Aus dem Inneren meiner illegalen Party

„Weißt du eigentlich, dass Hunde den Corona-Virus erschnüffeln können?“ frage ich meine Freundin. Sie bejaht und ergänzt die Studien, von denen sie auch gelesen hatte. „Sie riechen auch diverse Krankheiten …“, und „… bekannt war ja bisher eher das Erschnüffeln von Drogen und Sprengstoff“. Ende des Informationsaustauschs. Wir haben eine kleine Inlandsreise gemacht und sitzen in einem City-Gastgarten einer Bar. Dort ist es, abgesehen vom Straßenlärm und etwas Geschirrgeklappere, ruhig. „Unser fucking soziales Leben musealisiert sich grad selbst“ redet sie in die Geräuschkulisse. „Ein großer Teil des öffentlichen Lebens hat sich ohnehin schon ins Netz verzogen“, wischt sie auf ihrem Telefon herum, und: „Der Rest ist eine Liveschaltung ins Freilichtmuseum des zivilisierten Lebens des 21. Jahrhunderts“. Die Veranstaltungen auf ihrem Smartphone vor Augen … nicht mal mehr zu einem ganzen Satz fähig: „Die Situation der Clubs, Konzerte, Shows … all die pulsierenden Nachtaktivitäten … die Cancel Culture“ steigert sie sich kurz und ausweglos rein, und dann: „… ein Desaster!“. Jedenfalls: Im Inneren meiner illegalen Party finden die wirklich interessanten Gespräche immer noch in öffentlichen Sphären statt. Bei den guten Konzerten im Netz zerschlagen die Musiker statt den Gitarren ihre eigenen Wohnzimmer und am Ende den Laptop, bis nichts mehr am Monitor übrigbleibt. Als Lösung für die Nachtleben-Misere halluzinieren wir im Inneren unserer illegalen Party Corona-Hunde an den Eingang von Nachtlokalen, die die nicht infizierte Crowd in die Nachtzonen eintreten lassen. Die Infizierten werden zwar nicht eingelassen, aber trotzdem NICHT gleich in die Luft gesprengt. Wuff! Am Ende fahren wir wieder nach Hause, mit dem Regionalzug und zweimal umsteigen. Auf der Fahrt erzählen wir uns dann noch von unseren inneren Urlauben, von Erlebnissen in dunklen Erinnerungshöhlen oder von Fernweh nach den imaginierten Fidschi-Inseln. Mehr geht grad nicht.

Bewegungsrausch

Fahren lautet der Titel des ersten Dokumentarfilms von Veronika Barnaš, dessen Premiere bei der diesjährigen Diagonale, dem Festival des österreichischen Films, abgesagt werden musste. Stattdessen gab es im Juli beim Kurzfilmfestival dotdotdot im Wiener Volkskundemuseum die Gelegenheit, ihn sich anzuschauen. Ein fixer Programmpunkt ist er auch bei Crossing Europe Extracts, das diesen Oktober in Linz statt­findet.

„Heute wird der Jahrmarkt vor allem von mechanischen Fahrgeschäften, von Karussellen und ähnlichem, dominiert. Die vorrangige Funktion des Jahrmarktes ist es, körperliche Rauscherlebnisse zu erzeugen – sei es durch die Fahrgeschäfte oder im Bierzelt. Am Jahrmarkt darf sich jede/r in einem bestimmten Zeitraum und Rahmen gehenlassen, was eng mit der Tradition des Karnevals verbunden ist, der auch als Ventil zur Disziplinierung in der Gesellschaft eingesetzt wurde“, erzählt die Künstlerin und Kuratorin Veronika Barnaš.

Die Idee zum Film gab die 2017 im Nordico Stadtmuseum Linz gezeigte Ausstellung Urfahraner Markt – 200 Jahre Linzer Lustbarkeiten, die sich der Geschichte des ältesten und größten temporären Jahrmarktes Österreichs widmete. Im kuratorischen Team war Barnaš gemeinsam mit Andrea Bina und Georg Thiel tätig. Insbesondere die Beschäftigung mit den fahrenden Schausteller*innen weckte das Interesse der Künstlerin. „Besonders spannend ist ihre nomadische Lebensweise, die sie zum Teil noch bis heute praktizieren. Feste Wohnsitze haben sie erst ca. seit den 1950er Jahren. Bis dahin lebten viele ausschließlich in Wohnwägen. Dass es diese Form des nomadischen Lebensstils in Österreich, sonst nur bei Roma und Sinti bekannt, gab und bis zu einem gewissen Grad noch immer gibt, fand ich interessant, ebenso wie ihre Arbeit am Vergnügen.“

In Fahren (2020, 30 min) begleitet die Filmemacherin zwei Schausteller*innen-Familien, strukturiert ihn in Sequenzen und zeichnet damit neben dem ästhetischen auch ein intimes Bild des temporären Spektakels, das v. a. eines zum Zweck hat: den Menschen auf den Fahrgeschäften einen kurzen Moment der Schwerelosigkeit zu ermöglichen. Dokumentiert werden Auf- und Abbauarbeiten, stundenlange Autofahrten und vor allem die kräftezehrende Arbeit, die dem Vergnügen als solches augenscheinlich entgegensteht. „Genau diesen Gegensatz habe ich während der Feldforschung und dem Drehen eindrücklich kennengelernt“, so Veronika Barnaš, und ergänzt zur Entstehung des Filmes: „Nach der Erstellung eines Stammbaums der weitverzweigten oberösterreichischen Schausteller*innen-Familien wollte ich mich noch eingehender mit deren Geschichte und Lebensstil befassen und diese/n auch vermitteln.“ (Anm.: Der Stammbaum ist unter www.veronikabarnas.net einsehbar). Für den Film habe ich das Ehepaar Avi und einen Teil der Familie Schlader von 2017 bis 2019 drei Saisonen lang begleitet. Film erschien mir das entsprechende Medium, um dieses Leben in Bewegung zu dokumentieren: Die Schausteller*innen sind quasi permanent von einem Ort zum nächsten unterwegs, die Fahrgeschäfte bewegen sich und die Besucher*innen suchen die Bewegung der Fahrgeschäfte. Ich wollte zeigen, wie dieser Lebensstil abläuft und was er mit sich bringt. Fahrende Schausteller*in zu sein, sei eine Leidenschaft, die man in die Wiege gelegt bekommt, wurde mir von vielen von ihnen gesagt. Sie sind überzeugt, dass kaum jemand, der/die nicht in eine Schausteller*innen-Familie geboren wurde, die viele und schwere Arbeit aushalten würde. Sie hingegen würden dies von klein auf lernen. Aber es gibt heute in den jüngeren Generationen auch viele, die nicht mehr ins Gewerbe einsteigen bzw. auch damit aufhören.“

Im Rahmen ihres PhDs an der Kunstuniversität Linz/Abt. Kulturwissenschaft, forscht Barnaš zu fahrenden Schausteller*innen und Jahrmarktkultur mit Fokus auf das sich wandelnde Verhältnis von Mensch und Maschine. „In Österreich gibt es kaum Forschung zu fahrenden Schausteller*innen. Anhand des Familienarchivs einer Schausteller*innen-Familie möchte ich ihre Geschichte und den Wandel in den Unterhaltungsmedien und -formaten am Jahrmarkt anhand des exemplarischen Beispiels dieser Familie von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute rekonstruieren“, skizziert die Künstlerin ihr Folgeprojekt. In diesem wird sie den in einem Wanderbuch verzeichneten Routen eines Vorfahren dieser Familie durch weite Gebiete der ehemaligen k. u. k Monarchie bis nach Izmir folgen, um daraus einen weiteren Film zu machen.

Da sich Gemeinden und Vereine immer mehr von der Verantwortung, Jahrmärkte/Kirtage zu organisieren, zurückziehen, übernehmen Schausteller*innen diesen Aufwand mittlerweile oft selbst. „Es zeichnet sich zwar kein Ende der Jahrmarktkultur ab, aber es werden in Zukunft voraussichtlich nur wenige, größere Schausteller*innen-Unternehmen bestehen bleiben. Insbesondere die Covid-19-Pandemie bedroht viele von ihnen in ihrer Existenz, da seit März 2020 bis auf weiteres alle temporären Jahrmärkte abgesagt wurden“, verweist Barnaš am Ende auf die aktuelle Krise, die die oben angesprochene Entwicklung wahrscheinlich beschleunigen wird.

