„Wenn wir nichts tun, passiert nichts“

Vor den Folgen von Klimaerwärmung und Artensterben warnt die Forschung seit Jahrzehnten. Die oberösterreichische Politik bleibt taten- und planlos. Wie Fridays For Future, XR und Co. den Druck erhöhen wollen, hat Marina Wetzlmaier bei der Klima-Allianz OÖ recherchiert. Diese wurde im Dezember 2020 ins Leben gerufen und setzt sich unter anderem aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen von Radlobby OÖ, attac Linz, Fridays for Future Linz und XR Extinction Rebellion OÖ zusammen.

Im Sommer 2021, der in Österreich von Hitze, Starkregen und Hagel dominiert wurde, legte der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) in seinem sechsten Bericht unangenehme Fakten auf den Tisch: Die derzeitige Klimaerwärmung ist menschengemacht, schreiben die Autor*innen erstmals in dieser Klarheit. Und damit die Folgen, die derzeit weltweit zu spüren sind: Dürren und riesige Waldbrände auf der einen Seite, Überschwemmungen auf der anderen, Tornados nicht nur in fernen Ländern, sondern mitten in Europa. Wetterextreme, die sich häufen werden. Einige Folgen sind laut IPCC nicht mehr umkehrbar: die Eisschmelze und der Anstieg der Meeresspiegel. Das im Pariser Klimaabkommen festgelegte Ziel von einer maximalen Erwärmung um 1,5 Grad wird bereits 2030 erreicht sein, zehn Jahre früher als noch 2018 prognostiziert. Der IPCC-Bericht enthalte keine Überraschungen, twitterte Klimaaktivistin Greta Thunberg. Tatsächlich tragen die etwa 230 Expert*innen des Weltklimarates aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zusammen, 14.000 Studien haben sie insgesamt ausgewertet.

Angesichts dieser niederschmetternden Nachrichten bleibt ein Hoffnungsschimmer: noch können die schlimmsten Folgen vermieden werden. Allerdings „nicht, ohne die Krise wie eine Krise zu behandeln“, warnt Thunberg in den Sozialen Medien. Dass keine Zeit mehr zu vergeuden sei, um die Katastrophe abzuwenden, darüber scheint es bei den Vereinten Nationen, unter Klimaforscher*innen, Klimaschutzorganisationen und vielen Teilen der Bevölkerung Einigkeit zu geben. Auf politischer Ebene verhallen die Warnungen jedoch großteils.

Laut der Klima-Allianz OÖ sind Österreich und insbesondere Oberösterreich in Sachen Klimaschutz „alles andere als Musterschüler.“ Die Treibhausgas-Emissionen seien in den letzten sechs Jahren sogar gestiegen. Selbst vor den Landtagswahlen 2021 wird das Klimathema von der politischen Mehrheit eher vernachlässigt.
Während international und auf Bundesebene Klimaziele formuliert wurden, hat Oberösterreich nicht einmal welche. Einen Antrag, der die Erstellung eines Klimaschutz-Plans für Oberösterreich vorgesehen hätte, lehnten ÖVP, FPÖ und SPÖ im Landtag ab. „Warum die Landespolitik bremst, verstehen wir auch nicht“, sagt Stefan Amatschek von der Klima-Allianz OÖ, die den Antrag vorbereitet hat. „Auf Gemeindeebene ist man da weiter.“ Das ergab ein Klimawahl-Check, im Zuge dessen 1800 Emails mit Fragebögen an Gemeindepolitiker*innen verschickt wurden, von immerhin der Hälfte kamen Rückmeldungen. Darin haben sich 80% der Gemeindepolitiker*innen für das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 ausgesprochen, und zwar quer durch alle Parteien, wie Amatschek hervorhebt. Auf der Webseite klimawahlen.at lassen sich die Ergebnisse für die einzelnen Gemeinden abrufen und werden auch nach der Wahl verfügbar sein. „Die Daten liegen damit auf dem Tisch und können nicht negiert werden“, sagt Amatschek. Eine Kernidee des Projekts ist es, „sanften Druck“ auf die Politik auszuüben.

Die Klima-Allianz wurde im Dezember 2020 ins Leben gerufen und setzt sich aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen. Darunter die Radlobby Oberösterreich, attac Linz, Fridays for Future Linz und XR (Extinction Rebellion) Oberösterreich. Um die politischen Akteur*innen zum dringend notwendigen Handeln zu bewegen brauche es alle, jede Organisation mit ihren jeweiligen Schwerpunkten und Strategien. So die Idee hinter der Allianz, die vor allem zum Austausch und zur Koordination dient.

„Alle fürs Klima“, lautet heuer auch das bundesweite Motto von Fridays For Future. „Die Bevölkerung hat verstanden, dass es Klimaschutz braucht, aber die Politik noch nicht. Und solange es die Politiker*innen nicht verstehen, braucht es uns“, betonen Lea Moser und Bjarne Kirchmair von Fridays For Future Linz. Die weltweite Klimabewegung setzt mit Demonstrationen und Klimastreiks auf die große Masse. Bis zu 9.000 vorwiegend junge Menschen gingen etwa in Linz auf die Straße. Ihre Slogans sind ein Vorwurf an die Entscheidungsträger*innen aus Politik und Wirtschaft, die ohne Rücksicht auf die nachfolgenden Generationen handeln: „Wir sind hier – Wir sind laut – Weil man uns die Zukunft klaut“ und „There is no Future on a dead Planet!“

Aufgrund der Corona-Pandemie waren große Aktionen im vergangenen Jahr nicht möglich, aber es passierte viel Arbeit im Hintergrund: Organisationsarbeit, Vernetzung, Online-Meetings sowie kleinere Aktionen. Ein Lichtermeer zum Jahrestag des Pariser Klimaabkommens oder Proteste im Rahmen der globalen Klimastreiks mit einer begrenzten Anzahl an Teilnehmenden. Aktivitäten ins Internet zu verlegen habe Vor- und Nachteile: „Für mich war es manchmal einfacher, weil ich nicht immer nach Linz fahren musste. Das ist auch ein bisschen Klimaschutz“, sagt Lea. „Aber es ist schöner, wenn man Leute persönlich trifft, das steigert die Motivation.“ Nun zieht es die „Fridays“ wieder raus aus der Bubble, auf die Straße. Es sei Zeit für ein großes Zeichen. Für den weltweiten Klimastreik am 24. September soll daher wieder stärker mobilisiert werden.

„Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass Unterschriftenaktionen für die Politik nicht so interessant sind, aber wenn man viele Leute auf die Straße bringt, macht das was.“ Alle seien eingeladen sich zu beteiligen. Denn, obwohl Fridays For Future von der Jugend ausgeht, möchte die Bewegung mit ihren Aktionen alle Menschen ansprechen. Schließlich betrifft Klimaschutz die gesamte Gesellschaft: „Wir jungen Leute sind doch etwas zu wenig, es braucht das Wissen und die Erfahrung von älteren Menschen. Es braucht alle, damit sich was verändert.“

In Sachen Klimaschutz werde zu sehr auf die individuelle Verantwortung der Menschen appelliert. Selbst zur Veränderung beizutragen kann oft schwierig sein, beispielsweise solange ein Kurzstreckenflug billiger ist als ein Zugticket. Damit der einfachste und günstigste Weg auch der klimafreundlichste ist, muss die Politik passende Rahmenbedingungen schaffen. Konkrete Maßnahmen zu formulieren sehen die Klimaschutzbewegungen nicht als ihre Kernaufgabe. Konkrete Lösungen und Ansätze gebe es bereits vonseiten der Wissenschaft. „Hört auf die Wissenschaft“, lautet daher ein Appell an die Politik. In ihren Forderungen geht es um das große Ganze, darum, dass es überhaupt einen Plan gibt, der in Einklang mit den Pariser Klimazielen steht „Es ist nicht unsere Aufgabe den Politikern zu sagen, was sie konkret tun sollen. Das ist ihre Aufgabe, dafür wurden sie gewählt.“ Laut den Fridays habe in Oberösterreich keine Partei die perfekte Lösung. „Einige sind noch sehr weit davon entfernt“, kritisieren sie.

Genau deshalb setzt Extinction Rebellion (XR) auf „radikales Wachrütteln“. Dafür sind die Aktivist*innen auch bereit, an die eigenen körperlichen Grenzen zu gehen. So verbrachte Martha Krumpek, die bekannteste „Rebellin“ in Österreich, insgesamt fünf Wochen im Hungerstreik, um gegen die Lobau-Autobahn zu protestieren. Bei einer anderen Aktion klebten sich die Aktivist*innen an den Säulen eines Bankgebäudes fest: „Ich klebe hier fest, weil ich verzweifelt bin“, ruft einer von ihnen. „Weil es bringt nichts, brav demonstrieren zu gehen, Petitionen zu unterschreiben. Die machen trotzdem weiter wie bisher.“

Die Ursprünge von XR liegen in Großbritannien, wo Ende 2018 rund 6000 Personen friedlich die Themsebrücken in London blockierten. In Österreich bzw. Oberösterreich wurde XR Anfang 2019 aktiv. „Manche nennen uns die radikale Schwester der Fridays“, sagt Florian Mayr von XR Oberösterreich. Die Strategie liegt im gewaltfreien zivilen Ungehorsam, mittels dessen sie Regierungen zu konkreten Maßnahmen bewegen will. Angefangen bei kürzeren Straßenblockaden, sogenannte „swarmings“, bis zu „Rebellionswellen“ mit mehreren Aktionen. In Wien dauerte eine Blockade fast 14 Stunden. „Man kann immer politische Versammlungen machen, auch unangemeldet“, sagt Mayr. „Dann kommt der Zeitpunkt, wo die Polizei diese Versammlung auflöst. Hier beginnt der zivile Ungehorsam, wo ich sage, ich gehe nicht weg.“ Es gehe darum, Opferbereitschaft zu zeigen: „Wir nehmen die Bedrohung durch die Klimakatastrophe so groß wahr, dass wir bereit sind, Strafen entgegenzunehmen und uns einsperren zu lassen.“ In der Regel sind es Strafen für Verwaltungsübertretungen, die bei 140 Euro liegen können. Oberstes Prinzip sei für XR die Gewaltfreiheit, allerdings gibt es dazu unterschiedliche Interpretationen, zum Beispiel in Bezug auf Sachbeschädigungen. So wurden in Großbritannien im Rahmen eines Protests gegen Banken schon mal Scheiben eingeschlagen. „Eine rote Linie wird immer Gewalt gegen Menschen sein“, betont Mayr. In Österreich lautet der Konsens, keine Form der Gewalt anzuwenden, auch nicht verbal.

In Linz fanden meistens kleinere Straßenblockaden statt. Nicht von allen Beteiligten wird dabei verlangt, mit einem Schild auf der Straße zu sitzen. Wesentlich sind auch Personen, die für Deeskalation sorgen. Den Passant*innen und Autorfahrer*innen erklären, worum es bei den Aktionen geht und sich auch für die Blockaden entschuldigen. „Es ist nicht so, dass wir die Leute stören wollen. Aber, wenn wir nichts machen, passiert nichts.“ Die meisten Menschen würden Verständnis zeigen und die Aktionen gut finden. Kommunikation sei wichtig, damit es funktioniere.

Wie bei Fridays For Future ist auch bei XR während der Pandemie viel Grundarbeit passiert, neue Konzepte wurden entwickelt, Strukturen gefestigt. „Jetzt geht es wieder so langsam hinaus.“ Auch hier muss eine große Anzahl von Menschen aktiv werden, um die Politik zum Handeln zu bewegen und einen Systemwandel herbeizuführen. So lange, bis der Widerstand nicht mehr ignoriert werden kann.

