Editorial

Der Metabolismus der Stadt, die aktuelle Ausstellung im afo architekturforum, beginnt den Textreigen in dieser Referentin. Schöne erste Zeile im Ausstellungstext zu den Stoffwechselprozessen der Stadt: „Unter dem Asphalt wird der Platz knapp“. Ja, ist so. Damit an dieser Stelle eine Empfehlung, sich die hervorragend gemachte Schau anzusehen.

Gefühlt eng wird es auch über oder auf dem Asphalt – nämlich dahingehend, was sich überall an Verdauungs- und Rülps-Prozessen in der Stadt and elsewhere in der Welt zusammenbraut. So war im November zum Beispiel über dem Asphalt nicht nur das üble rechte Demonstrant:innengesocks der Identitären zu finden, samt erfreulicher linker Gegenpräsenz, also derer, die die Welt vor diesen Hasspredigern abschirmen wollen. Sondern auf dem Asphalt wurden auch – wie soll man das benennen? – Autodemonstrationen gesichtet, die vollkommen sinnbefreit gegen Preissteigerung und Ukrainekrieg „demonstrierten“, während sie aufs Gaspedal drückten.

Aber gut. Reden wir kurz über Preissteigerungen. Der Strompreis wird sich 2023 angekündigterweise um ein Vielfaches erhöhen. Man will es nicht richtig verstehen, was das ausschließlich mit dem Ukrainekrieg zu tun haben soll und hat das Gefühl, dass man sich nicht nur auf ein Dystopia von langen Kriegen einstellen muss, sondern in Zukunft den Strom für den eigenen Haushalt gleich selbst an der Börse kaufen muss.

Erwähnen wir auch kurz die erhöhten Kosten, die verschärfte Ressourcenlage und den prekären Arbeitsmarkt. Dies zwingt zum Beispiel unsere Druckerei, den Landesverlag, einen soliden Mittelstandsbetrieb, ihren Standort in Wels Mitte kommenden Jahres zuzusperren. Die Referentinnen-Redaktion war und ist immer noch schockiert und erinnert sich in diesem Zusammenhang an einen Redaktionsausflug in den Betrieb. Es wurde bereits damals (2015!) beim Rundgang erzählt, dass es zunehmend schwieriger wird, die Preise zu halten. Weil etwa Altpapier an der Börse gehandelt wird und man deshalb gezwungen sei, Altpapier, das hier gesammelt wird, zu Weltmarktpreisen zu kaufen.

Benennen wir deswegen auch kurz den Zusammenhang zwischen einem überkommenen Kapitalismus, der zwar schon mehr als tot ist, aber dennoch als superaggressiver Zombie weiterlebt. Und kombinieren wir das mit der Rede von den alten weißen Männern, die als Phänomen und Spezies zwar noch nicht ganz tot sind, aber richtig gut riechen tun sie tatsächlich auch nicht mehr. Wir meinen hier im Übrigen nicht Männer über 60, sondern diejenige autoritäre Macher-Spezies, die uns zwar in privaten, gesellschaftlichen und politischen Belangen den Scheiß eingebrockt hat, den wir jetzt vorfinden, aber immer noch so weitermachen möchte; oder etwa aktuell denjenigen jungen Leuten, die Püree oder sonstigen Brei auf Bilder werfen, salbungsvoll erklärt, dass es hier doch um humanistische Werte geht, die zu schützen seien, während die Ökologie den Umwelt-Sturzbach runterrauscht. Und ja, wir finden es eigentlich auch scheiße, dass diese Bilder angepatzt werden. Aber darum geht’s hier nicht.

In Linz gab es übrigens eine FP-Anfrage an die Museen, zu den Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz unserer Bilder vor Gatsch. Und man möchte antworten: Ja, wenns um Sicherheitsfrage geht, dann ist die Kunst was wert. Zu Aspekten von Autorität und deren poetisch-groteske Durchbrechung seien hier exemplarisch zwei Texte erwähnt: Barabara Eder schreibt in ihrem Text über Alice im Wunderland über eine Kritik an den Autoritätsfiguren im viktorianischen England bzw. über den logischen Abgrund des Absurden. Und Thomas Raab, der einen „antiautoritären“ Sprachansatz bei Christian Steinbacher reflektiert, erwähnt ein Zitat von Oswald Wiener, das da lautet: „folgerichtigkeit, die den kontakt zur wirklichkeit verliert, erzielt bekanntlich eine starke poetische wirkung“. Ja, stimmt: Je weniger Kontakt zur Wirklichkeit, desto folgerichtiger wirkt der Wahnsinn.

Fragen wir uns noch kurz, was in der Kultur rundum los ist: Wir wissen es nicht wirklich. Wir sehen zum Beispiel unter der Woche reges Treiben in Bibliotheken, am Donnerstagabend gut besuchte Lesungen, Freitagabend zum Beispiel komplett leere Cafes, Samstagmittag flau frequentierte Einkaufspassagen und Samstagabend etwa volle Clubs. Und dazwischen sehen wir auch so einiges.

Über die Zusammenhänge und unterirdisch guten Verbindungen, die sich zwischen den Texten auftun, möge sich die werte Lese­r:in­nenschaft selbst ein Bild machen. Anmerkung der Redaktion dazu:

Unbedingt alles von vorne bis hinten lesen. Ist eh schon wieder so bald dunkel.

Die Referentinnen, Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

Was frisst Linz, …

… und was scheidet es aus? Wie funktioniert eigentlich der Stoffwechsel von Linz? Im afo ist derzeit die Ausstellung Metabolismus der Stadt zu sehen. Georg Wilbertz über Ausstellung und Infrastrukturen der Stadt.

Unter dem Asphalt wird der Platz knapp. Foto Max Meindl

Mit der Utopie der Stadt (und damit sind keine utopischen Idealstädte gemeint) verbindet sich, seit es die Stadt als Siedlungsform gibt, die Idee, dass es sich letztlich um eine Art Heilsort handelt. Dessen Bedeutung geht weit über die bloße Gewährleistung von sozialer, politischer, ökonomischer und kultureller Versorgung und Identität hinaus. Die Stadt ermöglicht vielfältige Lebensformen und repräsentiert – in unterschiedlicher Ausprägung und mit unterschiedlicher Konsequenz – ein mehr oder weniger offenes System des verdichteten Zusammenlebens. In der Antike oder dem europäischen Mittelalter wurden häufig metaphysische Einrichtungen und „Installationen“ (Religion, Kult etc.) genutzt, um die Stadt im Bewusstsein ihrer Bewohner*innen zu einem sicheren und lebenswerten Platz zu machen. Gelang dies im realen Leben meist nur sehr eingeschränkt (privilegierte Kreise ausgenommen), so gewann die irdische Stadt zumindest als Abbild religiös motivierter, eschatologischer Modelle eine heilsbringende Bedeutung. Schließlich war es das Himmlische Jerusalem, das am Ende aller Zeiten im mythischen Raum des Jenseits all jene städtischen Ideale und Existenzträume, die hier auf Erden – bis heute – nicht zu realisieren sind, erfüllen sollte.

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Infrastrukturen als Heilsversprechen
Auch wenn für uns heute derartige Vorstellungen kaum noch von Bedeutung sind und wir unsere „Heilssuche“ längst in die „paradiesischen“ Pseudo-Realitäten digitaler Medien und Gemeinschaften auslagern: die Stadt ist nach wie vor (trotz aller weltweit zu beobachtenden Verwerfungen) der physische Ort, der am ehesten die Hoffnung auf persönliche Verwirklichung verspricht. Die zentrale Voraussetzung hierfür bildet im Idealfall das reibungslose Funktionieren der Stadt. Dieses wird seit der Industrialisierung vor allem gewährleistet durch Infrastrukturen und Apparaturen, die meist unsichtbar (fast wie die Wunderwirksamkeit des Religiösen) im Untergrund der Städte und Siedlungen – wie von Geisterhand – werkeln. Die Unterwelt unter der Oberfläche der Stadt war bis zur Verlagerung der lebenserhaltenden Infrastrukturen in den Untergrund im Verlauf des 19. Jahrhunderts nicht unbedingt eine positiv konnotierte Sphäre. Hier verbargen sich die bösen Kräfte, ihr entstiegen die krankmachenden Dämpfe und bis zu den strafenden Tiefen der Hölle war es auch nicht weit. Mit der Industrialisierung und den komplexen Prozessen der Großstadtwerdung fand eine auf funktionale Optimierung hin orientierte Umdeutung der Welt unter der Oberfläche statt. In ihr verbarg man die Versorgungskreisläufe, die den Organismus (durchaus wörtlich zu verstehen) Stadt am Leben erhielten. Seitdem verlaufen unter der Oberfläche unserer Städte die Arterien, die uns mit Wasser, Energie, Wärme, Information etc. versorgen. Ihnen stehen die Ausscheidungskanäle (z. B. für Abwasserentsorgung) gegenüber.
Die vom afo architekturforum in Auftrag gegebene und von Alexander Gogl (Innsbruck) sorgfältig kuratierte Ausstellung „Metabolismus der Stadt“ widmet sich, auf Linz und sein Umland bezogen, diesen meist verborgenen Ver- und Entsorgungssystemen. Der Begriff Metabolismus überträgt damit metaphorisch das Bild biologischer oder medizinischer Stoffwechsel auf den Organismus Stadt.1 Dabei stehen sechs Themenschwerpunkte im Ausstellungsraum des Erdgeschosses im Mittelpunkt: Abfallsystem, Abwassersystem, Erdgas, Energie, Fernwärmesystem und Trinkwasser. Mit installativer Eindrücklichkeit (Videos: Reinhard Zach) widmet sich das Kellergeschoss des afo dem sogenannten Donaudüker (duiker = niederl. Taucher), der unterhalb der Flusssohle der Donau diese kreuzt. Als eine der für die 1970er Jahre typischen Großstrukturen dient der 375 m lange und begehbare Düker mit separaten Röhren für Abwasserentsorgung und Frischwasserversorgung.

