Die Revolution erscheint in Frauengestalt

Die frühen sozialen Bewegungen: Über Berta Pölz, eine Vertreterin der Rätebewegung und eine weitgehend unbekannt gebliebene Kämpferin gegen den Krieg und für ein besseres Leben, schreibt Peter Haumer. Außerdem geht es um die ewige Angst der Herrschenden vor einer sozialen Revolution und den neuen starken Frauen.

Berta Pölz ist eine von mehreren ProtagonistInnen in „Pannekoeks Katze“ – ein Stück des Papiertheaters Zunder. Papiertheater Zunder

Berta Pölz war 24 Jahre alt, als im Frühjahr 1919 der Stummfilm Der Kampf der Gewalten in Österreichs Kinos kam. Der Film griff ein damals tagespolitisch aktuelles Thema auf: Vor dem Hintergrund der Existenz von Räterepubliken in Russland, Ungarn und Bayern werden Arbeiter einer Fabrik von einem Bolschewiken namens ‚Borski‘ gegen ihre Direktoren aufgewiegelt. ‚Borski‘ entpuppt sich jedoch als Frau in Männerkleidern – die Revolution erscheint in Gestalt einer Frau. Sie agitiert und stellt Hierarchien und Eigentum infrage. Die Arbeiter treten, angetrieben von ihr, immer fordernder auf und gehen schließlich mit den Kapitalisten eine Abmachung ein: Sechs Monate werden sie die Fabrik übernehmen – wirtschaften sie besser als die alten Eigentümer, werden sie die neuen Besitzer sein. Die Selbstverwaltung scheitert jedoch kläglich und die Arbeiter begrüßen die Rückkehr der Direktoren. Die Praxis lehrte die Arbeiter, dass sie „eine Kraft, doch ein Rumpf ohne Kopf“ seien. Der Film ist ein christlich-soziales, eine berufsständische Ordnung propa­gie­rendes Machwerk. Und er zeigt offen die 1918/19 vorherrschende Angst der Herr­schenden vor einer sozialen Revolution und den neuen starken Frauen.
Berta Pölz war eine dieser neuen starken Frauen, die unermüdlich agitierte und Hierarchien und Eigentum infrage stellte. Bereits als Mädchen und Jugendliche organisierte sie sich in der sozialdemokratischen Mädchen- und Frauenbewegung und vertrat dort linksradikale Positionen. Als die österreichische Sozialdemokratie 1914 in das Lager der Kriegsbefürworter desertierte und den Krieg der Habsburger mittrug, schloss sich Berta der kleinen aber aktiven Strömung der Linksradikalen um Franz Koritschoner1 und Leo Roth­ziegel2 an. Sie war Arbeiterin in einem Rüs­tungsbetrieb in Wien und machte dort aus ihrer antimilitaristischen und revolutionären Haltung kein Geheimnis. Sie be­teiligte sich an Streiks, Hungerdemonstrationen und politischen Kundgebungen, wie zum Beispiel während des Prozesses gegen Friedrich Adler.
1917 war nicht nur das Jahr der russischen Revolution, sondern es begann sich unter den Arbeiterinnen und Arbeitern in Österreich-Ungarn auch eine Kampfbereitschaft gegen den Krieg, für den sofortigen Frieden und ein besseres Leben zu ent­wickeln. Höhepunkt dieser Entwicklung war der Jännerstreik 1918, an dem 750.000 Arbeiterinnen und Arbeiter teil­genommen hatten. Der Jännerstreik wur­de nicht von den sozialdemokratischen Arbeiterorganisationen SDAP und deren Gewerkschaften organisiert. Diese befanden sich im Burgfrieden mit dem Regime und taten alles um Streiks zu verhindern. Berta Pölz gehörte dem illegalen Arbeiter- und Soldatenrat an, der gemeinsam mit Vertrauensmännern aus vielen Rüstungsbetrieben den Jännerstreik organisiert hatte. In Flugblättern versuchten sie beizutragen, dass der Streik erfolgreich zu Ende geführt werden konnte – es bei den Frie­densverhandlungen mit den Bolsche­wiki in Brest-Litowsk zu einem gerechten Frie­densabschluss kommen würde. Doch der Ausstand der 750.000 Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich in vielen Orten und Fabriken autonom in Arbeiterräten organisiert hatten, musste ergebnislos abgebro­chen werden. Das Massensterben an den Fronten ging bis November 1918 weiter – insgesamt verloren mehr als 9 Millionen Soldaten und 10 Millionen Zivilisten im 1. Weltkrieg ihr Leben.
Der illegale Arbeiter- und Soldatenrat umfasste radikale SozialdemokratInnen, SyndikalistInnen, AnarchistInnen, Linksra­di­kale, linke ArbeiterzionistInnen und Bol­schewistInnen aus den verschiedensten Sprachgruppen der Donaumonarchie. Auf den Erfahrungen dieser Struktur wurde versucht, nach der Ausrufung der 1. Republik am 12. November 1918 aufzu­bau­en und so wurde Ende November 1918 die Föderation Revolutionärer Sozialisten „Internationale“ (F. R. S. I.) gegründet, mit der sozialistischen Wochenzeitung Der Freie Arbeiter. Berta Pölz war nicht nur Gründungsmitglied der F. R. S. I., sondern gemeinsam mit der Lehrerin Hilde Wertheim auch verantwortlich für die Herausgabe des Freien Arbeiter. Berta Pölz war darüber hinaus aktiv in der Arbeitslosenbewegung und wurde auch in den Arbeiterrat gewählt.
Für die F. R. S. I. war die soziale Revolution und die Errichtung einer Räteherrschaft aktuelles Ziel ihres Handelns. Als im März 1919 in Ungarn und im April 1919 in Bayern die Räteherrschaft ausgerufen worden war, schien die Zeit reif dies auch in Österreich zu tun. Mehrere Male sind zwischen April und Juli 1919 Versuche unternommen worden, die Herr­schaft der Arbeiter- und Soldatenräte zu errichten – jedoch ohne Erfolg! An allen diesen Versuchen war Berta Pölz maßgeblich beteiligt.
Einer dieser Versuche sollte am 15. Juni ausgehend von Wien und dem Wiener Becken zur Ausrufung der Räterepublik führen. Zwei Tage vorher wurde Berta Pölz gemeinsam mit Franz Koritschoner nach Ternitz und Neunkirchen geschickt, um dort die sofortige Ausrufung der Räteherrschaft in die Wege zu leiten.3 Koritschoner erklärte den Arbeiterräten von Ternitz und Neunkirchen, dass es not­wen­dig sei, „daß das Wiener Neustädter Industriegebiet die Ausrufung zuerst voll­zieht, alles andere werde dann folgen. Die ungarische Regierung habe die Versor­gung mit Lebensmittel übernommen.“4 Doch die sozialdemokratischen, aber auch die kommunistischen Arbeiterräte stellten sich gegen die Vorschläge von Franz Koritschoner und Berta Pölz. Der Auf­standsversuch vom 15. Juni 1919 wurde schließlich abgeblasen.
Mitte Juli 1919 gab es noch einen letzten Versuch, ausgehend von Vöslau, doch noch die Ausrufung einer Räterepublik in Österreich zu erreichen. Wieder war Berta Pölz wortführend mitten im Getümmel zu finden. Und wieder waren ihre Bemühungen zum Scheitern verurteilt. Als dann die ungarische Räterepublik Anfang August 1919 von der Konterrevolution niederge­schlagen worden war, war Berta Pölz und ihren Genossinnen und Genossen klar, dass sich damit der Kampf für die soziale Revolution in Österreich von einer aktuellen Tagesaufgabe wieder auf ferne Tage verschoben hat. Die Niederlage las­tete schwer auf ihnen.
Berta Pölz heiratete 1922 den Journalisten David Pollak. 1923 kam ihr gemeinsamer Sohn Roland zur Welt. Im Juni 1938 mussten alle drei vor den Nationalsozialisten über Luxemburg und Brüssel nach Paris flüchten, wo sie vom 12. 4. 1941 bis 23. 8. 1944 als so genannte U-Boote in Paris und Montauban lebten. 1946 kehr­ten sie nach Wien zurück.