Mehr über die Klima-Allianz OÖ: klimaallianz-ooe.at

Die Mitglieder der Klima-Allinaz OÖ
(Stand Aug. 2021 lt. Website):
attac
Linz, Bürgerinitiative lebenswertes Vorder­stoder, Climbers For Future, DV-Donau, Fairplanning, Fridays For Future Linz, Klimavolksbegehren Oberösterreich, Klimafokus Steyr, Mehr Demo­kratie, Parents For Future Oberösterreich, Rad­lobby Oberösterreich, Scientists For Future Oberösterreich, Südwind Oberösterreich, Teachers For Future Oberösterreich, Vegans For Future, Verkehrswende jetzt, XR (Extinction Rebellion) Oberösterreich

Verroht

Da sitzt eine also, maßlos ernüchtert und denkt und denkt und denkt. Zermartert sich das Hirn, entwirft Szenarien, verwirft sie und schickt am Ende des Tages doch wieder bloß Emails in die Runde, mit der Frage – was können wir tun, was müssen wir tun? Liest die Antworten. Liest, dass es allen gleich geht. Und so kommen wir uns alle gleich ohnmächtig vor, obwohl wir es natürlich nicht sind. Wir sind so sicher – noch – vor Klimakatastrophe, Waldbränden, Pandemien und Taliban. Und fühlen uns ohnmächtig? Was braucht es denn, um den Hintern hochzukriegen, die Ohnmacht zu überwinden? Und diese Frage, die richtet zuallererst an mich selbst. Das alles war abzusehen, die zunehmende Verrohung mehr als spürbar. Geholfen hat das Spüren nichts, weder das leise Beben noch das Zittern, auch nicht die Unruhe, mit der in den letzten Jahren jede Entscheidung, jede Verabschiedung, jedes Loslassen, jedes neue Aufrichten und Auspacken begleitet war. So viel steht einer offen, wenn sie hier geboren ist: dass sie ständig ein- und auspacken, umziehen und neu beginnen kann. Ganz ohne sich als Flüchtling, Asylantin oder Obdachlose beschimpfen lassen zu müssen. Österreich, das einst ein verdammt gutes, sozial ausgeglichenes Land war, in dem jedes Kind gleiches Recht auf kostenlose Bildung, medizinische Versorgung und Berufschancen hatte (wobei ich das anzweifle, das Land war im Grunde immer ständestaatlich organisiert, es hat uns bloß nicht wirklich gestört) hat so viele ohnmächtige Alleskönner hervorgebracht, Blinde, die meinen, alles überblicken und einordnen zu können, Narzisst:innen, die wohlwollend den Kopf schieflegen, und glucksend davon berichten, wie gut sie es mit anderen meinen, dass einer nur noch schlecht wird. Nichts anderes als verroht sind sie, die aktuell das Land regieren, und auch wir, die es nicht regieren, aber kaum adäquat reagieren auf all die Unmenschlichkeit, die sich dieser Tage über uns ganz offen und unverhohlen ergießt. Frauen verstecken sich in Kellern vor den Taliban, Frauen werden abgeschoben, Frauen fliehen vor den Auswüchsen eines nach wie vor kolonialistisch getriebenen Kapitalismus und da stellt sich einer hin und meint: Hilfe vor Ort wäre jetzt das richtige. Im Wissen – und das ist das Unerhörte – darum, dass es die nicht gibt, nicht geben kann. Wie oft muss sich Geschichte wiederholen, wie lange und wie oft sind wir noch bereit, mitanzusehen und mitanzuhören, dass jene, die alles im Handumdrehen zum Besseren gestalten können, die Hände falten und in den Schoß legen, aus purer Angst, die Zustimmung von der rechtsrechten Seite zu verlieren? Es ist genug, „wir“ haben lange genug auf Kosten anderer gelebt und uns achso ohnmächtig gefühlt, angesichts eines Wordings, das an Menschenverachtung nicht vermissen lässt: belastet sei Österreich, „belastet“. Nein, müssen wir ihnen entgegenhalten, Menschen in ihrer Not zu helfen, ist keine Belastung (und wer sich belastet fühlt angesichts der Not, die global herrscht, verursacht einzig durch Nationen und Menschen, die es sich gut gehen haben lassen auf Kosten anderer, der fühlt sich sehr schnell ebenso belastet durch die Not derer, die bereits im Land leben, machen wir uns nichts vor, Hautfarbe, Staatenzughörigkeit und Religion hin oder her). Im Gegenteil – Menschen wie Karl Nehammer, Sebastian Kurz, Alexander Schallenberg und Peter Doskozil belasten viel mehr jene Menschen, die emotional und kognitiv begriffen haben, dass wir nur Teil eines Ganzen sind, Teil eines jeden anderen Menschen, den wir im Stich lassen, den wir in den Kellern zurücklassen, den wir ertrinken lassen. Zu meinen, es könnte ein Leben abgesondert von anderen Leben geführt werden, ist kein Entwurf, der uns im Jahr 2021 weiterhilft, war nie ein Entwurf, der irgendjemandem weitergeholfen hat. Politiker:innen, die uns nur teilhaben lassen wollen an ihrer eigentümlich kurzen und kleinen Scharade, die sie Politik nennen, haben jegliche Bedeutung verloren angesichts der Herausforderungen, die aktuell zu bewältigen sind und sollten kein Land regieren dürfen. Nirgendwo.
Ich bin grantig, ich fühle mich ohnmächtig, aber ich weiß, dass ich kein Recht dazu habe. Ich habe keine Ahnung, was jetzt zu tun ist, aber ich weiß immer noch zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Lasst Euch nichts anderes einreden. Alle, die jetzt schweigen, obwohl sie ihre Stimme erheben könnten, alle, die ihre Städte und Nationen weder zu sicheren Häfen noch zu klimagerechten Zonen machen, machen sich in eben diesem Moment schuldig. Und wir dürfen nicht so dumm oder ebenso verroht sein, sie auch noch zu wählen. Sie vertreten immer nur sich selbst und ihre eigenen Interessen.
Mir ist bewusst, wie naiv das klingt, aber: es braucht Reservate. Zonen für all die patriarchalischen Dumpfbacken, ob sie sich nun Taliban, Nazis, Faschisten oder Fundamentalisten nennen, wo sie – gut umzäunt und abgeschottet – ihren idiotischen, ewiggestrigen Spielchen nachgehen können. Von früh bis spät. Schenkt ihnen ein paar Mopeds, auf denen sie dann gegeneinander antreten können, bis ihnen das Benzin ausgeht. Denn sie – nur sie – sind die Belastung, vor der man den Rest der Welt schützen muss.
Möglicherweise meint nun eine:r: Ja, was hat das denn mit einer Arbeitskolumne zu tun? Sehr viel, darf ich entgegnen. Alles im Grunde. Was unsere Haltung zu Arbeit, zu Verantwortung und zu Feminismus aktuell ausmachen sollte, ist meiner Meinung nach sehr, sehr basic: rettet Menschen. Tut alles, was in Eurer Macht steht, um Unrecht sich nicht wieder und wieder wiederholen zu lassen. Tut es in Eurer Freizeit und tut es in Eurer Arbeitszeit. Nennt es zivilen Ungehorsam, nennt es Kündigungsgrund. Es ist egal. Aber tut es! Ihr seid nicht ohnmächtig, solange es jene Frauen nicht sind, die aktuell in Kabul in Kellern ausharren.

Das Lob von Autofreaks für Menschenstärken

Ein heißer Samstagvormittag – Hannes Langeder kommt mit seinem Lastenrad zu unserem Gespräch. Ort des Geschehens: Das Untergeschoss der ehemaligen Dependance der Kunstuniversität in der Urfahraner Reindlstraße. Die Garage ist Depot und Ausstellungsort und seit neuestem auch Sitz der neu gegründeten C. A. U. U. (Cycling Art University Urfahr). Hannes Langeder im Gespräch mit Magnus Hofmüller.

MH: Du arbeitest seit Jahren in den Feldern Mobilität und urbaner Raum. Wie kam es dazu? Und wie wichtig sind die Themen Verkehrswende und Klimaschutz in deinen Arbeiten.
HL: [lacht] Klimaschutz interessiert mich überhaupt nicht. Man sieht ja an meinen Arbeiten, dass ich nur an Autos interessiert bin. Und dass diese in Zukunft weiter existieren können. Im Laufe der Zeit habe ich bemerkt, dass das Auto auch mit menschlicher Muskelkraft betrieben werden kann. Menschenstärken. Es braucht keinen Motor. Also hat sich dann doch automatisch die Klimafreundlichkeit ergeben. Ganz ohne mein Zutun.
Aber die grundsätzliche Idee basiert auf einem Projektvorschlag für die Kulturhauptstadt Linz 2009, nämlich ein Elefant auf Rädern, mit dem Gäste durch die Stadt treten können. In der Recherche und der Abklärung des notwendigen Gesetzesrahmens hat mir Eva Schobesberger damals verraten, dass vom Gesetzestext her nur Fahrräder ab einer gewissen Breite (Anm.: über 1,10 m) auf der Straße fahren müssen. Sonst nichts. Das war der Anfang.
Die schnellen Autos als Objekte habe ich gewählt, weil es absehbar war, dass das Gefährt ziemlich langsam sein wird und so der Kontrast noch stärker werden wird. Und einen Porsche kennt einfach jeder Mensch – der Archetyp eines Autos.
Motivation ist aber auch die Einzigartigkeit von Fahrrädern – denn da gibt es nichts Besseres. In Hinblick auf Umwelt und auch individuelle Mobilität. Man ist immer schneller am Ziel, kann Dinge transportieren und gewinnt auch Zeit durch die Langsamkeit. Zwar ein Widerspruch, aber doch richtig.

MH: Dein Weg mit velozipeden Objekten beschreitet ja eine Geschwindigkeitskurve vom fahrradadäquaten Tempo (Humpy Horsies) über schätzungsweise Schrittgeschwindigkeit (Ferdinand GT und Fahr­radi Farfalla FFX) bis hin zum völligen Stillstand bzw. Bewegung im Stillstand beim Fahrradi Model MD. Was ist die Intention dahinter, war das geplant? Es wirkt fast so, als wären es drei inszenierte Akte.
HL: Ich möchte das Superlativ immer weiter verstärken. Ich gehe hier in die entgegengesetzte Richtung – die große Masse möchte ja immer schnellere Autos. Ich gehe bewusst in die andere Richtung. Ich hatte zwar früher auch ein schnelles Auto. Man merkt aber mit zunehmender Geschwindigkeit, dass auch der Stress stärker wird. Und es werden ja alle Lebensbereiche schneller. Und hier wird die Langsamkeit zum Luxus. Ich würde meine Räder nie gegen ein 1500-PS-Auto tauschen. Mit dem Fahrradi Model MD wollte ich das total ausreizen. Ausreizen bedeutet, das Objekt steht still. Die Form mit dem sogenannten Haifisch-Maul mimt zwar einen 50er-Jahre-Rennwagen, der aber 0 km/h fährt. Die einzige Funktion besteht darin, dass sich das Rad drehen kann. Und das bewirkt – nach dem Ideengeber der Arbeit, Marcel Duchamp – dass einen das Betrachten aus dem Alltag holt. Das hat mich inspiriert. Und ist für mich auch der Kern der Kunst – dass mich etwas berührt und mich quasi „beiseite“ nimmt.

MH: Deine Objekte spannen den Bogen ihrer Vermittlung vom öffentlichen Raum über Ausstellungsräume bis hin zu TV-Shows und Youtube-Clips. Für welches Format sind sie erdacht? Oder anderes gefragt: Welche Rezeptionsebene ist dir am wichtigsten?
HL: Ich habe einen gesamtheitlichen Ansatz für meine Kunst. Ähnlich wie in der Medizin. Mir genügt nicht ein einziges Objekt, sondern mir ist das Gesamtbild meiner Arbeit sehr wichtig. Das umfasst verschiedenste Medien, Orte oder Techniken. Das kann eine Ausstellung sein, ein Werbevideo, eine Autoshow oder ein Merchandise-Artikel wie ein T-Shirt. Es soll für mich ein Zusammenspiel aller Teile sein und ich möchte eine Atmosphäre schaffen. Esoterisch gesamtheitlich [lacht].

