Feminismus & Krawall

Foto Violetta Wakolbinger

Foto Violetta Wakolbinger

„Die Taten werden brutaler“

Seit Beginn dieses Jahres vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über die Zunahme von Frauenmorden, die möglichen Ursachen und Hintergründe geschrieben wurde. Eine Zahl dazu: Ein Viertel der ÖsterreicherInnen akzeptiert Gewalt an Frauen. Dieser Prozentsatz ist kein Ergebnis aus grauer Vorzeit, sondern stammt aus einer Untersuchung des Eurobarometers 2016. Silvana Steinbacher mit einer Betrachtung.

Vorbemerkung: Beim ersten Internationalen Tribunal zu Gewalt gegen Frauen in Brüssel 1976 prägte die amerikanische Soziologin und feministische Autorin Diana Russell den Begriff Femizid als eine „von Männern begangene Tötung von Frauen, weil sie weiblich sind.“ Femizide seien – so Russell – tödlich wirkende Hassverbrechen, eine extreme Manifestation von männlicher Dominanz und Sexismus.

DIE Fakten

Am 8. Jänner dieses Jahres wurde eine vierfache Mutter von ihrem Ehemann in Amstetten erstochen, am 11. Februar wurde das achte Attentat an einer Frau in Österreich begangen. Und die tödliche Gewalt ging durchgehend von einer engen, wenn nicht sogar der engsten männlichen Bezugsperson, die diese Frauen hatten, aus.

Die Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums OÖ Eva Schuh spricht von einem Phänomen. „Wenn ein Mord passiert, folgen mehrere, die Hemmschwelle sinkt dann offensichtlich.“ Und: „Prinzipiell nehmen die Gewalttaten an Intensität zu, die Taten werden brutaler, enden zu oft tödlich.“

DIE Praxis

Im Gewaltschutzzentrum OÖ in der Linzer Stockhofstraße 40 arbeiten zwölf Expertinnen, unter anderem Juristinnen, Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen. 2017 suchten dort beinah 14.000 persönlich oder telefonisch Unterstützung, die meisten davon Frauen. Rund 80 bis 85 Prozent jener Opfer familiärer Gewalt, die Hilfe in Schutzeinrichtungen benötigen, sind weiblichen Geschlechts.

Gleich in seinen ersten Amtsmonaten kürzte oder strich die Regierung Subventionen für viele Frauenvereine. Mitte vergangenen Jahres stoppte Herbert Kickl ein Projekt zu Fallkonferenzen, bei denen sogenannte Hochrisiko-Gewaltfälle gegen Frauen von Polizei, Justiz und Interventionsstellen untersucht wurden. Der erhoffte Nutzen für den Opferschutz sei nicht erzielt worden, lautete die Begründung. Doch ExpertInnen sind sich einig: Anzustreben ist vor allem die sogenannte multiinstitutionelle Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft, Justiz und Opferschutzeinrichtungen, denn wiederholt stellte sich nach einer Gewalttat heraus, dass zwar einzelne Stellen über Informationen verfügten, doch die umfassende Vernetzung fehlte.

Kehren wir zurück zu den Kürzungen, von denen das Gewaltschutzzentrum OÖ zwar nicht direkt betroffen ist, sehr wohl aber einige Beratungsstellen, denen jetzt die finanziellen Mittel fehlen, um gewaltbedrohte Frauen zu unterstützen. Entscheidend und nicht zu vergessen ist: Viele Frauen finden oft erst über andere Stellen den Weg zum Gewaltschutzzentrum. Wertvolle Zeit könnte verstreichen.

DIE Regierung

Sprechen wir über die jüngsten Ereignisse. Mitte Jänner stellten Frauenministerin Juliane Bogner-Strauss, Außenministerin Karin Kneissl und Staatssekretärin Karoline Edtstadler bei einer Pressekonferenz fest, dass die Zunahme der Frauenmorde ein Resultat der Flüchtlingswelle 2015 sei. (Es rauschte bereits durch einige Medien, aber ich muss dennoch an eine Fernsehdiskussion erinnern, die mich nachhaltig in Zorn versetzt hat. Am 20. 1. 2019 verkündete Edtstadler in der Sendung Im Zentrum vollmundig, man gewinne den Eindruck, dass hier Nachahmungstäter am Wort seien. Um welches Wort könnte es sich bitte bei Mördern handeln und sollten die Österreicher nachahmen?

Edtstadler bemühte gar die Literatur, und sprach vom Werther-Effekt. (Anm.: Der Begriff geht zurück auf das Auftreten einer Suizidwelle nach der Veröffentlichung von Goethes Roman Die Leiden des jungen Werther im Jahr 1774.) Wenn der Geheimrat wüsste, wofür er nun herhalten muss.

Eva Schuh kennt die Zahlen und widerspricht. „Die zunehmende Gewalt an Frauen ist keine Folge der Flüchtlingswelle 2015. Mir sind die Nationalitäten der Täter bekannt, 6% der Gewalttäter sind aus Staaten von denen seit 2015 Personen nach Österreich flüchteten.“ (Eine Ausnahme bilden allerdings die Morde der allerletzten Zeit, bei denen eine eklatante Mehrheit der Täter Migrationshintergrund aufweist.) „Gewalt an Frauen“, so Schuh weiter „ ist keine Frage der Herkunft, sondern der Machtverhältnisse. Und nach wie vor sind Männer meist die Hauptverdiener der Familien und somit in der dominanten Rolle.“

DIE Gesetze

Gleich vorweg: „An ihnen liegt es nicht, denn wir haben gute Gesetze“, stellt Eva Schuh fest.

Die Task Force Opferschutz und Täterarbeit, geleitet von Karoline Edtstadler, hat jetzt 50 Maßnahmen, gegen Gewalt an Frauen, erarbeitet. Strafverschärfungen, hier sind sich die ExpertInnen einig, verhindern keine Gewalttaten. Doch deren Empfehlungen wurden seitens der Regierung ohnehin nicht integriert. Vielmehr plädieren ProfessionalistInnen etwa für eine bessere Beweissicherung nach Gewalttaten, oder für eine Vereinfachung des Betretungsverbots. Stichwort Betretungsverbot: Derzeit ist die sogenannte Bannmeile im Gespräch. Zurzeit muss der Täter die Wohnung verlassen und darf vierzehn Tage nicht zurückkehren. Dadurch ist die Frau außerhalb des Hauses zu wenig geschützt. In Zukunft sollen sich der Täter zusätzlich nur im Abstand von fünfzig Metern der Frau nähern dürfen.

