„Es war ein Öko-Krieg“
Der Kraftwerksbau im oberösterreichischen Lambach und die Protestbewegung der 90er: Die Klischees wurden hier nicht bedient. Denn nicht nur „gewaltbereite AktivistInnen“ harrten drei eiskalte Monate auf der Baustelle aus, sondern auch AnrainerInnen und PensionistInnen. Silvana Steinbacher über ein gerade erschienenes Buch, das die Geschehnisse im Winter 1996 nachempfinden lässt.
Es waren drei dichte Monate, und allen, die im Camp dabei waren, sind sie abrufbar. Als im Jänner 1996 die Rodungsarbeiten für den Bau des Kraftwerks Lambach ohne Einbeziehung der AnrainerInnen in Gang gesetzt werden, beginnen UmweltaktivistInnen mit der Besetzung der Baustelle. Sie sollte drei Monate dauern. Thomas Rammerstorfer, er war selbst einer der Protestierenden, und Marina Wetzlmaier lassen in ihrem gerade erschienenen Buch Kampf um die Traun. Der Widerstand gegen das Kraftwerk Lambach diese Zeit wiederaufleben.
Abseits der Fakten und Ereignisse, die von den beiden aufgerollt werden, sind es die Erinnerungen einstiger AktivistInnen und vielleicht auch Rammerstorfers eigener Rückblick, die das Leben im Camp spürbar werden lassen: der Alltag, die eiskalten Winternächte in den Schlafsäcken, die Furcht, vom Feuer erfasst zu werden, an das sich die Frierenden so nahe wie möglich gelegt hatten. Und schließlich die Beschimpfungen durch BefürworterInnen des Kraftwerks, aber auch der Zusammenhalt der Protestierenden untereinander, der einigen von ihnen bis heute im Gedächtnis geblieben ist. Wetzlmaier und Rammerstorfer gelingt es, diesen Alltag so dicht zu schildern, dass man den Eindruck erhält, dabei zu sein.
Thomas Rammerstorfer, damals 20 Jahre alt, war auch teilweise im Camp: „Sobald jemand davon redet, wird mir heute noch kalt. Es hatte minus 15 Grad im Jänner 1996, minus 10 Grad nahe am Feuer. Die Vielfalt der Demonstrierenden im Camp war ungewohnt. Es waren auch ältere Damen dabei, die Gemeinschaft war toll. Ich kann mich erinnern, dass es gut organisiert war, es wurden auch täglich Pläne für die Lager erstellt, drei bis fünf sind es gewesen. Natürlich befürchtete ich manchmal, dass die Bewegung ins Radikale abgleiten könnte, doch die ersten Anzeichen dafür wurden schnell gebremst. Insgesamt würde ich sagen, war dieses Ereignis nicht nur eine Niederlage. Die OKA hat ihre Politik geändert und registriert, dass es für ihr Image förderlicher ist, ein paar Millionen mehr in den Umweltschutz zu stecken als in Werbung.“
Chronologie der Ereignisse: (partiell)
Im März 1995 erlässt das Landwirtschaftsministerium einen positiven Wasserrechtsbescheid.
1996 beginnen die Rodungsarbeiten
Im April desselben Jahres wird aus Formalgründen der Wasserrechtsbescheid aufgehoben.
Im Herbst 1997 verliert Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) bei der Wahl die absolute Mehrheit. Die ÖVP beschließt dennoch mit den Stimmen der SPÖ, sie stellte sich während des Konflikts dezidiert gegen den Bau, die endgültige Errichtung des Kraftwerks.
Ende Mai 2000 wird das Kraftwerk Lambach offiziell eröffnet. In den folgenden Jahren entwickelt sich rund um den Bau ein Naherholungsgebiet.
Marina Wetzlmaier hat während dieses Konflikts noch die Volksschule besucht. Sie ist freie Journalistin und Autorin und hat sich in ihren bisherigen Büchern mit türkischen Moscheevereinen (Mitautor: Thomas Rammerstorfer) und mit der Linken auf den Philippinen beschäftigt. Das aktuelle Buch ist ihr erstes über ein österreichisches Ereignis.
