Wasser, gewaschen?
Fruchtbare Fragen, gesellschaftliche Diskrepanzen oder die mehrdeutige Kunst, die zwischen Ästhetisierung und Realpolitik verrieben wird? Robert Stähr hat sich den diesjährigen Höhenrausch „Das andere Ufer“ angesehen. Und stellt einige Projekte in den größeren Kontext zu den Themen Wasser, Meer oder Ufer, die in Zeiten wie diesen ihre Unschuld verloren haben.
Zu Beginn des Rundwegs eine Barriere: Um den Ausstellungsparcours zu betreten, gilt es, eine Konstruktion aus Absperrbrettern von Ovidiu Anton zu überwinden, mit Hilfe welcher der rumänisch-österreichische Künstler laut Begleitheft gesellschaftliche Vereinbarungen in Frage stellt. Welche, verrät der in bestem Kunsterklärungslatein gehaltene Text nicht. Wie viele weitere ästhetische und didaktische Ansätze der diesjährigen Ausgabe der seit 2009 (fast) jährlich stattfindenden „Höhenrausch“-Ausstellung verbleiben Werk und „Beipacktext“ im Vagen und Ungefähren. Das mag beabsichtigt sein, um Raum für … eigene Gedanken und Vorstellungen der Besucher/innen zu schaffen; und der klassischen Funktion solcher Texte entsprechen, eine Spur zu legen und gleichzeitig für Betrachter/innen genug offen zu lassen. Aber es mag auch einer allgemeinen Ausweichbewegung geschuldet sein, die dem Trend folgt, Räume öffentlicher und damit politischer Debatte enger werden oder überhaupt verschwinden zu lassen.
Der Besucher/in bietet sich ein Rundgang durch verschiedene Räume von OK und Kulturquartier, über die Dachböden der Ursulinenkirche und den mittlerweile zum Stadtbild von Linz zählenden hölzernen Turm auf dem Dach des Offenen Kulturhauses bis zur Außenstelle Mariendom, den eine qualitative und künstlerisch große Bandbreite von Exponaten zum (gewollt oder ungewollt mehrdeutigen?) Thema „Das andere Ufer“ säumt: eine vordergründig schöne Ausstellung mit Erlebnischarakter über das Element Wasser, die dafür konzipiert ist, über den engen Kreis von Insidern hinaus Publikumsschichten anzusprechen, die sonst nur peripher mit zeitgenössischer Kunst in Berührung kommen. Das ist – so sei hier vorab betont – für eine Institution wie das „OÖ Kulturquartier“ ein berechtigtes und erwartbares Anliegen. Ich bin bei meinem Rundgang Familien begegnet, deren Kinder vor allem an begeh- und betastbare Arbeiten „andocken“ konnten und daran ihre Freude und Anregung hatten. Alexander Ponomarevs hölzern-monumentales „Flying Ship“, so etwas wie das Flaggschiff dieses „Höhenrauschs“, sowie die Soundinstallation mit Videoergänzung der deutschen Künstlerin Tamara Grcic, mit welcher sie die Fließbewegung eines Flusses in ein akustisches Zusammenspiel von Stimmen zu übersetzen (Begleitheft) sucht, seien in ihrer Unmittelbarkeit als positive Beispiele genannt. Der gemeinsame Nenner der überwiegenden Anzahl der gezeigten Positionen liegt aber vor allem in ihrer Mehrdeutigkeit, oft auch Unverbindlichkeit. Daran ändert auch die Gliederung der Ausstellung in verschiedene thematische Bereiche („Vom Nutzen des Wassers“, „Vom Schrecken des Wassers“, „Lebensraum Wasser“, …) nichts. Die symbolische Aufladung von Trivialitäten zu „Wasser“ und deren in den mitgelieferten „Erklärungen“ erfolgte didaktische Verbrämung soll die Besucher/innen vielleicht nicht überfordern; sie vielleicht sogar zum sicheren Hafen des Verstehens geleiten; ob das nicht eher eine Unterschätzung interessierter Menschen von Kurator/innenseite bedeutet, sei dahingestellt. Und ob nicht ein thematisch deutlicher benannter Bereich wichtig gewesen wäre, der den Umstand benennt, dass Meer und Wasser ihre Unschuld verloren haben, sei ebenfalls dahingestellt – das jedenfalls ist die Konnotation, die sich in diesen Tagen von selbst einstellt.
Insgesamt gibt es einiges zu problematisieren: den unfreiwilligen Zynismus, der dem Gesamttitel der Schau sowie einzelnen Bereichstiteln (s. o.!) angesichts von Meeren als nur unter Lebensgefahr überwindbarer Barrieren für Migrantinnen und Migranten innewohnt; die Ästhetisierung dieser Thematik im Rahmen einer Kunstausstellung; schließlich die offensichtliche Empathielosigkeit politischer Entscheidungsträger, welche genau dies nicht nur nicht stören dürfte, sondern die künstlerische Ausdrucksformen vor allem dann schätzen, wenn sie ihnen – diskursiv, performativ, aktionistisch – nicht in die Quere kommen.