Eva Schuh, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums OÖ spricht einen für sie problematischen Aspekt in der Strafgerichtsbarkeit an: In den schwerwiegendsten Fällen wirken LaienrichterInnen mit. „Mir erscheint es so, als würde man eine Krankenschwester eine schwierige Herz-Operation machen lassen“, sagt sie. „Laien sind nicht gewohnt diese Verantwortung zu tragen, oft kennen sie die rechtlichen Hintergründe nicht, es fällt ihnen schwer, jemandem sechs Stunden konzentriert zuzuhören, zu erfassen, welches Stichwort wichtig sein könnte. Diese Verfahren gehören ausschließlich von BerufsrichterInnen entschieden. “

DIE Reaktionen

Wenn die Frau nicht geht, ist sie selber schuld. Sie muss nur laut genug nein sagen. Wahrscheinlich hat sie ihn provoziert. … Das ist Victim blaming oder Opferbeschuldigung.

Doch durch die Traumatisierung nach einer Gewalttat verhält sich eine Frau nicht so, wie manche es von ihr erwarten. Die betroffene Frau berichtet manchmal vom dramatisch Erlebten, als würde sie von einem Spielfilm erzählen. Ohne diese von ihr geschaffene Distanz könnte sie nicht mit dem Vergangenen leben. Im Gehirn verschieben sich außerdem Zeiten und Abfolgen der Tat, denn würde die Frau die Realität genauso, wie sie sich zugetragen hat, in Erinnerung behalten, könnte sie sie nicht bewältigen. Diese notwendigen Abspaltungen sind aber nur ExpertInnen bekannt, und auch nicht allen. Einige Frauen erhalten so nach dem schrecklichen Geschehen nicht die nötige Zuwendung und Unterstützung, sondern werden zudem mit dem Vorwurf der Lüge konfrontiert. Möglicherweise sucht eine Frau nach dieser Erfahrung beim nächsten Gewaltakt keine Hilfe mehr …

DIE Medien

In einigen Medien wurden die Frauenmorde der vergangenen Wochen als Familientragödie oder auch als Beziehungsdrama bezeichnet. Dies sind euphemistische Termini, die den Mord als beinah schicksalhaften Vorgang wiedergeben. Im Boulevard findet man offenbar zur Steigerung der Auflage teils auch detailreiche Schilderungen der Tat. Keine Frage: Medien können zur Bewusstseinsbildung beitragen, sie können aber auch manipulieren. Mehrfach wird bei Opfern eine (Mit-)Schuld am Mord gesucht, Aussagen des Täters werden unreflektiert übernommen. Doch es soll nicht verschwiegen werden, dass vor allem in den vergangenen Wochen die sogenannten Qualitätsmedien auch einige aufschlussreiche Hintergrundberichte und Analysen lieferten. Und eine – vielleicht auch nur subjektive – Beobachtung zum Schluss: Einige Boulevardblätter halten sich in den vergangenen Wochen zumindest ein wenig bei der Erwähnung der Herkunftsbezeichnung des Täters zurück oder kommentieren sie zumindest nicht wertend.

Die Perspektive Arbeit

Der Arbeitsplatz von gewaltbedrohten Frauen ist ständig in Gefahr. Viele Frauen sind durch die häusliche Situation wiederholt unfähig, ihrer Arbeit nachzugehen. Eine Kündigung, die die Frau noch mehr in die Abhängigkeit des Mannes treibt, ist nicht selten die Folge. Das Projekt Perspektive Arbeit ist ein Projekt des Gewaltschutzzentrums OÖ. Perspektive Arbeit unterstützt die Frauen auf ihrem Weg zurück ins Berufsleben, in unsicheren Arbeitsverhältnissen, bei Behördengängen und bei der Kontaktaufnahme mit anderen Beratungseinrichtungen.

Und damit schließt sich der Kreis, denn wie bereits erwähnt: Gewalt ist eine Frage der Machtverhältnisse, die oft finanziell grundiert sind. Um damit nur diesen einen Aspekt innerhalb dieser komplexen Thematik hervorzuheben.

 

Gewaltschutzzentrum OÖ, Stockhofstraße 40, 4020 Linz
Mo, Mi, Fr: 9–13 Uhr, Di, Do: 9–20 Uhr, Tel.: 0732/607760

Außenstellen an zwei Tagen in der Woche in Freistadt, Ried, Steyr und Gmunden Sprechtage in Bad Ischl, Kirchdorf, Perg und Rohrbach

Der Text wurde mit Stand 18. 2. 2019 erstellt.

Preisträgerinnen

Die Referentin gratuliert dem Autonomen Frauenzentrum (aFz) zur Verleihung des Frauenpreises der Stadt Linz für das Notruftelefon!

Seit 20 Jahren ist dies die einzige Fachberatungsstelle für Frauen und Mädchen in Oberösterreich zu sexualisierter und sexueller Gewalt.

www.afz.at

Warum nur die Nicht-Chaotischen und Braven?

Letztens führte ich ein langes Telefonat. Die Gesprächspartnerin: Eine Mentorin und Freundin. Schonungslos ehrlich wie immer. Und sie sagte zu mir „Keine scheiß Sekunde sollst du drüber nachdenken, kein Kind zu kriegen, weil alles so arg ist für Frauen. Warum sollen nur die Organisierten, die Braven, die, die, immer alles richtig machen, die Nicht-Chaotischen unbesorgt Kinder in die Welt setzen dürfen? Hm?“ Zack. Und plötzlich war ich doch recht still und wusste nicht so recht, was ich antworten sollte darauf. Warum sie mir das gesagt hat, das mit der keinen scheiß Sekunde?

Dazu sei an dieser Stelle etwas auszuholen:
Ich bin auf Twitter. Viel. Zu viel manchmal. An einem Tag im Februar schrieb ich einen Tweet, in dem ich meine Angst äußerte davor, Kinder zu bekommen. Weil ich lange Zeit viel Energie in Beruf und Karriere (oder was ich halt als Karriere für mich sehe) investiert und nun Angst hätte, dass mit Kind all das auf dem Spiel stehen könnte. Weil ich mich als zu chaotisch und unorganisiert für ein Kind fühlte. Weil Frauen halt nun einmal kacke behandelt werden. Insgesamt und in jeder Hinsicht, aber in der Berufswelt halt besonders. So weit das Getwitterte. Sinngemäß.

