Fresh from the Tapeworm’s lair
Von No Wave über Black Metal bis Dark Synth: Was die aktuellen musikalischen Veröffentlichungen von Riesenschweine, Pfarre, VOILER und Tintifucks miteinander zu tun haben, verrät Rezensentin Leonie Landraub zwar nicht (Achtung: Preisfrage unten!), dafür aber, wie sie klingen.
Wem der Micropig-Hype auf die Nerven geht und in puncto Haustiere antizyklische Alternativen bevorzugt, ist bei Riesenschweine richtig: Da suhlen sich keine Kuschel-Paarhuferleins niedlich-friedlich im Fango-Jacuzzi – die Säue, die da durch die Dorfdisko getrieben werden, sind im No-Wave-Stampede-Modus. Vier Stücke finden sich auf diesem (auch als Digital-Album erschienenen) Split-Tape mit Benzinprinz – deren Spielzeit bleibt zwar unter 5 Minuten, man sollte aber nicht vorzeitig den Rüssel rümpfen, da sie diese Kürze mit recht undomestizierter Intensität ausfüllen. Keine Zeit für Verhausschweinung! Bis zum Anschlag verzerrte Stimme und Gitarre bellen, brummen und röhren durch Polizeigewerkschaft, Arbeitsplatz und Hundezone, bevor im abschließenden Semmellied ein übersteuertes Rhythmusgerät die ganze Rotte hinausexpediert. Gerade rechtzeitig, bevor die nicht minder widerborstige Formation Tintifucks die Puppentheaterbühne stürmt. Die 10 Stücke auf ihrem aktuellen (prä-covid betitelten) Album homeschooled (Kassette und Digital-Album) überschreiten zeitlich zwar auch nur knapp die 10-Minuten Marke – auch hier lässt sich Qualität aber nicht von der Quantität in die Kiste sperren. Schlagzeug (bzw. Drumbox), zwei Stimmen und Gitarre – mehr braucht es bei diesen Hochenergie-Sprints nicht, die von vier kleinen Interludien (Brr bis Brr Brr Brr Brr) unterbrochen werden. Mit Chipper ist jedenfalls ein veritabler Ohrwurm gelungen – Herrrrrrrreinspaziert! PFARRE ist auf haecce // hauto a different beast altogether and its number is 1010011010. Die Veröffentlichung (Kassette und Digital-Album) besteht aus einem einzigen Stück von ca. viertelstündiger Dauer. Ob das jetzt – unter Inkaufnahme aller damit einhergehender potentieller Missverständnisse – einfach Black Metal genannt werden soll, oder ob da jetzt ein Micro-Genre fünfter Potenz erfunden werden müsste (z. B. „Conscious Atmospheric Drone Anarchist Black Metal“), ist eine musikjournalistische Debatte und damit egal. Abgesehen davon, dass der Name Pfarre eine Faust aufs Genre-Auge ist, die passenderweise pandaeske Corpsepaint-Muster hinterlässt, finden sich auch musikalisch diverse stilbildende Charakteristika aus dem schwarzmetallischen Vokabular: In den sich langsam aufbauenden düsteren Klangteppich mischen sich erst ein tiefes Tuckern, das Uneingeweihte fälschlicherweise für eine 410bpm Electro-Bassdrum halten könnten – während es sich tatsächlich um das Geräusch des Dieselmotors handelt, mit dem die Fähre über den Totenfluss Styx angetrieben wird (Charon wird auch nicht jünger) –, sowie eine verzerrte Gitarre, die – mittels wenig freundlicher Akkordfolgen (kleine Intervalle, große Wirkung) – hypnotische Beschwörungen ausstößt. Falls das noch zu sehr nach Frucht schmeckt, sollte die guttural raspelnde Stimme Abhilfe schaffen, die sich daraufhin dazugesellt und nun einmal zu einer korrekt durchgeführten rituellen Invokation gehört wie das Himalaya-Salz zum gepflegten Kinderfresserfrühstück. Zur Halbzeit dann eine kurze Verschnaufpause, die aber tatsächlich nur ein kurzes Atemholen ist, bevor der Soundmoloch elektronische Blastbeats ausstößt, die sich wie Geschoße einer infernalischen Nagelpistole ins Hirn tackern. Diese stellt das Feuer dann abrupt ein und weicht tröstlichen Ambientsounds, mit denen haecce // hauto schließlich endet. Der Klang ist zwar immer Lo-Fi, aber an keiner Stelle breiig oder verwaschen – dabei nimmt PFARRE wohltuenderweise keine Anleihen an traditionellem Black-Metal. VOILER wiederum ist als Fortsetzung von THE BOILER (siehe Versorgerin #121) mit anderen Mitteln zu verstehen – manches haben die beiden Projekte gemein, anderes unterscheidet sie. Es verbindet sie zunächst die nüchtern-kühle Klangästhetik, die dennoch leiblich pulsiert. VOILER verzichtet aber auf 000 (Kassette und Digital-Album) gänzlich auf den Einsatz menschlicher Stimmen und auch die – bei The Boiler harmonisch oft tragende – Orgel fehlt. Dafür treten die Synthesizer kräftig in den Vordergrund und die Beats nicht minder in den Hintern. Alle drei Stücke der Veröffentlichung sind als „Edit“ ausgewiesen – wenn also noch Material für eine Triple-12’’-Maxi vorhanden ist, umso besser: Jigglypuff basiert hauptsächlich auf Pitch-Bend Mondulation, bei der der Grundton rhythmisch höher gezogen und wieder in die Ausgangsfrequenz gebracht wird. Goth Romantic ist insofern ein passender Titel, als sich über den Walking Bass und die Handclap-gesättigte Rhythmik blumig-flächige Akkorde legen, die auch Depeche Mode zur Ehre gereichen würden (Zuschriften an die Referentin mit dem Inhalt, wonach Depeche Mode mit Gothic nichts am Hut hätten, werden ausnahmslos ignoriert und der Rundablage überantwortet). Das abschließende Whitney setzt die massiven Bässe fort und führt gegen Ende auch den Pitch-Bend des ersten Stücks wieder ein, mit dem diese gelungene Werkschau auch endet.
Abschließende Preisfrage: Welche Verbindung besteht zwischen den Formationen Riesenschweine, Tintifucks, Pfarre und Voiler? First come, first serve: Die ersten zwei Einsender/innen gewinnen mit der richtigen Antwort eine der Veröffentlichungen (soweit noch verfügbar) als Hardcopy (Kassette) bzw. Download.
Riesenschweine/Benzinprinz: Split2019 cassette, epileptic media
Tintifucks: homeschooled, epileptic media
PFARRE: haecce // hauto, Transformer Music
VOILER: 000, cut surface
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