MH: Deine Arbeiten reiben sich stark an Designklassikern. Wie wichtig ist dir die Trennlinie zwischen Kunst und Design? Oder ist „Design“ für dich nur Mittel zum Zweck.
HL: Ja, ist nur Mittel zum Zweck. Aber es macht auch Vergnügen. Zum Beispiel der erste Fahrradi: Hier ein Auto, dass es noch nicht gibt, quasi vorherzusagen und es selbst in die Hand zu nehmen, war sehr klasse. Ich hätte mir durchaus vorstellen können, für Ferrari als Designer zu arbeiten. Der Ferdinand GT 3 RS war eine Kopie – aber es hat Spaß gemacht, mit der Form zu arbeiten. Außerdem habe ich schon viel Lob von Autofreaks erhalten – die meinen, ich soll weitermachen.

MH: Wir war der Gestaltungsprozess bei den „Humpie Horses“?
HL: Die „Humpie Horses“ sind aus einem Spiel mit Material und Fahrrädern entstanden – das hat mir unglaublich Spaß gemacht und ich wollte eigentlich nicht mehr aufhören. Obwohl die Formen immer ausladender wurden. Ursprünglich war das gar nicht als Kunstprojekt gedacht. Ich habe einfach begonnen und konnte eben nicht mehr aufhören. Das verbindet mich mit Duchamp – die Barhocker (Anm.: auch ein Teil des Objekt Fahrradi Model MD) waren auch nur fürs Atelier gedacht und wurden dann erst zum Kunstwerk. Das erste „Humpie Horse“ war mein Alltagsrad. Das positive Feedback auf der Straße hat mich dazu bewogen weiterzumachen. Ich war total ungebremst und machte immer weiter. Ohne Reglements, die einen sonst im Kunstbetrieb oft ein wenig behindern.

MH: Danke für das Gespräch!

 

Cycling Art University Urfahr (C. A. U. University)
Der Kunst-Fahrrad-Salon inmitten von Urfahr.
Ausstellung und Bar mit Beiträgen u. a. von David Kapl, Birgit Finster, Tatjana Schinko & Lama Ghanem, Fino Felix Vierlinger, Christine Pavlic und Hannes Langeder
Termin: jeden Do 18.00 – 21.00 h
Ort: Alte Kunstuni Tiefgarage Urfahr/Reindlstraße
Infos: https://bit.ly/37JILfD

Zur Person
Hannes Langeder (*1965) ist bildender Künstler, bekennender Auto- und Fahrradfreak, Fahrradaktivist, Gründer und Mitbetreiber des KünstlerInnenkollektivs IFEK (Institut für erweiterte Kunst). Er betreibt gemeinsam mit KollegInnen auch das Salonschiff Fräulein Florentine am Urfahraner Donauufer. Er lebt und arbeitet in Linz und Puchenau.

Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl): Künstlerhaus Wien, Museum der Arbeit Hamburg, Lentos Kunstmuseum Linz, Industriemuseum Chemnitz, Gallery onetwentyeight new york, MAK – Wien, Ars Electronica Festival.

Show und öffentliche Auftritte (Auswahl): BBC Top Gear, IAA Frankurt, Architekturbiennale Köln, Art Tours Stuttgart.
Infos: han-lan.com

Goldene Sterne für Frauen

Mehr als ein roter Teppich: 63 goldene Sterne erinnern auf der Ernst-Koref-Promenade an bedeutende Frauen, die in Linz ihre Spuren hinterlassen haben. WALK OF FEM heißt das Projekt, das in mehreren Etappen auf 120 Sterne anwachsen soll. Die beiden Künstlerinnen Margit Greinöcker und Betty Wimmer haben die Sterne gestaltet. Mit Silvana Steinbacher haben sie über Entstehung, Hintergründe und Reaktionen gesprochen.

Anerkennung für bedeutende Frauen. Foto greinoec

Leider habe ich es nicht miterlebt. Denn an jenen Tagen Mitte Juni, als der WALK OF FEM auf der Ernst-Koref-Promenade zwischen Brucknerhaus und Kunstmuseum Lentos entstand, bin ich dort nicht entlanggegangen.
Ein Team einer Straßenmarkierungsfirma und zwei Künstlerinnen haben auf dieser Promenade gemeinsam an einem Projekt gearbeitet, sich ausgetauscht, einander unterstützt und miteinander Pausen eingelegt.
Dieses Teamwork zwischen den sechs Menschen mit teils völlig konträren Berufen haben die beiden Künstlerinnen Margit Greinöcker und Betty Wimmer als sehr belebend und harmonisch in Erinnerung behalten. Anderes ist ihnen weniger positiv im Gedächtnis geblieben, doch davon später. Worum geht’s?

Die Ernst-Koref-Promenade mit Blick auf die Donau ist eine schöne und vor allem viel frequentierte Stelle in Linz. Und jetzt ist sie noch um einiges interessanter und bereichernder geworden. Denn 63 Sterne zieren die rund 400 Meter zwischen den beiden Kulturgebäuden. Jeder Stern erinnert an und würdigt eine bereits verstorbene Frau mit Linz-Bezug. Die Frauen haben in unterschiedlichen Bereichen Herausragendes geleistet oder sind in ihrer Zeit als Pionierin aufgefallen. 
Die Aktion unter dem Titel WALK OF FEM hat, so wie die meisten umfangreichen Projekte, eine lange Vorgeschichte. Bereits vor 13 Jahren wurden im Zuge des Linz Fest 08 temporär 18 Sterne als 18 Unsichtbare Linzerinnen auf der Ernst-Koref-Promenade angebracht. Bildhaft und unübersehbar hat damals schon das Duo Greinöcker/Wimmer auch noch die sogenannte Einkommensschere, die Gläserne Decke, die Karriereleiter oder die Quotenschaukel in Form von Installationen umgesetzt.
2018 wurden die beiden Künstlerinnen seitens des Frauenbüros der Stadt mit der Entwicklung einer dauerhaften Gestaltungsvariante der WALK OF FEM-Sterne beauftragt. Die Persönlichkeiten wurden, so wie dies auch bei der Vergabe von Straßennamen der Fall ist, vom Archiv der Stadt Linz ausgewählt und überprüft. Seit dem Frühjahr dieses Jahres werden Namensvorschläge seitens des Frauenbüros der Stadt Linz entgegengenommen, um sie nach der „Absegnung“ durch das Archiv in zeitlichen Abständen dem WALK OF FEM hinzuzufügen.
Im Gespräch mit Margit Greinöcker und Betty Wimmer spüre ich bald, dass diese langfristige Aktion im öffentlichen Raum den beiden wesentlich mehr bedeutet als irgendein Auftrag, denn die Aktion entspricht ganz ihrer Intention, wenn man das Konzept der WALK OF FEM-Sterne und den Werdegang der Künstlerinnen betrachtet.
Die ausgebildete Bildhauerin Betty Wimmer ist Performerin und entwickelt raumgreifende Installationen. Vor einigen Jahren, als Teil der internationalen Performancegruppe Disparat, organisierte sie ein Arbeitstreffen im Kunstraum Goethestraße mit abschließender Präsentation. Ihre Arbeiten sind, so wie auch die von Margit Greinöcker geografisch breit gestreut. Betty Wimmer war mit ihren Projekten in Deutschland, Frankreich oder auch Italien vertreten.  Seit vielen Jahren arbeitet sie immer wieder mit Margit Greinöcker zusammen, und dieses Teamwork scheint gut zu funktionieren.
Margit Greinöcker spannt in ihren Arbeiten einen Bogen von temporären Bauten oder ortspezifischen Handlungen bis zu experimentellen und dokumentarischen Videoproduktionen, sei es aktuell im Linzer Dom oder vor Jahren auf Istanbuls Straßen. Dort ging sie in Dirndl und Kopftuch durch einen konservativ-religiösen Stadtteil in Istanbul und dokumentierte die Reaktionen der Einwohnerinnen und Einwohner. 2013 erhielt sie den Gabriele-Heidecker-Frauenkunstpreis, in diesem Jahr das Margarete-Schütte-Lihotzky-Projektstipendium.
„Wenn man einen Fokus darauf richtet, was Frauen leisten, dann kann man nicht mehr aufhören sich mit deren Biografien zu beschäftigen“, resümiert Margit Greinöcker jetzt in einer Zwischenetappe dieses Work in Progress. Und es ist tatsächlich erstaunlich, wie viele bedeutende Frauen in Linz gelebt haben oder einen Bezug zu dieser Stadt aufweisen.
Wobei die Spannweite bei WALK OF FEM über mehrere Jahrhunderte reicht: Von der 1711 geborenen Ordensschwester und Gründerin der Elisabethinen Ernestine von Sternegg bis zu Maria Schwarz-Schlöglmann: Die einst engagierte Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums ist vor drei Jahren verstorben. Mit den bisher 63 Sternen wird unter anderem an Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen, Opfer des Nationalsozialismus, Geschäftsfrauen und auch an eine Betriebsrätin aus dem Arbeiterstand erinnert: Leopoldine Feichtinger war 1966 die erste Betriebsrätin der Linzer Tabakfabrik.
Als ich die Liste der 63 Frauen durchlese, fällt mir Käthe Diernesberger auf. Unter der Rubrik Tätigkeit steht schlicht Dienstmädchen. Sie ist 1879 in Waizenkirchen geboren und kam nach einem entbehrungsreichen Leben, geprägt von Ausbeutung, Misshandlung und einigen privaten Schicksalsschlägen, nach Linz, wo sie im Hotel Budweis in Urfahr arbeitete. Dass wir heute noch etwas über ihr Leben wissen, verdanken wir ihren eigenen Aufzeichnungen. Käthe Diernesbergers Biografie steht trotz ihrer Individualität stellvertretend für das Leben vieler Frauen aus der unteren Gesellschaftsschicht dieser Epoche. Der Stern für diese Frau lässt die Sorgfältigkeit bezüglich der Auswahl der Frauen erkennen. Dennoch, fast 20 Politikerinnen sind als Anteil vielleicht etwas übertrieben, denke ich, als ich die Liste durchgehe.
Stichwort Politik: Beim entsprechenden Gemeinderatsbeschluss wurde dieses Projekt seitens der FPÖ zwar nicht abgelehnt, doch deren Politikerinnen und Politiker enthielten sich ihrer Stimme. Die Entwicklung lässt sich aber nicht aufhalten und bedeutende Frauen werden künftig aus ihrem historischen Versteck geholt und im Stadtbild präsentiert. Auch das Female-Upgrade-Projekt von Elisa Andessner geht in diese Richtung. Ende Mai wurde innerhalb eines Straßenfests die Umbenennung der Glaubackerstraße in Agathe-Doposcheg-Schwabenau-Straße gefordert: Glaub­­acker hat Hitler am Balkon gemalt und sich dem Nationalsozialismus angedient, Doposcheg-Schwabenau war eine engagierte Malerin, die Bedeutendes für die Linzer Kunstszene geleistet hat. Bewilligen muss diese Umbenennung allerdings erst eine HistorikerInnenkommission. Von den rund 560 Straßennamen in Linz, die nach Persönlichkeiten benannt sind, entfällt übrigens nicht einmal ein Zehntel auf Frauen. Finden könnte man noch viele weitere herausragende Frauen. Rund 120 „Sterne-Frauen“ sollen es werden.
Zu Beginn des Textes war die Rede davon, dass dem Künstlerinnenteam Greinöcker/Wimmer nicht alles in gleicher Weise gefiel, als die Sterne angebracht wurden, um es freundlich zu formulieren. „Wir wollen nicht nur ein Werk schaffen, es geht uns auch um Austausch, um Vermittlung und Kommunikation mit den Betrachterinnen und Betrachtern“, sagt Betty Wimmer. Trotz des harmonischen Team­works mit den Lackierern gestalteten sich die Arbeiten auf der Ernst-Koref-Promenade unterschiedlich. Von den Passantinnen und Passanten hörten Margit Greinöcker und Betty Wimmer sowohl zustimmende Reaktionen von Frauen wie Männern als auch das Gegenteil. Von einigen kam das Argument, sie würden die entsprechenden Frauen gar nicht kennen, was an sich als Beleg für die Notwendigkeit dieser Aktion zu sehen ist, gilt es doch Frauen aus dem Schatten auf die Bühne zu stellen, um dieses Bild zu verwenden, und Frauen, die in ihrer Zeit oft gegen viele Widerstände ihre Anliegen verwirklicht haben, zu würdigen. Doch zurück zur Gegenwart und zur Ernst-Koref-Promenade: Einige Passantinnen und Passanten gingen während des Arbeitsprozesses und trotz der gut sichtbaren Absperrungen über den gerade entstehenden WALK OF FEM. Und schließlich, und auch das sei nicht verschwiegen, sind auch schon Spuren des Vandalismus zu bemerken. Namen wurden über einzelne Sterne geschmiert oder ein einzelner Name durchgestrichen. Auch das zählt zu den Realien, doch ich gehe fest davon aus, dass die Frauennamen innerhalb der Sterne betrachtet, einige erst kennengelernt und im Gedächtnis bleiben und somit nur physisch mit Füßen getreten werden.

