Performance aka Hallo du
In der Kunst und vielleicht in der Performancekunst im Speziellen liegt die Möglichkeit zur Begegnung zwischen Menschen begraben. Diese Möglichkeit ernst zu nehmen, haben einige sich zum Ziel gemacht: Über die Fabrikanten, Live Art und chinesische PerformerInnen schreibt Theresa Gindlstrasser.
Kunst der Begegnung, das ist ein von Boris Nieslony initiiertes und kuratiertes Format, eine Art east-west-study-project, eine Art nomadisches Artist in Residence Programm. Seit 2005 werden jedes zweite Jahr Begegnungen zwischen künstlerischen Positionen aus Asien und dem deutschsprachigen Raum organisiert. 2013 beispielsweise reisten Performancekunstschaffende von den Philippinen nach Deutschland, Österreich und die Schweiz und machten in Linz halt für das von den Fabrikanten mitorganisierte Live Art Festival Die Kunst der Begegnung. Dort dann trafen diese Positionen mit jenen der mit-eingeladenen Performancekunstschaffenden aus Österreich aufeinander. Im Rahmen einer offenen Laborsituation haben insgesamt etwa 20 Personen vor Publikum in der Tabakfabrik versucht, einander mit dem jeweils eigenen Performance-Werkzeug zu begegnen.
Dieses Jahr wurden acht Kunstschaffende aus China eingeladen für folgende Tour: Wien, Linz, Basel, Burgbrohl in Rheinland-Pfalz, Essen, Köln, Bonn und Liège in Belgien. Die beteiligten Initiativen und Kulturvereine teilen sich die Kosten und kümmern sich gemeinsam um eine Reisebegleitung. In Linz kooperieren die Fabrikanten mit dem Kulturverein FAMA, mit dem Performancelaboratorium und dem bb15 offspace, wo am 18. September ein Showing stattfinden wird. Stand bei den vorangegangenen Veranstaltungen immer der Prozess und das gemeinsame Performen im Vordergrund, ist bei diesem Showing die klassische Einzelperformance vorgesehen, der prozesshafte Kontakt soll anderweitig stattfinden. Nämlich durch private Unterbringung von Feng Weidong, He Chengyao, Li Xiaomu, Qiao Shengxu, Wang Chuyu, Xiang Xishi, Zhou Bin und Chen Jin bei Menschen in Linz und durch ein abschließendes groß angelegtes Reflexionsgespräch nach dem Performance-Showing.
Nur einer aus der Gruppe der chinesischen Kunstschaffenden spricht Englisch, so nennt denn auch Wolfgang Preisinger von den Fabrikanten als eines der erklärten Ziele der Veranstaltung: dass „abseits der verbalen Sprache und des Nicht-Verstehen-Könnens eine Verständigungsebene berührt wird, die jenseits dieser liegt“. Das ist es auch, was Boris Nieslony anspricht, wenn er die Kunst der Begegnung als den Versuch des Berührens des Unberührbaren charakterisiert. Das Unberührbare, das Nieslony hier meint, lässt sich vielleicht mit dem Begriff der Undarstellbarkeit greifen. Die Gemeinschaft, also das Zusammensein der Menschen, ist wohl in der Art undarstellbar, als es, sobald ein solcher Versuch unternommen wird, zu einem monströsen Überbegriff wie Volk oder Staat mutiert. Das Unberührbare oder Undarstellbare der Gemeinschaft zeigt sich in dem die Dinge gemeinsam in Erscheinung treten. Diesen Gedanken weiterführend, beharrt Nieslony auf der Idee, dass Performance-Kunst stets zeigend und nicht beschreibend verfahren solle. Dann kann geschehen, was geschehen soll: „Performance als Bild gesellschaftsbildender Vorgänge und Handlungen.“
Insofern wäre Performance Kunst stets auch in Verbindung zu bringen mit dem Begriff der Gabe. Und genau als eine solche Gabe soll die Begegnung zwischen den jeweils eingeladenen Kunstschaffenden und den Organisierenden in Europa und dem an den Veranstaltungen teilnehmenden Publikum im Rahmen des Projekts Kunst der Begegnung auch funktionieren: als großzügige beiderseitige Gabe. Diese Absage an hierarchisierende Pädagogikkonzepte im Umgang mit Kunst prägt die Arbeit von Boris Nieslony und den Fabrikanten gleichermaßen. 1989 fand die erste Begegnung statt, seither herrscht reger Austausch zwischen Linz und Köln, wo Nieslony lebt und verschiedene Kunstinitiativen vorantreibt. Der 1945 in Deutschland geborene Künstler arbeitete zunächst mit Aktionen im öffentlichen Raum. 1985 war er Mitbegründer der Performancegruppe Black Market International. 1986 wurde die Art Service Association für Performancekunstschaffende und Theoriebildende, kurz ASA, gegründet. In verschiedenen Workshops und auch Lehrveranstaltungen an der Universität Linz versucht Nieslony, die Teilnehmenden für das, was schon da ist, zu sensibilisieren. Neben RedSapata und dem Verein FAMA stellen also Nieslony, die Fabrikanten und auch das Performancelaboratorium, dessen Initiatorin Elisa Andessner stark von Nieslonys Arbeitsweise beeinflusst wurde, ein starkes Netzwerk für Performance-Kunst im Sinne der Live Art für Linz dar.
