Vad gör du?

Stadtwerkstatt-Nachtprogramm beim Stream-Festival: Klara Lewis lädt zu Experimenten ein, um einem größeren Publikum etwas vor Ohren zu setzen, das es sonst wohl so nicht hören würde. Christian Wellmann kompiliert einen assoziationsreichen Text zu Sound und Facts – und setzt der LeserInnenschaft zu Beginn ein paar von ihm in die Tastatur geklopfte Zeichen vor, um mit dem Titel gefragt ins Jetzt zu weisen: Was machst du?

Klara Lewis im Field. Foto Hampus Högberg

Klara Lewis im Field. Foto Hampus Högberg

Ja, was machst du? Jetzt? Du fixierst wohl gerade ==-== —> das hier. Ich, hier, lausche jetzt Vad gör du* von Klara Lewis. Funktioniert natürlich proper als Soundtrack zum Schreiben, sicher auch als Ausgangspunkt (Go-To-YouTube) zum weiteren Lesen der hier versammelten Wortanhäufung, als Sauce zu einem trockenen Gewirr an sub-objektiver Musikbeschreibung. Lewis bedient sich oft des Field Recordings, Grund genug, diesen Porträtversuch ebenso zu gestalten. Raus ins Feld. Getreidehalme zucken im Beat des Windes, ein riesiges, fließendes Gemälde entsteht, Bio-Visuals, das Meer des Binnenländers. Feldtext, aus gefundenem und erfundenem Feldgeschreibsel, im Ährenfeld zusammengestöpselt, schwer editiert und durch den Abc-Kompressor gejagt, unterteilt in sechs Titel:

1. Hard-Fakt-Abteilung**:
Die experimentelle elektronische Musikproduzentin und Videofilmerin Klara Lewis lebt in Schweden. Konzertiert seit 2014 rund um den Globus: Sonar, BBC-Live, Australien, Mexiko, Donaufestival, Berghain … Veröffentlichungen u. a. beim kultigen Wiener Label von Welt, Editions Mego (Ett, 2014. Too, 2016). Zusammenarbeit mit Simon Fisher Turner (Memo: Checkt seine Soundtracks! – The Epic of Everest!!). Videoprojektion zu ihren Liveacts. Tochter des Wire-Bassisten Graham Lewis, einer der wohl genialsten Punkbands überhaupt, weil gegen den Strich, zeitlos.

2. Sound-Tags – S#s:
Noise. Ambient. Diskrete Musik (stets mit einer Patina Dreck gezuckert). Field Recordings. Audio Visuell. Schicht über Schicht. Sound-Collagen (oder -Skulpturen). Kontrolliertes Improvisieren. Zeitgenössische elektronische Musik. Filmische Landschaften. Spärlich funkelnd. Persönlich. Reich texturiert. Fragile Instabilität. Gewohntes Irreales. Oder an Kategorisierungen abprallende Musik.

3. Was sind „Field Recordings“?
Analogie zu Feldstudien. Field Recordings werden Aufnahmen genannt, die außerhalb des Studios angefertigt werden, entweder in Kompositionen eingearbeitet oder für sich stehen. Alltagsgeräusche oder neue Gefilde. Durch leistbare digitale Recorder äußerst populär geworden, lassen sie sich nicht nur in experimentellen Genres finden. Auch ein Brian Wilson hielt bereits das Mikro in die Natur, auch als Mittel, Kindheit und Erinnerungen einzufangen. Stadt, Land, egal, alles geht. Nach dem Sound suchen, den man im Kopf/vor Augen hat. Zufälle zulassen. Weg vom Laptop, gut auch mal an die frische Luft zu kommen … Versteckte Schätze finden, daraus Rhythmen und Melodien machen, Tracks danach aufbauen. Mit einem Strauß voll Sounds nach Hause kommen (natürlich dürfen auch Kräuter, Pilze o. ä. dabei sein). Fund-Sounds mit individuellem Fingerabdruck.

