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Karlheinz Stockhausen Helikopter-Streichquartett, 1992/1996

Das Helikopter-Streichquartett ist eines von Karlheinz Stockhausens bekanntesten Stücken und ist (oder besser gesagt: war zu seiner Zeit wohl?) eines der am schwierigsten aufzuführenden: 4 MusikerInnen eines Streich­quartetts spielen bereits in den 1990er-Jahren in fliegenden Hubschraubern separat voneinander auf ihren Streichinstrumenten und werden live über Kameras und Mischpult zusammengespielt. Das Stück lief folgendermaßen ab: Ein Moderator, z. B. ein Tontechniker, stellt das Werk vor und erklärt seine technischen Aspekte. Die MusikerInnen werden auf den Monitoren gezeigt, wie sie mit ihren Streichintrumenten zu den Hubschraubern gelangen und dort einsteigen. Die 4 Hubschrauber heben ab, die Kamera im Hubschrauber zeigt in einer festen Einstellung Spieler, Instrument, die Umgebung während des Flugs. Die gemeinsame Partitur wird gespielt. Die Rotorblätter fungieren als weitere Instrumente, deren Klang fügt sich in den Klang der Hauptinstrumente ein. Die Hubschrauber kreisen in einem Radius von etwa 6 km um den Konzertsaal. Sie wechseln ständig die Flughöhe, um klanglich und optisch einen modulierenden Effekt zu erzeugen. Etwa 20 Minuten. Eventuell das erste gemeinsame Musizieren per Video-Schalte. Bereits 1991 von den Salzburger Festspielen in Auftrag gegeben, erster Entwurf 1992, 1994 abgesagt, 1996 in Amsterdam uraufgeführt, 2003 in Österreich usw … Im Netz mit den einschlägigen Suchbegriffen zu finden, etwa unter Wikipedia.

„… nicht den Zusammenhang mit dem Leben verlieren“

Die Referentin bringt seit mehreren Heften eine Serie von Porträts über frühe Anarchist_innen und den Anarchismus als eine der ersten sozialen Bewegungen überhaupt. Über die 1882 geborene Schneiderin und Anarchistin Vilma Ritschel schreiben in dieser Ausgabe Peter Haumer und Andreas Gautsch.

Vilma Ritschel, vom Gerichtszeichner porträtiert. Foto Open Commons

Im Dezember 1930 schrieb Leopold Spitzegger1 unter seinem Pseudonym L. Krafft-Wien im Fanal – Organ der Anarchistischen Vereinigung, herausgegeben von Erich Mühsam2, dass der Anarchismus in Österreich im letzten Halbjahr über ansehnliche Erfolge berichten könne. „Der angekündigte Zusam­menschluß der Opposition gegen Klosterneuburg (gemeint ist Rudolf Großmann3, der in Klosterneuburg lebte), der der FANAL-Richtung nahestehenden Genossen, ist zustande gekommen. Ein Monatsblatt „Contra“ (Zuschriften und Bestellungen an Vilma Ritschel, Wien X, Rotenhofgasse 106, bisher 7 Hefte) erscheint vorläufig im Vervielfältigungsverfahren und bringt beachtenswerte Beiträge.“4

Wer war diese Vilma Ritschel, die Eigentümerin, Herausgeberin und Verlegerin der anarchistischen Zeitschrift Contra war? Die mit einer Gruppe Gleichgesinnter diese „neue Monatsschrift der anarchistischen Opposition in Österreich welche jeder antiautoritären Richtung dienen will“5 im ganzen deutschsprachigen Raum vertrieb?

Vilma Steinacher wurde am 6. Oktober 1882 in Wien als uneheliches Kind geboren, wuchs dann aber im Heimatort ihrer Mutter, in Reichenau an der Rax, auf. Später erzählte sie über sich: „Die Leute sagten, ich sei überspannt. Ich habe mir auch angewöhnt, Märchen zu erzählen, und war jähzornig.“6 Sie bezeichnete sich selbst als sehr empfindsam und wissbegierig. Nach dem Besuch der Volksschule erlernte sie das Schneider_innenhandwerk.

Im August 1902 heiratete Vilma in Stockerau den Ulanen-Wachtmeister und späteren Privatbeamten Gustav Ritschel. Mit ihm hatte sie den bereits im Februar 1902 in Stockerau geborenen Sohn Gustav Steinacher, legitimierter Ritschel. Als Vilma Ritschel ihn „unter dem Herzen trug, schoß auf sie ihr Stiefvater, aus Zorn über die Tochter, die sich den Ulanenwachtmeister Ritschel in den Kopf gesetzt hatte“, heißt es dann mehr als 20 Jahre später im Wiener Tagblatt, das am 17. Mai 1924 über eine handgreifliche Auseinandersetzung mit tödlichem Ausgang berichtete, am dem dieser Sohn Gustav beteiligt war – dazu aber weiter unten. Jedenfalls hatte sie mit ihrem Mann noch einen zweiten Sohn, Alfred, der jedoch mit fünf an Masern verstarb.

1904 übersiedelte Vilma Ritschel mit ihrer Familie nach Wien, wo sie als Hausnäherin tätig war. Sie wohnte zunächst in Wien-Erdberg, musste aber nach dem frühen Tod ihres Ehemannes nach Wien-Favoriten, Rotenhofgasse 106 übersiedeln, wo sie in unmittelbarer Nähe auch einen Schrebergarten in der Favoritenstraße besaß. Ihr Mann verstarb 1910 im 37. Lebensjahre an Schlagadernerweiterung, was auf seinen früheren Alkoholmissbrauch zurückgeführt wurde. Vilmas Sohn Gustav war damals acht Jahre alt. Als sie eine Stellung annehmen wollte, musste sie ihn zu seiner Großmutter Marie Grabner, die Gattin eines Eisendrehers war, bringen. Während der Kriegszeit kam er wieder zur Mutter nach Hause. Mit vierzehn Jahren musste Gustav eine Mechanikerlehre beginnen, obwohl er studieren wollte.
Gustav Ritschel hatte ein „abenteuerliches Proletarierschicksal“7. Er litt an offener Tuberkulose, und trotzdem war er immer wieder auf der Walz in Deutschland, Ungarn, Rumänien und Italien. Im Sommer 1919 ging Gustav Ritschel zur Roten Armee nach Ungarn,8 kurze Zeit darauf kehrte er wieder nach Wien zurück. Er nahm an den Betriebsbesetzungen in Italien 1920 teil – er arbeitete 6 Monate lang in einem Fiatwerk in Brescia in der Lombardei – und infolge des gescheiterten Generalstreiks im März 1921 ging er nach Wien zurück. Er bezeichnete sich selbst als Sozialisten, der die Russische Revolution verteidigte.

Vilma Ritschel weilte seit August 1922 wieder einmal als Hausnäherin und Wäscherin beruflich am Semmering. Während dieser Zeit kam es in ihrer Wohnung in der Rotenhofgasse zu einer tödlichen Auseinandersetzung ihres Sohnes mit dessen Untermieter, dem Studenten Robert Staudacher aus Bozen. Nach Aussage von Gustav stritten sie sich beim Schachspiel über die Russische Revolution, die der Student verurteilte, Gustav hingegen verteidigte. Staudacher, der Mitglied der Studentenverbindung „Eisen“ war, verhöhnte Gustav und ging auf ihn los, der ihn daraufhin mit einem Gewehrkolben erschlug. Das ist – kurz zusammengefasst – die Version von Gustav Ritschel. Die Geschworenen jedoch befanden ihn einstimmig schuldig einen meuchlerischen Raubmord begangen zu haben. Gustav Ritschel wurde am 16. Mai 1924 zu 18 Jahren schweren Kerkers verurteilt.

Vilma Ritschel trat bei dem Prozess gegen ihren Sohn als Zeugin auf. Im Prozessbericht des Neuen 8 Uhr Blattes wurde sie als eine nervöse Frau beschrieben und als „eine schlanke, zarte Frauengestalt. Der hübsche Kopf ist von blondem Haar umrahmt. Mutter und Sohn sehen sich sehr ähnlich. Sie betont auch in ihrer Aussage mehrmals, daß er so wie sie sehr empfindsam sei.“

Mitte der 1920er Jahre stieß Vilma Ritschel zur anarchistischen Bewegung. Die dominante Persönlichkeit zu dieser Zeit war der bereits erwähnte Pierre Ramus. „Sein“ Bund herrschaftsloser Sozialisten hatte nach Eigenangaben zu dieser Zeit über 4.000 Mitglieder. Ramus rigorose Haltung in der Gewaltfrage führte jedoch zu Konflikten innerhalb der anarchistischen Bewegung und schließlich zur Gründung der oppositionellen Gruppierung Contra. Diese war gegen einen rein gewaltfreien Anarchismus und gegen die herrschende gesellschaftliche Ordnung. Vilma Ritschel dürfte eine der treibenden Kräfte gewesen sein, zumindest war sie neben dem Redakteur Oskar Grünwald die Hauptverantwortliche für die gleichnamige Zeitschrift. Die erste Ausgabe der Contra erschien im April 1930, die letzte im September 1931. In den Beiträgen wurde sowohl die Situation in Österreich als auch in Deutschland diskutiert, hinzu kamen historische und theoretische Artikel. Als Autor_innen traten u. a. der Vagabund Artur Streiter, der Schriftsteller Rudolf Geist in Erscheinung, es gab auch übersetzte Artikel wie den von der japanischen Feministin Takamure Itsue.
Ritschel verlegte zudem die Schriftenreihe Propaganda Broschüre. Allerdings erschien nur ein Heft mit zwei Aufsätzen des französischen Anarchisten Élisée Reclus. Wie die Zeitschrift wurde auch die Broschüre auf einer Schreibmaschine getippt und mit einem Rotationsvervielfältiger von Ritschel selbst hergestellt. Lediglich die letzte Ausgabe der Contra wurde gedruckt, teilweise sogar in Farbe, was für einen größeren finanziellen Spielraum der Gruppe spricht. Da die letzte Nummer nicht als solche deklariert ist, dürfte das Ende der Zeitschrift so nicht geplant gewesen sein. Vilma Ritschel selbst verfasste insgesamt drei Artikel für die Contra.

