„Die Taten werden brutaler“
Seit Beginn dieses Jahres vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über die Zunahme von Frauenmorden, die möglichen Ursachen und Hintergründe geschrieben wurde. Eine Zahl dazu: Ein Viertel der ÖsterreicherInnen akzeptiert Gewalt an Frauen. Dieser Prozentsatz ist kein Ergebnis aus grauer Vorzeit, sondern stammt aus einer Untersuchung des Eurobarometers 2016. Silvana Steinbacher mit einer Betrachtung.
Vorbemerkung: Beim ersten Internationalen Tribunal zu Gewalt gegen Frauen in Brüssel 1976 prägte die amerikanische Soziologin und feministische Autorin Diana Russell den Begriff Femizid als eine „von Männern begangene Tötung von Frauen, weil sie weiblich sind.“ Femizide seien – so Russell – tödlich wirkende Hassverbrechen, eine extreme Manifestation von männlicher Dominanz und Sexismus.
DIE Fakten
Am 8. Jänner dieses Jahres wurde eine vierfache Mutter von ihrem Ehemann in Amstetten erstochen, am 11. Februar wurde das achte Attentat an einer Frau in Österreich begangen. Und die tödliche Gewalt ging durchgehend von einer engen, wenn nicht sogar der engsten männlichen Bezugsperson, die diese Frauen hatten, aus.
Die Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums OÖ Eva Schuh spricht von einem Phänomen. „Wenn ein Mord passiert, folgen mehrere, die Hemmschwelle sinkt dann offensichtlich.“ Und: „Prinzipiell nehmen die Gewalttaten an Intensität zu, die Taten werden brutaler, enden zu oft tödlich.“
DIE Praxis
Im Gewaltschutzzentrum OÖ in der Linzer Stockhofstraße 40 arbeiten zwölf Expertinnen, unter anderem Juristinnen, Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen. 2017 suchten dort beinah 14.000 persönlich oder telefonisch Unterstützung, die meisten davon Frauen. Rund 80 bis 85 Prozent jener Opfer familiärer Gewalt, die Hilfe in Schutzeinrichtungen benötigen, sind weiblichen Geschlechts.
Gleich in seinen ersten Amtsmonaten kürzte oder strich die Regierung Subventionen für viele Frauenvereine. Mitte vergangenen Jahres stoppte Herbert Kickl ein Projekt zu Fallkonferenzen, bei denen sogenannte Hochrisiko-Gewaltfälle gegen Frauen von Polizei, Justiz und Interventionsstellen untersucht wurden. Der erhoffte Nutzen für den Opferschutz sei nicht erzielt worden, lautete die Begründung. Doch ExpertInnen sind sich einig: Anzustreben ist vor allem die sogenannte multiinstitutionelle Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft, Justiz und Opferschutzeinrichtungen, denn wiederholt stellte sich nach einer Gewalttat heraus, dass zwar einzelne Stellen über Informationen verfügten, doch die umfassende Vernetzung fehlte.
Kehren wir zurück zu den Kürzungen, von denen das Gewaltschutzzentrum OÖ zwar nicht direkt betroffen ist, sehr wohl aber einige Beratungsstellen, denen jetzt die finanziellen Mittel fehlen, um gewaltbedrohte Frauen zu unterstützen. Entscheidend und nicht zu vergessen ist: Viele Frauen finden oft erst über andere Stellen den Weg zum Gewaltschutzzentrum. Wertvolle Zeit könnte verstreichen.
DIE Regierung
Sprechen wir über die jüngsten Ereignisse. Mitte Jänner stellten Frauenministerin Juliane Bogner-Strauss, Außenministerin Karin Kneissl und Staatssekretärin Karoline Edtstadler bei einer Pressekonferenz fest, dass die Zunahme der Frauenmorde ein Resultat der Flüchtlingswelle 2015 sei. (Es rauschte bereits durch einige Medien, aber ich muss dennoch an eine Fernsehdiskussion erinnern, die mich nachhaltig in Zorn versetzt hat. Am 20. 1. 2019 verkündete Edtstadler in der Sendung Im Zentrum vollmundig, man gewinne den Eindruck, dass hier Nachahmungstäter am Wort seien. Um welches Wort könnte es sich bitte bei Mördern handeln und sollten die Österreicher nachahmen?
Edtstadler bemühte gar die Literatur, und sprach vom Werther-Effekt. (Anm.: Der Begriff geht zurück auf das Auftreten einer Suizidwelle nach der Veröffentlichung von Goethes Roman Die Leiden des jungen Werther im Jahr 1774.) Wenn der Geheimrat wüsste, wofür er nun herhalten muss.
Eva Schuh kennt die Zahlen und widerspricht. „Die zunehmende Gewalt an Frauen ist keine Folge der Flüchtlingswelle 2015. Mir sind die Nationalitäten der Täter bekannt, 6% der Gewalttäter sind aus Staaten von denen seit 2015 Personen nach Österreich flüchteten.“ (Eine Ausnahme bilden allerdings die Morde der allerletzten Zeit, bei denen eine eklatante Mehrheit der Täter Migrationshintergrund aufweist.) „Gewalt an Frauen“, so Schuh weiter „ ist keine Frage der Herkunft, sondern der Machtverhältnisse. Und nach wie vor sind Männer meist die Hauptverdiener der Familien und somit in der dominanten Rolle.“
DIE Gesetze
Gleich vorweg: „An ihnen liegt es nicht, denn wir haben gute Gesetze“, stellt Eva Schuh fest.
