Memphis in Linz

Was uns die Existenz des Kunstraums Memphis über die Bedingungen dauerhaften, künstlerischen Schaffens in Linz verrät. Ein Portrait über die Geschichte des Projekts und die beiden Künstler Jakob Dietrich und Kai Maier-Rothe, die an der Unteren Donaulände den Offspace betreiben.

Mamphis in Linz. Foto Die Referentin

Mamphis in Linz. Foto Die Referentin

Vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit

2009 machte sich eine Gruppe von Kunst­uniabsolventInnen unter maßgeblicher Mitarbeit von Jakob Dietrich auf die Suche nach Leerständen. Ursprünglich entstand die Initiative, die sich den Namen „Nomadenetappe“ gab, aus einem konkreten Bedarf an Arbeitsplätzen und Ateliers, woraus sich bei der Suche nach Räumlichkeiten die Vorgabe einer mindestens zweijährigen Nutzung ableitete. Das Kernteam bestand dabei zeitweise aus bis zu zwölf Personen und durch die zahlreichen Aktivitäten waren in Folge eine Vielzahl weiterer lokaler wie internationaler AkteurInnen daran beteiligt. Die ehemalige KFZ-Werkstätte Niesslmüller zwischen Dametz- und Marienstraße diente alsbald zwei Jahre lang als erster Ort der künstlerischen Bespielung im (halb)öffentlichen Raum. Der Innenhof mit angrenzenden Garagenräumen schuf gleichzeitig einen charmanten sozialen Treffpunkt. Mit dem Anspruch ein „Little Berlin“ zu schaffen setzte man zumindest zwischenzeitlich den Gentrifizierungsaktivitäten in diesem Viertel ein lebendiges und weithin sicht- bzw. hörbares Kunstschaffen entgegen. Nachdem das Gebäude einem Wohn- und Geschäftskomplex weichen musste, übersiedelte man zunächst in die vergleichsweise kleinen Räumlichkeiten in der Unteren Donaulände. Für die nächste Etappe schielte man auf die ehemalige Tabakfabrik. Noch bevor sie zum Creative-Industry-Standort umgebaut wurde, beteiligte man sich aktiv an den Diskussionen zur Revitalisierung und den Möglichkeiten einer künstlerischen Nutzung. Letztlich ist die Stadt der Gruppe nicht entgegengekommen und hat damit eine weitere Chance, künstlerisches Schaffen in Linz zu erleichtern und Leute hier zu halten, vergeben. Daneben war bei vielen der Beteiligten der akute Bedarf an Arbeitsräumen von größerer Notwendigkeit, als die Ressourcen in die weitere Suche und dauerhafte Bespielung von Leerständen zu investieren. Auch aus diesem Grund verließ ein Teil der Gruppe sukzessive Linz, was schließlich zu ihrer Auflösung führte. Dietrich und Maier-Rothe ließen nicht ab und haben sich im Anschluss mit der Gründung von Memphis institutionalisiert.