Die Lebenssituation muss für Ritschel und die anderen der Gruppe schwierig gewesen sein. Die Wirtschaftskrise hatte bereits voll eingesetzt, die Arbeitslosigkeit war enorm, Banken gingen pleite und wurden gerettet, während der Staat an allen Ecken und Enden sparte. Dieses bis heute praktizierte Vorgehen kommentierte Ritschel im Artikel Rauf ma euer Gnaden, der in der 2. Nummer 1930 erschien: „Seitdem in Österreich der Staat saniert wurde, geht es begreiflicherweise dem Volke schlecht.“ Für die politisch, trotz Zugewinne bei den Wahlen in die Defensive geratene Sozialdemokratie hatte sie nur wenig übrig. Trotz ihrer Kampfrhetorik, so Ritschels Kritik, „wünscht sie gar nichts mehr, jetzt will sie nur hüten und bewahren, gegen etwaige Angriffe verteidigen. Damit darf sich eine Arbeiterbewegung nicht begnügen.“ Aber auch die anarchistische Bewegung hatte ihre Hochphase schon hinter sich und nur wenig Einfluss auf die Arbeiter_innenschaft. Daher wurde versucht, in der sich organisierenden Arbeitslosenbewegung an Einfluss zu gewinnen.

Im Artikel Vernunft und Herz in der Arbeitslosenbewegung vom Juni 1931 schrieb Ritschel, die sich als Revolutionärin verstand, über den Zwiespalt zwischen den partikularen, reformistischen Forderungen der Arbeitslosen und dem Bewusstsein, dass es einer radikalen und umfassenden gesellschaftlichen Veränderung bedarf. Ritschel sprach sich gegen eine instrumentalisierende Haltung revolutionärer Kräfte aus. Nur zu gern sehen diese „in den Massen der Notleidenden den Brennpunkt, von dem aus die ganze heutige Ordnung in Brand gesetzt werden kann“. Sie plädierte für Solidarität. „Hunger tut weh. Helfen und unterstützen wir die Anstrengungen der Arbeitslosen um nicht den Zusammenhang mit dem Leben zu verlieren.“ Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Hans Detter engagierte sie sich in dem 1931 gegründeten „Selbsthilfeverband der Arbeitslosen Österreichs“.

Selbst arbeitslos geworden zog Vilma Ritschel 1934 in ein Gartenhaus in Wien-Donaustadt, wo sie sich als Subsistenzbäuerin betätigte. Aus ihrem weiteren Leben ist wenig bekannt. Sie überlebte die NS-Zeit und es gibt Hinweise, dass sie sich auch nach dem Krieg in den kleinen anarchistischen Kreisen bewegt hat. Am 26. 12. 1960 verstarb sie in Wien.

 

1 Leopold Spitzegger (24. 12. 1895 – 15. 11. 1957; Pseudonyme: Leopold Egger, L. Krafft-Wien) war Bibliothekar, anarchistischer Publizist und Dichter.

2 Erich Kurt Mühsam war ein anarchistischer deutscher Schriftsteller, Publizist und Antimilitarist. Er war 1919 an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt, wofür er zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt wurde, aus der er nach 5 Jahren freikam. 3 Rudolf Großmann (15. 4. 1882 – 27. 5. 1942; Pseudonym: Pierre Ramus) war ein österreichischer Anarchist und Anhänger von Leo Tolstoi.

4 Fanal, Jg. 5, Nr. 3, Dezember 1930, S. 62.

5 Fanal, Jg. 5, Nr. 10, Juli 1931.

6 Arbeiter-Zeitung, 17. 5. 1924

7 Die Stunde, 16. 5. 1924, S. 2.

8 Die Ungarische Räterepublik wurde am 21. 3. 1919 ausgerufen und bestand bis 1. 8. 1919. Mehr als 1200 Österreicher schlossen sich der ungarischen Roten Armee an, um die Räterepublik zu verteidigen.

Die Serie in der Referentin ist auf Anregung von Andreas Gautsch, bzw. der Gruppe Anarchismusforschung entstanden.

Öffentlicher Raum

Foto Oona Valarie Serbest

Die kleine Referentin

Idee: Elke Punkt Fleich, Terri Frühling | Illustration: Terri Frühling

Eine Ode an den Sellerie.

Der Dude wollte schon immer über Doldenblütler referieren und dieser langgehegte Wunsch geht nun auch in Erfüllung. Herrlich. Die letzten Wochen und Monate waren geprägt vom grässlichen Diskurs über selbstgezüchteten Sauerteig und dem daraus resultierenden Bobo-Brot-Stolz, Facebook- oder Instagramorgien mit niedlich arrangierten Food-Pics und Zoom-Parties mit selbstgemachten Tapas und falsch temperiertem Wein.
Der Dude liebt die Sellerie-Knolle. Und darum diese Ode. Ja, eine längst überfällige Huldigung aus tiefstem Herzen an dieses urst-leckere Gemüse. Wäre der Sellerie ein Song, wäre es wohl Chariots Of Fire von Vangelis. Analog da­zu wäre der Erdapfel wohl Kalinka, dargebracht vom Chor der Roten Armee oder die Karotte würde als Die Zufriedenheit von W. A. Mozart performen. Zu krude und unverständlich? Einfach anhören und das jeweilige Gemüse vor dem inneren Auge visualisieren. Ihr werdet den Dude verstehen. Den Sellerie und den Vangelis-Song verbindet einfach das Epische. Aber trotzdem vom Thema abgekommen. Wir kennen ja zwei Ausformungen: Den Knollensellerie und den Stangensellerie. Der Fokus des Dudes liegt eindeutig auf der Knolle. Die Stange, ja, wichtig und gut, für zum Beispiel das Soffritto oder aber auch als unabkömmliche Zutat für die Bloody Mary. Aber die oft sträflich unaufmerksam im Suppengrün (entsetzliche Erfindung) versteckte Knolle – meist ausgedörrt und lieblos zerschnitten – ist das Ziel aller geschmacklichen Sehnsüchte des Dudes. Egal, ob als Salat, Rohkost, Suppenzutat, Püree, Snack oder verarbeitet zur Würze (Selleriesalz): die Knolle ist phantastisch. Und der Dude bringt euch das, was ihr jetzt braucht: Anleitung. Los gehts!

Rezepte:
Sinnlich: Das Selleriepüree
Zutaten: Knollensellerie, 2–3 Erdäpfel, Milch/ Wasser, Salz, Pfeffer (wenn möglich, weißer Pfeffer), Muskat, Stückerl Butter.
Zubereitung: Knollensellerie und Erdäpfel grob würfeln und mit einem 50:50-Milch-Wassergemisch weichkochen (Sellerie und Erdäpfel nicht ganz bedecken). Mit einem Pürierstab so fein wie möglich sämig mixen und dann mit Butter, Salz, Pfeffer und Muskat abschmecken. Dann mit Gebratenem, egal welcher Basis (Fleisch, Vegetarisch, Vegan), verzehren.
Getränketipp: Grüner Veltliner
Fazit: Ein Gericht, das in seiner haptischen und olfaktorischen Wahrnehmung etwas fast Erotisches entwickelt. Probieren!

Unvorhersehbar: Das Duo Sellerie & Erdnüsse
Zutaten: Knollensellerie, Pflanzenöl (möglichst neutraler Geschmack), Salz, Pfeffer, Erdnüsse.
Zubereitung: Sellerie schälen und in Streifen von der Größe von Pommes Frites schneiden und mit Öl beträufeln. Dann im Rohr solange backen, bis die Ränder leicht bräunlich werden (z. B. 25 Mi­nuten bei 200 Grad Umluft). Danach in eine Schüssel geben, mit einer Handvoll Erdnüsse durchmischen und nach Geschmack würzen (Salz, Chili, Pfeffer). Etwas abkühlen lassen und wegsnacken.
Getränketipp: Tonic mit oder ohne Gin.
Fazit: Ein besonderer Snack, der bei geschickter Handhabung fast kalorienfrei ist.

Alternativ: Das Sellerieschnitzerl
Zutaten: Sellerie, Ei, Mehl, Semmelbrösel, Milch, Salz, Pfeffer, Butterschmalz oder alternativ da­zu ein neutrales Öl.
Zubereitung: Sellerie schälen und in zentimeterdicke Scheiben schneiden und in einem Topf Wasser bissfest kochen. Mit Mehl, Ei-Milch-Gemisch und Semmelbrösel panieren und im Fett bei mittlerer Hitze rausbraten. Dann mit Reis, Petersilerdäpfel und ausreichend Preiselbeermarmelade servieren. Gut passt dazu ein einfacher, grüner Salat.
Getränketipp: Eine halbe Bier – am besten aus dem Mühlviertel.
Fazit: Ein perfekte Alternative zum fleischbasier­ten Schnitzerl. Entweder als Abwechslung oder als Ersatz. Funktioniert beides hervorragend.

Einiges über Hans Eichhorn

Hans Eichhorn ist im Februar diesen Jahres verstorben. Erwin Einzinger über den Schriftsteller.

