GLOW

Kritisch-sozioökonomisches Setting und buntes Retrospektakel, das zwischen Kitsch, Ironie und alltagskulturellen Problemen oszilliert: Sarah Held über die Serie Glow, deren zweite Staffel heuer erschienen ist, einen Show-Wrestling-Plot, emanzipierte Frauenfiguren sowie popkulturelle Ästhetik der 80er Jahre.

Für diejenigen Leser*innen, an denen die teils bizarr anmutende Glitzerwelt von Glow (USA, seit 2017) bisher vorbeigegangen ist, gilt folgende Warnung: Dieser Artikel ist ein Potpourri aus Spoilern, er bietet aber auch Teaser an. An die Fans, willkommen zu einem kurzen Ausflug zwischen Analyse und Trivia. Zunächst sollte allerdings geklärt werden, was passiert bei Glow? Was macht die Serie, im Denglisch-Sprech formuliert, so binge-worthy? Aus (pop)kultureller Perspektive ist sie äußerst interessant und weist Potenzial für eine feministische Rezeption auf. Zu den Basics: Die Handlung spielt im Los Angeles der 80er Jahre; es dreht sich um eine Gruppe Frauen, die für eine Wrestling-Fernsehshow gecastet wird und fortan als solche aktiv ist. Um dieses Hauptelement reihen sich eine Vielzahl Erzählstränge, im Vordergrund steht der Konflikt zwischen der erfolglosen, aber sehr ambitionierten Schauspielerin Ruth Wilder und ihrer eigentlich besten Freundin Debbie Morgan (Eagon), eine ehemalige Seifenoper-Darstellerin, die sich in Suburbia mit Kind und Ehe niedergelassen hat. Im Pilot schläft Ruth mit Debbies Ehemann Mark, was einen tiefen Einschnitt in ihrer Freundschaft markiert. Ironischerweise erweist sich Ruths Fehltritt als Vorteil für sie, denn eigentlich hatte sie sich für Glow bereits aufgrund ihres schauspielerischen Overactings disqualifiziert. Dazu kommt noch erschwerend die persönliche Abneigung und Willkür des Regisseurs, Sam Sylvia. Während Ruths verzweifelten Versuchen, doch noch ein Engagement bei der Wrestlingshow zu erhalten, stürmt die wütende Debbie ins Gym, wo die Serie größtenteils spielt, es entwickelt sich eine wilde Prügel-Performance. Dieser Kampf löst beim antagonistisch inszenierten Charakter Sam Sylvia eine Wrestling-Vision aus. Im weiteren Verlauf der Handlung bietet er beiden eine Rolle in der Fernseh-Show an, da er den Konflikt für das Wrestling nutzen möchte. Das beschreibt, stark reduziert, den Plot der Show.

Die Serie basiert frei interpretiert auf der gleichnamigen US-amerikanischen Frauen-Wrestling-Show aus den 80er-Jahren. Das Original war ein groteskes, glitzeriges Low-Budget-Format, bei dem sich Frauen mit hochtoupierten Frisuren in knappen Spandex-Bodies wöchentlich brutal wirkende Showkämpfe lieferten. Dabei wurde über den Verlauf von fünf Staffeln nicht nur im Ring gekämpft, sondern auch gerappt und Comedy-Sketche inszeniert. Wie im Wrestling leider üblich, wurden auch rassistische Stereotypen durch die Wrestling-Charaktere reproduziert. Sogenannte „offending characters“ werden auch in der aktuellen Glow-Serie inszeniert. Es lässt sich ein Hauch von Kritik an dieser Praxis ausmachen, wenn beispielsweise die Figur Arthie „Beirut the Mad Bomber“ Premkunar versucht, sich von ihrem rassistisch konnotierten Charakter zu lösen und auch immer wieder betont, von der rassistischen Komponente gestört zu sein.

