EAR meets EYE (AUG um OHR)

Alltag und Musik gehen bei Werner Puntigam Hand in Hand. Gleiches gilt für das Zusammenwirken des Visuellen und des Akustischen. Über den Linzer Posaunisten und multidisziplinären Künstler, sowie die Kunst der Improvisation schreibt Georg Wilbertz.

Werner Puntigam und Rabito Arimoto. Foto Werner Puntigam

Werner Puntigam und Rabito Arimoto. Foto Werner Puntigam

Der Alltag ist Improvisation und auch in wohlgeordneten Gesellschaften wie der unsrigen sind wir tagtäglich aufgefordert oder gezwungen Unvorhergesehenes durch improvisiertes Handeln zu bewältigen. Manche erfüllt der Zwang zur Improvisation mit Unsicherheit und Angst, andere fühlen sich darin erst wohl und nutzen die quasi unbegrenzten Potentiale, die das Improvisieren für das „Erlebnis“ Alltag bereithält. Zu letzteren gehört der in der Steiermark geborene und seit 1983 in Linz lebende Posaunist, Fotograf und multidisziplinärer Künstler Werner Puntigam, der bewusst Risikobereitschaft und Improvisation zu zentralen Faktoren seiner musikalisch-künstlerischen Arbeit macht. Ein Text über ihn ist zwangsläufig ein Text über die Kunst der (musikalischen) Improvisation.

Alltag und Musik gehen bei Puntigam Hand in Hand. Gleiches gilt für das Zusammenwirken des Visuellen und des Akustischen. Darin mag begründet sein, dass er sich seit über zwei Jahrzehnten in entfernte, fremde Kulturen begibt, um vor Ort musikalisch-künstlerische Projekte zu entwickeln. Seit 1997 ist dies vor allem der afrikanische Kontinent, der in unserer klischeehaften Vorstellung ein einziger Hort täglichen, existenziellen Improvisierens ist. Spricht man mit Werner Puntigam über seine Erfahrungen hinsichtlich der Organisation und Durchführung von Projekten in Afrika, scheint sich das Klischee zumindest teilweise zu bestätigen. Beginnend mit einer Japantournee im Jahr 2013 verlagert sich sein Interesse und Fokus aktuell mehr und mehr in den asiatischen Raum.

Die Aufenthalte an neuen Orten verbindet Puntigam mit einem intensiven Kennenlernen des Alltags und der Menschen, die diesen leben. Hierfür lässt er sich nach Möglichkeit Zeit und interpretiert seine Sicht auf das Neue vor allem in fotografischen Arbeiten, die idealerweise alltägliche Situationen wiedergeben. Die Auseinandersetzung mit der jeweiligen sozialen und kulturellen Realität beeinflusst die künstlerische Arbeit an den jeweiligen Orten maßgeblich.

Viele Konzerte und Projekte entstehen hierbei spontan. MusikerInnen und KünstlerInnen tauchen manchmal unmittelbar vor dem Konzert auf, man lernt sich kennen und steht kurz danach gemeinsam auf der Bühne. Dass dies nicht immer zu überzeugenden Ergebnissen führt, versteht sich von selbst. Jedoch gehört es für Puntigam zum grundsätzlichen Wesen seiner Arbeit, das Risiko des Unbekannten und der mit ihm verbundenen ganz eigenen Dynamik einzugehen. Auch der manchmal sich ereignende „freie Fall“ spiegelt letztlich lebensnahe Realitäten wieder und muss in Kauf genommen werden, wenn es gilt durch Offenheit, Neugier und Spieltrieb gänzlich Neues zu entdecken.

Von besonderer Bedeutung sind die konkreten Räume, ihre ästhetischen und akustischen Qualitäten. Vieles von dem, das schließlich zur Aufführung gelangt, wird direkt entwickelt in der Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Raum. Dabei reicht die Spanne von spürbarer Konfrontation bis zu dem, was – nicht in einem beschönigenden, besänftigenden Sinn – als Harmonie bezeichnet werden kann.

Werner Puntigam besitzt einen sehr persönlichen Begriff von musikalischer Qualität. Für ihn geht es nicht um das technisch perfekte, rasant exponierte Ineinandergreifen akademisch angeeigneter Phrasen (bitte: nichts gegen die Phrase!), die sich durch ihre spieltechnische Brillanz zu einem musikalischen Ganzen fügen. Für ihn ist stattdessen das Musikalische eng mit seiner Vorstellung von Improvisation verbunden. Qualitätvolles Musizieren entsteht im Moment des Aufeinanderhörens, des bewussten, oft intuitiven Reagierens auf den anderen oder die Situation. Für ein derartiges Verständnis des musikalischen Interagierens stellt der Faktor der Zeit und des sich Zeitlassens ein wesentliches Element dar. Es ist eine Binsenweisheit, dass auch und vor allem die nicht gespielten Töne und die Pausen zwischen den Klängen die Wirkung und Spannung eines musikalischen Geschehens ausmachen. Paraphrasiert man den Ausnahme-Pianisten Keith Jarrett, so entsteht durch das Timing die Komplexität des Einfachen. Werner Puntigam besitzt diesbezüglich einen – durchaus wörtlich zu verstehenden – langen Atem. Musiziert man mit ihm, muss man spannungsvolle Momente des klanglichen Horror vacui aushalten können.

