„Wittgenstein wandelt wehmütig widriger Winde wegen Wienwärts“
Notes on „Goodbye Wittgenstein“: Über das zurzeit im Salzamt ausgestellte qujOchÖ-Projekt, über eine Kooperation zwischen Linz und Birmingham, sowie über die Verbindung von Liebe und Logik schreibt Robert Stähr.
4. November abends, quitch//: Linz
Ein Mann, eine Frau, zwei weitere Männer, alle jüngeren bis mittleren Alters, nehmen nacheinander am Tisch Platz. Thomas Philipp und Verena Henetmayr, Proponenten des KünstlerInnenkollektivs qujOchÖ, sprechen mit ihren Gästen aus der britischen Stadt Birmingham über deren Selbstverständnis als KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen, ihre Arbeit in Birmingham und die im Rahmen ihres Aufenthalts in Linz geplanten Projekte. Emily Warner, Pete Ashton, Mike Johnston und Trevor Pitt sind im Rahmen eines kulturellen Austauschprogramms zwischen A3 Project Space (Birmingham) und qujOchÖ (Linz) nach Linz gekommen, um unter dem Titel Goodbye Wittgenstein vor Ort künstlerische Projekte zu realisieren, deren Ergebnisse ab 24. November in einer Ausstellung der „kristallin“-Reihe im Salzamt gezeigt bzw. dokumentiert werden.
Der Philosoph Ludwig Wittgenstein und seine „romantische Liebesbeziehung“ (Website qujOchÖ) zu einem Studienkollegen namens David Hume Pinsent (einem Nachkommen des britischen Philosophen David Hume) bilden das Missing Link des Austauschs zwischen beiden Städten.
http//:qujochö.org
Bereits im vergangenen Sommer realisierten Verena Henetmayr, Thomas Philipp und Andre Zogholy in Birmingham, wo Ludwig Wittgenstein 1913 einen großen Teil seiner Notes on Logic verfasste, welche als Vorläufer des Tractatus Logico-Philosophicus gelten, darauf Bezug nehmende Arbeiten, die – dem Konzept von qujOchÖ entsprechend („qujOchÖ verwendet Alles und Nichts, zeigt, installiert, interveniert, lärmt, baut, diskutiert und verbindet“) – in einem hybriden Feld zwischen Soundart, Performance, Medienkunst und Installation angesiedelt waren. Das Bespielen des öffentlichen Raums, welches für das Kollektiv – einen losen Verbund von AktivistInnen aus unterschiedlichen künstlerischen und wissenschaftlichen Disziplinen – ebenso wie ein gewisses Maß an Ironie und die Nähe zu popkulturellen sowie „trashigen“ Ausdrucksformen essentiell sein dürfte, bildete auch in Birmingham den Ansatz für ihre künstlerische Intervention in der britischen Großstadt. Die Bezugnahme auf Wittgensteins dortigen Aufenthalt und seine Beziehung zu David Hume Pinsent erfolgte im Wesentlichen auf einer symbolischen Ebene vornehmlich biographischer Verweise an entsprechenden Schauplätzen.
So bestand beispielsweise die Installation „LOGIC := LOVE“ aus zwei Papageien in Käfigen hinter der Mauer eines Grundstücks in der Lordswood Road 44, wo früher das Haus der Familie Pinsent stand, in dem Wittgenstein wiederholt zu Gast war. Auf einer alten Holzleiter konnten interessierte Passanten über diese Mauer steigen, um die beiden „Sprecher“ abwechselnd die Worte „Logic“ und „Love“ artikulieren zu sehen und zu hören. „Diese Arbeit bezieht sich auf den inneren Kampf von Wittgenstein und Pinsent und ihr Leben zwischen Vernunft und Emotion“ lautet das diesezügliche Statement im Projektbericht auf der Website von qujOchÖ.
„THE MEANING OF DICTATION“ thematisierte auf eine ganz konkrete Weise das Verhältnis von Phonetik und (Laut-)
Schrift: Vor dem ehemaligen Sitz der Berlitz School of Language, wo Wittgenstein 1913 die erwähnten Notes on Logic in deutscher Sprache diktierte, stand eine original Adler-Schreibmaschine aus dem Jahr 1911 auf einem alten Holztisch; (englischsprachige) PassantInnen wurden gebeten, nach Diktat der Notes das Gehörte niederzuschreiben und anschließend vorzulesen, was wiederum aufgezeichnet wurde.