Wie ich drauf komm? Nun, sehen wir uns um. Bist du kinderlos und über einem bestimmten Alter, laufen eine Menge Gespräche mit allen möglichen Leuten auf biologische-Uhr-macht-Tick-Tack-Debatten oder vollkommen-ist-frau-nur-mit-Kind-du-weißt-ja-nicht-wie-schön-das-ist-Ratschläge hinaus. Und irgendwelche random people fragen dich „Na, wann ist’s bei dir soweit?“ Uijegerl, schon mal was falsch gemacht. Genauso falsch ist es aber halt, Kinder zu kriegen, nicht wahr? Geht Frau Vollzeit arbeiten, ist sie Rabenmutter. Arbeitet sie Teilzeit, kann sie sich aussuchen, ob sie in der Pension lieber heizen oder essen will. Arbeitet sie nicht, ist’s auch verkehrt. Ist sie Mutter, dann möglicherweise zu viel Helikoptermum oder zu viel Chaotin, zu wenig fürsorglich oder alles auf einmal. Und Mutter-Kind-Kombination grundsätzlich störend: Ob in der Bim oder am Arbeitsplatz, ob im Geschäft oder in Lokalen. Ob mit oder ohne Kind, verheiratet oder nicht, alleinerziehend oder anders, erwerbsarbeitend, jung oder alt – kurzum: Frauen sind ein Ärgernis durch und durch. Ständig. Immer. Überall. Besonders wenn sie zusätzlich den Mund aufmachen und Forderungen stellen (möglicher- und dreisterweise dann auch noch fordernd und zornig statt lieb und mit ganz viel Zucker oben drauf). Seit Jahrzehnten tun Frauen genau das: Kämpfen, fordern, hackeln, hackeln, hackeln. Und das zu viel und unter- oder gleich gänzlich unbezahlt. Stichwort Care-Arbeit. Holen sich davon Magengeschwüre und Bandscheibenvorfälle, Depressionen und niedrige Pensionen und werden dafür belächelt, verachtet, geringgeschätzt von einer patriarchalen Gesellschaft voll roher Bürgerlichkeit.

Zahlen, Erfahrungen und Erzählungen zeigen: Frauen, die Kinder kriegen, haben Schwierigkeiten, wieder in den gleichen Job mit gleicher Bezahlung zurückzukehren. Sie laufen Gefahr, ersetzt zu werden oder es werden ihnen bei Beförderungen Männer vorgezogen. Schließlich lässt sich schon irgendein Vorwand dafür finden. „Ja wissen Sie, Frau Kollegin. Wir haben den Eindruck, Sie sind nicht mehr so belastbar wie früher“ oder „Aber Sie wollen doch SICHER mehr Zeit mit Ihrer Familie verbringen. Da ist diese Position nichts für Sie. Wir wollen doch nicht, dass Sie sich überfordern“ oder „In letzter Zeit haben Sie aber schon oft Pflegeurlaub nehmen müssen“. Von den ewig gleichen depperten Fragen bei Bewerbungsgesprächen gar nicht zu reden. Kinder: schlecht. Keine Kinder und im gebärfähigen Alter: schlecht, weil könnte schwanger werden. Keine Kinder und nicht mehr im gebärfähigen Alter: Sowieso nein, weil wir sind ein junges und dynamisches Unternehmen und außerdem … einfach nein.

Und das Ganze unter dem Vorzeichen, dass Frauen ohnehin schon rund ein Viertel weniger verdienen als Männer. Was die Haltung gegenüber Frauen im Berufsleben betrifft, hat sich wenig bis nichts geändert. Das Prinzip „zwei Schritte vor, einen (und phasenweise mehr als einen) Schritt zurück scheinen manche hierzulande tatsächlich schon als großen Wurf zu betrachten, um den Frauen im gleichen Atemzug zu raten, doch endlich einmal Ruhe zu geben. Bisweilen komme ich mir vor wie in einer weichgezeichneten Waschmittelwerbung aus den 60ern.

Und all das ist so ermüdend. So anstrengend. So falsch. So himmelschreiend ungerecht. Und arg. All das macht Angst.

Ich habe das alles noch nicht zu Ende gedacht. Auch nicht, während ich diese Zeilen schreibe. Es wird Tage geben, wo die Angst stärker ist. Und es wird Tage geben, wo ich mir genau das denke: Warum sollen nur die Organisierten, die Braven, die, die, immer alles richtig machen, die Nicht-Chaotischen unbesorgt Kinder in die Welt setzen dürfen?

Ich habe einen Wunsch: Ich möchte, dass wir in Perspektiven denken können, die solidarischer und positiver sind als der Status Quo. In Perspektiven, die klar machen, dass eine Verbesserung der Bedingungen für Frauen eine Verbesserung für alle bedeutet.

Man wird ja wohl noch hoffen dürfen.

Öffentlicher Raum

trau di! – eine feministische Projektionsguerilla-Tour über den Traunsee
Ein Projekt von Starsky in Zusammenarbeit mit Fiftitu% und dem Frauenforum Salzkammergut.

Foto Violetta Wakolbinger

Foto Violetta Wakolbinger

credits
konzeption / projektion: starsky
musik: elisabeth schimana
team: edith schild / marlene mayer / markus liszt / norbert math / sascha osaka / violetta wakolbiner / brigitte wienerroither / heidi hu / u. v. m. ….
produktion: oona valarie schifffahrt: ms poseidon – traunsee schifffahrt karlheinz eder

Pussy Hats und Cunt Quilts

Sarah Held berichtet über feministische Protestpraxen, aktuelle Diskurse, ästhetisch-kulturelle Interventionen und unter anderem über Strategien gegen den Locker Room Talk.

Stitch’n’Bitch: Hier geht es nicht ums Handarbeiten. Foto Coralina Rodriguez Meyer

Stitch’n’Bitch: Hier geht es nicht ums Handarbeiten. Foto Coralina Rodriguez Meyer

Sexualisierte Gewalt gegen Frauen Stoppen – das fordern seit mehr als 40 Jahren verschiedene feministische (Protest-) Gruppierungen(1). Eine simple und klare Botschaft ist ebenso, dass dabei Hautfarbe oder soziale Herkunft sowie das bei der Geburt zugeordnete Geschlecht keine Rolle spielen sollten. Klingt ziemlich verständlich, auch wenn das nicht immer auf der Agenda feministischer Bewegungen war. Allerdings ist die Forderung einer Gesellschaft ohne sexualisierte Gewalt im Patriarchat eher Utopie als Usus.

