Das selbstoptimierte chi-mashie

Vom chinesischen Fluidum über amerikanische Kunststoffbehälter, weg von der Performance-Maschine hin zum humorig-kritischen Brei: Gerlinde Roidinger im Gespräch mit Julia Hartig und Teresa Fellinger über Entstehung, Arbeitsansätze und Entwicklung des Performance-Duos chi-mashie und das Durchhalten in den darstellenden Künsten.

The Go-Getter: Parties sind die Antwort. Foto Robert Puteanu

Als Performance-Duo chi-mashie agiert ihr beide – Julia Hartig und Teresa Fellinger – gemeinsam. Welche künstlerischen Inhalte stehen hinter dem Namen chi-mashie und wie ist dieser und eure Zusammenarbeit entstanden?
chi-mashie: Gemeinsam ergründen wir beide verschiedene Facetten des Lebens in einer patriarchal geprägten, vom Kapitalismus durchwachsenen Welt. Wir gehen auf unterschiedliche Orte ein und kreieren gemeinsam mit dem Publikum Situationen, die zwar oft einen Hang zum Absurden erkennen lassen, aber immer einen wahren Kern haben. Unsere Arbeit basiert auf umfangreichen Recherchen. Die Handlung unserer Stücke ergibt sich aus dem Collagieren von Fakten, die auf eindringliche, oft humorvolle Weise dargestellt werden.
Teresa Fellinger: So beschäftigen wir uns zum Beispiel mit der „Selbstoptimierungsindustrie“, der Lebensgeschichte der Erfinderin der Tupperware-Partys oder mit aktueller Arbeitsmarktpolitik.
Julia Hartig: Unsere Zusammenarbeit hat sich durch unsere damalige WG-Situation ergeben. Unser erstes Projekt haben wir in 1,5 Wochen auf die Beine gestellt und dabei haben wir einen anderen, leichteren Zugang, als wir ihn im Studium gelernt haben, für uns entdeckt. Außerdem haben wir gesehen, dass wir als Projektpartnerinnen total „matchen“. Davon wollten wir mehr.
Genau genommen ist unser Name durch den Tippfehler eines Veranstalters entstanden. Wir haben mit einer so genannten „chi-machine“ performed. Daraus wurde „chi-machie“ und wir haben dann noch „mashie“ daraus gemacht, abgeleitet von „mashed“ (Anm. Red., engl.: zerdrückt, zerstampft).
Die Begriffe „chi“ und „machine/mashie“ empfanden wir als krassen Gegensatz und genau darum geht es uns auch. Diese Mischung aus Komfort, Humor, „Wellness-Charakter“, Lebensenergie und Unbehagen, Repetition, Durchhalten, den Schein aufrechterhalten, letztendlich auch Zerstörung ist eine Strategie, die wir verfolgen.  

Welcher Kontext/welche Vorgeschichte hat euch zur Performance geführt und wie definiert ihr für euch den alles- und nichtssagenden Begriff Performance?
TF: Ursprünglich haben wir beide Bildende Kunst studiert. In der Klasse „Experimentelle Gestaltung“ lag der Schwerpunkt auf konzeptbasierter Arbeit. Das merkt man auch in unseren Stücken.
JH: Nach dem Studium habe ich eine Tanzausbildung absolviert und mich intensiv mit Choreografie und verschiedenen Performance- und Schauspiel-Methoden beschäftigt.
TF: Ich habe dann irgendwann begonnen, Installationen zu inszenieren, die das Publikum miteinbeziehen. Da habe ich entdeckt, welchen Reiz es für mich hat, nicht nur einfach jemandem etwas vorzusetzen, sondern eine gemeinsame Erfahrung zu schaffen.
Beide haben wir schon vor unserer Zusammenarbeit verschiedenste Felder des weiten „Genres“ Performance betreten. Für uns war es das direkte Feedback und die Kommunikation – ja, manchmal fast Komplizenschaft mit dem Publikum, die uns überzeugt hat; etwas, das wir in Ausstellungssituationen nicht oft erlebt haben.
JH: Performance ist einerseits ein sehr dankbarer Begriff, weil er für „alles andere“, was nicht genau Theater, nicht genau Bildende Kunst, nicht genau Tanz ist, verwendet werden kann; andererseits muss man ihn halt wirklich oft erklären. Der Begriff hat sich auch stark verändert bzw. erweitert, also von seiner Verankerung in der Tradition der Bildenden Kunst zu einem Cross-over mit mittlerweile zahlreichen Untergenres.

Welche Hindernisse fordern euch in eurer Arbeit und auf welchen lässt sich aufbauen?
JH: Ein Hindernis könnte sein, manchmal nicht mehr genau zu wissen, wo wir eigentlich hingehören. Das macht sich z. B. bei Förderanträgen bemerkbar, bei denen wir entscheiden müssen, ob wir für Bildende oder Darstellende Kunst einreichen. Die Produktionsbedingungen sind nicht immer einfach und irgendwie ist nie so viel Zeit da, wie wir eigentlich bräuchten.
TF: Wir machen alles zu zweit, von der Recherche über das Schreiben der Stücke und das Erarbeiten der Performance, der Kostüme, des Bühnenbildes sowie auch die Öffentlichkeitsarbeit, Förderanträge, Budgetierung usw. Das kann manchmal mühsam sein, andererseits stoßen wir während solcher Prozesse auch immer wieder auf Dinge, die sich in unsere Stücke einflechten lassen. 

Wie schafft ihr es, künstlerische Prozesse von Anfang bis Ende, also von der Idee bis zur Präsentation und Reflexion, zu ermöglichen und wie lässt sich Kunstproduktion für euch im aktuellen Gesellschaftskontext realisieren?
JH: Wir starten immer mit persönlichen Beobachtungen wie z. B. auch bei unserem aktuellen Stück Elevator Pitch. Die Teilnahme an einem AMS-Kurs war eine große Inspiration. Danach recherchieren und beobachten wir, teils sehr lange. Meist haben wir dann eine große Sammlung an Found Footage.
TF: Dann kommt die Phase des Ausprobierens, Erforschens von Gesten, Textfetzen, Aneignen von spezifischem Vokabular und Handlungen; Dinge in neue Kontexte setzen, alles über den Haufen werfen, neu anfangen, reduzieren, nachfragen, hinterfragen, darüber sprechen, manchmal auch etwas liegen lassen.
JH: Danach haben wir einzelne Bausteine/Szenen, die wir aneinanderreihen. Fertig werden ist so eine Sache. Oft wachsen unsere Projekte noch weiter. Z. B. hatte die Performance The Go-Getter zuerst eine Länge von 25 Minuten, mittlerweile dauert sie 35 Minuten und wir möchten noch auf 50–60 Minuten erweitern. Es gibt noch so viel Material, das wir verarbeiten wollen. Wie weit wir kommen, hängt oft auch mit den Produktionsbedingungen zusammen.

Welches Setting der Präsentation habt ihr für die Performance The Go-Getter gewählt und welches Feedback hat euch bisher von Seiten des Publikums erreicht?
TF: The Go-Getter ist eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der Tupper-Party. Angelehnt an den Ablauf einer klassischen Tupper-Party greifen wir Verkaufs- und Unterhaltungstechniken von sogenannten Tupper-Ladies auf und kehren neben der beeindruckenden Lebensgeschichte der Verkaufspionierin Brownie Wise auch allerhand überraschende Fakten über die Firma Tupperware unter dem Teppich hervor. Auf der einen Seite bewegen wir uns so also in einem Setting, von dem wahrscheinlich jede:r zumindest schon einmal gehört hat, auf der anderen Seite setzen wir die Sache aber in ein ungewohntes Licht und lassen so Aspekte mitschwingen, die auf einer Tupper-Party bestimmt nicht zu finden sind. Wir erzählen die Geschichte durchaus witzig, es kann einem aber auch das Lachen im Hals stecken bleiben. 
JH: Mit dieser Arbeit können wir auf verschiedene Formate eingehen: Vom herkömmlichen Bühnensetting über museale Räume bis zum privaten Wohnzimmer; sogar eine Luxusloft in einer Senior:in­nen­residenz war einmal dabei. The Go-Getter ist eine Performance, die bestimmt sehr viel Aufmerksamkeit erfordert, weil auf so vielen Ebenen agiert und erzählt wird. Wir sind immer wieder überrascht, wenn wir nach der Performance vom Publikum hören, dass es danach so viel mehr über die Firmengeschichte weiß und selbst noch weiter recherchieren möchte. Was wir auch häufig hören, ist, wie überraschend es ist, dass alles, was wir darbieten, auf Funden, Recherchen und Fakten basiert und wir nichts davon frei erfunden haben. Das liegt wahrscheinlich daran, dass manches so schräg ist, dass es kaum zu glauben ist.

