Alles muss raus aus dem Theater.

Deutsche Erstaufführung als Guerillaproduktion und mit drei Spielterminen am Theater Phönix: „Der Vortrag“ ist ein Monolog über Theater-Missmut und Kultur-Missverhältnisse. Bastian Dulisch gibt die Figur des angewiderten Theaterautors Blanguernon. Gerhard Willert hat das Stück aus dem Französischen übersetzt und inszeniert. Theresa Gindlstrasser hat die beiden getroffen.

Bastian Dulisch spielt Trompete und Blanguernon. Foto Gerhard Willert

Bastian Dulisch spielt Trompete und Blanguernon. Foto Gerhard Willert

Thomas Blanguernon ist ein Miesepeter mit einer Liebe zum Theater im Herzen. Er setzt an: „Es war ein fataler Irrtum, dass ich zugestimmt habe, diesen Vortrag in einer Kulturinstitution des französischen Staates zu halten. Ich habe das schon seit Jahren nicht mehr gemacht, seit meinem Abgang – meiner Flucht – nach Berlin, und jetzt bin ich zurück in Frankreich, ich renne von Theater zu Theater wie ein kopfloses Huhn, und, vorhersehbar war es, reibe mich wieder auf an dieser französischen Theatergesellschaft.“ Und Blanguernon schraubt sich weiter, tiefer, ausufernd hinein in seinen Widerwillen gegen die „Theatergesellschaft“, ob französisch oder deutschsprachig oder, schraubt sich hinein in Thomas-Bernhard’sche-Wiederholungen, stilisiert sich zum bloßen Beobachter einer Szene – um sich mit Ekel die eigene Teilhabe an der „Theatergesellschaft“ vom Leibe zu reden.

„Ich war als erstes infiziert worden vom französischen Bildungswesen (von der Ur-Infektion – dem Geborenwerden – sehe ich einmal ab): dieses französische Bildungswesen hatte mir die Möglichkeit eröffnet, mich in die Ausübung der Theaterkunst zu flüchten. Und ich hatte mich da hineingeflüchtet, ohne zu ahnen wie sehr diese Theaterkunst sich pervertiert hatte innerhalb der Kulturunternehmen des französischen Staates, die mich dann zweitens ihrerseits infiziert hatten, und zwar infiziert in meinem innersten Wesen, nach der allgemeinen Infektion durch die französische Gesellschaft.“

Sich die Teilhabe vom Leibe reden, das ist ein widersprüchliches Unternehmen. Textintern sowieso und außerdem: Autor Christophe Pellet wurde 2009 für seinen Monolog „Der Vortrag“ (im Original „La Conférence“) vom französischen Kulturministerium mit dem Grand Prix de Littérature Dramatique ausgezeichnet. Die Theatergesellschaft schluckt immer jede Kritik und spuckt dafür Preise aus. Gerhard Willert, bis vor zwei und davor insgesamt 18 Spielzeiten lang Schauspieldirektor am Landestheater Linz, hat das Theaterstück übersetzt und die deutschsprachige Erstaufführung am Theater Phönix inszeniert. Premiere war Ende Oktober, zwei weitere Spieltermine (18. Dezember und 12. Februar) stehen außerdem fest. Eine „Guerillaproduktion“. Heißt: Das Phönix hat Notwendigkeiten zur Verfügung gestellt, das künstlerische Budget kommt vom Verein Nachtspiel.

Dieses künstlerische Budget ist ein Rumpfbudget dessen, was hätte eine Wiederaufnahme der regelmäßigen Produktionen seitens des Nachtspiels werden sollen. Oberösterreich, Kulturpolitik, Kahlschlag. Als ich vor sechs Jahren nach Wien gezogen bin, gab es in Linz eine vitale und vielschichtige freie Theater-, Tanz- und Performance-Szene. Jetzt? Rumpfszene. Und während ich diesen Text schreibe, lese ich, dass die Stadt Linz plant, die Förderung des Landestheaters einzustellen. Einzustellen! Die Initiative Nachtspiel wurde 2011 von damaligen Landestheater-Schauspielenden gegründet: Aurel von Arx, Björn Büchner und Henri Hüster konnten auf die Ressourcen des „Mutterschiffs“ zugreifen und ohne großen finanziellen Aufwand monatlich einen Abend im Rothen Krebs veranstalten. Die Fix-Anstellung ermöglichte das eigenständige Arbeiten.