Bild Nachlass Hans Eichhorn; OÖ. Literaturarchiv/Adalbert-Stifter-Institut

Falls Sie selber schreiben oder sich auf andere Weise kreativ oder erfinderisch betätigen – und dies trifft vielleicht auf etliche derer zu, die vorliegende Kunstzeitung gern lesen –, darf ich als Möglichkeitsspiel gleich zum Einstieg diese Frage stellen: Kennen Sie jemanden, mit dem oder der zusammen Sie sich vorstellen könnten, auf irgendeinem künstlerischen Feld Gemeinschaftsarbeiten zu fabrizieren und vielleicht sogar ein Buch in Koproduktion zu schreiben? (Es wäre freilich zu bedenken, wie kompliziert und egozentrisch und in sich versponnen nicht wenige aus unserer Branche angeblich sind …) Hans Eichhorn habe ich in Rauris vor gut sechsunddreißig Jahren zum ersten Mal getroffen. Als wir dann versuchsweise schließlich auch einmal zusammen etwas produzieren wollten, waren wir seit mehr als zwei Jahrzehnten Freunde. Der Impuls dazu kam, wie ich mich erinnere, damals von ihm, es ging um Malerei. Er rief mich eines Morgens an, er habe gerade alles vorbereitet, ich solle an den Attersee kommen, um das schon mehrmals vage angedachte Unternehmen einfach einmal anzugehen. Und am Ende dieses Tages hatten wir so zirka zwanzig wilde Bilder auf Karton, die meisten im Format 100 x 70 cm. Die Idee, etwas Vergleichbares dann auch mit Literatur zu wagen, lag für uns beide nahe. Hans hatte eines Tages einen Plan für ein Theaterstück und ließ mir für meinen Anteil völlig freie Hand, gab mir nur Hinweise zu den Figuren und zum groben Handlungsplan, und danach schrieben wir drauflos, jeder auf bestimmte Kernaspekte fokussiert. Ich hatte durch die vielen Dramolette, die er bereits verfaßt hatte, längst Geschmack daran gefunden, mich auch an Dialogen zu versuchen, und in unserem Konzept gab es genügend Raum für Ungewöhnliches und echten Irrwitz, obwohl ich immer spürte, daß Hans in etwa wußte, wohin das Stück sich letztlich zu entwickeln hatte.
Das nächste war dann ein erzählendes Projekt, Post aus Palermo, diesmal machte ich den Anfang. Ausschnitte daraus wurden dann später in der Grazer Zeitschrift manuskripte sowie in einer Sonderausgabe der Linzer Rampe abgedruckt. (Mit Schmunzeln und ein wenig Wehmut stieß ich im Verlauf meiner Lektüre seines umfangreichsten und vorletzten Buchs, des imponierenden Romans FAST das Große Haus, der im Vorjahr erst erschienen ist, auf eine Stelle, wo er einmal kurz eine Figur aus diesem längst abgeschlossenen gemeinsamen Projekt vorkommen läßt, eine extreme Dame aus dem geheimnisvollen Graubündner Landschaftstheater …)
Unser ebenfalls in Zusammenarbeit geschriebenes Langgedicht Herbstsonate ist dann als einziges unserer Gemeinschaftsprojekte auch als Buch erschienen, in der edition sommerfrische im Rahmen der Bibliothek der Provinz, bis zur Fertigstellung sorgfältig betreut vom Fotokünstler Klaus Costadedoi, mit dem zusammen Hans bereits zuvor mehrere Prachtbände mit Fotos aus der Attersee-Region in Kombination mit Kurzgedichten realisiert hatte.

Unsere erste Begegnung fand also 1984 in Rauris statt, ich war als Preisträger eingeladen, hatte bereits zuvor als Juror für einen parallel zu vergebenden Förderpreis einen anonym eingereichten Prosatext mit dem Titel Die Keuschheitsecke als eindeutigen Favorit auf meiner Liste gehabt. Der Förderpreis ging zwar, weil die beiden Mitjuroren den Beitrag eines anderen Autors, von dem ich nie mehr etwas gehört habe, noch besser fanden, nicht an den uns damals unbekannten Hans Eichhorn aus Attersee, aber er erhielt ein Arbeitsstipendium, und so fing alles an.
Hans lebte im elterlichen Fischerhaus am See, hatte in Salzburg kurze Zeit ein Studium betrieben, das er aber bald schon aufgab, um sich intensiv der Literatur und auch der Fischerei zu widmen. Es dauerte nach Rauris allerdings fast ein Jahrzehnt, bis dann sein erstes Buch im Residenz Verlag erschien, der Gedichtband Das Zimmer als voller Bauch, mit einem blauen Fisch am Boden eines leeren Zimmers auf dem von Walter Pichler stammenden Umschlag. Von da an kamen in erstaunlicher Geschwindigkeit die weiteren Werke heraus, etwa der Roman Circus Wols, eine großartige Studie zu Leben und Werk des einem breiteren Publikum leider immer noch wenig bekannten bildenden Künstlers Otto Wolfgang Schulze, der seinen Namen zu Wols verkürzt hatte und dessen kleinformatige Bilder von hoher Expressivität Hans Eichhorn stets geschätzt hat. Zugleich liefert der Roman beinahe tagebuchartige Protokolle aus dem Alltag des Schreibenden, wobei immer wieder erstaunliche Verbindungen zu Biografie und Bildern des Künstlers Wols hergestellt werden.

In seiner eigenen bildnerischen Tätigkeit entwickelte Hans ziemlich bald eine ganz spezielle Arbeitsweise, indem er vorwiegend auf Abfallmaterial produzierte, etwa leere Milchpackungen auf der beschichteten Seite übermalte, wobei er für sein Malen weniger den Pinsel nutzte als die Spachtel oder seine Finger. Auch ließ er stets dem Zufall großen Raum und integrierte manches aus dem Hintergrund von Schachteln und Kartons jeglicher Art in das sich rasch entwickelnde Tableau, das kaum Figuratives lieferte, sondern die Kraft der Farben wirken ließ.
Viele seiner Bildschöpfungen verwendete er früh als Postkarten, die er über all die Jahre an die Freunde und Kollegen schickte. Mit dem Autor und bildenden Künstler Richard Wall hatte er schon 1996 einen regelmäßigen Bildkartenaustausch begonnen, ein Projekt, das später ausschnittsweise auch im Stifterhaus besichtigt werden konnte, in einer höchst originellen Ausstellung, betitelt Grüße an das russische Volk.
Einen guten Eindruck von seiner bildnerischen Arbeit kann man allerdings auch im bereits erwähnten Roman FAST das Große Haus bekommen, erschienen in der Bibliothek der Provinz und mit zahlreichen Farbreproduktionen seiner Bilder illustriert. Darin heißt es auf Seite 567 einmal: Es gab ja einen ungeheuren Fundus an gelebten und erlebten Eindrücken, die völlig unkontrolliert an die Oberfläche schwapp­ten und wieder verschwanden. Dieser Satz bezieht sich zwar in erster Linie auf das Schreiben, aber auch an seinen Bildern kann man sehen, daß die Arbeit mit gelebten und erlebten Eindrücken stets das Flüchtige und Fließende betont.
Als dieses umfangreichste seiner Bücher wie ein abschließender Meilenstein erschien, hatte Hans Eichhorn nicht nur, aber vor allem in der Literatur längst ein beeindruckend vielschichtiges Werk aus etwa dreißig Büchern geschaffen, die in den beiden Verlagen Residenz und Bibliothek der Provinz publiziert wurden. Der letztgenannte Verlag kümmerte sich neben zahlreichen Prosa- und Gedichtbänden auch um seine einzigartigen Dramolette, Szenen und Mikrogramme. Aber daneben gab es über die Jahre auch unzählige verstreute Veröffentlichungen in den verschiedensten Zeitschriften, und wer sich diesbezüglich einen Überblick verschaffen will, kann das anhand einer Sonderausgabe der in Linz erscheinenden Zeitschrift Die Rampe tun, die ein ausführliches Porträt von Hans Eichhorn und zahlreiche Beiträge zu seiner Arbeit enthält und von der Literaturwissenschaftlerin Alexandra Millner herausgegeben worden ist.

Noch einmal ein Blick zurück: Nachdem seine Frau Elisabeth an der Handelsakademie in Kirchdorf zu unterrichten begonnen hatte, verlagerte sich das Leben von Hans Eichhorn ins Kremstal, wo die Kinder Rosa, Johannes und Andreas dann auch Kindergarten und die Schulen besuchten. Zum Fischen fuhr er je nach Jahreszeit und Fangsaison regelmäßig ins Elternhaus am See, aber einen großen Teil der Zeit war er fortan in Kirchdorf, sodaß wir regelmäßige gemeinsame Spaziergänge in den Wäldern am Wienerweg in Micheldorf vereinbarten, bei denen wir uns unter anderem auch viel über unsere jeweiligen Arbeitsvorhaben unterhielten.
Hans betrieb in seinen Büchern eine intensive Forschungsarbeit mit dem Material Sprache, ausgehend von einem Einzelsatz versuchte er zu erkunden, wohin Spontanbeobachtung und Assoziationsprozesse ihn trieben, ohne daß er dazu die Konstruktion erfundener Geschichten zu Hilfe nehmen wollte. Jeder neue Anlauf zu einem Projekt hatte den deutlichen Charakter eines Experiments, bei dem sehr vieles möglich war und sich die Form erst nach und nach ergab. Das Prinzip der Wiederholung und des Schürfens und Vertiefens spielt dabei vor allem in der Prosa eine Rolle, während in den Gedichten meist imponierende Augenblicksnotate und Impressionen wie in Großaufnahme präsentiert werden.