80s Retro-Ästhetik
Über mittlerweile zwei Staffeln verhandelt die Serie nicht nur viele Topoi, die feministisch lesbar sind, sondern sie bündelt eine große Fülle an Attributen des 80s-Retro-Revivals, wie es beispielsweise auch bei Stranger Things zu sehen ist. Neben trivialen Klischees wie tonnenweise Neon-Schriftzüge, einem hörenswerten 80s-Soundtrack, Querverweise auf damalige Serienformate wie Dynasty oder Hart to Hart, Roboter, Hair-Metal, riesige Schulterpolster oder maßlosem Kokainkonsum, werden auch zeitkritische Aspekte in die Handlung eingewoben. Das geschulte Auge erkennt in der Action-Figur von Tammé Dawsons Wrestling-Charakter Welfare Queen eine modifizierte He-Man and the Masters of the Universe-Figur, die sie als selbst gemachtes Merchandise ihres Show-Alter-Egos verkauft. Diese Figur ist ein Drag-Gimmick, denn hier wurde einfach eine muskulöse männliche Fantasyfigur umgearbeitet. Am Beispiel von Welfare Queen, gespielt von Profi-Wrestlerin Kia Stevens, lässt sich eine direkte Rezeptionslinie zum Rassismus und zu klischeebeladenen Stereotypen der Originalserie ziehen. Tammé entscheidet sich dafür, die Stereotype der sogenannten „Sozialschmarotzerin“ aus dem Ghetto zu übernehmen und inszeniert sich dementsprechend milieudiskriminierend. Als weiterer zeithistorischer Marker wird die AIDS-Epidemie und die damit einhergegangene menschenfeindliche Reagan-Politik angerissen. Diese Interpretation ist in Bash Howards, Glow-Produzent, panischer Reaktion begründet, nachdem er von der Infektion Tod seines (ehemaligen) Liebhabers erfährt.