Worauf richtet ihr den Fokus in eurer aktuellen Arbeit Elevator Pitch und welche Aspekte dürfen dabei inhaltlich für euch keinesfalls fehlen? Welche Themen lasst ihr bewusst außen vor?
TF: Das Stück Elevator Pitch schöpft aus der Bild- und Sprachwelt des Assessment Centers. Dabei bedienen wir uns sowohl am Vokabular der Marketing-Industrie und Selbstoptimierungs-Ratgeber als auch am Jargon der Arbeitsmarktpolitik – und wir stellen uns vor allem viele Fragen: Haben wir genug? Sind wir genug? Tun wir genug? Können wir genug? Wissen wir genug? Muss es erst einmal schlechter werden, bevor es besser wird? Und was hat ein Marshmallow mit unserem Erfolg zu tun? Wie weit wollen wir gehen, wenn unsere Persönlichkeit als unser Kapital gilt? Woran messen wir unsere Erfolge? Wo bleiben unsere Bedürfnisse? Und wie weit lassen wir uns vereinnahmen, bis es uns letztendlich reicht? 
JH: Wir thematisieren mit diesem Projekt unter anderem Algorithmen, die auf vielen Ebenen stark diskriminierend sind. Gerade da muss man vorsichtig sein und sich seiner eigenen Privilegien bewusst werden.

Was ist das Besondere/Sehenswerte an euren Performances?
TF: Eine Publikumsstimme hat es so formuliert: „Politische Message geschickt ver­packt mit großer Menge an Humor.“

Julia Hartig und Teresa Fellinger werden im Herbst unter anderem bei der diesjährigen VIENNA ART WEEK / „Challenging Orders“ vertreten sein, mit „The Go-Getter“.
Details tba. 
www.chimashie.net

Die kleine Referentin

© Terri Frühling

Klimawandel: Anleitung zum (Un)Glücklichsein

Der Klimawandel ist nicht zu stoppen. Es stellt sich nur die Frage, um wieviel Grad sich die Welt in den nächsten Jahren erwärmen wird. Die Gesellschaft bekommt das Resultat von Industrialisierung und Kolonialismus beispielslos und mit unglaublicher Wucht zu spüren. Wie wird die Umwelt aussehen? Können wir Auswege finden? Wird sich die nächste Generation krisenresistenter und demnach resilienter ausrichten? Gerade wegen des globales Problems argumentiert Christoph Wiesmayr für ein umso konsequenteres lokales Agieren – und stellt exemplarisch das Modell der Tiny Forests vor.

Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass Medien von Krisen auf unserem Planeten berichten. In meiner Jugend war Tschernobyl, der Jugoslawienkrieg, später der Irakkrieg präsent. Heutzutage fühlt man sich von der Flut an gleichzeitig stattfindenden Krisen ohnmächtig, hilflos und die Lage scheint aussichtslos. Die „Generation Greta“ verkündet ihren Unmut auf der Straße, sie mischt sich ins politische Geschehen ein, prägt einen nachhaltigen Lebensstil und fordert mehr als nur das ernüchternde Blabla der Regierungen ein. Gerade diese Generation ist es, die Probleme nicht mehr vor sich herschieben kann und die Lösungen finden muss.

Don’t panic!
Die Gesellschaft sollte sich nicht in Gut und Böse spalten lassen. Die größten zivilisatorischen Errungenschaften sind aus einem breiten Gemeinschaftsverständnis entstanden. Doch wie im Alltag ethisch korrekt handeln? Wer zieht wo die Grenze? Gibt es berufliche Aussichten und Aufgaben, die mein ethisches und nachhaltiges Lebensmodell unterstützen? Finde ich überhaupt Arbeit in meiner Umgebung, die diese Werte authentisch vorlebt? Wie versorge ich mich im Alltag, was koche ich heute? Brauche ich unbedingt ein Auto? Komme ich auch ohne Flugzeug ans Urlaubsziel? Und endet es mit der Frage, ob man eine Bio-Banane noch ohne Bedenken genießen darf?

Verzicht – einfach weglassen?
Entschleunigung kann man lernen. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich 2006 den Fernseher aus dem studentischen Wohnzimmer samt meinem fahrenden Untersatz losgeworden bin. Anstelle des Autos habe ich die Zeit im Zug genießen können, trotz längerer Fahrzeit. Lesen und Arbeiten, seine Gedanken schlichten und dabei das Auge auf die vorbeiziehenden Bergkulissen des Pyhrn-Priel oder ins schöne Enntstal schweifen lassen. Auf die vielen Tunnelabschnitte von Linz nach Graz und das ewige Herumkurven um den Wohnblock, bis man endlich den einen freien Parkplatz bekommt, konnte ich leicht verzichten. Wenn ich aus dem Zug aussteige, fühle ich mich meistens erholt. Nach einer Autofahrt gerädert.

Die Frage ist; was tritt an Stelle des Verzichts!?
Streamen ist das neue Fernsehen. Wir lügen uns an, wenn wir großartig verkünden, dass wir den Fernseher samt schwachsinningen Fernsehprogramm und Werbung losgeworden sind. Im gleichen Moment ertappen wir uns dabei, dass wir eigentlich nur in ein anderes Konsumverhalten abgebogen sind – und die Abhängigkeiten verlagert wurden. Ohne Smartphone und der digitalen Cloud wären wohl viele von uns nicht mehr lebensfähig. Die Covid-Pandemie hat uns ans Zuhause gefesselt und es wurde auf das so genannte Home-Office umgestellt. Peter Weibel feiert in seinem Essay vom April 2020, dass endlich die Zeit der Telegesellschaft zum „Alltag“ geworden ist: „Wir sind endgültig in die digitale Welt umgezogen. Als ich in den 1990er-Jahren für virtuelle Welten und Online-Kommunikation votierte, stand ich auf verlorenem Posten. Meine erste Ausstellung im ZKM 1999 hieß net_condition und trug den Untertitel Kunst/Politik im Online-Universum. Ich war damals ein einsamer Rufer in der Wüste des Realen. Heute ist diese Wüste überbevölkert.“1

Entwurzelte Gesellschaft.
Unser Planet wird digitalisiert, die reale Umwelt um uns ist verbaut und die Stadtlandschaft verschandelt. Wer geht da noch gerne in unseren Städten spazieren, wo Fußgänger und Radfahrer keinen Platz haben und Steinwüsten die Stadt dominieren und überhitzen. Kein Wunder, dass viele in die digitale Blase abrutschen und für die nötigen und sinnstiftenden Handlungen im „Real-Life“ keine Zeit zu sein scheint. Wo gibt es noch Platz in der Stadt für Natur und die damit verbundenen sinnlichen Erfahrungen. Für mich ist die „Telegesellschaft“ eine entseelte und sinnentleerte Gesellschaft, die Flucht in eine Parallelwelt ein lebensfremdes Modell. Ich verstehe dies als Weckruf, um sich wieder mit seiner Umwelt und konkret mit dem Boden, auf dem wir stehen, zu verbinden! Die direkte Kommunikation mit unserer Umwelt muss wieder erlernt werden!

Die Natur einverleiben – Die Kunst und die Lust, den Genuss am Leben nicht zu verlieren.
Mit ihrer Organisation der Linzer Biene betreut Katja Hintersteiner und ihr Team Bienenvölker auf mehreren Standorten in der Stadt. Seit 2013 wird von ihr auch bei uns am Hollabererhof wieder Honig produziert. Honigverkostungen von den diversen Standorten stehen immer wieder auf ihrer Agenda. Das Bemerkenswerte daran ist, dass in fast allen Fällen bei den anonymen Testverfahren der Honig vom eigenen Standort am besten schmeckt! Laut ihren Aussagen scheint der Geruchssinn ein wesentlicher Faktor dafür zu sein. Ein Beweis für mich, dass wir mit allen Sinnen, mit unserer vertrauten Natur, bewusst oder auch unbewusst in Verbindung stehen (können).

Tiny Forests – Neue Wurzeln braucht die Stadt.
Diese und weitere sinnstiftende Erfahrungen aus dem Garten haben mich dazu bewogen, seit 2020 das Projekt Klimaoase mit meinem Verein Schwemmland am Hollabererhof zu entwickeln und ein breiteres Programm für umweltbewußtseinsbildende Maßnahmen auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Zentrum des Gartens wurde ein Tiny Forest auf 200 Quadratmetern angelegt. Zuvor war die Fläche noch als Gemüseacker genutzt. Mit fachlicher Unterstützung von Peter Sommer wurden 2021 regionale Au-Gehölze, darunter diverse Weidensorten angesetzt.