Veronika Barnaš, Fahren, Dokumentarfilm, 30 min, dt./engl. UT, 2020
www.veronikabarnas.net

Filmvorführung:
8. – 10. Oktober 2020
Crossing Europe EXTRACTS: Local Artists Shorts 2020 im OÖ Kulturquartier
www.crossingeurope.at

Linz wird von der Zukunft eingeholt werden

Dass Linz ein veritables Mobilitätsproblem hat, wird eigentlich von keiner Seite geleugnet. Die Lösungs­ansätze und Präferenzen könnten jedoch nicht unterschiedlicher sein. Der Baukulturvermittler und momentan karenzierte Leiter des Architekturformus OÖ, Franz Koppelstätter, steht Magnus Hofmüller Rede und Antwort.

Ein warmer Sommerabend im August. Franz Koppelstätter nebst Tochter Maya treffen zum Parkgespräch im Linzer Volksgarten ein. Hier wirkt Linz wie eine Großstadt – unterschiedlichste Menschen bewegen sich zu Fuß, mit dem Fahrrad, in Öffis oder – im Übergangsbereich des Parks zur Straße – mit dem Auto sozusagen „mäandernd miteinander“. Am Linzer Hauptplatz krampft sich die Stadt hingegen zwischen Blumendorf, Barockfassade und – wie im Volksmund liebevoll genannt – Innovationsschrebergarten dahin. Vieles wirkt improvisiert oder überhaupt nicht geplant.

Magnus Hofmüller: Wo siehst Du die hauptsächlichen Ursachen für die schlechte Verkehrspolitik mit speziellem Blick auf die Fahrradmobilität in Linz?
Franz Koppelstätter: Es sind meiner Ansicht nach nicht einzelne Akteure, sondern es liegt an der Kommunikation untereinander. Die Kommunikation zwischen den PolitikerInnen mit unterschiedlichen Ressorts, bzw auch, wie die BürgerInnen angesprochen werden, läuft nicht ideal.

MH: Die Diskussion – insbesondere in Social-Media-Kanälen und/oder Onlineforen – ist sehr aufgeheizt. Denkst du, dass diese Auseinandersetzung förderlich ist oder eher die Fronten verhärtet?
FK: Wahrscheinlich muss man die Diskussion anheizen, um einen gewissen politischen Druck aufzubauen. Um Verbesserungen herzustellen, braucht es allerdings viel mehr als die Provokation – die ich nicht grundsätzlich für schlecht empfinde. Aber es braucht auch den produktiven Diskurs.

MH: Der Sommer 2020 zum Beispiel. Der autofreie Hauptplatz wurde zum kommunikativen Fiasko, bei dem am Schluss jeder gegen jeden war. So forderte die Gewerkschaft, die Busspur von der stark befahrenen Straße der Donaulände auf den Fuß- und Radweg zu verlegen – und diesen weiter auf die grüne Wiese zu verpflanzen. Die Wirtschaft vertritt soundso die These, dass der Hauptplatz nur mit Autos wirtschaftlich rentabel sein kann.
FK: Hier muss ich womöglich die Gewerkschaft ein wenig in Schutz nehmen – ich kenne das Konzept nicht im Detail, aber soweit ich weiß, forderte sie hauptsächlich, den öffentlichen Personen-Nahverkehr auszubauen, was an sich schon eine gute Sache ist – und nur in einem kleinen Absatz wurde diese Umnutzung erwähnt. Aber grundsätzlich denke ich, scheitert es an der Parteipolitik, weil sich die Bruchlinien in der Diskussion genau an den Parteigrenzen festgemacht haben.

MH: Aber wieso sind in Linz im Vergleich zu anderen Städten nicht einmal kleinste Korrekturen möglich? Sind etwa die WählerInnen von Spö, Övp und Fpö alles aggressive AutofahrerInnen und die WählerInnen der Grünen, von den Neos und der Kpö alles militante RadfahrerInnen?
FK: Wahrscheinlich nicht. Ich denke, das grundsätzliche Mindset der politischen Entscheider ist verkehrt, nämlich, dass die größte Fraktion der VerkehrsteilnehmerInnen – die AutofahrerInnen – befriedigt wird und dann nachrangig die anderen Mobilitätsformen wie öffentlicher Personen-Nahverkehr, FußgängerInnen und RadfahrerInnen. In dieser Reihenfolge wird geplant und umgesetzt. Und nicht umgekehrt, wie es notwendig wäre, um eine lebenswertere Stadt zu ermöglichen. Und der politische Fehler an dieser Sichtweise ist – so glaube ich – ,dass man denkt, dass AutofahrerInnen nur AutofahrerInnen sind, dass RadfahrerInnen nur RadfahrerInnen sind usw. Es gibt aber keinen Autofahrer, der mit dem Auto zum Auto fährt … Der Autofahrer ist genauso Fußgänger. Das Einteilen der Menschen in einzelne Mobilitätskategorien ist der politische Fehler, weil das nicht der Realität entspricht.

MH: Ganz einfach: Versteht die Politik die Formel „Stadtraum = Lebensraum“ nicht?
FK: Diese Formel kann man eigentlich nicht missverstehen. Womöglich schafft es die Politik nicht, Expertise einzuholen. Ich meine aber nicht nur das Wissen von ExpertInnen, sondern auch das Wissen, das über die ganze Stadt verteilt als riesengroße Ideenwolke schwebt. Diese müsste man mit geeigneten Formaten abholen und umsetzen. Stichwort: Partizipation.

MH: Glaubst du, dass die momentane Situation des Radverkehrs in Linz ein Sinnbild für die gesamte Stadtentwicklung ist? Alles läuft sehr unkoordiniert, vieles ist in der Warteschleife.
FK: Das Bild, dass es keine zusammenhängende Idee gibt, wo man hinmöchte – nicht als Masterplan gedacht, aber eben als Idee, als Wunsch oder als Utopie – das fehlt mir. Die Vorstellung, wie man die Stadt in 20, 50 oder 100 Jahren sehen möchte, das fehlt eindeutig. Es wird eher auf Zuruf und Lobbyinteressen hin entwickelt. Da kann sich kein zusammenhängendes Bild ergeben.

MH: Die eine Seite: Linz ist eine Stadt zwischen prosperierender Wirtschaft, Industrie, Kunst, Kultur und Wissenschaft. Mit Formaten wie Ars Electronica, der erfolgreichen Johannes-Kepler-Universität und der Kunstuni. Die andere Seite: Verkehrskonzepte sind tiefste Provinz und jenseitig alt. Wohin geht hier die Entwicklung?
FK: Linz wird von der Zukunft eingeholt werden – früher oder später. Es kann nicht so bleiben. Nur habe ich die Befürchtung, dass Linz hintennach sein wird – im Wettbewerb der Städte. Die Städte, die weit nach vorne denken und sich auf die Herausforderungen der Zukunft einstellen, zum Beispiel auf den Klimawandel, die machen das sehr proaktiv. Linz wird innovativ darin bleiben, Konzepte anderer Städte zu spät zu übernehmen.

MH: Glaubst du, braucht es mehr Radikalität in der Umsetzung von Konzepten? So werden Best-Practice-Beispiele aus Kopenhagen, den Niederlanden oder New York oft mit dem Argument der nicht vorhandenen Vergleichbarkeit abgedreht.
FK: Natürlich ist es naheliegend, vergleichbare Städte heranzuziehen. Man kann sich aber auch bei großen Städten was abschauen, sprich, sich in Linz durchaus an London oder New York orientieren. Und natürlich braucht es Radikalität in der Umsetzung. Jede Stadt, die das Primat des Autos verfolgt, wird sich in der Zukunft sehr schwer tun, weil es vielfältige negative Auswirkungen auf die Lebensqualität hat.

MH: Wie kann man militante Grüngürtelschutzradler und aggressive und rasende Pendler beglücken? Beide agieren aus einer Not heraus und beide sind auch längerfristig Verlierer. Niemand steht freiwillig stundenlang im Stau und niemand fährt freiwillig auf einem gefährlichen Fahrradweg.
FK: Die Fronten sind sehr hart und politisch wird eher kurzschlussartig reagiert. Jede Idee wird nach der Farbe beurteilt, ob rot, blau, schwarz, grün, pink oder dunkelrot. Und dann wird nach politischer Präferenz entschieden, ob man die jeweilige Idee gut oder schlecht findet. Das ist macht- und parteipolitisch sicher nachvollziehbar, aber im Sinne einer verantwortungsvollen Stadtentwicklung grundfalsch. Und wahrscheinlich wäre der richtige Schritt, die altösterreichische Farbenlehre zu überwinden. Ich denke auch, dass es der Bevölkerung egal ist, woher eine Idee kommt, sondern es geht einzig um die Verbesserung der Lebensqualität. Die Bürger wollen einfach sicher über die Straße kommen, die wollen, dass sie schnell und sicher und flott von A nach B gelangen können, die wollen in der Nacht ohne Verkehrslärm schlafen und ohne Sorge ihre Kinder aus dem Haus gehen lassen. Deswegen ist es politisch wahrscheinlich nicht so schlau, sich immer nur auf die Parteiposition zu konzentrieren. Vielleicht sollte man, wenn man etwas vorbauen möchte und auch politisch eine Zukunft haben möchte, die akuten Probleme erkennen und auch lösen, ohne dabei immer an die nächste Wahl zu denken.