4. Interview-Fragmente, digitale Field Recs:
„Ich verhalte mich Sounds wie Visuals in gleicher Weise gegenüber, und versuche immer meine Augen und Ohren offen zu halten.“
„Ich sammle Tonnen an Material und wenn ich an einem Track arbeite, gehe ich durch meine Bibliothek und zerschnipsle und manipuliere die Aufnahmen. Ich plane nie, welche Art von Track ich mache, es geht mir vorrangig darum, Sounds zu folgen, wohin sie mich führen, und um all diese kleinen Stücke baue ich eine Welt. Ich höre etwas in einem Sound, der mich etwas fühlen lässt, diese Emotion versuche ich zu erfassen. Mein Ziel ist es, etwas zu erschaffen, das sich eindringlich anfühlt oder wie in einem anderen Zustand oder Ort.“
„Aus einer sehr kreativen Familie zu kommen, hat mich sehr offen für diese Art von Musik werden lassen. Ich bin mit der Sichtweise aufgewachsen, dass das etwas Natürliches ist, wo ich also daran teilnehmen kann. Von früh an lernte ich, wie ich über Musik kommuniziere und meinem eigenen Urteilsvermögen vertraue.“

5. Sub-Objektive Musikwahrnehmungen:
Organische Sound-Wolken. Sandstürme aus den Wüsten des Orients. Neo-Klassischer Ambient in unerwarteten Pfaden. Rückwärts laufende Loops wehen mit nebulösen Hallfahnen durch futuristische Welten (die auch hier, wie in aller „ernsthaften“ Musik, „eigene Welten“ sind, das „Innere“ meinen und wohl „futuristisch“ für die meisten klingen). Vogelgezwitscher und aufheulende Amps. Flüssig anmutende, traumähnliche Sounds, als dumpfe Drones nahe dem Boden in der Dunkelheit herumschwirrend. Knotenpunkte für Stimmungen, Atmosphären und Räume. Ein organisches Ding, das aus sich selbst wächst, mit einer Menge verschiedener Schichten. Musik für Leute, die sich selber als „Sternenglotzer“ bezeichnen. Ästhetik im Gewöhnlichen finden, wie dem Summen eines Kühlschranks, einem kaum wahrnehmbaren Lachen. Die emotional unter Hochspannung stehenden Stücke offenbaren die Dualität ihres Ausdrucks, man fühlt Anspannung, Angst, Spaß, Melancholie, Zorn. Vollends gefordert, setzt gleichzeitig eine entspannende Wirkung ein. Doch Obacht, zu gemütlich sollte es man sich dann auch wieder nicht machen, man stellt sich ja auch nicht bei Blitzen unter Eichen … In Summe ergibt das Mehrdeutigkeit, wir reagieren und fühlen unterschiedlich. Das alles erfindet das Rad (elektronische Musik) sicher nicht neu, schmuggelt aber Frischblutkonserven in die Trinkflaschenbefestigung.

6. Postmodernes Samplegeschreibsel, anspielungsreich:
Auch mal wie My Bloody Valentine klingend, durch Effekt-Schleifen bis zum gefrorenem Feedback erstarrend. Boards of Canadas wehmütige „Erinnerungen als Sound“, verblasende (Musik-)Polaroids, zu lange an der Sonne liegen gelassen. Aber auch David-Lynch-Filme, wenn der Meister selber das Sounddesign übernimmt – insbesondere die neueste Twin Peaks-Staffel (2017), dem Epizentrum aller Serien. Die dunkle Energie vom schwarzen Monolithen aus „2001“ als Hal(l)-Soundbrocken, dessen Maß sich auszudehnen scheint, bis ihn ein gefallener Engelchor zerbirst. Eine süße Rache-Melodie, die der Graf von Monte Christo vor sich hin pfeifen würde …

Gegen den Strom – und das ist gut so.

 

* Was machst du? (Schwedisch) – Titel von Lewis’ Highschool-Abschlussarbeit (Soundtrack + Film)

** Interaktive Anspiel-Tipps zu jedem „Track“ (am besten auf YouTube: „Klara Lewis + …“): 1: Try / 2: Seascape / 3: Beaming / 4: Clearing / 5: Msuic 4 / 6: Us

Stream Festival
31. Mai – 2. Juni
www.stream-festival.at

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