. Die Zunder-Macherinnen Anna Leder, Andreas Pavlic und Eva Schörkhuber geben einen Innenblick über die Bretter des Papiertheaters, die vielleicht die Welt, auf jeden Fall aber die Sehgewohnheiten verändern.

Im September 2018 hat das Papiertheaterkollektiv Zunder im Rahmen des Stadt- und Kunstfestivals WienWoche sein Stück Pannekoeks Katze – Die Sache mit den Räten uraufgeführt. Mittlerweile tourt es durch die Bundesländer und wird an politisch-aktivistischen Orten ebenso gezeigt wie in Klassenzimmern, in Kunsträumen und bei Festivals. Der Titel des Stücks bezieht sich auf Anton Pannekoek (1873 – 1960), den bedeutenden niederländischen Astronomen, Astrophysiker und einen der wichtigsten Theoretiker des Rätekommunismus. Er arbeitete über die Sternverteilung in der Milchstraße und deren Struktur. Politisch war er ursprünglich in der SPD beheimatet, ab 1917 bekannte er sich zum Rätekommunismus und lehnte damit Parlamentarismus, Mitarbeit in den Ge­werk­schaften sowie jegliche Parteiherrschaft ab. Pannekoek hatte mit seinen Veröffentlichungen erheblichen Einfluss auf die rätekommunistische Bewegung in den Niederlanden und in Deutschland. Zu sei­nen wichtigsten Schriften gehört „Lenin als Philosoph“ und „Arbeiterräte“.
Im Stück kommt er u. a. mit folgenden Ge­danken zu Wort:
„Die Räte, schreibt er, sind keine Re­gie­rung; nicht einmal die zentralen Räte ha­ben regierungsartigen Charakter, denn sie verfügen über kein Organ, den Massen ihren Willen aufzuerlegen; sie besitzen kei­ne Gewaltmittel. So webt die Räteorganisation ein buntes Netz zusammenarbeitender Körperschaften in die Gesell­schaft hinein, die Leben und Fortschritt im Einklang mit ihrer eigenen freien Tatkraft regeln. Und alles, was in den Räten beraten und beschlossen wird, erhält seine wirksame Macht aus dem Wissen, dem Wollen und dem Handeln der arbeitenden Menschheit selbst …“

Der Konzeption und Umsetzung des Stückes, das sich mit der kaum bekannten Rätebewegung in Österreich beschäftigt, liegen Überlegungen zu Geschichtsschreibung im historisch-politischen wie im künstlerisch-emanzipatorischen Sinn zugrunde, die wir an dieser Stelle dokumentieren und reflektieren möchten: Wie sind wir zu diesem Thema gekommen? Was hat es mit der Form des Papiertheaters auf sich? Und wie können sich kollektive Schreib- und Inszenierungsprozesse ge­stalten, die darauf fokussieren, historische mit zeitgenössischen Gegen­geschichten zu verknüpfen?

Die Geschichte in der Geschichte
Nachdem die ersten Ankündigungen für das 100jährige Republiksjubiläum auftauchten, begannen wir im Sommer 2017 mit unseren Überlegungen, dieses Thema aufzugreifen. Unser Interesse galt jener breiten Bewegung, die 1918/1919 für eine radikale Erneuerung der Gesellschaft nach sozialistischen und rätedemokratischen Vorstellungen eintrat. Uns war klar, dass die hiesige Erinnerungs- und Gedenkkultur für diese Geschichte wenig übrighaben würde. So zeigte es sich dann auch: Prä­sentiert wurde eine rot-weiß-rote Erfolgsgeschichte. Ihre Kurzformel lautet: Ein gemäßigter Pragmatismus hat sich zu­nächst gegen jeglichen Extremismus durch­gesetzt. Dann kamen Faschismus und Nationalsozialismus als kurze katastrophale Abweichungen. Nachdem diese besiegt worden waren, ging der Erfolgs­lauf weiter – so als wären den bürgerlich-kapitalistischen Republiken nicht genau jene destruktiven und autoritären Kräfte inhärent, sondern als wären sie von außen gekommen. Wenn über die anfänglichen revolutionären Bewegungen gesprochen wurde, dann als Phantasiegespinst überdrehter Dichter*innen oder sonstiger Hitzköpfe.