Dieses Portrait von Berta Pölz steht auch exemplarisch für viele Revolutionärinnen und Antifaschistinnen, denen aus meh­re­ren Gründen wenig Beachtung geschenkt wurde. Sie war eine Frau, eine Arbeiterin und sie war radikal. Und bekanntlich wird dies von den herrschenden Gewalten in Österreich noch immer als Bedrohung gesehen.

 

1 Franz Koritschoner wurde 1892 in Wien geboren. Im Jännerstreik 1918 spielte Koritschoner eine führende Rolle, wurde verhaftet und erst kurz vor dem Zusammenbruch der Monarchie freigelassen. Im November 1918 wurde er bei einer Demonstration in Wien schwer verwundet. Mit einer kleinen Gruppe von Linksradikalen trat Koritschoner kurze Zeit nach ihrer Gründung der KPÖ bei.

2 Leo Rothziegel, Schriftsetzer, geboren 1892 in Wien; gestorben in Vámospércs bei Debreczin (Ungarn), 22. 4. 1919 (gefallen). Anarchosyndikalist, war an der Organisierung des Jännerstreiks 1918 maßgeblich beteiligt.

3 Anfang Juni 1919 trat die F. R. S. I. in die im November 1918 gegründete Kommunistische Partei ein. Die so hergestellte Einheit im revolutionären Lager sollte den Kampf für die Räterepublik und die soziale Revolution effektiver machen.

4 Arbeiter-Zeitung, 18. 6. 1919, S. 5.

 

Literaturtipp:
Peter Haumer: Die Geschichte der F. F. S. I.
Die Föderation Revolutionärer Sozialisten „Interantionale“ und die österreichische Revolution 1918/19
Mandelbaum Verlag, 2018

Welcome to the jungle!

Willkommen im Gewirr der anti-alkoholischen Getränke. Naja, muss auch sein. Der Slow Dude ist zwar ein passionierter Trinker – Alkoholtrinker – aber gerade in der gegenwärtigen Zeit muss der Kopf kühl, die Beobachtungsgabe wach und der Gedanke klar bleiben. Ansonsten hat man als Medienmensch gleich einen Wickel mit Artikel 13 oder wird als investigativer Journalist gar zensuriert. Und ihr werdet sehen: Die Medienbashingkultur der aktuellen Regierung wird selbst vor der Gastrojournaille nicht Halt machen. Der Dude hatte eigentlich ein Spezial zu Lokalen von MigrantInnen geplant – hat aber davon abgelassen – um ja keinen Staub aufzuwirbeln. Die heimische Kost ist ja soundso besser und gesünder und regional und schmeckt nach Heimat – also nach Filz und Loden.
Darum versucht sich der Dude nun an einer Bestandsaufnahme des Anti-Alk-Angebots (AAA) lokaler Produktion. Zudem hat ihm ein LeserInnenbrief wiederholten, ja sogar systematischen Sexismus vorgeworfen. Und dass sich der Dude gleichzeitig mit wildgewordenen linkslinken Emanzen und rechtsrechten Kellerschmocks anlegt, kommt gar nicht in Frage. Der Dude ist ein Mensch der Mitte und Balance, ein Wesen der Vernunft und Weitsicht – so wie unser Kanzler. Und darum auch ein Verfechter fruchtiger und zuckriger Getränke – mit exotisch neuem Geschmack, aber in der Wirkung substanzlos. Jetzt über das Standardangebot von Coca-Cola (Zuckerlimo, die ja in Flaschen abgefüllter Kapitalismus ist – Strike!) oder andere grausige Limos wie Vöslauers emotionalisierte Mischgetränke (aufgemotztes Mineralwasser, das in Flaschen abgefüllte Wellness sein soll) herzuziehen, wäre fad und langweilig. Vor den Vorhang holt der Dude ein paar leckere Produkte aus der Region – die man im Notfall oder auch sonst mit Alkohol strecken könnte.
Als erste soll hier Fruby genannt werden – eine Produktreihe aus dem Hausruckviertel, die durch klaren Geschmack und sympathische Glasflaschen hervorsticht. Die Sorten Saftige Birne, Saure Kirsche, Knackiger Apfel, Spritzige Traube, Feinste Blüten (Holler) und Fruchtige Himbeere werden angeboten. Die Produktnamen nennen den Inhalt beim Namen – im Gegensatz zum Firmennamen, der wohl aus einem Start-Up-Namensgenerator stammt. Aber egal – gut sind die Limos, aus Bioprodukten und mit wenig Zucker. Alles in allem eine 100%-Empfehlung. Weiter geht’s in den Traunkreis.
Zur Firma Hasenfit – hier erspart sich der Slow Dude eine Analyse des Namens. Ansonsten kommt wieder die linkslinke Emanze und motzt rum. Obwohl sich Hasenfit natürlich herrlich hervorragend für einen leicht anzüglichen Schmäh eignen würde – noch dazu mit dem Werbeslogan: „So schmeckt Liebe“. Aber Back to the Point: Hasenfit ist ein alter Hase im Reformhausregal und produziert ein breites Sortiment an Bio-Fruchsäften. Viele sehr, sehr gut. Aber manche schmecken nach Waldorfschule. Zum Beispiel Passionsfrucht-Rote Rübe. Lauwarm direkt vor dem Reformhaus genossen – ein Horror. Arm diejenigen, die Durst und nichts anderes zur Verfügung haben. Auf der anderen Seite die Saftkreation Erdbeere mit kleinem geistigen Schuss (z. B. Gin) auf Eis. Herrlich im Sommer. Absoluter Winner ist aber der Hirschvogel – ein Apfel- und Fruchtmischsaftproduzent aus Thening. Local Hero quasi. Sein Star aus der Produkt­parade: der Apfel-Quittensaft. Selten wurde gefälliger Apfelsaft und störrischer Quittensaft so harmonisch und vollkommen zusammengeführt. Die hier geschaffene Saftcuvée überzeugt durch direktes und unverfälschtes Fruchtaroma. Auch nach dem fünften Glas stellt sich noch kein „Ich-hab-genug“ ein. Sondern immer und immer wieder: „Ich will mehr!“.
In unseren Breiten – noch dazu als heimatverbundener Dude der Mitte – kommt man an der Schartner Bombe nicht vorbei. Hier überzeugen wohl eher Kult als Inhalt. Aber der Dude kann den herrlichen Geschmack nicht leugnen. Der Geschmack der Kindheit. Zitrone oder Orange. Die späteren Geschmacksrichtungen sind verziehen – sie tun nichts zur Sache und sind irrelevant. Als Resümee und Aufruf: Kauft beim Wirt und auch für zuhause Gutes aus der Gegend. Es ist einfach besser und auch unpolitisch. Es ist einfach eine leichte Entscheidung des Geschmacks und der Ökobilanz.

Die verträumte Vision des Slowdudes wäre ein Gipfeltreffen von Sebastian und Greta im herrlichen OÖ. Saft wird getrunken und Greta erklärt das dem Sebastian, das mit der Ökologie und der Jugend. Und den Ehrenschutz übernimmt der Reinhold. Und alles wird gut. Im Saftladen.

 

www.fruby.at

www.hasenfit.at

www.w-hirschvogel.at

www.fridaysforfuture.at

www.sebastian-kurz.at

FRAUEN-SPORT ABSCHAFFEN – den Männern gehört der Sport!