Gesellschaftliche Veränderungen können aus verschiedenen Perspektiven angestrebt werden. Innerhalb feministischer Protestpraxen wird der Hebel unter anderem auch mit zeitgenössischen Interventionen gegen sexualisierte Gewalt(-verhältnisse) aus einer künstlerisch-feministischen Position eingesetzt, um die Utopie einer Welt ohne sexualisierte Gewalt ein Stück weit zu verwirklichen. Dabei stehen aktionistische Kunstformen im Vordergrund, die mit textilen Displays, unter anderem bekannt als Critical Crafting, im (teil)öffentlichen Raum arbeiten und so im Popdiskurs erscheinen.

Es werden exemplarisch die pinkfarbenen Pussy Hats, die misogyne Aussagen des aktuellen US-Präsidenten Donald Trump subvertieren und die zum Widerstandssymbol zeitgenössischer feministischer Proteste in der Popkultur avancierten, dargestellt. Wenn hier über das popkulturelle Phänomen der Pussy Hats, gemeint sind pinkfarbene Wollmützen auf Frauen*recht-Demos, geschrieben wird, ist es unerlässlich, kritische Stimmen bezüglich dieser Kopfbedeckung sowie zu der Repräsentationspraxis im Rahmen der feministischen Demonstrationen 2017 abzubilden.

Als Visualisierungsstrategie gemeinsamer Intentionen sind die Pussy Hats als eine Begleiterscheinung der im globalen Westen stattgefundenen Women’s Marches im Januar 2017 aufgetreten.(2) Dabei handelt es sich um handgearbeitete pinke Wollmützen mit Katzenohren, die optisch und sprachlich mit dem Begriff Pussy spielen. Entstanden sind sie als visuelle Metaphorik, um so Protestzeichen gegen Trumps sogenannten Locker Room Talk zu setzen.

Diese Floskel bezieht sich auf einen Gesprächsauszug zwischen Donald Trump und Journalist Billy Bush von der Washington Post. Sie beinhaltet misogyne Aussagen und zeigt den zutiefst sexistischen Habitus des US-Präsidenten.(3) Die aus dem „lockeren Herrengespräch“ resultierende Phrase „Grab ’em by the Pussy“, ging viral und wurde von Feminist*innen ironisch aufgegriffen. Im Rahmen der Demonstrationen dienten die Pussy Hats als visuelle Chiffre für Protest auf den Women’s Marches(4). Die Demonstrationen standen in der Kritik, einen weißen Differenzfeminismus, in dem sich nur die Gruppe der weißen bürgerlichen Frauen abbilden ließe, aufrechtzuerhalten. Schwarze Frauen, Women of Color, Transfrauen und andere marginalisierte und intersektional betroffene Frauen*gruppen würden (erneut) vom feministischen Massenaufbegehren nicht mitgedacht werden. Genau auf dieses Unsichtbarmachen und Exklusionsmechanismen machten beispielsweise schon bell hooks und Angela Davis in den 1970er Jahren vehement aufmerksam. Ihre Kritik bezüglich der oben genannten Ausschlussmechanismen ist immer noch aktuell. Absolut berechtigte Kritiken gab es auch bezüglich antisemitistischer Positionen durch Mit-Organisatorin und Sprecherin Linda Sarsour. Die hier vollständigkeitshalber genannt, aber weiters nicht mehr aufgegriffen werden.

Die oben genannte Kritik an feministischen Protestpraxen in den USA wird auf die Pussy Hats übertragen. Auch sie werden angeprangert, für ausschließende Feminismen zu stehen, denn aufgrund ihrer Farbe würden sich nur weiße Frauen in die pinke Widerstandssymbolik einschreiben können. Des Weiteren wurde betont, sie seien transexklusiv, da nicht alle als Frauen gelesenen Personen über eine biologische Vulva bzw. Vagina verfügen; somit sei der Begriff Pussy für diese Gruppe ebenfalls diskriminierend.(5) Diese Kritik lässt sich von der ästhetisch-bildsprachlichen Ebene aus jedoch einfach dekonstruieren, denn die Politiken der visuellen Kultur funktionieren anders als individualpolitische Ansätze. Die Pussy Hats fungieren als visuelle Vereinheitlichungsstrategie der unterschiedlichen Anliegen der Subjekte, die sich gegen Trumps sexistische Aussagen auflehnen wollen, egal welcher Hautfarbe und egal welches Geschlecht ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde. Es muss in dieser Diskussion danach gefragt werden, ob nun gemeinsam gegen phallogozentristische Diskurse interveniert wird oder die divers strukturierte Kategorie Frau* visualisiert werden soll, zumal es sich bei der visuellen Retourkutsche um ein ironisches Statement handelt, das nicht funktionieren würde, wenn der Begriff Pussy nicht aufgegriffen werden würde. Um bei den Mechanismen der visuellen Kultur zu bleiben, kann an dieser Stelle mit der „Macht der Evidenz“6 argumentiert werden: Das Meer aus pinkfarbenen Mützen, zu dem die einzelnen Subjekte verschmelzen, steht für eine große Masse, die sich visuell eindeutig als Opposition zu Trump, stellvertretend für heterozentristischen Sexismus im Patriarchat, positioniert. Als allegorische Funktion im feministischen Protest ist ein intertextuelles Wirken von Bildsprache und Text („Grab ’em by the pussy“) völlig voneinander abhängig. Das bedeutet, dass die subversive Affirmation, die durch das Tragen von pinken Katzenmützen visualisiert wird, ohne das Benennen des Begriffes überhaupt nicht zustande kommen könnte. Zumal die Kritik, der pinke Farbton stünde ausschließlich für die Vulven von weißen Frauen und der Terminus Pussy exkludiere Transpersonen, hinsichtlich der Allegoriefunktion des Pussy Hats beim Tragen auf der Demo aufgrund der Ambiguität des Begriffes hinfällig ist. In der Mehrdeutigkeit liegt das Potential, denn schließlich wird mit den Katzenohren auch eindeutig auf die weniger vulgär konnotierte Bedeutung des Pussy-Begriffes angespielt.

Als weiteres Beispiel für künstlerischen Aktivismus zum Aufzeigen gesellschaftlicher Missstände sei an dieser Stelle der Cunt Quilt erwähnt, der sich ebenfalls mittels bildsprachlicher Bewaffnung gegen Trumps Misogynie auflehnt. Die New Yorker Künstlerin Coralina Rodriguez Meyer rief im Internet dazu auf, ihr getragene Unterwäsche zu zuschicken, um daraus den Cunt Quilt, in Stitch’n’Bitch-Sessions zu fertigen.(7) Die Künstlerin animiert zudem, ihre Adressat*innen dazu, die besonders dreckigen mit diversen Körperflüssigkeiten benetzten Exemplare einzureichen. Ihr Anliegen ist es, so lange getragene Wäsche zu sammeln und öffentlich im Cunt Quilt zu zeigen, bis es eine Präsidentin in den USA gibt.