Drei Arbeiten soll diese kritische Perspektive überprüfen: Die aus Japan stammende Künstlerin Chiharu Shiota, die mit eine „Vorläuferarbeit“ bei der vorletzten Biennale in Venedig vertreten war, bespielt unter dem Titel „Uncertain Journey“ den großen Saal des OK mit einer raumgreifenden Installation aus einem Geflecht roter Wollfäden, welches sie mit im Raum verteilten Metallbooten verbunden hat. Einerseits eine eindrucksvolle Arbeit. Andererseits: Jeder dieser Fäden kann als ein Aspekt des Lebenswegs eines Menschen verstanden werden. So trägt jedes der Metallboote eine Fülle von individuellen Personen, stets verflochten mit anderen. Jedoch hat diese „Reise ins Ungewisse“ kein Ende … (Text: Begleitheft) So what? Tappe ich in die Falle plumper Aktualitätsbezogenheit, wenn (sicher nicht nur) ich mich weigere, den sich aufdrängenden politischen Kontext auszublenden? Auch wenn Shiota universelle Begriffe wie Identität und Erinnerung, Tod und Leben, und die Existenz in Abwesenheit (!) (Text: Begleitheft) bearbeitet? Oder spricht die blutrote Farbe in der Arbeit Bände, und die Abwesenheit der eindeutigen Termini beschreibt vielmehr den gegenwärtigen Zustand gesellschaftlicher und politischer Ignoranz? Von der Dreikanal-Videoinstallation des Südafrikaners Mohau Modisakeng wiederum wird im Begleittext behauptet, sie sei eine Meditation über den Zerfall afrikanischer Identität durch die Sklaverei. Die mit Symbolik überfrachtete Arbeit pendelt zwischen verschiedenen metaphorischen Ebenen von Wasser (u. a.: Leben spendend und Tod bringend) (Text: Begleitheft). Hat der Künstler kein Problem damit, den aktuellen politischen Kontext durch stark stilisierte Bilder/Szenen zu evozieren und gleichzeitig ins verblasen Allgemeingültige aufzulösen? Der Titel verweist aber auch darauf, dass wir alle Passagiere auf Reisen sind und jede Reise einen Anfang und ein Ende hat. (Text: Begleitheft) Bleibt an dieser Stelle die Frage, ob dem Betrachter, der Betrachterin das Fertigschreiben der Kontexte selbst zugemutet werden kann.
Ärger, Amüsement oder beides in … fruchtbarer Ambivalenz? Das erzählerische Potential von Bildern zu erforschen (Begleitheft), stellt sicher nicht nur für die Australierin Tracey Moffatt eine kontinuierliche Aufgabe dar. Ob diese genuin literarische Aufgabe angesichts der konkreten Narration: Ein übervoll besetztes Flüchtlingsboot ist in Seenot geraten und droht zu kentern (Begleitheft) in ihrer Videoinstallation mit dem Titel „Vigil“ darin bestehen sollte, einschlägiges Bildmaterial mit Sequenzen aus Hollywoodfilmen zu kombinieren, die drei Schauspieler/innen mit vor Schreck geweiteten Augen durch ein Fenster starren lassen, und zwar – so die verbindende Erzählung – auf eben dieses mit Geflüchteten besetzte Boot (!), muss die Künstlerin vor sich selbst verantworten. Ob hier aufrüttelnder Zynismus, der „gesellschaftliche Spiegel“, beabsichtigte oder unbeabsichtigte Komik, gar eine Metaebene des Humors am Werk ist, vermag ich, eingestandenermaßen, nicht zu entscheiden. Große Skepsis halte ich für angebracht.
Pädagogisch-didaktische Attitüde, sich am „Allgemeingültigen“ orientierende Symbolik, metaphorische Aufgeladenheit; ein Ausstellungsparcours mit Erlebnischarakter; bloßes Streifen einer nicht ausblendbaren, hochpolitischen Thematik: All das charakterisiert diese von der Intention ihrer Gestalter/innen zwar irgendwie interessante, aber doch – nicht nur irgendwie – einen schalen Nachgeschmack hinterlassende „Höhenrausch“-Ausstellung. Wir leben in einer Zeit, in der mit dem künstlichen Hochschaukeln (auch so eine Metapher …) einer Bedrohungsproblematik durch flüchtende Menschen, die eine inhumane Abschottung vor deren „Ansturm“ rechtfertigen soll, politisch „große Scheine“ gewechselt werden. Fragen zum Verhältnis von Ästhetik, Erkenntnisgewinn und Politik können wahrscheinlich nie endgültig beantwortet, müssen eben deshalb immer aufs Neue gestellt werden. Sicherlich ist es gerade das breit angelegte, kulturellen Repräsentationszwecken folgende Ausstellungskonzept, dass das Benennen von Kontroversen gesellschaftspolitischer Natur bei der Auswahl der künstlerischen Positionen gescheut hat. Vielleicht wäre die konkretere Benennung der „Flüchtlingsproblematik“ an sich schon eine Provokation für Politiker, die dieses Thema am liebsten völlig aussparen würden und eine Kunst der Behübschung wünschen. Das steht zu befürchten. Es geht rund.
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