Was sind Tiny Forests?
Tiny Forests sind urbane Mikrowäldchen und wurden vom japanischen Botaniker und Professor Miyawaki in den 1970er-Jahren erfunden. Die dicht bepflanzen Wälder verweisen auf eine hohe Artendiversität und können schon ab der Größe eines Tennisplatzes gedeihen. Bekannt als Miyawaki-Wälder, wachsen die Bäume schneller und absorbieren mehr CO2 als Plantagen, die für Holz angebaut werden.

Gegen Versiegelung.
Der Tiny Forest in der Klimaoase ist ein aktiver Beitrag gegen weitere Versiegelung der letzten Auboden-Habitate im Gebiet. Der sedimentreiche Donau-Auboden am Standort bot die Grundlage für fruchtbare Gemüsegärten meiner Familie. Dieser musste aber immer wieder mit organischem Dünger vermengt werden. Ein Tiny Forest macht das durch seine Waldkreislaufproduktion automatisch, verbessert dadurch die Bodenqualität und speichert CO2 in den Boden ein. Durch die Wurzelbildung werden verdichtete Erdschichten durchbrochen, der Wasserhaushalt verbessert und es wird die Aktivität von Bodenlebewesen gefördert.

Klimatische Verbesserung.
Die Klimaoase und der neue Tiny Forest tragen zur Verbesserung des Stadtklimas bei. Durch zusätzliche Beschattung und CO2- sowie wasserspeichernde Fähigkeiten des Bodens kühlen die Mikrowäldchen den Standort und produzieren wertvollen Sauerstoff.

Aktive Nutzung.
Der Überschuss der diversen Weidenarten wird in Zukunft für Workshops im Garten direkt genutzt. Einsatzmöglichkeiten dafür sind vielseitig; für Weidenzaunbau, als Unterkonstruktion für Lehmwände oder Material für Weidenflechtkurse. Auch Tee kann aus der Weidenrinde gewonnen werden, er hat aspirinartige Wirkung. Durch die Verwendung der Weiden vor Ort können unter fachlicher Begleitung traditionelle Handwerksmethoden wiederbelebt und weiterentwickelt werden.

Big Forest vs Tiny Forest.
Großflächige Waldbrände und Borkenkäferbefall setzen den Wäldern weltweit zu. Tiny Forests bringen durch ihre überschaubare Größe den Wald näher in die Stadt und somit zu den Menschen. Man kann in nächster Nähe die Funktion eines Waldes erleben und anschaulich verstehen lernen. Tiny Forests ermöglichen eine verbesserte Aufenthaltsqualität in den Städten. Das Mikro-Auwäldchen in der Klimaoase ist außerdem eine Referenz an die verschwundene Lustenau im Linzer Industriegebiet und steht generell für das biodynamische System Auwald, welches nachweislich ein widerstandsfähiges System in Zeiten des Klimawandels darstellt.

1 Peter Weibel, Der Standard, 5. April 2020: www.derstandard.at/story/2000116482357/virus-viralitaet-virtualitaetder-globalisierung-geht-die-luft-aus

Veranstaltungen im September:
17. und 18. September 2022: „Korbsalix“-Workshop
24. und 25. September 2022: Lehmbau-Workshop

Workshop-Angebot und mehr auf:  schwemmland.net

Lesestoff der Mut macht:

• Harris C. M. Tiddens; Wurzeln für die lebende Stadt.
Wie wir die Eigenverantwortung von Stadtteilen stärken können und warum diese mehr Wertschätzung verdienen.

• Klaus Hubelmann, Eric Albrecht; Generation Greta
Was bewegt Hunderttausende Jugendlicher, auf die Straße zu gehen? Welche Werte, Ziele und Vorstellungen haben sie für ihr Leben und die Zukunft unserer Gesellschaft? Wie denkt die Generation Greta über Einwanderung, Heimat, Europa, soziale Gerechtigkeit, Bildung und Ausbildung, Partnerschaft und sexuelle Identität?

• Bernd Sommer, Harald Welzer; Trans­formationsdesign
Wege in eine zukunftsfähige Moderne.

• Verein Schwemmland, TREIB.GUT#7; Boden wieder gut machen.
Das Projekt der Klimaoase im Linzer Osten wird vorgestellt

Echtzeitverlag; diverse Kochbücher; Marcella Hazan, Julia Child, Fergus Henderson, ….
Kochbücher sind Sehnsuchtsbücher. Sie leisten erste Hilfe und fordern unsere Fantasie heraus. Sie sind Dokumente des guten Geschmacks, dessen Nachweis in der Küche erbracht wird.

• John Gray; Katzen und der Sinn des Lebens.
Wie wird man glücklich? Wie ist man gut? Wie wird man geliebt? Philosophen beschäftigen seit Jahrtausenden immer mit den gleichen Fragen. Vielleicht hätten sie sich einfach mal in eine Katze hineinversetzen sollen. …

Er liebte die raue Realität …

… und fand in ihr seine Poetik: Zum 25. Todestag des tschechischen Schriftstellers Bohumil Hrabal (1914–1997) hat sich Richard Wall nach Prag aufgemacht.

Eigentlich wollte ich mit dem Nachtzug nach Paris, doch mein Terminkalender bot mir nicht die Lücke einer freien Woche, die ich für eine Reise zur Metropole an der Seine für das mindeste hielt, und so fuhr ich im Frühlicht des letzten Maitages auf der Summerauerbahnstrecke mit einem Schnell­zug der České dráhy gen Norden um einen Toten zu besuchen, in Prag, an der Moldau. Dort gibt es auch ein Paris. Allerdings mit 2 Häkchen (Háček): Paříž. Ein mondänes Jugendstil-Hotel, in dem Bohumil Hrabals Frau Eliška gearbeitet hat und deren Erzählungen von ihrem Arbeitsplatz ihren Mann zum erfolgreichen, von Jiří Menzel verfilmten Roman Ich habe den englischen König bedient, inspiriert hat. Den 2020 verstorbenen Regisseur werden zumindest Cineasten kennen. Doch wer war Bohumil Hrabal?

Als der ungekrönte König der čechišen Prosa im Februar 1997 aus dem 5. Stock der Prager orthopädischen Klinik fiel, in der er wegen seiner Gelenkprobleme auf Behandlung lag, ward eine Legende geboren. Er, der Katzenfreund, sei beim Taubenfüttern aus dem Fenster gefallen. Ein Unfall. So die offizielle Version. Doch bald tauchten Zweifel auf.
Spürte er, dass ihm nicht mehr zu helfen war?
Was sollte er noch ohne seine geliebte, 1986 verstorbene Frau Eliška?
Katzen – so sehr er sie auch mochte – sind auf die Dauer doch keine Gesprächspartner.

1963 debütierte Hrabal, der jahrzehntelang Gedichte für die Schublade schrieb, bevor er sich der Prosa zuwandte, mit dem Titel Perlička na dně / Das Perlchen auf dem Grund. Sein Erfolg – er war bereits fünfzig – lag im frischen und lebendigen Ton begründet; der (absurde) Humor, Schwejk’scher Anarchismus und eine existentielle Leichtigkeit in seiner Prosa erwiesen sich als willkommene Gegenstimme zum steifen sozialistischen Realismus, den viele Künstler und Schriftsteller in diesen Jahren aufzubrechen begannen. Die Erzählung Bafler beginnt so:

„Auf dem Bänkchen vor der Zementfabrik saßen alte Männer, schrien einander an, packten einer den andern beim Revers, maulten sich gegenseitig die Ohren voll.
Es schneite Zementstaub; die ganze Gegend, Häuser und Gärten, war mit feingemahlenem Kalkstein bedeckt.
Ich ging in die verstaubten Felder hinaus. Unter einem einsamen Birnbaum schnitt ein winziger Mann mit der Sichel das Gras.
‚Sagen Sie, was sind das für Schreihälse dort bei der Pförtnerbude?‘
‚Die am Haupttor? Das sind unserer Rentner‘, antwortete er.
Und sichelte weiter.
‚Schön alt sind die‘, sagte ich.
‚Gelt? In ein paar Jährchen sitze ich auch dort.‘
‚Wenn Sie es nur erleben!‘
‚Aber ja. Die Landschaft hier ist sehr gesund.“

Das erste, was ich, wie viele meiner Generation, von Hrabal gehört hatte, war der Monolog Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene, gelesen von Helmut Qualtinger. Die Prosa basiert auf Erzählungen seines Onkels Pepin. Damit wurde Hrabal, 1914 in Brünn geboren, auch in Österreich bekannt. Nach dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings durfte er jahrelang in der Tschechoslowakei nicht publizieren, doch seine Bücher konnten, in den Übersetzungen von Franz Peter Künzel und Susanna Roth, nach und nach bei Suhrkamp erscheinen.