 

www.linz.at/medienservice/2020/202010_107859.php

www.linz.at/frauen/walkoffem.php

Die Rädchen im Kulturbetrieb

Residenz – Frühe Jahre eines Literaturverlags im Stifterhaus und Die gezeichnete Welt der Emmy Haesele im Lentos: Florian Huber schreibt über zwei Ausstellungen und darüber, dass deren Protagonist*innen in symptomatischer Weise für die mangelnde Aufarbeitung der NS-Gewaltverbrechen im Österreich der Nachkriegszeit stehen. Oder: Manches kleine Rädchen im Kulturbetrieb hat zur NS-Zeit auch schon mal freiwillig an der Flag gestanden.

„Die Geschichte eines Verlags kann nichts anderes sein als die Geschichte seiner Bücher.“ Mit diesem Satz wirbt die Fassade des StifterHauses für seine derzeitige, von Bernhard Judex, Martin Huber und Manfred Mittermayer kuratierte Ausstellung „Residenz – Frühe Jahre eines Literaturverlags.“
Der Ausspruch stammt vom Verlagsgründer Wolfgang Schaffler (1919–1989), unter dessen Führung sich Residenz zu einem der wichtigsten österreichischen Literaturverlage entwickeln sollte, in dem etwa Autor*innen wie H. C. Artmann, Thomas Bernhard, Barbara Frischmuth, Peter Handke, Franz Innerhofer, Andreas Okopenko, Peter Rosei oder Julian Schutting publizierten. Für den jetzigen Anlass wurde die ursprünglich für das Literaturarchiv Salzburg konzipierte und dort bereits 2019 gezeigte Ausstellung um Materialien aus dem Vorlass Alois Brandstetter ergänzt, der dem Verlag als Herausgeber sowie Verfasser von Romanen und Kurzprosa seit Jahrzehnten eng verbunden ist. Die Geschichte eines Verlags als Geschich­te seiner Bücher präsentiert sich dementsprechend als Sammlung von Korrespondenzen und Manuskriptseiten, ergänzt um Fotografien und Erstausgaben aus dem Verlagsarchiv, deren Entstehungsprozess durch an Schreibtische erinnernde, von Gerold Tagwerker gestaltete Ausstellungsmöbel evoziert wird.
Wer sich allerdings Einblicke in die Gesprächszusammenhänge und vor allem die handwerklichen Seiten des Büchermachens verspricht, wird enttäuscht. Immerhin zeugen zahlreiche Buchcover von der Ästhetik der Buchgestaltung und ihrem zeit­lichen Wandel, der in der empfehlenswerten Begleitbroschüre zur Ausstellung allerdings eher registriert als diskutiert wird.
Stattdessen begnügt sich die prinzipiell sehenswerte Ausstellung mit einer anhand von Erscheinungsdaten und Spitzentiteln inszenierten Leistungsschau der österreichischen Nachkriegsliteratur, die mit der 1975 erfolgten Publikation von Die Ursache als erstem Band von Thomas Bernhards literarischer Autobiographie ihren Abschluss findet. In diesem Jahr trat auch Jochen Jung in den Verlag ein, der diesen später leiten und sein Programm bereits in den Jahren zuvor als Lektor prägen wird. Sein Wirken und die aktuelle Situation des einst in Salzburg und heute in St. Pölten beheimateten Verlags bleiben in der aktuellen Ausstellung weitgehend ausgespart. Dabei hätte gerade der Blick auf die jüngere Verlagsgeschichte und bedeutende Gegenwartsautor*innen wie Milena Michiko Flašar, Clemens Setz oder Michael Stavaric, die allesamt bei Residenz debütierten, eine Reflexion des in den letzten Jahrzehnten stattgefundenen Wandels der Produktions- und Rezeptionsbedingungen von Literatur und ihrer Auswirkungen auf den Kulturbetrieb ermöglicht.
Die Entscheidung, die Schau stattdessen mit „einem besonderen Höhepunkt“ im Verlagsprogramm abzuschließen, mag vielleicht auch dem Umstand geschuldet sein, dass für die Konzeption drei ausgewiesene Bernhard-Experten verantwortlich zeichnen. Sie verweist allerdings auch auf einen blinden Fleck der Schau, wie etwa ein Blick auf die Videoplattform YouTube offenlegt. Dort findet sich ein Gespräch mit Thomas Bernhard aus dem Jahr 1975 zur Ursache, in dem dieser feststellt, dass es den Salzburgern nach Ende des Zweiten Weltkriegs „sehr schnell“ gelungen sei, „Hitler in Christus umzuwandeln“.
Bernhards Behauptung von der Anpassungsfähigkeit der ehemaligen Nationalsozialist*innen an die neuen politischen Umstände provoziert nicht nur Fragen nach dem Vor- und Nachleben autoritärer Regime und ihrer menschenverachtenden Ideologien, die im konkreten Fall von den letzten Jahren der Donaumonarchie über den Austrofaschismus bis in unsere Ge­genwart reichen mögen. Es lässt sich vermutlich auch direkt auf seinen Gesprächspartner beziehen, den 1919 in Linz geborenen und 1990 in Salzburg verstorbenen Schriftsteller und Journalisten Rudolf Bayr, der ab 1961 als Berater, Lektor und Gutachter des Residenz Verlags fungierte und in der aktuellen Ausstellung dementsprechend prominent vertreten ist. Zur Sprache bringen die Ausstellungsmacher dabei nicht nur seine Rolle als Autor, der sich in den 1950er-Jahren einen Namen mit der Übertragung antiker Tragödien ins Deutsche machte, sondern auch die Anfänge seines beruflichen Wirkens als so genannter Schriftleiter für Kultur des Völkischen Beobachters in den Jahren 1940 bis 1944 in Wien. Dessen ungeachtet, konnte Bayr nach Kriegsende rasch zu einem der maßgeblichen Proponenten des Salzburger Kulturlebens aufsteigen, und schließlich von 1975 bis 1984 als Intendant des ORF-Landesstudios Salzburg firmieren. Seine Karriere war damit vielleicht weniger außergewöhnlich als symptomatisch für die mangelnde Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen im Österreich der Nachkriegszeit, die auch im Programm des Residenz Verlags ihre Spuren hinterließ. So würdigt die Ausstellung neben Thomas Bernhard mit Hans Lebert einen weiteren Residenz-Autor, der in seinem Werk bereits früh die Mitverantwortung an NS-Verbrechen thematisierte und damit im deutlichen Wi­derspruch zum gesellschaftlichen Mainstream der 1960er- und 1970er-Jahre stand. Im Gegensatz dazu enthielt sich Bayr „[n]ach der Katastrophe des Hitlerregimes und des Krieges […] jeglichem neuem Engagement“, wie Brita Steinwendtner in einer bereits 1999 entstandenen und in der Begleitbroschüre wiederabgedruckten Würdigung auf den verkannte[n]“ Schriftsteller und „große[n] Dichter“ festhält. Sein Lebensweg wird darin folgendermaßen resümiert:

„Geboren im Zusammenbruch aller Werte und politischen Strukturen, aufgewachsen in der Katastrophe des Nationalsozialismus, dessen Rädchen im Kulturbetrieb er wurde, Zeuge eines hemmungslosen Wiederaufbaus und schließlich kompromissloser Kämpfer gegen die Zerstörung der Umwelt, schrieb Rudolf Bayr Variationen der Verführbarkeit, des Verlustes und des verwalteten Menschen.“

Obwohl der Autor bereits 1938 der NSDAP beitrat, wird dieser zu einem „Rädchen im Kulturbetrieb“ verniedlicht. Dabei erinnert seine Biografie frappierend an die Erfolgsgeschichten anderer ehemaliger Nationalsozialist*innen wie Gertrud Fussenegger oder Karl-Heinrich Waggerl, mit dem Bayr befreundet war. Nicht zuletzt aus diesem Grund stellt sich die Frage, wie repräsentativ Bayrs Karriere für die österreichische Nachkriegsliteratur war und welche gesellschafts- und kulturpolitischen Versäumnisse mit dieser verbunden sind.
Das Archiv des Residenz Verlags und die Figur des angeblich verkannten Autors böten für diese Fragestellung zweifellos einen guten Ausgangspunkt. Statt der Zuflucht bei einem längst verblichenen, goldenen Zeitalter der österreichischen Literatur, bliebe damit vor allem die schmerzhafte Konfrontation mit ihren Schwächen und Ambivalenzen, die womöglich nicht nur Einsichten in die geistige Verfasstheit am Beginn der zweiten Republik, sondern auch unsere Gegenwart ermöglichen würde.