„Mein Spezialgebiet sind soziale Bewegungen und die Frage, wie sie entstehen. Auch Gruppendynamik interessiert mich. Und so hat mich auch dieses Ereignis interessiert. Ich habe mir auch am Beispiel Lambach die Frage gestellt, wie sich Widerstand formiert, welche Formen von Aktivismus festzustellen waren. Der Widerstand auf der Baustelle hatte viele Facetten zu verzeichnen: Tradition, kreativer Widerstand. Es gab also auch kulturelle Aktivitäten während dieser Zeit.“
Die Faktoren
Der Konflikt um das Kraftwerk Lambach spielte sich auf mehreren Ebenen ab. Auf der einen Seite GegnerInnen, Firmen, die sich durch den Bau Profit erhofften, die Politik, vor allem durch die ÖVP und die OKO, heute Energie AG, deren Privatisierungspläne parallel zu den Konflikten um das Kraftwerk Lambach verliefen. Und auf der anderen Seite die im Camp Protestierenden, die zwar intensiv von Global 2000, den Grünen und einigen AnrainerInnen unterstützt wurden, aber gegen diese machtvolle Mauer der Befürwortenden kaum eine Chance hatten. Viele der Protestierenden von damals meinen heute: „Es war ein Okö-Krieg.“
Gerüchte und Verleumdungen
Die Phantasie einiger Befürwortender des Kraftwerkbaus entwickelte sich zur Hochform, wenn es darum ging, die Protestierenden zu verleumden.
Feierte das Gerücht über die Berufsdemonstrierenden damals seine Premiere? Jedenfalls begegnet es uns in schöner Regelmäßigkeit immer wieder, wenn sich eine Protestbewegung formiert. Hohe Summen wurden genannt, die angeblich pro Tag und Person ausbezahlt worden seien. Von wem eigentlich?
Den widerlichen Höhepunkt setzte wahrscheinlich der ehemalige Sprecher der Vöest, der eine namentliche Erwähnung nicht verdient. Er bemühte in einem Kommentar, den ich nicht wörtlich zitieren will, eine Nähe der Protestierenden zum Nationalsozialismus und zu Goebbels. Pühringer gratulierte ihm daraufhin in einem Leserbrief und meinte später, er hätte den Kommentar nicht gelesen.
Plötzliche Wende und weitere Ereignisse:
Mit einem Unfall beginnt eine aufrüttelnde Wende im Camp. Ein Pensionist hält sich an der Kante einer Baggerschaufel fest, stürzt, bricht sich eine Rippe und verliert das Bewusstsein. Der Fahrer wird im Prozess freigesprochen. Der Pensionist überlebt glücklicherweise ohne bleibende Schäden.
Ein weiteres Ereignis: Bei Baggerungsarbeiten werden menschliche Skelette gefunden, ein Baustopp wird beschlossen, schließlich klärt sich, dass diese Überreste über 300 Jahre alt sind. Vorherige Vermutungen, es könnten Skelette von ehemaligen KZ-Häftlingen sein, veranlasste einige, sich zu antisemitischen Äußerungen der übelsten Art hinreißen zu lassen.
In ihrem Resümee führen die beiden AutorInnen recht ausgewogen auch die Perspektiven dieses lange zurückliegenden Konflikts vor Augen.
Als der faktische politische Gewinner ging der damalige Landeshauptmann Josef Pühringer hervor. Bei der nächsten Landtagswahl verlor die ÖVP allerdings 2,51 Prozent, was natürlich nicht 1:1 aus dieser Thematik resultiert. Die Grünen schafften den Einzug in den Landtag. Unterstützt wurden die AktivistInnen damals von der gesamten Prominenz der Grünen, von Peter Pilz über Madeleine Petrovic bis zu Alexander van der Bellen, die alle ins Camp kamen, allerdings auch wesentlich durch die Umweltschutzorganisation Global 2000 mit ihrem damaligen Pressesprecher Lothar Lockl.
Auf kommunaler Ebene zog die Liste „Lebensraum Stadl-Paura“, die ein besonderes Naheverhältnis zu den ehemaligen KraftwerksgegnerInnen zeigte, mit 17,91 Prozent in den Gemeinderat ein.