Die meisten seiner Bücher sind zum Glück auch nach wie vor erhältlich, vor allem deshalb, weil sein langjähriger Verleger Richard Pils eine in dieser Art vermutlich einzigartige Lagermöglichkeit in den Räumlichkeiten von Schloß Raabs im Waldviertel besitzt. Unter der schon erwähnten und ohnehin weithin bekannten Verlagsadresse Bibliothek der Provinz sind sie weiter lieferbar.
Das letzte Buch – ein Prosaband mit dem Titel Ungeboren – war soeben erschienen, als meine Frau und ich den schon seit langer Zeit schwer Kranken in der Palliativstation des Vöcklabrucker Krankenhauses noch einmal besuchen konnten. Es ist dies eine um Entstehen und Vergehen kreisende Studie mit zarten Illustrationen aus der auf Repetition und minimale Variationen setzenden Zeichenpraxis von Tochter Rosa. Ein nächstes Manuskript, hat seine Frau uns einen Tag nach seinem Tod erzählt, hatte er noch auf dem Sterbebett weitgehend redigiert. Auch diese ungebrochene Schaffensenergie, die bis zuletzt so typisch war für ihn, haben nicht wenige seiner Kollegen stets an ihm bewundert.

Für seine literarische Arbeit hat er zahlreiche Preise erhalten, neben dem manuskripte-Preis des Landes Steiermark auch den Landeskulturpreis Oberösterreich und zuletzt in Salzburg den renommierten Georg-Trakl-Preis für Lyrik, ehe er zwei Monate vor seinem Tod noch den Heinrich-Gleißner-Preis in Linz verliehen bekam.
Schon nach der Veröffentlichung seines ersten Gedichtbands hatte er Einladungen zu Werkstattgesprächen im berühmten Lessinghaus in Wolfenbüttel und einen Arbeitsaufenthalt in Amsterdam erhalten.

Seine bildnerischen Arbeiten wurden immer öfter in Ausstellungen präsentiert, hervorzuheben wäre dabei auch eine außergewöhnliche Aktion, bei der er mit dem Künstler Klaus Krobath zusammenarbeitete und Leinwände einige Wochen lang in den See versenkte und die Mikroorganismen und Algen ihre Arbeit verrichten ließ. Die Ergebnisse wurden im Jahr 2000 im Linzer Stifterhaus präsentiert, wo zahlreiche Lesungen aus seinen fast im Jahresrhythmus publizierten Büchern stattfanden und auch insofern als einzigartig in Erinnerung bleiben werden, als er stets geräucherte Fische aus dem Attersee für ein willkommenes Büffet mitbrachte.

Vor ein paar Jahren hat mir Hans leicht amüsiert erzählt, welches Erlebnis dazu führte, daß eines Tages pausenlos und häufiger als je zuvor sein Telefon geläutet hat. Es hatte nichts mit seiner Tätigkeit als Autor oder Maler zu tun, aber die Zeitungs- und die Rundfunkleute, die sich meldeten, wollten alle davon berichten, daß er auf einer seiner Fahrten auf den See nach zwanzig Jahren und aus neunzig Metern Tiefe zufällig seine eigene Geldbörse geborgen hatte. Das Ankerseil des Fischerboots hatte sich um den dreizackigen Stahlanker gewickelt, daß dabei ein Knäuel entstand, und darin fand sich die Geldbörse samt Bankomat-Karte und rund 500 Schilling Bargeld. Keines seiner Bücher hat offenbar so viele Journalisten zur gleichen Zeit interessiert, die traditionellerweise meist, wenn sie über ihn und seine Arbeiten berichteten, zu dem naheliegenden Vergleichsfeld griffen, daß er als der vermutlich einzige bekannte Schriftsteller, der zugleich Fischer war, bei seiner künstlerischen Arbeit ebenfalls die Netze auswarf, nur eben diesmal auf der Suche nach Worten oder Bildern aus seinem Bewußtseinsraum.
In einem Filmbeitrag über Marseille war zufällig unlängst ein Fischer zu sehen, der viele Jahre nach dem Absturz des Schriftstellers und Fliegers Antoine de Saint-Exupéry vor der südfranzösischen Küste dessen Armbanduhr mit eingraviertem Namen aus der Tiefe gezogen hat.

Nicht erst, seit Hans nicht mehr am Leben ist, lese ich immer wieder in dem einen oder anderen seiner Bücher, wobei ich eine besondere Vorliebe für seine höchst eigenwillige Prosa habe. Im Residenz Verlag waren neben dem Circus Wols-Roman noch weitere großartige Erzählbände erschienen: Die Liegestatt (2008), Das Fortbewegungsmittel (2009), Und alle Lieben leben (2013).
Und ganz besonders schätze ich ein wunderbares Experiment, in dem er auf der Basis des ungarisch-schwäbischen Märchens vom Ichweißnicht dessen Erzählkern immer wieder variiert und zugleich auch auf seinen Alltag zu beziehen sucht. Es ist dies der 2009 im Verlag Bibliothek der Provinz erschienene Band Das Ichweißnicht-Spiel. Gleich auf der ersten Seite heißt es darin programmatisch: Ein Märchen zerdröseln, es so lange lesen und nacherzählen, bis der Leser oder Nacherzähler in diesem Märchen lebt, es als sein Lebensmärchen weiß und weitergeben will. Drei vorangestellte Motti stammen von Peter Handke, Franz Kafka und Samuel Beckett, den Hans sein Leben lang geschätzt und überaus bewundert hat.
Dessen bekannte Großzügigkeit und Bescheidenheit hat er auch selbst auf seine ganz eigene Art gelebt. Das Kafka-Zitat endet mit dem Satz: Wer die Fragen nicht beantwortet, hat die Prüfung bestanden.
Daß das Nichtwissen, das Zögern und versuchsweise Vorantasten ebenso wie das Abwägen und im Selbst- oder Zwiegespräch ins Extrem getriebene Räsonieren ein Merkmal seiner gesamten Arbeit ist, wird mir beim erneuten Lesen seiner Bücher immer klarer. Auch wirken die Figuren in den Dramoletten oft gescheitert, dabei sind sie bloß nicht gewillt, gewisse Kompromisse mit den Kategorien eines Durchschnittslebens einzugehen, und sie beharren dabei auf Charakter, Eigenart und einem wachen Sprachbewußtsein, was einerseits zu Komik führt, aber zugleich eine Wahrheit transportiert, die im Alltag oft nicht wirklich eine Chance erhält.

Hans ist am 29. Februar verstorben, knapp zwei Wochen nach seinem Geburtstag und zwei Tage nach dem dreiunddreißigsten Hochzeitstag, den er mit seiner Frau noch zu Hause erleben wollte. Die Söhne, von denen einer zumindest im Nebenberuf die Fischerei weiter betreiben wird, waren ebenfalls rechtzeitig gekommen.
Sein Grab ist wenige Schritte von dem Ort entfernt, an dem einst zufällig unsere erste gemeinsame Lesung stattgefunden hat, dem Pfarramt Attersee, vor mittlerweile schon recht langer Zeit. Und der Zufall, wie man so sagt, hätte es anscheinend noch gewollt, daß wir im heurigen März – ganze sechsunddreißig Jahre nach unserer ersten Begegnung – erneut beide in Rauris eingeladen gewesen wären.

 

NEIN, ES IST NICHT BESSER GEWORDEN,
die geschwollenen Füße zeugen von der
Vertümpelung deines Kreislaufes. Noch
läufst du, ja, doch die Nudelsuppe hast du
über und die Grießnockerl sind dir Beifang
genug und der Reinankenrogen rutscht dir
mit Verlaub den Buckel hinunter. Zweite
und dritte Fangzäune sind entlang der
Skirennpiste aufgestellt. Schon zappelt
einer, wird mit dem Hubschrauber
abtransportiert. Die Strecke ist eisig,
die Kanten geschärft, der Bestzeitdruck
das Ein und Alles. Katzenkleines schläft
mit leicht zuckenden Pfoten. Ja, es ist nicht
schlecht genug, nein, die Restnacht
schürt keine Erwartung mehr.

(Aus: „Nur mehr das Blühen“, Edition Sommerfrische)
Textzitat: stifterhaus.at

Die erwähnten Rauriser Literaturtage wurden heuer wegen der Corona-Krise abgesagt. Ebenso die Veranstaltung im Stifterhaus am 27. April: „Abschied von und Hommage für Hans Eichhorn (1956–2020)“

Post Wurf City: Return to Sender?

Architektur und Städteplanung: Im Herbst 2019 wurde das Ergebnis des Realisierungswettbewerbs „Post City Linz“ öffentlich bekannt gegeben – es geht um die Neubebauung des Areals des ehemaligen Post­verteilerzentrums neben dem Linzer Bahnhof. Ausgeschrieben war ein internationaler zweistufiger Wett­bewerb. Christoph Wiesmayr hat sich das Siegerprojekt eines Grazer Architekturbüros angesehen und beginnt mit der Frage, warum der Verkehr die Stadt dominiert und stellt fest, dass das gewöhnliche Hochhaus nicht die einzige städtebauliche Lösung sein muss.