Eine Gelegenheit hierzu bietet auch die derzeit im Lentos Kunstmuseum stattfindende Retrospektive „Die gezeichnete Welt der Emmy Haesele“, die ebenfalls auf das publizistische Wirken von Brita Steinwendtner verweist. Schließlich trug die Salzburger Journalistin neben den aus den 1990er-Jahren stammenden Pionierarbeiten der Kunsthistorikerin Barbara Wally maßgeblich zur Wiederentdeckung der 1894 in Mödling bei Wien geborenen und 1987 in Bad Leonfelden verstorbenen Künstlerin bei. Ihr 2009 im Haymon Verlag publizierter Briefroman Du Engel Du Teufel widmet sich der unglücklichen, aber künstlerisch prägenden Liebesbeziehung Haeseles mit Alfred Kubin (1877–1959), die bis heute stark den Blick auf ihr zeichnerisches Lebenswerk bestimmt. Bereits 2010 unternahm das Nordico mit der Schau „Berührungen, Begegnungen“ den Versuch, den Blick auf ihr Werk zu erweitern, indem dieses und Kubins Schaffen in einen Zusammenhang mit ihren Zeitgenossinnen Clara Siewert (1862–1945) und Margret Bilger (1904–1971) gestellt wurde. Die damalige Ausstellung wurde wie die aktuelle Retrospektive von Brigitte Reutner-Doneus kuratiert, die sich diesmal anhand von Briefen, Fotografien, Tagebuchaufzeichnungen und Zeichnungen ausschließlich auf Haesele konzentriert, deren Nachlass durch eine Schenkung 2020 größtenteils an das Lentos gelangte. Die Lektüre des Ausstellungskatalogs plausibilisiert diese Entscheidung, indem sie an den Einfluss der Künstlerin auf die Ästhetik von Kubin erinnert. Dementsprechend zählt auch die Kuratorin Haesele „neben Margret Bilger, Hans Fronius, Hilde Goldschmidt, Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Oskar Kokoschka, Alfred Kubin und und Wilhelm Thöny zu den Hauptvertreter*innen des späten Expressionismus in Österreich.“
So sehr diese Einschätzung mit Blick auf Haeseles Bildsprache einleuchten mag, sperrt sich ihr Lebensweg andererseits deutlich gegen eine solche Eingemeindung. Während etwa Goldschmidt, Kokoschka und Thöny bzw. ihre Angehörigen während der NS-Herrschaft verfolgt und ins Exil gezwungen wurden, handelt es sich bei Haesele um eine regimetreue Nationalsozialistin, die sich ab Oktober 1943 freiwillig als Flakhelferin engagierte, wie auch dem in der Ausstellung aufliegenden Saalheft zu entnehmen ist.
Umso mehr verwundert, dass dieser Umstand in der Ausstellung selbst nicht adäquat thematisiert wird, die stattdessen vom „Entwicklungsprozess einer Frau […], die nach langen, schicksalhaften Irrungen und Verwirrungen schlussendlich Frieden mit ihrem Leben schloss“ und von „tragische[n] Schicksalsschläge[n] in der Zeit des Zweiten Weltkriegs“ spricht. Wo sich das in der Ausstellung zur Lektüre aufliegende Saalheft und der Katalog um eine differenzierte Sicht auf Haeseles bemühen, wird ihre Biografie beim Gang durch die Ausstellung zum individuellen Leidensweg einer den Zeitläufen vermeintlich passiv und vollkommen ungeschützt ausgelieferten Künstlerin verklärt. Für diese Einschätzung sprechen nicht nur der problematische Einleitungstext, sondern auch die zahlreichen, unkommentierten Zitate aus Haeseles Tagebüchern sowie die den einzelnen Ausstellungsteilen bzw. Werkgruppen vorangestellten Kapitelüberschriften wie „Animus und Anima“ oder „Im Bann des Krieges“. Die Frage, ob und inwieweit rassisch-völkische und antisemitische Ideologien im Werk der Künstlerin ihre Spuren hinterließen, wird hingegen an das Saalheft bzw. den Ausstellungskatalog delegiert, während die Retrospektive selbst eher als Rehabilitierungsversuch einer zu Unrecht vergessenen Künstlerin der Nachkriegsmoderne erscheint. Das ist auch deshalb enttäuschend, da sich die problematischen Seiten von Haeseles Oeuvre keineswegs auf die Zeit des Nationalsozialismus beschränken lassen. Zu nennen wäre etwa die intensive Beschäftigung der Künstlerin mit Anthroposophie, Theosophie oder der Archetypenlehre von C. G. Jung, deren teils „rassistische und antisemitische Grundlagen“ und Einfluss auf ihre Bildsprache immerhin im Saalheft adressiert werden. In diesem Zusammenhang wäre es zudem lohnend gewesen, anhand von Haesele die Bedeutung spiritistischer Lehren innerhalb einer Kulturgeschichte der Moderne zu diskutieren, die etwa auch im Werk so unterschiedlicher Künstler*innen wie Paul Klee, Joseph Beuys oder Hilma af Klint ihre Spuren hinterließen. Im Saalheft wird etwa die Wertschätzung von Haeseles zeichnerischem Werk durch den Phantastischen Realismus erwähnt, was freilich auch die Frage provozieren mag, wie sich ihr Werk im Kontext der Kunst nach 1945 behaupten kann.

Wie im Fall des vermeintlich unterschätzten Schriftstellers Bayr, ist Haeseles künstlerisches Schaffen vermutlich weniger originell als stellvertretend für die Moderne mit ihren gesellschaftlichen und ideologischen Verwerfungen anzusehen. Es verwundert daher nicht, dass Thomas Bernhards Diktum sich auch mit Blick auf ihren Lebensweg als treffend erweist. 1950 konvertierte Haesele zum Katholizismus, der fortan auch ihr zeichnerisches Werk bestimmen sollte.

 

Residenz – Frühe Jahre eines Literaturverlags
Wie kaum ein anderer Verlag nach 1945 hat Residenz die zeitgenössische österreichische Literatur gefördert und geprägt. Seit Beginn des literarischen Programms in den späten 1960er Jahren entwickelte er sich zur führenden Adresse innerhalb Österreichs für die wichtigsten Autorinnen und Autoren aus diesem Land. Ausgangspunkt für die Ausstellung über die frühen Jahre des Residenz Verlags (bis 1975) sind zwei für diese Zeit wesentliche Persönlichkeiten: der Gründer Wolfgang Schaffler (1919–1989) und der in Linz geborene Autor, Lektor und Berater Rudolf Bayr (1919–1990).

Stifterhaus, noch bis 5. Oktober 2021
stifterhaus.at

Die gezeichnete Welt der Emmy Haesele
Emmy Haesele (1894–1987, geb. als Emma Helene Göhring) wächst in großbürgerlichen Verhältnissen in Wien auf. Nach dem Ersten Weltkrieg zieht sie mit ihrem Ehemann, dem Arzt Hans Haesele, in die kleine Salzburger Landgemeinde Unken bei Lofer. An Philosophie und Theosophie umfassend interessiert, beginnt sie im Alter von 36 Jahren, ihre Träume und Bilder des Unbewussten zu zeichnen. Bald darauf fädelt der befreundete deutsche Schriftsteller Oscar A. H. Schmitz ein Treffen mit Alfred Kubin ein. Nach mehrjähriger intensiver Beziehung zu dem als „Magier von Zwickledt“ bekannten Alfred Kubin verändert sich Haeseles Zeichenstil gravierend. Die überaus sensible Künstlerin lässt nun märchenhafte Chiffren zur Bewältigung von geschlechterspezifischen Konflikten aus ihrer Seele aufsteigen. Animus und Anima übernehmen die Hauptrollen in der bildlichen Darstellung ihrer Ängste und Drangsale. Auch tragische Schicksalsschläge in der Zeit des Zweiten Weltkriegs versucht Haesele mithilfe von C. G. Jungs Archetypenlehre zeichnerisch zu verarbeiten. In den 1950er- und 1960er-Jahren schlägt die Figur des menschenfreundlichen Harlekins schließlich einen versöhnlichen Ton in ihren Werken an.
Die Ausstellung gewährt berührende Einblicke in den Entwicklungsprozess einer Frau, die nach langen, schicksalhaften Irrungen und Verwirrungen schlussendlich Frieden mit ihrem Leben schloss.

Lentos Kunstmuseum, noch bis 03. Oktober 2021
www.lentos.at

Du bist schon seit drei Tagen tot

Es wird Zeit über den Tod zu reden? Am 8. August wurde vom Verein sagbar auf dem Barbara-Friedhof der Memento #tag – Streetart & Vergänglichkeit initiiert und zelebriert. Christian Wellmann berichtet darüber, sowie über Death Positive und einige Aktivitäten des Vereins.

Gegenwärtig ist das „Problemkind“ Tod auch zu lästig. Immer will es die ganze Aufmerksamkeit, als wie wenn sonst nix los ist. Alle werden jemand kennen, der am Virus gestorben ist, so die bekannte Aussage des kindlichen Kanzlers. Angst fressen Seele auf – mit Haut, Hirn, Haaren und Homecomputer. Niemand will sterben – wer will, bitteschön – aber alles zerbröselt ja sowieso unumgänglich, irgendwann. Warum dann das Reflektieren darüber totschweigen? „Death Positiv“ heißt zu akzeptieren, dass man sterben wird, aber auch, dass man dem Tod mit derselben Neugier zu begegnen versucht, wie anderen Aspekten der menschlichen Existenz. Oder es bedeutet, dass ein schöner Stern nur ein Anblick eines längst erloschenen Lebens ist. Tod überall.

Der gemeinnützige Linzer Verein sagbar beschäftigt sich über Kunst und Kultur mit dem Thema „Tod“. Helfend. Humorvoll. Ernst. Und sucht eine neue Form der Friedhofskultur. Eine letzte Ruhestätte soll auch als Begegnungsort der Liebe möglich sein. sagbar stellt die Mittel, dem Leben und dem Tod mit Leichtigkeit entgegenzutreten. Das Leben leben. Selbstbestimmte Würde einatmen.

Betrieben wird der Verein von Verena Brunnbauer und Nicole Honeck. Als Trauerarbeiterinnen fordern sie, dass es Zeit wird, über das (oft) Unaussprechliche mehr und offen zu kommunizieren. Brunnbauer ist ehemalige Bestatterin, Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin, Freizeitpädagogin und Humorberaterin. Und beschäftigt sich bereits einige Jahre mit „Tod und Humor“. „Der Tod ist ein Reisender, der uns den ganzen Lebensweg begleitet und mein Ansatz ist es, einen leichtfüßigen Umgang damit zu finden“, so die ausgebildete Trauerbegleiterin Brunnbauer.
„Der Tod ist trotzdem ein Thema, mit dem man sich nicht gerne auseinandersetzt. Wir gehen davon aus, dass es besser wäre, sich damit zu Lebzeiten intensiver auseinanderzusetzen, um a) besser zu reagieren und agieren, wenn tatsächlich ein Todesfall eintritt – und b) weil das Ausnahmesituationen sind. Leute brauchen das, sie sind oftmals überfordert. Wenn man sich schon vorher damit auseinandersetzt, kann man anders agieren in so einer Situation,“ findet Nicole Honeck. Sie hat Kommunikationswissenschaften studiert und ist über Sozialarbeit in den Kulturbereich gewechselt. Hat eine Mediatoreninnenausbildung und ist danach im freien Bereich gelandet, beim Verein Pangea – die letzten sechs Jahre war sie in Leonding, bei der Kuva.
Beide erfüllen sich mit sagbar einen Herzenswunsch. Es gilt, gemeinsam Tabus zu brechen. Einen Umdenkprozess zu beschleunigen. Und so etwas wie eine Abfederung gegen ein zu hartes Aufschlagen zu ermöglichen, wenn der Ernstfall eintritt.

Direkt am Barbara-Friedhof befindet sich ihr Zentrum und Büro, das für vorläufig zwei Jahre bezogen wurde. An einem Eingang in einem ehemaligen Blumenladen gelegen, sind sie für alle Interessierten da und suchen das Gespräch mit FriedhofsbesucherInnen. „Zum Beispiel haben wir mit einer jungen Familie geredet, die ein Kind verloren und hier ein Kindergrab hat. Sie sagen, dass sie sich in ihrer Situation damals gewünscht hätten, wenn es so etwas wie uns gegeben hätte“, erzählt Verena Brunnbauer über eine äußerst positive Reaktion.

Es wird weiter laufend Ausstellungen, Workshops oder Weiterbildungsangebote geben. Im offenen Hauptquartier gibt es zudem eine kleine Bibliothek, die stetig ausgebaut wird. Es muss sich alles natürlich noch entwickeln – Input ist erwünscht. „Wir haben eine Finanzierung von der Stadt Linz bekommen, super. In Wahrheit ist das aber nicht ausfinanziert. Vieles müssen wir selber bezahlen. Die Zusage vom Land ist noch ausständig. Für das Projekt ist es uns das wert, wir lieben es“, so Honeck.

Der Memento-mori-Tag wurde 2013 in Australien geboren – 2020 gab es ihn erstmals in Österreich.
Der „Dying to Know Day“ soll gleichzeitig an die Sterblichkeit erinnern sowie daran, das Leben zu genießen. Am Sonntag, den 8. August 2021, hat sagbar auf dem Barbara-Friedhof nun den „Memento #tag – Streetart & Vergänglichkeit“ in passendem Rahmen zelebriert. Unter dem durchaus heftigen Motto: „Es wird Zeit, über den Tod zu reden.“ Für viele sicher ein schwer zu fassendes Thema.
Im Friedhof befand sich etwa eine Hörinstallation mit Haartrocknern von „Lebensblüten“ – dazu Workshops und Performances. Als ein nach außen hin sichtbares Zeichen ist eine Wand in der Lastenstraße (vor der Bahnunterführung) dauerhaft mit Graffitis verschönert. canlab, katuuschka, ruin, video.sckre haben sich Gedanken zum Tod gemacht und ein vielfältiges Panoramabild mit dottergelber Schmuckfarbe gestaltet, das hoffentlich noch lange dort zu betrachten ist, bevor die Farbe zerfällt. Die völlig unterschiedlichen Stile ergeben eine Narration des Todlebens, sofern man das so sehen will. Ein voller Erfolg, schauen Sie sich das an! „Ein zartes Band zwischen Streetart und dem Leben ist die Vergänglichkeit. Weder der Mensch noch Graffitis sind für immer. Ganz langsam verblassen sie und leben in Erinnerungen weiter“, so die sagbar-Macherinnen. Auf Friedhofsmauern zu sprühen ist eigentlich ein No-Go. Zumindest in Österreich. Die Außenmauern des Barbara-Friedhofs sind denkmalgeschützt – die Blechwand, die besprüht werden durfte, ist zudem ein für diesen Zweck schwer zu bearbeitender Untergrund. Brunnbauer hat bei Aufenthalten in Athen Unmengen an Graffitis zur Thematik gesehen und fotografiert – sie wurden hier als Planen an der Außenwand angebracht. Sie haben das Projekt stark beeinflusst. Und natürlich gab es noch die „Sargbar“: ein umgebauter Holzsarg, der zu Gesprächen an der Bar (=Sarg) einlädt und die Angst vor dem Tod nehmen soll. „Es ist alles sagbar an der Sargbar.“ Todernst ist hier gar nichts. Alle KünstlerInnen haben ihre „Memento“-Beiträge übrigens gratis gestaltet (siehe oben: Finanzierung).