Während der Roman Ich habe den englischen König bedient von Jiří Menzel erst 2006, also nach dem Tod von Hrabal, verfilmt wurde, wagte sich der junge Menzel bereits 1965 an die Verfilmung von Reise nach Sondervorschrift – Zuglauf überwacht. 1968 wurde der Film unter dem Titel Liebe nach Fahrplan mit dem Oskar für den besten ausländischen Film ausgezeichnet. Hintergrund der Erzählung ist die zu Ende gehende Herrschaft der Nazis im Protektorat: „Tiefflieger brachten den Verkehr so durcheinander, dass die Morgenzüge mittags fuhren, die Mittagszüge abends und die Abendzüge nachts, so dass es manchmal geschah, dass am Nachmittag der Zug fahrplanmäßig ankam, auf die Minute genau, aber nur, weil das der vier Stunden verspätete Personenzug vom Vormittag war.“
In der angespannten militärischen Lage verkehren jedoch nicht nur Züge in einem problematischen Rhythmus; auch im Verhalten zwischen den Geschlechtern, namentlich zwischen dem Fahrdienstleiter Hubička und der Telegraphistin Zdenička Svatá (Svata=Heilige) kommt es zu einem kurios-erotischen Vorfall, der von den Vorgesetzten genüsslich protokolliert werden musste.
Die Prosa geht auf Erlebnisse zurück, die Hrabal im Dienst der staatlichen Eisenbahn hatte. Nach Abschluss des Jurastudiums arbeitete er als Versicherungsagent, danach vier Jahre in der Eisenhütte Poldi in Kladno. Am Leben der Mitmenschen Anteil zu nehmen, war für ihn selbstverständlich, deshalb machte ihm manuelle Arbeit nichts aus: „Wenn in dem Hüttenwerk andere leben können, warum nicht auch ich?“ Tonnenweise schaufelte er Eisenerz, Mangan und Chrom für das Schmelzverfahren in den Martinöfen auf klapprige Kastenwagen. Bei der Arbeit wiederholte er Sätze aus Büchern von Dostojewskij oder von Dali, dessen Buch Die Eroberung des Irrationalen eine zeitlang seine Bibel war. Je komplizierter das Gelesene war, umso besser, meinte er einmal; ganze Sätze wehten vor seinen Augen wie Fahnen, und er überprüfte, ob dieser oder jener geheimnisvolle Satz auf die Wirklichkeit passte und ob er etwas über sie auszusagen hatte.

Ein schwerer Arbeitsunfall – als sich bei einer Kranhavarie ein Rad von der Rolle losriss, wurde Hrabal am Kopf getroffen und schwer verletzt – beendete seine Arbeit im Stahlwerk.
Nach acht Monaten Rehabilitation in Sanatorien arbeitete er von 1954 bis 1958 in einer Altpapiersammelstelle in der Spálená Gasse in der Prager Neustadt. Ein Teil des angelieferten „Altpapiers“ bestand aus Büchern der Weltliteratur, mit denen er seine Bibliothek bereicherte.

Seine erste Wohnung in Prag fand er 1948 am Altstädter Ring. Doch das Leben im Zentrum der Altstadt behagte ihm nicht, und so zog er bald an die Peripherie in die Gasse Na Hrázi, Am Damm, nach Libeň, wo er bis 1973 wohnte. Eigentlich bestand die Wohnung nur aus einer ehemalige Schmiedewerkstatt. Wasser und WC im Hof; für Luxus hatte Hrabal nie etwas übrig. Hier lebte er mit seiner Frau Eliška Plevová. Erst 1973 zogen sie in eine Neubauwohnung nach Prag-Kobylisy, doch Hrabal hielt sich schreibend und durch den Wald streifend lieber in seiner Hütte in Kersko bei Nymburk auf, die sie 1965 gekauft hatten.
Durch Verlängerung der Metrolinie verschwand 1988 die Gasse in Libeň samt dem Haus, in dem Hrabal ein Vierteljahrhundert lang lebte. Unweit seiner ehemaligen Bleibe entstand die Station Palmovska.

Diese war gleich noch am Tag meiner Ankunft in Prag mein Ziel. Aus dem Untergrund ins milde Nachmittagslicht eines Mai­tages tretend, empfing mich ein schmaler Platz, halb Wiese, halb Asphalt. Die Straße dahinter trägt noch immer den Namen Am Damm /Na Hrázi. Dreht man sich um, hat man eine Betonmauer vor sich mit dem zwei Jahre nach dem Tod des Meisters von der Künstlerin Tatiana Svatošova gemalten Wandbild. Ein respektables Werk und eine liebenswürdige Hommage in einer Malweise, die an Pop-Art erinnert.
Es zeigt den „Schellenober, der mit der Schelle in der Hand unter der Sonne spaziert“ (so beschrieb Hrabal sich selber), überlebensgroß, Hände in den Hosentaschen. Wir stehen uns gegenüber, ich suche seinen Blick, doch der seine geht über mich hinweg auf die wenigen noch einstöckigen Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Neben ihm überlebensgroße Katzen, schablonenhaft; individuell jedoch in Diagonalen die Katzenköpfchen mit Namen; dazwischen Zitate aus seinem Werk, an die Wand applizierte Schilder und andere Materialien aus den Ruinen der Häuser. Etwa in der Mitte des Wandbilds wie aufgeblasen seine Perkeo, mit der er schreibend sein Wesen ergründete, eine deutsche Schreibmaschine, die nicht über Sonderzeichen wie das Häkchen verfügte. Die Mauer abschreitend beginnt in meinem Kopf eine Zeitreise; ich vergegenwärtige die alten Bilder und Erzählungen; Passagen aus seiner autobiographischen Trilogie mit den Titeln Hochzeiten im Haus, Vita nuova und Baulücken. Seine Selbstbefragung mündete in eine formale Antwort: Er erzählte über sich aus der Perspektive seiner Frau. Mit Hilfe dieses Spiegels gelang es ihm, auch seine Widersprüche, Schwächen und Laster, zur Sprache zu bringen. Manchmal sei er erstaunt vor dem geschriebenen Text gesessen und verwundert gewesen, über das, was er alles über sich erfahren hatte. Um nicht immer in der feuchten Wohnung zu sitzen, pflegte er an sonnigen Tagen auf das Dach des Schuppens im Hof zu steigen. Er saß auf einem Hocker, die Kofferschreibmaschine stellte er auf einen Sessel vor sich. Die Sessel und Hockerbeine waren so beschnitten, dass sie die Pultdachschräge ausglichen. Dann ließ er stundenlang seine Maschine rattern und schrieb sich in eine Art Trance hinein. Von den Surrealisten und vom letzten Kapitel im Ulysses von Joyce inspiriert ließ er seinen „Bewusstseinsstrom“ ungehindert fließen …
Gegen Ende der Mauer, hin zu einer Reihe vierstöckiger Wohnhäuser, das Raster eines riesigen Bücherregals mit den Namen jener Autoren, die für seinen Entwicklung bedeutend waren; auf den als Stäbe gemalten Buchrücken Namen wie Seneca, Platon, Lao Tse, Rabelais, Isaak Babel, Karl Jaspers, James Joyce, T. S. Eliot, Bruno Schulz, Jaroslav Hašek, Vitězslav Nezval, u. v. m.
Am unteren Ende der Mauer auf einem Fleckerl Grün ein Gedenkstein. Er erinnert an das Gasthaus U Vaništů, von dem er und seine Freunde – vor allem der Dichter und Musiker Karel Marysko und der Maler Vladimír Boudník – das Bier zu holen pflegten.