Wolfgang Preisinger argumentiert für die Notwendigkeit eines solchen Netzwerks: „In Linz ist Live Art, zu der auch Performance Art gehört, total unterrepräsentiert. In ihr spiegeln sich für mich die vitalsten und überraschendsten kulturellen Neuerungen. Als Reaktion und Evolution unserer mediengetriebenen Wirklichkeitswahrnehmungen konfrontieren uns diese Kunstformen mit sehr unmittelbaren – oder wie beim aktuellen Projekt HOTEL OBSCURA – mit sehr intimen Begegnungen. Und eine globalisierte Welt braucht auch auf künstlerischer Ebene einen intensiven Austausch, damit nicht alles rein den Gesetzen der Ökonomie, der Effizienz, des Krieges oder der reinen Vernunft gehorcht.“
Der Begriff der Live Art, so wie er von den Fabrikanten verstanden werden will, kennzeichnet eine Art von Performance-Kunst, die vor allem ein Setting für das Publikum organisiert. Innerhalb dieses Settings soll spontan auf die Gegebenheiten reagiert werden, dergestalt ist das, was dann Performance genannt werden kann, eigentlich ein Ergebnis dessen, was sich zwischen Publikum und Performenden ereignet, oder um in der oben angeschnittenen Terminologie zu bleiben, was dort gemeinsam in Erscheinung tritt. Kunst der Begegnung, der Name soll eben Programm sein. Weil nicht nur geht es in diesem Projekt um eine Begegnung zwischen Kunstschaffenden aus China und solchen aus Europa. Vor allem geht es um eine spezifische Form der Kunstproduktion bzw. Kunsterfahrung. Dass nämlich Kunst nicht für einsame Konsumierende gemacht wird, sondern es zu einem gemeinsamen Erleben kommt.
Ganz in diesem Zeichen steht auch ein anderes aktuelles Projekt der Fabrikanten, das oben schon erwähnte Hotel Obscura. Da kooperieren seit zwei Jahren Kunst- und Kulturinitiativen aus Deutschland, Australien, Frankreich und Griechenland gemeinsam mit den Fabrikanten und organisieren an allen diesen Orten diverse Veranstaltungen. Nämlich Workshops, wie beispielsweise in Linz Ende Januar 2015, und Vorträge und Live Art Events. Nächster Programmpunkt dieses zeit- und raumgreifenden, durch Mitteln der EU geförderten Projektes ist Hotel Obscura Austria im magdas Hotel in Wien am 9. und 10. Oktober. Für 15 Minuten können kleine one-to-one Sequenzen in den Hotelräumen besucht werden. Sprich, immer eine Person aus dem Publikum trifft auf eine Situation, in der gemeinsam eine flüchtige, doch intime Begegnung geteilt werden kann.
Sowie Speed Dating, nur anders. Oder eigentlich ganz anders. Weil der Masterplan hinter diesen Projekten sieht natürlich schon vor, die beteiligten Menschen durch die Kunst, also durch die Begegnung, also durch die Kunst der Begegnung aneinander transformieren zu lassen. Also Speed Dating mit Ausblick auf dauerhafte Romanze. Im gesicherten Kunstkontext lassen sich Möglichkeiten des Miteinander ausprobieren, die im bestmöglichen Falle auch den Umgang mit der Welt da draußen und den Menschen in dieser Welt verändern. Wenn wir uns nämlich in Situationen wie dem Hotel Obscura so verhalten Als-ob-wie-wenn, wir also auf eine Art und Weise spielen und es immer auch eine andere Möglichkeit der Reaktion geben könnte, dann zeigt sich dort, dass der Modus des Als-ob-wie-wenn eine grundlegende Kategorie überhaupt sein kann. Und ein Als-ob-wie-wenn reißt scheinbar unausweichliche unabdingbare Konventionen der Kommunikation auf, stellt diese in Frage und andere Möglichkeiten in Aussicht. Das Problem am Speed Dating mit Ausblick auf eine dauerhafte Romanze ist natürlich immer der unsichere Boden, auf dem wir uns da bewegen. Wenn das schlecht organisiert ist, dann schmeckt er nach Manipulation und Pädagogik und dann wird das mit dem Verlieben nix. Genau in diesem vibrierenden Dazwischen von Zufälligkeit und Planhaftigkeit versuchen die hier vorgestellten Projekte zu agieren und laden zum selber Ausprobieren ein.
Die Kunst der Begegnung – PerformancekünstlerInnen aus China, bb15 offspace,
18. September, 19.00 h
Hotel OBSCURA AUSTRIA, magdas Hotel in Wien, Freitag, 9. Oktober, 18.00–23.00 h
und Samstag, 10. Oktober, 15.00–23.00 h
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!