Verena Brunnbauer und Nicole Honeck schwebt außerdem ein kultureller Garten am Friedhof vor – mit Sachen anpflanzen und so. Dass tatsächlich Leben dort passiert. Eine weitere Zukunftsvision ist ein Picknick im weitläufigen Gelände. Am Friedhof ist man (naturgemäß) eher vorsichtig, sich mit Neuem zu beschäftigen. „Doch die Friedhofszuständigen sind sehr offen, sie wünschen sich solche Sachen und unterstützen uns. Auch sind sie begeistert darüber, dass sich endlich etwas tut am Friedhof. Einmal was anderes“, erklärt das sagbar-Duo.
Viele Rückmeldungen sind so – die meisten Älteren sind aber eher ablehnend, natürlich nicht alle. Es gibt weitere gemeinsame Projekte mit dem Friedhof, wie zum Beispiel nächstes Jahr zu Ostern eine Wanderausstellung von einem Hospiz aus Deutschland („Gemeinsam gehen“). Oder Vorträge und Konzerte, wie „Quartett für das Ende der Zeit“ (Veranstaltungstipp s. u.).
In ihrem Büro oder über die Homepage kann das Kartenspiel „Sarggespräche“ gekauft werden. Es soll ein Werkzeug sein, um Gedanken, Vorlieben und Geschichten über Leben und Tod auf unterhaltsame Weise auszutauschen. Dieses Spiel mit insgesamt 100 Fragen wurde entwickelt, um die Kultur des Schweigens über den Tod zu brechen. Fragen wie: Was passiert, wenn du dir deine Sterblichkeit bewusstmachst? Oder: Wie möchtest du in Erinnerung bleiben?

Was ist Sterbehilfe? Wo hört sie auf? Der oft sehr negativ besetzte Begriff hat jetzt sogar in „Schnitzelhausen“ plötzlich Grautöne: Seit 1. 1. 2021 ist die sogenannte „Beihilfe zum Suizid“ erlaubt – dazu „indirekte und passive Selbsthilfe“. Der VfGH hat das bisher bestehende Verbot gekippt. Ein wahrlich radikaler Schritt, unglaublich, dass so etwas hierorts noch möglich wurde.
sagbar ist irgendwie auch eine Sterbehelferin oder ein Begleitservice. „Man will nicht immer über den Tod sprechen – aber man kann sich mit künstlerischen Mitteln, Ausstellungen, Plakataktionen nähern und KünstlerInnen einladen, sich damit zu beschäftigen. Und es von verschiedenen Seiten öffnen. In Deutschland ist es zum Beispiel groß, dieses Thema aufzubrechen, anders zu behandeln, ein bisschen mehr ins Leben zu integrieren. Dort gibt es viel variablere Sachen“, bemerkt Honeck.
In Österreich ist das weniger der Fall, der katholische Mief will einfach nicht aus dem Fuchsbau. Dazu ein anderes Beispiel: In der Nähe zu Time’s Up im Linzer Hafen ist die Anlegestelle für eine „Wasserbestattung“, die „Feierliche Verabschiedungen“ auf der Donau anbieten. Also für alle, die nichts mit Friedhöfen o. ä. zu tun haben wollen. Nur darf die Aschenbestattung tatsächlich nicht im Hoheitsgewässer ob der Enns erledigt werden. Das versaut wohl den Glauben oder die Gewässergüteklasse. Um die Asche offiziell und korrekt zu verstreuen, muss die niederösterreichische Grenze oder Passau angesteuert werden. Diese konservative Totenstarre, die so absurd klingt, dass man sie gar nicht glauben will, muss (mit vielem anderen religiösen Bling-Bling) dringendst hinterfragt werden. Und ebendort versenkt werden. Ist OÖ gar konservativer als Bayern oder NÖ? LH Stelzer fordert mehr Grenzschutz. Shorty’s Sugar Daddy braucht Geborgenheit. Wer schützt uns aber vor der Asche, die von Passau die Donau runterrinnt?
Passend dazu ist ein Umstand, den mir Nicole Honeck noch anvertraut: „Auf der Asche einen Baum zu pflanzen, ist in Österreich und Deutschland nicht möglich. Der Weg geht über die Schweiz – dort wird der Baum großgezogen, bis die ganze Asche aufgesaugt ist – und dann wird der fertige Baum wieder zurückgeschickt. Es wäre toll, wenn ein Ahnenbaum hier am Friedhof gepflanzt werden könnte.“ Zumindest werden nun sagbar-Samen ausgesät – wann sie aufgehen, wird man sehen.

KLF-Mastermind Bill Drummond hat sich mit einer Webpage (mydeath.net) bereits vor einigen Jahren mit einer ähnlichen Thematik beschäftigt. Leider ruht das Projekt, das sich mit möglichen Fragen zum Tod beschäftigte, bereits wieder. Bei einem Vortrag im Wiener MQ betonte er besonders die Wichtigkeit, sich einen letzten Song zur letzten Ruhe zu wünschen – und ihn via HP für alle ersichtlich einzutragen. Dies ist nur eine von unzähligen weltweiten Initiativen, die versuchen, den Tod wieder mehr zum persönlichen Thema zu machen. Und die versuchen, den Körper aus dem Monopol eines Staates oder einer religiösen Verschwörungsmaschinerie zu entreißen. Gut, dass auch in Linz daran gekratzt wird. „Es ist vollbracht“, so eine nachdenklich machende Grabsteininschrift am Barbara-Friedhof. Humor ist, wenn man trotzdem stirbt.

 

deathpositiv.at

sagbar-Zentrale
St. Barbara Friedhof, Friedhofstraße 9, Linz.
Öffnungszeiten: Mo.: 17.00–19.45 h, Mi.: 9.00–12.00 h

Messiaen – Quartett für das Ende der Zeit
5. Oktober 2021, 19.00 h
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Blicke auf den Tod“ lädt der St. Barbara Friedhof im Vorfeld von Allerheiligen an drei Abenden ein, sich mit dem existentiellen Thema Tod aus verschiedenen Perspektiven zu beschäftigen: Psychologie, Musik, Literatur und Philosophie.
sagbar steuert einen musikalischen Abend bei: Messiaens sogenanntes „Quartett für das Ende der Zeit“ ist eines der maßgebendsten Werke des 20. Jahrhunderts. Es wurde im Konzentrationslager STALAG VIII A bei Görlitz komponiert. Mit: Joel Bardolet/Violine, Pablo Barragan/Klarinette, Dominic Chamot/Klavier, Elisa Siber/ Violoncello
Freier Eintritt. Zählkarten gibt es beim Portier des St. Barbara Friedhofs. Spenden erwünscht.

Mein Gott Georg!

Ja, auch der Dude ist postpandemisch und gesellt sich mit Fullspeed ins gesellschaftliche Leben. Genug der Brotbackversuche, weg mit den verschimmelten Fermenten und lautes Pfui den Zustellfressalien.

Jetzt lässt der Dude wieder einen Profi ran – und was für einen! Georg Friedl, der ruhige, überlegte und in sich ruhende Denker der heimischen Kochszene. Er braucht keine brachiale Bühnenshow, hat keinen „Mann-bin-ich-toll“-Habitus und schon gar kein Möchtegern-Chi-Chi a la Linzer Innenstadt. Er ist auch nicht der Investmentpunk der Gastroszene oder macht auch nicht auf 50er-Jahre-Kochschnittchen. Er ist vielmehr ein Meister Pei Mei, der im Haselgraben mit einem Hattori-Hanzo-Messer Produkte verwöhnt und das Beste aus ihnen rausholt. Georg Friedl ist somit im besten Sinne ein Meister seines Fachs und ein Vorreiter einer gesamtheitlichen Lebensmittelphilosophie. Er macht am liebsten alles selbst, weiß woher es kommt, hat alles gern unter Kontrolle – vom Einkauf bis zur Raumgestaltung – und nimmt sich Zeit fürs Experiment. Wenn Jamie Oliver einen Holzhacker der Küche darstellt, ist Georg Friedl ein kulinarischer Uhrmacher. Genaue Materialkenntnis, ein präziser technischer Zugang und ein großes Talent zur Abstraktion machen ihn aus. Nach Pop-Up-Wirtshäusern im Rahmen seines Formats „Mühlvierteln“, einem Gastspiel im Linzer Kulturhaus Salzamt – in dem der viele Gäste sehr glücklich gemacht hat – und einer weiteren Odyssee ist er nun im wunderbaren Weinberg im Haselgraben angelandet. „Mühlvierteln“ im Weingarten nennt er diesen neuen Standort. Das Paradox Mühlviertel und Wein wird hier auf wunderbare Weise aufgelöst – die Praeses der Römer wären hin und weg gewesen – so wie auch der Dude es ist. Im Weingarten serviert er – innerhalb von etwas kryptischen Öffnungszeiten – bewährte Rezepte und neue Kreationen mit örtlichem Bezug. So werden die wunderbaren Salate (Gast muss rufen: „Mein Gott Georg!“) nun mit einem Brot, das mit Trester aus der lokalen Weinproduktion verfeinert wird, serviert. Eine nicht nur optisch formidable Mischung, findet der Dude. Der Chef findet nun auch Platz und Zeit, um beste Würste, Pastrami, Salami und eingelegtes und fermentiertes Gemüse selbst zu produzieren. Er ist damit noch einen Schritt näher an der lukullischen Vollproduktion und lokalen Selbstversorgung. Auch der autochthone, noch etwas „hantige“ Wein wird durch alchemistisches Geschick zu etwas Feinem umgebaut. From Nose to Tail und vom Garten bis in den Keller. Wenn der Dude ein „Prepper“ wäre, müsste Georg Friedl den Vorratskeller füllen.

Bevor es aber wieder soweit ist: Rauf in den Weingarten, ihr Linzerinnen und Linzer! Es ist schön, schmeckt toll und erweitert den persönlichen, kulinarischen Horizont ungemein.

Info zu Speisen, Öffnungszeiten und Hintergrund: www.muehlvierteln.at

Noch ein Lesetipp:
Mühlviertler KOCH:BUCH – Altes bewahren, Neues erfahren
Von Georg Friedl, erschienen im Verlag Bibliothek der Provinz
ISBN: 978-3-85252-396-5
www.bibliothekderprovinz.at/buch/5778

Es geht verdammt nochmal ums Geld

Von Sexarbeit wird erwartet, was wenig Berufe leisten können: selbstbestimmt und zwanglos zu sein. Pauli ist seit 3 Jahren in verschiedenen Bereichen der Sexindustrie zu Hause und gibt hier Perspektiven auf diese Arbeit, um internalisierten Vorurteilen die Stirn zu bieten.

Foto Pauli Dares

Neulich outete sich im Gespräch ein Mensch, den ich gerade erst kennengelernt hatte als Kunde von Sexdienstleistungen. Das fand ich gut, denn auch Kunden von Sexarbeitenden leiden unter einem Stigma. Die Frage, woher er denn wissen könne, ob die gebuchte Sexdienstleisterin das gerade aus Spaß macht und woran er erkenne, dass sie nicht ausgebeutet wird, kam im Gespräch immer und immer wieder auf.