Die Task Force Opferschutz und Täterarbeit, geleitet von Karoline Edtstadler, hat jetzt 50 Maßnahmen, gegen Gewalt an Frauen, erarbeitet. Strafverschärfungen, hier sind sich die ExpertInnen einig, verhindern keine Gewalttaten. Doch deren Empfehlungen wurden seitens der Regierung ohnehin nicht integriert. Vielmehr plädieren ProfessionalistInnen etwa für eine bessere Beweissicherung nach Gewalttaten, oder für eine Vereinfachung des Betretungsverbots. Stichwort Betretungsverbot: Derzeit ist die sogenannte Bannmeile im Gespräch. Zurzeit muss der Täter die Wohnung verlassen und darf vierzehn Tage nicht zurückkehren. Dadurch ist die Frau außerhalb des Hauses zu wenig geschützt. In Zukunft sollen sich der Täter zusätzlich nur im Abstand von fünfzig Metern der Frau nähern dürfen.
Eva Schuh, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums OÖ spricht einen für sie problematischen Aspekt in der Strafgerichtsbarkeit an: In den schwerwiegendsten Fällen wirken LaienrichterInnen mit. „Mir erscheint es so, als würde man eine Krankenschwester eine schwierige Herz-Operation machen lassen“, sagt sie. „Laien sind nicht gewohnt diese Verantwortung zu tragen, oft kennen sie die rechtlichen Hintergründe nicht, es fällt ihnen schwer, jemandem sechs Stunden konzentriert zuzuhören, zu erfassen, welches Stichwort wichtig sein könnte. Diese Verfahren gehören ausschließlich von BerufsrichterInnen entschieden. “
DIE Reaktionen
Wenn die Frau nicht geht, ist sie selber schuld. Sie muss nur laut genug nein sagen. Wahrscheinlich hat sie ihn provoziert. … Das ist Victim blaming oder Opferbeschuldigung.
Doch durch die Traumatisierung nach einer Gewalttat verhält sich eine Frau nicht so, wie manche es von ihr erwarten. Die betroffene Frau berichtet manchmal vom dramatisch Erlebten, als würde sie von einem Spielfilm erzählen. Ohne diese von ihr geschaffene Distanz könnte sie nicht mit dem Vergangenen leben. Im Gehirn verschieben sich außerdem Zeiten und Abfolgen der Tat, denn würde die Frau die Realität genauso, wie sie sich zugetragen hat, in Erinnerung behalten, könnte sie sie nicht bewältigen. Diese notwendigen Abspaltungen sind aber nur ExpertInnen bekannt, und auch nicht allen. Einige Frauen erhalten so nach dem schrecklichen Geschehen nicht die nötige Zuwendung und Unterstützung, sondern werden zudem mit dem Vorwurf der Lüge konfrontiert. Möglicherweise sucht eine Frau nach dieser Erfahrung beim nächsten Gewaltakt keine Hilfe mehr …
DIE Medien
In einigen Medien wurden die Frauenmorde der vergangenen Wochen als Familientragödie oder auch als Beziehungsdrama bezeichnet. Dies sind euphemistische Termini, die den Mord als beinah schicksalhaften Vorgang wiedergeben. Im Boulevard findet man offenbar zur Steigerung der Auflage teils auch detailreiche Schilderungen der Tat. Keine Frage: Medien können zur Bewusstseinsbildung beitragen, sie können aber auch manipulieren. Mehrfach wird bei Opfern eine (Mit-)Schuld am Mord gesucht, Aussagen des Täters werden unreflektiert übernommen. Doch es soll nicht verschwiegen werden, dass vor allem in den vergangenen Wochen die sogenannten Qualitätsmedien auch einige aufschlussreiche Hintergrundberichte und Analysen lieferten. Und eine – vielleicht auch nur subjektive – Beobachtung zum Schluss: Einige Boulevardblätter halten sich in den vergangenen Wochen zumindest ein wenig bei der Erwähnung der Herkunftsbezeichnung des Täters zurück oder kommentieren sie zumindest nicht wertend.
Die Perspektive Arbeit
Der Arbeitsplatz von gewaltbedrohten Frauen ist ständig in Gefahr. Viele Frauen sind durch die häusliche Situation wiederholt unfähig, ihrer Arbeit nachzugehen. Eine Kündigung, die die Frau noch mehr in die Abhängigkeit des Mannes treibt, ist nicht selten die Folge. Das Projekt Perspektive Arbeit ist ein Projekt des Gewaltschutzzentrums OÖ. Perspektive Arbeit unterstützt die Frauen auf ihrem Weg zurück ins Berufsleben, in unsicheren Arbeitsverhältnissen, bei Behördengängen und bei der Kontaktaufnahme mit anderen Beratungseinrichtungen.
Und damit schließt sich der Kreis, denn wie bereits erwähnt: Gewalt ist eine Frage der Machtverhältnisse, die oft finanziell grundiert sind. Um damit nur diesen einen Aspekt innerhalb dieser komplexen Thematik hervorzuheben.
Gewaltschutzzentrum OÖ, Stockhofstraße 40, 4020 Linz
Mo, Mi, Fr: 9–13 Uhr, Di, Do: 9–20 Uhr, Tel.: 0732/607760
Außenstellen an zwei Tagen in der Woche in Freistadt, Ried, Steyr und Gmunden Sprechtage in Bad Ischl, Kirchdorf, Perg und Rohrbach
Der Text wurde mit Stand 18. 2. 2019 erstellt.
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