Hommage a Solidarność
Mit „Female Sensibility“ wird aktuell im Lentos Kunstmuseum eine Vielzahl an Arbeiten aus den 1970er-Jahren präsentiert, die unter dem Begriff „Feministische Avantgarde“ firmieren und Teil der Wiener Sammlung Verbund sind. Bettina Landl hat sich drei künstlerische Positionen näher angesehen: Die von Ewa Partum, Ketty La Rocca und Àngels Ribé.
Die Multimedia-Künstlerin Ewa Partum (geb. 1943) zählt zur ersten Generation polnischer Konzeptkünstlerinnen, ebnete den Weg für feministische Performance und Body Art und förderte den politischen Aktivismus des ehemaligen Osteuropa. Indem sie jeden „Denkakt“ als einen „Kunstakt“ fasst, bekräftigt sie die politische Ökonomie von Zeichen und die Materialisierung von Sprache in ihren Arbeiten. 1983 verließ sie Polen und zog nach Berlin. Aber beginnen wir mit ihrem Schaffen in Polen: Anfang der 1970er-Jahre gründete sie nach Studien in Łódź und Warschau die Galerie Adres in ihrer Wohnung. Die Galerie blieb fünf Jahre lang aktiv und widmete sich Konzeptkunst, Mail Art und Theorie. Im gleichen Zeitraum entstanden ihre ersten Installationen und Aktionen im Zusammenspiel mit Poesie, vermehrt im öffentlichen Raum: In „The Legality of Space“ (1971) und „Poem by Ewa“ (1971) sind die Buchstaben, die ihre Gedichte bilden, ausgeschnitten und ins Wasser oder auf die Straße geworfen. 1976 entwickelte sie mit „Drawing TV“ eine Videoperformance, in der sie mit einem Filzstift die Linien und Silhouetten einer Fernsehsendung auf den Bildschirm zeichnet. Ab 1974 realisierte die Künstlerin mit „Change“ eine der bedeutendsten feministischen Performances, die in Form einer Videodokumentation Teil der SAMMLUNG VERBUND und damit Teil der Ausstellung ist. Vier Jahre später fand die Arbeit in „Change. My Problem Is a Problem of a Woman“ (1979) ihre Fortsetzung. Dabei lässt sich Partum von einer Maskenbildnerin eine Hälfte ihres Gesichts und Körpers „alt“ schminken, begleitet von Kommentaren ihrer Künstlerkolleginnen Valie Export und Urlika Rosenbach. Ein weiteres Element der Arbeit ist die Bildunterschrift: „Auf den Boden habe ich geschrieben: ein Künstler hat keine Biografie. Eine Künstlerin hat jedoch eine. Es ist wichtig, ob sie jung oder alt ist.“ 1980 produzierte sie „Auto-Identification“, eine Serie von Fotomontagen, die sie als Protest gegen die standardisierte Rolle der Frau in einer stark patriarchalischen kommunistischen Gesellschaft verortete: Dabei ging sie nackt durch den öffentlichen Raum, positionierte sich vor dem Parlament und in der Nähe einer Gedenkstatue von Warschau. Die Regierung verbot die Aktion. Einige Jahre später präsentierte sich die Künstlerin in Berlin erneut nackt vor der Mauer und hielt die Buchstaben „W“ (West) und „O“ (Ost) in der Hand („Ost-WestSchatten“, 1984). „Hommage a Solidarność“ performte sie erstmals anlässlich des Solidarność-Jubiläums in einer privaten Galerie in Łódź. Partum wiederholte sie ein Jahr darauf in der West-Berliner Galerie Wewerka, die gleichzeitig eine Retrospektive der Künstlerin zeigte. Sie stand nackt vor einem Papiertuch, das sie mit fortlaufenden Buchstaben des Wortes „Solidarność“ (Solidarität), dem Namen einer antikommunistischen polnischen Oppositionsbewegung, markierte – zum Gedenken an die soziale Bewegung, die ihr zufolge selbst in erheblichem Maße künstlerischer Natur war.