Die armen benachteiligten Männer wehren sich. Endlich! Wieso hat das nur solange gedauert?!

Jahrelang mühten sich die systematisch und strukturell unterdrückten Männer ab, Anerkennung für ihre Leistung zu bekommen. Doch trotz intensiven Trainings und Einsatzes gelangten sie nicht an die Töpfe der Sportförderung. Diese waren fest in Frauenhand. Frauen in Entscheidungsgremien, Frauen in der Verantwortung der Fördergeldverteilung, Frauen in macht­vollen Positionen in Medien, Wirtschaft und Politik, Frauen als Präsidentinnen der allermeisten Vereine und Verbände, Frauen im Sportministerium, Frauen in der Rechtsprechung, Frauen in der Werbung, Frauen als finanzkräftigste Konsumgruppe, Frauen in den Redaktionen der Sportberichterstattung, Frauen überall dort, wo Entscheidungen gefällt werden und wo das große Geld fließt.

Jahrelang mühten sich die systematisch und strukturell unterdrückten Männer ab, Anerkennung für ihre Leistung zu bekommen. Aufgrund der männlichen hormonellen Eindimensionalität gelangte bisweilen die körperliche Leistungsbereitschaft nur in den Bereichen Krieg und Zerstörung an ihren Höhepunkt und somit zur medialen Berichterstattung als Randnotiz der menschlichen Geschichte. Dieses mythische Bild führte zu der stereotypen Reduktion des männlichen Körpers auf einen athletischen Kämpferhelden, mit dem Mythos „des ewig Kampfbereiten in der letzten Schlacht zur Eroberung der Vulva“.
Dieses jahrhundertelang eingeprägte und indoktrinierte Bild sitzt tief verankert im Unterbewusstsein jedes Einzelnen und reproduziert sich tagtäglich als immer wiederkehrendes sexistisches Stereotyp mitten in der Gesellschaft. Jederzeit verfügbar zu sein, jederzeit die genitalste Standhaftigkeit zu zeigen und aufrechtzuerhalten bis das Gegenüber zufrieden ist, die immer wiederkehrende mediale Reduktion auf das Hinterteil. Gesicht uninteressant. Das Hintanstellen der eigenen Bedürfnisse und die selbstverständliche Selbstaufgabe. Darunter leidet der kollektive Selbstwert der Männer und macht sie zum schwachen Geschlecht.

Jahrelang mühten sich die systematisch und strukturell unterdrückten Männer ab, Anerkennung für ihre Leistung zu bekommen. Aufgrund ihres angeborenen Hangs zum gemeinschaftlichen Eierkratzen und den daraus resultierenden wenig vorhandenen Zeitressourcen ist ihr Erfolg in vielen Sportarten eher mäßig. Einzig in den Kampfsportarten können sie vereinzelt zu den erfolgreichen Heldinnen hinschnuppern, um im nächsten Moment k. o. am Boden zu liegen. Aber immerhin. Sie haben sich bemüht.

Wenn sie ihren Spaß daran haben, dann sollen sie es tun.
Sie tun ja niemanden etwas damit. Manche Sportler hatten schwerreiche Mäzeninnen hinter sich, die ihre sportliche Leidenschaft finanzierten. Der Erfolg war mäßig. Das lag wohl daran, dass sie ihre Leistungen an ihrer Geldquelle direkt abliefern mussten und ihnen im Wettkampf die Kraft ausging.
Manche Sport­ler waren gesundheitlich zu schwach. Der ständig grassierende Männerschnupfen zehrte verschleißend an den Kräften der schwachen Geschöpfe, die neben dem körperlichen Verfall auch meist in eine wochenlange Depression schlitterten. An professionelles Training war nicht zu denken. Aus Sorge um die gesundheitliche Aufrechterhaltung der männlichen Reproduktionsorgane galt lange Zeit ein Sportverbot.
Fortschrittliche Kräfte schafften diese Gesetze ab und seither erobern die schnittigen Männer in sexy Shorts Schritt für Schritt die Sportplätze. Allerdings werden Resultate von Männern und Frauen in einigen Sportarten unterschiedlich bewertet und demgemäß auch unterschiedlich belohnt. Argumentiert wird mit der Größe des Starterfeldes, das bei Herren oft dramatisch unter jenem der Damen liegt. Die gesundesten und potentesten Sportler, jene, die mysteriöserweise ihre Immunkraft in der Eroberung der Vulva erlangten, fordern nun zu Recht einen Teil des Kuchens. Ihr Argument: An der Spitze ist die gleiche Dichte.

 

Tipp: Le Clit – Animated Docu
vimeo.com/222111805

Spam-Mails an gemeinnützige Vereine weiterleiten …

Mein lieber Freund

Ich bin Frau Elizabeth Kerli James aus den Niederlanden. Ich lebe mein ganzes Leben in Frankreich und später in den Vereinigten Staaten, ich bin eine sterbende Frau, die beschlossen hatte, meine Spenden an gemeinnützige Vereine zu spenden, anstatt seinen Verwandten zu gestatten, die hart verdienten Gelder meines Mannes für unglückliche Zwecke zu verwenden. Ich wurde vor ungefähr zwei Jahren unmittelbar nach dem Tod meines Mannes auf Krebs diagnostiziert. Wenn ich auf meinem Krankenbett liege, möchte ich, dass Sie mir helfen, meinen letzten Wunsch auf der Erde zu erfüllen, der für Sie sehr profitabel sein wird. Ich möchte diesen 6.470.000,00 EUR an Sie spenden, von dem ich möchte, dass Sie einen Teil davon an gemeinnützige Vereine verteilen. Für Ihre Freundlichkeit in Bezug auf diese Arbeit, die Sie ausführen sollen, biete ich Ihnen 40% an, während 60% des Fonds an gemeinnützige Vereine Ihrer Wahl gehen.
Bitte kontaktieren Sie meinen Anwalt über diese E-Mail für weitere Informationen.

Respektvoll

wer.zah.lt.sch@fft.an

Das Vorhaben der Insect-City

Christoph Wiesmayr, seines Zeichens Rurbanist, Planer und autobefreiter Initiator von Gemeinschaftsgartenprojekten bzw. „Schwemmland“-Mitbegründer, legt ein Raum beanspruchendes Buch auf den Tisch, einen wahren Ziegel. Anlässlich seines Insect-City-Vorhabens hat sich Lisa Spalt mit ihm getroffen, um übers Bauen zu sprechen, und zwar aus der insektoiden Perspektive.