Genau dieser Zugang zum Thema Sexarbeit offenbart eine Logik, die dem kapitalistischen System inhärent ist: Es kann nur erlaubt sein, was komplett selbstbestimmt ist. Und was erzwungen ist, sollte verboten werden. Die Debatte um Freiwilligkeit bzw. Selbstbestimmtheit ist eine Falle im Kapitalismus.

Ich widme diesen Text allen (dezidiert männlichen) Konsument*innen von Sexdienstleistungen und allen Menschen, die sich von ihren Vorurteilen noch nicht lösen konnten und immer noch verkürzte Kapitalismuskritik betreiben, wenn sie sich um andere sorgen. Bitte hört auf, euch um uns Huren zu sorgen, oder fangt an, euch auch um Fleischfabrikarbeitende, Erntehelfer*innen, Bauarbeitende, Call-Center Agent*innen, Pflegekräfte, Kassierer*innen und noch viel mehr Arbei­te­r*in­nen zu sorgen.

Unsere Gesellschaft ist auf das Überleben und das minimale Wohlergehen ihrer Mitglieder angewiesen. Dazu benötigt es Menschen, die kochen, die pflegen, einkaufen, waschen, trösten, zuhören, in den Arm nehmen und sich sorgen. Wenn auch nicht für alle in gleichem Maße wichtig, gehört auch sexuelle Befriedigung zu diesen Grundbedürfnissen. Damit ist nicht der Quickie gemeint, sondern die sexuelle Befriedigung als Bestandteil menschlicher Zuwendung. All das nennen wir Care-Arbeit. Die Systemrelevanz dieser Arbeiten wurde den meisten Menschen (leider erst) durch Corona unmittelbar bewusst. Ebenso, dass deren Ausübung neben Ausbeutung, schlechter (oder gar keiner) Bezahlung oft auch noch mit Stigmatisierung einhergeht.

Der Neoliberalismus des 21. Jahrhunderts ist ein System, in dem Menschen überall auf der Welt ausgebeutet werden, in dem meist Frauen* und Migrant*innen auf dem Kontinuum „Pflege-Reinigung-Sexarbeit“ arbeiten. Ein System, in dem Fähigkeiten und Ausbildungen von Geflüchteten und Migrant*innen nicht so viel wert sind, wie die derjenigen, die hier geboren wurden. Ein System, in dem Cis-Männer die meisten Führungspositionen besetzen, und in dem Frauen*, die eine selbstbestimmte Sexualität und Körperautonomie haben, von Gewalt und Diskriminierung betroffen sind.

Sexarbeit kann in der Tat selbstermächtigend sein, aber darum geht es nicht. Es geht verdammt nochmal ums Geld. (Kitty Carr) 

Aber wir können nun mal nicht den gesamten Kapitalismus auf einmal abschaffen. Wie die meisten Menschen versuchen wir Sexdienstleister*innen unter den gegebenen Verhältnissen durchzukommen. Jede Arbeit hat ihre ganz eigenen Vorzüge und Ärgernisse.

Den wenigsten Menschen auf der Welt ist das Privileg gegeben, Lohnarbeit aus Selbstverwirklichung zu machen – das ist ein neoliberaler Mythos.

Aber wir Sexarbeitende sind immer wieder von der Unfähigkeit der Gesellschaft betroffen, sich dessen bewusst zu werden. Einer Gesellschaft, gefangen in der christlichen Moral. Das äußert sich in paternalistischen Helfer*innen-Symptomen, in „besorgten“ Kommentaren, in Abwertungen, die nicht als solche gemeint sind, und in Gewalt und offener Diskriminierung.

Ja, es gibt privilegierte und glückliche Huren wie mich, die sich den Beruf aussuchen, weil er trotz guter Ausbildungen und vieler anderer Möglichkeiten im gutbürgerlich und angepassten System der Job ist, der weitestgehend glücklich macht und die Möglichkeit der Entfaltung und Horizonterweiterung bietet. Und es gibt auch Menschen, die unter falschen Versprechungen in andere Länder gelockt werden. Zwischen diesen Realitäten liegen Welten und alle Geschichten haben ihre Berechtigung.

Kommentare wie: „Woher weiß ich, ob sie glücklich ist und nicht ausgebeutet wird“, setzen falsch an. Diese Art von Kommentar wäre nur akzeptabel, wenn er für alle Arten von Arbeit und mit der Zielsetzung und Bereitschaft gemacht werden würde, sich für den Kampf für die Überwindung des Kapitalismus einzusetzen.

„Auch Sexarbeit ermöglicht es Menschen, sich in unserer von Zwängen durchzogenen Welt ein bisschen Handlungsmacht zurückzuerobern: Sofort Geld auf die Hand, und das ohne Berufsausbildung oder größere Investitionen, hohe Mobilität, wenn gewollt. Sicher, der Preis dafür ist hoch: Stigmatisierung, (gesundheitliches) Risiko, anstrengende Kunden. Es gibt gute Gründe, nicht in Bereiche der Sex­arbeit zu gehen. Es gibt aber auch viele gute Gründe dafür“, so Theo Meow, Aktivist der Szene. Sexarbeit ist definitiv kein Job wie jeder andere und nicht für jede*n geeignet. Es braucht Voraussetzungen, Talente und Kenntnisse, um den Beruf erfolgreich und unbeschadet ausüben zu können. Jeder Teilzweig (Straßenstrich, Escort, Laufhaus, Massagestudio, Caming etc.) erfordert besondere, jeweils andere Kenntnisse, verschiedene Trainings- und Weiterbildungen. Die „Wahl“, in welchem Bereich Geld verdient wird, sei allen selbst überlassen.

Migrant*in zu sein verändert alles, denn der Entscheidungskorridor ist schneller schmaler bemessen als für andere.

Armut, rassistische oder sexistische Marginalisierung, fehlende Papiere, unzureichende Sprachkenntnis, Probleme bei Behördengängen oder der Eröffnung eines inländischen Kontos – Migrant*in zu sein verändert alles, denn der Entscheidungskorridor ist schneller schmaler bemessen als für andere.
Das ist in der Sexarbeit so, wie in allen anderen Berufen auch. Die persönliche Wahlfreiheit wird drastisch eingeschränkt und all das erleichtert es, in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen zu landen. Egal, in welchem Tätigkeitsbereich.
Die Diversität der Sexindustrie und der Menschen, die in ihr tätig sind, bedeutet auch, dass Sexarbeiter*innen unterschiedliche Privilegien besitzen und unterschiedliche Formen von Diskriminierung erfahren.
Gesellschaftliche Sichtweisen drängen der Sexindustrie, zusätzlich zu Stigmatisierung und Ausgrenzung bestimmter Gruppen von Sexarbeiter*innen, eine moralisch motivierte Hierarchie auf, die auf folgenden Kriterien beruht: Migrant*in­nen­status, ethnische Herkunft, Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, Dro­genkonsum, Arbeitsbereich bzw. Art der angebotenen Dienstleistungen sowie psychische und physische Gesundheit. Sogar unter Sexarbeiter*innen gibt es Personen, die diesen Sichtweisen zustimmen. Es ergeben sich verschiedenartige intersektionale Diskriminierungserfahrungen.
Eine Sexarbeiter*in ohne gesicherten Aufenthaltsstatus kann zum Beispiel keine Anzeige bei der Polizei erstatten, wenn sie Gewalt erfährt. Wobei sich ohnehin nur die wenigsten Sexarbeitenden freiwillig bei der Polizei melden, da sie, egal ob mit und ohne Aufenthaltserlaubnis, Diskriminierung erfahren. Dadurch erfährt sie eine andere Form von Marginalisierung als ihre Kollegin mit gesichertem Aufenthaltsstatus oder österreichischem Pass.
Wir Huren, die uns einen Aktivismus erlauben können und für unsere Arbeitsrechte kämpfen, kämpfen immer noch gegen Stigmatisierung und Doppelmoral, repressive politische Regelungen in Bezug auf Migration und die dadurch entstehenden negativen Konsequenzen für Sexdienstleister*innen an. Es bestehen nach wie vor mehr Pflichten als Rechte. Achtung: Oft sind wir, die es repräsentieren, nicht repräsentativ – dennoch sind wir mitzudenken in der riesigen Welt der Sexindustrie. Auch unsere Geschichten haben Berechtigung.

Benachteiligungen aufgrund von moralischen Bedenken dürfen nicht akzeptiert werden.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich in der gesellschatlichen Betrachtung von Sexarbeit kapitalistische, patriachale und rassistische Strukturen manifestieren. Probleme, die nicht gelöst werden durch strukturelle Gewalt und verkürzte Kapitalismuskritik oder gar ein Verbot eines Berufes.

Also, willst du ein guter Kunde sein?

Und nun zurück zu meinem Gespräch mit dem gerade geouteten Kunden. Du willst ein guter Kunde sein und sichergehen, dass es der Sexdienstleister*in mit dir gut geht? Hier ein paar Tipps, die dabei helfen können und die du prinzipiell auf jede Dienstleistung anwenden kannst:

Meine „Lieblingskunden“ sind diejenigen, die mich und meine Auswahlverfahren mit Respekt behandeln, mich wie besprochen bezahlen, mich nicht schikanieren oder stalken. Mich nicht ihren rassistischen Tiraden aussetzen, während von mir erwartet wird, zu lächeln und zu nicken.

Meine Favoriten lesen mein Profil richtig, informieren sich über meine Arbeitszeiten, Honorare, Dienstleistungen und wie ich es vorziehe, kontaktiert zu werden. Sie meckern nicht, wenn ich eine Anzahlung verlange, und sie verlangen keine Dienstleistungen, die ich nicht anbiete. Sie respektieren meine Zeit. Sie rufen nicht mit Schwänzen in der Hand für einen kostenlosen sexy Chat an oder tauchen zu spät auf.

Sie kommunizieren gut und kommen wieder: Je länger ich jemanden treffe, desto mehr Spaß haben wir, weil wir Vertrauen aufbauen.

Sie informieren sich selbst über Geschlechtskrankheiten, wie sie übertragen werden und überlassen diesen Teil nicht nur mir als Dienstleister*in.

Sie geben mir immer die Möglichkeit, NEIN zu sagen, auch wenn wir schon mitten drin sind. Nur weil sie für etwas bezahlt haben, bedeutet das nicht, dass sie das Recht haben, über meinen Körper zu verfügen.

Sie fragen nach, anstatt nur anzunehmen. Sie zeigen ihren Corona-Test vor, ohne dass ich danach fragen muss.

Sie erkennen und akzeptieren, dass ich als Sexarbeitende im Rahmen meiner Arbeit manchmal Dinge tue, die mir nicht wirklich Spaß machen oder Lust bereiten und dass ich dennoch explizit dazu bereit bin, es zu tun und gute Gründe dafür habe – das nennt man nicht-enthusiastische Zustimmung.

Also, wie bei anderen Käufen oder Konsumwegen auch: Mache dir vorab Gedanken über deine Bedürfnisse und überlege dir, welche sexuelle Dienstleistung am besten dafür geeignet ist, deine Bedürfnisse zu erfüllen. Kenne deine Grenzen und respektiere die Grenzen der Dienstleister*in. „Der Kunde ist König“ – einfach, nö!

Sexarbeit ist Arbeit – Respekt!

