Buchtipp

Die schönen Kriegerinnen
Technofeministische Praxis im 21. Jahrhundert
Cornelia Sollfrank (Hg.)

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Die schönen Kriegerinnen versammelt sieben aktuelle technofeministische Positionen aus Kunst und Aktivismus. Auf höchst unterschiedliche Weise erweitern diese die Denk- und Handlungsansätze des Cyberfeminismus der 1990er Jahre und reagieren damit auf neue Formen von Diskriminierung und Ausbeutung. Geschlechterpolitik wird unter Bezugnahme auf Technologie verhandelt, und Fragen der Technik verbinden sich mit Fragen von Ökologie und Ökonomie. Die unterschiedlichen Positionen um diesen neuen Techno-Öko-Feminismus verstehen ihre Praxis als Einladung, an ihre sozialen und ästhetischen Interventionen anzuknüpfen, dazuzukommen, weiterzumachen, nicht aufzugeben. Mit Beiträgen von Christina Grammatikopoulou, Isabel de Sena, Femke Snelting, Cornelia Sollfrank, Spideralex, Sophie Toupin, hvale vale, Yvonne Volkart. (Verlagstext)

transversal texts transversal.at/books

5050 en 2020

100 Jahre Frauenwahlrecht – und wir weichen kein Stück zurück.

Im Gegenteil. Wir fordern weiter und wir wollen mehr. Wir wollen Macht, wir wollen politische Macht, wir wollen finanzielle Macht, wir wollen Entscheidungsmacht und absolute selbstbestimmte Handlungsfreiheit und -hoheit in unseren eigenen Entscheidungen, Selbstbestimmung über unsere Körper und unsere Reproduktionsorgane.

Der Angriff auf das Abtreibungsrecht war mit dieser reaktionären ReGIERung früher oder später zu erwarten. Zählt das Weib doch nur als Brutstätte des nachkommenden Brutto-Sozialprodukts. Mancher Mann meint ob seiner ‚Objektivität‘ – da er keine Kinder bekommen kann – stehe ihm das alleinige Entscheidungsmonopol zu (!). Frauen sind ja viel zu emotional, hysterisch und können in dieser Lage keine vernünftige Entscheidung treffen. Diese selbsternannten ‚Retter des Lebens‘ aberkennen das Leben der Frau. Als Reproduktionsmaschine hast du kein eigenes Leben zu führen oder zu wünschen.

Die Sorge um die Reproduktionsfähigkeit war seit dem 19. Jahrhundert die dominanteste Argumentation gegen eine Teilhabe von Frauen im Sport. Es galt als unästhetisch, vermännlichend und medizinisch bedenklich – wegen der möglichen Unfruchtbarkeit. Interessanterweise forderte zuvor im Jahre 1762 der Pädagoge Rousseau genau das Gegenteil, nämlich die körperliche Ertüchtigung der Frauen, damit sie kräftigen Nachwuchs zur Welt bringen.

Doch aller Hürden zum Trotz erkämpften sich die Frauen mühsam ihren Zugang zum Sport und zu Wettkämpfen. Bei den Olympischen Spielen 1932 triumphierte Ellen Müller-Preis als Österreichs bisher einzige Fecht-Olympiasiegerin. 1949 wurde sie als 1. SportlerIN des Jahres geehrt. In ihrer unglaublichen Laufbahn gewann sie neben Gold noch 2 olympische Bronzemedaillen, 3 WM-Titel, 8 weitere WM-Medaillen und 21 nationale MeisterInnentitel. Im Alter von 44 Jahren erreichte sie noch das Olympische Finale. Im Anschluss an ihre Karriere unterrichtet sie u. a. Bühnenfechten am Max Reinhardt Seminar für eine ziemlich bekannte Schar an SchauspielerInnen und Kunstschaffenden.

Einer anderen Fechterin, Elisabeth Knechtl, die 1993 die Gesamtwertung im Weltcup gewann, wurde bei Olympia 1996 in Atlanta die Chance genommen, eine Goldmedaille im Degen zu erkämpfen, weil der Platz vom ÖOC für einen Funktionär (!) benötigt wurde. Passt zu den seit 2015 neu bestehenden OÖ Schnapser-Regeln: Bauer sticht Frau bzw. männlicher Funktionär sticht weibliche Olympiamedaillenhoffnung! Ach ja, freundlicherweise wurde das ganze ca. eine Woche vor Abflug per Telegramm (!) mitgeteilt.

Seit 1984 organisiert die APA die Wahl zum Fußballer des Jahres. 34 Jahre später wurde nun endlich die 1. Fußballerin des Jahres gewählt. Sarah Zadrazil. Mittelfeldspielerin im Österreichischen Nationalteam und bei Turbine Potsdam in D.

Das bedeutendste Filmfestival Deutschlands, die Berlinale, stand dieses Jahr im Fokus der FilmemacherINNEN. Von der Berliner Tagespost als „Festival der Frauen“ tituliert. Prinzipiell find ich das super, aber was heißt das konkret? 100% Frauenfilme, Filme von Frauen oder Filme über Frauen?! Nein, aber immerhin sind 7 der 17 Wettbewerbsfilme von Regisseurinnen (von 21% auf 42%), auf insgesamt 400 Filme kommen 191 Regisseurinnen (47,75%). Diese Quoten sind unglaublich im Vergleich zu anderen Filmfestivals. Der scheidende Festivalleiter hat trotz alledem ein Gleichstellungsversprechen nach dem französischen Vorbild „5050 en 2020“ unterzeichnet. Damit verpflichtet sich die Berlinale, die Leitungen und Auswahlgremien paritätisch zu besetzen und Transparenz bzgl. der Geschlechterverteilung bei Filmeinreichungen und -auswahl zu gewährleisten. Eine Konsequenz dieser filmischen Frauenförderung sind die vielen wunderschönen vielfältigen, starken Frauenbilder, die immer mehr auf der Leinwand zu sehen sind. JUHUUU!!

In dasselbe Horn bläst das Mission Statement von FC Gloria*. Filme von Frauen zeigen den Blick von Frauen auf die Welt und fördern so das weibliche Selbstverständnis. In diesem Sinne freue ich mich schon auf Sabine Derflingers Dokumentation über Johanna Dohnal: Wir wollen die Hälfte vom Kuchen!

 

!!! FRAUEN*STREIK am WFT 8. März 2019 – in Österreich und weltweit !!!
ReGIERung gegen die Frauen – Frauen gegen die ReGIERung und deren patriarchales, frauenfeindliches, rassistisches, kapitalistisches, neoliberales System frauenstreikt.noblogs.org (→ es gibt viele Möglichkeiten zu streiken)
→ Streiksymbol sind lila Tücher

Feminismus & Krawall am WFT 8. März 2019 in Linz ab 16h beim AEC www.feminismus-krawall.at

* www.fc-gloria.at steht für die Wahrnehmung der künstlerischen, wirtschaftlichen, rechtlichen, sozialen und politischen Interessen von Frauen in der österreichischen Filmbranche.

