„… eine winterharte und dreckige Art von Weisheit“

2016 veröffentlichte Donna Jeanne Haraway bei der „Duke University Press“ ihr Buch „Staying with the Trouble. Making Kin in the Chtulucene“. Lisa Spalt über das von Karin Harrasser nun ins Deutsche übersetzte Buch und eine Veranstaltung in der Gesellschaft für Kulturpolitik.

Das Chthuluzän in der gfk. Foto Reinhard Winkler

Das Chthuluzän in der gfk. Foto Reinhard Winkler

Der Text „Staying with the Trouble. Making Kin in the Chtulucene“ ist mit seiner eigenen Begrifflichkeit eine Herausforderung für die Lesenden, er war eine solche bestimmt auch für die Übersetzerin, Prof. Karin Harrasser, die an der Universität für bildende Kunst in Linz im Bereich Kulturwissenschaften lehrt und nicht nur dort Fäden zwischen Kunst und Wissenschaften webt. Eben ist das von ihr fulminant ins Deutsche übertragene Buch unter dem Titel „Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän“ erschienen. Und so gab am 6. November die Gesellschaft für Kulturpolitik in Zusammenarbeit mit dem Kepler Salon einer Veranstaltung zum Thema eine Plattform. Zu sehen war zunächst der Porträtfilm „Donna Haraway“ von Patrizio Terranova (2016) – für alle, die die Gelegenheit verpasst haben: Er ist auch auf Vimeo zu sehen und sei unbedingt empfohlen. Die Grundzüge der Haraway’schen gedanklichen Fadenspiele sind darin gut zusammengefasst. Eine Skype-Schaltung ins Central machte es bei der Veranstaltung allerdings auch möglich, Haraway für ein Gespräch mit Prof. Harrasser und dem Publikum nach Österreich zu projizieren. Einen großen Dank an alle, die auf diese Weise eine Begegnung mit der außergewöhnlichen Autorin des Buches möglich gemacht haben!

Das Buch also – eine Herausforderung: eine Herausforderung vor allem für eine von den politischen und (a)sozialen Entwicklungen weichgeklopfte Menschheit, die immer öfter bereit zu sein scheint, ihre zunehmend unverbundenen Individuen (der Begriff ist bei Haraway nicht unbedingt positiv konnotiert) in das Reißwolfgebiss scheinbar einfacher Antworten zu werfen. Aus Angst vor der Anstrengung, vor der Komplexität, aus Fatalismus?

Wir leben, so Haraway, in der Zeit des „großen Zauderns“, einer „Zeit unproduktiver und weitverbreiteter Angst“, die unter anderem durch Umweltverschmutzung, Klimawandel, soziale Desintegration, Kriege und Migration ausgelöst wird.

Ich fühle mich unweigerlich an die in den letzten Jahren im Bekanntenkreis so häufig auftauchenden Aussagen erinnert, nach denen es sowieso zu spät für alles sei, Einzelne sowieso nichts ändern könnten, sowieso wieder ein Krieg vor uns liege, es sowieso keine seriösen Medien gebe etc.

Diese Art von Ausweg erlaubt uns Haraway nicht. Den Lemming könnte man nach der Lektüre dieses Buches definieren als einen „Kritter“ (zu dem Begriff später), der es sich ganz einfach zu leicht macht.