Ausgangslage.
Das ehemalige Postverteilzentrum der Österreichischen Post AG hat seit dem Auszug im Jahr 2014 seine angestammte Funktion verloren und diente in den letzten Jahren u. a. als Veranstaltungsort für die Ars Electronica. Nun sollen die neben dem Linzer Bahnhof liegenden Bestandsgebäude des Postverteilerzentrums abgebrochen und das Areal städtebaulich und immobilienwirtschaftlich neugestaltet werden. Auf der Liegenschaft mit rund 4 Hektar Gesamtfläche soll daher eine Quartiersentwicklung mit Gebäuden in einem Ausmaß von ca. 150.000 m2 Bruttogeschoßfläche entwickelt werden – mit Mischnutzungen für vielfältige Wohnformen, Büros, Hotel, Handel und Dienstleistungen, Entertainment sowie ein Ärztezentrum.

Der Verkehr dominiert die Stadt, nicht die BürgerInnen.
Die Stadt Linz wächst, und somit auch die Verkehrsbildung. 100.000 Pendler pro Tag drängen täglich in die Stadt und wie­der hinaus. Mehrspurige Einbahnstraßen durchschneiden die Innenstadt in Nord-Süd-Richtung. Der entstehende Frein­berg­tunnel und neue Brücken werden als Lösung des Verkehrsproblems gesehen. Aber in Wahrheit verhält es sich wie mit einem Kranken mit Herzleiden, es wird operativ ein weiterer Bypass gelegt und dann wird’s schon noch ein paar weitere Jahre gut gehen. Eine Computersimulation der Firma Geoconsult veranschaulicht das im Bau befindliche Projekt der A26, das in direkter Beziehung zum geplanten Bau­projekt der Post City steht, näher. Demnach ist auch über der Untertunnelung im Bereich Waldeggstraße weiterhin eine Stra­ßennutzung, jedoch auch mit Radweg, vorgesehen. In der Computersimulation heißt es: „Die A26 bringt große Vorteile. So wird das innerstädtische Linzer Straßennetz vom Verkehr entlastet. Die Lärm- und Luftbelastungen werden durch den Verlauf der Strecke im Tunnel ge­rin­ger. Der Tunnel wird ausschließlich über die Portale und die Betriebszentrale in Bahnhofsnähe entlüftet. (…) Durch die Verlagerung des Verkehrs in den Tunnel wird das städtische Straßennetz entlastet und somit Lärm- und Schadstoffbelastung deutlich verringert (…)“
Diese Angaben klingen lt. aktuellen Ver­kehrsstudien widersprüchlich. Die Ge­samt­verkehrsleistung in Österreich hat in den letzten 20 Jahren um 33 % zugenommen – unter anderem zurückzuführen auf den Bevölkerungsanstieg von rund 8 % und auf die um 16 % längeren Wege. Wenn dieser Trend weiterhin steigend aus­fällt, ist sogar mit einer Mehrbelastung von Verkehr wie auch Schadstoffbelastung zu rechnen, da die bisherigen Straßen als solche erhalten bleiben und durch den Verkehr im Tunnel folglich Verkehrs­mehr­aufkommen hinzukommt! Die Ge­samtbaukosten für die A26 werden jedenfalls von der ASFINAG mit 668 Millionen Euro beziffert, davon ist die Stadt Linz mit 5 % und das Land mit 10 % beteiligt. Die Fertigstellung wird für das Jahr 2031 prognostiziert. Einerseits stellt sich die Frage, ob bei diesen hohen Investitionen nicht auch der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, z. B. eine Stadtschnellbahn vom Hauptbahnhof durch den neuen Tunnel zum Mühlkreisbahnhof, hinzugezogen werden hätte können. Andererseits müsste ein Plan für die innerstädtische Verkehrsentlastung, sprich eine deutliche Verkehrsreduktion der bisherigen Straßenverbindungen ausgearbeitet werden. Die 2007 er­öffnete Überplattung am Bindermichl etwa kann mit dem darauf entstandenen Landschaftspark und den für die Bewoh­nerInnen entstandenen positiven Effekten als Vorbild herangezogen werden. Die beiden Stadtteile Bindermichl und Spallerhof konnten durch den entstandenen Grünraum verbunden werden. Eine Umsetzung von verbundenen Grünräumen anstatt Verkehrs(mehr)belastung für BewohnerInnen ist jedoch an diesem Standort derzeit nicht absehbar.

Immissionen.
Was bedeutet das nun für den Standort Post City? Die Immissionen werden am Standort lt. Auslobung weiter geringfügig zunehmen. „Durch die Lage der Bahn und den umliegenden Straßen ist mit erheblichen Lärmbelastungen und verkehrsbedingten anderen Emissionen zu rechnen.“ Vorgeschrieben wurde daher eine Schallobergrenze von 60 dB für emissions­geschützte Kinderspielplätze und ein Fassadenschallpegel von mehr als 50 dB nachts. Rein bautechnisch lassen sich die geplanten Hochhäuser auf diese Werte hin realisieren. Bei Dreifach-Isolierglasschei­ben und kontrollierter Wohnraumlüftung ist es nicht mehr nötig, ein Fenster zu öffnen. Isoliertes, also von der Umwelt ab­geschottetes Wohnen liegt im Trend. Der Mensch taucht ab in seine gläserne Kapsel … und am Wochenende: Nichts wie weg! Weil man’s da eh nicht mehr aushält.

Unmut bei ArchitektInnen.
Zum einen waren die Empfehlungen diverser Gutachten (Emissionsschutz) im Ge­winnerprojekt nicht wiederfindbar. Zum anderen war nach Bekanntgabe der Wettbewerbsentscheidung keine öffent­liche Ausstellung oder Präsentation der eingereichten Projekte vorgesehen – die Wettbewerbsprojekte waren zwar aufgelistet im Internet zu finden, ein Projekt dieser Größe liegt aber in einem allgemeineren Interesse der Bevölkerung. Dank Eigeninitiative des Architekturforums OÖ konnte dann doch ein umfassender Einblick in die Arbeiten bis Jänner 2020 gegeben werden. Weiterer Unmut in der Architekturszene: Das Gesamtprojekt soll nur von einem Bauträger umgesetzt werden.

Ville oder Citè – Zwei konträre Ansätze auch bei Platz 1 und Platz 3.
Der Stadt- und Kultursoziologe Richard Sennett navigiert in seinem Buch „Die offene Stadt“ zwischen der nachbar­schaft­lichen Citè mit Ortsbewusstsein und der anonymen Ville. Weiter unterscheidet er in seinem Buch drei Formen des städtischen Gewebes. Es folgt der Versuch, anhand Sennetts Thesen die Qualitäten bzw. Schwächen zweier beim Wettbewerb eingereichter Projekte nachzugehen: Die prämierten Projekte auf Platz 1 und Platz 3 könnten nicht unterschiedlicher ausfal­len. Alle bis auf das drittplatzierte Projekt waren ausschließlich als Hochhauskon­zep­te entworfen worden.

Gewinnerprojekt: Nussmüller Architekten, Graz.
Additives Gewebe – mit kristalliner Ausformung: Blickt man von oben auf das Städtebaumodell wirken die einzelnen kristallin anmutenden Baukörper harmonisch zueinander gesetzt. Es wirkt wie ein Entwurfsansatz einer Ville aus den 90ern. Die insgesamt elf locker gesetzten, unterschiedlich ausgeformten und gefasten (Anm: abgekanteten) Hochhäuser bieten großzügigen, unterschiedlichen Frei­raum mit eigenem Quartierspark und Plateaus im Dazwischen. Das Abschrägen der Hochhauskante und die Ausrichtung der Schmalseite zur Hauptwindrichtung aus West bewirkt, die Fallwinde zu reduzieren (s. Studie in Auslobung). Und Sennett etwa entdeckte die abgeschrägte Kante auch bei Ildefons Cerdàs Super­blocks in Barcelona: Genau an diesen Schrägen entstand urbanes Flair mit Cafés und entschleunigten Räumen zur Fahr­bahn hin.
Erdgeschoßzone auf dem Prüfstand: Jeder, der beispielsweise am Hauptbahnhof in Wien ankommt, kennt die Situation mit flankierenden Hochhäusern, Zugluft und Freiraumflächen, die kaum zum Verwei­len einladen. Ob das hier anders gelingt, ist noch nicht garantiert. Meist scheitern Wettbewerbe mit „grünen Schaubildern“ an den steigenden Kosten der Zukunft. In der Realität reduziert sich die zuvor üppig geplante Landschaftsgestaltung auf mo­no­tone Rasenflächen, Solitärbäumchen und kühl-abweisendes, jedoch vandalensicheres Sitzmobiliar.
Durch die Freiflächen zwischen den Hochhäusern und durch großzügige Terrassen, die die Hochhäuser durchziehen, suggeriert das Projekt städtische Durchlässigkeit auch in das benachbarte Umfeld. Doch darin liegt die Hauptproblematik des Projekts: nämlich der in Plänen und Modellen unsichtbare, nicht darstellbare Faktor immaterieller Einflüsse durch Abgase (geplante Tunnelausfahrt) und Abrieb (Bahn). Die verletzliche „Offenheit“ im Umgang mit der „Kante“ ist im höheren Ausmaß lärm-, wind-, und emissionsanfällig. Sie dient auf keinem Fall zum Schutz vor Zugluft und Emissionen. Eine Aufenthaltsqualität im Sinne der Citè ist demnach nur schwer vorstellbar.