Der Missmut und das Missvertrauen, mit dem Theaterautor Blanguernon der Theatergesellschaft, den Kulturinstitutionen, dem französischen Staat begegnet, findet eine Entsprechung im Gespräch mit Bastian Dulisch, ebenfalls ehemaliger Schauspieler am LTL und immer noch Teil des Nachtspiels, der für „Der Vortrag“ den leidenschaftlichen Miesepeter Blanguernon gibt: „Man kann sich ja auf Teufel komm raus in diese Theatergesellschaft bewegen, die Frage ist, ob man das will“. Kürzungen, Streichungen, die überall dröhnenden Reden von Rentabilität machen die freie Szene kaputt und setzen die Häuser unter Produktionsdruck: Mehr Premieren, weniger feste Schauspielende, „Wer immer nur dem Publikum nachrennt, sieht zu guter Letzt nur seinen Arsch“, zitiert Willert im Gespräch den Journalisten Franz Schwabeneder. Nach der Generalprobe von „Der Vortrag“ saßen Dulisch, Willert und ich im Beisl vom Phönix. So von wegen Liebe zum Theater im Herzen: Beide betonen, dass die Rentabilität von Kunst am Ende die ganze Kunst vergacksen wird, dass sie nicht bereit sind, unter kunstfeindlichen Bedingungen zu arbeiten.

Wobei, und das ist auch im Kontext der derzeitigen #MeToo-Debatten an Theatern interessant, sie in Bezug auf die Möglichkeit von Veränderung von Produktions-Bedingungen unterschiedliche Standpunkte vertreten. Während Willert die Eigenverantwortlichkeit betont, „Den König spielen immer die anderen!“, also fordert, sich von vornherein nicht in zerstörerische Hierarchien und prekäre Arbeitsverhältnisse hineinzubewegen, sagt Dulisch: „Man sollte, aber man kann sich diesen Luxus nicht immer leisten“. Es ist so, das ist beides wahr. Und wie dann also war die gemeinsame Arbeit an „Der Vortrag“? Dulisch, der seit zweieinhalb Jahren zum ersten Mal wieder auf der Bühne steht: „Es war die schönste Arbeit. Wir haben nicht gearbeitet“. Willert, der zwischen seiner letzten Produktion am LTL und der Arbeit am Phönix „Bunbury“ von Oscar Wilde am Theater Trier inszeniert hat: „Wir haben den Text auf Echoräume abgeklopft. Es geht nicht ums einproben, sondern ums ausprobieren. Theater muss Begegnung sein können.“

Im Dezember inszeniert Willert am Deutschen Theater Göttingen „Ein Volksfeind“ von Henrik Ibsen. Genug Regiepause. Ob er sich eine Leitungsposition wieder vorstellen könnte? „Wenn es passt“. Und was passt, wenn es passt? „Vieles. Das Klima. Vom Putzpersonal bis zur Diva, Theater ist eine Manufaktur, Überheblichkeit und Arroganz haben da keinen Platz. Wir müssen einander grüßen wollen“. Außerdem: „Die Finanzen. So und so viele Werkstätten- und Proben-Tage müssen möglich sein, um eine Inszenierung zu unternehmen. Sonst gibt’s nur noch H&M-Molières und Zara-Shakespeares. Auch die Größe des Ensembles ist entscheidend, um niemanden auszulaugen, um sich der Mode des Verschleißens von billigen Jung-Schauspielenden zu widersetzen“. Dann: „Ist es wurst, ob eine einzelne Aufführung mal mehr oder mal weniger glückt. Theater kann Möglichkeiten sichtbar machen und dass sie „Möglichkeiten“ sind. Es ist nicht immer alles nur there is no alternative“.