Die kleine Referentin

Terri Frühling/Elke Punkt Fleisch

Terri Frühling/Elke Punkt Fleisch

Linz und der NS, wir und der NS

Erinnerungskultur in der ehemaligen Führerstadt Linz: Anlässlich abgesagter Stolpersteine und einem neuen Gedenkprojekt hält Wolfgang Schmutz ein Plädoyer für ein herausforderndes Erinnern.

Im Erinnern an den Nationalsozialismus sollte Konsens herrschen, so meint das historisch aufgeklärte, antifaschistisch gesinnte, verantwortungsbewusste Österreich, ich nenne sie einmal: die Wohlwollenden. Das sei doch selbstverständlich, in einem Land mehr als 70 Jahre danach, obwohl, ja, mit einer zäh erkämpften Anerkennung der Opfer und einem spät erfolgten und trüben Blick auf die Täterschaft. Aber mit öffentlichen Bekenntnissen der Staatsspitzen, die, zugegeben, in der Regel umfangreicher ausfielen, als die tatsächlichen Entschädigungen oder Förderungen von Gedenkstätten und Erinnerungsprojekten. Aber immerhin. Die Mission Anerkennung sollte, gibt man sich nur ein wenig bescheiden, erfüllt sein. Aber war es jemals angebracht, hier bescheiden zu sein?

Darüber rede und schreibe ich schon ein paar Jahre. Vielleicht zu offensiv, zu ungestüm, nicht einladend genug. Jedenfalls hat noch kaum jemand öffentlich darauf reagiert. Zustimmung ist, was ich im Halbschatten ernte, was zur Seite gesprochen wird, aber nicht geradewegs in die Mikrofone. Aber auf welche Resonanz sollte meine Kritik auch stoßen, wenn die Selbstzufriedenheit, zumindest etwas bewegt zu haben, stets einnehmender ist und sich auch besser mit dem Pathos des „Nie wieder!“ vereinbaren lässt? Ein Pathos ohne Erfolge wirkt schal, und niemand müht sich gerne umsonst ab. Das gilt auch für mich, den Kritiker. Gefalle ich mir zu sehr in meiner Rolle? Öffne ich oder schließe ich Zugänge? Gehe ich zu weit, weiter als man mir folgen möchte? Worauf ich abziele, ist ein Diskurs (widersprecht mir!), jedenfalls ein Prozess, in dem möglichst viele entdecken, wie sie ihren Zugang zu einer schwierigen Geschichte finden und den Ereignissen auf den Grund gehen können. Und was es heißt, dazu Stellung zu beziehen. Ich bin der mit dem Bildungspathos.

Geschichte als Flachware und die Utopie des Erinnerns

Es geht mir aber nicht um feststehende Lektionen, wie etwa: Töten ist schlecht! Antisemitismus ist schlecht! Rassismus ist schlecht! Dazu brauchen wir den Holocaust nicht, das ist kein Lernen im eigentlichen Sinn, und das verzerrt am Ende nur das historische Bild, wie es der Didaktiker und Kurator Paul Salmons präzise formuliert. Je voreingenommener wir in die Vergangenheit blicken, desto weniger sehen wir. Tun wir es mit einer zu spezifischen Agenda, moralisch, politisch, ideologisch, filtern wir die Widersprüche heraus. Was eigentlich geschehen ist, wird zugunsten einer wohlfeilen Lektion vereinfacht, wie es genau geschehen ist, muss dafür in den Hintergrund treten. Blicken wir etwa auf Opfer, Täter*innen, Bystander, Widerständige als abgezirkelte Gruppen, als feststehende und unveränderliche Rollen? Bad guys and girls against good ones? Es ist viel komplizierter, viel komplexer als uns lieb ist, als mir lieb sein kann. Je tiefer ich in die Geschichte schaue, je mehr ich mich mit den Akteuren, ihren Entscheidungen und Handlungen beschäftige, desto verwirrter werde ich, einerseits. Andererseits erkenne ich mich mehr und mehr wieder, entdecke meine Verwandtschaft, meine eigenen Kapazitäten als Mensch.

Ich rede hier nicht von Opferschaft. Zu dieser Gruppe kann ich niemanden zählen, der zu meinen Vorfahren gehört. Und das gilt für die Allermeisten. Außerdem entscheiden die Opfer nicht, Opfer zu werden, aber Täter zu sein, dazu kann sich jede*r entscheiden. Und Täter*innen brauchen Dritte, die Täter*innenschaft ermöglichen und Opferschaft zulassen. Diese Dritten sind in der Regel die Mehrheit. Eine Mehrheit, mit der wir uns historisch aber so gut wie gar nicht beschäftigen. Wenn, dann nur als naive, jubelnde, verführte oder geblendete Masse. Nie mit Individuen, die nachdenken, abwägen, sich entscheiden, sich im Sinne der eigenen Interessen verhalten und handeln. Wir setzen uns kaum mit den Beweggründen dieser Mehrheit auseinander, mit jener Position, die wir am wahrscheinlichsten innehaben würden, die unsere Vorfahren mehrheitlich innehatten. Stattdessen widmen wir uns immer wieder den Opfern, in Bildungskontexten wie im Gedenken, wir leiten die entscheidenden und drängendsten Fragen auf sie um, und diese damit von uns selbst weg. Wir benutzen die Opfer als Totem unserer mangelnden Verantwortung und nennen es würdiges Erinnern. Ist es das? Anerkennen wir damit wirklich ihre Opferschaft? Was laden wir ihnen damit zusätzlich auf? Niemand ist dafür gestorben, dass wir Töten für schlecht halten können. Diese Instrumentalisierung der Geschichte, die Verflachung der Ereignisse und ihrer Protagonisten macht unseren Blick auf den Nationalsozialismus zur rückwärtsgewandten Utopie: So wie wir mit ihr umgehen, wird die Vergangenheit nie gewesen sein.

Zeichen und Bezeichnetes

In der Ausgestaltung des Erinnerns hat sich diese Utopie, haben sich deren Formen längst festgesetzt. Heroische Monumente gehören zum festen Inventar von Gedenkstätten. Sie suggerieren, dass KZ-Häftlinge für die Freiheit von ganzen Nationen gestorben wären, sie erzählen von der Selbstvergewisserung europäischer Länder, jeweils Opfer gewesen zu sein und lenken das Scheinwerferlicht weg von Kollaboration und Duldung. Alles ist auf das Opfererinnern zugeschnitten. Das ist per se nicht falsch, denn mit dem Anerkennen der Opfer fing es an. Das Problem ist, damit hört es bis heute meistens auch auf. Wir haben keine Form entwickelt und generell kaum eine Sprache dafür, wie wir der Täterschaft und deren Unterstützung erinnern könnten. Es schwingt manchmal mit, aber explizit, geschweige denn zu einem Fokus wird es nicht.