Niederlassung Memphis

Seither macht sich im Linzer Kunstleben die Initiative mit vielfältigen künstlerischen Formaten bemerkbar. Inspiriert ist der Name vom Off-Space „Beirut“ in Kairo, den Maier-Rothes Bruder dort vor einigen Jahren eröffnete. Die Idee, dem Raum den Namen einer anderen, in hiesigen Gefilden weitgehend unbekannten, Stadt zu geben, der mehr- bzw. uneindeutig belegt ist und sich bewusst einer Definition entzieht, erschien den beiden Künstlern reizvoll. So wollte man sich bewusst als Freiraum und offene Infrastruktur gegenüber bestehenden Galerieansätzen abgrenzen. Man streicht damit aber überdies den internationalen Charakter des Projekts hervor, denn internationale Kooperationen und multilateraler künstlerischer Austausch sind selbstverständlicher Bestandteil der kuratorischen Praxis. Das Jahresprogramm gliedert sich in mehrere Schienen und wird in Form von Duo- und Gruppenausstellungen, Konzertreihen, Performances und Diskussionsveranstaltungen über die Bühne gebracht. Kuratorisch setzt man sich dabei keine Schranken: Einen thematischen oder formalen roten Faden gibt es nicht. Eingeladen wird, wer interessant erscheint. Wesentliche Stoßrichtung ist jedoch der Fokus auf Transdisziplinarität, die Ermöglichung von Experimenten und die Anknüpfung an künstlerisch-wissenschaftliche bzw. kunsttheoretische Forschungsfelder. Die Ausstellungsreihe „Parallaxe“ versammelt jeweils zwei künstlerische Positionen – eine lokale und eine internationale – zu einem Thema. Dabei finden die Beteiligten auf unterschiedliche Weise zusammen: KünstlerInnen werden entweder bewusst zur Zusammenarbeit aufgefordert oder man lässt die zweite Person von der angefragten selbst aussuchen. Mitunter stellt man auch zwei bestehende Arbeiten bewusst gegenüber. Auf diese Weise bringt die Projektreihe nicht nur Außenpositionen nach Linz, sondern leistet damit auch internationale Vernetzungsarbeit. Ein direkter Dialog mit dem Publikum wird bei den Eröffnungen möglich. In regelmäßigen Konzertreihen (momentan unter dem Titel „OFFNOFF“) loten KlangkünstlerInnen und MusikerInnen die Grenzen der Kunstform aus, oft als Teil ihrer eigenen künstlerisch-wissenschaftlichen Forschung. Über den „Galeriealltag“ hinaus entwickeln Dietrich und Maier-Rothe überdies gemeinsam Projekte, meist in Zusammenarbeit mit internationalen Offspaces oder etablierten Einrichtungen, wie etwa dem Museum für zeitgenössische Kunst Marco in Vigo/Galizien. Jüngst veranstaltete man während der Athen Biennale die performative Stadtrundfahrt „Klassenfahrt Athen“ gemeinsam mit zwölf beteiligten Personen, darunter auch eine Dramaturgin und eine Ethnologin.

Kunstschaffen zu zweit

Auch wenn Maier-Rothe erst nach dem Ende der Nomadenetappe in die Gründung von Memphis einstieg, verbindet Dietrich und ihn eine langjährige künstlerische Zusammenarbeit, bei dem das Thema „Leerstand“ stets ein zentrales Thema war. Mit gemeinsamen Soundarbeiten wurden Räume oder ganze Gebäude „vertont“. Im Mittelpunkt standen dabei sowohl die Eigenakustik dieser Räume als auch ihre Verortung in der Stadt. Die akustischen Interventionen in diesen „Nicht-Orten“ führten so zur Umdeutung und Neudefinition ihrer ehemaligen Funktion und Denotation. Die Wahl der leerstehenden Räumlichkeiten orientierte sich dabei an ihrer urbanen Entortung: Es sollten vor allem jene Räume zum „Sprechen“ gebracht werden, die sich dem umgebenden städtischen Kontext entziehen oder ihm entzogen wurden. Das reichte von der Bespielung von Industrieanlagen bis hin zu historisch aufgeladenen Bauten. Dokumentarisch materialisiert wurden die Soundproduktionen wiederum in Form von Vinyl­editionen. Auf Grundlage dieser temporären Interventionen entwickelten die beiden ein künstlerisches Format, das sie während zahlreicher Auslandsaufenthalte auf die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten und Architekturen adaptierten, so etwa in China, Indonesien oder aber auch in den vormals geschlossenen Tabakwerken in Linz. Dabei verstehen die beiden ihre Eingriffe ebenso als Teil einer explorativen künstlerischen Praxis, mit der sie fremde Städte und Stadtgefüge für sich (neu) entdecken. Auch das gemeinsame Diplom an der Kunstuniversität Linz hatte den akustischen Raum der Stadt zum Thema: Die Soundinstallation „Reflector“ verstärkte Umgebungsgeräusche im Innenraum und richtete sie mittels einer verspiegelten Glasfläche, die als Membran fungierte, wieder nach außen. Wenngleich Dietrich und Maier-Rothe ein langes, gemeinsames künstlerisches Schaffen verbindet, trennen sie ihre Solo- bzw. Duoarbeiten strikt vom Betrieb des Memphis, in dem sie sich selbst mehr in einer kuratorisch-organisatorischen Rolle sehen.