Um meinen Durst zu löschen – es war Abend geworden – zog es mich in die Altstadt. In dieser gibt es nach wie vor ein Gasthaus, in dem fast nur Prager anzutreffen sind: U Zlatého Tygra. Die Lieblingsgaststätte von Hrabal, seine „Universität“. In der kurzen Prosa, Wer ich bin, heißt es: „… manchmal sitze ich da und schweige verstockt, überhaupt gebe ich beim ersten Bier ganz klar zu verstehen, dass es mir unangenehm ist, irgendwelche Fragen zu beantworten, so sehr freue ich mich auf das erste Bier, und es dauert eine gewisse Weile, bis ich mich an diese tyrannisch laute Kneipe gewöhne …“
An den Tischen unter dem Tonnengewölbe war kein Platz frei, kaum eine Hand hätte zwischen die Schultern der dichtgedrängten Trinker gepasst. Vor ihnen volle und halbvolle Biergläser, darüber durch die bierfeuchte Luft fuchtelnde Arme, schreiende Münder. Die Phon-Stärke unter dem Gewölbe dürfte auch 25 Jahre nach dem Abgang des Dichters nicht geringer geworden sein.
Am hinteren Ende des Gewölbes, wusste ich, liegt ein etwas höher gelegener Raum, in dem sich noch ein Tisch befindet. Hier saßen drei Männer. Am schmalen Ende des Tisches war noch Platz. Ich unterbrach ihr Gespräch und fragte höflich, ob bei ihnen noch frei sei. Ja, kein Problem. Als das nächste Mal der Kellner ums Eck lugte, rief ich „jedno pivo, prosím!“. Unsicher, ob er meine Bestellung registriert hatte, ließ ich meinen Blick über die bebilderten Wände gleiten. Mein Gesicht schließlich zur Wand hinter mir drehend, sah ich, dass über meinem Kopf ein Porträtfoto von Hrabal hing. Und zwar nicht irgendeines, sondern ein sehr bekanntes von Hana Hamplová. Nachdem ich einige Schlucke getrunken, kam ich doch mit einem der drei ins Gespräch. Zuallererst durfte ich ihn mit meiner Herkunft vertraut machen: „Horní Rakousko!“ Ob ich wegen Hrabal gekommen sei?
Nun kam die Offenbarung: Wo ich sitze, so der Prager lächelnd, habe auch Hrabal des Öfteren gesessen. Ein Cousin habe ihm dies einmal verraten. Ich meinte, dass dies kein Zufall sein könne, dass ausgerechnet an diesem Tisch noch dieser Platz frei gewesen sei. Die drei lächelten freundlich und wandten sich wieder ihren Themen zu.

Hello Velo! Oder Hello Yellow.

Eine Radbahn für Linz. Im Hafenviertel hat sich Magnus Hofmüller das neu gebaute Velodrom angesehen und Sigrid Grammer und Johannes Staudinger zum Gespräch getroffen.

Es ist ein regnerischer Nachmittag im Linzer Hafenviertel, an dem ich mich mit Johannes Staudinger vom Verein Velodrom Linz und Sigrid Grammer von Hello Yellow beim neu gebauten Velodrom namens „Hello Yellow“ treffe. Die UCI-genormte Bahn ist seit Juli dieses Jahres fahrbereit. Und um die Entstehung und die Möglichkeiten zur Nutzung zu erkunden, habe ich mich mit den beiden verabredet.

MH: Ein ganz einfache Einstiegsfrage: Was ist ein Velodrom und wofür wird es genutzt?
JS: Ein Velodrom ist eine Radsportanlage zum Bahnradfahren. Es wird in sportlicher Hinsicht zum Trainieren der Endgeschwindigkeit, zum Üben eines runden Tritts und zur Übung der „Disziplin“ des sogenannten Zugfahrens genutzt. Züge sind Fahrradgruppen aus mehreren FahrerInnen, die im Windschatten hintereinanderfahren und sich im Kreisel abwechseln. Es können auch mehrere Züge auf einer Bahn unterwegs sein.

MH: Der Verein Velodrom Linz setzt sich seit mehr als 7 Jahren für ein Velodrom in Linz ein. Die Firma Schachermayer hat dies nun umgesetzt – wie kam es dazu bzw. wann haben sich die Wege gekreuzt bzw. die Ideen zueinander gefunden?
SG: Die Fa. Schachermayer hat 2019 den benachbarten Pumptrack eröffnet und sieht das Velodrom als eine Art Erweiterung. Der Firmeninhaber ist sportbegeistert, passionierter Radfahrer und ihm ist es ein Anliegen, einen Raum der Bewegung und Begegnung zu schaffen. Und dies mit besonderem Fokus auf den städtischen Raum, um dort die Möglichkeiten zu erweitern. Das Velodrom steht der Allgemeinheit – mit besonderem Fokus auf junge Menschen und natürlich auch den MitarbeiterInnen zur Verfügung.
JS: Die Wege haben sich Ende 2020 gekreuzt. Die Ideen zu einem Velodrom in Linz wurden unabhängig voneinander geboren. Es kam zu einer Kontaktaufnahme und einem Ideenaustausch. Die Entscheidung zum Bau fiel dann sehr schnell und wurde von Gerd Schachermayer allein getroffen. Der Verein Velodrom Linz wurde dann mittels einer Partnerschaft involviert – es war ja naheliegend, da sich der Verein seit vielen Jahren mit dem Thema beschäftigt.

MH: Ich möchte hier trainieren – wie wäre die Vorgehensweise:
JS: Es gibt zwei Herangehensweisen. Die erste ist für Interessierte ohne Erfahrung, die über das Webformular mit Hello Yellow in Kontakt treten und sich für einen kostenlosen Einführungskurs anmelden. Hier kann man Bahnluft schnuppern und das Fahren im Oval auf zur Verfügung gestellten Bahnrädern ausprobieren. Wenn man Bahnerfahrung hat, kann man direkt per Mail Kontakt aufnehmen und muss glaubwürdig dokumentiert die Bahnerfahrung hinterlegen. Mittels Zutritts-Key ist die Nutzung dann möglich. Die Zeitslots können online reserviert werden. Für Mitglieder der Vereins Velodrom Linz gibt es die Möglichkeit, am eigens reservierten Vereinszeitslot am Montag zu trainieren und man hat auch Zugriff auf die Trackbikes der Anlage.

MH: Ist der ÖRV (Österreichische Radsport-Verband) in irgendeiner Form integriert?
JS: Der ÖRV und der OÖRV nutzen das Velodrom bereits. Das ist eine Abmachung zwischen Hello Yellow und dem Verband, der in eigens reservierten Slots trainiert. Hier werden zum Beispiel oft zwei Wochen am Stück trainiert.
SG: Hello Yellow weiß ob der Attraktivität für Kadertrainings, der Hauptfokus liegt aber in der Nutzung durch die breite Allgemeinheit.

MH: Das Ferry Dusika Stadion wurde heuer abgerissen und Hello Yellow ist nun das einzige Velodrom in Österreich. Merkt man hier eine gesteigerte Aufmerksamkeit?
JS: Ja, man sieht eine gewisse Dynamik in der Szene in Österreich. In Linz ist die Szene gewachsen und in Wien natürlich etwas geschrumpft, aber es gibt einige WienerInnen, die die Anlage hier nutzen. Es gibt auch seit der Eröffnung von Hello Yellow Medienberichte, dass Bahnen in Kärnten oder auch in Graz in Planung sind. Sehr positiv ist das Wachstum der Szene und das hohe Interesse in Linz.

MH: Gibt es mittel- oder längerfristig auch Pläne, neben der Trainingsnutzung auch Wett­bewerbe oder Veranstaltungen abzuhalten?
SG: Grundsätzlich soll die Anlage schon für Veranstaltungen geöffnet werden – so wurden bereits die Staatsmeisterschaften angefragt – das ist sich aber einfach noch nicht ausgegangen. Hier muss man die Entwicklung abwarten und abwägen, welche Möglichkeiten sich anbieten.
JS: Es gibt keinen dezidierten Publikumsbereich. Einstweilen gibt es aber die Möglichkeit, vom vorbeigeführten Gehweg durch den Plexiglasschutz bei Trainings zuzusehen. Man kann aber durchaus überlegen, in Zukunft auch kulturelle Veranstaltungen durchzuführen.

MH: Was ist die Motivation der Fa. Schachermayer, sich so intensiv im Radsport zu engagieren? Ist das Imagetransfer oder Mäzenatentum?
SG: Das Engagement ist nicht nur auf den Radsport fixiert – es geht im Weitesten um Bewegung und Sport. Die soziale Kom­po­nente ist auch eine ganz wichtige und dieser möchte man in Linz Rechnung tragen. Der breite Zugang für die Allgemeinheit steht im Zentrum.

MH: Der Verein Velodrom Linz war lange Jahre eher ein Interessensverein, der Lobbying für ein Velodrom in Linz geleistet hat – und natürlich auch Veranstaltungen mit gesellschaftspolitischem und kulturellem Fokus veranstaltet hat – hier zu nennen das Kirschblüten Radklassik oder die Tour Gino Bartali. Jetzt ist aber der Sport im Mittelpunkt – wohin geht die Reise?
JS: Die Aktivitäten bleiben bestehen. Das Engagement für das Hello Yellow ist einfach dazugekommen und ist eine neue Facette im Vereinsportfolio. Wir heißen ja Velodrom Linz – Verein für Sport und Kultur. Der Bereich Sport wurde jetzt einfach verstärkt. Wir haben derzeit schon 50 Mitglieder – davon hätten wir vor einem Jahr nur träumen können.