Der Cunt Quilt steht somit in der Tradition abjektiver Kunstpraxen, wie sie vor allem in den 1970er Jahren im Kontext der zweiten Frauenbewegung von Künstlerinnen wie Ana Mendieta oder Cindy Sherman umgesetzt wurden. Abjektion leitet sich aus dem Französischen her und meint Niedrigkeit oder Verworfenheit. Die Abject Art arbeitet häufig mit Ekel erzeugenden Substanzen wie Kot, (Menstruations)Blut, diversen Körperflüssigkeiten und evoziert durch diese transgressiven Praktiken gesellschaftlich akzeptierter Erwartungshaltungen provokative Tabubrüche. Die genannten Kunstpraxen werden häufig mit Attributen wie „verstörend“ und „irritierend“ oder schlicht „ekelhaft“ versehen, können aber dennoch als witzig interpretiert werden. Auch der Cunt Quilt ist im Zuge des Locker Room Talks entstanden und wurde zu Demonstrationszwecken im öffentlichen Raum bei den Women’s Marches verwendet. So kann die Praxis als performatives „dreckige Wäsche waschen“ gelesen werden, um auf Sexismus und Misogynie mittels künstlerischem Handelns im öffentlichen Raum aufmerksam zu machen.

Die dargestellten künstlerischen Interventionen verstehen sich somit als Zusammenschluss aus verschiedenen diskursiven Strategien, die gemeinsam mit weiteren soziokulturellen oder auch legislativen Eingriffen in den gesellschaftlichen Ist-Zustand eine strukturelle Veränderung erzeugen möchten: Ein gleichberechtigtes Miteinander der Geschlechter, ohne biologische Determinierung, sexualisierte Gewalt oder Klassen- bzw. Ethniendiskriminierung. Die Forderung ist eigentlich gar nicht so utopisch.

 

1 Vgl. Force Upsetting Rape Culture oder The Antirape Movement in Barrie Levy: Women and Violence. Berkeley: Seal Press, 2008. S. 135–164.

2 www.theguardian.com/lifeandstyle/live/2017/ jan/21/womens-march-on-washington-and- other-anti-trump-protests-around-the-world-live-coverage (aufgerufen 28. 03. 2018)

3 www.nytimes.com/2016/10/08/us/donald-trump-tape-transcript.html (aufgerufen 28. 03. 2018)

4 Der 2017 mit drei bis vier Millionen Teilnehmenden der größte Protestaufmarsch in der US-Geschichte war.

5 www.iwf.org/blog/2805547/Distinctive-P- Hat-Deemed-Offensive-to-Transgender-Women (aufgerufen 28. 03. 2018)

6 Sigrid Schade; Silke Wenk: Studien zur visuellen Kultur. Einführung in ein transdisziplinäres Forschungsfeld. Bielefeld: Transcript, 2011.

7 www.dazeddigital.com/artsandculture/article/34401/1/carolina-meyer-wants-your-dirty-knickers-for-her-cunt-quilt (aufgerufen 28. 03. 18)

Buchtipp

8M – Der große feministische Streik Konstellationen des 8. März

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#VivasNosQueremos, #NosMueveElDeseo, #NosotrasParamos – Wir wollen uns lebend(ig). Uns bewegt der Wunsch. Wir Frauen streiken. So gelangen die Slogans neuer feministischer Bewegungen aus Lateinamerika seit 2016 als Hashtags zu uns. Die hier versammelten Texte untersuchen die Genealogien dieser vielfältigen Bewegungen, die aus einem lauten Aufschrei gegen blutige, regelmäßig ungestrafte Feminizide entstanden und schließlich als internationaler feministischer Streik 2017 und 2018 massive Dimensionen erreichten. Die Mitte dieses Streiks bildet allerorts die entscheidende Frage, wie Sorgearbeit bestreikt werden kann. Ausgehend von einem tiefen Überdruss gegenüber allen Formen machistischer Gewalt tritt der Streik hier als sorgfältiges Flechten eines gemeinsamen Gewebes, als gemeinsames Organisieren und Lernen auf, aber auch als unmissverständliche Warnung: Mujeres en huelga, se cae el mundo – Wenn die Frauen streiken, zerfällt die Welt. Das Buch ist die erste deutschsprachige Publikation, in der Aktivistinnen aus Argentinien, Mexico, Uruguay, Brasilien, den USA und Italien zu Wort kommen. Mit Beiträgen von Verónica Gago, Raquel Gutiérrez Aguilar, Susana Draper, Mariana Menéndez Díaz, Marina Montanelli, Marie Bardet / Suely Rolnik. Aus dem Spanischen von Michael Grieder und Gerald Raunig. Mit einem Vorwort von Isabell Lorey.

transversal texts transversal.at/books

Popkulturelle Sextherapie im Abbruchklo

Die Coming-Of-Age-Serie „Sex Education“ dreht sich um das Sextberatungsprojekt „Clinic“, das an der Morendale High von der toughen Meave initiiert wird. Sarah Held hat sich die Serie angesehen und stellt hier einige Charaktere mit ihren toxischen bis vulnerablen Männlichkeitskrisen vor. Auch wir meinen: quite zeitgeisty.

Schauplatz der postmodernen Teenie-Sextherapie. Foto Netflix

Schauplatz der postmodernen Teenie-Sextherapie. Foto Netflix

In der von Maeve kurzerhand aus Geldnot initiierten „Clinic“ übernimmt der schüchterne Otis die Rolle des Sextherapeuten. Trotz seiner Jungfräulichkeit kann er aufgrund seiner Erziehung sowie des heimlichen Belauschens der Therapiesitzungen bei seiner Mutter Jean, renommierte Sex- und Paarpsychologin, in dieser Rolle agieren. Die hormonelle Achterbahn des adoleszenten Klientels der Moredale High wird von nun an im asbestverseuchten Abbruchklo der Schule therapiert.