Wir kreisen um den Honigtopf des eingangs erwähnten Bandes. Das Buch stammt von Paul Westrich, es geht darin um die Wildbienen Deutschlands. Wir rufen uns, davon abhebend, ins Gedächtnis, dass die Diskussion um die süße Honigbiene eine ist, die dem Problem des Insektensterbens zwar ein marketingträchtiges Sumsi-Gesicht gibt (kennen wir vom Weltspartag!), als fahrlässig apis-mellifera-zentrischer wird der Diskurs jedoch den meisten Insekten nicht zum nötigen Anteil an Pollen-Kuchen und Lebensraum verhelfen. Die Honigbiene wiederum leistet, was die Bestäubung der Pflanzen und viele andere Aktivitäten angeht, nicht den Hauptteil der Arbeit. In einer Zeit des Hochhaltens von Leistungsträgern sollte daher wohl darüber diskutiert werden, wie den Tierchen geholfen werden kann, damit uns geholfen werde. Ein Blick nach China reicht, um zu sehen, wie gravierend die Folgen der Ausrottung von Insekten sind, nämlich dort, wo bereits Menschen von Blüte zu Blüte gehen und – da sie die insektoiden ArbeiterInnen ausgerottet haben – den Bestäubungsvorgang selbst in Szene setzen.
So weit soll es in Österreich, wo Tempo 140 auf der Autobahn und Flugtaxis absolute Priorität haben, nicht kommen. Mikroaufnahmen von Nestern und Entwicklungsformen, Aufnahmen der von den Insekten zum Leben benötigten Strukturen werden daher von Wiesmayr erkundet. Er will Landschaft aus der Sicht der so wichtigen Krabbler und Flieger verstehen. Wo nisten sie in einer Zeit, in der die Wiesenstreifen zwischen Äckern und Straßen verschwinden, weil das künstliche Rieseninsekt der Drohne dem Bauern die Felder so exakt vermisst, dass er diese Käfige gezähmter Natur bis auf den letzten Zentimeter mit Nutzpflanzen möblieren kann? Auch Architekt*innen im klassischen Sinne verbauen Landschaft, so Wiesmayr. Es gehe ihm nun aber nicht unbedingt darum, die Bebauung zu verhindern, sondern darum, darüber nachzudenken, wie diese aussehen könnte, damit sie Lebensraum für Menschen und Insekten bietet. Mit Studierenden gleich des ersten Semesters führt er dieses Jahr einen Workshop zum Thema durch. Die Grundlagen für diesen liefert ein Vortrag von Dr. Martin Schwarz, der Biologe am Biologiezentrum Linz ist. Anschließend wird versucht werden, Gebäudetypen neu zu denken. Wanderungen zu speziellen Orten in Linz, die sich als günstig für die Ansiedlung von Insekten erwiesen haben, sollen das Verständnis vertiefen.
Gebäudehüllen seien in der gegenwärtigen, technisch orientierten Ausprägung insektenfeindlich, so Wiesmayr. Man stelle sich die geschlossene, nischenlose Fassade des typischen Repräsentationsgebäudes vor, Wiesmayr ergänzt das Bild, spricht von hinterlüfteten Fassaden mit Insektenschutzgittern. Das Insekt als Gottseibeiuns der heiligen Hallen Eindruck schindender Gebäude wird hier um jeden Preis an der Entweihung der sterilen Naturlosigkeit gehindert. Dabei besitzen die meisten Wildbienen nicht einmal einen Stachel, mit dem sie wider die Herrschaft des Menschen löcken könnten. Wenn sie unsere Behausungen aufsuchen, so nur auf der Suche nach einer Herberge, in der ein paar geflügelte Kindlein geboren werden könnten. Im Workshop Wiesmayrs wird es daher einen Schwerpunkt Theorie geben, und zwar zur Frage, wie Gebäudehüllen aussehen könnten, um Insekten Unterschlupf zu bieten. Der sich selbst als „Rurbanist“ bezeichnende Planer sieht hier einen neuen Zugang heraufdämmern. Wo bisher die Technik Vorrang hatte, wird Stadt langsam doch eher grün gedacht.
– Hm, wahrscheinlich geschieht das nur dort, denke ich, wo den Leuten nicht das rechte Braune vom mittlerweile ewig strahlenden, alles verdörrenden Himmel heruntergefaselt wird. Aber den Gedanken verdränge ich zugunsten der erfreulicheren Vision von Menschen, die sich um die Welt und ihre Mitkreaturen bemühen. Solche haben schon einmal damit begonnen, Fassaden zu begrünen. Hier können sich Bienen zum Ernten einfinden. Wiesmayr will weitergehen. Dafür muss geforscht werden. Insekten siedeln sich nämlich beileibe nicht immer dort an, wo man es vermuten könnte, sie lassen nicht selten das schicke Insektenhotel links liegen und kampieren wild in den Bohrlöchern von Ikea-Regalen. Oder man schleppt sich mit der Bio-Erde die Trauermücke ins Habitat der zum Zimmerpflanzendasein verdonnerten Kräuter und überlegt sich, welchen vom Aussterben bedrohten Vogel in seinem Hirnkästchen man hier eigentlich füttert. Wo ist die Grenze der Insektenliebe? Wie kann ein Miteinander funktionieren?
Neue Erscheinungen wie das Passivhaus machen das Öffnen von Fenstern mehr oder weniger unnötig. So verirrt sich auch kein Tier in die Gebäude und der Mensch kreist in seiner totalen, weil ihn gleichzeitig repräsentierenden und enthaltenden Umwelt. Wiesmayr weist darauf hin, dass es auch bei Büro- und Wohngebäuden mit kontrollierter Wohnraumlüftung nicht mehr nötig bzw. nicht mehr möglich ist, ein Fenster zu öffnen. Die im Bauch solcher Gebäude arbeitenden Menschen klagen daher mitunter sogar über den fehlenden Bezug zum umgebenden Asphaltbiotop, in dem die Auto- und Bustiere sich munter vergnügen. Wiesmayr sieht diese bautechnischen Abhängigkeiten kritisch. Aber warum, da diese Fassadenformen schon einmal da sind, nicht zumindest die Fassade begrünen, sodass die Natur durch die Fensterscheiben ins Gebäude hineinsieht? Warum der Biene als einer Abgeordneten der Natur nicht die Möglichkeit geben, das Gebäude zumindest von außen zu bewohnen?
Wir sprechen noch einmal über die Sehnsucht nach dem romantischen Wald der Maler, die durch die Angst vor der waffentragenden Wespe und der bissigen Gelse zur löchrigen und juckenden Wollstrumpfhose wird. Und besonders insektoide Kulturfolger geraten oft ins Visier des nach Grün und Frischluft lechzenden Menschen. Bitte, was ist mit Borkenkäfern und Asseln? Beide Populationen sind deswegen so angeschwollen, weil sie mit uns Menschen mitleben. Die Tiere fänden eben, so Wiesmayr, in unserem Umfeld die richtigen Refugien, um sich zu vermehren. Es gehe aber eigentlich um die anderen, die, die unsere Kulturlandschaft vernichte. Wiesmayr erwähnt „Permakultur Holzer“-Junior, der mit ihm ein Projekt in Ottensheim entwickelt hat. Bei diesem ging es darum, der Streuobstwiese gemeinsam mit der Bevölkerung zu ihrem Recht zu verhelfen. Es wurden 600 Bäume hochgezogen, die nun, nach drei bis vier Jahren ausgesetzt werden können. Dabei wurde deutlich, dass manche Mähmaschinen perfekt dafür geeignet sind, Insekten-Smoothies herzustellen. Die Tiere werden darin, da das Gehäuse geschlossen ist, richtiggehend püriert. (Grüßgott, das hier ist mein Aufruf, das Produzieren von Rasen bleiben zu lassen! Ich hoffe, dass die Dame, auf deren Schrebergarten mein Büro raussieht, den Text hier lesen wird. Warum kommt niemand auf die Idee, alle die teppichartigen Rasenflächen in der Stadt zu Wiesen oder Gärten umzufunktionieren?)
Karg und aufgeräumt wirken österreichische Landschaften im Frühjahr, so Wiesmayr. Es gebe keine verfallenen Gebäude mehr, keine Scheunen, die Refugien bilden könnten. Ich erinnere mich, dass solche Einrichtungen nicht nur in Niederösterreich Gstettn genannt werden und in den dortigen Regionalzeitungen der Entrüstung der Bevölkerung zum Fraß vorgeworfen werden. Hier kommt die Frage nach der Stadtentwicklung ins Spiel. Wiesmayr will sich mit seinen Studierenden die problematische Lage aller Insekten ansehen, experimentieren mit Lehm, Stroh und Holz. Aus diesen Materialien sollen Modell-Elemente, zum Beispiel in Form von Kacheln aus perforiertem und anschließend glasiertem Ton, hergestellt werden. Das Insektenhotel als Unterkunft für eine verschwindend kleine Elite von Tieren, die sich einen Platz darin sichern kann, wird bewusst nicht als Modell verstanden. Das Ganze soll weitaus umfassender gedacht werden im Sinne einer Umwandlung der Stadt in eine „Insect City“. Gerade bei Sanierungsmaßnahmen wäre hier einiges möglich. Man würde die bestehende Struktur dämmen und anschließend mit einer Schutzhülle versehen. Niemand müsste sich fürchten, dass es den Insekten einfallen könnte, direkt in den Wänden leben. Und welche Möglichkeiten der Gestaltung hält das Thema Landschaft bereit? Wie verhält sich die Größe des Menschen zu seinem Lebensraum, wie die der Termite zu ihrem Bau? Was braucht das Insekt, um ein sorgenfreies Leben führen zu können und gerne in unsere Dienste zu treten? Oft überraschen die Tiere hier den Menschen. Mancherorts entdeckt man oft sonnenseitig gelegene Brüche im Gelände, Hangkanten, an denen Erde freiliegt, die wir vielleicht als Zerstörung der Natur wahrnehmen würden, doch gerade diese Wunden in der Landschaft bieten Insekten die idealen Bedingungen zum Nisten. Auch alte Häuser gönnen in Mörtelfugen vielen Insektenarten Unterschlupf. Können solche Strukturen gefördert werden? Wiesmayr erwähnt Louis G. Roy und sein Buch „Natur ausschalten. Natur einschalten“, das Ihnen hiermit empfohlen sei. Der Öko-Pionier hat aus alten Baumaterialien sogenannte Öko-Kathedralen errichtet, in denen sich Insekten eingenistet haben: vielleicht ein Modell? Die Frage, die sich Bauende laut Wiesmayr jedenfalls heute stellen müssen, lautet: Wie könnte Architektur aussehen, würden Insekten sie denken?
Mein Kopf ist voller Science Fiction, voller Utopien und optimistischer Gedanken, als ich nach Hause komme. Ich sehe auf dem Balkon nach den Pflanzen. Insekten? Ich entdecke, dass die Bambusstecken, die ich benutze, um das gezähmte Grün zu stützen, gerade heute von irgendwelchen nistenden Insekten mit gut gekauter Erde verschlossen worden sind. Ein günstiges Zeichen, hoffe ich.