3. Preis: Caramel & TP3 Architekten, Linz
Gewebe aus Zellen / Slow Town / Stadtmosaik: Das Konzept kommt konsequent ganz ohne Hochhaus aus. Der Entwurf mutet auf den ersten Blick wie ein flach verwobener Teppich an. Eine klar de­fi­nier­te Kante zum Schutz des Herzes des Quar­tiers und seiner BewohnerInnen, etwa vor den Auswirkungen des Verkehrs, ist mit identitätsstiftenden Innenhöfen und unter Einhaltung aller Planungsvorgaben in weiten Teilen überzeugend ge­lungen. Die Qualitäten einer Citè kommen in den Dar­stellungen sehr gut zum Vorschein. Die Perspektive ist spürbar je­ner der zukünftigen Bewohner und da­mit einem menschlichen Maßstab ange­passt, sprich etwa konkret einer Aufent­halts­qua­lität. Kon­krete Darstellungen für nachhaltige Nutzung der Innenhöfe oder Grün­flächen mit Allmendenutzung bzw. Urban Gardening machen das Projekt ge­sellschaftlich griffiger, jedoch auch politisch angreifbarer.

Willkommen in der Post- Bauwutgesellschaft: Von der Überhitzung der Städte
Die Dekonstruktivisten schrien einst laut­hals: „Architektur muss brennen!“ – und heute brennt die halbe Welt, von Kalifornien bis Australien. In unseren Städten wird es im Sommer unerträglich schwül und heiß. Versiegelte Flächen und Baumassen speichern die Wärme und geben diese über die Nacht amplitudisch ab. Zu einer Abkühlung kommt es daher kaum. Kühlgeräte auf den Dächern verstärken diese Problematik. Wir müssen die Städte wieder lebens- und liebenswerter gestalten!

Der utopische Traum eines Linzer Flaneurs.
Ich träume von einer Stadt, in der ich früh­morgens als willkommener Bürger auf die Straße vor meiner Tür hinaustrete und nicht unmittelbar in den lauten und stinkenden Verkehr hineinstolpere. Mein Sohn hat auf dieser Straße genug Raum, seine ersten Schritte entlangzugehen – ohne die Angst, sofort überfahren zu werden. Die Trottoirs sind breit genug und zur Fahrbahn hin mit stattlichen Bäumen und auch Sträuchern gesäumt. Man hört Vogelgezwitscher von den Baumkronen. Da und dort finden sich Einbuchtungen mit Sitznischen, die zum Verweilen einladen. Eine turnende Menschengruppe hat auch Platz gefunden. Es kommt vor, dass mitten am Weg spontan ein Gespräch mit Passanten zustande kommt. Autofreie Straßenzüge laden zum Flanieren ein. Historische Hausfassaden erhalten ihre Würde zurück, erscheinen in alter Pracht, man kann sie nun ungestört im Vorbeigehen bewundern. Man fragt sich, warum sie einem nicht schon früher aufgefallen sind. Aus dem Auto waren diese nicht zu sehen. Ich atme tief ein und wieder aus – wie gut doch die Luft hier ist!

Linz möchte Klimastadt 2025 und Innovationsstadt zugleich sein?
Das Gewinnerprojekt wird mit dieser herkömmlichen Bauweise keine aktuellen internationalen Maßstäbe setzen können. Eine oberflächliche Geste erzeugt noch keine Wohnqualität! Es ist hier wieder eine Chance vergeben worden, Investitionen nicht nachhaltig angedacht zu haben, sondern für den schnellen Gewinn und für eine kurze Zeitspanne mit hohem Ressourcenverbrauch und Energieaufwand zu planen und zu bauen (Abbruch Beton; Neubau in Beton, Steinwolle und Glas!).

Geht’s der Umwelt gut geht’s uns allen gut.
Wem nutzen schon weitere Glaspaläste? Wenn schon Hochhäuser, warum dann nicht in Holz bzw. in einer Hybridbau­weise aus Holz und Beton? „Vergleicht man es mit einem Stahl-Beton-Hochhaus, sparen wir 2.800 Tonnen CO2-Äquivalente. Das bedeutet, man könnte 1.300 Jahre lang täglich 40 Kilometer Auto fahren“, stellte der Architekt Rüdiger Lainer mit dem HOHO-Hochhausprojekt in Wien Aspern, dem derzeit höchsten bzw. zweit­höchsten und teilweise bereits fertig­ge­stell­ten Holzhochhausprojekt der Welt, einen Vergleich an. Oder betrachten wir ein Wohnhochhaus als „Green Tower“ – mit begrünter Fassade mit nachweislich gebäudekühlender, windreduzierender und luftreinigender Wirkung! Wieder schauen wir zu, wie andere Städte wie Wien, Bar­celona, Mailand, … uns in Sachen Innovation vorauseilen! Warum kann man nicht auch in Linz nachhaltig und visionär für eine bessere Lebensqualität bauen? Könnte man nur zehn anstatt der geplanten elf Hochhäuser bauen, und diese dafür nachhaltiger gestalten? Aktueller nachhaltiger Städtebau plant etwa mit „Animal Aided Design“: Warum nicht begrünte Fassaden mit integriertem Design von Nistkasten-Plug-Ins für Insekten und Vögel groß­flä­chig einplanen?
Moderne Gebäude benötigen zwar immer weniger Energie, der für sie nötige Auf­wand in Unterhalt und Wartung wird jedoch immer höher! Visionäres Denken für die Zukunft: Was kann der Mensch re­geln, wenn man in einem Bürohaus auf jegliche Anlagen für Heizung, Lüftung und Kühlung verzichtet? Die Antwort heißt 2226 und steht im Millennium Park Lustenau von Baumschlager Eberle Architekten. Man möge sich im Netz dazu genauer erkundigen*.

Doch lieber ein Stadion?
Am Ende bleibt da noch die Frage, ob die Nutzungsvorgabe eine richtige Entscheidung für diesen schwierigen Standort war. Die vorangegangene Standortdiskussion über ein neues Linzer Stadion hätte hier wohl mehr Vorteile als der zuvor an­ge­dachte Standort Pichlingersee sowie auch auf der Gugl gehabt. Nicht nur allein die unmittelbare Verkehrsanbindung würde da­für sprechen. Eine Verkehrsentlastung zur Gugl hin wäre garantiert gewesen und das bestehende Stadion hätte für eine attraktivere Wohnbaunutzung umgestaltet werden können. Eine klassische ovale Grundform, die sich vom Außenraum schützt, hätte bei guter architektonischer Planung auch die Stadteinfahrt attraktiv aufwerten können.

Zumindest die Fridays for Future – Klimastreiks werden sich am Linzer Bahnhofsvorplatz weiterhin als Ausgangsort genau richtig erweisen. Die kommende Generation wird sich in Linz in einer Post-Bauwutgesellschaft wiederfinden, die sich über die zahlreichen vergebenen Chancen für eine klimagerechtere Stadt mehr als nur wundern wird.

 

Post City Architekturwettbewerb
www.architekturwettbewerb.at/competition.php?id=2396

Präsentation im Architekturforum OÖ
afo.at/programm/postcity

DorfTV-Talk mit Christoph Wiesmayr und Caramel-Architekten Ulrich Aspetsberger zu Gast bei Martin Wassermair.
dorftv.at/video/32342Zur

Computersimulation Geoconsult, Verkehrsaufkommen A26: www.youtube.com/watch?v=PTw6RrLgJr4

 

 

Richard Sennett; Die offene Stadt. Eine Ethik des Bauens und Bewohnens.
2018 Hanser Berlin in der Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München.

Wolf D. Prix;
www.coop-himmelblau.at/architecture/news/architektur-muss-brennen-documentary-film-marks-wolf-d-prixs-75th-birt

Wien; HOHO, 84m Hochhaus in Holzbauweise
www.proholz.at/architektur/detail/24-stockwerke-wien-soll-groesstes-holz-hochhaus-der-welt-bekommen

Barcelona; Plan zur autofreien Stadt
mobil.stern.de/auto/barcelona-schmeisst-die-autos-aus-der-stadt—so-radikal-plant-die-stadt-9070240.html?utm_source=facebook&utm_campaign=stern_fanpage&utm_medium=posting&fbclid=IwAR3Hr5tJ_GcMiZqb3AWUtjcmTII0yIP0YiDIMlQzNdyiXrihq8O1NSHtBeA

Mailand; Bosco Verticale, Green tower, 111M Höhe, boeri studio.

Millennium Park Lustenau; Baumschlager Eberle Architekten, Projekt 2226

Die kleine Referentin

Terri Frühling/Elke Punkt Fleisch

„… da gibt es nichts Subtiles bei mir.“

Jakob Lena Knebl ist Künstlerin, Kuratorin und „Walrus“, baut utopische Räume, erforscht und bildet Visionen wie sonderbare Atmosphären. Sie arbeitet mit Spiegelungen, Wiederholungen und Auslassungen, mit Irritationen und raschen Szenenwechseln. In „Frau 49 Jahre alt“ inszeniert sie im Lentos ein Environment im Stil der 1970er-Jahre, das Werke aus der Sammlung des Kunstmuseums mit eigenen Arbeiten verknüpft und ähnlich einem Baukasten präsentiert. Bettina Landl ist bei einer Künst­lerinnenführung durch die Ausstellung mitgegangen und berichtet.