MH: Ist die Trennung von Fuß- und Radwegen bzw. Autospuren das Optimum oder wären wesentlich mehr Shared-Spaces/Begegnungszonen eine Erleichterung?
FK: Die Evidenz sagt, dass Shared Spaces sowohl mehr Sicherheit bieten als auch wirtschaftlich viele Vorteile bringen. Eine Stadt als Lebensort braucht solche Bereiche und profitiert auch von ihnen. Natürlich braucht es auch Ausnahmen, wie zum Beispiel in Industriegebieten.

MH: Ein Player in Linz ist natürlich auch der Tourismus. Die offizielle Stelle bewirbt zum Beispiel die Ausstellung „Autokorrektur“ im Architekturforum (Anm: Info zur Ausstellung unten), aber bringt sich selten in die Diskussion ein, wie etwa zum Thema Hauptplatz. Ist das parteipolitisch motiviert oder ist der Tourismus in der Verkehrsplanung nur Zaungast?
FK: Der Linz Tourismus würde darauf angesprochen sicher auf seine politische Unabhängigkeit pochen. Eigentlich würde die Stadt – gelegen an einem der beliebtesten Radwanderwege Europas – touristisch von einem beruhigten Hauptplatz und einer optimierten Brücke massiv profitieren. Die RadfahrerInnen könnten den Radweg einfach Richtung Innenstadt verlassen und Frequenz für die Stadt bringen. Aktuell kann man unterhalb des AECs beobachten, wie die RadtouristInnen von der Situation irritiert, schockiert und gestresst sind. Wenn man herausgefunden hat, wie man in die Innenstadt kommt, ist man schon wieder am Umkehren.

MH: Braucht Linz einen Fahrradentscheid wie zum Beispiel die Stadt München? Oder sind hier die Interessengruppen für den Fahrradverkehr zu schwach übersetzt?
FK: Es wäre schön, wenn Linz es schaffen würde – und es würde auch nicht schaden! Ich bin aber skeptisch, da, wenn ich die letzten Begehren so ansehe, diese immer parteipolitisch vereinnahmt wurden. Es waren nie wirkliche Bürgerentscheide, sondern immer Klientelentscheide. Zum Beispiel bei der Eisenbahnbrücke haben sich die Parteien sehr früh festgelegt und haben versucht, den Standpunkt durchzusetzen. Hier sind wir weit weg von einer Entscheidung, die sich aus einem bürgerschaftlichen Diskurs ergibt. Wer hat mehr Reichweite, wer kann besser mobilisieren, wer hat mehr loyale AnhängerInnen – es wurde nicht nach faktenbasiert entschieden.

MH: Das heißt, Linz ist nicht reif dafür?
FK: Linz hat möglicherweise nicht die politische Kultur dafür. MH: Danke für das Gespräch!

 

Franz Koppelstätter ist Kinderwagenpilot, Freizeitradler und Baukulturvermittler. Außerdem ist er karenzierter Leiter des afo architekturforums ober­österreich.

Das Interview fand als Aktion im Rahmen von „Bicycle Happening“ statt: Das ursprüng­liche Festivalformat „Bicycle Happening“ wird als Multiformat vom Verein cycling matter betrieben und weiterentwickelt.

Tipp:
Autokorrektur
Wie beeinflusst Mobilität den Raum, in dem wir leben?
Ausstellung, noch bis 16. Oktober 2020
Veranstaltungsort: afo architekturforum oberösterreich Herbert-Bayer-Platz 1, Linz

Musik im Netz

Nerve Theory – Electric Cars and Electric Guitars

Electric Cars and Electric Guitars ist eine Serie von 12 kurzen Gesangs-/Musikstücken von Nerve Theory alias Bernhard Loibner & Tom Sherman. Sie wurde geschrieben, komponiert und aufgenommen, um als Klanginstallation für Tonspur im Museumsquartier in Wien, Österreich, von September bis Dezember 2019 zu laufen. Über das Stück: Der Übergang von Verbrennungsmotoren zu Elektrofahrzeugen wird die Klanglandschaft der Stadt verändern. Wenn man den Menschen das Fahren abnimmt und die Kontrolle an vernetzte, künstlich intelligente, autonome Fahrzeuge übergibt, wird sich die psychologische Natur des Verkehrs völlig anders darstellen. (Textauszug Website)

Mehr Infos: soundcloud.com/loibner/sets/electric-cars-and-electric-guitars

Musiktipp von Felix Vierlinger.

Sounding Cities – Listening Spaces

Anlässlich der in diesem Jahr völlig umgekrempelten Linzer Klangwolke Sounding Linz entwirft der Komponist und Klangkünstler Klaus Hollinetz im Vorfeld einige Überlegungen, Gedanken und historische Referenzen rund um Klangräume, Soundscapes und das Projekt Linzer Klangwolke 2020.

Baku, 1922: Komponist Arsenij Avraamov auf dem Dach eines Hauses, mit Flaggen Fabriksirenen und Dampfpfeifen dirigierend. Foto Wikimedia Commons

Der Klang der Stadt
In einem beinah konstanten Rhythmus erklingen Schritte von festen Stiefeln. Ihr Klang reflektiert sich an Wänden, in Durchgängen und Passagen, klingt immer unterschiedlich auf Steinen oder Asphalt, im Regen oder im Innenbereich. Mit der Klangkünstlerin Katrinem gehe ich zusammen mit einem kleinen Grüppchen Interessierter schweigend auf einem genau festgelegten Parcours durch die Linzer Innenstadt. Wir passieren Szenen, in denen nichts außer dem Lärm von Baustellen und der Roll- und Motorengeräusche der Autos hörbar ist, umrunden Brunnen mit sich immer wieder verändernden Plätschern. Eine kleine, fast harmlose Übung, die doch ganz unmittelbar die Vielgestaltigkeit der Lautsphäre der Stadt bewusst hörbar macht. Die Genauigkeit der Bewegung hilft uns, Ablenkungen zu entgehen und sich auf Wechsel und Gestalt von Klängen zu konzentrieren.
Klingt die Stadt nicht eigentlich ganz einzigartig und wunderbar? Lassen sich nicht alle Klänge mit einem nur ein wenig fokussierterem Bewusstsein in einen Reigen einfügen, mit dem unser Alltag sich viel deutlicher strukturiert? Und nehmen wir nicht eigentlich schon immer alle Klänge und ihre Räume ganz konkret und unmittelbar wahr und orientieren uns an dieser Wahrnehmung als essentielle Wirklichkeit unseres Lebens?
Dieser erste Klangspaziergang „SCHUHzuGEHÖR“ ist eines der ersten Projekte von Sounding Linz, einer sich entwickelnden Phase von vielgestaltigen Klangprojekten, die sich nach und nach in der gesamten Stadt ausbreiten und die an einem gesamten Tag und auch in einer noch intensiveren Stunde als Linzer Klangwolke 2020 kulminieren werden.

Linzer Klangwolke?
Erinnern wir uns. Der Komponist und Klangarchitekt Walter Haupt hatte die Idee, die zum Brucknerfest 1979 im damals noch recht neuen Brucknerhaus aufgeführte Musik Bruckners live ins Freie auf den gesamten Donaupark und ins Radio zu übertragen. Er hatte so die erste Linzer Klangwolke eingeleitet. Der international tätige Klangkünstler Sam Auinger, einer der Masterminds des heurigen Projekts, war damals sein Assistent. „Haupt war eigentlich hauptsächlich auch am Radio interessiert, und die Idee war ja nicht nur eine Übertragung ins Freie, sondern – durch das suggerierte Ins-Fenster-Stellen der Radiogeräte – den Raum als gesellschaftliche und politische Realität, als eine Art Bruckner-Raum zu gestalten.“ Der damals notwendige technische Aufwand war enorm und sprengte beinahe die gegebenen Möglichkeiten, war aber dennoch bescheiden im Vergleich zu heutigen Beschallungsmöglichkeiten. Und zunächst gab es eben nur Klang und auch gar keine Show, ein bisschen Laserlicht vielleicht, nichts, was heute Kinder nicht auch mit Pointern erzeugen könnten.
Man hatte dabei aber nicht einfach nur ein spektakuläres Event für ein zahlreiches Publikum im öffentlichen Raum geschaffen, sondern den Raum selbst als Gestaltungsmedium entdeckt. Der Klang formt den Raum, lässt ihn uns auf eine neue Art erfahren. Und es waren die Radios in den offenen Fenstern, die diesem Ansatz sein „magisches Fluidum“ verliehen. Laufzeitverschiebung und Gleichzeitigkeit, Projektion und Rezeption, ein großes Rauschen, das sich dennoch vom Klang des Alltags unterschied.
Eine der spektakulärsten Klangwolken-Projekte in Folge war für mich und viele andere Alvin Currans Konzert für Schiffshörner, „Waterworks“, im Jahr 1987, ein Projekt der Ars Electronica in der Ära Gottfried Hattinger, der damals meinte: „Ich hatte das Gefühl, dass es nicht mehr reicht, im Großen Saal des Brucknerhauses ein Konzert zu veranstalten, das dann nach draußen übertragen wird, ich wollte, dass man den wunderbaren Donauraum selber spielen lässt.“
Der Raum selbst spielen lassen! Nicht die Klänge einfach der Umgebung aufoktroyieren, sondern durch ihre spezielle durchdringliche Klanglichkeit den Klangraum selbst hör- und erlebbar zu machen.