Diese Art von Geschichtslosigkeit – nämlich der Darstellung der Repräsentativen Demokratie als dem Ende der Geschichte – versuchten wir aus zwei Richtungen zu begegnen. Einmal in Form einer Erzählung, die sich als Gegengeschichte oder Geschichte von unten versteht. Wir wollten, indem wir einzelne Protagonist*innen dieser Rätebewegung zu Figuren unseres Stückes machten, die ausgeblendeten Ereignisse in Erinnerung rufen und die damaligen Kämpfe sichtbar machen – unter anderem auch, um ein gebrochenes und weites „Wir“ zu bauen, das über die vergangenen 100 Jahre hinweg Ver­bin­dungen ziehen und knüpfen lässt.
Dementsprechend galt die zweite Richtung der Überlegung, welche Elemente einer Rätedemokratie heute noch von Bedeutung sein könnten. Neben dem Primat der Selbstverwaltung und Selbstbestimmung ist es die Aufhebung der Trennung von Politik und Ökonomie. Die Idee der Räte bedeutet, dass sowohl das alltägliche politische Leben als auch der Bereich der Ökonomie von den Menschen selbst und nicht über ihre Köpfe hinweg bestimmt wird.
Diese Aspekte der Rätebewegung gilt es in Erinnerung zu rufen und im Hinblick auf gegenwärtige Probleme zu aktualisieren, denn wie damals gilt es auch heute, Ant­worten auf drängende soziale, öko­no­mi­sche und ökologische Probleme zu finden.

Das Papiertheater, vom Kopf auf die Füße gestellt
Es war eine aus England stammende Mode, die seit dem Biedermeier „die Bretter, die die Welt bedeuten“ in die bürgerlichen Wohnzimmer Österreichs brachte. Vor allem im theaterbegeisterten Wien bastelten bürgerliche Familien aus Ausschneidebögen Kulissen und Figuren nach. Sogar ein eigener Verlag hatte sich auf die Produktion solcher Bögen spezialisiert. In selbstgebauten Guckkastenbühnen, die mit Schlitzen versehen waren, wurden die ausgeschnittenen Figuren hin- und herbewegt, Kulissen an der Rückwand und den Seiten angebracht. Sie gaben die Illusion von Tiefe und Raum der großen Bühnen wieder und ermöglichten einer faszi­nier­ten Anhänger*innenschaft, das zeitgenössische Repertoire der großen Theater und Opernhäuser nachzuspielen.
Das Papiertheaterkollektiv Zunder knüpft an dieser Tradition an, stellt es aber im emanzipatorischen Sinn ‚vom Kopf auf die Füße‘. Nicht mehr das bürgerliche Wohnzimmer, sondern eine an widerstän­digen Inhalten interessierte Öffentlichkeit ist nun die Adressatin dieses Formats. Das Stück kommt zu den Leuten: Jeder Wirts­haussaal, jedes Klassenzimmer, jede Betriebskantine eignet sich als Aufführungs­ort. Mit der geringen Größe der Bühne – sie ist nicht größer als ein Fernseher – ist die Zahl der Zuschauenden auf 20 bis 30 Menschen begrenzt. Auf solch engem Raum ist es möglich, miteinander in Kontakt zu kommen, miteinander zu spre­chen. Das ‚DIY Fernsehformat‘ Papiertheater verlangt von seinem Publikum, seine Sehgewohnheiten zu verändern, sich in theatraler Entschleunigung zu üben, auf der Basis des gelesenen Texts und der reduzierten Darstellung Bilder im eigenen Kopf zu entwickeln und sich so das Stück auf ganz persönliche Art anzueignen.
Die Leser*innen, aber auch sämtliche Handgriffe der Puppenspieler*innen, das Einsetzen und Bewegen der Figuren, das Wechseln der Kulissen, das Ein- und Ausschalten der Bühnenbeleuchtung sind für die Zuschauer*innen sichtbar. Dies kann durchaus als Aufforderung verstanden werden auch selbst zur Theaterproduzent*in zu werden. Eine Schuhschachtel und ein paar ausgeschnittene Figuren reichen für den Anfang. Zu erzählen gäbe es jedenfalls genug …