Zwei Ausstellungsräume, einem Puppenhaus ähnlich, zeigen die Dichte, in und mit der Knebl arbeitet. „In meinen Arbeiten führe ich die Kunst- und Designgeschichte zusammen. Mir geht es dabei um eine Demokratisierung der beiden Felder.“, schildert die 1970 in Baden geborene Künstlerin ihre Überlegungen. „Mittlerweile ist es zu einer Methode von mir geworden, mit Sammlungen zu arbeiten, weil ich damit zeigen kann, woher ich meine Inspiration als Künstlerin beziehe. Ein Vorteil dabei ist, dass ich keinen kuratorischen Normen entsprechen muss. Man verzeiht es einer Künstlerin, wenn sie ein Gemälde Paula Modersohn-Beckers vor den Druck eines Schweinsbratens hängt.“

Körper in Szene setzen
Wenn im ersten Ausstellungsraum ein grüner Teppich über den Boden gelegt und die Wände entlang angebracht wird, bunt gemusterte Tapeten und Puppen­skulpturen mit kunsthistorischen Positionen in Dialog gebracht werden und sich Knebl darin als Kunstfigur inszeniert, wird auf derbe und plakative Weise dabei auch ein Abbild unserer Kultur offenkundig. Exponate aus der Sammlung des Lentos wie Egon Schieles „Bildnis Trude Engel“ (1912/13), Helene Funkes „Drei Frauen“ (1915), Paula Modersohn-Beckers „Landschaft mit drei Kindern und Ziege“ (1902), Albin Egger-Lienz’ „Ila, die jüngere Tochter des Künstlers“ (1920) oder May Matthias’ „Mädchen vor dem Spiegel“ (undatiert) lenken den Blick augenscheinlich auf den Körper (der Frau), wenn bewegliche Gliedmaßen aus schimmerndem Textil mit an einer Kette befestigten Geschlechtsmerkmalen (Penis, Brüs­te und Vagina) geschmückt sind. Skurril verschränken sich in einer wild-hierarchielosen Mischung und in einem Neben- oder Ineinander historische Bilder mit Knebls Objekten, die Voodoo-Puppen ähneln. Der kultische Raum wird dominiert von einer Schamlosigkeit sowie bizarren Setzungen, in der infantile Optik konsequent durch einen Werkstatt- bzw. Wohnzimmercharakter des Environments gebrochen wird.

„Wenn ich bisher oft mit Design arbeitete, das im Kanon als hohes Design gilt wie zum Beispiel Verner Panton oder Joe Colombo, gehe ich bei der Ausstellung im Lentos in die Gestaltung des Bastelbuchs.“ Dabei orientiert sich die Künstlerin neben kunsthistorischen Referenzen auch an Popkultur, wodurch die Atmosphäre etwas Organisches impliziert und der Anspruch der Moderne, Kunst und Leben ineinander aufgehen zu lassen, auf unkonventionelle Weise eingelöst scheint.

Frage der Identität
Auf Einladung der künstlerischen Direktorin Hemma Schmutz setzte sich die Künstlerin mit der Sammlung des Lentos auseinander und führte eine Auswahl mit eigenen Arbeiten zusammen. „Für mich geht es um die Frage der Identität und wie Identität entsteht durch die Dinge, mit denen wir uns befassen oder den Menschen, mit denen wir uns umgeben und auch den Dingen oder der Kunst, auf die wir schauen. Wie werden wir durch unser Umfeld?“

Seit geraumer Zeit befasst sich Knebl mit den 1970er-Jahren, war diese Dekade doch von vielen gesellschaftlichen Umbrüchen geprägt. „Das Eherecht, die Bürgerrechts- und Frauenrechtsbewegung, dann gab es Utopien und Visionen in der Architektur. Also plötzlich wurde alles ganz bunt. Eine ganz andere Ästhetik, das Populäre wurde wichtig, die Popkultur. Vieles, was in den 60er-Jahren als Subkultur galt, ist Mainstream geworden. Ich möchte diesen nutzen, weil es Freude machen soll, die Ausstellung zu besuchen. (…) Der Alltag ist das Moment, um Bezüge zum Publikum herzustellen. Alltagsgegenstände wie zum Beispiel eine Küche benutze ich auch oft als Display für die Kunst“. So arbeitet die Künstlerin beispielsweise direkt mit einem Torso aus der Sammlung, erweitert aber Material und Form. Knebls Arbeiten gleichen Kommentaren als eine Folge ihrer Auseinandersetzung mit Vorhandenem, zeugen von Ausdruck und Ergebnis eines kollektiven Eingebunden-Seins.

„Ich bin sehr plakativ.“
Mit ihrer Frau Ashley Hans Scheirl, eingehüllt in bunten Morphsuits und ineinander verschlungen, zeigt sich Knebl in einer Fotomontage prinzipientreu, was besagte Bastelbuch-Ästhetik betrifft. Insgesamt ist auch Transgender ein Thema, die sich in Bewegung befindliche Identität. Bezogen auf diesen Diskurs stellt sich etwa generell die Frage nach dem Geschlecht der Puppe(n), die es zu entscheiden gilt – oder auch nicht. „Ich finde Art Brut besonders spannend. In meinen Ausstellungen zeige ich auch gerne, was in Sammlungen nicht so oft sichtbar wird. Ich brauche immer etwas, das mich anzieht. Es geht stark um Begehren, weil durch Begehren verändern wir uns. Bei mir ist es jetzt die ‚sylvie‘ gewesen – als Plattencover, da dachte ich sofort, ich brauche die jetzt ganz groß da drin, das beruhigt mich und dazu stelle ich den Sean Connery“. Knebl empfiehlt dazu den Film „Zardoz“ von 1974.
„Ich bin sehr plakativ, da gibt es nichts Subtiles bei mir. Ich benutze den Begriff Humor. Ich finde Humor irrsinnig interessant. Wir können uns nicht wehren, wenn wir etwas witzig finden, ergreift uns das. Humor hat auch etwas mit Hierarchien zu tun. Wer darf über wen Witze machen? Dann gibt es die Figur des Harlekins, die aus der Gesellschaft der Commedia dell’arte stammt und die ist sehr ambivalent: Die ist der Heiler, ist aber auch böse und sie verbündete sich mit den Außenseitern und ist zum Narr des Königs geworden. Der Harlekin hatte eine eigene Funktion. Im Fasching zum Beispiel, da dürfen Hierarchien (noch) invertiert werden. Die Figur des Trickster finde ich sehr spannend. Also ich möchte mit Ästhetik, Sinnlichkeit und Humor die Leute berühren. Humor! Das ist auch so ein Tabu in der Kunst.“
Knebl findet es wesentlich, die Dinge direkt anzusprechen, ein Ventil aufzumachen. „Darf Kunst nur schön sein? Ja, natürlich! Sie ist ein spezielles Feld in der Gesellschaft“, argumentiert sie im Hinblick auf die oft gestellte Forderung nach einer politischen Funktion der Kunst. „Den Begriff Funktion finde ich interessant. Das Design muss eine Funktion haben. Wie ist das bei Kunst?“

Neugierde, um Fremdheit zu überwinden
Im zweiten Ausstellungsraum verkehrt die Künstlerin das Helle, Bunte und Überladene ins Dunkle, Eintönige und Ausgesparte. Hier setzt Knebl eine Fotoarbeit von Christian Skrein groß dimensioniert ins Zentrum. „Der Raum stellt die Frage, wie diskutiert wird, das Eigene, das Fremde? Wie geht man mit solchen Exponaten in einer Sammlung um?“ Knebl setzt Gottfried Helnweins „The Golden Age 1“ (Marilyn Manson als „schwarzer Mickey“, 2003) in die Mitte, davor zwei Plastiken, die aus der Zeit des Nationalsozialismus stammen. Daneben präsentiert Knebl ein Hologramm, in dem sie Zitate der Beatles rezitiert. In einem kurzen Video hantiert die Künstlerin mit verschiedenen Objekten. In Form rascher Szenenwechsel spricht sie in Keramikgefäße und führt das Prinzip, Gegensätzliches zusam­menzuführen, fort. In einem alten Wohnzimmerschrank aus dunklem Holz werden großteils peruanische Masken präsentiert und es wird einer Naturverbundenheit gehuldigt, die einem Kult gleicht. Ebenso ist ein zweites Video, das die Künstlerin gemeinsam mit Markus Pires Mata via Röhrenfernseher zeigt, „inspired by nature“. Darin agieren sie als „West-German 70s Pottery Curators“ wiederum mit Vasen der Firma Scheurich, streicheln und berühren sie, um sie schließlich im Wald in Szene zu setzen. „Scheurichs brauchen kei­ne Blumen. Scheurichs brauchen keine Blumen. Scheurichs brauchen keine Blumen.“ Wiederholung ist Programm und Töne werden zu einem Mittel, sich mit der Welt in Beziehung zu setzen.
„Für mich war das großartig, dass es hier zwei gleich große Räume gibt. Müsste ich mich entscheiden, würde ich immer den bunten nehmen, aber ich konnte jetzt einmal einen minimalen Raum ausprobieren, der dunkel ist, weil ich eben immer noch den zweiten Raum habe. Und natürlich zeigt dieser auch unsere dunklen Seiten“, beschreibt die Künstlerin ihre Entscheidung für Christian Skreins Fotografie „Help“ (S/W-Foto aus einer Fotoserie anlässlich der Dreharbeiten der Beatles zum gleichnamigen Film in Obertauern 1965). Und für „Objekte, von denen ich nicht weiß: Wie sind die da hergekommen? Oder auf der anderen Seite, ein Egger-Lienz, der in seiner Ästhetik von den Nationalsozialisten vereinnahmt wurde. (…) Er war im 1. Weltkrieg als Maler tätig und schuf Bilder, die das harte Leben zeigen und plötzlich wird diese Ästhetik genommen und wie gesagt, das ist sehr plakativ.“

„Ich will auch dabei sein.“
Die Puppenskulpturen hat Knebl vor knapp einem Jahr begonnen, weil sie sich gefragt hat, wie der Körper in den unterschiedlichen Formen dargestellt wird. Sie verbindet auch andere Werkstoffe damit wie Keramikköpfe, so beispielsweise ein in der Ausstellung gezeigtes Objekt, das wiederum inspiriert ist von Henri Moores „Head of a Woman“ (1926). „Es geht darum, wie unterschiedlich unsere Körper sind, mit welchen Materialien sie dargestellt werden und diese schließlich auch zu vermischen.“
Wie ein Puzzle hat sich die Ausstellung über mehrere Monate hinweg zusammengetragen, ebenso war der Titel „Frau 49 Jahre alt“ plötzlich da – entlehnt von einer Zeichnung Philipp Schöpkes aus den 1970er-Jahren. Die Tapeten stammen aus dem privaten Fundus der Künstlerin, die sich als „Ebay-süchtig“ bezeichnet. Dabei ist das Thema „Freiheit“ konstitutiv in jeglicher Hinsicht. „Die Installation hat sich leicht gefügt. Mich interessiert auch die Selbstermächtigung und wie eine solche geht. Man kann durch richtiges Fragenstellen das herauskitzeln, was sowieso schon da ist. Die Lehre und Vermittlung spielen eine große Rolle. Wie kann man Menschen zur Kunst bringen und sagen, du bist auch dabei?“
Es geht auch um ein Sich-Aneignen von Raum, um das Aufspüren von Relationen, von Setzungen in Bezug zu Objekten, die mit uns sind, uns umgeben, uns konstituieren. Es ist eine Begeisterung für Dinge und Materialitäten, die Knebls Arbeitsweise prägt und durch Form und Berührung, Annäherung und Entfernung von einem Dazwischen erzählt, in dem wir uns befinden.