Soundscape – Klangraum
Das mag uns durchaus an andere Projekte erinnern. An die Versuche vielleicht, revolutionäre Gedanken in eine neue, inszenierte Musik einfließen zu lassen, wie in dem großen „Konzert für Fabriksirenen und Dampfpfeifen“, 1922 in Baku. Nebelhörner der Flotte, alle Fabriksirenen, zwei Kanonengeschwader und viele Soldaten, Maschinengewehre, Wasserflugzeuge, Chöre und viele andere waren involviert, Beteiligte und Zuhörer in einem. „Das Fest war sehr beeindruckend, es war keine Überraschung, dass die Musik weit über die Stadtgrenzen hinaus gehört werden konnte.“ Ein berühmtes Foto zeigt den Komponisten Arsenij Avraamov auf dem Dach eines hohen Hauses, mit Flaggen dirigierend. Eine Klang-Gestaltung der Welt als proletarisches Konstrukt.
Oder es erinnert an die Versuche der italienischen Futuristen, mittels Geräusch-Maschinen, den intonarumori, eine neue, der modernen Zeit entsprechende Klangästhetik in die Musik einzubringen. Ein Entwurf aus dem gegensätzlichen politischen Spektrum, möchte man meinen, eine ebenso kräftige wie gewalttätige Musik, als künstlerisches Äquivalent einer zunehmend gewalttätigeren Zeit. „Wir müssen diesen engen Kreis der reinen Töne durchbrechen und den unerschöpflichen Reichtum der Geräusch-Töne erobern.“ Der Futurist Luigi Russolo in seiner noch so kriegsbegeisterten Rhetorik 1913 stellt trotzdem, zusammen zum Beispiel mit den Erfindern der Zwölftontechnik oder den in alle Erdteile ausschwärmenden Ethnomusikologen, damit aber die Weichen für ein neues und umfassenderes Verständnis von Klang und Musik.

Klang und Krach
Eine Zündschnur für ein anderes Verständnis von Klängen hat auch der amerikanische Komponist John Cage mit seinem „stillen“ Stück 4’33 gelegt. Nicht das Spiel selbst erzeugt und gibt uns die Töne, das machen wir selbst, absichtlich und auch unabsichtlich, der Instrumentalist bleibt an seinem Instrument untätig und skizziert nur mehr die Zeit, die uns gegeben sei, für die Konzentration auf die hereindringenden Klänge Achtsamkeit und Aufmerksamkeit aufzubringen. „Heute brauche ich das Stück nicht mehr,“ sagte Cage später, und „… wenn ich in meinem Apartment (an der 6th Avenue in New York) Musik hören will, dann öffne ich die Fenster.“ Die differenzierte Wahrnehmung der Alltagsklänge und -geräusche als musikalischer Akt.
Wenn ein Baum im Wald umfällt und niemand hört zu, ist dann ein Geräusch zu hören? Die Antwort ist so einfach wie bestürzend: Nein. Denn ein Klang ist das Konstrukt unserer Wahrnehmung. In der Realität gibt es nur ein Schallereignis, sich ausbreitende Luftdruckschwankungen, Reflexionen, Überlagerungen. Der kanadische Klangökologe R. Murray Schafer antwortet 1977 recht poetisch: „When a tree crashes in the forest and knows that it is alone, it sounds like anything it wishes — a hurricane, a cuckoo, a wolf, the voice of Immanuel Kant, the overture of Don Giovanni or a delicate air blown on a Maori nose flute.“ Es geht also nicht einfach um Hören als physiologischer Vorgang, sondern um das Zu-Hören, eine bewusste Handlung, die auch geübt und gelernt werden kann und muss.
Schafer wies uns 1977 in seinem Buch „The Tuning of the World“ (gleichermaßen das Stimmen und die Stimmung der Welt; damals aber auch recht treffend als „Klang und Krach“ übersetzt) auf die Flüchtigkeit und den politischen, historischen, gesellschaftlichen und physischen Umgang von Klängen hin. „I pointed out how all sounds of the present will soon become sounds of the past and asked whether there should be museums for dis­appearing sounds? Actually I was beginning to assemble a reference library of significant sounds found in descriptions from other places and times.“ Das damals entstehende Archiv von Klängen des Alltags einer Stadt, von den spezifischen Sounds und akustischen Eigenheiten mündete in das bis heute aktive Vancouver Soundscape Project. Schafer prägte den bis heute einflussreichen Begriff „sound­scape“ für die auditiven Gegebenheiten, ak­tiven und passiven akustischen Realitäten. Und die bekanntesten Klänge des Van­couver Soundscape Projects sind die die Hafenbucht durchflutenden Klänge der Nebelhörner, die mit ihren typischen und durchdringenden Lauten den Schiffen den Raum für das Manövrieren bestimmen.

In den Wüsten des Alltags
Wir sind allzeit von Klang umgeben, und das Hören strukturiert unseren Alltag und schafft Orientierung und Wirklichkeit. „Phylogenetisch ist der Hörsinn ein Warnsinn; anders als den Sehsinn können wir ihn nicht kontrollieren, können ihn als Raumsinn auch nicht dem gerichteten Blick entsprechend auf ein begrenztes Feld fokussieren: das Gehör liefert (schon im Mutterleib) ununterbrochen Informationen, die wir zur Orientierung in der Welt verarbeiten. In diesem Sinne sind wir ihm schutzlos ausgeliefert, noch mehr aber deshalb, weil die Welt ununterbrochen akustisch an uns herantritt – eine völlige Abwesenheit von Schall gibt es nicht.“ Der Komponist und Akustikforscher Peter Androsch, auch einer der Ideengeber und Leiter der heurigen Klangwolke, stellt mit seiner Arbeit im Rahmen des Projektes Hörstadt, den Klang als eine der wesentlichen Ressourcen unseres Lebens in den Mittelpunkt. In der Linzer Charta, vielleicht auch als eine Art Gegen-Entwurf zum Manifest der Futuristen, wird der nachhaltige und menschengerechte Umgang mit allen Klängen hervorgehoben. „Der akustische Raum ist formbar. Er kann gestaltet, gepflegt und entwickelt werden.“ Die Umgebung wird nicht mehr unablässig von unvermeidlichen Klängen, gewissermaßen als Abfall unserer Zeit geflutet, sondern mittels einer „Inklusiven Akustik“ werden auch alle klingenden Räume gestaltet und betreut. Nicht mehr nur die reflexhaft installierte Lärmabschirmung gilt als alleinige Möglichkeit, sondern ein umfassendes Klang- und Lärm-Management.