Ein- und Übergänge: Kanäle des Unbewussten
Neben der Darstellung von Funktionsweisen und der Nennung wichtiger statistischer Größen, die das Ausmaß der Versorgung (und damit unserer Abhängigkeit) verdeutlichen, bilden die Schnittstellen und Übergänge von Unter- und Oberwelt einen wesentlichen Aspekt der afo-Schau. Ausgediente Verteilerkästen, die sich zuhauf im städtischen Raum finden und die originalgroßen Frottagen von Kanaldeckeln verweisen auf die „Eingänge“ und Verbindungen des Oben mit dem Unten. Im Alltag beachten wir diese technischen Installationen kaum und wissen in der Regel nicht, womit und für was sie mit dem Untergrund verbunden sind. Unsere „Vertikalisierung des Bewusstseins“ (Thomas Macho) manifestiert sich weitestgehend unbewusst über Momente der psychischen Verdrängung. Was sich da unten alles dicht gedrängt abspielt, möchten wir eigentlich nicht genau wissen, solange der schöne Schein der benutzbaren Oberfläche weitestgehend intakt bleibt und die urbanen Funktionen ihren Zweck erfüllen. Die – altbekannte – Analogie der Stadt mit dem menschlichen Körper, seinem verborgenen Stoffwechsel und seinen Kreisläufen unter der Haut drängt sich unmittelbar auf.

Offene Städte mit offenen Grenzen: Netze
Längst haben sich die bis zum Einsetzen der Industrialisierung klar definierten, durch fortifikatorische Maßnahmen sichtbar umgrenzten Städte in offene, ausufernde Topographien verwandelt. Nicht nur die Stadtgrenzen sind kaum noch wahrnehmbar. Auch die Infrastrukturen bilden seit Langem Netze und Vektoren aus, die weit ins Umland hineinreichen und dieses existenziell mit der Stadt verbinden. Folgerichtig steht im Zentrum von „Metabolismus der Stadt“ eine von Alexander Gogl detailliert ausgearbeitete Karte von Linz und Umgebung, die diese Verbindungen und Abhängigkeiten eindrucksvoll verdeutlicht. Das Denken in funktionalen Netzen, die Räume verbinden, strukturieren und überspannen ist ein konstituierender Teil innerhalb der Moderneentwicklung. Die erst im 19. Jahrhundert intensiv einsetzende Netzbildung kennt prinzipiell keine Grenzen. Selbst Natur- und Landschaftsräume wurden von Beginn an als „Aufmarschzonen“ für die infrastrukturelle Entwicklung instrumentalisiert und dementsprechend gefährdet oder zerstört. Bereits das Netz des 19. Jahrhunderts war eng geknüpft und zeigte Tendenzen einer ersten, aggressiven Globalisierung. Stellt man die Verbindung des übergeordneten Netzes mit dem Kreislauf einer konkreten Kommune (z. B. Linz) her, wird deutlich, dass die Offenheit der Netze ganz konkret und über das Symbolische hinaus die soziale und kulturelle Offenheit der Stadt bedingen. Unsere Form gesellschaftlichen Lebens mit all ihren Freiräumen ist ohne das Netz undenkbar. Dies ist die positive Nachricht.

Postwachstumsgesellschaft
In Linz und seiner Umgebung dominiert die Linz AG monopolartig die beschriebenen Systeme. Linz stellt diesbezüglich sicher keine Ausnahme, sondern eher die Regel dar. Die wirtschaftlichen, gerade auf dem Energie- oder Digitalsektor weltweit immer dynamischer vorangetriebenen Konzentrationsprozesse galten lange als gewinnmaximierende, zugleich „sichere“ Strukturen. Sie wurden auch hinsichtlich ihrer negativen Wirkungen auf Gesellschaften und Demokratien mehrheitlich kaum in Frage gestellt. Kurator Alexander Gogl ist skeptisch, ob hinsichtlich der Fragen von Nachhaltigkeit und Effizienz derart großräumig angelegte Ver- und Entsorgungsstrukturen dauerhaft zukunftsfähig sein können. Er plädiert dafür, lokale Einheiten und Netze zu entwickeln oder zu stärken. Dies böte nicht nur die Möglichkeit, punktgenauer entsprechend der tatsächlichen Anforderungen die notwendigen Leistungen zu generieren und zur Verfügung zu stellen. Es hätte sicherlich auch ein stärkeres Bewusstsein für das eigene Handeln und die eigene Verantwortung innerhalb infrastruktureller Systeme zur Folge. In demokratiepolitischer Hinsicht eine längst überfällige Notwendigkeit. Corona und der unsägliche, verbrecherische Krieg des Diktators Putin führen uns diese Zusammenhänge gerade schmerzlich vor Augen. Diese Krisen mit ihren Boykott- und Blackoutszenarien verdeutlichen die Anfälligkeit der bisher als „alternativlos“ apostrophierten Großstrukturen. Aus der „heilbringenden“ Utopie einer aus dem Verborgenden sprudelnden, immer verfügbaren Versorgung durch städtische Netze erwächst inzwischen die – wie auch immer begründete – Dystopie gesellschaftsgefährdenden Totalversagens. Bei aller informativen Neutralität der afo-Ausstellung schwingen diese Aspekte untergründig mit. Sie passt deshalb bestens in unsere Zeit.

1 Thematisch hat die Ausstellung nichts mit der Bewegung der Metabolisten zu tun, die vor allem im Japan der 1960er Jahre mit ihren Utopien zur dynamisierten Stadt der (meist flexibel gedachten) Megastrukturen wichtige Beiträge zum Städtebaudiskurs nach 1945 leisteten. Georg Wilbertz ist Architektur- und Kunsthistoriker und lebt in Linz.

Metabolismus der Stadt Unter dem Asphalt wird der Platz knapp … Ein Blick auf die Leitungspläne zeigt, wie eng es im Unterbau einer Stadt tatsächlich zugeht. Fernwärme schmiegt sich an Abwasserkanal, dazwischen kreuzen sich Strom, Telefon- und Internetkabel. Wasser- und Gasleitungen drängeln sich durch den verbleibenden Raum. Das afo architekturforum oberösterreich verwandelt sich in eine Miniaturdarstellung des Organismus Linz und lässt den Besucher dessen ober- wie auch unterirdische Teile erkunden. Kurator: Alexander Gogl.

Ausstellung: 23 .09. 2022–27. 01. 2023
Eröffnung: 22. 09. 2022 | 19:00 h
Öffnungszeiten: Di–Fr, 15:00–19:00 h

afo.at/programm/metabolismus-der-stadt

Metabolismus extra im Dezember:
Metabolismus und Glühwein – Freiluftkino beim Wärmepol: Do, 15. Dez, 18:00 h
Metabolismus der Stadt – Kuratorenführung: Fr, 16. Dez, 14:00–15:00 h

 

Foto afo architekturforum

van Laak, Dirk: Alles im Fluss. Die Lebensadern unserer Gesellschaft – Geschichte und Zukunft der Infrastruktur. Frankfurt am Main 2018, S. Fischer, ISBN 978-3-10-397352-5

Feminismus ohne Geschlechtervielfalt?

Die Referentin hat Tinou Ponzer vom Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich, VIMÖ, eingeladen, zur aktuellen „Gender-Debatte“ zu schreiben – und darüber, warum es Schutzräume für alle braucht.