 

Jakob Lena Knebl wird 2021 mit Ashley Hans Scheirl den Österreich-Pavillon bei der Kunstbiennale in Venedig bespielen. Wir gratulieren.

Jakob Lena Knebl. Frau 49 Jahre alt
Lentos Kunstmuseum Linz
Ausstellung bis 17. Mai 2020
lentos.at

Kombinierte Führung mit Highlights aus der Sammlung und der Ausstellung Jakob Lena Knebl: Donnerstags, 19.00 Uhr

Lächle!

Skurril ist das. Ich finde mich in den vergangenen Tagen in der Position der Verteidigerin österreichischer Politikerinnen wieder, die teils Lichtjahre entfernt von meinen politischen Einstellungen agieren, teils mir mit ihren politischen Entscheidungen schlicht auf die Nerven gehen. Und dennoch – eines halte ich wirklich noch weniger aus: Wenn in erster Linie ihres Geschlechts wegen und in seltener Harmonie von links wie rechts, oben wie unten auf Politikerinnen hingehackt wird. „Aber das stimmt doch nicht, wir würden doch einen Mann genauso kritisieren!“, höre ich. Klar, ich erinnere mich auch so gern an die vielen Bildvergleiche männlicher Politiker mit Hunden, Sexarbeitern oder wild dreinschauenden Rockstars – und an die vielen Situationen, in denen ein männlicher Politiker keinen Ausweg mehr als jenen sieht, die eigene Person öffentlich in Frage und zur Debatte zu stellen, in der irrigen Annahme, das könnte in irgendeiner Form Rückendeckung oder Absicherung bedeuten. #not: Männer werden nicht verglichen, Männer müssen ihre Person in den seltensten Fällen zur Debatte stellen, Männer holen Frauen nur dann nach vorne, wenn es für sie nichts mehr zu holen gibt. Also hört auf mit diesem heuchlerischen „wär sie ein Mann, wir würden genauso …“ – ach, einen Dreck würdet ihr, einfach weil ein Mann kaum in ähnliche Situationen käme. Struktureller Sex­ismus bleibt struktureller Sexismus, egal in welchem Stadium.

Wer’s nicht glauben will, soll sich „Die Dohnal“ im Kino ansehen, Bücher von feministischen Autor*innen lesen oder generell einfach mal einer Frau* zuhören und glauben. Aber, ach, die vermeintlichen Allies schmücken und berufen sich ja so gern auf feministische Frauen, können aber nicht verstehen, wenn eben diese Frauen bei der Firmen/Weihnachts/Geburtstags/Whateverfeier eherliebernicht in ihrer Nähe sitzen oder zu lange bleiben wollen. Weil jede* weiß, dass sie genderpolitisch halt doch entwickelt sind wie eine auf halbem Weg aus ihrem Kokon verreckte Raupe. (Ein Biologe und echter Ally bitteschön hat mir mal so eine Halb-Raupe-halb-Schmetterlings-Tragödie geschenkt, es gibt keine bessere Metapher dafür.) Es hat sich strukturell und in der Denke vieler Männer nichts Wesentliches geändert, das zeigt uns die realpolitische, vor allem aber die berufliche, vermögens- und gehaltstechnische Situation von Frauen* jeden Tag. Aberaberaber, höre ich: so schlimm kann das ja dann doch nicht sein, immerhin haben wir Politiker*innen, das Matriarchat steht ja quasi vor der Tür und überhaupt zeigt sich eine starke Frau doch darin, dass sie sexistische Witze würdevoll erduldet. Klar, stimmt, irgendeine erbarmt sich auch in meinem Bekanntenkreis immer und meint, es sei ok und cool, frau könne das aushalten, und überhaupt müssten doch die Männer endlich mal MITEINBEZOGEN werden. #malmitdenmännernreden. Weil das doch jahrhundertlang NIEMAND gemacht hat. Weil Männer bislang einfach niemand GEBETEN hat, doch einen Teil ihrer Macht zugunsten derer von Frauen abzugeben. #ironyoff

Dieses Konzept des Mitfühlens mit jenen, die ohnehin ständig nach vorne drängen, erinnert mich an jene Schauspielerinnen und Wissenschaftlerinnen, die 2018 das „Manifest der 100“ in Frankreich unterschrieben und Belästigung als Teil männlicher „Verführungskunst“ quasi in den Status eines immateriellen Weltkulturerbes erhoben haben. Dies ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass ein patriarchales Narrativ unreflektiert fortgeschrieben wird, das „verführt“ zu denken, Ermächtigung sei in Anpassung und Unterordnung zu finden. Es ist das ewig gleiche Bild strukturell Benachteiligter, die meinen, wenn sie sich den Habitus der Mächtigen aneigneten, ließe sich die strukturelle Ungerechtigkeit für einen Moment ausschalten oder würde sich gar zu ihren Gunsten drehen. Klar, kann man machen. Abgesehen davon aber, dass die Geschichte voller Beispiele dafür ist, dass dies schlicht nicht funktioniert: Wer so handelt, bestätigt nicht nur Ungleichheit, sondern erschwert allen anderen den Kampf dagegen.

„Machtverhältnisse sind weder geschichtslos noch geschlechtsneutral.“ Eines der vielen bis heute gültigen Zitate Johanna Dohnals, der ersten Frauenministerin Österreichs. Strukturelle Ungleichheit hat Geschichte, eigentlich immer mindestens zwei Geschichten: eine derer, die sie mit allen Mitteln aufrechterhalten und andere von guten Arbeitsplätzen, Löhnen und gesellschaftspolitischer Macht fernhalten wollen, und eine Geschichte derer, die dagegen kämpfen. Letztere wird aber viel seltener kanonisiert. Und: diese strukturelle Ungleichheit ist patriarchal geformt und gewachsen. Und da erscheint es als eher verwegene Idee, strukturelle, förder- und arbeitsmarktpolitische Ungerechtigkeiten auszublenden, um stattdessen anlässlich des Internationalen Frauentages über Feminismus für alle zu diskutieren oder zu Schminkwork­shops einzuladen. Der Internationale Frauentag war und bleibt ein Kampf- und kein Wohlfühltag. Er hat mit Feminismus und vor allem mit feministischer Theorie nur bedingt zu tun. Er gehört keineswegs allen, die sich damit schmücken wollen. Und nein, am Internationalen Frauentag wird nicht gegen Männer gekämpft, sondern für die Rechte jener, die aufgrund einer geschlechterbezogenen Zuschreibung strukturell diskriminiert werden. Und solange Fakten von Bedeutung sind, können auch noch so wohlgemeinte, inkludierende Formate nicht aus der Welt reden, dass dies immer noch in erster Linie auf Menschen zutrifft, die sich selbst dem Geschlechterkonzept „weiblich“ zuordnen oder ihm zugeordnet werden. Über alles andere, vor allem darüber, ob und warum manche Männer sich am Internationalen Frauentag ausgeschlossen fühlen könnten, können wir ja reden, sobald diese Ungleichheit aus der Welt geschafft ist. (Wir sammeln derweil ihre Tränen.)

Um zum Anfang zurückzukehren: Ich werde dennoch lieber jede Frau* gegen Sexismus verteidigen, als ein einziges Mal mich verbrüdern mit den lustigen, linken Witzemachern. So links sind die erstens gar nicht, wenn es um Gleichberechtigung geht und – machen wir uns nichts vor – wenn sie nicht grad über rechtskonservative Politikerinnen und ihren Lippenstift herziehen, dann sind die ersten, die gleich danach heruntergemacht werden: linke Kulturarbeiterinnen. „Lächle doch!“ – wir kennen sie alle, die Ansagen, die Gerüchte, die Schubladen. Und wir verdrehen die Augen und haben sie einfach nur satt. Drum: Ich würde die Resting Bitch Faces von Frauen*, egal welcher Couleur, hundertmal vehementer verteidigen als einen dieser Anhänger ewiger patriarchaler Freunderlwirtschaft. Was nicht heißt, dass ich nicht gleichzeitig eine Politik, die Frauen betreiben, ebenso vehement kritisieren und verurteilen kann. Aber im Gegensatz zu Sexisten kann ich das tun, ohne sie dabei in ihrem Geschlecht abwerten zu müssen.