Linzer Klangwolke!
In den letzten Jahren ist das einstmals mit großer Ambition begonnene Projekt der Linzer Klangwolke zu einer Art großen Show verkommen, bei der das eigentliche Erlebnis der Klänge und ihrer Ausbreitung und Wirkung zur Nebensache geworden sind. Für viele war das bereits gewohnte Feuerwerk am Ende der „visualisierten Klangwolke“ (was für ein Euphemismus) der Höhepunkt und Sinn des immer bemühter werdenden Massenevents. Spektakuläre Showelemente, theatralische und plakativ-edukative Inhalte konnten kaum den Sinnverlust kompensieren. Wer erinnert sich noch an die einzelnen Klangwolken? Wozu auch. Mich interessiert diese Entwicklung schon lange nicht mehr. Und die Corona-Krise und ihre Einschränkungen ließen heuer ohnehin keine Prolongation dieser Entwicklung zu. Warum also nicht (endlich!) die Idee der Klangwolke wieder komplett neu denken? Die GestalterInnen der Linzer Klangwolke 2020 und des Projektes Sounding Linz, die alle lang mit der musikalisch-künstlerischen Entwicklung dieser Stadt verbunden sind, haben dafür eine zunehmend komplexere und sehr umfangreiche „Wolke“ von Ideen und Aktionen zusammengestellt. Nun steht Linz und seine gesamte „soundscape“ wieder im Vordergrund und die besten Ideen aus den vergangenen Jahren werden auch noch als Referenzen mit eingebracht. Die heutigen medialen und kommunikationstechnischen Realitäten machen es möglich, die Funktionen des Radios, durch eine mögliche Einflussnahme und Beteiligung aller, zu der „sozialen Skulptur“ zu machen, die uns immer vorgeschwebt ist. Wir brauchen dazu keine „fremde“ Musik mehr, denn die eigenen, gefundenen und entdeckten Klänge werden hier als selbstständiges Medium dienen.
Wir haben vielleicht aufgehört zu suchen, denn eine Suche impliziert ein Subjekt, das vorbestimmt werden muss. Wir sind nun in die Phase des Findens getreten, und die prinzipbedingte Offenheit des Findens umfasst alles, unsere Umgebung, unsere Welt.
„Das Pariser Leben“, schreibt Charles Baudelaire schon 1846, „ist reich an poetischen und wunderbaren Sujets. Das Wunderbare umgibt uns und durchtränkt uns wie die Luft; doch wir sehen es nicht.“ Und hören auch nicht zu, möchte man dazufügen.

Are we quietophiles?
In den Tagen im April dachte ich über die Auswirkungen nach und beschäftigte mich mit der veränderten akustischen Situation, die zu dieser Zeit herrschte (bzw. sich schon bald wieder änderte) und die sich doch gravierend auswirkte. Jede und jeder hat es erfahren, wie sich ein „Downscaling“ oder (noch besser) ein „Niederfahren“ (was für ein Wort!) unserer manisch-aktiven Lebensweise auswirken kann. Der Himmel ist beinahe unmittelbar blauer und klarer, die Sterne sind sichtbarer geworden, die Luft ganz merklich sauberer, und jede und jeder hat das „irgendwie“ nicht einfach nur gespürt, sondern es auch, trotz aller anderen Nachteile, als angenehm und entspannt wahrgenommen.
In den Medien war leider nur wenig von der zumindest damals deutlich reduzierten Lärmbelastung die Rede. An meinem Haus führt z. B. eine Straße vorbei, die sich in den letzten Jahren dank Google etc. zu einer Ausweich- und Durchfahrtsstrecke entwickelt hat, mit massiven Auswirkungen auf die Lärmbelastung und -belästigung. In diesen Wochen des „Lockdowns“ gab es wieder so wenig Verkehr, wie ich es seit meiner Kindheit in den frühen 60ern nicht mehr erlebt habe, tagsüber wenig und nächtens gar keinen mehr. Wie befreiend fühlte sich das an, die Vögel in der Früh den Morgengesang anstimmen zu hören und nicht mit dem Donnern eines LKWs aufzuwachen. Und untertags zu erleben, wie es sich anfühlt, wenn kein ununterbrochenes Dröhnen der Flugzeuge den Himmel und die Umgebung permanent durchdringt.
Mir ist natürlich klar, dass das besondere Umstände waren, mit wirtschaftlichen Auswirkungen, die noch immer nicht gänzlich abzusehen sind. Aber es ist an der Abnahme der Lärmbelastung niemand gestorben und ich, ja ich persönlich in meinem individuellen Lebensentwurf, habe es sehr genossen! Soll ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn mir eine Veränderung zusagt, auch wenn es weitreichende Konsequenzen in verschiedenen Bereichen haben wird?
Ich denke, dass es um einen neuen Umgang mit der Lautsphäre gehen wird müssen, mit einer veränderten Differenzierung zwischen den „wanted sounds and unwanted sounds“. Und ich denke, dass es um die Erfahrung der Stille geht, der Ruhe, wenn alles ein wenig auf sich selbst zurückgeworfen wird und zu einer umfassenderen Reflexion des eigenen Standpunktes, der eigenen Situation, aufruft.
„Silence“, sagt der amerikanische Klangökologe Gordon Hempton, „is not the absence of something … but the presence of everything.“

 

Sounding Linz
Soundinglinz.at ist ein Projekt der Klangwolke und versteht sich als Plattform künstlerischer Forschung mit partizipatorischer Agenda. Hier werden akustisch bemerkenswerte Orte dokumentiert, kommentiert und auf einer Linzkarte eingetragen. Alle sind eingeladen, die oberösterreichische Landeshauptstadt Linz mit eigenen Ohren akustisch zu erforschen und ihre Erfahrungen zu teilen.

Mehr Infos: soundinglinz.at 

Das Programm läuft bereits seit Mitte August. Sounding Linz findet am 12. September 2020 in ganz Linz statt. 

Nana Tylo im Rahmen von „Lebt und zeichnet in Linz“.

Foto Katharina Acht

Nana Tylo zeigte in der Salzamt-Ausstellung zwei dezent dekorierte Nischen, die ihre zwei Hauptbereiche gekonnt in Szene setzten: Illustration und (Gif-)Animation. In den krackelig-wabernden Zeichnungen im minimalen, experimentellen Mangastil fanden sich die Vorlieben für Architektur und Natur wieder. Die zittrigen Animationen stehen im Dialog zu den skizzenhaften Bleistift-Zeichnungen.

nanatylo.at/works

Lebt und zeichnet in Linz. Siehe den Beitrag.

A Good Laugh

Ein Montagabend Ende August 2020. Ist es noch zu früh für einen Rückblick auf dieses völlig aus den Fugen geratene Jahr? Ich mein, wer weiß, was da noch kommt? Oder nicht mehr kommt? Ich bin auf dem Weg nach Hause nach einem Abend, der sich mehr zufällig als verabredet ergeben hat. Mit Menschen, die ich sehr mag und die ich sehr lange nicht gesehen habe. Die genauso intensiv, leidenschaftlich, ihrer Sache gewiss und in allem sehr kräftig und „viel“ waren wie ich. Die in den letzten Monaten genauso ruhig und leise geworden sind wie ich (wie sehr mir mittlerweile laute Menschen auf die Nerven gehen, merke ich). Gespräche über diejenigen, auf die wir künftig verzichten wollen und über die, die wir gerne öfter in unserer Nähe hätten. Ein Gespräch auch über tote Freunde, die wir immer noch fürchterlich vermissen. Ein Gespräch auch über Linz, und wie wir es hassen, aber meine Güte, da sind wir halt gestrandet und warum und wohin sollten wir jetzt noch gehen. Wir haben es hässlich gesehen, wir haben es aufgeputzt gesehen, wir haben gesehen, wie die Wichtigtuer sich der Stadt und seiner Kunst und Kultur bemächtigt haben und wir haben uns zugesehen, wie wir dabei immer etwas „weniger“ wurden und werden – und wie gut uns das überraschenderweise tut. („Doch all die Menschen, die ich wirklich wirklich gerne mag, sie sind genauso außer Atem wie ich“1 klingt es im Ohr). Die Landstraße ist fast leer und ich weiß, ich muss noch einen, diesen Text nämlich schreiben, den ich am Nachmittag begonnen hab. In dem sollte es eigentlich um das Lachen gehen, den „good laugh“, wie er in Filmen und Screenscripts wie jenem von Ernst Lubitsch und Edwin Justus Mayer verfassten To Be or Not to Be aus dem Jahr 1942 stattfindet. Ein „good laugh“, der so böse und makaber ist, dass man ihn kaum aushält. Ein Lachen, das etwa entsteht in einer Szene mit einem enganliegenden, weißen, schimmernden Abendkleid, das Carole Lombard als Maria Tura trägt. „How do you like my dress?“ fragt sie Dobosh, den Produzenten des Stücks „Gestapo“, das die polnische Theatergruppe im Film gerade probt. Dobosh fragt sie, ob das das Kleid ist, das sie in der Szene im Konzentrationslager tragen will. „Think of me being flogged in the darkness“, antwortet Tura/Lombard, “I scream, the lights go on and the audience discovers me in this gorgeous dress.” Ein Schauspielerkollege namens Greenberg, der einzige in Lubitschs Film, dessen Name eindeutig auf jüdische Wurzeln referiert, pflichtet ihr bei und meint, das würde einen „terrific laugh“ evozieren. Es ist bei weitem nicht die einzige Szene in dieser Komödie, die mit Zweideutigkeit Lacher erzeugt, Lacher, die Unbehagen hervorriefen, die bereits bei der Uraufführung des Films für Kritik sorgten. Wie könne man in den USA eine Komödie produzieren über das unaussprechliche Leid, das Menschen in Polen und ganz Europa unter den Nationalsozialisten zur selben Zeit erfuhren? Lubitschs Antwort darauf war deutlich: “It seemed to me that the only way to get people to hear about the miseries of Poland was to make a comedy. Audiences would feel sympathy and admiration for peo­ple who could still laugh in their tragedy.”2 Sympathy and admiration, Sympathie und Bewunderung zu erzeugen für die Leidtragenden und Opfer waren die Motive, die Lubitsch leiteten, die es ihm erlaubten, einen der lustigsten Filme über eines der mörderischsten Regime zu drehen. „A good laugh“ – wir sprechen achtzig Jahre später wieder darüber, worüber wir lachen wollen und dürfen, was lustig ist, was gescheit ist – und was einfach nur offen rassistisch und antisemitisch. Und es tut weh, dass wir angesichts der patscherten Versuche von Rechten, sich der Kategorie „Humor“ anzunehmen, überhaupt darüber reden müssen, was ein „guter Witz“ und was offener Rassismus und Antisemitismus ist. Die Altherrenriege, die aktuell einer Kabarettistin zu Hilfe eilt, weil sie deren Mitgliedern mit Schenkelklopferwitzen Ablenkung und Ausweg verspricht aus der Komplexität eines guten, mehrdeutigen Witzes, wie ihn Ernst Lubitsch und Edwin Justus Mayer schreiben konnten, bestätigt bloß eines: Europa war spätestens nach 1945 seiner Intelligenz und Humanität, seines Witzes, seiner Ambiguität verlustig gegangen und die meisten von uns, die wir hier und heute darüber diskutieren, was „a good laugh“ ist, tun dies in der Position von Nachkommen von Mitläufer*innen und Täter*innen – und nicht als Nachkommen von Opfern des Nationalsozialismus. Was eventuell erklärt, aber keineswegs entschuldigt, warum wir akzeptieren, dass ein Witz keine politischen Machtverhältnisse mehr kritisiert, sondern nur noch auf Kosten derer funktioniert, die sich nicht wehren können. Witze, die keineswegs „sympathy and admiration“ hervorrufen sollen, sondern einfach nur billige Lacher erzeugen, indem man auf „die da unten“ tritt.