Jüngere Formen des Gedenkens haben sich von der heroischen Formensprache verabschiedet, künstlerische Gestaltungen machen vielschichtige Perspektiven auf. Und doch fokussieren sie nach wie vor auf die Opferschaft. Auch die Stolpersteine tun das. Ihre Stärke besteht aber darin, jene Stellen zu markieren, an denen die Opfer ihren letzten frei gewählten Wohnsitz hatten. Sie liegen vor Häusern, im öffentlichen Raum, durchsetzen und markieren, was wir nicht a priori als geschichtlich relevante Umgebung betrachten würden. Die Stolpersteine verweisen darauf, dass es in einer Nachbarschaft seinen Anfang nahm, dass die Opfer aus der Mitte einer Gesellschaft rekrutiert wurden. Sie sind ein Türöffner zu dieser Dimension der Taten. Auch wenn sie nicht ansprechen, wie die Deportationen abliefen, aufgenommen und angenommen wurden. Aber auf dieses Ausbuchstabieren käme es an.

Worüber wir nicht stolpern sollten

Trotz dieser Einschränkungen: Ich habe die Petition für Stolpersteine in Linz unterschrieben. Weil es ein dezentrales Erinnern ist, das in die Gesellschaft hineinreicht, den öffentlichen Raum bespielt und dadurch die Erinnerung an den entscheidenden Ort bringt. Ich habe unterschrieben, weil die Gegenwehr des Linzer Bürgermeisters kaum nachvollziehbar war, er durchsichtig argumentierte und dies obendrein im Brustton einer proto-autokratischen Überzeugung vorgetragen hat. Aber um ihn soll es hier nicht gehen. Die Stadt, das ist nicht ihr Bürgermeister! Die Petition half jedenfalls, es gab ein Einsehen. Und nun, da ein Gedenkprojekt beschlossen ist, wird alles gut? Nein, denn wir befinden uns nach wie vor in der Logik einer Anerkennung von oben. Das vom Bürgermeister erwartete Einlenken ist ein von ihm kontrolliertes und limitiertes: Geladene Künstler (nach welchen Prämissen?) repräsentieren ebenso wenig wie er die Stadt, und eine Jury (wie ist deren Stimmrecht gewichtet?) ist noch kein Prozess. Doch der politische Gewinn, er wird von den Initiatoren der Petition bereits eingelöst. Leider.

Nehmen wir Anteilhabe ernst, steht die eigentliche Auseinandersetzung aber erst bevor. Dabei könnte man auf rezente Zeiten zurückgreifen, in denen die Potentiale eines herausfordernden Gedenkens sichtbar wurden. Temporäre Ausstellungen und Projekte im Kulturhauptstadtjahr 2009 waren nicht nur wohlgelitten, man sorgte sich auch um das Image der ehemaligen „Führerstadt“. Es gab Konfliktstoff. Heute jedoch ist die Fassade am Brückenkopf wiederhergestellt, die Spuren von „Unter uns“ haben sich verwischt, die Stencils von „In situ“ sind verblasst. Eine vergleichbare Stadt wie Nürnberg hat sich derweil längst auf den Weg gemacht, leistet sich ein Dokumentationszentrum, renoviert den Schauplatz Zeppelintribüne und spricht nach außen wie nach innen offensiv über dieses Erbe. Den Anfang nahm alles mit einer Handvoll Geschichtestudent*innen, die damit begannen, Gruppen über das ehemalige Reichsparteitagsgelände zu führen. Heute hat der Verein „Geschichte für Alle“ über 400 Mitglieder, und ehemalige Gründer*innen forschen und gestalten im städtischen Auftrag.

Stadt der Erinnerungsarbeit?

Der Vergleich macht sicher: Linz hat immer noch einen weiten Weg vor sich. Die wiederkehrende Aufzählung bisheriger Leistungen in Sachen „Aufarbeitung“, mit der sich die Stadt zu schmücken pflegt, wandert seit über zwei Jahrzehnten via copy-paste von einem Papier zum nächsten, mit nur geringfügigen Ergänzungen. Es ist höchste Zeit, für eine Entwicklung zu sorgen, die sich wirklich fortschreibt. Aufgrund des Mangels nun für etwas Dauerhaftes wie die Stolpersteine zu plädieren, ist verlockend. Hilfreicher ist es jedoch, eine andauernde Auseinandersetzung ins Auge zu fassen. Damit diese sich verändern, ergänzen, wandeln kann.

Es geht um einen Richtungswechsel, auch perspektivisch. Als Bürger*innen sollten wir nicht darauf warten, was von oben verordnet oder genehmigt wird. Relevanz entsteht, wenn man etwas an sich nimmt, etwas vertritt und sich dazu exponiert, sich mit anderen dazu austauscht und vereinbart. Eine Stadt mag gut oder weniger gut mit Zuschreibungen leben, Bürger*innen, die etwas auf ihre gesellschaftliche Rolle halten, sollten eigeninitiativ Profile und sinnstiftende Angebote entwickeln. Die mehr als 2360 Unterzeichnenden der Stolperstein-Petition, sie könnten einen ersten Schritt in diese Richtung machen, hin zu einer Stadt der Erinnerungsarbeit. Wenn es schon ein Etikett sein soll.

Zukunft denken

Der Audiowalk „über.morgen“ führt im April durch eine Stadt der Zukunft. theaternyx* arbeitet an Wirklichkeit, die das Morgen im Heute überschreibt. Theresa Luise Gindlstrasser hat Regisseurin Claudia Seigmann zum Gespräch getroffen.

Hier wurde Zukunft noch geprobt: 8 Minuten Audiowalk-Testlauf im Dezember vor dem Menschenrechtsbrunnen. Foto theaternyx

Hier wurde Zukunft noch geprobt: 8 Minuten Audiowalk-Testlauf im Dezember vor dem Menschenrechtsbrunnen. Foto theaternyx

„Schluss mit dem Patriarchat. Die gesamte Gesellschaft hat sich neu geordnet, musste sich neu ordnen, weil sich plötzlich niemand mehr in einem Abhängigkeitsverhältnis befunden hat. Damit musst du erstmal lernen umzugehen. Ein Wahnsinn! Zum Beispiel: Gender Pay Gap? Plötzlich null. Das war earthshaking“, zeigt sich eine Zeitwohlständerin zufrieden. Es ist das Jahr 2050. Mikro-Oasen und Indoor-Biotope laden während der heißen 37-Grad-Mittagsstunden zum Verschnaufen ein. Bedingungsloses Grundeinkommen für alle und technologische Entwicklungen gewährleisten die Voraussetzungen für das „Recht auf Nicht-Effizienz“. Willkommen in Linz! Willkommen bei „über.morgen“!