Seit Monaten gibt es wieder mal in Medien und Politik eine sogenannte „Gender-Debatte“. Auslöser der aktuellen Aufregung scheint der deutsche Gesetzes-Entwurf zur Selbstbestimmung und Gleichstellung trans-, intergeschlechtlicher und nicht-binärer (TIN) Menschen vom Juni 2022 zu sein1. VIMÖ, der Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich, begrüßt diesen sehr, weil er endlich die riesigen Hürden für Personenstands- und Namensänderungen abbaut und die Änderung dieser Daten als das anerkennt, was sie sind: bürokratische Verwaltungsschritte ohne pathologisierende Zuschreibungen und mühsame Gutachtenverfahren. Der Entwurf kündigt auch Schadensersatz für Körperverletzungen und Zwangsscheidungen von intergeschlechtlichen und transgeschlechtlichen Menschen an – ein so wichtiger Punkt, den niemand in der Debatte der Erwähnung wert findet. Gleichzeitig scheinen diejenigen, die behaupten, Frauenschutzräume seien durch so ein Gesetz gefährdet, den Entwurf gar nicht gelesen zu haben – denn dieser Auszug bezieht sich genau auf diese Sorge: „Es wird weiterhin darauf geachtet werden, dass Schutzbereiche für vulnerable und von Gewalt betroffene Personen nicht missbräuchlich in Anspruch genommen werden. Gewalttätige Personen gleich welchen Geschlechts haben z. B. wie bisher keinen Zugang zu Frauenhäusern. Zugangsrechte zu Frauenhäusern richten sich weiterhin nach dem jeweiligen Satzungszweck der privatrechtlich organisierten Vereine.“

Wer sich mit Lebensrealitäten von TIN Menschen befasst, weiß, dass sie im Gegensatz zur cis-endogeschlechtlichen Bevölkerung mehr Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind. Es geht bei diesem Hinweis nicht um „wer hat es schlimmer“, sondern um Realitäten, die da sind. Es geht um patriarchale, geschlechtsspezifische Gewalt, welche mit Homofeindlichkeit und Frauenhass durchsetzt ist – eine leider geteilte Erfahrung mit cis Frauen und Lesben. FrauenLesben machen genauso die Erfahrung in gesellschaftliche Strukturen mit Gewalt „passen“ zu müssen, aufgrund dessen, dass sie sind, wer sie sind – oder was ihnen zugeschrieben wird. Jeder Mord einer cis oder trans Frau ist einer zuviel!

Vulnerablen Gruppen wie trans Frauen werden Schutzräume und richtige Unterbringungen verwehrt, aus der Angst heraus, dass ein Gewalttäter in diese mit geändertem Personenstand und Namen und „als Frau verkleidet“ eindringen würde. Nachdem dies so oft als Argument gebracht wird: Wer fragt eigentlich danach, ob die Frauen in Frauenhäusern z. B. das auch so empfinden, dass Selbstbestimmung für trans, inter und nicht-binäre Menschen gefährlich ist für sie, und welche Bedürfnisse sie haben? Wo sollen TIN Menschen untergebracht werden, wenn sie in „männlichen“ Bereichen mitunter körperlich angegriffen werden und in „weiblichen“ Bereichen aber nicht untergebracht werden dürfen? Warum lässt man sie nicht selbst entscheiden, was das Beste wäre?

Gewalt gegen Frauen passiert jetzt schon – wie kann man hier Frauen auseinanderdividieren und die einen schützen und die anderen nicht? Wieso beschäftigt man sich nicht mit den notwendigen umfassenden Konzepten? Die Frauenhauskoordinierung e. V. in Deutschland hat sich im September 2022 ganz klar inklusiv positioniert. Aus dem Statement: „Ob cis, trans*, inter* oder non-binär: Passender, bedarfsgerechter Gewaltschutz darf niemals dem Zufall überlassen werden.“2

Alleine von einer „Gender-Debatte“ zu sprechen verharmlost, was hier passiert – seit Monaten diskutieren cis Menschen über trans Menschen, insbesondere trans Frauen, aber auch trans Männer. Dabei wird auch die – immer noch nicht annähernd ideale – Gesundheitsversorgung und Zugänglichkeit dazu für trans Jugendliche massiv in Frage gestellt. Weder wissenschaftliche noch community-basierte Quellen oder Quellen aus dem psycho-sozialen Fachbereich werden geteilt, um Stimmung gegen Spezial-Kliniken zu machen und den Eindruck zu erwecken, dass Trans-Aktivismus manipulativ sei und selbstbestimmte medizinische Unterstützung junge Lesben dazu bringe, medizinisch zu transitionieren und so ihre körperliche und psychische Integrität verletzt werde. Studien dazu zeigen, dass der Großteil der Menschen eine De-Transition durchführt, nicht, weil sie draufgekommen sind, dass sie nicht trans sind, sondern aufgrund von sozialem, gesellschaftlichem, familiärem Druck und Diskriminierung, und weil es für sie einfacher ist, mit der Dysphorie zu leben, statt sich permanentem Hass und Ablehnung auszusetzen. Durch die Möglichkeit, eine Transition durchführen zu können, wurden viele Leben gerettet und erheblich verbessert, allein durch die Möglichkeit der richtigen Behandlungen und durch die wichtige soziale Anerkennung!

„Es gibt nur zwei biologische Geschlechter.“ Diese Aussage hören wir in letzter Zeit oft. Dabei wird nicht nur Transgeschlechtlichkeit als biologische Wahrheit verneint, sondern auch intergeschlechtliche Menschen werden wieder vollkommen unsichtbar gemacht. Der langwierige, harte und schmerzhafte Weg, den inter Menschen gegangen sind, um auf die massiven Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen, welche passieren, damit intergeschlechtliche Körper in die biologischen Normvorstellungen passen, und dafür zu kämpfen endlich in ihrem Geschlecht und ihrer Geschlechtsidentität anerkannt zu werden, wird einfach beiseite gewischt und erneut unsichtbar gemacht. Die UN, die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und einige Länder haben uns nach Jahrzehnten des Widerstandes gehört und uns unsere Rechte anerkannt, wir werden uns nicht von einem rechts-radikalisierten Movement diese Anerkennungen wegnehmen lassen. Und dabei brauchen wir Unterstützung und Allianzen. Die Gesellschaft braucht umfassende, entpathologisierte Aufklärung zur Vielfalt von Geschlecht, körperlichen Merkmalen und Identitäten – und einen positiven Zugang dazu, keinen gewaltvollen.

„Der Begriff Frau soll ausgelöscht werden …“. Geschlechter-inkludierende Sprache zu verwenden, heißt möglichst viele sichtbar, benennbar zu machen. Niemand verlangt dabei, dass der Begriff Frau nicht mehr verwendet werden darf – nur, weil darauf verwiesen wird, dass mit anderen Begriffen mehr Menschen benannt werden und daher nicht ausschließlich von Frauen gesprochen werden soll, wenn es beispielsweise um körperliche Voraussetzungen geht. Trotzdem wird behauptet, dass der Begriff Frau gelöscht werden soll. Woher kommen diese Behauptungen? Steht Angst dahinter, Angst etwas zu verlieren? Geht es um Machtpositionen und Ressourcen, die cis-endogeschlechtliche Frauen für sich jahrzehntelang erkämpft haben? Gespräche auf Augenhöhe über solche Ängste wären hier ein guter Ansatz, anstatt medial Gruppen, Personen anzugreifen und ihnen potentiell gewalttätiges Verhalten zu unterstellen. Es sollte um ein gemeinsames Kämpfen gehen – gegen weiße, patriarchale Machtstrukturen, um mehr Raum, mehr Sichtbarkeit, mehr Ressourcen zu erlangen.

Was in Österreich entschieden wird, entscheiden nicht die Minderheiten. Wer hat eine Plattform? Wer wird in der breiten Öffentlichkeit gehört? Wer hat Machtposition? Wer kann (mit-)bestimmen, Gesetze beschließen? Welche TIN-feindlichen Diskussionen werden – vielleicht ungewollt – befeuert? Es gibt genug Stimmen in der Regierung und den Oppositionsparteien, die über Geschlechtervielfalt und unsere Realitäten nichts wissen oder sogar aktiv unsere Existenz in Frage stellen und Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituationen verhindern. Gerade wenn trans, nicht-binäre, inter Menschen im Parlament angegriffen oder lächerlich gemacht werden, braucht es klare Positionen und Unterstützung! Die Konsequenzen einer trans- und interfeindlichen Rhetorik und Politik haben real die Betroffenen jeden Tag zu tragen. Vielen Menschen geht es die letzten Monate aufgrund dieser öffentlichen Debatte nicht gut. Es ist psychisch belastend, wenn über unsere Körper und Identitäten, über unsere Leben so verständnislos geredet wird und mehr die Emotionen von anderen als Fakten darüber entscheiden, welche Möglichkeiten TIN Menschen erfahren werden oder nicht. Gerade wenn gemeinsame feministische Zusammenschlüsse und Ziele so dringlich sind. Achtsamkeit für unterschiedliche Erfahrungen müssen wir alle immer bewusst haben. Aber niemandem wird dadurch etwas weggenommen, wenn wir auch Menschenrechte erfahren! Solidarität heißt aktiv unterstützen, Aktivismus und Politik machen, die gerade marginalisierte Gruppen miteinbezieht, intersektional wirkt und Menschen nicht gegeneinander ausspielt. Solidarität heißt auch, dass Betroffene nicht alleine gelassen werden, wenn Diskussionen um ihre Rechte und ihre Existenz geführt werden. Alles, was wir wollen, ist selbstbestimmt und in Ruhe leben können – gleichberechtigt und so, wie wir sind!

Der Artikel basiert großteils auf einem Statement von VIMÖ:
vimoe.at/2022/10/17/vimoe-statement-geschlechtervielfalt

1 www.bmfsfj.de/resource/blob/199382/1e751a6b7f366eec396d146b3813eed2/20220630-selbstbestimmungsgesetz-eckpunkte-data.pdf

2 www.frauenhauskoordinierung.de/fileadmin/redakteure/Publikationen/Stellungnahmen/2022-09-08_FHK_PositionierungGewaltschutzTransInterNicht-Binaer.pdf

www.vimoe.at
www.varges.at

Die Referentin tippt

Die IG feministische Autorinnen versteht sich als Labor sowie Interessensgemeinschaft von und für feministische und gesellschaftskritische Autorinnen. Derzeit werden Online-Veranstaltungen für Autorinnen und Literaturinteressierte aus ganz Österreich angeboten.