Die Serie bietet eine große Auswahl divers angelegter Identifikationscharaktere, darüber hinaus auch eine Vielzahl interessanter Untersuchungsaspekte – eine thematische Fokussierung ist besonders schwer. Meine Wahl fällt auf die Thematisierung von toxischer Männlichkeit, personifiziert durch Adam Groff, Sohn des Schulleiters, ein Bully, der zwar mit einem immens großen Penis ausgestattet ist, aber unter einer psychosomatischen Dysfunktion leidet. – Adam kann nicht abspritzen. Kontrastierend hierzu ist er mit einem Repertoire vermeintlich typisch maskuliner Eigenschaften ausgestattet, denn er verkörpert die heilige Dreifaltigkeit idealisierter Maskulinität, bestehend aus stattlicher Größe inkl. körperlicher Stärke, Brutalität und wortkarger Verschlossenheit. Er entspricht somit Archetypen wie John Rambo, John Wayne oder John McClaine. Deshalb führe ich an dieser Stelle den Modellbegriff Testo-John als semiotische und somatische Schablone für hegemoniale Männlichkeit ein. Folgt man dem sozialen Script, das dieser Persona zugrunde liegt, ist es absolut nicht verwunderlich, dass Adam im Staffelfinale post-koital homophobe Züge aufweist. Denn während einer Arrestsitzung haben er, bisher als heterosexuell inszeniert, und sein bevorzugtes Objekt der Drangsalierung, Eric, Sex. Letzterer ist ein queerer Charakter, der seine Vorlieben für Crossdressing und Make-Up trotz sozialer Repression und Gewalt auslebt. Dessen Gesprächsversuche über die sexualisierten Handlungen werden von Adam strikt verboten und mit Gewaltdrohungen unterstrichen, falls Eric je mit anderen darüber sprechen sollte. Ironischerweise ist es Adam, der danach im Unterricht heimlich körperliche Nähe zu Eric sucht. Dieses Handlungsmuster deckt sich ebenfalls mit der Persona Testo-John, da echte Männer schlicht keine Worte, sondern nur Taten benötigen und vor allem schon gar nicht schwul bzw. bi sind.

In Adaption bester freudscher Manier suche ich die Ursache für Adams (Fehl)verhalten natürlich beim Vater. Schulleiter Groff gehört ebenfalls der Kategorie Testo-John an und sozialisiert Adam dementsprechend. Das Verhältnis von Sohn und Vater ist durch Strenge, Repression, Sanktionen, sozio-emotionalen Druck und Härte geprägt. Das lässt kaum Raum für liebevollen Umgang und positive Bestärkung. Die stereotype Emotionspalette erlaubt nur eine asymmetrische Gefühlsperformance, alle affektiven Regungen, die nicht dem aggressiven Spektrum angehören werden pauschal als feminin, wenn nicht gar direkt als schwul und damit schwächlich deklariert. Zeichen der Zuneigung zeigt Groff Sen. öffentlich gegenüber dem Schulsportstar Jackson und impliziert Adam somit unverkennbar die eigenen Defizite und zementiert das unterkühlte Vater-Sohn-Verhältnis. Dabei ist hervorzuheben, dass die positive Bestätigung weniger echter Sympathie zur Person Jackson, denn mehr von finanzieller Begabtenförderung motiviert wird. Das starre Unvermögen des Familienpatriarchen wird durch den emotionalen Sozialkitt der Mutter versuchsweise ausgeglichen. Gleichzeitig nutzt der Vater Groff die Vulnerabilität der Mutter als Druckmittel gegen Adam. Konservative (Familien)Politik der harten Hand wird als restriktives Modell inszeniert, das im Privaten (wie auch im Politischen) zum Scheitern verurteilt ist.

Vulnerable Maskulinität

Eric ist als gegensätzliche Figur zu Adam lesbar. Gerade das Verhältnis zwischen Eric und seinem Vater eignet sich als Kontrastfolie, obwohl der religiöse Vater einem ähnlichen sozialen Script wie Schulleiter Groff folgt, denn er ist vom Schwul-Sein seines Sohnes irritiert und leistet im ersten Teil der Staffel wenig Unterstützung. Nach einem tätlichen homophoben Übergriff auf Eric scheint dieser zwar für einige Zeit gebrochen und wählt einen gedeckten Kleidungsstil, findet aber durch schwule Rolemodels zu seiner schräg-schrullig-queeren Identitätsperformance zurück. Sein Vater macht ebenfalls einen Entwicklungsprozess durch und erkennt endlich seinen Sohn in all seinen Persönlichkeits-Facetten an. Weiters leistet er den nötigen väterlichen Support mit emotionaler Care-Arbeit. Die Serie zeichnet ihn somit als wandelbaren Charakter, der bereit ist, sich aufgrund sozialer Verhältnisse zu verändern.

Protagonist Otis ist auch kontrastierend zur Persona Testo-John angelegt. Bei ihm wird deutlich ein Identitätsmuster gezeichnet, das signalisiert, das auch durch die hyper-liberale und offene Erziehung der Mutter ebenfalls Defizite ausgebildet werden können. Die Sextherapeutin überfordert bzw. beeinträchtigt Otis mit ihrer direkten Art in seiner Entwicklung. Als Folgeerscheinung hat er Masturbations- und Sexprobleme. Zudem ist sie überwachend, beispielsweise, wenn sie Otis bei einem Partybesuch hinterherfährt. Die Situation wird von Adam treffend mit „I thought my parents were controlling!“ kommentiert.

Abschließend

Sex Education dient als Trojanisches Pferd für queer-feministische Anliegen. Die Serie zeigt Themenkomplexe von kriselnder Männlichkeit, das Aufheben von Klassenunterschieden, die Implementierung lesbischer Ehe als scheinbar normative Bilderbuchfamilie sowie die Inszenierung von tougher Weiblichkeit, außerdem markiert sie Queer-Sein als cool. Pointiert und selbstreferenziell wird das Thematisieren von Männlichkeit in der Krise in der letzten Folge als „quite zeitgeisty“ bezeichnet.

Neben der Darstellung verschiedener Tücken der Pubertät sind Personalitätsentwürfe, die Fehler machen und auch mal scheitern dürfen, omnipräsent. Das ist eine interessante Entwicklung, denn in den vergangenen Jahrzehnten wurden in der Popkultur tendenziell eher Teenie-Figuren gezeigt, die der Mainstream-Idee von Coolness entsprechen, man denke dabei insbesondere an diejenigen 80er-Jahre High-School-Filme, die coole Cliquen und Popular-sein als non plus ultra stilisierten. Etwas Ähnliches geschieht bei Sex Education auch, aber mit einer großen Portion ironischer Reflexion, wenn beispielsweise Aimee zwar als „most popular girl in school“ inszeniert wird, aber eigentlich unter ihren Cool-Kids-Freund*innen leidet und heimlich mit der von ihnen als asozial bezeichneten Maeve befreundet ist.