Ab 4. und bis zum 14. April bittet theaternyx* zum performativen Stadtspaziergang durch Linz. Der Audiowalk führt eine Reisegruppe von 25 Personen durch den öffentlichen Raum. Mit Kopfhörern ausgestattet, lauscht das Publikum der Erzählstimme, dem Sounddesign von Abby Lee Tee und Christian GC Ghahremanian, den Stimmen von Zeitzeug*innen, die aus dem Jahr 2050 zurückblicken, Entwicklungslinien aus unserer Gegenwart in die behauptete Zukunft zeichnen. Während die Reisegruppe von der Erzählstimme angeleitet durch Linz manövriert, wird die visuelle Gegenwart mit einer Audio-Zeitreise überschrieben. Startpunkt für die 80-minütigen „über.morgen“-Touren ist am OK-Platz.

Aus dem Anspruch heraus positive, ermächtigende Geschichten zu erzählen, arbeitet theaternyx* – seit Gründung im Jahr 2000 durch Claudia Seigmann und Markus Zett – vor allem an ortsspezifischen Stückentwicklungen. 2009 gab es für „siebenundzwanzig. eine geistergeschichte“ den Bühnenkunstpreis des Landes Oberösterreich. 2017 für „DREIHUNDERTFÜNFUNDSECHZIG+“ eine Nominierung für den Stella – Darstellender Kunst Preis für junges Publikum. Für die bei „über.morgen“ angestrebte Kombination aus Stadtspaziergang und Wirklichkeitsüberschreibung gibt es ein Vorgänger-Projekt: 2016 eröffnete Corinne Eckenstein ihre erste Spielzeit als künstlerische Leiterin am Dschungel Wien – Theaterhaus für junges Publikum mit der Produktion „Quartier 2030 – Die Stadt sind wir“. Seigmann konzipierte damals für das Areal des Museumsquartiers einen Performance-Parcours mit utopischem Ausblick. Die Welt im Jahre 2030 wurde als eine grünere vorgestellt. Als eine mit mehr Dachgärten, mehr Windmühlen und weniger Müll. Eigentlich gar keinem Müll. Denn, so erklärte es die Stadtführerin, jeder Abfalleimer sei an das zentrale Mikrotransportsystem angeschlossen, das die weggeworfenen Objekte an die Hersteller zurück und also zum Recyceln freigibt. Das Publikum wurde in Gruppen von Station zu Station geleitet, insgesamt sechzehn Performende sorgten für die Darstellung dieser Vision einer besseren Zukunft. Es gab eine Brücke der Wünsche, an der die Visionen geäußert werden konnten, eine Terrasse, von der herab auf sich fröhlich drehende Menschen geblickt werden konnte und einen Flur, an dem Gedanken über das bedingungslose Grundeinkommen gebracht wurden.

Für „Quartier 2030 – Die Stadt sind wir“ wurde eine fertige, funktionierende Gesellschaft der Zukunft gezeichnet ohne auf dystopische, totalitäre Implikationen zu verweisen. Fürs aktuelle Projekt, das den Schritt vom Morgen (2030) ins Übermorgen (2050) wagt, spielen mehr oder minder dystopische Assoziationen aber durchaus eine Rolle. Die Zeitzeug*innen verhandeln den Wandel, den Bruch, das Katastrophenmanagement, die Ideen, jedenfalls die Veränderungen, die von einer Gesellschaft 2019 zu einer Gesellschaft 2050 geführt haben. Die Verweise ins Heute sind mannigfaltig: Da geht es um Ressourcenknappheit, um Arbeitsplätze und darum, wie die Gesellschaft der Zukunft zu Entschleunigung und Nachhaltigkeit gefunden hat. „Technologie kann uns frei spielen für ein anderes Miteinander“, so Seigmann. Ob die Zeit langsamer laufen soll? „Unbedingt!“.

Die Anbindung der heutigen Erlebniswelt ans utopische 2050 – auch durch Herausarbeitung der Differenzen die zwischen der visuellen Gegenwart und der Audio-Zukunft bestehen – legt den Fokus auf den Weg dorthin, „es wird ihn brauchen, den Weg“, sagt Seigmann. Die Zukunft 2050 soll nicht als bloße Utopie gedacht (Utopie als altgriechisch für Nicht-Ort), sondern das Denken von Zukunft generell als prinzipiell möglich herausgestellt werden. Nicht Zauberei wird die Klimakatastrophe verhindern, nicht irgendein Nicht-Ort wird als fertiges Paradies bereit stehen, sondern Ideen und Handlungen sind nötig. „So wie es ist, so kann es nicht bleiben“. Damit zielt theaternyx* in Richtung individuelle und gesellschaftliche Selbstermächtigung und sieht „über.morgen“ als emanzipatorisches Unterfangen. Dass die Zukunft 2050 dabei nur über das Hören zugänglich ist, öffnet die Augen für die Differenzen, für die Handlungsmöglichkeiten heute. Das Aktivieren der Phantasie, der Vorstellungskraft ist für theaternyx* ein großes Anliegen. Das Gehen in der Gruppe, bei gleichzeitiger Vereinzelung bzw. Sensibilisierung für Körper im Raum durch das Tragen von Kopfhörern unterstreicht diesen Ansatz. Wenn „Quartier 2030 – Die Stadt sind wir“ eine Vision von Zukunft vor allem einmal vorgestellt hat, dann macht „über.morgen“ eine Zukunft erlebbar.

„Ich meine, alle wesentlichen Entwicklungen in Bezug auf Nachhaltigkeit sind ja ewig in die falsche Richtung gelaufen. Nicht nur bei uns. In den 2010er Jahren gab es dann endlich immer mehr Versuche über Gesellschaftssysteme nachzudenken, die sensibel mit den bestehenden Ressourcen umgehen. Obwohl ich auch sagen muss, dass sich der Glaube an das heilbringende Wirtschaftswachstum noch sehr lange gehalten hat. Es ist ja nicht so leicht eine Religionsgemeinschaft von ihrem kollektiven Irrglauben zu überzeugen.“

Das neue Leitungsteam am NTGent um den Theatermacher Milo Rau hat sich im Mai 2018 ein Manifest gegeben. Dessen erster Punkt lautet: „Es geht nicht mehr nur darum, die Welt darzustellen. Es geht darum, sie zu verändern. Nicht die Darstellung des Realen ist das Ziel, sondern dass die Darstellung selbst real wird“. Was es in diesem Kontext bedeutet, die Welt als eine schon veränderte darzustellen? „Wir stellen die Welt als eine veränderbare dar, wir sagen, dass sie sich verändert und sprechen eine Einladung zur positiven Veränderung aus“, erklärt Seigmann, „es ist komplex“. Für „über.morgen“ haben Claudia Seigmann und Markus Zett zum wiederholten Male mit der Autorin und Dramaturgin Claudia Tondl zusammengearbeitet. „Es gab viel zu tüfteln“, so zum Beispiel in Bezug auf den Straßenverkehr, „die Erzählstimme muss ja auch auf rote Ampeln reagieren können“. Und wie geht das? „Das verraten wir nicht“. Der Audiowalk wird auch Teil des internationalen Symposions „Superstadt!“ der Kunstuniversität Linz im Mai 2019 sein. Vielleicht lüftet sich ja dann das Geheimnis der roten Ampeln.