Ketty La Rocca (1938–1976) war eine italienische Konzept- und Body-Art-Künstlerin sowie visuelle Poetin. 1964 begann sie mit Collagen und entwickelte ab den 1970er-Jahren performative Serien, in denen sie die „Sprache der Hände“ mit Worten ergänzte. Ihre Untersuchungen galten der Sprache, der sie zutiefst misstraute, den Bildern und stereotypen Zeichen der Alltagswelt – mit dem Ziel, die herrschende Politik der Körper sichtbar zu machen. 1972 war sie mit dem Video „Appendice per una supplica“ (Anhang für eine Bittschrift) auf der Biennale in Venedig vertreten. Darin arbeitet sie mit Spiegel- und Metallobjekten, Textgemälden und einzelnen aus schwarzem Kunststoff gefertigten Buchstaben, die sie an der Wand befestigt oder Skulpturen gleich frei im Raum platziert. Das „I“ und das „J“ stehen dabei für das englische bzw. französische „Ich“. La Rocca präsentierte ihre Textarbeiten auch im Rahmen von Aktivitäten der Gruppo 70, die in Florenz avantgardistische Veranstaltungen organisierte, und veröffentlichte sie in der Zeitschrift Tèchne. Ihr Werk umfasst Schriften, collagierte Kompositionen und Performances. Ausgehend von der „poesia visiva“ (visuellen Poesie) setzte sich La Rocca intensiv mit der Bedeutung und Wechselwirkung von Sprache und Bild auseinander. Zentral ist dabei die Beschäftigung mit der körperlichen Geste als dem zugrundeliegenden Mittel der Kommunikation. In der Serie „Le mie parole e tu?“ (Meine Worte und du?, 1971/72), die im Lentos zugänglich ist, sind Fotografien einer männlichen Hand zu sehen, die von Bild zu Bild jeweils einen Finger weniger ausstreckt. Auf die Fotos hat die Künstlerin neben Linien und grafischen Setzungen mehrfach das Wort „you“ geschrieben – ein Hinweis auf die kleinste Einheit möglicher Kommunikation. Die (aggressive) Adressierung durch das Wort und der Zeigegestus der Hand thematisieren in diesem Kontext (auch) das problematische Verhältnis der Geschlechter. In „Craniologia“ (Schädelröntgen, 1973) schreibt sie das Wort „you“ mehrfach auf ein Röntgenbild ihres eigenen Kopfes, der mit einer geballten Faust überblendet wird, und setzt sich damit kämpferisch mit ihrer eigenen Krebserkrankung auseinander. In Zeiten globaler Kommunikation nutzte sie alle verfügbaren Werkzeuge für ihre entideologisierenden und entmystifizierenden Zwecke.