Abschließend ist für mich zu sagen, dass mir Sex Education in meiner Rolle als Kulturwissenschaftlerin, Genderforscherin sowie als profane Konsumentin einfach total viel Spaß macht; zumal auch diese Serie mit einem großartigen Soundtrack auffährt.

Feminismus & Krawall

Illustration Silke Müller

Illustration Silke Müller

„Wir müssen furchtlos gegen den Strom schwimmen.“

Das kollektive Gedächtnis und ihre Gedächtnisverluste: Olga Misar war unerschütterlich in einer Vielzahl früher emanzipatorischer Bewegungen engagiert. Die 1876 in Wien in eine jüdische Textilhändlerfamilie geborene feministische Autorin, Rednerin und Organisatorin portraitiert Brigitte Rath.

Bild Nachlass Leopold Spitzegger, Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich, Universität Graz.

Bild Nachlass Leopold Spitzegger, Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich, Universität Graz.

Nur wenige Frauen dominieren den österreichischen Kanon der Ersten Frauenbewegung. Die bürgerliche Feministin, Philosophin und Multifunktionärin Rosa Mayreder und die sozialdemokratische Feministin und Abgeordnete zum Nationalrat Adelheid Popp gehören dazu. Dass diese Bewegung ein weitverzweigtes Netzwerk mit einer Vielzahl von – zum Teil heute unbekannten – Aktivistinnen unterschiedlicher politischer Herkunft war, bleibt dabei oft ausgeklammert. Eine dieser Aktivistinnen, die in ihrer Zeit sehr bekannt war und heute kaum mehr erinnert wird, ist Olga Misar. Sie war in unterschiedlichen emanzipatorischen Bewegungen engagiert, überschritt die Grenzen traditioneller Frauenpolitik und trat als aufmerksame politische Beobachterin und Kommentatorin in Erscheinung.

Die am 11. Dezember 1876 in Wien in die jüdische Textilhändlerfamilie Popper geborene Olga verbrachte ihre Jugend in England und heiratete 1899 – sie war inzwischen zum evangelischen Glauben übergetreten – den Mittelschulprofessor und Freimaurer Wladimir Misar, späteren Sekretär der Großloge Wien. Im Jahr 1900 bekam das Paar die Zwillinge Olga und Vera.

Love and Peace

Seit 1908 trat Olga Misar als Referentin zu diversen Themen in der bürgerlichen Frauenbewegung auf. Mitgliedschaften in unterschiedlichen bürgerlichen Frauenvereinen, wie dem Stimmrechtsverein oder dem Allgemeinen Österreichischen Frauenverein (AÖF), kennzeichneten ihr Engagement. Als Journalistin für den Österreichischen Bund für Mutterschutz von 1911 bis 1912 setzte sie sich für die Entdiskriminierung unehelicher Mütter ein, forderte eine Legalisierung von Abtreibung und die Einführung von staatlichen Unterstützungen bei Geburten. Politische Erkenntnisse und persönliche Erfahrungen – sie hatte eine länger andauernde Liebesbeziehung neben ihrer Ehe – führten dazu, dass sie 1919 die 60 Seiten umfassende Broschüre „Neuen Liebesidealen entgegen“ veröffentlichte. In dieser sexual-ethischen Schrift kritisierte sie die bürgerliche Ehe als einzige Form legitimer Sexualität, analysierte den Einfluss der Religion und sparte auch nicht mit Vorwürfen gegen die konservative Haltung der bürgerlichen Frauenbewegung.(1)

Im Weltkrieg war die Mehrzahl der Frauen patriotisch gesinnt und trat für soziale Unterstützung an der Heimatfront ein. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von gleichgesinnten Frauen, die im genannten AÖF engagiert waren, entwickelte Misar ein friedenspolitisches Engagement. Dies bedeutete eine Überschreitung der traditionellen Frauenrolle bis hin zu einer Einmischung in die allgemeine Politik. Ihren Überlegungen lagen geschlechtsspezifische Zuschreibungen und Differenzierungen, z. B. Vorstellungen einer stärkeren Friedensliebe von Frauen, zugrunde. Gemeinsam mit der Journalistin und Feministin Leopoldine Kulka, mit der sie eine enge Freundschaft verband, nahm sie an der internationalen Frauenfriedenskonferenz in Den Haag im April 1915 teil. Bei diesem außergewöhnlichen Treffen von Frauen aus kriegführenden und neutralen Ländern wurden mögliche Friedenslösungen diskutiert und die Unabdingbarkeit des Frauenwahlrechts gefordert.

Mut gegen den patriotischen Mainstream aufzutreten bewies Olga Misar durch ihre Beteiligung an weiteren Friedensversammlungen während des 1. Weltkrieges, die ab 1917 vermehrt abgehalten wurden. – Wohl nach dem amerikanischen Vorbild der Women’s Peace Party – engagierte sie sich auch in der 1917 gegründeten Friedenspartei. Das Engagement in der ab 1919 als Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) bezeichneten Organisation behielt Misar – in unterschiedlicher Intensität – bis zu ihrem Tod im Oktober 1950 bei. Bei der 3. Internationalen Tagung der IFFF 1921 in Wien brachte sie das „Gelöbnis keinen Waffendienst zu leisten“ ein.(2) Dem Gelöbnis für den Kriegsdienst, das bei der Aufnahme in die Armee zu leisten war, stellte sie eine frühe Form des Slogans der Friedensbewegung der 1970er Jahre – „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“ – entgegen. Ihre Hinwendung zum Antimilitarismus war stark von den Theorien des österreichischen Anarchisten Rudolf Großmann, (als Pseudonym Pierre Ramus) getragen, mit dem sie auch eine Freundschaft verband. Dieser Publizist, Redner und Aktivist war wesentlich im Bund herrschaftsloser Sozialisten engagiert und gab die Wochenzeitschrift Erkenntnis und Befreiung heraus. In dieser Zeitschrift publizierte Misar etwa über Gewaltlosigkeit oder gegen die Einführung eines Berufsheeres. Die begabte Rednerin reiste häufig in kleinere Orte, beispielsweise in der Steiermark, wo der Bund herrschaftsloser Sozialisten viele Mitglieder begeistern konnte, um dort über Antimilitarismus oder das Engagement von Frauen für den Frieden zu referieren.