 

Podcasts
Weitere Tipps für Kund*innen in der Podcastfolge „Das Date“ meiner Kolleg*innen llleonie und lllil:
mitzunge.podigee.io
Paulis jüngstes Interview zum Thema, Beschreibungen, Kenntnisse und Talente und Sexpositivität:
open.spotify.com/episode/2NUdcxSBMY8aQ01jMjMNc7?si=61213568318c4ea0

Filmtipp
Gerade arbeite ich mit zwei Kolleg*innen an einem länderübergreifenden Sexworker-only-Filmprojekt. Auf Grund unseres Berufes, dem damit behafteten Stigma und internalisierten Vorurteilen sind wir S_xarbeitende oft mit toxischen Beziehungsdynamiken konfrontiert und finden uns oftmals in Situationen wieder, in denen wir unsere Partner*innen weiterbilden müssen. Und das natürlich nur, wenn wir uns dazu entschließen, offen mit unserem Beruf umzugehen. Unser Kurzfilm soll unseren Beziehungsmenschen dabei helfen, ihre Vorurteile zu bearbeiten und gleichzeitig unsere Community stärken. Wir S_xarbeitende sind die Expert*innen in Fragen zu unserer Arbeit. Leider wird uns dies nach wie vor selten anerkannt. Mit diesem Projekt beleuchten wir unsere Themen innerhalb von Beziehungen und schaffen uns Gehör. Wir verstehen dieses Video als Bildungs- bzw Aufklärungsmaßnahme für die Mehrheitsgesellschaft. Darüber hinaus kann es als didaktisches Material für die Ausbildung verschiedener Berufe (Sozialarbeit, Erwachsene Bildung, Psychotherapie usw.) zur Destigmatisierung von sexarbeitenden Personen verwendet werden. Der Film ist ab September 2021 auf der Webseite der Postproduzent*in zu sehen:
www.smo-s.com

Veranstaltungstipp
Vom 22. bis 25. September findet in Wien das Projekt „RED RULES Vienna“ statt, bei dem Menschen die Möglichkeit geboten wird, Einblicke in verschiedene Bereiche und Themen der Sexarbeit-Industrie zu erlangen. Am 22. September gibt es die Premiere der Performance „City Of Whores“, die dann noch bis 25. abends läuft. Die Konferenz zur Sexarbeit findet vom 23. bis 25. September von 11–17 Uhr statt. Tickets und weitere Informationen: ntry.at/redrulesvienna

Die kleine Referentin

Bild Terri Frühling

Three Peaks Bike

Lokaler Radverkehrsverdruss oder internationale Fahrradlust? Magnus Hofmüller fiel die Wahl nicht schwer: Er interviewte Jana Kesenheimer und Gerald Minichshofer, die gerade vom einem wunderbaren Rad­rennen quer durch Europa zurückgekehrt sind.

MH: Ihr habt beide ein unglaubliches Langdistanzrennen hinter euch. Und zwar das von Adventure Bike Racing organisierte Three Peaks Bike Race, das heuer von Wien nach Barcelona geführt hat. Du, Jana, hast das mit dem fünften Platz beendet (7 Tage, 11 Stunden und 37 Minuten) und du, Gerald, als Achter (8 Tage, 4 Stunden und 8 Minuten). Wie kommt man dazu, sowas zu machen?
JK: Ich hatte nie das Ziel, mit meinem Radfahren bei solchen Formaten mitzumachen. Ich bin da eher hineingestolpert und dann ist es irgendwann eskaliert. Ich komme aus einer sportbegeisterten Familie mit einem Radsport-Vater, und wuchs mit Tour de France im Fernsehen auf. Die Radtouren meiner Kindheit lösten bei anderen Leuten oft Verwunderung aus. Nach jugendlicher Radsport-Verweigerung und einem Exkurs in Marathon und Triathlon musste ich meinem Vater recht geben und fahre seitdem nur mehr Rad.
GM: Ich habe begonnen Brevets zu fahren. Das sind Distanzfahrten von 200, 400, bis hin zu 600 Kilometern. Es sind keine Rennen und es gibt nur eine Maximalzeit und keine Wertung. Das bekannteste ist der Klassiker Paris-Brest-Paris mit 1200 km. Über einen Freund bin ich dann auf das Three Peaks Bike Race gekommen – er hat gemeint: „Das schaffst du auch!“

MH: Wie kompetitiv ist ein solches Format oder ist es letztlich nur ein Rennen für oder gegen sich selbst?
GM: Mein Ziel ist, ins Ziel zu kommen und die Platzierung ist daher nebensächlich. Ich fahre nicht gegen die MitfahrerInnen, sondern gebe einfach mein Bestes. Während des Rennens orientiere ich mich nur, wer vor und hinter mir ist – rein als Ansporn. Im Gegenteil, man ist viel alleine am Weg und freut sich über jede Begegnung. Aber es ist trotzdem ein Rennen – auch natürlich gegen sich selbst.
JK: Spannende Frage. Es ist sehr unterschiedlich. Kommt auf die Person drauf an. Ich komme aus dem Radmarathon und der ist mega-kompetitiv. Richtig bissig – auch unter den Frauen. Mit echt oft fiesen Kommentaren. Nach meinem Sturz wollte ich weniger striktes Training und begann mit Bikepacking. Und so kam es zur ersten Anmeldung zum Three Peaks Rennen im Vorjahr. Und da war die Stimmung unter den Leuten gleich ganz anders. Extrem nett und unterstützend. Es geht stark drum, sich selbst was zu beweisen und man fährt meist alleine und gegen sich. Jedoch ist mir ein guter Platz schon wichtig und ich bin stolz drauf. Aber ohne Top-Platzierung als Ziel.

MH: Wie sieht der Tagesablauf während des Rennens aus? Gibt es Strukturen oder Tagesabläufe? Das Format des Rennens gibt ja nichts vor, außer so schnell wie möglich das Ziel zu erreichen.
GM: Das einzige wirkliche Fixum ist, dass ich 3 Stunden pro Tag schlafen muss. Der Rest ist nicht planbar. Die ersten beiden Tage vielleicht – aber danach übernimmt das Rennen. Es entscheidet die Tagesverfassung und das Gefühl, wie es mir geht. Wichtig ist ein gute Routenplanung.
JK: Bei meiner ersten Fahrt war ich sehr planlos unterwegs. Machte kurze Power-Naps und hatte keine längeren Schlafphasen; und so wurde die Müdigkeit zum größten Gegner. Dieses Jahr war der Plan, einen festen Rhythmus zu etablieren und das ist mit auch gelungen. Ich habe mich immer zwischen 23 und 1 Uhr hingelegt und mindesten 3 Stunden geschlafen.
Dann bin ich nach 3 oder 4 Stunden losgefahren und bin dann nur mehr am Rad gesessen. Die Morgenstunden waren am schwierigsten. Die Zeit zwischen 7 und 10 Uhr. Ich habe auch die Pausen gestrichen, bin nur in kleine Geschäfte oder Tankstellen gegangen und habe am Rad gegessen – damit ich keine Zeit liegen lasse.

MH: Ein weiterer wichtiger Faktor: Erholung und Ernährung. Wie sieht es mit der Nahrungszufuhr und der Unterbringung aus? Gels und Powerbars? Isotonische Spezialmischungen? Oder das, was die Tankstelle hergibt?
JK: Ich esse keine Sportnahrung. Gels und Riegel habe ich nicht. Am liebsten esse ich gekochte Kartoffeln am Rad [lacht]. Während der Fahrt esse ich, was es „schnell auf die Hand“ gibt – Obst, Brot mit Käse, Snickers und Gummibärchen. In Frankreich gab es zum Beispiel gute Quiche oder Baguettes mit Belag.
GM: Ich lasse das auf mich zukommen, brauche aber keine Spezialgels oder ähnliches. Ich vertrage normales Essen auch in dieser Situation gut und brauche es auch, dass es schmeckt. Die Qualität – überhaupt Bio und viel Gemüse – ist mir sehr wichtig. Ich möchte hier meine alltäglichen Gebräuche nicht über Bord werfen. Meine Ernährung ist zum Großteil vegetarisch. Ich habe aber den Fehler gemacht, in den ersten Tagen wegen der einfachen Verfügbarkeit McDonalds zu besuchen. Das tat mir überhaupt nicht gut. Da sind mir landwirtschaftliche regionale Angebote wie die 24h-Ackerbox bei Villach viel lieber – obwohl ich das am Wurzenpass mit 18% Steigung aufgrund des Gewichts etwas bereut habe. Auf der weiteren Route, zum Beispiel in der Schweiz, sind die Tankstellen sehr gut ausgerüstet und in Frankreich sind Pains au chocolat meine Hauptnahrung. Die Schlafplätze waren recht in Ordnung – immer entlang der Route im Biwaksack. Wichtig ist, gute Plätze zu nützen und nicht zu lange weiterzufahren. Das verschwendet oft Kraft und letztendlich auch Zeit.

MH: Zum Setup. Gerald, du fährst ein Stahlrad (von Alex Singer) mit Felgenbremsen und 650B Reifen, hast zudem Taschen aus gewachster Baumwolle (von Gilles Berthoud). Jana, du fährst einen Carbon-Renner (von Specialized) mit Bikepacking-Ausrüstung, wie der sogenannten Arschrakete und Rahmentaschen. Könnt ihr mir etwas zu eurem Equipment sagen?
GM: Es ist ein klassisches Ranndoneur-Rad. Ursprünglich wäre ein maßangefertigtes, etwas leichteres Stahlrad geplant gewesen, aber aufgrund der Liefersituation bin ich mit dem Rad aus 1976 gefahren. Das funktioniert für mich am besten, da ich einen flexiblen Rahmen brauche, der meinen Rhythmus zulässt. Das Gewicht ist für mich zweitrangig. Und mir ist Alu oder Carbon zu steif – und ich bekomme schnell Probleme in den Knien. Die Reifenbreite, die ich fahre, ist 37 mm und das bietet guten Komfort auch auf schlechten Straßen.
In den Taschen ist der Biwaksack, Regenkleidung, eine echte Wolljacke – die benötigt am meisten Platz, war aber nötig, weil es auf den Pässen empfindlich kalt wurde. Eine Reflektorweste, Armlinge, Beinlinge, Handschuhe, kleines Werkzeugset und Licht. Zahnbürste, Seife und Sonnencreme. Und Fruchtriegel – als Notration. Hose hatte ich nur eine – und die hatte ich an.
JK: Ich habe seit dem Vorjahr Unterstützung von Specialized im Bereich Material und fahre gefühlt das leichteste Rennrad, das es am Markt gibt. Gerade bei meinem Körpergewicht sind 2–3 Kilo Ersparnis schon sehr deutlich zu spüren. Mit Gepäck hatte es zirka 15 kg. Ich habe ein sehr minimalistisches Setup: Schlafsack, Isomatte, Rettungsdecke, Armlinge, Knielinge, Handschuhe und Regenjacke. Ich wollte ohne Extrakleidung (kurze Shorts und T-Shirt) fahren – davon hat mich mein Freund aber abgebracht. Im Gegensatz zum Vorjahr hatte ich nur Satteltasche, Rahmentasche und kleines Bag am Oberrohr. Und keine Lenkertasche mehr.

MH: Welche Übersetzung fährst Du?
GM: Kettenblätter 48/30 – Zahnkranz 12/28
JK: Kettenblätter 50/34 – Zahnkranz 12/34

MH: Was steht nächstes Jahr am Programm?
GM: Das Silk Road Mountain Race oder Atlas Mountain Race würden mich interessieren. Also auch mehr ins Gelände oder Off-Road. Oder Rennformate wie French Divide oder Slovakia Divide sind auch sehr spannend.
JK: Ich wollte heuer noch die Transpyrenees fahren – das Rennen wurde aber leider abgesagt. Jetzt fahre ich einfach so zum Radeln hin. Und den Ötztaler Radmarathon fahre ich auch noch.

 

Gerald Minichshofer, *1994 in Linz (AT), lebt in St. Marien und ist Fahrradmechaniker im Fahrradladen „Zum Rostigen Esel“ in Linz. Er interessiert sich für Fahrradgeschichte und nimmt regelmäßig an Brevets und Bikepackingrennen teil. Der tägliche Arbeitsweg mit dem Fahrrad bildet nach eigenen Angaben die Grundlage für seine Kondition.

Jana Kesenheimer, *1994 in Freudenstadt (DE), lebt seit vier Jahren in Innsbruck und ist Doktorandin der Sozialpsychologie. Sie beschäftigt sich beruflich mit Umweltverhalten und verbringt die restliche Zeit meist auf dem Rad. Weil sie am liebsten bergauf fährt, kommt die Kondition ganz von allein.