Haraway dagegen ist Naturwissenschaftstheoretikerin, Feministin, aber auch Science-Fiction-Fan, und sie ist (daher) Optimistin – nicht im Sinne eines „es wird“, sondern im Sinne eines „es könnte sein“. Ihrer Meinung nach ist es eine Frage des Überlebens, endlich neue Geschichten zu erzählen, um einen neuen Umgang mit der Welt zu finden. Die Autorin bezieht sich in dieser Hinsicht explizit auf den wunderbaren Essay „The Carrier Bag Theory of Fiction“ der Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin, der Ihnen hiermit ans Herz gelegt sei. Er hätte durchaus das Potenzial, die Herangehensweise der (westlichen) Menschheit an die Welt zu verändern. Le Guin bietet uns eine Alternative zu dem überkommenen Mythenmodell, das sich um den Weltretter-Helden rankt. Alles, was in der Heldengeschichte vorkommt, ist nach Le Guin für diesen nur Mittel oder Hindernis auf dem Weg zu seinem Ziel, Staffage. Der Gegenstand, der in der Heldengeschichte den Anfang des Menschseins markiert, ist die Waffe. Wir erinnern an dieser Stelle mit Le Guin Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“, die pilzartig wuchernden Ego-Shooter, aber auch den allenthalben aufstehenden „Helden“ in der Politik, der mit harter Hand Ordnung zu schaffen verspricht. Getreu dem alten Muster wird die Geschichte ja dann auch noch geglaubt. Le Guin dagegen bietet uns in ihrem Essay aus dem Jahr 1986 den Beutel und die Höhle als Bezugspunkt für neue Geschichten an. Wie Haraway im Publikumsgespräch am 6. November ausführte: Zuerst war eben nicht die Waffe, da waren der Mutterleib und der Beutel für die gesammelte Nahrung. Ohne Tasche keine Ernte, ohne Höhle kein Unterschlupf. Das ist der Beginn der Zivilisation, den wir aus unerfindlichen Gründen zu verachten gelernt haben.

Haraways Buch dagegen ist eines voller Taschen. Ihre Geschichten folgen klebrigen Fäden durch die Welt, bis jene sich zu Behältern wölben, sie tragen neue Sichtweisen mit sich, in ihren Begriffen haben unerhörte Gedankengänge Platz. So stecken in dem Kürzel SF, den Haraway als einen Container vorschlägt, um in unruhigen Zeiten unruhig bleiben und den unübersichtlichen Gegebenheiten begegnen zu können, die Science Fiction, der spekulative Feminismus, Science Fantasy, Science Facts und String Figures, das ihr so wichtige Spiel mit Fadenfiguren. Wenn man sieht, wie Haraways Finger beim Reden in Bewegung sind und den Redefluss formen, darf man vielleicht erkennen, dass das Fadenspiel bei ihr mehr als eine Metapher ist. Wir können, so die Autorin, in der derzeitigen Situation nichts tun, als die jeweilige Konstellation des Spiels, wie es uns von anderen gereicht wird bzw. wurde, übernehmen und sehen, dass wir es weiterentwickeln. Revolution als Neuanfang zu sehen, sieht sie als den ständig wiederholten Fehler jeder Erhebung: Es gilt, mit dem Geerbten umzugehen, zu trauern und in Bewegung zu bleiben. Besonders wichtig ist ihr in dieser Hinsicht, das Erbe des Kolonialismus anzunehmen und endlich eine Dekolonialisierung anzugehen, die den Namen verdient, also Natives nicht wieder vereinnahmt und in eine passive Rolle drängt. Als ein gelungenes Beispiel nennt sie im Buch das Weltspiel „Never Alone“, dessen Entstehung Haraways Gedanken der Sympoesis entspricht: Das „gemeinsame Werden“ ist für sie die Möglichkeit, den Unrechtsstrukturen zu begegnen. An „Never Alone“ wirkten denn auch indigene Geschichtenerzähler*innen, Spieldesigner*innen, bildende Künstler*innen, Jugendliche und Aktivist*innen mit. Im Gegensatz zum kolonialistischen Modell, das in die Fremde reitet, um dort Güter zu extrahieren und Strukturen zu zerstören, entwickelte man das Spiel und sich hier gemeinsam.