MH: Danke für das Gespräch und die Führung!

GesprächspartnerInnen:
Sigrid Grammer, Leitung Medien im Konzern­marketing der Firma Schachermayer
Johannes Staudinger, Obmann und Sprecher Verein Velodrom Linz

Hello Yellow Hafenviertel,
Prinz-Eugen-Straße 30, Linz

Anmeldung und Kontakt:
Interessierte ohne Bahnerfahrung müssen einen Einführungskurs absolvieren. Der Kurs ist gratis, die Anmeldung dafür erfolgt unter: www.hello-yellow.at/velodrom/einschulungstermin-velodrom

Erfahrene, die nachweislich Bahnerfahrung mitbringen, nehmen Kontakt auf über velodrom@hello-yellow.at

Trainingszeiten
Die freien Timeslots zum Trainieren sind online einzusehen unter: www.hello-yellow.at/kalender

Mitglieder des Vereins Velodrom Linz können montags von 16 bis 20 Uhr im vereinseigenen Trainingsslot trainieren. www.velodrom-linz.at/mitglied-werden

Zugang
Mittels Zugangschip. Dieser kann nach dem Einführungskurs bzw. dem Nachweis über Bahnerfahrung gegen eine Kaution von Euro 50,– gelöst werden.

Saisondauer
Anfang April bis Ende Oktober

www.hello-yellow.at
www.velodrom-linz.at

Russische Kaltmamsell oder ein Einmaleins für die kalte Küche.

Der Dude ist ja dafür bekannt, dass er jeder Sau, die durchs Dorf getrieben wird, geifernd nachläuft – so auch dem omnipräsenten Thema Winter und Kälte. Um uns bestens auf die drohende Temperatursenkung und den Sparhaushalt vorzubereiten, hier ein kleines Einmaleins zum kulinarischen Widerstand. Die erwähnte Kaltmamsell feiert in Form ihres mannigfaltigen Rezepterbes ein fulminantes Comeback und wird dadurch teure Ratgeberin bei der Zubereitung von wohligen Salaten, sauren Sülzen und bitterkalten Platten. Viel wichtiger als Speisenarchitektur, fancy Cookingskills und exakte Zu­­bereitungsplanung ist aber das Basiswissen über die Wärmekraft der unterschiedlichsten Lebensmittel. Hier wird uns der Chinese ein wohlgelittener Freund und Experte: TCM (Traditionell chinesische Medizin) erzählt uns alles über Zutaten und ordnet die geeignetsten KandidatInnen, sodass wir auf einen Blick die wichtigsten Fakten erfassen und verstehen können. Der Slowdude, seit Jahren ein Verfechter der These „Essen und Trinken muss nähren, aber auch stärken und heilen“, findet sich hier in bester Gesellschaft wieder. Und in dieser fühlt er sich pudelwohl, verstanden und gut aufgehoben.

Der aufziehende Herbst bringt die unterschiedlichsten Kohlarten, Rotkraut, rote Rüben oder Kürbis und damit auch viele saisonale, natürliche, gesunde und außerdem schmackhafte WarmmacherInnen. Aber auch Küchenstandards wie Zwiebel, Porree und Lauchzwiebel sind Heizkraftwerke aus der Gemüselade – Süßkartoffeln und Fenchel runden diesen Reigen an Möglichkeiten ab. Bringt man diese Lieben zum Beispiel mit einer erquicklichen Menge Ingwer, Knoblauch und Chili zusammen, kommt die Hitzewallung so sicher wie das nächste Frühjahr. Additiv zu nennen sind hier Walnüsse, Pinienkerne und Maroni. Auf der Gewürzseite wird von Fenchel, Anis und Kümmel viel Wärme gespendet. Wahre Nachbrenner sind auch Granatäpfel, Zwetschgen (auch in gedörrter Form) und Rosinen. Geräucherter Fisch und Wildbret sind Optionen für Karnivoren. Also ein breites Spektrum an Basismaterial, das die geneigte Köchin oder den geneigten Koch schön gewärmt über die kalten Tage bringt.

Meiden sollten wir hingegen die Gurke, den Sellerie – ja es ist bitter – und auch alle Formen von Kokos. Kokoswasser, Kokosflocken, Kokosmehl, Kokosmilch und auch Kokosspalten. Und auch Spargel, Erdbeeren und Wassermelone sollten tunlichst in der Winternahrung nicht vorkommen – die haben aber in der kalten Jahreszeit soundso nichts im Einkaufskörbchen zu suchen. Die Gewürze, die sich eher der kühlen Seite zuneigen, sind Dill, Kamille, Koriander, Pfefferminze und Salbei – ja auch hier ein paar schmerzliche Verluste. Aber die sehnlichst herbeigewünschte Verwendung im Frühling und Sommer trösten den Dude darüber hinweg.

Neutral hingegen ist der Reis. Im Sommer unterstützt er kühlende Nahrungsmittel, im Winter die wärmenden. Ebenso die gute Kartoffel – neutral bis in die innerste Stärkeschicht. Sympathisch.

Um dem titelgebenden und anachronistischen Begriff Kaltmamsell Rechnung zu tragen: Die Herbst- und Winterzeit zu nutzen, um alte Rezepte zu suchen, zu adaptieren und gar zu modernisieren, schafft Abwechslung vom öden Küchenalltag. Kombiniert mit den weisen Ratschlägen und Zutatentipps aus der TCM eine absolute Win-Win-Situation, meint der Slowdude. Aber auch zur nötigen Distraktion von der aktuellen Weltenlage – Experimente und Neues in der Küche schaffen wertvolle Ablenkung. Der Dude ist und bleibt ein emotionaler Fatalist und rät: Das Beste draus machen – auch wenn die Küche kalt bleibt.

Der Anarchosyndikalismus

Die Referentin bringt seit mehreren Heften eine Serie über frühe soziale Bewegungen und emanzipatorische Entwicklungen. Über die revolutionäre Gewerkschaftsbewegung des Anarchosyndikalismus, von seiner Entstehung vor etwa 100 Jahren bis zu seiner Renaissance in den letzten Jahren schreibt Hans Huber.

Vor einhundert Jahren existierte international eine revolutionäre Gewerkschaftsbewegung, die heute kaum mehr bekannt ist. Die Rede ist vom Anarchosyndikalismus. Seine Hochblüte erlebte dieser in der Zwischenkriegszeit, doch Faschismus und Zweiter Weltkrieg ließen von der einstigen Massenbewegung nur mehr kümmerliche Reste über. Was zeichnete diese Gewerkschaften aus und weshalb erlebt die Idee des Anarchosyndikalismus in den letzten Jahren eine Renaissance?

Von der Geburt des Syndikalismus …
Wenn heute von der Gewerkschaft die Rede ist, so sind damit im deutschsprachigen Raum die großen Einheitsgewerkschaften gemeint. Der ÖGB vereint verschiedene politische Fraktionen und verhandelt als eine Gewerkschaft sozialpartnerschaftlich mit den Verbänden der Arbeitgeber. Solche Gewerkschaften bilden in Europa jedoch die Ausnahme – in anderen Ländern wie Frankreich und Spanien existieren Richtungsgewerkschaften mit unterschiedlichen weltanschaulichen oder parteipolitischen Ausrichtungen.

In Frankreich entstand Ende des 19. Jahrhunderts auch der Syndikalismus. Dieser verwarf die Grundidee der damaligen zersplitterten sozialistischen Parteien, mittels Wahlen die Lebenssituation der Arbeiter*innen zu verbessern und zum Sozialismus zu gelangen. Stattdessen sollte der Klassenkampf unmittelbar im ökonomischen Bereich durch die Gewerkschaften geführt werden – mittels „direkter Aktion“, also z. B. Streik, Boykott oder Sabotage. Neben dem „Kampf ums tägliche Brot“ mit dem Ziel von sofortigen Verbesserungen – also z. B. Verkürzung der Arbeitszeit oder Lohnerhöhungen – verfolgte der Syndikalismus darüber hinaus das Ziel einer sozialen Revolution.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts formte sich schließlich als eigene Strömung der Anarchosyndikalismus aus. Seine Theorien basieren auf den Vorstellungen des anarchistischen Sozialismus, während sich die Organisationsform an den revolutionären Syndikalismus anlehnt. Im Unterschied zu Parteisozialist*innen jeglicher Couleur verwerfen Anarchosyndi­kalis­t*in­nen die Idee, den Sozialismus „staatlich von oben herab“ einzuführen. Denn Verstaatlichung der Wirtschaft kann „nur zur schlimmsten Form der Ausbeutung, zum Staatskapitalismus, nie aber zum Sozialismus führen“ (Prinzipienerklärung des Syndikalismus, 1919). Statt zentralistischer Lenkung von Wirtschaft und Gesellschaft durch den sozialistischen (Einparteien-)Staat erstreben Anarchosyndikalist*innen einen libertären Sozialismus, der föderalistisch von unten nach oben organisiert sein soll. Die Gewerkschaft bildet dabei das Kampfinstrument zur Verbesserung der aktuellen Lebenssituation sowie zur Übernahme der Produktionsmittel in der sozialen Revolution und gleichzeitig auch die Basis der Organisation der neuen sozialistischen Wirtschaft.