 

Premiere: 04. April, 17:00 Uhr
Weitere 10 Spieltermine: 05. – 14. April
Start- und Endpunkt: OK Offenes Kulturhaus, OK-Platz 1
Der Audiowalk führt zirka 80 Minuten zu Fuß durch die Stadt.
Kartenvorverkauf: Moviemento & OK Kassa. Infos: 0732/784090.
Mehr Infos: theaternyx.at

Mehr über den Audiowalk im Rahmen des Kunstuni-Symposions „Superstadt!“ im Mai: theaternyx.at

Konsequenzen, Schwimmen, Fliegen

YAAAS! bei Crossing Europe: Innerhalb der neuen Jugendschiene wurde von Gleichaltrigen ein Spielfilmprogramm von sechs Filmen mitprogrammiert. Drei davon hat sich die von der Referentin beauftragte Schülerin Valerie Straßmayr im Vorfeld angesehen – und gibt einen Vorgeschmack auf ein Programm zwischen Roadtrip und Coming of Age, und auf mögliche Diskussionsthemen.

Všechno Bude – Winter Flies (CZ/SI/PL/SK 2018) Foto: Cercamon Films

Všechno Bude – Winter Flies (CZ/SI/PL/SK 2018) Foto: Cercamon Films

Posledice / Consequences.

Es wird Konsequenzen geben! Glaub nicht, dass du so davonkommst! – Aber welche Konsequenzen kann es für jemanden geben, der nichts zu verlieren hat? Posledice ist ein slowenisch-österreichisches Jugenddrama von Darko Štante, was zugleich auch sein Langfilmdebüt ist. Der Film porträtiert das Leben des 18-jährigen Andrej (Matej Zemljic), der, nachdem er vermehrt straffällig auffiel, zu einem Aufenthalt in einem Heim für kriminelle Jugendliche verurteilt wurde. Dort soll er resozialisiert und für die Arbeitswelt vorbereitet werden. Doch sobald er ankam, merkt er, dass hier eine ganz andere Hierarchie herrscht, in der er, zumindest derzeit, ganz unten ist. Die Alphas Žele (Timon Šturbej) und Niko machen sich einen Spaß daraus, Andrej zu mobben. Die Betreuer sind hilflos und überfordert. Das wird Konsequenzen geben! Ich werde sonst die Polizei rufen müssen! – Schon sind sie am Ende ihres Vokabulars. Nichts und niemand kann die Jugendlichen stoppen. Im Heim lernt Andrej seinen Zimmergenossen Luka kennen, dieser bestreitet den Alltag, indem er ein Mitläufer ist und sich nicht gegen Želes Clique wehrt. Andrej möchte mehr, er will Teil der Gruppe werden. Nun darf er die Jungs am Wochenende, der Freizeit, auf Partys begleiten. Sie nehmen gemeinsam Kokain und andere Drogen. Sie stehlen Autos und schlagen Leute zusammen, es kommt sogar zu einer Messerstecherei. Andrej verfängt sich immer mehr in dem Netz aus Lügen und Gewalt, aus dem er nicht mehr aussteigen kann. Seine Position in der Gruppe festigt sich vor allem, nachdem ein Neuer ins Heim kommt. Mitar wird das nächste Opfer, das an seinen Platz verwiesen wird. Zwischen Žele und Andrej kommt es zu einer sexuellen Annäherung. Sie tanzen gemeinsam und küssen sich, am Ende schlafen sie miteinander in einem Hotel. Žele lebt seine Homosexualität nicht offen. Er hat eine Freundin, Svetlana, die aber von seinen Neigungen weiß. Der verliebte Andrej macht nun alles für Žele. Auch von Luka treibt er Geld ein, er ist korrupt und kalt. Dadurch verliert er seinen einzigen, wirklichen Freund. Als er 300 Euro von einem „Zigeunerjungen“ eintreiben soll, öffnen sich Andrejs Augen. Žele hat ihn die ganze Zeit nur benutzt, um seine Drecksarbeit zu erledigen. Als Andrej vor Žele Gesicht zeigt, merkt er, wie hinterlistig und unfair gespielt wird. Aus dem Teufelskreis gibt es kein Entkommen, am nächsten Morgen soll er erfahren, wie es einem Aussteiger geht. Posledice ist ein emotionaler Film, der die Fragilität der Männlichkeit porträtiert. Regisseur Darko Štante beschreibt die noch sehr verbreitete Homophobie im slawischen Raum. Gleichzeitig spricht er die Probleme in solchen Heimen, wie jenes, in dem Andrej lebt, an. Obwohl viele Versuche gemacht werden, um die Jungen zu resozialisieren, machen sie was sie wollen, jegliche Autorität ist wirkungslos. Auch wenn die Teenager fast wie in einem Gefängnis wohnen, sind sie doch so frei wie noch nie. Ihr Leben ist exzessiv, die einzigen Grenzen sind die ihrer eigenen Hierarchie.

Schwimmen.

Es gibt kaum eine Zeit, in der sich so viel verändert, in der so viel neu ist, in der jeder Tag eine neue Weltanschauung bedeuten kann. Schwimmen ist ein deutscher Coming-of-Age-Spielfilm von Luzie Loose, der eine ehrliche und objektive Perspektive auf das Teenagerdasein bietet. Der Beginn der Handlung könnte einem schon bekannt vorkommen. Eine introvertierte Außenseiterin, die gerade die Trennung ihrer Eltern miterlebt, wird von ihren MitschülerInnen gemobbt. Elisa (Stephanie Amarell) hat Kreislaufprobleme und bricht im Schwimmbad zusammen. Ihre SchulkollegInnen nutzen den Moment, um mit ihrem reglosen Körper zu posieren und Fotos zu machen. Diese verbreiten sich binnen des nächsten Tages an der ganzen Schule. Allein ist sie machtlos gegen diese Attacken, doch Anthea (Lisa Vicari) kommt ihr zur Hilfe. Gemeinsam wollen sie sich rächen und arbeiten eine Liste mit Elisas Peinigern ab. Ganz im Zeichen der Gegenwart nutzen sie die Technik und filmen ihre Aktionen. Anthea unterstützt Elisa, doch bringt sie in eine Situation der Abhängigkeit. Das unschuldige Mädchen wird selbst zur Täterin. Die Charakterzüge der zwei Freundinnen unterscheiden sich stark. Während Anthea immer auf sich achtet und egoistische Charakterzüge aufweist, meldet sich bei Elisa das Gewissen. Elisa fürchtet sich davor, wieder einsam zu sein. In jedem Streitpunkt springt sie für ihre beste Freundin ein. Dabei muss sie oft ihre eigenen Ideale verraten. Nach einiger Zeit eskaliert das Spiel der beiden Mädchen, indem sie mittlerweile Videos zur Erpressung nutzen, und Elisa erkennt das wahre Gesicht von Anthea. Die Regisseurin porträtiert diese komplizierte Lebensphase, ohne jedoch zu werten. Die vielen Aspekte, die einen in diesem Lebensabschnitt beschäftigen, werden nüchtern und ehrlich beleuchtet. Liebe, Drogen, Partys und der soziale Druck, der auf den Schultern lastet. Auf Fehler wir nicht mit dem Finger gezeigt und der Film wirkt nicht belehrend. Neben den dramatischen und schweren Momenten werden auch die schönen, von Leichtigkeit erfüllten Augenblicke beleuchtet. Diese Momente, in denen die Kinder alle Probleme vergessen können und sich von der digitalen Welt abschotten. Elisa wächst an ihren Herausforderungen im Film vom Kind zur Teenagerin heran. Sie lernt aufzustehen und für ihre Meinung den Kopf hinzuhalten. Der Film überzeugt auch mit viel Abwechslung im Schnitt zwischen Realität und Handykamera, die ihn umso lebensnaher erscheinen lassen.