Online-Schreibgruppen: Du bist interessiert an gemeinsamer Textarbeit, theoretischen Inputs und stilistischem Feedback, an Austausch mit Schreibenden? Dann komm zu einer unserer Online-Schreibgruppen.

Schreibgruppe für Fortgeschrittene: jeden Montag, 18:00–20:00 h Schreibgruppe für Beginnende: jeden 2. Donnerstag, 17:00–19:00 h Schreibgruppe für Beginnende und Fortgeschrittene: jeden 2. Donnerstag, 14:00–16:00 h.

Offen für alle nicht-hegemonialen Geschlechter. In Koop mit dem Schwesternverein sprachkunst. Teilnahme: 10 € (Ermäßigung möglich) Anmeldung: support@igfem.at

www.igfem.at

Die kleine Referentin

© Terri Frühling

Das Schlafen und die prekäre Realität

Schlafen. Chillen. Herumlungern. Herumkauern. Umadumkugeln. Dösen. Faulenzen. Prokrastinieren. Vegetieren. Schmarotzen. Obezahren … Anlässlich der Aktion Nullstellung schreibt Galina Baeva – eine ursubjektive Annäherung an das Thema Schlafen als Protest.

NULLSTELLUNG
Während der covidbedingten Lockdowns kam das gesellschaftliche und kulturelle Leben zum Erliegen, gleichzeitig wurde die Rolle von Kunst und Kultur in der heutigen Gesellschaft neu diskutiert. Die prekären Beschäftigungsverhältnisse und unsicheren Bedingungen, in denen Künstler*innen und Kulturtätige arbeiten und leben, wurden in den Fokus gerückt.

Im Juni 2022 wurde im Rahmen der TKI open 22_liegen die Idee des Schlafes als Protest und Widerstand als Performance mit 20 Tiroler Kunst- und Kulturakteur*innen in Innsbruck durchgeführt. Die Dokumentation der Aktion bildet die Grundlage einer Ausstellung, die im Dezember 2022 im Innsbrucker Reich für die Insel stattfindet. Diese untersucht den Stellenwert künstlerischer und kultureller Praxis im Kontext einer leistungsorientierten Gesellschaft – ihre Ausgangspunkte, ihre Motivationen und ihre Sackgassen.

Initiatorinnen von Nullstellung sind die linz-basiert arbeitenden Künstlerinnen Katharina Brandl, Violeta Ivanova, Angelika Windegger, Karla Woess.

NULLSTELLUNG
Eröffnung: Fr 2. Dezember, 19:00 h
Ausstellung: 3.–14. Dezember 2022
Raum
Reich für die Insel, Innsbruck

Schlafen.
Liegende Menschen im öffentlichen Raum konnte mensch im Juni 2022 im Bereich des Tiroler Landesmuseums in Innsbruck beobachten. „Was machen die da?“, war sicher eine Frage, die bei Passant*innen auftauchte. Oft war die erste Reaktion sich zu fragen, ob es ihnen gut geht, ob sie ohnmächtig geworden sind. Vielleicht wurde es gleich als Aktion verstanden, vielleicht auch nicht. Bei denjenigen, die es als Aktion, als Performance wahrgenommen haben, wurden Fragen aufgeworfen, die sich im besten Fall selbst beantwortet haben. Bei manchen könnte es Lesarten verursacht haben, wie: „Eh klar! Da liegen sie wieder. Nichtstuer“. Doch sobald die verteilt auf dem Areal liegenden Menschen in ihrer Gesamtheit gesehen wurden, konnte das Rätsel entziffert werden.
Dass so ein simpler Akt wie das Schlafen – höchst intim, aber explizit und radikal in die Öffentlichkeit getragen – eine Spanne von Deutungen aufmacht, von „Nichtstuer“ bis hin zur Protestform, finde ich spannend. Wollten die Künstler*innen des Projektes Nullstellung – Katharina Brandl, Violeta Ivanova, Angelika Windegger, Karla Woess – dieses Spannungsfeld zwischen Protest und Nichtstuer bewusst öffnen? Haben sie die Verbindung zwischen Protest und Faulheit in Kauf genommen, wollten sie sogar explizit provozieren?

Der Akt des Schlafens – sei es performativer Akt oder bloße Notwendigkeit – ist ein essenzieller Teil von sozialen Bewegungen und Widerstandsmomenten. Seit eh und je. Schon in den Protesten gegen den Vietnamkrieg verwendeten die Protestierenden den Akt des Schlafens, um Raum einzunehmen, um ihrer Unerschütterlichkeit Ausdruck zu verleihen. Das Schlafen in der Öffentlichkeit, wie bei Occupy Wall Street in New York oder beim Refugees Protest in der Wiener Votivkirche, prägte sich in unseren Köpfen als Akt von Mut und Unerschrockenheit ein: Auch Protestierende müssen irgendwann real schlafen. Zwei menschliche Bedürfnisse, Schlafen und Essen beziehungsweise Nicht-Schlafen und Nicht-Essen, sind die ultimativen Formen des Protests für Menschen in Not. Ausgetragen in der Öffentlichkeit bekommen sie die besondere Bedeutung des zivilen Ungehorsams. Schlafen wird als Recht und nicht als Privileg deklariert.

Eine neue Note bekam das Schlafen mit der Black Lives Matter-Bewegung in den USA. Es wurde dort bewusst als Protestaktion eingesetzt und sollte auf das „Verschlafen“ und Ignorieren von Rassismus in der weißen amerikanischen Gesellschaft und Elite hinweisen. „To be asleep“ im Gegensatz zu „woke“ widerspiegelt das bewusste „Nicht-sehen-Wollen“ von Missständen, struktureller Gewalt und Polizeigewalt, der Schwarze und People of Color in den USA ausgeliefert sind. „To be woke“ bedeutet demgegenüber auf­gerüttelt zu sein und ist ein Akt des Augenöffnens gegenüber den Lebensrealitäten minorisierter Bevölkerungsgruppen, ein Akt, der eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien erfordert.

Damit zurück zur eingangs erwähnten Aktion in Innsbruck, zum Projekt Nullstellung: laut Beschreibung wollten die Teilnehmer*innen und Künstler*innen ein Zeichen gegen den beschleunigten Alltag setzten und das Schlafen als essenziellen Teil des Schaffensprozesses, des Denkens und des Künstler*innen-Seins postulieren: Das Pennen als Urform kreativer Prozesse und Praxis! Bei der Vorstellung der liegenden Menschen, in ihrer Gesamtheit, denke ich jedoch an ein Sich-Weigern, an ein Sich-Entziehen einer notorischen Dynamik eines Immer-Tuns und Immer-mehr-Tuns. An die Aktion denkend, taucht in meinem Kopf außerdem das Bild der leeren Straßen während der Lockdowns der letzten zwei Jahren auf und das plötzliche Erkennen, was und wieviel mir kulturelle Teilhabe und Teilnahme bedeutet. All das, was da nicht möglich war und wie ich es vermisste. Ich denke an die erzwungenen Schlaf-Orgien während der Lockdowns und die Sehnsucht einzuschlafen und dann aufzuwachen, wenn alles vorbei ist und die Welt wieder in Ordnung ist. Die Welt wieder in Ordnung … so was! Denkend an die Aktion, tauchen außerdem die Fragen auf: Was passiert, wenn die Kunst nicht mehr da ist? Was passiert, wenn es keine Künstler*innen mehr gibt? Was passiert, wenn ich mir Kunst nicht mehr leisten kann? Wer zahlt die Künstler*innen, wenn ich mir Kunst nicht mehr leisten kann? Wessen Aufgabe ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit ich mir Kunst leisten kann? Wessen Aufgabe ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Künstler*innen Kunst schaffen können?

Es gibt nur eine Antwort: Es ist die Aufgabe des Staates, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Künstler*innen Kunst machen und dafür gerecht entlohnt werden. Es ist seine Aufgabe, die Rahmenbedingungen bereitzustellen, auf dass ich mir Kunst leisten kann und gerecht für kulturelle Teilhabe und Teilnahme bezahlen kann. Der österreichische Staat anerkannte diese Aufgabe mit der Ratifizierung der UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen von der UNESCO im Jahr 2006: § IV Rechte und Pflichten der Vertragsparteien1. Und mit dem Regierungsprogramm 2020-2024 hat sich Österreich verpflichtet, der Konvention Folge zu leisten.