Eine Niederlage mit „Gewinn“
Im Herbst 1997 fällt die Entscheidung: Die ÖVP beschließt mit den Stimmen der SPÖ, die sich immer gegen diesen Bau ausgesprochen hat, schließlich für die Errichtung des Kraftwerks.
„Problematisch war ganz offensichtlich die Ausgangslage“, stellt Marina Wetzlmaier fest. „Die SPÖ war innerhalb ihrer Fraktion gespalten, denn die Gewerkschaft akzeptierte den Bau mit dem Argument der Arbeitsplätze.“
Die Aktivistinnen hatten auf einigen Seiten übermächtige Gegner. Als Verlierende in diesem Konflikt sehen sich die meisten dennoch nicht. Lothar Lockl wird von Wetzlmaier und Rammerstorfer einige Male zitiert. Er habe in Lambach gelernt, wie sich unterschiedliche Menschen zu einer Gemeinschaft formieren könnten. Bei einigen der Protestierenden entwickelte sich erst durch diesen Konflikt eine ernsthafte Politisierung.
Nicht zu beschönigen ist allerdings auch die Tatsache, dass der Protest in der Bevölkerung teils tiefe Gräben aufgerissen hat, bis hin zu Zerwürfnissen innerhalb von Familien.
Wetzlmaier und Rammerstorfer bleiben in ihrem Buch Kampf um die Traun. Der Widerstand gegen das Kraftwerk Lambach aber nicht ausschließlich in der Vergangenheit, sondern streifen auch – und dies ist eine Qualität des Buches – die Gegenwart.
Das Kraftwerksprojekt Tumpen-Habichen an der Ötztaler Ache in Tirol soll trotz einer Petition mit mehr als 12.000 Unterschriften und anderer Proteste bis spätestens 2022 in Betrieb gehen. Zurück zu Lambach: Rund um den Bau des Kraftwerks entwickelte sich ein Naherholungsgebiet. Die Protestierenden nutzten den Konflikt, um ein Rückbauprojekt der Traun zwischen Welser Wehr und Alm-Spitz zu fordern. Für ihre Verdienste um den Rückbau erhielt die Bürgerinitiative Traun den Landespreis für Umweltschutz und Nachhaltigkeit 2012.
Das aktuelle Buch von Thomas Rammerstorfer und Marina Wetzlmaier präsentiert eine Chronologie der Ereignisse und zeigt auch Methoden und Wege auf, wie bei künftigen Projekten Erfolge erzielt werden könnten.
Thomas Rammerstorfer, Marina Wetzlmaier
Kampf um die Traun. Der Widerstand gegen das Kraftwerk Lambach
Verlag Bibliothek der Provinz (vierfärbig)
240 Seiten, 26,– Euro
Lambach.
Im Jänner 1996 begannen die Rodungen für den Bau eines Wasserkraftwerkes an der Traun zwischen Lambach und Stadl-Paura. Eine Protestbewegung wurde aktiv. Anrainer/innen und Umweltschützer/innen aus ganz Österreich besetzten den Wald und lieferten Polizei, Bauarbeitern und Kraftwerksbefürwortern ein dreimonatiges „Katz und Maus“-Spiel. Das Buch erzählt ein bemerkenswertes Stück Zeitgeschichte anhand ökologischer, politischer und ökonomischer Aspekte, und davon, welche Rolle Politik, Medien und Zivilgesellschaft dabei spielen. Das Umschlagen von verbaler in körperliche Gewalt, aber auch das Streuen von Gerüchten, Verbreiten von „Fake News“ und Verschwörungstheorien waren dabei auch im prä-digitalen Zeitalter Teil des Konflikts. Die Front der Kraftwerksbefürworter bemühten sich etwa stets, die Gegner/innen als professionelle und gar bezahlte „Protesttouristen“ darzustellen. Nach einem Baustopp bis Herbst 1997 wurde das Kraftwerk schließlich doch errichtet, allerdings nach ökologischen Gesichtspunkten deutlich optimiert. So endete der „Kampf um die Traun“ einerseits mit einer Niederlage, bewirkte andererseits aber weitreichende Erfolge der Umweltschutzbewegung und des zivilgesellschaftlichen Protests.