 

INSECT-CITY
Bei der Insect-City geht es um Entwurf, Erforschung und Entwicklung neuartiger Gebäudehüllen für Wildbienen im Kontext Architektur und Landschaft. Der Research findet mit Christoph Wiesmayr und ArchitekturstudentInnen des ersten Jahrganges der Kunstuniversität Linz / BASEhabitat statt, im Rahmen von „Entwurfsaspekte C“. Start war bereits im Mai mit Vorträgen, Wanderung und Erkundungen naturnaher Nistplätze. Von 24. bis 28. Juni folgt eine Intensivwoche mit Umsetzung von Prototypen.

Spezialveranstaltung zu Störstrategen am 29. Juni
www.gfk-ooe.at/event/god- garden-of-disturbia

Insekten genäht

Insekten genäht – eine Arbeit der Künstlerin Edith Platzl. Foto Christoph Wiesmayr

Couragiert euch!

Das beim diesjährigen Festival der Regionen im Juni stattfindende „CouRage – Eine Hör- und Gedenkreise“ rückt Geschichten ins Zentrum, die von einer Welt der Zivilcourage und des Widerstandes erzählen. Theresa Gindlstrasser hat Gerald Harringer getroffen.

Sich für jemanden einsetzen, für etwas aufstehen. Foto Gerald Harringer

Am 5. Mai 1945 wurden die Überlebenden des Kon­zentrationslagers Mauthausen und der Nebenlager Gusen durch US-amerikanische Truppen befreit. Der in Zürich geborene Bankangestellte Louis Häfliger, der im April als Delegierter für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz einen Lebensmitteltransport ins KZ begleitet hatte, geleitete die Soldaten auf das Gelände.

„Es war der Plan sämtliche Häftlinge in die Stollen von Gusen zu bringen. Und das ist Ende April 1945 auch passiert. Die mussten viele Stunden lang eingesperrt in den bis auf einen Eingang schon vermauerten Stollen von Gusen verbringen und wussten, sie sind in einer Todesfalle, denn die Sprengkabel an den Eingängen waren schon gelegt. Diesen Plan wollte Louis Häfliger vereiteln. Und es war ihm klar, das kann er nur, wenn er die Amerikaner überraschend und schnell in unsere Gegend bringt. Und er wusste, sie sind bereits im Raum mittleres und westliches Mühlviertel. Louis Häfliger begab sich mit einem weiß gestrichenen Opel, den er im Lager Mauthausen von der Widerstandsgruppe streichen ließ, in Begleitung des SS-Mannes Reimer, der eingeweiht war in diesen Plan, ins Gusental, in dieses enge Verbindungstal zwischen St. Georgen und Katsdorf-Lungitz, Richtung Gallneukirchen und ist auf der Höhe des Riedererhäusels tatsächlich auf einen Spähtrupp, nämlich dieses Platoon D, der 11th Armored Division 41st Mechanised, gestoßen. Er hat diese Leute mit Kosiek an der Spitze ersucht, sofort nach Mauthausen und Gusen zu kommen. Es gab für Häfliger ein enormes Risiko, er hat seine Aufgabe als Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes bei weitem überschritten. Ob die Sprengungen der Stollenanlagen in Gusen, oder in St. Georgen, im Stollen ‚Bergkristall‘ wirklich durchgeführt worden wären, kann man heute nicht mehr sagen, aber der Plan und der Befehl dazu waren vorhanden.“

So die in St. Georgen an der Gusen lebende Diplompädagogin und Heimatforscherin Martha Gammer in einem Interview mit Gerald Harringer im Jahr 2013. Tatsächlich wurde Häflinger für sein eigenmächtiges Handeln verurteilt, da er gegen das Prinzip der Neutralität des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz verstoßen habe.

Harringer, Mitbegründer von „Die Fabrikanten“, Medienkünstler, Filmemacher und Kulturmanager, lebt seit 10 Jahren in Katsdorf, einer 3000 EinwohnerInnen-Gemeinde im Bezirk Perg in der Nähe von St. Georgen. Seit 2014 recherchiert er zum Thema NS-Zeit im Mühlviertel. Für das Festival der Regionen, das 2019 unter dem Thema „Soziale Wärme“ in der Region Perg-Strudengau stattfindet, hat er das Projekt „CouRage – Eine Hör- und Gedenkreise“ konzipiert. Gemeinsam mit Roswitha Kröll, ehemalige Geschäftsführerin von FIFTITU% und Leiterin des Aus- und Weiterbildungsbereichs von Radio FRO, findet Mitte Mai ein Radio- und Medienworkshop statt, wo Erzählungen über Zivilcourage gesammelt werden und eine Radiosendung produziert wird.

Ausgehend von dieser partizipativen Anordnung wird „CouRage“ als Busfahrt durch die Region führen. Start- und Endpunkt ist Perg. Dazwischen orientiert sich die Route an den in den gesammelten Geschichten markierten Orten. Die Passagiere bekommen historische und aktuelle Beispiele von Courage zu hören. Die Audioaufnahmen dieser Geschichten werden zum Teil innerhalb des Radio-Workshops produziert.