Všechno Bude – Winter Flies.

Es gibt nichts Stärkeres als den Bund der Freundschaft. Všechno Bude ist ein Coming-of-Age-Spielfilm von Olmo Omerzu auf Tschechisch. Im Film werden die zwei Teenager Heduš (Jan František Uher) und Mára (Tomáš Mrvík) auf ihrem Roadtrip mit einem gestohlenen Auto durch ganz Tschechien begleitet. Die zwei Freunde könnten nicht unterschiedlicher sein. Heduš ist tollpatschig, naiv und noch sehr kindlich. Der etwas ältere Mára wirkt cool, rational und kalt. Mára prahlt immer wieder mit seinen Frauengeschichten und die zwei gabeln eine junge Frau, Bára, auf der Straße auf. Beide Jungs stellen sich vor, mit ihr schlafen zu werden. Bára wird dabei nicht wirklich als Mensch, sondern als Objekt wahrgenommen. Heikle Themen wie Sexismus, Homophobie und Transphobie, die es noch immer zu überwinden gilt, werden angesprochen. Der Film switcht zwischen den Szenen auf der Straße zu einer Polizeibefragung von Mára. Dabei spielt er mit dem extremen Kontrast der Freiheit und der Gefangenschaft. Während der Befragung kommen wiederholt Aufnahmen einer Fliege vor. Zuerst ist ihr Zustand völlig intakt. Im Verlauf des Gesprächs wird sie immer mitgenommener, wie Mára. Durch die Tricks der Polizistin gibt er immer mehr von sich preis. Letztendlich liegt die Fliege im Aschenbecher, bedeckt von Zigarettenstummeln, aber sie kann sich befreien. Am Ende führen die beiden Parallel-Geschichten wieder zusammen. Všechno Bude beschreibt die Vielseitigkeit der Freundschaft, die Ups und Downs. Die Geschichte zeigt, wie wichtig es ist, zu vertrauen und wie schön es ist, aufeinander zählen zu können. Durch ihre unterschiedlichen Charakterzüge läuft zwar nicht immer alles harmonisch zwischen den Freunden ab, doch sie wachsen durch sich und den anderen über ihren Horizont heraus und finden doch immer wieder zusammen. Am Ende wissen sie, dass dieser Trip noch lange nicht vorbei ist.

Resümee.

In allen drei Filmen spielt Freundschaft eine wichtige Rolle. Posledice und Schwimmen zeigen, wie leicht man in diesem Alter in Abhängigkeit geraten kann. Das Handeln der Personen wird vom Gruppenzwang beeinflusst. Ist man einmal Teil, wird es schwer, sich aus diesem Netz zu befreien. In diesen zwei Filmen sind soziale Medien sehr zentral. Fotos und Videos sind Mittel zur Erpressung – relevant und realitätsnahe.

Všechno Bude porträtiert eine ganz andere Welt, in der Medien eine weniger große Rolle spielen. Die Freundschaft der Hauptcharaktere ist offen und herzig. Heduš und Mára vertrauen einander und können auf den jeweils anderen auch in herausfordernden Situationen zählen.

Das Thema Drogen ist häufig aufgetreten. Es wird sehr objektiv behandelt, aber nicht verherrlicht. Die Geschichten drehen sich nicht um Abhängigkeit, sie porträtieren einfach, dass Drogen für viele Jugendliche eine gelegentliche Realitätsflucht bedeuten. Die Figuren wirken aufgeklärt und verantwortungsbewusst, wie es heute auch die meisten Teenager sind. Auch hier ist Všechno Bude eine Ausnahme, weil Drogen keine Rolle spielen.

Die Coming-of-Age-Filme der neuen Crossing Europe-Schiene Yaaas! sind interessante Aufnahmen, die das Heranwachsen an schweren Aufgaben Jugendlicher repräsentieren. Die Filme sind sehr spannend im Stil und abwechslungsreich. Nicht alle Geschichten hören mit einem Happy End auf, wie im echten Leben. Doch aus den emotionalen Herausforderungen wachsen die Charaktere und werden ein Stück erwachsener.

Crossing Europe: Programm-Special zu Edith Stauber

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Crossing Europe widmet der Linzer Filmemacherin und Künstlerin Edith Stauber ein Programm-Special innerhalb der Sektion Local Artists. Edith Stauber (*1968) hat Visuelle Mediengestaltung/ Film und Video an der Kunstuniversität Linz studiert, seit 2001 arbeitet sie im Bereich Dokumentar- und Animationsfilm sowie an der Schnittstelle von Film, Zeichnung und Malerei. Sie war seit den Anfängen von CROSSING EUROPE regelmäßig im Filmprogramm vertreten. Das diesjährige Special versammelt alle kurzen Animationsarbeiten, die Weltpremiere des neuesten Films Linz / Stadtpfarrkirche inklusive. Edith Staubers humorvoller Blick auf unsere Lebensrealität und ihr untrügliches Gespür für Momentaufnahmen und Details, die allzu leicht übersehen werden, machen ihre animierten Filme zu kostbaren „Alltagsminiaturen“. (Auszug Programmtext Crossing Europe)

Die Referentin hat bereits über Edith Stauber berichtet – im Rahmen der Gemeinschaftsausstellung mit Alenka Maly und Bibiana Weber in der Galerie Forum Wels. Die Referentin #8, Juni 2017, Text „Von meinem Privaten in dein Politisches“ playground233.servus.at/von-meinem-privaten-in-dein-politisches

Coming of Politics

Beim diesjährigen Filmfestival Crossing Europe laufen zwischen 25. und 30. April drei ausgewählte Dokumentarfilme über Frauen in der Politik. In Sachen Filmbesprechung hat die Referentin im Vorfeld drei Expertinnen in Sachen Politik gewinnen können: Karin Hörzing hat sich „I Had A Dream“ angesehen. „We Did What Had To Be Done“ wurde von Doris Lang-Mayrhofer gesichtet. Und „Sylvana, Demon Or Diva“ bespricht Eva Schobesberger.

