Es passierte, als unsere Gehirne zerbröselten
Im Rahmen der afrikanischen Filmtage in der Stadtwerkstatt hat Kuratorin Sandra Kramplhuber unter anderem Filme von der äthiopischen Filmfirma Lanzadera Films gezeigt. Zu den Filmen Chigger Ale, Crumbs und zu außerirdischen Postapokalypsen hat Die Referentin den spanisch-äthiopischen Produzenten und Regisseur Miguel Llansó befragt.
Im Vorfilm zu „Crumbs“, im Kurzfilm „Chigger Ale“ von 2013, geht es um einen äthiopischen Hitler, der als kleiner Mann in einer Taverne mitten in Addis Abeba gelandet ist. Er ist zwar zu blöd zu allem, aber er ist natürlich unheimlich und bösartig. Sie waren zwar bei diesem Film „nur“ Produzent, die Regisseurin ist Fanta Ananas, aber vielleicht können sie trotzdem etwas zu den Gründen sagen: Warum diese Hitler-Auferstehung?
Globalisierung durch Ultra-Kapitalismus – das ist der Motor des Jahrhunderts. Der Kapitalismus ist nur am Wert von Waren interessiert. Und dieser Wert bemisst sich nicht einmal durch den Verkauf von Objekten, sondern durch Spekulation. Und dieser Ultra-Kapitalismus vermag es, den Schrecken und Horror des 20. und 21. Jahrhunderts etwa in Hitler-Plastikfiguren oder auch Che-Guevara-T-Shirts zu transformieren. Es ist wirklich beängstigend, dass Hitler zu einer solchen Plastik-Figur geworden ist, die du kaufen kannst, während mittlerweile Geschichte, Philosophie oder Geisteswissenschaften zu marginalen Disziplinen mutiert sind. Wenn wir Feuerzeuge in Form der Twin-Towers am Tage nach ihrem Einsturz kaufen können, sind wir sicherlich am Ende der Geschichte des Humanismus angelangt. Man kann diese Beziehungen zwischen Mensch und Objekt überall auf der Welt finden, einschließlich Addis Ababa.
Hitler sozusagen als lustiger Restmüll-Alien, der mit Punk-Soundtrack „Nazis of the Night“ am Ende wieder in den Weltraum zurückgeflogen wird. Der Trailer zu Chigger Ale wurde etwa mit dem Ausspruch der Regisseurin Fanta Ananas versehen: “This world globalized with debris!” … Wenn es nur so einfach wäre, die Community ist stark und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, das Böse wird abgeholt und in den Weltraum zurück verfrachtet …?
Ich sehe in diesem Film einen armselig maskierten Menschen, der als Hitler verkleidet ist, aber gar nicht weiß, wer Hitler war. Es ist sehr traurig, einen echten Dämon zu verbergen, den man eigentlich nicht kennt – zudem wenn du tatsächlich eine Art Verlierer bist. Daniel Tadesse spielt die Rolle Hitlers, aber vor allem passt er im Film in das Schema des Außenseiters, der den Hass aller auf sich zieht. Vielleicht hat der Betrachter etwas Mitgefühl mit einem Mensch, der nicht weiß, was er wirklich tut. Auf diese Weise, in dieser Hinsicht gibt es vielleicht sogar mehrere solcher Hitler-Kostüme.
Im Film „Crumbs“, bei dem Sie Regie geführt haben, kehrt diese Thematik auf ernstere Weise wieder. „Crumbs“ ist einerseits Liebesgeschichte, andererseits Postapokalypse pur – und wieder verschränken sich in der Geschichte außerirdisches Leben und Nazis. Bitte um ein paar Worte darüber, was es damit auf sich hat … wie präsent ist der Nationalsozialismus im Geschichtsbild ihrer Wahlheimat Äthiopien? Ist es das Bild für Diktatur und Massenmord schlechthin, wie in Europa? Mich würde ein Blick von außen interessieren, sozusagen vom afrikanische Kontinent, auf diesen Horror in Europa.