Weil das Projekt noch im Entstehen ist (Anm.: zur Zeit der Entstehung dieses Textes), vor allem die aktuellen Geschichten derzeit erst recherchiert werden, ist die Route der „Hör- und Gedenkreise“ noch nicht fixiert. Harringer: „Wir werden ziemlich sicher durch Ried in der Riedmark, Lungitz, Katsdorf, St. Georgen und Mauthausen kommen.“ Auf die Frage nach dem Ausgangspunkt dieses Projektes antwortet er: „Mein Vater war während des 2. Weltkrieges Feldwebel in der Deutschen Wehrmacht und überzeugter Nationalsozialist. Er wurde 1912 geboren und starb, als ich 15 Jahre alt war. Eine Auseinandersetzung mit ihm zu diesem Thema fand daher nicht statt. Dies mag einer der persönlichen Beweggründe für die langjährige Auseinandersetzung mit dieser Thematik sein. Nachdem nun bald die letzten Überlebenden des Holocausts gestorben sind, sehe ich es als meine, als unsere Aufgabe, die Erinnerung an Geschehnisse in dieser Zeit am Leben zu halten, gerade in meiner Umgebung, wo der Faschismus in Mauthausen und Gusen ein besonders grauenhaftes Gesicht zeigte.“ Harringer über andere Vorhaben: „Im Jahr 2012 bin ich auf Zeitzeugendokumente zur NS-Zeit in den ‚Katsdorfer Heimatblättern‘ und auf Franz Steinmaßls Buch ‚Das Hakenkreuz im Hügelland‘ gestoßen. In den letzten sechs Jahren ist ein Spielfilmdrehbuch entstanden. Ein Dokumentarfilm zum Thema Zivilcourage während der NS-Zeit mit Fokus auf Deportationszüge auf der Summerauerbahn und einem Fokus auf das KZ Gusen ist in Produktion.“ Und weiter: „Es wird im Alltag immer wichtiger, Zivilcourage zu zeigen, sich für jemanden einzusetzen, ungehorsam zu sein, Befehle zu verweigern, sich zu wehren, für etwas aufzustehen, seine Meinung in aller Öffentlichkeit kundzutun, dort, wo niemand sonst den Mut dazu findet. Nachforschen, hinterfragen. Weil sonst kann sich auf tragische Weise die Geschichte wiederholen.“

Am 5. Mai 2019 fand wie jedes Jahr die Gedenkfeier zur Befreiung in Mauthausen statt. Mehr als 9000 Menschen nahmen an der Veranstaltung teil. Nach Verlesung des Mauthausen-Schwurs, den Überlebende kurz nach der Befreiung verfasst haben, erfolgten Kranzniederlegungen und wurden Reden gehalten, welche die Notwendigkeit von Gedenken und Erinnern thematisieren. Willi Mernyi, Vorsitzender des Mauthausen-Komitees Österreich betonte: „Wir sehen das Wiedererstarken von Gruppierungen, die Identität zum The­ma machen, die Entindividualisierung und Entsolidarisierung vorantreiben und die die Gesellschaft bewusst spalten wollen. Es liegt an uns, sich der Menschenverachtung entgegenzustellen und die Menschenwürde von uns allen zu verteidigen.“ Und Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kulturgemeinde, formulierte: „Was bringen die roten Linien, wenn sie ständig übertreten werden und keine Konsequenzen folgen. Früher sagten sie Umvolkung, heute nennen sie es Bevölkerungsaustausch.“

Im Rahmen dieser Gedenkfeier ist ein Foto entstanden, das Bundeskanzler Sebastian Kurz sitzend und die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, Julia Herr, mit einer Plakat-Tafel zeigt. Darauf steht: „Einzelfall #3. FPÖ-Gemeinderat schickt Weihnachtsgrüße mit Nazi-Propaganda“. Die sogenannten „Einzelfälle“ oder „Entgleisungen“ von RegierungsvertreterInnen sind Provokationen gegen die im Mauthausen-Schwur formulierte „Welt des freien Menschen“. Rassistisches Denken rückt dergestalt ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Das Projekt „CouRage – Eine Hör- und Gedenkreise“ versucht jedoch, solche Geschichten ins Zentrum zu rücken, die von einer Welt der Zivilcourage und des Widerstandes gegen Ungerechtigkeit, Rassismus und Verfolgung erzählen. Nach dem Zusammenhang von Courage und Rage gefragt, antwortet Harringer: „Es ist besser, seine Wut, die Rage (die sehr oft entsteht, wenn man sich die aktuelle politische Lage ansieht) zu kanalisieren und zu kultivieren, nämlich in die Courage, die dann eher jemandem zugute­kommt.“

 

Festival der Regionen – „Soziale Wärme“
28. Juni bis 7. Juli in der Region Perg-Strudengau
fdr.at

TIME’S UP

Mit der aktuellen Arbeit „Change was our only Chance“, ab 29. Mai in Wien zu sehen, möchte Time’s up die Angst vor der Zukunft in eine Lust auf die Zukunft verwandeln. Ein anderes wichtiges Projekt wird im Juni und Juli im Rahmen des diesjährigen Festivals der Regionen verwirklicht – die „Wärmegreißlerei 1.0“. Georg Wilbertz reflektiert den größeren Kontext der Linzer Initiative am Hafen.

Als Kunsthistoriker mag man Bücher. Als der Wunsch, über aktuelle Projekte von Time’s Up zu schreiben, an mich herangetragen wurde, erinnerte ich mich, dass es da doch etwas gab. Eine opulente, text- und bildreiche „Festschrift“ zum 20-jährigen Bestehen des Künstlerkollektivs (schon dieser Begriff trifft nur einen Teil der Wahrheit), die ich schon häufiger durchgeblättert hatte, ohne sie wirklich zu lesen (Kunsthistoriker blättern gern). Nun stand das systematische, methodische, zielgerichtete Lesen an und noch vor dem ersten Aufschlagen legte ich mir das inhaltlich-terminologische Rüstzeug zurecht, das mich durch das Buch leiten sollte. Ehrlich gesagt sucht man auch im Neuen meist das, was man schon weiß oder ahnt. Meine Ahnung folgte naheliegenden Bahnen, Spuren und Wegen. Es würde, so hoffte ich, im Buch um Inszenatorisches gehen, um Performatives, Szenisches, um einen offenen Kunstbegriff, um Räume, öffentliche Räume, atmosphärische Räume. Um das Verhandeln des Sozialen, Politischen, Kulturellen. Vielleicht den gesellschaftlichen Diskurs mit Mitteln der Kunst. Im Idealfall wohlgeordnet und effektiv verarbeitbar. Sicher, all dies steckt in der Publikation, die unter dem Titel „L CKENHAFT & KRYPTISCH“ (man hätte gewarnt sein können) 2016 erschienen ist. Allerdings sperrt sich das Buch gegen einen allzu leichten, systematischen Zugang, der einem ein rasches, unkompliziertes Bild der Arbeit von Time’s up vermitteln könnte. Es ist eher ein Such- und Wimmelbuch voller Projekte, Bilder, Szenen und unterschiedlichen Textbeiträgen einer kaum zu überblickenden Zahl von AutorInnen. Und damit ist es auf ideale Weise wohl genau das, was es sein soll: ein repräsentativer Einblick in das Wesen und die Arbeit von Time’s up. Ein hoher Grad an Komplexität wird deutlich. Vieles ist netzwerkartig miteinander verwoben, durchdringt sich thematisch, räumlich, zeitlich und personell. Die Spanne reicht von Diskurs- und Theorieformaten bis zu aufwendigst realisierten räumlichen Installationen und Inszenierungen, die ein immersives Eintauchen der BesucherInnen ermöglichen.

Im Zentrum der Arbeit von Time’s up stehen umfassende räumliche Inszenierungen, für die die üblichen Charakterisierungen wie Installation oder Bühnenbild trotz erheblicher Schnittmengen zu kurz greifen. Mit analogen, handwerklichen und vom Material her handfesten Mitteln werden künstl(er)ische „Wirklichkeiten“ geschaffen, die bis ins Detail hinein funktionieren müssen. Ziel ist die Schaffung von räumlich-inszenatorischer Authentizität, die die Voraussetzung für ein authentisches Wahrnehmen und Erleben durch die BesucherInnen darstellt. Viele BesucherInnen „überprüfen“ gerne auch kleinste Elemente der Inszenierung, um sich der Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit des Dargebotenen zu versichern. Es entstehen „begehbare Erzählungen“, deren räumlich-materielle Konsistenz eine fast widersprüchliche Wirkung erzielen. Die BesucherInnen wissen, dass sie sich in einem inszenierten Rahmen bewegen, trotzdem ermöglicht dieser eine unmittelbar sinnlich-physische Verbindung von Körper und Raum. Der heikle, kaum greifbare Begriff der Atmosphäre tut sein Übriges.