I HAD A DREAM / AVEVO UN SOGNO. Zwei Männer flankieren den 2018 erschienenen Film von Claudia Tosi: Silvio Berlusconi, der 2008 zum vierten Mal italienischer Ministerpräsident wurde, und Donald Trump, der ein knappes Jahrzehnt später als amerikanischer Präsident vereidigt wurde. Für Manuela, eine Abgeordnete des italienischen Parlaments, und Daniela, eine Lokalpolitikerin, ist dieser dergestalt männlich markierte Zeitraum der Inbegriff für den politischen Regress. Seit Jahren kämpfen die beiden für mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, für bessere Gesetze zum Schutz vor häuslicher Gewalt gegen Frauen und für ein diverseres Gesamtbild politischer Verantwortungsträger.

Was ist Politik? Was macht Politik aus? Gibt es im beruflichen Leben von Politikerinnen, egal in welcher Stadt, in welchem Land sie arbeiten, Parallelen?
Darauf kann ich nur mit einem klaren Ja antworten, wenn ich den – in 84 min. Filmlänge – geschilderten Einsatz, die Erfahrungen, Erwartungen, Enttäuschungen aber auch Erfolge von Manuela und Daniela Revue passieren lasse.
„I had a dream“ ist kein Film, der keine Fragen aufwirft. „I had a dream“ besticht nicht durch spektakuläre Bilder oder Action, nein, mich hat er fasziniert, weil es sehr subtil gelungen ist, sich in die Welt dieser beiden Politikerinnen hineinziehen zu lassen. Und ich denke, das passiert nicht nur mir, weil ich diese Welt gut kenne, sondern vor allem dadurch, weil es so ungeschnörkelt authentisch ist.
Politikerinnen aus aller Welt setzen sich seit vielen Jahren mit den gleichen Themen wie Manuela und Daniela auseinander: mit dem Einsatz für mehr Gleichberechtigung, mit dem Schutz vor häuslicher Gewalt für Frauen, mit dem Anspruch, dass mehr Frauen auch die Politik gestalten.
„I had a dream“ berührt – er berührt in den Aussagen, den stillen Momenten, den motivierenden Protestmärschen, den Alltagsgeschehnissen.
Er macht wütend, wenn Politikerinnen auf Missachtung treffen (wer hat schon gerne ein schlafendes männliches Publikum 🙂 ), wenn harte Fakten wie beim Thema häusliche Gewalt verniedlicht werden und wenn man merkt, wie populistische Politik gegen die Menschen, von den Menschen, den Wählerinnen und Wählern unterstützt wird.
Und dieser Film lässt einen auch nicht los, weil auch die persönlichen Schicksale, die Zweifel, die Ratlosigkeit, die Diskussionsbeiträge und die humorvollen Momente von Manuela und Daniela so eindringlich – sprachlich und bildlich – eingefangen wurden. Zum Schluss bleibt die Frage offen, welchen Stellenwert der politische Einsatz von Daniela und Manuela hat. Wird es jemanden geben, der den Kampf weiterführt und das Staffelholz übernimmt!? Ich denke, ja – Bella Ciao!

Karin Hörzing (SPÖ) ist Vizebürgermeisterin der Stadt Linz. Ihre Ressorts sind Soziales und Sport.

 

WE DID WHAT HAD TO BE DONE. Die beiden Regisseurinnen Friederike Berat und Ulrike Ertl im O-Ton über ihre Dokumentation von 2018: Dieser Film basiert auf 15 Interviews mit nordirischen Frauen, die wir im Zeitraum von 2009 bis 2017 geführt und zusammengestellt haben. Sie erlebten den Konflikt als Befreiung aus den Rollen, die ihre Gemeinschaften für sie vorgesehen hatten. Eine Befreiung, die sich im Laufe des Friedensprozesses Schritt für Schritt wieder zu ihrer Ausgangssituation zurückentwickelte. Ihre Namen sind – anders als die Namen ihrer männlichen Mitstreiter und Genossen – nicht im öffentlichen Narrativ des Konflikts zu finden. Diese Dokumentation möchte ihre Geschichte erzählen.

Der Film zeigt für mich auch Parallelen zur heutigen Zeit auf. Wenn in Amerika über einen Mauerbau diskutiert wird, oder in Europa ein Brexit bevorsteht, kann man das durchaus mit dem Irland-Konflikt in diesem Film vergleichen, wo es um die Spaltung in einen südlichen und einen nördlichen Teil des Landes ging.
Was allerdings nicht geschichtlich festgeschrieben wurde, ist, wie diese nordirischen Frauen damit umgingen, bzw. was das für sie persönlich bedeutete. Dies war jedoch Thema der Interviews, die in diesem Dokumentations-Film mit diesen Frauen geführt wurden.
Die Erinnerungen an die Probleme sind unterschiedlich und formen dadurch eine dynamische Wahrnehmung dieser Zeit. Die Frauen erzählen von der politischen Prägung, die sie schon in der Kindheit formte, sie beurteilen den Stellenwert der Frauen im Konflikt unterschiedlich, sie fassen Trauer, Trauma und die Auswirkungen von (häuslicher) Gewalt in Worte.
Sie beschreiben ein Umfeld, in dem Frauen die Initiative ergreifen, oder sich dafür aussprechen, jungen Menschen eine Zukunfts-Perspektive zu eröffnen.
Der Film „We did what had to be done“ kann aus meiner Sicht dazu anregen, sich Gedanken darüber zu machen, dass Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte keine Selbstverständlichkeit sind, und dass wir uns alle immer wieder bewusst machen sollten, dass gerade in unserer Europäischen Union diese Werte ein klares und starkes Bekenntnis sind.

Doris Lang-Mayerhofer (ÖVP) ist Stadträtin der Stadt Linz. Ihre Ressorts sind Kultur, Tourismus und Kreativwirtschaft.

 

SYLVANA, DEMON OR DIVA. In Ihrer 2018 releasten Dokumentation hat Regisseurin Ingeborg Jansen eine niederländische Politikerin begleitet: Als die ehemalige TV-Persönlichkeit Sylvana Simons die politische Arena in den Niederlanden betritt, ist sie als „woman of colour“ mit vielen Anfeindungen konfrontiert. Gemeinsam mit ihrer Partei BIJ1 stellt sie sich den Herausforderungen des Wahlkampfs.