… über die anarchosyndika­listischen Gewerkschafts­internationale …
In den 1920er-Jahren schlossen sich Gewerkschaften mehrerer Kontinente von Argentinien über die USA und Europa bis Japan in einer diesen Zielsetzungen verpflichteten Gewerkschaftsinternationalen zusammen. Die „Internationale Arbeiter Assoziation“ (IAA) vereinte in ihrer Blütezeit vier Millionen Mitglieder.

Auch in Deutschland erlebte der Anarchosyndikalismus nach dem ersten Weltkrieg einen Aufschwung: die aus der „Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ hervorgegangene anarchosyndikalistische „Freie Arbeiter Union Deutschlands (FAUD)“ zählte Anfang der 1920er-Jahre über 125.000 Mitglieder mit Hochburgen in den Bergbauregionen des Ruhrgebiets und einzelnen Industriestädten. In ihrer 1919 angenommen Prinzipienerklärung heißt es: „Die Syndikalisten (…) sind prinzipielle Gegner jeder Monopolwirtschaft. Sie erstreben die Vergesellschaftung (…) aller sozialen Reichtümer.“.

Die FAUD beteiligte sich an zahlreichen Streiks und stellte im Ruhraufstand 1920 (Märzrevolution) einen Teil der „Roten Ruhrarmee“. Von 1923 bis 1932 schrumpfte sie schließlich auf einige tausend Mitglieder – die Reste der unter dem Nationalsozialismus illegal weiteragierenden Organisation wurden 1936/37 von der Gestapo zerschlagen und in mehreren Prozessen vor dem Volksgerichtshof abgeurteilt.

In Österreich standen Anarchismus und Anarchosyndikalismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Schatten der starken Sozialdemokratie. Zwar gab es kleine anarchosyndikalistische Gewerkschaften und Propagandagruppierungen, über eine Gesamtmitgliederzahl von 2.000 kamen diese jedoch nicht hinaus.

… zur sozialen Revolution in Spanien 1936
Das Land mit der stärksten anarchosyndikalistischen Massenbewegung stellte Spanien in der Mitte der 1930er-Jahre dar. Die Confederation National de Trabajo (CNT) verfügte zu diesem Zeitpunkt über eine Million Mitglieder. Als 1936 rechte Generäle gegen die Linksregierung putschten, folgte bereits in den ersten Tagen des Spanischen Bürgerkriegs eine soziale Revolution in weiten Teilen Kataloniens und Andalusiens: die CNT übernahm die Kontrolle über zahlreiche Betriebe, richtete Agrarkollektive ein und versuchte ihre Vorstellung eines libertären Sozialismus umzusetzen. Die gesellschaftlichen Umwälzungen beschränkten sich dabei nicht auf den wirtschaftlichen Bereich, sondern erfassten auch die Schulen, das Gesundheitswesen oder die „Geschlechterfrage“. So organisierten sich etwa 20.000 Frauen bei den anarchistisch-feministischen „Mujeres Libres“.

Gemäß den föderalistischen Vorstellungen im Anarchismus wiesen vor allem die Agrarkollektive unterschiedlichste kollektivistische und kommunistische Formen auf: manche Dörfer und Kleinstädte schafften das Geld ab, andere entlohnten nach Familie, wieder andere individuell. Und in vielen Dörfern existierten neben dem Kollektiv individuelle Bewirtschaftungsformen für jene weiter, die sich dem Kollektiv nicht anschließen wollten. Ein komplexes System lokaler und überregionaler Vernetzung sorgte für die Rohstoff- und Materialbeschaffung und die Verteilung der produzierten Produkte – ein libertärer Sozialismus von unten nach oben konträr zur zentralistischen Staatsverwaltung in der Sowjetunion.

George Orwell, der in Spanien in der marxistisch-antistalinistischen P.O.U.M. bewaffnet gegen den Faschismus gekämpft hatte, beschrieb diesen libertären Sozialismus in „Spanische Erfahrungen“ so: „Die normale Klasseneinteilung der Gesellschaft war in einem Umfang verschwunden, wie man es sich in der geldgeschwängerten Luft Englands fast nicht vorstellen kann. Niemand lebte dort (Aragon, Anm.) außer den Bauern und uns selbst, und niemand hatte einen Herrn über sich. (…) Ich weiß sehr genau, wie es heute zum guten Ton gehört zu verleugnen, daß der Sozialismus etwas mit Gleichheit zu tun hat. In jedem Land der Welt ist ein ungeheurer Schwärm Parteibonzen und schlauer, kleiner Professoren beschäftigt zu „beweisen“, daß Sozialismus nichts anderes bedeutet als planwirtschaftlicher Staatskapitalismus (…). Aber zum Glück gibt es daneben auch eine Version des Sozialismus, die sich hiervon gewaltig unterscheidet.“

Doch innerhalb der republikanischen Gebiete erwuchs dieser Revolution ein erstarkender Gegner:
Die an Stalin orientierte Kommunistische Partei PCE entwickelte sich „zur Verfechterin des Privateigentums und der Interessen des Mittelstandes.“ (Walther L. Bernecker) Sie nutzte ihren stark wachsenden Einfluss in der Volksfrontregierung, unterdrückte ab Mai 1937 P.O.U.M und CNT und zerschlug zahlreiche Landkollektive. Auf die Niederlage der Revolution folgte 1939 die Niederlage der Linken im spanischen Bürgerkrieg.

Vom Niedergang bis zum Neuaufleben des Anarchosyndikalismus heute
War der Höhepunkt der meisten (anarcho)syndikalistischen Gewerkschaften in den 1920er-Jahren erreicht, so befanden sich die übriggebliebenen Reste nach dem Zweiten Weltkrieg im Niedergang. Der Historiker Marcel van der Linden beschreibt drei Wege ihrer weiteren Entwicklung:
a) das Festhalten an den ihren Prinzipien und darauffolgende Marginalisierung
b) Änderung ihres Kurses und Anpassung an neue Bedingungen – und somit die Aufgabe syndikalistischer Prinzipien
c) Auflösung oder Aufgehen in einer nicht-syndikalistischen Gewerkschaft

Von einzelnen lokalen Ausnahmen wie der SAC in Schweden oder dem Wiederaufleben der CNT in Spanien Anfang der 1970er-Jahre abgesehen, existierte der (Anarcho)Syndikalismus hauptsächlich noch als Ideengemeinschaft, aber nicht mehr als wahrnehmbare gewerkschaftliche Kraft.

Seit den 1990er-Jahren ist eine Trendwende und ein internationales Wiederaufleben anarchosyndikalistischer Ideen bemerkbar. Neu gegründete oder erstarkte Gewerkschaften mit (anarcho)syndikalistischer Prägung finden sich vor allem in jenen prekarisierten Bereichen, die von herkömmlichen Gewerkschaften vernachlässigt werden. So konnte etwa die 1977 wiedergegründete Freie Arbeiter*innen Union (FAU) in Deutschland in den vergangenen Jahren verstärkt an gewerkschaftlichem Profil gewinnen und damit auch ihre Mitgliederzahl deutlich steigern – heute sind wieder über 1.300 Menschen in Deutschland Mitglied in einer anarchosyndikalistischen Gewerkschaft. Neben zahlreichen kleineren Auseinandersetzungen z. B. um Lohnzahlungen machte sie mit ihrem Einsatz für rumänische Bauarbeiter in Berlin („Mall of Shame“), mit der Unterstützung eines wilden Streiks von 150 Erntehelfer*innen bei Bonn 2020 oder mit der Organisierung von Arbeitskämpfen von Fahrradkurier*innen von sich reden. Die spanische CNT-Abspaltung CGT verfügt heute über 80.000 Mitglieder und ist z. B. auch in feministischen Kämpfen (Frauenstreik) aktiv.