Den aktuellen Diskurs zum Begriff der Immersion und ihrer Wirkung dominiert, wie sollte es anders sein, vor allem die Schaffung komplexer digital-virtueller Wel­ten. Die Arbeiten von Time’s up distanzieren sich bewusst, fast nostalgisch und anachronistisch von den schier unendlich scheinenden Potentialen des Digitalen. Begründet ist dies nicht nur durch die Lust am Material, am Handwerk, am Spiel mit Gegenständen und Objekten, am Schweißen, Schrauben und Dengeln. Am Ende langwieriger Prozesse stehen Inszenierungen, die auf das Mittel der technisch-medialen Vermittlung zwischen Bild (Raum) und Rezeption durch die Sinne und Körper der BesucherInnen verzichten können. Jede Form der technisch-medialen Vermittlung stellt, egal wie überzeugend, wie virtuos sie gestaltet ist, eine Wahrnehmungsgrenze dar. Wie „perfekt“ aktuelle und zukünftige digital-immersive Tools auch sein werden: die einfache, schlichte, fast banale aber dennoch in ihrer Komplexität kaum „nachbaubare“ physisch-emotionale Präsenz des Körpers im Raum ist medial nur in engen Grenzen realisierbar.

Trotzdem ließe sich natürlich provokant fragen, wozu der ganze Aufwand. Ohne den Bogen überspannen zu wollen: Inszenierungen im physisch real vorhandenen und erlebbaren Raum stellen in Zeiten von Fakefetischismus und ideologisch transzendentierter Wirklichkeitsverweigerung schon fast ein politisch-gesellschaftliches Statement sui generis dar. Die Wirkungsabsicht und das Wirkungspotential der Time’s up-Inszenierungen schaffen etwas, das aus naheliegenden Gründen des gesellschaftlichen Missbrauchs eines sich verflüchtigenden Wirklichkeitsbegriffs zunehmend negiert wird (Nebenbei bemerkt: Wirklichkeit lässt sich nicht verflüchtigen, sondern „nur“ durch die destruktiven Mythen negativer Ideologien sinnloserweise in Frage stellen). Es handelt sich um den überprüfbaren, existenziell relevanten Raum, der nicht nur ein euklidisches Faktum umreißt, sondern auch reale Hülle für alles Soziale ist. Die früher zwar komplexe, aber selbstverständliche Überprüfbarkeit dieses Raums wird als zunehmend obsolet erachtet. Das Beharren auf die Existenz des sozialen Raums und der in ihm herrschenden Regeln, Vereinbarungen und Diskurse ist inzwischen erstaunlicherweise zu einer Frage von Ethik, Moral, Politik und Gesellschaft geworden.

Wenn also Time’s up die analoge, physisch erlebbare Inszenierung und Gestaltung „begehbarer Erzählungen“ real werden lässt, steckt darin eine deutliche gesellschaftliche Botschaft. Eine Botschaft, die – auch hier bleibt man analog – vom Kollektiv am maßstäblichen Modell verhandelt und durchgespielt wird, bis die Inszenierung steht. Überhaupt das Spielen, aber das ist ein anderes Thema …

Wozu nutzt Time’s up all dies. Mehr und mehr wurde in den letzten Jahren das Thema der Zukunft in den Fokus genommen. Es steht jedoch nicht DIE eine Zukunft im Mittelpunkt, sondern aufgrund der komplexen Gegenwart und Ausgangslage werden in den Arbeiten und Diskursen meist mehrere Zukünfte verhandelt und angeboten. Auf diese Weise gelingt es Time’s up, den Zeitstrahl postmoderner Differenziertheit, bei dem heterogene Vergangenheiten in eine vielfältige (manche behaupten „beliebige“) Gegenwart führen über diese hinaus zu erweitern und in die Zukunft zu spiegeln. Für die Gegenwart werden teils bedrohliche und beängstigende gesellschaftlich-politische Zustände und Symptome konstatiert. Die Zukünfte tragen daher latent das Potential der Gefährdung und Gewalt in sich. Jedoch geht es Time’s up auch immer darum, Ängste abzubauen und den Zustand gesellschaftlicher Paralyse zu vermeiden. Dies zum Glück nicht im Sinne einer umfassenden Utopie, sondern in der spielerisch-forschenden Akzeptanz des Offenen, Unterschiedlichen und Widersprüchlichen.

Die Komplexität und Offenheit ihres Zeitbegriffs und realen Zugangs zu Fragen der Gegenwart und Zukunft manifestiert sich auch im Time’s up-Gebäude am Linzer Hafen. Das Zentrum bildet die große Werkhalle, die mit ihren Maschinen und Regalen voller Gegenstände deutlich eher einer Werkstatt als einem Künstleratelier ähnelt. Im Sammelsurium eigener Ordnung finden sich gebrauchte Dinge (Vergangenheit) und neue Materialien (Gegenwart), aus denen szenographisch-fiktive Realisierungen zukünftiger Verhältnisse gestaltet werden. Der Raum verströmt eine fast schon nostalgische Aura des Tuns und Formens. Ein größerer Kontrast zu den aseptischen Produktionsbedingungen digital-virtueller Kreativer, die gerne einen Monopolanspruch auf die Zukunft reklamieren, lässt sich kaum denken.

Mit der aktuellen, inszenatorisch-räumlichen Arbeit „Change was our only Chance“ (ab 29. 5. in Wien) möchte Time’s up die Angst vor der Zukunft in eine Lust auf die Zukunft verwandeln. Ein anderes wichtiges Projekt wird im Rahmen des Festivals der Regionen 2019, das das Thema „Soziale Wärme“ hat, verwirklicht. Es kehrt die beschriebene räumliche Perspektive der künstlerisch-forschenden Arbeit um, indem sich die BesucherInnen nicht in eine Szenerie begeben, sondern Time’s up sie und ihre Lebenswirklichkeit aufsucht. Mit der „Wärmegreißlerei 1.0“ begibt sich Time’s up während des Festivals in die Region Perg-Strudengau, besucht verschiedene Standorte und widmet sich der Frage, inwieweit und in welchen Formen die soziale Wärme eine Zukunft bzw. Zukünfte hat. Vorausgegangen ist 2018 eine niederschwellige Befragung zum Thema in der Region, die – wenig verwunderlich – das Ergebnis brachte, dass für die meisten eine Gesellschaft oh­ne soziale Wärme weder wünschenswert noch vorstellbar wäre.

Mit der „Wärmegreißlerei“ segelt Time’s up im übertragenen Sinne hinaus aufs Land. Besucht man das Time’s up-Gebäude am Linzer Hafen, so begegnet man nicht nur aufgrund seiner Lage häufig Motiven der Seefahrt. Die Schiffsreise ist eine Metapher, die auf vielfältige Weise das Unwägbare, Unsichere und Forschende der Arbeit von Time’s up repräsentiert. Zwar gibt es geographisch kaum noch wirklich neue, unbekannte Ufer zu entdecken, andererseits gibt es bis heute kaum etwas, das den Optimismus in eine wie auch immer geartete Zukunft besser symbolisiert, als das Schiff, das den Hafen verlässt und sich auf die Reise begibt.