Produktionsbedingungen

Trotz Jahresförderungen von Stadt, Land und Bund bleibt die Arbeit prekär. Erst die Bundessubvention ermöglichte überhaupt den regulären Betrieb des Art Spaces, während die Förderungen von Stadt und Land seit Jahren auf niedrigem Niveau stagnieren. Das Programm kann daher meist nicht in der geplanten Quantität umgesetzt werden. Auch die starke Konzentration auf künstlerisches Schaffen in Wien macht es selbst in den „eigenen Reihen“ schwierig, Öffentlichkeiten für das eigene Programm vor Ort zu schaffen. Wichtige MultiplikatorInnen, wie etwa Kunstuni-Lehrpersonal, leben vielfach selbst in Wien und haben daher oft lokale künstlerische Aktivitäten nicht in jenem Maße im Blickfeld, das man sich wünschen würde. In Summe schrumpft der Freiraum für eigene künstlerische Betätigung daher zusehends, was sich nicht zuletzt an den Förderungen der freien Szene durch die Stadt Linz ablesen lässt, wo heute derselbe Betrag wie 2001 ausgeschüttet wird, was einer faktischen Kürzung von über 30% entspricht. Ein Symptom, das sich durch eine älter werdende Künstlergeneration zieht: Nach zwanzig Jahren prekärer Arbeit von Projekt zu Projekt sind viele freie Kunstschaffende erschöpft. Wenn neben Administration, Programmentwicklung und Infrastrukturbetrieb noch Familie und gar selbständiges künstlerisches Schaffen möglich sein soll, wird das immer schwieriger. So ist die Institutionalisierung durch Memphis letztlich auch der (notwendige) Versuch, im künstlerisch-experimentellen Feld dauerhaft arbeiten zu können und dabei auch ein Auskommen zu finden. Es ist daher wenig überraschend, dass das Verhältnis zu Linz ambivalent ist: Während Maier-Rothe seinen Lebensmittelpunkt ohnehin außerhalb hat, ist Dietrich vor allem wegen seiner Familie hiergeblieben. Ob sich also aus dem Offspace langfristig mehr entwickelt, ist wohl wesentlich von den weiteren Bedingungen in der Stadt abhängig. Pläne zur Expansion gibt es: Stünden mehr Mittel zur Verfügung, würde in bessere und größere Räume investiert, sodass neben einem vergrößerten Ausstellungsbetrieb auch Art Residencies finanziert und durchgeführt werden können. Aktuell beschäftigt man sich im Rahmen des Researchprojekts „Essay as a state of mind“ mit dem Essay als Methode künstlerischer Forschung. Stellt, wie oft behauptet, künstlerische Forschung in der Bildenden Kunst ein Pendant zum literarischen Essay dar? Diese und ähnliche Fragen werden in Zusammenarbeit mit dem Kulturwissenschafter Leander Gussman behandelt und die Ergebnisse in Form von Ausstellungen, Diskussionsveranstaltungen, Filmvorführungen und einer abschließenden Publikation im Laufe des nächsten Jahres präsentiert. Kooperiert wird dabei mit verschiedenen Institutionen in Linz und Wien. Man darf gespannt sein.

 

MEMPHIS, Untere Donaulände 12, 4020 Linz Öffnungszeiten: Mo/Di/Do/Fr 13.00–18.00 h

www.memphismemph.is

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