Frauenwahlrecht

Als Frauen im Jahr 1919 bei den ersten Wahlen das aktive und passive Wahlrecht erhielten, kandidierte Olga Misar für eine der zahlreichen bürgerlichen Parteien, der Demokratischen Mittelstandspartei. Diese hatte der Multifunktionär, Schriftsteller und Abgeordnete zum Reichsrat Ernst Viktor Zenker im Oktober 1918 ins Leben gerufen. Auf ihrem Programm standen Frieden, die Einführung der Zivilehe, eine Ablehnung des Anschlusses an Deutschland und stattdessen die Forderung nach einem wirtschaftlichen Zusammenschluss mit Nord- und Südslawen. Mit dieser Forderung stand die Partei im Gegensatz zu fast allen anderen Parteien. Misar betrieb einen intensiven Wahlkampf und im Winter 1919 trat sie beinahe täglich bei Wahlveranstaltungen auf.

In welchem Ausmaß antifeministische Schmähungen in dieser Zeit auch bei Intellektuellen verbreitet waren, zeigt folgender Eintrag in der pazifistischen Wiener Wochenzeitschrift „Der Friede“. Der bekannte Journalist Anton Kuh schrieb am 25. Oktober 1918 in der Rubrik „Deutschösterreichisches“: „Man liest jetzt in der Zeitung viel von radikalen Versammlungen. Es sprechen unter anderen: ,Reichsratsabgeordneter Neumann, Bezirksvorsteher Blasel, Frau Professor Misar.‘ Kein Zweifel: Wien steht vor einer Rohövolution.“(3) Mit Rohö war die Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs gemeint, deren Vorsitzende Helene Granitsch für die Bürgerlich Demokratische Partei kandidierte. Ziel dieser misogynen Schmähung wurde jedoch Olga Misar, die keine Verbindung zur Rohö hatte. Die Bedeutung transnationalen Austauschs innerhalb der Frauenbewegung wird auch sichtbar als Misar zwei Jahre später, nach ihrem Misserfolg bei den Wahlen von 1919, für die schwedische feministische Zeitschrift Hertha. tidskrift för den svenska kvinnorörelsen (=Hertha: Zeitschrift für die schwedische Frauenbewegung) die Entwicklung der Repräsentanz von Frauen im parlamentarischen System beschrieb. Kritisch stellte sie fest, dass Parteien qualifizierte Frauen oft an unwählbarer Stelle hinter mittelmäßigen Männern reihten und nur die Sozialdemokratische Partei ernsthaft für die Rechte der Frauen eintrat. Bürgerliche Frauen seien von der wirtschaftlichen Not besonders betroffen und daher nicht in der Lage sich politisch zu engagieren.(4)

Ihr eigenes Engagement konzentrierte sich in den 1920er Jahren auf die Organisation des Bundes der Kriegsdienstgegner, für den sie unermüdlich Vorträge hielt, Demonstrationen organisierte, an Kongressen teilnahm, und eine Vielzahl von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln veröffentlichte. Von 1923 bis zu seiner behördlichen Auflösung 1936 war sie als Sekretärin dieser Organisation tätig.

Wie schwierig es war, in einer Situation ständig steigender physischer Gewalt einen Diskurs über Frieden und Kriegsdienstgegnerschaft zu führen, lässt sich immer wieder feststellen. Bei einer Versammlung im Jahr 1926 äußerte sie über die Arbeit der Kriegsdienstgegner Folgendes: „Wir müssen furchtlos gegen den Strom schwimmen, uns nicht durch Schmähungen oder Hohn beirren lassen. Wer gegen den Strom zu schwimmen wagt ist eine Kraft und wirkt als solche; wer mit dem Strom schwimmt, wird von ihm mitgeführt und wirkt überhaupt nicht als selbstständige Kraft, wird vom Strom verschlungen.“(5)

1928 organisierte sie in Sonntagsberg bei Waidhofen an der Ybbs das 2. Internationale Treffen der War Resisters International, der transnational agierenden Dachorganisation der Kriegsdienstgegner, an dem über hundert Teinehmer aus aller Welt gezählt wurden.

In den folgenden Jahren beteiligte sie sich an Zusammenschlüssen der zersplitterten Friedensorganisationen. Für diesen Zusammenschluss lud sie im Oktober 1931 Mahatma Gandhi mit folgenden Worten nach Wien ein: „All of us would be happy and honoured if we could once in our lives see Gandhi, who is for us the personification of non-violence and who has practically realised our ideal.“(6) Den Brief adressierte sie an Gandhi, London. Dieser erreichte ihn auch; allerdings konnte er die Einladung nicht annehmen.

Exil in England

Im April 1939 flüchteten Olga und Wladimir Misar ins englische Exil nach Enfield, nördlich von London. Während des Krieges blieb ihr politisches Engagement beschränkt. 1946 äußerte sie sich noch in gewohnt optimistischer und kämpferischer Weise brieflich bei der Tagung der IFFF, dass es in der Zukunft neue Methoden des Friedensaktivismus brauche.(7)

Nach Olga Misars Tod im Jahr 1950 beschrieb die Vorsitzende der englischen Gruppe der Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF), Barbara Duncan Harris, in ihrem Nachruf ebenfalls die optimistische Einstellung von Misar, die bei einem Meeting, in dem die Frage des fehlenden Nachwuchs problematisiert wurde, geäußert hätte:  „I am old, and I am poor, but I have gathered a few women together to interest them in the WILPF.”(8) Olga Misar war unerschütterlich in einer Vielzahl emanzipatorischer Bewegungen engagiert und sollte daher stärker im kollektiven Gedächtnis verankert sein!

 

 

1 Olga Misar, Neuen Liebesidealen entgegen, eingel. von Brigitte Rath, Reprint von 1919, Wien 2017.

2 Wiederabgedruckt in: Beatrix Müller-Kampel (Hg.), „Krieg ist Mord auf Kommando“ Bürgerliche und anarchistische Friedenskonzepte, Bertha von Suttner und Pierre Ramus, Nettersheim 2005, 247–249.

3 Der Friede, Bd. 2, Nr. 40, 25. 10. 1918, 315.

4 Olga Misar, Österrikiskorna och de politiska partierna. (Die Österreicherinnen und die politischen Parteien), in: Hertha. Tidskrift för den svenska kvinnorörelsen, 1, (1921), 8–10.

5 Bund der Kriegsdienstgegner Österreichs, in: Erkenntnis und Befreiung, 7/10 (1926), 2–3.

6 Brief von Olga Misar an Gandhi vom 22. Oktober 1931, Archiv des Sabarmati-Aschrams. Gandhi befand sich zur zweiten britisch-indischen Round-Table Konferenz von September bis Dezember 1931 in London.

7 Letter from Olga Misar, in: X. International Congress of the Women’s International League for Peace and Freedom, Luxembourg, Geneva 1946, 64–65.

8 In: Pax International, 16/5 (1950), 3.