 

timesup.org

Festival der Regionen – „Soziale Wärme“
28. Juni bis 7. Juli in der Region Perg-Strudengau
fdr.at

im Rahmen von Vienna Biennale for Change 2019
Ausstellung „Change Was Our Only Chance“
29. Mai – 27. September 2019
Angewandte Innovation Lab, Franz-Josefs-Kai 3, 1010 Wien

Here comes the electric machine

Im Mai war das Kollektiv Okabre im Linzer City Kino zu Gast und präsentierte dort die aktuelle Filmkonzert­reihe Tetsuo: The Iron Man. Der Film ist das Werk des japanischen Kultregisseurs Shinja Tsukamoto aus dem Jahr 1989. Alexander Eigner war dort.

Es scheint ruhig. Foto Ronny Sandmayer

Der Regisseur Shinya Tsukamoto widmet sich in seinem experimentellen und kontrastreichen Schwarzweiß-­Horrorfilm Tetsuo: The Iron Man einem Sarariman, also einem männlichen Büroangestellten in einem renommierten Unternehmen. Es wird kaum gesprochen, die Akteurinnen und Akteure, von denen es im ganzen Film nur sechs gibt, haben keine Namen.

Das Linzer Kollektiv Okabre besteht seit 2015 und widmet sich der Vertonung von Filmen, Lesungen und Performances. Das Sextett besteht aus: Andreas Wahl, Florian Graf, Günther Gessert, Manfred Rahofer, Thomas Pichler und Rainer Fehlinger. Im Spektrum der Klangwelt scheint es für die sechs Musiker kaum Grenzen zu geben – dieser Eindruck entsteht, wenn man der Vertonung beiwohnt. Vocal, Gitarre, Theremin, Bass, Drums, Synthesizer, Marxophone, Electronics und verstärkte Objekte kommen dabei zum Einsatz.

Gegen 21.30 Uhr greifen die Musiker zu ihren Instrumenten und beginnen zu spielen. Es wirkt wie ein ruhiges Intro, während am Anfang noch einige japanische Wörter auf der Leinwand erscheinen. Doch als die erste Person auftritt, werden die Sounds der einzelnen Instrumente schneller. Ein Mann bewegt sich auf einem alten Industriegelände, viel Metall ist zu sehen und plötzlich schneidet er sich eine Wunde in den Oberschenkel, in die er ein großes Metallstück implantiert. Kurz darauf wird die Wunde von Maden befallen und der Mann, welcher vom Regisseur Shinya Tsukamoto selbst gespielt wird, verliert die Beherrschung und läuft vor ein fahrendes Auto.
Nun erscheint der Protagonist, der vor einem Spiegel merkt, dass ein Metallstück in seiner Wange steckt. Als er auf dem Weg zur Arbeit ist, wird er von einer Frau in der U-Bahn angegriffen, deren Hand aus Metallteilen und Schläuchen besteht. Es folgen Jagd- und Kampfszenen zwischen den beiden.
Und ab hier zeigen die Musiker des Kollektivs Okabre ihre musikalischen Fähigkeiten. Sie erzeugen ein voodooähnliches Spannungsfeld zwischen Bild und Musik. Es knallt, zischt, dröhnt, donnert, klopft, quietscht, das Theremin fährt höchste Tö­ne auf, das Schlagzeug wird immer schneller und der Sänger verfällt in Schreien. In diesem freien Spiel wird die Dramaturgie für die Zuseher spürbar: Musik und Film verschmelzen. Ob man nun auf die Leinwand blickt oder einem der Musizierenden zusieht, ist nicht mehr entscheidend, sie scheinen eins geworden zu sein.
Als der Kampf vorerst vorüber ist, werden die Sounds ebenfalls ruhiger, was nicht weniger eindrucksvoll ist. Die Gitarre rückt stärker in den Mittelpunkt, der Gesang wird harmonischer und das knallende Klopfen wird zu einem sanften Dröhnen.
Doch nun passiert im Film, was für manche schon vorhersehbar war: Der Büroangestellte beginnt, zu einem Maschinenwesen zu mutieren. Er erkennt, dass sein Arm und sein Bein schon aus Metall bestehen. Mit wachsender Sorge, was nun plötzlich mit ihm passiert, wird nun auch die Musik wieder experimenteller und der Gesang predigt: Here comes the electric machine!

Je länger der Film dauert, umso mehr vereinen sich Traum- und Realszenen. Die Kameraführung ist sehr hektisch, es gibt viel Szenenwechsel und viele Schnitte. Doch die Ausführung der Musik durch das Kollektiv Okabre schlägt gleichsam einen Weg durch die vielen skurrilen Szenen und befeuert aber zudem die Sinne der Zuseher.
In einer der groteskesten Szenen von Tetsuo wächst dem Protagonisten ein riesiger, rotierender Metallpenis. Die Livevertonung trifft diese Szene abermals perfekt und so haben die Zuseher ebenfalls das Gefühl zu rotieren. Abermals hört man: Here comes the electric machine. Ereignisse und Klänge überschlagen sich. Wie es nun mit dem Iron Man weitergeht, bleibt hier besser unerwähnt.
Soweit noch: Gegen Ende des Films singt sich Sänger Rainer Fehlinger in einen Wahn und wiederholt immer wieder things are ahead, things are behind.

Das Kollektiv Okabre bringt mit seiner experimentellen Art, Musik und Film zu vermischen den Kinobesuch auf ein neues, spannendes Level. Eine Livevertonung á la Okabre beschert nicht nur Musik auf hohem Niveau, sondern zudem eine Kombination, die Sinnes- und Klangwelten neu erscheinen lässt. Die Atmosphäre im Kinosaal war atemberaubend. Schon bevor der Saal geöffnet wurde merkte man unter den wartenden Gästen Neugier und Vorfreude. Wie wird ein japanischer Experimentalfilm mit Musik aus Österreich verknüpft und was kann man davon erwarten? Es wurde über vorhergegangene Auftritte des Kollektivs in Linz und Wien gesprochen. Manche sprachen auch über den Auftritt beim letzten Klangfestival in Gallneukirchen. Es war zu fühlen, dass es ein besonderer Abend werden würde und es ist schön, dass es mit dem City Kino einen Raum in Linz gibt, in dem Veranstaltungen dieser Art möglich sind.

Im November 2018 hatte das Kollektiv Okabre schon einmal einen Auftritt im Linzer City Kino. Damals mit der Echtzeitfilmvertonung des Horrorklassikers Night of the Living Dead von George A. Romero aus dem Jahr 1968. Romero gilt nicht umsonst als Mitbegründer des modernen Horrorfilms, schließlich hatte er in Night of the Living Dead Zombies erstmals aus eigener Kraft aus den Gräbern aufsteigen lassen. Die Vertonung dazu war damals ganz anders als bei Tetsuo und dennoch unverkennbar das Kollektiv Okabre. Obwohl die Filme so unterschiedlich sind, war die Atmosphäre im Kinosaal trotzdem sehr ähnlich. Das Sextett schaffte es in beiden Fällen, das Publikum mit seiner musikalischen Vielfalt zu beeindrucken.
Außerdem ist noch zu erwähnen, dass es 2019, abseits der Vertonung von Tetsuo noch eine weitere Filmkonzertreihe gibt: Sayat Nova von dem armenischen Regisseur Sergei Paradschanow, aus dem Jahr 1968.
Es zeigt sich, dass sich das Kollektiv Okabre im Wandel befindet und genau das macht ihre Live-Performances so beson­ders.

 

Weitere Auftritte des Kollektivs Okabre:
07. September: Röda / Steyr (Konzerttermin ohne Film)
18. Oktober: Club Noir / Waidhofen/Ybbs
19. Oktober: Programmkino Wels

okabre.com

Stadtblick

Villa Kunterbunt. Foto Die Referentin