Über Dinge wie diese hätte es gehen sollen, in dieser Kolumne und nun ist es spät nachts und ich begegne der Frau mit dem vollen Einkaufswagen, die immer sehr gschaftig und auch unfreundlich ist, wenn sie ihn über die Landstraße schiebt. Eine Frau, über die sich viele lustig machen, wenn sie sie sehen, auch weil sie sehr herrisch und selbstbewusst die Leute anblafft, wenn sie ihr im Weg stehen. Sie muss auch noch arbeiten, denk ich, als ich sie sehe, sie muss auch noch ihren Karren über die Landstraße schieben und hat irgendeinen Auftrag, von dem keiner was weiß. Ich erinnere mich an den Freund, den ich am Nachmittag getroffen hab, der seinen Kinderwagen vor sich hergeschoben hat, der mir erzählt, wie es ist, als Mann in Karenz, dass er eigentlich gar nicht mehr kann und kaum noch schläft und ich denke an meinen eigenen Sohn, und wie arg die Zeit war, als ich ihn über die Landstraße geschoben hab und nicht wusste, wie sich das alles ausgehen soll und ich mal wieder schlafen kann und an den Freund, der mir am Abend erzählt, dass er praktisch 100% Lohnausfall hatte die letzten Monate und ich denke an die Künstlerin, die ich am Vormittag getroffen hab und die meinte, dass wir als Spezies es wohl grade ziemlich versemmeln. Und ich denke daran, dass wir alle nicht so genau wissen, wie sich das alles noch ausgehen kann und wird. „A good laugh“ – das wär’s, denke ich, und daran, dass wir es allerdings womöglich nicht mehr schaffen werden, aus all dem eine richtig gute, böse, zweideutige, komplexe, mit geschliffenen Dialogen versehene Komödie zu machen.

 

1 Gisbert zu Knyphausen, Sommertag, 2008

2 David L. Smith, To be or not to be, www.loc.gov

In Your Face!

In der Ausstellung Lebt und zeichnet in Linz, die über den Sommer im Atelierhaus Salzamt zu sehen war, gab es vieles zu entdecken – so auch die Artwork-Maschine Sbäm. Porträt von Christian Wellmann.

Sbäm Does Shitty Art. Mit dieser Selbstbeschreibung dem Punkrock-Ethos verpflichtet, ironisiert sich alles weitere von selbst. Punkrock Ruined My Life. Slogans hämmern im Farbrausch auf Dreiakkord-Illustrationen ein. Oft sind die auffälligen, knalligen Designs in Retro-Comic-Ästhetik gepackt, versprühen Nostalgie. Die meisten Arbeiten wirken wie eine Tattoo-Vorlage. Skatepunk(-Ästhetik) ist der Name des Spiels. Sbäm, Künstlername Stefan Behams – aber auch Sbäm, das Team hinter dem Sbäm-Label und -Festival. Der aus Schärding stammende Grafiker und Designer kritzelte schon für namhafte Größen der amerikanischen Punkrock-Szene wie NOFX, Blink 182, Pennywise etc. Tourposter, Plattencover, Merchandise – zudem ist er als Konzertveranstalter und Plattenlabel-Betreiber tätig. Designs bilden jedoch das Steckenpony seiner Arbeit, die Konzerte und das Label sind eher zufällig dazugekommen. Er hat es einfach probiert.
Sbäm hat sich besonders in den USA einen Namen gemacht, wo zum Beispiel 2018 in San Francisco bei einer Ausstellung alle Artworks für Fat Wreck Chords, dem NOFX-Label, präsentiert wurden. Inzwischen fragen die Bands bei ihm an, seit dem Start vor fünf Jahren ist er sichtbar gereift. „Ich weiß, welches Artwork zu welcher Band passt und außerdem liefere ich Ergebnisse asap. Also ist mein USP wahrscheinlich, Individualität, Qualität und Schnelligkeit zu vereinen“, beschreibt die Artwork-Maschine die Herangehensweise.

Das Hauptquartier liegt in einem Keller der Linzer Mozartstraße. Dort wird im produktiven Akkord fabriziert, da kann man fast schon vom Sbäm-Imperium sprechen: T-Shirts, Poster, Platten, Skateboards, Hosen, Masken – alles mit einem Design, das gekonnte Individualität versprüht. Im Webshop können Unmengen dieser „Merch-Flut“ bestellt werden. Die Einflüsse sind weit gestreut, vom Jugendstil, Frank Kozik, Raymond Pettibon, Poster-Pop-Art, EC-Horror-Comics etc. Hier wird der visuelle Sampler angeschmissen – und doch ist der Stil eigen.
„Favoriten gibt es momentan eigentlich nicht wirklich. Ich lass mich da auch gar nicht von Trends usw. leiten, sondern versuche einfach, alles Mögliche aufzuschnappen. Sei es aus Comic-Büchern, Zeitungen, TV, Graffitis, Werbungen … Ich liebe es einfach, neue Artworks zu schaffen. Ohne Musik geht bei meinen Arbeiten aber überhaupt nichts. Ich brauche einfach die richtigen Songs, um einen Flow entstehen zu lassen“, so Sbäm. Und überhaupt geht’s um Liebe: zu DIY, knalligem Design und dreckigem Punkrock.
Referentin: Wie bist du überhaupt zur Postergestaltung bzw. zum Illustrieren gekommen? „Da mein Vater früher eine Druckerei besaß, war ich in punkto Grafik schon immer gebrandmarkt. Wenn mir als Kind langweilig war, ging ich einfach ein Stockwerk tiefer und versuchte mich an Grafiken für lokale Events. Ich denke, ich war 12, als ich nachts einfach mal die Auftragsmappen durchforstete, ein Poster für eine Veranstaltung kreierte und dann zu den Entwürfen legte – und es wurde sogar genommen! Mich hat also Grafik, Illustration und Werbung schon immer fasziniert. Nach meinem Studium und unzähligen Jobs in Werbeagenturen wurde mir aber bewusst, dass ich viel lieber Poster als Werbeanzeigen gestalte.“