Die Arbeit „El no vist. El no fet. El no dit (The Unseen. The Unmade. The Unsaid)“ von Àngels Ribé aus dem Jahr 1977 ist eine der jüngsten Ankäufe der Sammlung Verbund. Die assoziativen und symbolischen Funktionen der Kunst wurden im Laufe der 1970er-Jahre neu verhandelt. Das Kunstwerk hörte auf, eine autonome Einheit zu sein, wie es in der Tradition der Moderne üblich war. Seine Bedeutung war immer öfter vom Austausch mit den Betrachter*innen abhängig, indem diese die Mehrdeutigkeit und die Vielfalt der Bezüge und Lesarten eines Kunstwerks offenlegten. Unter diesen Rahmenbedingungen entwickelte die 1943 geborene katalanische Konzeptkünstlerin ihre eigene Sprache, die bis heute durch verschiedene Medien ihren Ausdruck finden. 1969 zog Ribé nach Paris und begann sich vor allem mit der Objekthaftigkeit des Körpers im Raum zu beschäftigen, insbesondere mit der Präsenz ihres eigenen Körpers (als Künstlerin) in Begegnung mit dem des Betrachters/der Betrachterin. Als ein narratives Moment dienen geometrische Formen, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihres künstlerischen Diskurses wurden. Einige Arbeiten Ribés zeichnen sich durch die Verwendung unkonventioneller Materialien wie Schaum, Wasser, Licht und Schatten aus, und spielen mit deren Dekontextualisierung. Wesentlich dabei wirken auch das Interesse der Künstlerin am Zufälligen und Vergänglichen. In den 1970er-Jahren übersiedelte Ribé in die USA, zunächst nach Chicago und wenige Monate später nach New York. In beiden Städten hatte sie Kontakt zu Macher*innen neuer Galerie- und Ausstellungsformate, die sich alternativ zu anachronistischen Institutionspolitiken und als Förderer einer aufstrebenden Kunstszene etablierten. In diesen Jahren realisierte Ribé auch Performances und Installationen, in denen dem Objekt seine künstlerische Einheit abgesprochen wurde; in denen die Präsenz der Künstlerin und ihres Gegenübers zu ihrem Hauptinteresse wurde und damit subjektiver Faktor im Handlungsverlauf – zu einer bestimmten Zeit und an einem konkreten Ort. Ziel war es, in einem Prozess der Entobjektivierung von Kunst die Bedeutungsproduktion des künstlerischen Objekts in Richtung Erfahrung zu verlagern. Es war ein Versuch, das Werk als etwas Nicht-Dauerhaftes zu begreifen, die Qualität des künstlerischen Objekts auf etwas Immaterielles zu übertragen und seine Objektivität zu negieren. Ribés Performances sind geprägt von Kontingenz, der Möglichkeit einer Transformation, vom Vergänglichen. Ribé erweitert ihr Vokabular mittels Intervention von Unbewusstem und Subjektivem in der Wahrnehmung, konjunkturellen Aspekten, der Analyse widersprüchlicher Informationen, ihrer Situation als Frau und ihrer persönlichen Geschichte. „Can’t Go Home“ und „Amagueu les nines que passen els lladres“ (beide 1977) sind Installationen, die über die Möglichkeit des Handelns, über den Gegensatz von Vergangenheit und Zukunft, Realität und Traumwelt, Erinnerung und Sehnsucht reflektieren. Die doppeldeutige Sichtweise, die Ribé in diesen Werken vorschlägt, zeigt eine persönliche, weibliche, fragmentierte und stigmatisierte Vorstellung, aber auch eine Parallele zur politischen Situation des Landes in einer prekären Zeit, zwischen der Last der jüngsten Vergangenheit und der Möglichkeit einer anderen Zukunft.
Gabriele Schor, Kuratorin der Ausstellung und Gründungsdirektorin der Wiener Sammlung Verbund, engagiert sich seit 2004 für „Feministische Avantgarde“ und Aufklärung rund um die Konstruktion des Weiblichen. Die Sammlung befindet sich seit 2010 auf Wanderschaft und war in Rom, Madrid und London. Diesmal wurde sie um 34 internationale Positionen aus Lateinamerika, Nordamerika, Asien sowie aus West- und Osteuropa erweitert. In fünf Bereiche gegliedert, ist (und bleibt) der weibliche Körper als Träger gesellschaftlicher Erwartungshaltungen im Fokus, der von der Dominanz eines männlichen Blicks und patriarchaler Machtstrukturen geprägt ist. Dem entgegen wird das Eintreten für die Selbstbestimmung der Frau gestellt, der Anspruch, eine feministische Ästhetik zu etablieren und durchzusetzen.
Female Sensibility
Feministische Avantgarde aus der SAMMLUNG VERBUND
24. 09. 2021 – 09. 01. 2022
Lentos Kunstmuseum Linz
www.lentos.at
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