Verschlafen oder how to stay asleep
Die IG Kultur Österreich startete die Kampagne Fair Pay vor 10 Jahren. Über jahrelang andauernde Kommunikation und auf Druck seitens der Interessensvertretungen aus dem Kultursektor, wurde der Punkt in das Regierungsprogramm 2020–2024 aufgenommen. Somit verpflichtete sich der Bund eine Fair-Pay-Strategie zu entwickeln und diese gemeinsam mit den Gebietskörperschaften zu verankern. So weit so gut. Der Bund war der erste, der Fair-Pay-Schemata als Vorgabe für Förderungsbewilligungen aufgenommen hat. Salzburg, Graz und Wien zogen nach. Tatsache ist aber, dass Kulturförderungen sich aus verschiedenen Fördertöpfen speisen und solange es keine einheitliche Regelung in Bezug auf Fair Pay im Kultursektor zwischen allen Fördergeber*innen gibt, ist es nicht möglich, tatsächlich und konsequent Fair Pay für Angestellte und Honorare für Künstle­r*innen zu zahlen. Eine vor kurzem veröffentlichte Blitzumfrage der IG Kultur Wien verdeutlicht das Problem: Die unterschiedlichen Förderrichtlinien und Handhabung im Versuch, Fair Pay umzusetzen, machen aus dem undurchdringlichen österreichischen Förderwesen einfach ein Balagan. Die Forderung nach einer Reform des Förderwesens und nach Vereinheitlichung der Richtlinien der Gebietskörperschaften ist seit langer Zeit ein Thema. Und seit langer Zeit wird das Thema verschlafen. Immerhin gibt es einen Fair-Pay-Reader des Kulturrats, der eine ideale Welt der Kunst imaginiert: mit 38,5 Wochenstunden Arbeit, Gehaltsschemata und Honorarsätze, die einen wirklich aus dem Schlaf reißen. Tatsache ist jedoch: nach 10 Jahren Lobby-Arbeit und etlichen Kampagnen schlafen wir immer noch und verschlafen den historischen Moment, endlich die Kulturarbeit als Arbeit anzuerkennen. Es hilft weder die Verpflichtung zur Konvention, noch das Regierungsprogramm, noch der Druck der Interessensvertretungen. The Artist is a Tramp! Der Akt des Schlafens in der Kulturpolitik Österreichs bedeutet ein systematisches Ignorieren der Lebensrealitäten Hunderter und Tausender von Künstler*innen, Veranstalter*innen, Kulturvermittler*innen etc., die von ihrer Kunst- und Kulturpraxis alleine nicht leben können und gezwungen sind, woanders für ihre Rechnungen Geld zu verdienen. Und damit nicht genug! Selten bekommen sie Honorar für die Teilnahme an einer Ausstellung und wenn doch, dann kommt das Angebot dafür, bezahlt zu werden, selten von größeren Institutionen. Diese bezahlen gerne mit sogenanntem symbolischen Kapital, von dem aber die Rechnungen zu Hause nicht gedeckt werden.

Ausschlafen
Ich will endlich ausschlafen. Ich will die Diskussionen zwischen Verwaltung und Politik, zwischen Kulturpolitik und wem sonst noch immer, ob das, was ich mache, Arbeit ist, verschlafen – und dann aufwachen, wenn diese endlosen Diskussionen nicht mehr nötig sind. Ich will meinen Kater, das Vorgaukeln einer Zukunft, die nur alleine von mir selber abhängig ist, ausschlafen. Ich will endlich nichts leisten müssen, damit ich mir Kunst leisten kann.

1 www.unesco.at/fileadmin/Redaktion/Publikationen/Publikations-Dokumente/2005er_UNESCO-Convention_German.pdf

www.kultureninbewegung.org
www.unesco.at/en/culture/diversity-of-cultural-expressions/cooperation-and-networking

Pampa

Im Oktober wurde Christina Krämer aka Tina Kult mit dem Marianne.von.Willemer-Preis für digitale Medien ausgezeichnet. Im Mittelpunkt der 30-minütigen Videoinstallation Pampa stehen „private Wohnräume und die hier kulminierenden soziokulturellen Herausforderungen in Zeiten der Pandemie“. Die Referentin bat die Wiener Medienkünstlerin zum Interview.

Videostill Pampa, Christina Krämer

Im Video zu „Pampa“ führt eine vertikale Kamerafahrt durch Mauern und zeigt in privaten Wohnungen mit weißen Laken bedeckte Menschen. Sie sitzen, liegen oder stehen „inmitten ihres eigenen Chaos“, die Bilder ziehen „beinahe geisterhaft“ vorbei, heißt es im Pressetext. Die Szenerien wirken andererseits auch stillstehend, teilweise hell. Das gefühlte Trümmerfeld entwickelt auch Schönheit und Sog. Die Kamerafahrt durchdringt die Mauern, scheint an ihren räumlichen Verbindungen collagenhaft und morphologisch brüchig. Alles etwas mehrdeutig. Und mittendrin Menschen, die wie nicht mehr gebrauchte Möbel abgedeckt wurden, damit sie nicht verstauben. Wie kam es zu dieser Inszenierung, konkret zu diesem Bild der zugedeckten Menschen?
Inspiriert wurde ich von Clarissa Pinkola Estés, die in ihrem Buch Women Who Run with the Wolves die Teiggärung mit dem eigenen Reflektionsprozess vergleicht. Man legt ein Tuch über eine Schüssel mit geknetetem Teig, damit das Brot aufgeht und man legt einen Schleier über sich, um eine Wirkung oder ein bestimmtes Gefühl zu verstärken. Für die Protagonist*innen der Arbeit ist die Verdeckung so ein Moment des In-sich-Kehrens. Das Außen verwandelt sich in eine Traumwelt und der Blick wendet sich nach innen. Die Verdeckung ist für mich aber auch der Versuch einer Formänderung, Sichtbar-und Bewusstmachung. Es schafft einen Möglichkeitsraum, um zu sehen und zu fühlen, was ohne diesen nicht möglich wäre.

Es heißt, „Pampa“ ist eine Videoinstallation zum Thema Isolation: „Mit Pampa thematisiert Christina Krämer die Ausbeutung von Körper und Geist in einer neoliberalen Leistungs-und Produktionsgesellschaft“. Ihr O-Ton: „Im Zentrum meiner Arbeit stehen das Gefühl der Isolation und Überforderung und das starke Bedürfnis nach Ruhe, das ich bei mir selbst und den Menschen um mich herum beobachtete“. Welche Strategien haben Sie entwickelt, mit diesen Gefühlen und Tatsachen umzugehen? Ist ein Ende der Fahnenstange in Sicht oder sind Sie pessimistisch? Wo unterscheidet sich der Kunstbetrieb, ein Umfeld der Medienkunst oder konkret auch Ihr persönliches Umfeld von einer allgemeinen Zeitdiagnose?
Prekäre Arbeitsbedingungen, Überarbeitung, Selbstausbeutung und auch die Fetischisierung von Leistung ziehen sich durch alle möglichen Berufsfelder, ebenso wie neurologische Erkrankungen wie Depressionen oder das Burn-out-Syndrom.
Einerseits beobachte ich, wie ein großes Bewusstsein für Selbstfürsorge wächst. Andererseits stelle ich auch fest, wie verschiedene Branchen mit unterschiedlichen Wellness-Produkten aus genau dieser Selbstfürsorge Kapital schlagen. Unsere Gesundheit ist ein Konsumgut, und unsere Erholung dient allein dem Zweck, am nächsten Tag wieder produktiv sein zu können. Ich gebe zu, dass ich in dieser Hinsicht pessimistisch bin.
Die beste Strategie, mit diesen Gefühlen und Tatsachen umzugehen, besteht für mich darin, so viel Zeit wie möglich mit Familie und Freund*innen zu verbringen. Manchmal ist es aber gerade wegen der Überforderung sehr schwierig für mich, diese Begegnungen zu schaffen.

Zur Herstellung des Videos: Die verschiedenen Räume und Orte wurden aus unterschiedlichen Perspektiven fotografiert und die zahlreichen einzelnen Bilder zu 3D-Scans transformiert. Die Jury spricht in ihrem Statement auch von einer visuell und auditiv abtastenden Montage von Ton- und Bild-Materialien. Können Sie einige Anmerkungen mehr zu den technischen und methodischen Tools und Prozessen umreißen?
Für Pampa besuchte ich Menschen in ihren eigenen Wohnräumen, deckte sie mit einem weißen Laken zu und digitalisierte diese Szenerie durch Photogrammetrie. Das bedeutet, ich erstellte mit meiner Kamera 80–150 Einzelbilder aus verschiedenen Perspektiven, um dann mit diesen Bildern und der Hilfe einer Software ein dreidimensionales Objekt dieses aufgenommenen Moments zu rekonstruieren. Die Raumobjekte inszenierte ich dann in einem virtuellen Raum und animierte eine langsame Kamerafahrt, die über diesen Räumen entlang schwebt.