Heute sind Hitler und der Nationalsozialismus von geringer Bedeutung in der Welt. Sie sind „merkwürdige“ Erscheinungen für die meisten Menschen in Äthiopien und Spanien oder sonstwo. Das ist leider so, sehr zum Unglück für die Menschheit. Heutzutage ist Primo Levi, Überlebender des Holocaust und Schriftsteller, ein Niemand im Vergleich zum Thriller-Autor Dan Brown; und Claude Lanzmann, der Regisseur unter anderem von „Shoah“, ist noch nicht einmal unter den jungen Filmliebhabern beim Film-Festival in Venedig bekannt. Somit ist die Apokalypse hier verankert: Sie besteht aus Verwirrung und Unsinn, dort wo die absurdesten Dinge und Objekte unser Leben bevölkert haben. Wenn ich eine Parodie auf eine so ernsthafte Angelegenheit mache, dann deshalb, um durch Lachen die Absurdität der Konsumgesellschaft aufzuzeigen, in der ein Buch von Donald Trump zur Pflichtlektüre in Schulen dieser Welt zählt. Was ist passiert? Wie ist es zur Apokalypse gekommen? Vermutlich kam es dazu, nachdem sich unsere Gehirne vollständig zerbröselten und uns nur mehr übel war. Gibt es etwas Erschreckenderes, als Nazis, die sich in Spielzeug verwandelt haben? Die einzige Lösung ist, zu einem tiefsinnigen Nachdenken zurückzukehren: Kritik, Diskussion, Satire, Lachen, Handlungen – weit weg vom beruhigenden, oberflächlichen und lähmenden Geist der politischen Korrektheit.
Und nochmal Crumbs als Beispiel – mit seiner postapokalyptischen, surrealen Liebesgeschichte. Solche Filmentwürfe haben ja, zumindest auf plötzliche oder unerwartete Weise, auch die Eigenschaft, dass sie neben der Zerstörung Bilder von unglaublicher Widerstandskraft oder Schönheit entwerfen. Was halten sie von diesen Begriffen im Zusammenhang mit ihrem Film? Aus welcher künstlerischen Quelle oder Kraft schöpfen Sie?
Meine Quelle der Inspiration ist der anarchische, freie und poetische Gedanke, der in der Lage ist, Formen von Surrealismus hervorzubringen. In einer scheinbaren Zufälligkeit auftretend, ist dieser Gedanke überraschenderweise in der Lage, Wahrheiten und Wirklichkeiten darzulegen. Science-Fiction spielt mit bekannten Elementen und Themen; sie übertreibt sie, führt sie ins Extreme, isoliert sie – um eine ästhetische und philosophische Erfahrung zu generieren, aufgrund dieser wir die Welt mit anderen Augen betrachten. Ich mag Autoren wie Philip K. Dick oder Kurt Vonnegut, die unterschiedliche Techniken der Übertreibung verwenden, woraus manchmal paranoide Thriller oder Satiren entstehen.
„Crumbs“ ist ganz neu, 2015 erschienen, hat Österreichpremiere hier in Linz, wurde aber bereits beim Rotterdam-Filmfestival 2015 gezeigt. Welche Reaktionen hatten Sie dort?
Das Publikum war sehr an den Drehorten wie etwa Danakil – der Ort mit der weltweit höchsten Durchschnittstemperatur – oder an den aufgelassenen Zuggleisen interessiert, die von der Europäischen Union im Jahr 2009 gebaut wurden; oder auch an dem alten Bahnhof in Dire-Dawa oder dem Wenchi-Vulkankrater. Wir sprechen auch über die Charaktere, die Schauspieler; einige von ihnen sind Profis wie Daniel Tadesse und Selam Tesfaye, und andere nicht, aber wir portraitieren sie gerne im Film, wie sie sind – als schöne und merkwürdige Personen. Niemand muss Sets bauen oder Schauspieler suchen, wenn man gleich um die Ecke ganz erstaunliche Leute finden kann. Es geht nur darum zu wissen, wie und wo man Ausschau halten muss.
Sie sind bei Filmfestivals gut vertreten? Generell zu den Strukturen des Filmschaffens vielleicht eine Frage: Wie oder unter welchen Bedingungen produzieren Sie oder Lanzadera Films? Was wünschen Sie sich?
Crumbs hatte dieses Jahr weltweit über 75 Screenings im Rahmen von Festivals und Veranstaltungen. Wir sind sehr glücklich, dass es ist eine Community auf dieser Welt gibt, die an Autorenkino oder Fantasy-Genres interessiert ist, die uns andere Welten eröffnen. Der Film wurde von meinem Freund Sergio Uguet von Resayre und meinen äthiopischen Produzenten Daniel Taye Workou und Meseret Argaw produziert, ohne Zuschuss und ohne Subventionen. Dieses Produktionsmodell ist nicht nachhaltig auf lange Sicht, aber wir haben eine großartige Zeit im Moment. Ich wünschte, ich könnte weiterhin mit meinen Freunden Filme machen; das macht mich glücklich.
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