In Österreich existieren derzeit mit dem Wiener Arbeiter*innen Syndikat (WAS) und den Wobblies (IWW) zwei kleine Gewerkschaftsgruppen, die sich auf anarchosyndikalistische bzw. syndikalistische Traditionslinien beziehen. In den vergangenen Jahren konnte dabei das WAS in (Lohn)Auseinandersetzungen mehrere Erfolge erzielen. Ihre modernen Kämpfe „ums tägliche Brot“ reihen sich ein in das Wiederaufleben einer sozialrevolutionären Gewerkschaftsbewegung, die nach dem Zweiten Weltkrieg fast in Vergessenheit geriet.

Die Serie in der Referentin ist auf Anregung von Andreas Gautsch bzw. der Gruppe Anarchismusforschung entstanden, siehe auch: anarchismusforschung.org

Stadtblick

Foto Die Referentin

Niemals vergessen!

Die Erinnerungszeichen von Andreas Strauss sind permanente, in Kooperation mit der Lehrwerkstätte der voestalpine gefertigte Stelen, die ein personalisiertes Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus ermöglichen – insbesondere als Erinnerung an verfolgte, vertriebene und ermordete Linzer Jüdinnen und Juden.
www.linzerinnert.at

Das Professionelle Publikum

Tipps, Tipps, Tipps von Amanda Augustin, Sabine Jelinek, Evelyn Kreinecker, Ayan Razaei und Irene Wögerer. Die Redaktion bedankt sich für die persönlichen Veranstaltungsempfehlungen! Werte Leser*innenschaft: Gustieren Sie und schauen Sie hin!

© Amanda Augustin

Amanda Augustin
ist ein Kopf der Hydra, dem vielköpfigen Geschöpf der Linzer Unterwelt, welches Tag und Nacht für die Subkultur kämpft. Angesiedelt zwischen Kunst, Kultur und bumbum ist sie stets auf der Suche nach dem Plus X, dem gewissen Etwas, das es noch zu entdecken gibt.

Holy Hydra Festival
Wer weiß schon wo morgen ist/Jelka Soliparty

© Lukas Schaller

Sabine Jelinek
ist Künstlerin und seit 2018 Kuratorin des öffentlichen Kunstraumes Sternenpassage im MuseumsQuartier Wien und lehrt als Assistenzprofessorin im Bereich Bildende Kunst an der Kunstuniversität Linz, jeweils mit dem Schwerpunkt Fotografie.

DIMITRIOS MAVROUDIS: Ausstellungseröffnung und Katalogpräsentation
DAS WIR IM ICH. Bauernkrieg und Bilderkosmos

© Andrea Groisböck

Evelyn Kreinecker
lebt und arbeitet als freischaffende Künstlerin in Prambachkirchen. Schwerpunkt ihrer Arbeit ist Malerei, Zeichnung und Animationsfilm. Der Mensch steht im Zentrum ihrer künstlerischen Auseinandersetzung, die sie als „Untersuchung der Wirklichkeit“ und den Versuch etwas Wahrhaftiges dabei herauszufinden beschreibt.

Ausstellungseröffnung SIE
Grand Opening Birgit Schweiger „Ästhetik des Plastiks“

Ayan Rezaei
ist Architektin und freischaffende Künstlerin. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich konzeptuell mit der Phänomenologie von Körper und Raum, realisiert künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum der Stadt und bezieht sich mit Performances auf aktuelle politische Themen. Derzeit arbeitet sie mit FIFTITU% – Vernetzungsstelle für Frauen* in Kunst und Kultur in OÖ.

Re-Accct
KDW: Kongress der Wissenden

© Rita Krenn

Irene Wögerer ist freie Kunsthistorikerin am Lentos Kunstmuseum Linz und Klimaschützerin beim Klimabündnis Oberösterreich

Ausstellung: Herbert & Joella Bayer.
Herbert Bayer Symposium
SAATs so GUT

Tipps von Die Referentin

 

 

Am Hollaberer-Anwesen entsteht ein Kimaschutzgarten
„Wir betreten ursprünglichen Auboden“
Schwemmland Klima-Radtour
Linz ISFF 2022
Buchpräsentation Mieze Medusa „Was über Frauen geredet wird“
Buchpräsentation Norbert Gstrein „Vier Tage, drei Nächte. Roman“
Christine Abdelnour & Christof Kurzmann

Editorial

Im Schlepptau der globalen Pandemie und mitten im Krieg muss wohl nichts gesagt werden, um den Leser davon zu überzeugen, dass wir in einer Ära leben, in der die Auswirkungen der vernetzten Technologien mehr und mehr in die öffentlichen und privaten Räume unserer Gesellschaften vordringen.

Der Schriftsteller und Künstler James Bridle vertritt die Ansicht, dass die viel gepriesenen vernetzten Infrastrukturen – in Kombination mit den grassierenden destabilisierenden Auswirkungen des Klimawandels und der nur scheinbar unlogischen Dynamik der globalisierten geopolitischen Spannungen – vor allem die Erosion unserer Fähigkeit, die Welt um uns herum zu verstehen, verursachen, anstatt zu ihrer Verbesserung beizutragen.

Bridle zufolge sind die Folgen der weit verbreiteten Übernahme von Technologien de facto mitverantwortlich für die Entstehung von Merkmalen, die denen eines neuen dunklen Zeitalters ähneln, in dem die Komplexität und die Gleichzeitigkeit der unmittelbaren, weltumspannenden Rechenmaschinen uns in Verschwörungen oder kollektive, kognitive Fehleinschätzungen treiben. Im Kern handelt es sich dabei um eine sich selbst verstärkende Schleife: Wir sind verloren in der Art und Weise, wie jeder von uns mit der uns umgebenden Welt in Beziehung steht, und versuchen dennoch, uns an dieselben Quellen des Unverständnisses zu wenden, um Ordnung zu schaffen, was eine Rückkopplungsschleife von unangepassten Lesarten erzeugt.

Die Auswirkungen des Klimawandels sind Warnzeichen für ein umweltschädigendes Verhalten; psychologische und soziale Störungen, wirtschaftliche Ungleichgewichte, der Verlust eines Realitätssystems oder die kraftvolle Wiederkehr der Geschichte in einem zu lange ignorierten Kriegsbildungsprozess: all dies kann als Zeichen des Endes der Epoche gelesen werden, die gemeinhin als westliche Moderne bekannt ist, die vielleicht naiverweise für ewig gehalten wurde und die sich nun definitiv in einem Moment der Krise und des Wertewandels befindet, wenn nicht sogar mehr.

Was ist jetzt zu tun? Auch wenn wir uns nicht unbedingt dem Ende unserer Epoche nähern, wie der Philosoph Federico Campagna in Technik und Magie anklingen lässt, scheint es dennoch dringend geboten, darüber nachzudenken, welche Werte wir für die Zukunft bewahren und welche wir aufgeben sollten.

Angesichts der Tatsache, dass unser Zeitalter so sehr von fehlerhaften technologischen Prozessen geprägt ist, fragen wir uns, ob Problemlösungspraktiken aus demselben technologischen Raum kommen können, der diese Probleme eigentlich verursacht. Jedenfalls sollte es um die Frage gehen, wie Konzepte der Fehlersuche dabei helfen könnten, und welche Strategien im Szenario des ständigen Notstands und der allgemeinen Unsicherheit vorstellbar sind.

Oder anders gefragt: Wenn die Realität von der Technik geformt wird, können wir sie dann DEBUGGEN?

Geschätzte Leser:innenschaft, dieser Text oben stammt ausnahmsweise nicht aus der Originalfeder der beiden Referentin-Herausgeberinnen, sondern stellt einen ins Deutsche übersetzte Passage aus einem der drei englischen Texte im Heft dar. Diese wurden ebenso ausnahmsweise in dieser Referentin in Originalsprache belassen und berichten über AMRO, dem servus.at-Festival Art Meets Radical Openness. Das internationale Open-Source-, Netzkultur- und Kunstfestival steht heuer unter dem Motto debug, und wird im Juni an mehreren Orten in Linz abgehalten. Die Passage oben ist der Anfang von Davide Bevilaquas kuratorischem Statement und betrachtet den weiteren Kontext vom Bug als Fehler, und einem Debug als Fehlervermeidung im Programm.

Soll an dieser Stelle heißen: Unbedingte Leseempfehlung der Redaktion, Übersetzungsprogramm-Hinweis auf deepl.com (geht mit dem Text in der Online-Ausgabe der Referentin) – und finally: zu AMRO debug hingehen um zu sehen und hören, was Sache ist.

Wir empfehlen selbstverständlich die fehlerfreien anderen Texte unserer großartigen Autor:innen in der Referentin 28.

Bitte selbst durch die Ausgabe krabbeln.

Bugged and debugged,

die Referentinnen Tanja Brandmayr und Olivia Schütz