Feministische Rezeption
„Why do men always get the best parts?“ – das fragt sich Protagonistin Ruth in der Eröffnungsszene der Glow-Pilotfolge, nachdem sie bei einer Audition bewusst die männliche Rolle gelesen hat. Die Frauenrolle ist übrigens der Einzeiler: „Your wife is on line two.“ Die obige Frage stellen – im übertragenen Sinne – feministische Strömungen verschiedener Couleur ebenfalls und fordern seit Dekaden, dass Frauen und als Frauen gelesen Personen innerhalb patriarchal organisierter Gesellschaften weniger stark benachteiligt werden. Im Kontext der hier thematisierten Serie ist zu fragen: Welche feministischen Themen verhandelt Glow? Im Plot der Serie geht es immer wieder um Gleichberechtigung, asymmetrische Machtverhältnisse und geschlechterbedingte Hierarchisierungen. Das lässt sich beispielsweise am Machtkampf von Debbie festmachen, wenn sie versucht, als Produzentin nicht nur akzeptiert zu werden, sondern auch als ernst zu nehmendes Teammitglied der Glow-Produktion von Bash und Sam angenommen zu werden. Im Kontext von Hollywood greift die Serie in der zweiten Staffel auch Machtmechanismen von sexueller Nötigung und (implizierter) Vergewaltigung auf. Ruth kann sich dem erzwungenen Sex mit dem Senderchef von KD-TV entziehen, als Konsequenz verliert die Wrestling-Sendung ihren guten Sendeplatz und wird stattdessen um zwei Uhr nachts ausgestrahlt. Hiermit wird dezidiert auf die feministische Debatte zu sexualisierter Gewalt und die damit verbundene #metoo-Diskussion verwiesen. Weiters bietet Glow Themen an, die innerhalb feministischer Diskurse ebenfalls diskutiert werden: Abtreibung, Body Positivity, lesbische und schwule Beziehungen, Entstigmatisierung von freiwilliger Sexarbeit, ethnische Vielfalt und jede Menge Sisterhood. Es muss allerdings hinzugefügt werden, dass bei so viel inszenierter Frauensolidarität keine eindimensionale Darstellung erfolgt, denn die Macherinnen schaffen in der Handlung auch genügend Raum für Intrigen und Gemeinheiten unter den Frauen. Nicht zuletzt erzeugt die Thematisierung von alltäglichen Problemen und Situationen wie Menstruation, gemeinsamer Zyklus, Verstopfung und die damit verbundenen Auswirkungen auf das Sexleben oder Sex während der Periode ein gewisses Gefühl der Nähe zu den Charakteren. Die Implementierung dieser lebensnahen Aspekte vermittelt eine Stimmung von Vertrautheit bis zum Freund*innen-Talk. Damit trägt Glow dazu bei, Themen in den Mainstream zu bringen, die eigentlich eher im intimeren Kreis, in Nischenrubriken von (feministischen) Zeitschriften besprochen werden oder im schlechtesten Fall tabu sind.
Glow ist fester Bestandteil des Universums aktueller Popkulturformate, die unter anderem feministisch lesbare Aspekte verhandeln. Die Serie hat thematische Schnittstellen zur Serie Orange is the New Black (USA, seit 2013), zumal die Glow-Produzentinnen Liz Flahive, Carly Mensch, Jenji Kohan und Tara Herrmann auch teilweise an der Produktion der oben genannten Serie beteiligt sind. Gemeinsam ist beiden, dass sie der Kategorie strong female lead(s) entsprechen. Es kann ebenfalls eine Referenzlinie in puncto Frauensolidarität und Selbstermächtigung zu Dietland (USA, 2018) gezogen werden. Die kontrovers diskutierbare Serie popularisiert Fat Acceptance, kritischen Umgang mit körperfeindlichen Mode- und Beautystandards und männliche Vorherrschaftsstellungen in westlichen Industriegesellschaften. Daneben geht es primär um die Radikalisierung der Protagonistin Alicia „Plum“ Kettle, die sich der militanten feministischen Terrorgruppe Jennifer anschließt. Jennifer agiert kollektiv als sogenannter Female Avenger, indem gezielt misogyne Straftaten gerächt werden. Das heißt, die radikalfeministische Terrorzelle tötet medienwirksam einzelne Täter bzw. greift repräsentative Männer in sozioökonomischen Machtpositionen an. Der Dietland-Plot rekurriert auf die Trope der rachesuchenden Opfer-Täterin, die nach einer Vergewaltigung am Täter ihre persönliche Vergeltungsfantasie auslebt. Die Figur des Female Avengers geht zurück auf das Subgenre Rape-Revenge des Exploitation-Films. Dabei handelt es sich um fragwürdige bis transgressive Low-Budget-Produktionen aus den 1970er-Jahren. Hierbei lässt sich ein Bubble-Up vom Nischensektor des Grindhouse-Kinos in popkulturelle Formate verzeichnen. Die aufgezählten Serien weisen als gemeinsamen Nenner emanzipierte und willensstarke Frauenfiguren auf und erinnern auch an den popfeministischen Esprit der 90er-Jahre.
Bei allem aufgezeigten feministischen und gesellschaftskritischen Potenzial darf bei Glow allerdings nicht vergessen werden, dass es sich um ein Unterhaltungsformat auf dem Streaming-Portal Netflix handelt. Hierbei spielen die kapitalistischen Interessen der Plattform eine wichtige Rolle, denn unter dem Strich dient auch die Serie Glow schlicht zur Gewinnmaximierung des Unternehmens. Wenn bedingt durch die aktuelle Popkultur dabei allerdings starke weibliche Rolemodels generiert und feministische sowie kulturkritische Themen massentauglich serviert werden, kann das durchaus als positiv verbucht werden.
Gute Nachricht jedenfalls für alle Fans und die, die es noch werden wollen: Netflix gab bekannt, dass die dritte Staffel im Juni 2019 online geht.

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