Diese beiden sowie die restlichen vier Interventionen wurden in einer so bezeichneten „Pop-Up-Ausstellung“ im Rahmen eines eintägigen Kunstfestivals ein weiteres Mal in Birmingham realisiert.
23. November abends, Salzamt//: Linz
Knapp drei Wochen nach dem Info-Abend im quitch stehen Emily Warner, Trevor Pitt, Pete Ashton und Mike Johnston vor dem Vernissagenpublikum im Galerieraum des Salzamts an der Oberen Donaulände in Linz, wo der aus einer Wiener Industriellenfamilie stammende Philosoph zwischen 1903 und 1906 die „K.u.k.-Realschule“ besuchte, um die hier ausgestellten, im Laufe ihres Aufenthalts als Artists in Residence (weiter)entwickelten Projekte zu erläutern, welche sehr unterschiedliche Bezugnahmen auf Wittgenstein und Linz aufweisen.
Sowohl Pitt als auch Johnston stellen schriftliche Arbeitsmaterialien aus: Während Trevor Pitt eine Folge von Szenen seiner (bislang auditiv in Ansätzen realisierten) „21st Century Queer (P)opera David and Ludwig“ in einer Reihe von handzettelgroßen Blättern an eine Pinnwand geheftet hat, gewährt Mike Johnston anhand einer Fülle von mit Namen, Stichwörtern und Begriffen beschriebenen Zetteln und deren Anordnung (bzw. Verwerfung in Form von zerknüllten Zetteln) Einblick in seine „Schreibstube“, wo er am „Linz Chapter“ eines „ongoing written work inspired by Wittgenstein’s visits to Birmingham“ (Johnston) arbeitete. (Das Linz-Kapitel war auch Gegenstand einer den Abend beschließenden Lesung des Autors.)
Emily Warners Zugang zu Wittgenstein ist ein stärker physisch geprägter: Fokussierend auf Wittgensteins biographisch bezeugte Sehnsucht nach Isolation und Abgeschiedenheit („desire for isolation and seclusion“) entwickelte sie Objekte und unter Verwendung dieser Objekte performative Akte im öffentlichen Raum von Linz, deren Verlauf sie in einer Videoinstallation zeigt. Die beiden leicht enigmatisch anmutenden gelben Objekte in Form eines Quaders und einer Pyramide ergänzen die Ausstellung im Raum.
Pete Ashtons mehrteilige Arbeit „Wittgenstein wandelt wehmütig widriger Winde wegen Wienwärts“ ist die komplexeste der im Salzamt gezeigten Positionen. Sie fußt auf den verschiedenen Pfaden, die der Künstler – „Finding the direction of Vienna from the school“ – von der ehemaligen Schule Wittgensteins in der Steingasse in Richtung Donau einschlug. Ashton zeigt die gerahmte Übersetzung des zitierten Satzes in Englisch und verschiedene Zahlensysteme sowie mittels Algorithmen in einem Bild überlagerte 86 (!) entlang der Gehrouten aufgenommene Photographien. Mithilfe eines „neuralen Netzwerkes“ generierte Ashton zudem einen als Buchpublikation ausgestellten Text, der auf „Wittgenstein’s extant writings“ basiert.
Die dazugehörige Audioaufnahme korrespondiert mit dem in einem Nebenraum der Galerie nochmals ausgestellten „MEANING …“ von qujOchÖ. Direkt gegenüber können die BesucherInnen auf eine Leiter steigen und hinter einer Wand auf zwei Screens die beiden Papageien in ihren Käfigen krächzen hören. Kann denn LOGIK LIEBE sein?
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Institution Salzamt budgetären Einsparungen nicht zum Opfer fallen darf.
Die Ausstellung „Goodbye Wittgenstein“ ist noch bis 9. Dezember im Atelierhaus Salzamt zu sehen.
Mehr Infos zu qujOchÖ: qujochoe.org
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