Die Ausstellung im Salzamt sollte sich so anfühlen wie ein Besuch im Plattenladen. Was für viele anachronistisch anmuten dürfte (Was? Da wurde für Musik bezahlt?), verweist auf die Wurzeln seiner Arbeiten, als fast alle Musik-News im Schallplattenladen erworben wurden, sei es grafischer Natur oder WerWasWieWann. Durch den Charme der Schallplatten, Melancholie-Spender schlechthin, lässt sich diese Ausstellung schön dosiert genießen. Mittels Haptik wird die Bildübertragung beeinflusst.
„Es sind die aktuellsten bzw. zuletzt angefertigten 80 LP-Covers ausgestellt. Außerdem 10 Tourposter, diese sind einfach meine Lieblings-Poster-Motive. Die Covers wurden nicht extra erstellt, sondern sind alles reale Projekte bzw. veröffentlicht worden. Nur ein kleiner Teil von den Designs sind Bands auf Sbäm-Records.“

Das Sbäm-Fest ist ein zweitägiges Punkrock-Festival im Alten Schl8hof Wels, das normalerweise zwei Mal im Jahr stattfindet. Skatepunk der späten 1990er bestimmt den Sound, mit neuen freshen Bands, dazu rattert ein Skatecontest.
„Das Fest hat sich seit der ersten Episode 2017 extrem weiterentwickelt. Beim ersten Mal für 400 geplant, ist es jetzt schon für 2.000 BesucherInnen konzipiert. Aber kurz zum Fest: das Sbäm-Fest ist ein Alternativ- bzw. Punkrock-Festival, das große Szene-Acts in ein kleines familiäres Umfeld packt. Also die Bands gibt’s bei uns zum Anfassen. Es traten beispielsweise schon Lagwagon, Descendents, NOFX, Propagandhi, Donots, Toy Dolls etc. auf“, so Sbäm.
Seit der Erstauflage 2017 ist es jedes Mal ausverkauft, das für Oktober 2020 angekündigte Fest musste auf 2021 verschoben werden.
„Dieses Jahr im Mai hätten mit Me First And The Gimmes Gimmes und Frank Turner ziemliche Hochkaräter gespielt, jedoch kam virusbedingt leider die Absage. Sowas schmerzt dann schon sehr, wenn du ein 3/4 Jahr deine ganze Energie in die Planung steckst und du dann am Schluss alles absagen musst. Vom finanziellen Schaden mal ganz abgesehen. Der optimistische Plan war dann, alles auf Ende Oktober zu verlegen – leider klappte das auch nicht. Jetzt hoffe ich mal ganz stark auf 2021. Das Lineup für die Ausgabe steht bereits und es wird alles noch etwas umfangreicher und besser – sozusagen als Entschädigung für die nicht stattgefundenen Episoden“, beschreibt er die derzeitigen Probleme. „Wir haben mit den Behörden alle Pros und Kontras abgewogen und sind am Ende zum Schluss gekommen, mit allen Unsicherheiten der kommenden Monate, dass es nicht möglich ist, ein echtes Punkrock-Festival zu machen, und für die Sicherheit aller zu garantieren. Die Gesundheit ist das Wichtigste.“

Damit zurück ins Jahr 2018: Nachdem das Festival stets ausverkauft war, und mit den Arbeiten die Erfolge zunahmen, war für das Team die richtige Zeit gekommen, ein Label zu starten. Sbäm-Records wurde 2018 gegründet, als erster Release erschien „Tales of the Sbäm-Fest“, ein Doppel-LP-Sampler. Eines der Hauptanliegen ist es, lokale Bands aus der österreichischen DIY-Szene zu unterstützen. So gibt es von den (gehypten) Not on Tour aus Israel bis zu den Mundart-Punkern Glue Crew aus dem Salzburger Pongau bereits 46 Releases, das meiste davon auf Vinyl.
„Sbäm-Records ist ein Punkrock-Label mit Sitz in Linz. Bands wie No Fun At All, Bad Cop / Bad Cop, Get Dead, Bracket etc. haben bereits bei uns Platten veröffentlicht. Beim Label erfahre ich gerade einen Mega-Aufwind. Da man ja dieses Jahr nicht wirklich Shows machen kann, habe ich meine ganze Energie – neben der Grafik – ins Label gesteckt. Und durch die Hilfe von neuen Partnern werden die Releases und die Anerkennung (weltweit) immer größer. Es sind dieses Jahr zwischen 10 bis 20 Releases geplant“, beschreibt Sbäm sein Label.

Jaja, die Situation „in Zeiten wie diesen“ ist auch für Sbäm, wie für so viele, keine leichte: „Momentan ist das gar nicht so einfach. Die Aufträge im Musik-Biz sind etwas spärlich gesät. Fast alle Bands verwenden die Grafiken von 2020 ident für 2021. Außerhalb der Musik gibt es dafür ein paar neue Projekte mit größeren Kunden.“
Im patriarchalischen Angst-für-Tourismus-Reich der Jugendlichkeit vorgaukelnden ReligionslehrerInnen, die wie die von ihnen vergötterten Volksmusik-Kasperln vorrangig für Propaganda-Shots posen, gibt es ja die Salzburger Festspiele, das muss reichen. Dick auftragen und bürokratisch ansägen. Jemand meinte zu mir, die Leute kapieren den Ernst der Lage nur durch Angstmache. Verdummungspflicht jetzt.
Kreativität kennt keine Angst, so finden sich seit dem Virus-Bang zahlreiche Sbäm-Projekte umgesetzt: Wie ein Charity-T-Shirt für No Use For A Name, ein Poster für Lagwagon („Let’s Talk About Quarantine“), Heavy-Talks-Podcasts, Tourplakat für The Suicide Maschines, Chasers „Look Alive“-Platte (ein wunderschönes Farbvinyl in vier Varianten, mit Sprenkeln angereichert: Augen-Zuckerl!), selbstredend auch Sbäm-Masken (über den Shop zu erwerben), außerdem arbeitet er an weiteren Veröffentlichungen und einer neuen Webseite.
Dass Begrenzung auch kreativen Freiraum schafft, und neue Lösungen fordert, unterstreichen auch diverse Sbäm-Musik-Veranstaltungen im Linzer Sputnik, zum Beispiel war das im August eine Show von Heatcliff (Live, Free & Acoustic). Natürlich darf dabei nur eine gewisse Personenanzahl partizipieren, und wie es der Ankündigungstext so schön trällert: Nur der frühe Vogel kann pogen!
Auch daran sollten sich einige, in Katharsis verfallene KulturnahversorgerInnen ein Vorbild nehmen, dumme Zeiten brauchen kluge Ideen. Neues ausprobieren, auch „das Kleine“ ist schön. Öffentlichen Raum „rückerobern“. Vielleicht kann auch so die Super-Spreader-Langeweile überwunden werden, die digitales Streamen oder ähnliches verursacht. Warum nicht auch in Linz die TipsArena (die ja sowieso leer steht), oder ähnliches, für kleinere Veranstaltungen nutzen (also unentgeltlich zur Verfügung gestellt) – brenne darauf, ob die Stadt Linz sowas überhaupt nur im Entferntesten unterstützen würde … Oder an einem Abend einfach mehrere Auftritte (vor wechselndem, kleinem Publikum). Das Fluc setzte dies in Wien bereits um, was im Jazz den Ursprung hat. Oder gleich rein in den Spaceanzug, wird man sowieso noch öfters brauchen, in den nächsten Jahren. Abstand verpflichtet.

 

www.facebook.com/SBAM.ROCKS
shop.sbam.rocks

Lebt und zeichnet in Linz.

Die am 08. Juli im Salzamt Linz eröffnete Ausstellung präsentierte dieses Jahr die lokale Szene und zeigte eine Auswahl von Arbeiten oberösterreichischer KünstlerInnen: Judith Auer, Petra Braun, Katuuschka, Kollektiv Brause, Carina Lindmeier, Missfelidae, Silke Müller, Mariana Nikolai, Miau Publishing, Sbäm, System Jaquelinde, Nana Tylo.

blog.salzamt-linz.at/2020/02/27/lebt-und-zeichnet-in-linz

Respect the Space

Zum dritten Mal bespielt Holy Hydra heuer im September die Stadtpfarrkirche Urfahr. Holy Hydra widmet sich neben musikalischen und künstlerischen Beiträgen vor allem folgenden Fragen: Was sind die Gemeinsamkeiten von Clubkultur und Religion? Wie können Sakralräume anderweitig genutzt werden? Inwiefern können Kirche, Kunst und Kultur voneinander profitieren? Bettina Landl ist einer sehr zeitgemäßen Variante der Liaison von Kunst und Kirche nachgegangen.