In „Der Vortrag“ wird das Verschwinden als Alternative zur Teilhabe an der „Theatergesellschaft“ herbeigesehnt. Thomas Blanguernon will verschwinden. Interessant auch, dass seine „Flucht nach Berlin“ ihm einst hatte Erleichterung verschaffen können, wo doch „Berlin“ für den deutschsprachigen Raum ein Höchstmaß an „Theatergesellschaft“ darstellt. Pellet arbeitet zwar mit Bernhard’schen Formeln, wendet diese aber ins Sozialkritische. Die Prekarität im Kunstbetrieb, Überproduktivität aufgrund von Rentabilität, Abschiebungen von Asylsuchenden aus Frankreich und Konsumterror sind wiederkehrende Momente des 90-Minuten-Monologs. „Wenn du nicht konsumierst: bist du tot. Konsumier doch! Pferdewürste an Sauce Vinaigrette, dramatische Werke. „Alles muss raus“ und verschwinden. Dramatische Würste und Werke an Sauce Vinaigrette. „Alles muss raus“. Ich will auch raus und verschwinden, brüllte ich. Wie verschwinden? schoss es mir ein, wo mir doch sogar die Mittel fehlen, um zu verschwinden“.

Am Ende der krass konzentrierten, sprach-genauen Inszenierung, während Dulisch Unmengen von Text absondert und nur durch Lichtwechsel und Trompetenspiel unterstützt, eine manische Spannung aufrecht erhält, gewährt die „Theatergesellschaft“, also eigentlich die Theatermagie, also eigentlich der Regisseur Willert diesem Protagonisten das Verschwinden. Das Licht geht aus. Finster. Dass das Theater das Problem ist, dass das Theater auch die Lösung ist. „Krise des Theaters ist eigentlich immer“, antwortet Willert auf die Frage nach der Lage der Theaternation in Linz. Und Blanguernon, seine Freundin Esther Cohen paraphrasierend: „Wenn das Theater verschwunden sein wird aus der Welt, wird es doch immer Menschen geben, die es träumen“. Für solch zarte Töne hat die „französische Theatergesellschaft“ nichts übrig. Cohen begeht Suizid. Und was ist mit der oberösterreichischen Theatergesellschaft? Nochmal: Während ich diesen Text schreibe, lese ich, dass die Stadt Linz plant, die Förderung des Landestheaters einzustellen. Einzustellen!

Ein Naheliegendes ists jedenfalls, die Inszenierung von „Der Vortrag“ als eine Bestandsaufnahme auch der deutschsprachigen oder oberösterreichischen „Theatergesellschaft“ zu lesen. Willert und Dulisch machen also Abrechnung? „Ein großartiger Text, ein großer Glücksfall, dass Willert auf diesen Autor und dieses Stück gestoßen ist“, sagt Dulisch, und: „persönliche Abrechnung war nicht unser Thema“. Bekräftigt Willert: „Nee“. Und was war Thema in der Auseinandersetzung mit Pellets Text? „Genau schaun, genau gucken. Was lass ich zu und was nicht?“. Einander nicht wie „plärrende Monaden“ zu überfallen. Sondern eine Begegnung zwischen Schauspieler und Text, Text und Publikum, Publikum und Schauspieler zu ermöglichen. Blanguernon: „Was soll ich mit meinem Blick machen? Was soll ich mit dem Blick der anderen machen? Muss man seinen Blick bemessen? Den Leuten genau in die Augen blicken, oder sie eher nicht anblicken? Aus ihrem Blick verschwinden indem ich den meinen ausschalte? Sie mitreißen mit meinem Blick? Wie sollen wir Leute anblicken? Gibt es Grenzen? Wenn ich jemanden anblicke: dann blicke ich ihn wirklich an, mit meinem ganzen Sein hin zu seinem ganzen Sein. Ist das verstörend? Sollte ich nicht meinen Blick zum Verschwinden bringen?“. Im Theater wie in der Reality, Begegnung ist gut. Dafür muss Kohle her!

 

„Der Vortrag“
18. Dezember und 12. Februar, Theater Phönix.
theater-phoenix.at

Anmerkung der Redaktion: Der mittlerweile beschlossene Ausstieg der Stadt Linz aus dem Musiktheatervertrag ist weniger kulturpolitische denn budgetpolitische Entscheidung, der ungleichgewichtige Zahlungsflüsse zwischen Land und Stadt zugrunde liegen.

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