Kollektive Theaterpraxis
Was es wie für uns zu erzählen gab, hat sich im Laufe vieler Treffen entlang der Überlegungen zur Rätedemokratie und zum Format Papiertheater entwickelt. Die konkrete Arbeit am Stück begann mit einer mehrdimensionalen Zeitleiste, auf der historische Fakten ebenso verzeichnet wur­den wie Figurenporträts, die es erlaubten, die löchrigen Biografien der Protagonist*innen der Rätebewegung zu ergänzen, und mögliche Handlungs­strän­ge, die auch auf die Gegenwart verwiesen. Anhand dieser Zeitleiste ver­dichteten wir die historischen Ereignisse zu einzelnen Szenen und legten jene Orte und Zeit­räume fest, die wir auf die Bühne bringen wollten. Nachdem wir eine gemeinsame Grundlage für das Stück erarbeitet hatten, bildeten wir Arbeitsgruppen mit je eigenen Aufgaben- und Verantwortungsbereichen: Einige bauten an der Bühne, entwarfen die Kulissen und die Figuren, andere schrieben gemeinsam den Text. Bei den regelmäßigen Treffen wurden die Zwischenergebnisse diskutiert, erweitert und verändert.
Abgestimmt wurde dabei nicht, Fragen und Einwände wurden solange verhandelt, bis es zu einem Ergebnis kam, mit dem alle, zumindest halbwegs, einverstan­den waren. Diese Art der Zusammenarbeit wurde auch bei den Proben fortgeführt: Wie die einzelnen Figuren gelesen und bewegt, wie die Kulissen gewechselt werden und das Licht zum Einsatz kommt, wurde an langen Abenden ent­wi­ckelt, wobei es wiederum eine Person gab, an der es lag, den Überblick über die Inszenierung zu behalten. Einfälle und Einwände wurden von allen eingebracht und erwiesen sich, selbst wenn sie wieder verworfen wurden, stets als produktiv, da in jedem einzelnen Fall der Möglichkeitssinn geschärft und die Entscheidung für eine Variante nachvollziehbarer, ja, demokra­tischer wurde.

Die Arbeit an dem Papiertheaterstück hat Geschichte und Gegenwart, Inhalt, Form und Theaterpraxis derart miteinander verknüpft, dass die Frage, ob Theater po­litisch sein kann, darf oder soll, obsolet er­scheint. Es sind nicht die Bretter selbst, die die Welt verändern, sondern die Arten und Weisen, wie die Bretter bespielt werden und, vielleicht, über sich selbst hinaus verweisen auf etwas, das es zu tun gibt im Hinblick auf die drängenden sozialen, öko­nomischen und ökologischen Proble­me unserer Gegenwart.

 

Das Theaterstück ist im folgenden Buch abgedruckt:
Anna Leder, Mario Memoli und Andreas Pavlic (Hg.):
Die Rätebewegung in Österreich. Von sozialer Notwehr zur konkreten Utopie, Mandelbaum Verlag, 2019

Kunst im öffentlichen Raum

SKULPTURENPARK LINZ.
Einstweilen ist das Urfahrmarktgelände noch leer – aber ab 15. Juni findet dort die „weltweit größte Skulpturenshow“ statt, die von der KUNSTHALLELINZ betrieben wird. Das Opening des Skulpturenparks findet am Samstag, den 15. Juni, 18 Uhr, satt – mit Katalogpräsentation und Jubiläumsfeier von 6 Jahre Kunsthalle. Die Kunsthalle, die bisher rund um das Salonschiff Florentine ausgestellt hat, versteht das Projekt Skulpturenpark auch als Erweiterung ihres Aktionsradius auf das Urfahrranermarktareal. Dauer der Freiluft-Ausstellung am Urfahrmarktgelände: bis 23. Juni.