Das Ergebnis ist ein vor allem durch extreme Transparenz geprägtes klanglich-musikalisches Geschehen, das im besten Sinne des Wortes als Kammermusik bezeichnet werden kann. Jedes Detail bekommt Raum, wird wahrnehmbar und trägt bewusst zum Ganzen bei. Kein Wunder also, dass diese Musik sich den technischen Möglichkeiten der Verstärkung weitgehend entzieht und Räume braucht, die ihre Charakteristika für die ZuhörerInnen möglichst unmittelbar hörbar machen. Dichte und Intensität entstehen nicht durch Notenkaskaden, sondern durch die Erfahrbarkeit des einzelnen Tons, des herausgearbeiteten Geräuschs. Puntigams kammermusikalische Improvisationen grenzen sich damit bewusst ab vom landläufig verwendeten Begriff des Freejazz, der sehr häufig intendiert, durch das dichte, oft rasende Zusammenfügen und Überlagern individueller, fast autistisch agierender instrumentaler Stimmen einen expressiven, ja explodierenden Gesamtklang zu schaffen. Natürlich kennt auch Puntigams Musik Momente der tempomäßigen Verdichtung, der gesteigerten Expression und größtmöglichen dynamischen Breite und natürlich ist auch er nicht dagegen gewappnet, die Zuhörenden virtuos zu „überwältigen“. Doch bleiben auch diese Phasen Teil eines interaktiven Geschehens, das im Idealfall einer gesteuerten oder sich ergebenden Dramaturgie folgt.

Erleb- und hörbar ist die Musik Werner Puntigams in einer Vielzahl von musikalischen Projekten, Besetzungen und CDs. Zum Kennenlernen eigenen sich die umfangreichen Konzertdokumentationen auf Dorf-TV, YouTube und seiner Homepage, die er, wie auch alle übrigen grafischen Arbeiten selbst gestaltet. Ab Herbst 2018 wird Werner Puntigam wieder verstärkt in Linz und Oberösterreich in verschiedenen Konstellationen zu hören sein. Verwiesen sei u. a. auf die Konzertreihe des Linzer Vereins Musik im Raum (MIR), die ab Oktober stattfinden wird.

Eine besondere Qualität zeigt Puntigams Zusammenarbeit mit dem japanischen Trompeter und Bassklarinettisten Rabito Arimoto. Sie ist dokumentiert auf der 2017 erschienenen CD „kokyu“ („atmend“; erschienen bei ATS-Records). Zu hören ist auf ihr in Reinform Werner Puntigams Auffassung freier kammermusikalischer Improvisation. Nach ihrem Gastspiel beim hochkarätig besetzten JAZZ ART SENGAWA Festival in Tokio Mitte September wird Arimoto im November mit Unterstützung von LinzIMpORT in Österreich sein und eine Reihe von Konzerten vorwiegend in Linz und Oberösterreich mit Werner Puntigam spielen. Überhaupt ist es dem Posaunisten generell sehr wichtig, zukünftig seine Aktivitäten in Kooperation mit aufgeschlossenen heimischen Veranstaltern und Festivals auch hierzulande wieder zu verstärken.

 

www.ear-x-eye.info (inkl. Videos und aktuelle Live-Termine)
www.musikimraum.at

jazzartsengawa.com/en_2018

15. Sep. 2018: Auftritt beim JAZZ ART SENGAWA Festival in Tokio mit den japanischen Musikern Rabito Arimoto (tp, bcl) und Makigami Koichi (voc, poetry)

17.–30. Sep. 2018: Artist Residency in Singapur inkl. Realisierung einer audiovisuellen Installation und Performances in Kooperation mit der Künstlerin Sharyl Lam (SIN)

14. Nov. 2018: Vierteiliges Hauptkonzert der THE SOUND OF ODEM Duo-Tour mit Rabito Arimoto (J) und Gastkünstler_innen in der Rudigierhalle des Linzer Mariendoms
(9.00 h, 13.00 h, 17.00 h, 21.00 h)

Die aktuelle CD von Werner Puntigam mit Rabito Arimoto heißt „kokyu [breathing]“.

Werner Puntigam betreibt einen Channel auf Dorf TV.

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