Dieser Film begleitet Sylvana Simons auf ihren drei Monaten vor der Wahl zum Amsterdamer Gemeinderat, wo sie als Spitzenkandidatin für eine linke Bewegung um den Einzug kämpft. Er zeigt die Politikerin im Straßenwahlkampf, bei Parteiveranstaltungen, bei zahlreichen Gesprächen und liefert auch zum Teil sehr persönliche Einblicke bis ins chaotische Zentrum ihres Kleiderschranks, wohin sie sich immer wieder zurückzieht. Den Einstieg bilden Szenen aus einer Fernsehdiskussion, die mich sofort zornig machen. Alter weißer Mann versucht mit „lustigen“, rassistischen Bemerkungen gegenüber seiner jungen schwarzen Mitdiskutantin beim Publikum zu punkten. So bin ich ab der ersten Minute im Filmgeschehen gefangen und beginne nahezu sofort mich mit Sylvana Simons zu identifizieren und bin mit ihr. Ich fühle die Kraft, die im Kampf für positive Veränderungen entsteht, genauso wie die Energie, die sie braucht um persönliche Beleidigungen zu parieren. Ich bin schockiert, womit Sylvana Simons zurechtkommen muss. Persönliche Beleidigungen, kränkende Anwürfe oder primitive Sexismen kennt vermutlich jede Frau, in irgendeiner Form. Aber diese unglaublichen, hassgeladenen Rassismen! Ich spüre die Zornesröte in meinem Gesicht und bewundere die Souveränität mit der diese starke Frau das alles bewältigt. Das macht mich dann auch sehr dankbar für das positive Feedback, das Silvana Simons von Mitstreiterinnen oder irgendwelchen Menschen auf der Straße erhält. Mitten im Film treffe ich dann auf einen guten Bekannten. Ich bedauere gerade wieder, dass ich kein Niederländisch spreche, weil mir die Konzentration auf die Untertitel viel von dieser schönen und kräftigen Bildsprache nimmt, die den Film prägt. Und da taucht er auf: Der Erklärbär. Ein großer weißer Mann steht mit einer Bierflasche in der Hand da und erklärt. Er erklärt Sylvana Simons, dass er im Ergebnis eh bei ihr ist, sagt ihr aber, dass sie anders argumentieren soll und dass sie Begriffe die sie verwendet, lieber nicht gebrauchen soll, weil sie zu negativ beladen sind. Auf Sylvana Simons Einschub, dass man Rassismus wohl kaum bekämpfen kann, wenn man ihn nicht als solchen benennt, wirft er ihr schließlich vor, dass sie ihm zu viel erklärt.
Der Erklärbär ist nicht unser einziger gemeinsamer Bekannter. Ich finde mich insgesamt in vielen Elementen dieses Films wieder. Vermutlich liegt das aber gar nicht so sehr am Politikerin-Sein, sondern daran, dass Frauen in unserer Welt eben oft mit sehr ähnlichen Dingen zu kämpfen haben. Sylvana Simons bekommt im Laufe des Wahlkampfes viele mehr oder weniger brauchbare Ratschläge. Einen davon find ich richtig gut und zwar für jede von uns: „Hör auf, so kritisch mit dir selbst zu sein!“

Eva Schobesberger (GRÜNE) ist Stadträtin der Stadt Linz. Ihre Ressorts sind Frauen, Umwelt, Naturschutz und Bildung.

Das Professionelle Publikum

In dieser Ausgabe Kunst-und Kulturtipps von Tanja Brandmayr, Sigrid Ecker, Alois Fischer, Robert Hinterleitner, Dagmar Schink, Kulturverein Schlot, Lisa Spalt und Hannah Winkelbauer. Die Redaktion bedankt sich herzlich und wünscht den Leserinnen und Lesern viele Entdeckungen und inspirierende Veranstaltungs-Besuche.

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Foto Pamela Neuwirth

Foto Pamela Neuwirth

Tanja Brandmayr
arbeitet seit vielen Jahren & in unterschiedlichen Zusammenhängen zwischen Text, Inszenierung und Kunst, ist Redakteurin und freie Autorin.

Performance Speculative School of Sleep Dance, Tanja Brandmayr
Performance Si(e)Si – 5 mm über dem Boden, SILK Fluegge + SILK Fluegge Guests
Ausstellungseröffnung Vi! – The continuous state of suspense

 

Sigrid EckerSigrid Ecker,
Redaktionsleitung Infomagazin FROzine, Radio FRO und Kulturaktivistin.

Tapfer, wehrhaft, gewaltbereit – Verhängnisvolle männliche Geschlechterrollen
9. Direktwahl zum Europäischen Parlament

 

Foto Caroline Forbes

Foto Caroline Forbes

Alois Fischer
arbeitet seit 1978 für das Jazzatelier Ulrichsberg.

Ausgabe #34 des Festivals „Ulrichsberger Kaleidophon“
Jazzkonzert mit Joe McPhee / John Edwards / Klaus Kugel

 

 

Robert HinterleitnerRobert Hinterleitner
leitet seit 2018 YAAAS! – die Jugendschiene des CROSSING EUROPE Filmfestival Linz und lehrt Video&Film an der HBLA für künstlerische Gestaltung Linz.

Präsentation des YAAAS! Videoprojekt
NEXTCOMIC SUUUPER SONNTAG

 

Foto Ulli Engleder

Foto Ulli Engleder

Dagmar Schink
arbeitet und forscht in den Bereichen Bildende Kunst, Zeitbasierte Medien und am Format Ausstellung. Seit 2017 ist sie mit der Geschäftsführung des international ausgerichteten Forschungszentrums für Medien- und Performancekunst, dem VALIE EXPORT Center Linz, betraut.

Enter the Center_ Exklusiv ins Archiv
Performance New Noveta (Keira Fox, Ellen Freed) mit Vindicatrix (David Aird)

 

Gründer und Vorstand des KV Schlot v.l.n.r. David Riedl, Birgit Koblinger, Florian  Loimayr. Foto Kerstin Kieslinger

Gründer und Vorstand des KV Schlot v.l.n.r. David Riedl, Birgit Koblinger, Florian Loimayr. Foto Kerstin Kieslinger

Seit 2014 veranstalten sie gemeinsam mit ihren KollegInnen Konzerte, Ausstellungen, Lesungen, Pflanzlmärkte, das Schlommerfest und den Christgsindlmarkt. Wenn gerade nichts los ist, ist der Schlot Gemeinschaftsatelier und Proberaum, dessen Räumlichkeiten sich in einer ehemaligen Matratzenfabrik im Franckviertel befinden und die sie sich aktuell neun Personen teilen.

Schlommerfest
Installation „rubber grubs“

 

Lisa SpaltLisa Spalt
ist Autorin und Administratorin des Instituts für poetische Alltagsverbesserung.

„Schreiben in Gesellschaft“
Ausstellung „Hinter den Spiegeln“

 

Foto Marisa Vranjes

Foto Marisa Vranjes

Hannah Winkelbauer
ist Künstlerin und Kulturjournalistin und lebt in Linz und Wien.

Ausstellungseröffnung „Spuren“
Eröffnung „Linz FMR“

 

 

Tipps von Die Referentin

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Lesung Éric Vuillard, Die Tagesordnung
Universal Indians feat. Joe McPhee
Mekons, GIS Orchestra
Erik Friedlander | Throw A Glass | feat. Uri Caine & Mark Helias & Ches Smith
Helmut Qualtinger/Carl Merz Der Herr Karl
Österreichische Erstaufführung Nach uns das All oder Das innere Team kennt keine Pause
Okabre Echtzeitfilmvertonung Tetsuo – The Iron Man
Buchpräsentation Andreas Kump „Über Vierzig“
Zu Ende gedacht Österreich nach Türkis-Blau