Gemeinsames Werden ist also, was das Buch von uns verlangt. Nach Haraway ist es nämlich nicht Zeit für einen wie auch immer gearteten Posthumanismus, sondern für das Zeitalter der „Kompostisten“. Nicht vom lateinischen „homo“ für Mensch leitet sie das Humane her, sondern vom „Humus“. Wir müssen uns „zusammensetzen“, wenn wir eine neue Praxis erfinden wollen, um „beschädigte Orte zu reparieren und das Gedeihen artenübergreifender Zukünfte zu unterstützen“. Haraway meint mit dem Gemeinsamen nicht etwa nur die Menschheit, sondern bezieht alle „Kritter“ (Lebewesen und Cyborgs) in die Geschichte ein. Die ungehemmte Ausbreitung der Menschen, welche (auch) nicht-menschliche Kritter in Mitleidenschaft zieht, muss daher eingeschränkt werden. Dabei plädiert Haraway keineswegs für fragwürdige politische Maßnahmen, sondern für die bewusste Entscheidung von Menschen für oder gegen Kinder. Sie schlägt als Motto für eine neue Welt den Slogan „Macht euch verwandt, nicht Kinder“ vor, meint damit aber nicht etwa, dass keine Kinder mehr gezeugt werden sollten, sondern dass es zuerst gelte, daran zu denken, wie wir mit den bereits existierenden Menschen ein gutes Leben und Sterben bewerkstelligen könnten. In ihrer, das Buch abschließenden, Science-Fiction-Geschichte „Camille“ heißt das: Migrierende, die die Regeln akzeptieren, bleiben, es werden absichtlich kaum Kinder gezeugt, die überdies jeweils mindestens drei Elternteile haben. Und um die Handlungsspielräume zu verändern, integrieren viele dieser Kinder Gene wandernder Arten. Ziel ist ein Unruhigbleiben, welches das Weitergehen der Welt ermöglicht. Die Geschichten von Camille sind verstörende, Hoffnung gebende Gleichnisse. Wenn Haraway davon spricht, dass nur neue Geschichten uns helfen können, den Status quo zu überwinden, dann sind diese vielleicht dazu angetan, ein anderes Denken zu probieren, das für eine neue Zeit geeignet sein könnte.

Haraway leitet für diese Zeit den Begriff Chthuluzän vom Chtonischen, dem Erdbezogenen, her. Das soll nun nicht darauf hinweisen, dass sie eine Freundin der Pauschalierungen und der naiven Zukunftsmalerei wäre, die sich in einer schönfärberischen Naturvision erginge. Sie wendet sich klar gegen die üblichen Alles-hängt-mit-allem-zusammen-Sprüche. Ihr ist der konkrete Bezug wichtig, in dem auch konkret Verantwortung getragen werden muss: Alles hängt mit etwas zusammen, und dieses Zusammenhängen geschieht zwischen den Partner*innen auf unterschiedliche Weisen. Mit der belgischen Philosophin Vinciane Despret erlaubt Haraway es uns auch nicht, über irgendwelche „die da“ einfach zu Gericht zu sitzen. Sie verlangt, dass wir uns gegenüber allen verhalten, als wären wir auf Besuch: Wir sollten versuchen, höfliche Fragen zu stellen, die das Gegenüber interessant findet, und damit eine gemeinsame Entwicklung in Gang zu setzen. In Beziehungen gibt es ihrer Meinung nach nämlich keine Individuen, die der Beziehung vorausgingen, in Beziehungen entwickelt und ist man miteinander, aber man ist nie unschuldig. Am Ende der Haraway’schen Utopie steht also kein flurbereinigtes, rosafarbenes Weltmodell. Jeder Zustand ist einer, in dem vieles mit vielem in Beziehung steht, wobei sich die Beziehungsfäden irgendwie am Ende zum Weltganzen verweben, das immer Ungerechtigkeiten und Unglücke beinhaltet. Gefragt sind daher die „Künste des Lebens auf einem beschädigten Planeten“, ein gemeinsames, unruhig bleibendes Werden, das versucht, besser zu werden. „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“, sagte einst Karl Valentin. Donna Haraway meint, wir bräuchten, um diese Künste des Lebens auszuüben, „eine winterharte und dreckige Art von Weisheit“.

 

Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän
Von Donna J. Haraway
Campus Verlag
Aus dem Englischen von Karin Harrasser

Porträt „Donna Haraway“ auf Vimeo: vimeo.com/188121629

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