Zur Medienkunst bzw. ihrem Selbstverständnis als Medienkünstlerin: Wo und wie verorten Sie sich in diesem recht differenziert gewordenen Feld? Ist das eine Frage, die relevant ist oder haben Sie einen eher pragmatischen Zugang? Oder auch anders gefragt – wo machen Sie ihre Referenzen, wenn Sie daran denken, was Sie als Medienkünstlerin beeinflusst? Ich meine, alleine diese verwendeten Materialien der Laken und des Zudeckens oder des Baumwolltuches, auf das Sie das Video projizieren, könnte man sehr viele Querverweise machen, die nicht aus der Medienkunst kommen.
Das ist richtig, und das sollte man auch tun. Während der Arbeit an Pampa habe ich auch viel recherchiert und die verschiedenen Bilder und Symbole sorgfältig geprüft und ausgewählt. Jede künstlerische Arbeit findet immer in einem Kontext statt, und es ist mir wichtig, mir dieses Kontextes bewusst zu sein. Ich arbeite medienkritisch. Der Inhalt meiner Arbeit steht immer an erster Stelle und das gewählte Medium ist das Rohmaterial, das den Inhalt trägt.
Ich werde stark vom Diskurs in meinem künstlerischen Umfeld beeinflusst, aber manchmal ist es auch ein Konzert, das ich sehe, oder ein Text, den ich lese, der mich dann auf eine andere Spur bringt.

Woran arbeiten Sie derzeit, was sind Ihre nächsten Vorhaben? Wie wichtig ist Ihnen das Arbeiten mit anderen?
Kollaboratives bzw. kollektives Arbeiten ist mir sehr wichtig. Für die Soundgestaltung von Pampa kollaborierte ich mit der Künstlerin Lale Rodgarkia-Dara. Ein großer Teil meiner künstlerischen Arbeit passiert auch in dem Kollektiv T(n)C, das ich vor einigen Jahren zusammen mit der Künstlerin und Designerin Agnes Varnai gründete. Im Moment arbeiten wir zusammen an einer Kurzfilmreihe, die sich mit dem Thema Arbeit und Faulheit auseinandersetzt.

Welche Art der Kommunikation bevorzugen Sie derzeit? Das Leben ist ja nach Corona nicht mehr so ganz vollständig und komplett zurückgekommen, nicht? Manche Menschen bleiben auch zurückgezogen bis gefühlt verschwunden. Können wir annehmen, dass Sie das auch so sehen, dass Menschen immer noch in einer Pampa von Post-Covid herumgeistern?
Ich würde sagen, dass sich mein soziales Leben in den letzten zwei Jahren saisonal verändert hat und damit auch meine bevorzugte Art der Kommunikation. Im Moment spielt Covid in meinem unmittelbaren Umfeld keine so große Rolle mehr wie noch vor einigen Monaten. Ich bin mir jedoch bewusst, dass andere Menschen eine ganz andere Lebenswirklichkeit erleben. Die Pandemie hat einen großen Einschnitt in unser Leben gemacht, der immer noch aktuell ist. Es gibt jedoch immer weniger Räume, um darüber zu sprechen oder das Erlebte zu teilen.

Christina Krämer aka Tina Kult, geboren 1991 in Kasachstan, lebt und arbeitet in Wien als Medienkünstlerin. Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Gastjahr in der Klasse für Experimentalfilm an der UdK Berlin. Mitbegründerin des Kollektivs T(n)C zusammen mit Agnes Varnai. Ihre Arbeiten beschäftigen sich mit soziokulturellen Morphologien und sozialen Strukturen und wurden unter anderem im Q21/Museumsquartier (2022), Kunstraum Niederösterreich (2018), bei Krinzinger Projekte (2017) in Wien oder Art+Text (2017) in Budapest gezeigt.
tinakult.com

Die Fragen für die Referentin hat Tanja Brandmayr gestellt, Künstlerin, Autorin und Mitherausgeberin der Referentin.

Wo sind die Medienkünstler*innenmütter?

Medienkünstler*innen, die sich mit dem Thema Mutterschaft beschäftigen: Welche künstlerischen Projekte und Arbeiten sind in den letzten Jahren zwischen Reproduktion, Technospekulation, Mutterschaften, Techno­feminismen und Posthumanismus entstanden? Inspiriert von der eigenen Erfahrung widmet sich Graziele Lautenschlaeger diesem Forschungsbereich, der keine einfachen Antworten liefert.

Die Autorin generierte mit KI Bilder aus Pollinations. Foto Creative Commons

Im Gegensatz zu einer beachtlichen Repräsentanz von Mutterfiguren in den bildenden Künsten ist die Schnittstelle zwischen Medienkunst, Mutterschaften und aktueller Technologie gering artikuliert. Dies scheint mit den Herausforderungen zu korrelieren, die mit der schwierigen Vereinbarkeit von Reproduktions- und künstlerischen Arbeiten einhergehen. Bezeichnenderweise sind diese zwei Arten Arbeit üblicherweise schlecht bezahlt, wenn überhaupt. Überdies sind sie häufig abgewertet und deshalb unsichtbar gemacht. Zu diesem Problemkomplex gehört nicht nur die unbezahlte emotionale Arbeit, sondern auch der Mangel an organisatorischen Strukturen auf privater und öffentlicher Ebene, die empathischer mit den Schwierigkeiten von Eltern­künstle­r*innen umgehen.

Im Medienkunstbereich wird die Gender gap zusätzlich durch die Tech gap verschärft. In Kontexten, in denen Frauen auf den ersten Blick weniger Hindernisse aus dem Weg räumen müssen, um mit Technologie zu experimentieren, z. B. USA und Europa, finden sich zwar Ver­tre­ter*innen, die sich mit der Verschränkung von Mutterschaft(en), Technofemi­nis­m(en) und Posthumanismus beschäftigen. Ein Beispiel ist die US-amerikanische experimentelle Künstlerin und Technologin Ani Liu: Zwischen dem 27. Mai und 30. Juli 2022 stellte die Künstlerin eine eindringliche Soloausstellung in der Galerie Cuchifritos in New York unter das Thema Ecologies of care, in der eine vielfältige Reihe von spekulativen Kunstwerken uns zu einer Reflektion von Unsichtbarkeit von Reproduktions- und Kinderpflegearbeit einlud. Von Datenvisualisierungen von Stillen und Windelwechseln zu KI-generierten genderbasierten Spielzeugen äußert Ani Liu eine feministische Denkweise, die aus einer aktuellen technologischen Basis entsteht. Sie übersetzt für die neue Generation immer noch relevante feministische Fragen mit zeitgenössischen Techniken, indem sie sozusagen einen Teil der berühmten Post-partum Dokumente (1973–1979) von Mary Kelly spiegelt. Ein einzelnes Erfolgsbeispiel bedeutet allerdings nicht, dass wir auf dem Weg sind, ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen künstlerischer Produktion und Kinderpflegearbeit zu finden.

Einer Philosophie der Umwandlung zufolge ist Mutterwerden eine Erfahrung, die uns in existentieller Weise betrifft, zusätzlich zu den zahlreichen mit diesem Prozess verbundenen Tabus, Kontroversen, Widersprüchen und Ambivalenzen. Alle können intensiv genug sein, um in Kunstwerken thematisiert zu werden. Aber wann, wie und warum? Eine punktuelle Recherche im Rahmen der bereits 2003 von Signe Theill kuratierten Ausstellung double bind Kunst Kinder Karriere im Künstlerhaus Bethanien in Berlin ergab, dass sich für über 73% der teilnehmende Künstler*innen ihre berufliche Situation nach dem Kind verändert habe, während nur 60% angaben, dass ihre Kinder ihre Kunstwerke auch inhaltlich beeinflussen. Theill warnt, dass die damals gesammelten Daten eine sehr kleine Stichprobe sind. Umgekehrt weist dies auch auf die schlechte Datenlage. Als Reaktion auf diesen Mangel an Daten und Informationen habe ich beschlossen, im Rahmen meiner Forschung eine Umfrage zum Thema Mutterschaft und Medienkunstproduktion zu starten. Wenn Sie Künstler*innen kennen, die an dieser Schnittstelle arbeiten, möchte ich Sie, die Leser*innen, gerne um Mithilfe bitten, indem Sie der Person den Link zu meinen Fragen weiterleiten: shorturl.at/gnuxY. Vielen Dank! 🙂

Die Frage, warum es so wenig Medienkünstler*innen gibt, die sich mit dem Thema Mutterschaft beschäftigen, verlangt aufgrund ihrer Komplexität mehrere vernünftige Abstraktionen. In meiner Forschung schlage ich vor, Mutter und Mutterschaft als Begriffe zu verabschieden und die ursprünglich mit diesen Begriffen verbundenen Tätigkeiten als „Operationen“ an ihre Stelle zu setzen. Mit Operation meine ich, dass Muttersein verschiedene Tätigkeiten bedeutet: Schwanger zu sein, Stillen/Ernähren zu können/müssen, sich mit Baby und/oder Kinderpflege (und der entsprechend vermehrten Hausarbeit) zu beschäftigen, und so weiter – und es ist egal, welche Entität dafür sorgt.

Wir wechseln damit zur posthumanen Perspektive und auch seiner Terminologie: Ein Wesen zu generieren und zu erziehen gehört zu den wichtigsten Tätigkeiten und Abläufen eines „Weltenergiezyklus“ – selbst, wenn man Menschen nur als Arbeitskräfte für die kapitalistische Maschine betrachten würde. Aber Posthumanismus bedeutet keinesfalls eine Vernachlässigung des Menschen, sondern ein respektvolles lebensbezogenes Paradigma, das auf symbiotische Verbindungen der Menschen mit anderen Arten und auch mit Maschinen zielt. Es kann ein Kompass an Möglichkeiten sein, gemeinsam eine gerechtere Welt zu gestalten, natürlich – was den Menschen betrifft – unter Wahrung der entsprechenden privaten und individuellen Freiheiten. Mit diesem Ansatz wäre es dann insgesamt sinnvoller, die Frage bezüglich den Operationen von Reproduktion und Pflegearbeit auf kollektiver Ebene zu behandeln. Das heißt, die Mutterrolle umfasst dabei zwar die zentralen biologischen, sozialen und kulturellen Herausforderungen, betrifft aber nicht nur idealisierte weiße, weibliche heterosexuelle Körper – sogar nicht nur Menschen.