Am 10. und 11. September ist es wieder soweit. Nach einer herausfordernden Organisations- und Produktionsperiode hat das höchst flexible und improvisationserfahrene Team der Holy Hydra, bestehend aus dem Linzer Hydra Kulturverein in Kooperation mit dem Raumteiler Kulturverein und mit wertvoller Unterstützung der Jugendkirche Grüner Anker sowie dem bestehenden Netzwerk ein zweitägiges Programm krisengerecht auf die Beine gestellt. Neben dem bereits in den ersten beiden Ausgaben bewährten visuellen Raumkonzept, einem 360°-Live-Projection-Mapping von 4youreye ProjectionArt sind auch Alja Ferjan und Barbara Vuzem mit einer Tanzperformance wieder mit an Bord. Besonderes Highlight ist die Bespielung der Kirchenorgel, für die u.a. die Künstlerin Monica Vlad eigens ein Stück erarbeitet.

„Unser Anliegen ist es, einen fluiden und smoothen Übergang von Theorie zu Praxis zu schaffen, wobei den AkteurInnen dabei eine möglichst offene und freie Plattform gegeben werden soll. Um ein breites Spektrum an Zugängen abzudecken und Diversität zu garantieren, wurden erneut KünstlerInnen vielfältiger Genres geladen. Augenmerk dabei liegt auf Performance und Interaktivität, um dem Publikum die Möglichkeit zu geben, sich als Teil der Holy Hydra zu fühlen“, heißt es vonseiten der Hydra.

Andere Räume
Hydra erweitert (Gedenk-)Räume, aber diesmal anders. Lange wurde darüber diskutiert, ob das Festival 2020 überhaupt stattfinden wird, aber: „Nichts machen geht auf keinen Fall“, lautet das Credo der VeranstalterInnen, die sich dazu entschlossen haben, trotz Widrigkeiten fix etwas zu organisieren. Situationsbedingt konzentriert man sich in diesem Jahr vielmehr auf den Kirchenraum als Gesamt-Installation als auf das Programm an sich. „Auf alle Fälle wird es aber wieder Sound geben, wenn auch nur bis Mitternacht. Es wurde auch ein Sicherheitskonzept entwickelt, welches stets den aktuellen Auflagen angepasst wird, um alle Corona-Bestimmungen in die Umsetzung zu integrieren“, schildert Amanda Augustin, die Obfrau des Hydra-Kulturvereins, den sie gemeinsam mit Lorena Höllrigl, Anna Friedinger, Björn Büchner, Bernd Himsl und Klaus Reznicek betreibt.

Die Hydra ist das vielköpfige Geschöpf aus Linz, das Tag und Nacht für die freie Szene kämpft und sich stets nach unbespielten Räumen, einzigartigen Raumkonzepten und neuen Möglichkeiten umsieht. Sie agiert aus einer inneren Notwendigkeit für eine kulturell vielfältige Veranstaltungskultur heraus, immer auf der Suche nach dem Plus X, angetrieben vom Zuspruch ihres Publikums. 2016 als Veranstaltungskollektiv „die geile Hydra“ gegründet, ist sie mittlerweile ein Kulturverein, der seit 2018 einmal im Jahr eine Kirche anvertraut wird, um sich darin zur Holy Hydra zu transformieren. Ihre sechs Köpfe haben sich über ihr kreatives Schaffen zusammengefunden, sind sowohl professionell als auch privat fester Bestandteil der Linzer Kulturszene und verfügen über profunde Erfahrungen als VeranstalterInnen im Kunst- und Kulturbereich. Ihr Anliegen ist es, dieses Format einer jährlichen Veranstaltungsreihe zwischen zeitgenössischer Kunst, Religion und Gesellschaft kontinuierlich zu etablieren.

#bumbummitniveau
Die ersten Schritte machte die Hydra bereits 2016, als man im Zuge der ersten Hydra-Parties auf Locationsuche war. Im Zuge dessen wurde der Raumteiler Kulturverein gegründet, dessen Räumlichkeiten als Lager, Produktionsbüro und Veranstaltungsort genutzt werden. 2018 fand die erste Veranstaltung in der Stadtpfarrkirche Urfahr unter dem Namen Holy Hydra statt, welche gleichzeitig die praktische Masterarbeit von Amanda Augustin und Lorena Höllrigl an der Kunstuniversität Linz (Abteilung raum&designstrategien) war.
Um autark zu sein, wurden die Vereine separat aufgestellt und haben unterschiedliche, wenn auch eng verwandte Missionen. Jene der Hydra lautet: Wie kann man Party mit Kunst vereinen und wie lässt sich daraus ein Mehrwert generieren? „Party“ wird als Kunstkonzept und Medium verstanden und soll als fixes Format neben und gemeinsam mit der Ars Electronica eingerichtet werden, deren Prinzip sie quasi umkehrt: Diskurs und dann Party wird zu Party mit Diskurs.
Was uns intern verbindet, ist die Neugierde neue Räume zu entdecken, Leerstand zu bespielen und jede Party als einzigartiges Erlebnis zu verstehen und zu zelebrieren“, erzählt Augustin. „Die ursprüngliche Idee für eine Holy Hydra kam uns in der Kapu, neben der sich die bereits länger leerstehende Kapuzinerkirche befindet. Wir haben dann ein Konzept dafür entwickelt. Aber aus diesem Ort ist nichts geworden.“ Ihre Überzeugung, intensive ehrenamtliche Vereinsarbeit, viel Engagement und Bemühen trotz prekärer Arbeitsbedingungen hat jenen Prozess in Gang gesetzt, der sie schließlich in der Stadtpfarrkirche Urfahr landen ließ, indem die Jugendkirche Grüner Anker sofort als Kooperationspartnerin gewonnen wurde. „Die Kirche ist perfekt und dankenswerterweise war der Grüne Anker unserer Idee gegenüber völlig offen. Wenn man Kirche machen kann, dann so!“, betont Augustin. „Es ist eine sehr moderne Kirche, die vor ein paar Jahren renoviert wurde. Aufgrund ihrer Bestuhlung eignet sie sich hervorragend für derlei Formate wie die Holy Hydra“, ergänzt Anna Friedinger.

„Der Boden lässt sich vollständig mit Teppich auslegen und ermöglicht es, im Liegen den ganzen Raum spürbar zu machen und den Kirchenraum auf vollkommen neue Art zu erfahren. Ein ganz spezieller Vibe! Das ist genau das Potenzial, das ich in der Holy Hydra sehe. Mich faszinieren Sakralbauten. Es sind wahnsinnig spannende Gebäude und diese als Veranstaltungsorte zu nutzen, ist ein großer Reiz und eine Chance. Denn ohne Zweifel braucht es auf die Frage, wie diese Räume einer erweiterten Nutzung zuzuführen sind, sodass diese für eine größere Anzahl von Personen (wieder) zu Räumen der Begegnung werden können, eine Antwort. Dabei geht es nicht um eine reine Umnutzung, sondern um das Aufzeigen neuer Möglichkeiten. Wir sehen in Sakralbauten wie Kirchen enorme Möglichkeiten und möchten mit unserer Veranstaltung deutlich machen, dass eine Kirche Platz für diverse Formate bieten kann“, erklärt Augustin.

Kirche geht (auch) anders
Eine mögliche Antwort lautet also: Holy Hydra – eine interdisziplinäre Veranstaltung, die zeitgenössische Tanzperformances, elektronische Musik und neue Medienkunst sowie themenbezogene Vorträge beinhaltet. Inhaltlicher Fokus liegt dabei auf einer erweiterten Nutzung und einer möglichen Neudefinition von sakralen Räumen, mit der Agenda den Diskurs zwischen Clubkultur, Religion und Gesellschaft auf eine breitere Ebene zu stellen. Im Zusammenspiel von Theorie und Praxis wird der Frage nach der gegenwärtigen Funktion von sakralen Räumen nachgegangen. Dabei wird auch debattiert, inwiefern diese über ihre eigentliche Funktion hinaus im Kontext von öffentlichem Raum genutzt werden können.

Wie in den vergangenen Jahren auch abseits der Veranstaltung bewiesen wurde, haben Sakralräume wie Kirchen ein großes Potential, insbesondere für Kunst und Kultur. Durch gemeinsamen Dialog aller Beteiligten werden Bedingungen geschaffen, die einen interkulturellen Austausch ermöglichen und als Vorbild für zukünftige Kulturschaffende wirken. „Auch in diesem Jahr wollen wir ein interdisziplinäres und zeitgemäßes Programm zusammenstellen, das besonders die lokale Kunst- und Kulturszene im Fokus hat und die Vielfalt der österreichischen Kulturlandschaft widerspiegelt. Die Veranstaltung bietet die exklusive Erfahrung, einen sakralen Raum im neuen Kontext zu erleben, Kunst und Kultur auf bisher selten zugänglich gemachte Weise zu erfahren“, erklärt die Hydra.

 

HOLY HYDRA
10. & 11. 9. 2020
Stadtpfarrkirche Urfahr – Jugendkirche Grüner Anker
www.holyhydra.at