Solche posthumanistischen Fragen behandeln – in der Kunst – natürlich nicht nur die oben genannten Kunstwerke von Ani Liu, sondern – neben anderen – auch das Projekt Hybrid family (2016) der Slowenischen Künstlerin Maja Smrekar, das Ökofeminismus, Beziehungen zwischen den Arten, Technologie und ideologische Strukturen in der Gesellschaft einbezieht. Das Projekt bezog sich auf die gleichzeitige existentielle und politische Instrumentalisierung des Körpers einer Frau und des Stillens. Während einer dreimonatigen Performance mit ihren Hunden stimulierte die Künstlerin ihre eigene Hypophyse durch systematisches Abpumpen, um das Hormon Prolaktin freizusetzen. Gleichzeitig ernährte sie sich reich an Galaktogenen, um die Laktation zu fördern, was als Nebeneffekt die Erhöhung des Oxytocin-Hormons stimuliert. Dadurch, dass die Künstlerin eine „(m)Other“ wurde, erlebte sie die von Donna Haraway geprägte „natureculture“ und erforscht die dekoloniale reproduktive Freiheit in einer Multispezies-Welt weiter. Zusätzlich führte Smrekar während der dreimonatigen Performance einen Dialog mit dem Co-Kurator des Projekts, Jens Hauser, in einem öffentlichen Blog. Die Beiträge stehen auf der Website der Künstlerin zur Verfügung.

Andere mögliche direkte thematische Verbindungen zwischen Reproduktion und Technologie umfassen häufig künstliche Gebärmütter, künstliche Plazenten, und andere gentechnologische Techniken, die schon seit Beginn des Interesses an und der Angst vor Reproduktionstechnologie Sci-Fi Geschichten inspiriert haben, zum Beispiel Brave New World (1932) von Aldous Huxley oder Blade Runner (1984)/ Do Androids dream of electric sheep? (1968). In jüngster Zeit ist die Serie The Handmaid’s Tale – Der Report der Magd, basierend auf dem dystopischen Roman der kanadischen Autorin Margaret Atwood, die populärste Referenz. Genau um solche dystopischen Welten zu vermeiden, plädiert Technofeminismus für eine Haltung, in der solche Technologien auch von nicht dominierenden Gruppen entwickelt werden können. Wird Ähnliches von Künstler*innen, die im Medienkunstbereich technologisch mit Themen wie Fertilisierung, Schwangerschaft, Geburt, Kinderernährung und -erziehung und so weiter arbeiten, erwartet?

In der Kunst wird beobachtet, dass die vielfältigen feministischen Strömungen sich überschneiden. In Bezug auf die Reproduktion und die daraus abgeleiteten Technologien stehen wir vielleicht an einem Scheideweg. Anstatt einer Versöhnung der verschiedenen feministischen Strömungen benötigen wir eine Neuerfindung der Universalität, die intersektionale Stimmen berücksichtigt und die uns vor allem erlaubt, kollektiv für Veränderungen einzutreten. In diesem Sinne verlasse ich euch mit der Einladung, im Februar den Workshop Where are the media artist mothers? im Nordico Stadtmuseum zu besuchen. Dort wollen wir gemeinsam den Weg von der Idee zum konkreten Vorschlag gehen.

 

Workshop
Where are the media artist mothers?
18. Februar, 14:00–17:00 h
Nordico Stadtmuseum,
im Rahmen der Ausstellung
What the fem*? Feministische Perspektive 1950 bis heute

Empfohlene Texte, die diesen Artikel inspiriert/unterstützt haben:

Caliban und die Hexe und Revolution at Point Zero: Hausarbeit, Reproduktion und feministischer Kampf, von Silvia Federici

How Not to Exclude Artist Mothers (and Other Parents), von Hettie Judahs Full surrogacy now, von Sophie Lewis

dea ex machina, hergestellt von Armen Avanessian und Hellen Hester

The Companion Species Manifesto: Dogs, People, and Significant Otherness und Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene, von Donna Jeanne Haraway.

Kunst im öffentlichen Raum

Open-Air-Ausstellung Glashausfantasy

Auf 16-Bogen-Plakaten tauchen derzeit die Glashäuser der freundinnenderkunst in der Stadt auf und werden zur Open-Air-Ausstellung Glashausfantasy. Eröffnet wurde am 1. Dezember, Ausstellungsdauer ist bis Jahresende, beziehungsweise „bis Überklebung“. Acht in der Stadt verteilte Plakat-Orte gilt es dabei zu entdecken, einer dieser Orte ist etwa in der Nähe des Biesenfeldbades in Urfahr.

Zum Hintergrund:
Ein Gewächshaus begleitet die freundinnenderkunst seit etwa drei Jahren. Das konventionelle Kunststoff-Alu-Objekt aus dem Baumarkt ist für die freundinnenderkunst „reich an symbolischer Wirkkraft und eröffnete ein breites Themenfeld, um zu fantasieren“: So startete GLASHAUSFANTA­SIEN 2020 im verordneten gesellschaftlichen Rückzug über weite Strecken im Verborgenen. Mehrere Etappen, Ortswechsel, Bedeutungstransfers, Subjekt-Objekt-Perspektivenwechsel folgten. Die aktuell letzte Kunstaktion fand unter dem Titel GLASHAUSFANTASY im Botanischen Garten Linz statt, wo die versinkenden Objekte immer noch vorzufinden sind und vom Boden verdaut werden. Bilder davon werden nun im öffentlichen Raum sichtbar gemacht. Mit der Glashausfantasy-Präsentation auf Werbeplakaten nehmen die Freundinnen ironisch Maß an – am eigenen Tun, am Kunstbetrieb, an der Beziehung von Natur und Kultur.

Mehr Informationen: freundinnenderkunst.at

Unscharfe Übergänge

Nonsense, Sprachspiel oder Abgrund des Absurden? Mit „Alice in Wonderland“ machte sich Charles Lutwidge Dogson, anderweitig bekannt als Lewis Caroll, einen Reim auf die moderne Mathematik. Seine Poesie ist chiffrierte Logik, meint Barbara Eder.

Botschaften vom Lakaien-Fisch an den Lakaien-Frosch, siehe auch: The Beautiful Soup*. Foto Wikimedia Commons

Soviel ist aus einem der berühmtesten Kinderbücher des 19. Jahrhunderts noch bekannt: Alles beginnt mit einem weißen Kaninchen, das kurz nach seinem Erscheinen in einem Erdloch verschwindet; ein Verwirrspiel mit den Grenzen zwischen Realität und Fiktion nimmt seinen Lauf: Hauptfigur Alice, die eben noch am Flussufer saß und träumte, folgt dem hektischen Hasen. Sie stürzt durch einen engen Schacht, hinein in einen Raum des Ungewissen. Ihr Fallen dauert eine halbe Ewigkeit und endet an einem Ort mit unscharfen Koordinaten. Im unterirdischen Korridor gibt es viele Türen und Alice findet den Schlüssel, der eine davon sperrt. Sie öffnet das winzige Tor und entdeckt einen zauberhaften Garten. Um ihn zu betreten, ist sie jedoch zu groß – bevor sie den Weg ins Freie findet, muss Alice erst schrumpfen.

An Interpretationen der surreal anmutenden Szenarien aus Lewis Carrolls 1865 erstmals erschienenem Buch „Alice in Wonderland“ mangelt es nicht. Mal wurde die Erzählung als Parabel auf den Erziehungsnotstand des 19. Jahrhunderts gedeutet, als Kritik an den Autoritätsfiguren im viktorianischen England und den hohlen Respektbekundungen, die man ihnen entgegenbrachte; fast ebenso oft wurden Alices’ Abenteuer als Geschichten über das Erwachsenwerden und die damit verbundenen Übergangsrituale interpretiert – konsequent aus Kinderperspektive erzählt, behauptet die Hauptfigur sich gegenüber den Bewohner:innen des Wunderlands, die Prinzipientreue und Obrigkeitshörigkeit über allfällige Zweifel an den absurden Gesetzmäßigkeiten ihrer Lebenswelt stellen; auf Alice wirkt die neue Umgebung denkbar skurril und sie hinterfragt sie bis auf ihre letztgültigen Prämissen hin. Die entrückte Welt der menschlichen Spielkarten und unbarmherzigen Königinnen wird zuletzt auch dann herbeizitiert, wenn psychoanalytische Lehren dem Gegenstand ihrer Untersuchung ein Gesicht geben wollen. Carolls Fiktionen firmieren dann als dankbare Kulissen für Entgleisungen aller Art – für den französischen Anti-Psychiater Gilles Deleuze wurden die paradoxen Konstellationen im Buch zu Denkbildern für mentale Zustände, in denen Menschen nicht länger Herren und Frauen im eigenen Haus zu sein scheinen.

Carolls zweibändige Alice-Erzählung ist nicht einfach nur ein unterhaltsames Kinderbuch oder eine Fibel über die Traumlogik des Unbewussten; Charles Lutwidge Dogson, der sie unter dem Namen Lewis Caroll veröffentlichte, hat eine bestimmte Art des Denkens darin so stark chiffriert, dass sie nur mehr über den Umweg der Fiktion zum Ausdruck kommen kann; bei genauem Hinsehen erweist sein Märchen sich als logische Lektion, verpackt in eine literarische Erzählung. Mehr als ein Vierteljahrhundert am Christ Church College in Oxford als Tutor für Mathematik tätig, organisierte Dogson nicht nur Wunderland-Exkursionen, er schrieb auch Lehrbücher über Mathematik, Geometrie und Logik; seine Einführungen in ausgewählte Fachgebiete waren von unkonventionellen Methoden begleitet. Für die Lehre nahm Dogson mitunter das gesamte Universitätsgebäude in Beschlag: Klassen und Unterklassen der Logik pflegte er in räumlicher Ausdehnung darzustellen – als geometrische Anordnungen, die Kafkas Türhüter-Gleichnis nahezu bieder erscheinen lassen. Zwecks Erklärung logischer Klassen und den Hierarchiebeziehungen zwischen diesen platzierte Dogson seine Schüler:innen vertikal im Raum. Während er selbst sich in der hintersten Ecke eines Zimmers im obersten Stockwerk befand, saßen Diener:innen an den Schwellen zu den einzelnen Etagen. Auf einen Unter-Diener folgte ein Unter-Unter-Diener und auf den Unter-Unter-Diener ein Unter-Unter-Unter-Diener; vom Garten des Gebäudes aus stellte ein:e Schüler:in eine Frage an letzteren und ihr Inhalt veränderte sich von Etage zu Etage; was am Ende übrig blieb, schien schier entstellt: „Lehrer: was ist drei mal vier? Diener: Was ist Bleiklavier? Unter-Diener: Wo ist mein Saphir? Unter-Unter-Diener: was ist dein Souvenir?“ Dogsons stille Post sorgte für diffuse Signale; plastischer als durch Treppen und Stufen kann man Logik-Klassen jedoch kaum erklären; die damit verknüpfte Vorstellung bleibt komisch genug, um sich im Gedächtnis festzusetzen.

Was sich in Carolls Wunderland ereignet, wirkt so widersprüchlich wie die stoische Logik eines Ereignisses: Als künftiges ist es immer schon vergangen, über das noch nicht und doch schon des Geschehens lässt sich stets mehr und weniger zugleich sagen. Die dazugehörigen Bestimmungsstücke folgen einer infiniten Reihe an Prämissen, die der Szenerie stets vorauseilen – so wie die Schildkröte, die Achill nie überholen kann. Dogson schlägt sich auf die Seite des Läufers und macht aus der antiken tortoise ein Tier namens „Taught-Us“ – mitsamt einer Interpretation, die weit über Zenons Paradoxon hinausgeht. Anders als von Aristoteles angenommen, sind Achills Bewegungen für ihn nicht bloß hypothetisch; vielmehr handele es sich dabei um logische Aussagen, die allesamt wahr sind und infolgedessen auch zu einer Konklusion führen müssen. Dogsons Schnellläufer ist jedoch kein Achilles, sondern ein „A-Kill-Ease“ – und damit einer, der mitten im Wettlauf zum „Leichttöter“ wurde.

Dogsons logische Objekte erschöpfen sich nicht in mathematischen Darstellungen, selbst zu Kuchen einer gut bestückten Bäckerei sind sie schon geworden. In „Das Spiel der Logik“ von 1896, das als Einführung für Kinder gedacht war, begnügt sich der Autor nicht mit abstrakten Formalia, er serviert stattdessen Torten auf Papier. Diesen können unterschiedliche Attribute zu- oder abgesprochen werden, was zu sinnwidrigen und zugleich höchst konzisen logischen Aussagen führt: „Eine Proposition, die aussagt, daß einige der Dinge, die ihrem Subjekt zugehören, so-oder-so sind, wird ,partikulär‘ genannt. Zum Beispiel ,Einige neue Kuchen sind nett‘, ,Einige neue Kuchen sind nicht-nett‘“. Die freundlichen und die unfreundlichen unter den Kuchen – im Sinn eines Attributs und seiner Negation – lassen sich auch im Raum der Geometrie repräsentieren: Um ein 2-dimensionales kartesisches Koordinatensystem zieht Dogson vier parallel zueinander verlaufende Linien und verwandelt es auf diese Weise in ein Viereck; es wird zu einem Spielfeld mit vier Feldern, seine Quadranten stehen für die Attribute „nett“ und „neu“ – mitsamt ihres Gegenteils. Ein roter Spielstein zeigt an, dass es in einem Feld einige Kuchen gibt, ein grauer weist auf ihre Absenz hin, die sich wiederum als andersfarbige Präsenz zeigt; erst später belegt Dogson die Felder mit Nullen oder Einsen – im Sinne von zahlenmäßigen Entsprechungen für wahr und falsch.

Dogsons Kuchen waren nicht immer nett. In ihrem Artikel „Algebra in Wonderland“, der im März 2010 in der New York Times erschien, zeigt sich die britische Mathematikerin Melanie Bayley gänzlich unbeeindruckt von Carolls Kulinarik. Alices’ Begegnung mit einer Raupe, die auf einem Pilz sitzt und eine Wasserpfeife raucht, wird für sie zum Ausdruck von Carolls Revolte gegen ein rein symbolisches System der Algebra. Ein solches hatte Augustus De Morgan zur Mitte des 19. Jahrhunderts vorgeschlagen; innerhalb desselben wäre es auch zulässig, die Quadratwurzel aus einer negativen Zahl zu ziehen – sofern dieses Verfahren ausreichend begründet ist und einer inhärenten Logik folgt. Von derart kühnen Vorhaben war Dogson überfordert – die Angst vor unkontrollierbaren Umwälzungen im Reich des reinen Formalismus führte zu jenen spontanen Größenveränderungen, denen Alice unentwegt unterworfen ist. Mit ihr wächst und schrumpft auch ihr Erfinder, der die rapiden Veränderungen seiner Zeit fürchtet. An einem einzigen Tag unterschiedliche Größen zu haben, wirkt nicht nur auf Alice befremdlich; mit Charles Lutwidge Dogson teilt sie auch die Furcht davor, demnächst aus der Zeit zu fallen.

Wenn ein Hutmacher, ein Hase und eine Haselmaus sich zum Tee treffen, stehen Rätselfragen im Raum; das t im Teehaus ist nicht nur das mathematische Symbol für Zeit, sondern auch eine Systemvariable im quelloffenen Betriebssystem Linux. „time_t“ meint auch dort keine Einladung zur Tee-Party, sondern eine unter C und C++ implementierte Integer-Variable. Als Antwort auf ihre Abfrage erhält man eine Nummer, die derzeit rund zehn Stellen umfasst. Sie beinhaltet die Anzahl der seit Beginn der Unix-Epoche am 1. Januar 1970 vergangenen Sekunden. Auch Alice hätte sich über eine Zeitenwende dieser Art gewundert – die im Teehaus diskutierten Rätsel hat Dogson mit den Mitteln der Poesie gerade noch zu fassen versucht.

Im Moment des Verschwindens kann eine Katze nicht geköpft werden; dennoch hält die Königin aus Carolls Wunderland bis zum bitteren Ende an diesem Vorhaben fest – im Grinsen der Cheshire Cat vermutet sie zuletzt noch ihre Präsenz. Mit unsichtbaren Raubtieren und weißen Hasen hat sich die Populärkultur in der Zwi­schen­zeit angefreundet – „Follow the White Rabbit“ ist eine Aufforderung, die sich auch am Bildschirm des „Matrix“-Helden Neo findet. Vielleicht hätte Lewis Caroll seine Logik-Lehre heute in Form eines derartigen Filmes umgesetzt; seine Sprachspiele haben den heiligen Ernst von Wittensteins logischen Untersuchungen jedoch schon im Buch hinter sich gelassen; dennoch kommen seine Botschaften nicht immer an – sie teilen das Schicksal eines Briefes, der in Kapitel 6 von „Alice in Won­derland“ von einem Lakaien-Fisch an einen Lakaien-Frosch weitergereicht wird. Im Moment der Übergabe verändert sich die Reihenfolge der Wörter. Die Dokumentation der Python-Library „Beautiful Soup“ rekurriert nicht ohne Grund auf die­ses Bild – damit lassen sich HTML- und XML-Dateien mühelos extrahieren; was am Ende davon übrigbleibt, ist kein reiner Nonsense – nur sinnloser Sprachsalat.

* Beautiful Soup ist eine Python-Bibliothek zum Auslesen von Daten aus HTML- und XML-Dateien. Es spart Programmierern in der Regel Stunden oder Tage an Arbeit. beautiful-soup-4.readthedocs.io/en/latest