Edition: ist autonom

Die Linzer Künstlerinnengruppe Edition: gab mit Jänner 2022 ihren Galerieraum auf. Der zukünftige Weg ist, bis auf die Tatsache, dass die Arbeit weitergehen soll, noch offen. Georg Wilbertz hat mit den Betreiberinnen des Vereins für aktuelle Kunst und Kultur gesprochen.

„Der klare Auftrag von Kunst und Kultur einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, kann derzeit nur in sehr beschränkter Form wahrgenommen werden.“
[Homepage Edition:, 2021]

Eine mit Metallgitter versperrte Tür. Am Graben 7 in Linz. Verkehr rauscht dicht und laut vorbei. Die Schaufenster seitlich des Eingangs sind leer, der dahinter sichtbare Raum ebenfalls. Von 2017 bis zum Januar 2022 diente dieser kleine, an einer eher unattraktiven Stelle der Stadt liegende Laden als Kunstraum des Vereins Edition: der autonomen Präsentation von Künstler*innen und ihrer Werke. Er war damit zugleich – wie jeder vergleichbare Raum – die physisch-sinnliche Schnittstelle in die Öffentlichkeit.

Um es gleich vorweg zu sagen: die während der Jahre 2017 bis 2022 im Kunstraum der Edition: gezeigten Ausstellungen, Themen und künstlerischen Positionen waren zu vielfältig und unterschiedlich, dass man eine künstlerische oder ästhetische Linie herauslesen könnte. Dies gilt auch für die Arbeit der fünf Gründerinnen der Edition: Judith Gattermayr, Theresa Ulrike Cellnigg, Costanza Brandizzi, Amanda Burzić und Kiky Thomanek. Ihre persönlichen Arbeitsweisen sind individuell. Im folgenden Beitrag wird es deshalb weniger um ästhetisch-künstlerische Fragen als um die Arbeitsweise und Zielsetzungen der Edition: gehen.

Wie gründe ich eine Künstler*innengruppe? Und warum?
Die Geschichte der Gründungen von Künstler*innengruppen und -zusammenschlüssen ist lang. Es gibt legendäre, gescheiterte, programmatisch ausgerichtete (was letztlich oft zu Streit und Konflikt führte). Es gibt Vereinigungen, die das künstlerische Schaffen mit sozialen Intentionen verbanden und solche, die eher einer Selbsthilfegruppe glichen.

Die Edition: gründete sich aus dem gemeinsamen Hintergrund des Malereistudiums an der Linzer Kunstuniversität (Klasse Ursula Hübner) heraus und verfolgte von Beginn an das Ziel, nicht nur die eigenen Arbeiten zu zeigen, sondern einen möglichst offenen Raum für Künstler*innen anzubieten und diese kuratorisch zu unterstützen. Dass hier fünf Frauen übernahmen, kann als Gegenmodell zu den bereits bestehenden, arrivierten Vereinen in Linz verstanden werden. Die Edition: verfolgte dabei keinen bewusst feministisch ausgerichteten Kunstbegriff. Dies gilt auch für die Programmierung der Ausstellungen.
Die Motivationen, eine Künstler*innengruppe zu initiieren, können vielfältig sein. Im Falle der Edition: waren neben den Beziehungen, die sich während des Studiums ergaben, soziale Intentionen ausschlaggebend. Sie wirken in zweierlei Richtung. Einerseits geht es um die kollegiale Interaktion innerhalb der Gruppe, andererseits um eine als gesellschaftsrelevant verstandene Verortung der künstlerischen Arbeit und Haltung in der Stadt Linz und ihrer Kunstszene.

Vieles von dem, was die Arbeit der Edition: vor allem in der Anfangszeit prägte, wirkt wie zufällig und ungeplant. Es fehlt ein Gründungsmanifest und auch auf eine künstlerisch-ästhetische Programmatik wurde bewusst verzichtet, da die einzelnen künstlerischen Positionen und Interessen innerhalb der Gruppe sehr disparat waren und sind. Sowohl dieser Verzicht als auch die Ungezwungenheit bei der Wahl von Ausstellungsthemen und -teilnehmer*innen ermöglichten einen spontanen, dynamischen Umgang mit dem Thema Ausstellung. Viele Entscheidungen werden nicht in langwierigen Diskussionsprozessen getroffen, sondern es geht den Mitgliedern der Gruppe um Intuition, um das Nutzen der Dinge, die vorhanden sind. Damit spiegelt die Praxis der Edition: nicht nur die künstlerische Herangehensweise ihrer Mitglieder, sondern sie ermöglicht ein Organisieren und Arbeiten ohne lange Vorlaufzeit, das auf wache Weise im Jetzt verortet ist. Gedacht und geplant wurde von Ausstellung zu Ausstellung.

Zur Offenheit der Edition: gehört eine grundsätzliche Akzeptanz gegenüber allen künstlerischen Gattungen. Die Ausstellungsgeschichte umfasst neben installativen Arbeiten auch konzeptionelle Ansätze. Einen Schwerpunkt nehmen die „klassischen“ Disziplinen Malerei und Zeichnung ein. Bei vielen Ausstellungen wurden gattungsübergreifende Symbiosen und Kontexte inszeniert, die innerhalb des Ausstellungsraums komplexe „Erzählungen“ generierten. Raum und Exponate wurden dabei in ein dramaturgisches Wechselverhältnis gebracht. Bei der – oftmals unbewussten – Inszenierung erzählerischer Momente kam dem Ausstellungsraum eine grundlegende Funktion zu. Er wurde selbst zum Akteur.

5 Millimeter weiter links
Neben der künstlerischen Ausbildung bot die Kunstuniversität mit ihren Ausstellungsanforderungen und -angeboten die Möglichkeit, eigenverantwortlich kuratorisch tätig zu werden. Hierbei ging es nicht nur um die Formulierung und Präsentation ästhetisch-künstlerischer Positionen. Wesentliche Aspekte bestanden in grundlegenden Fragen wie der Exponatwahl, der Hängung, der Gestaltung von Räumen und dem Herstellen von Kontexten. Die Erfahrungen aus der kuratorischen Praxis, die während des Studiums an der Linzer Kunstuniversität gemacht wurden, bildeten die Basis für das eigene Kuratieren („Die Arbeit an der Uni war einfach zu wenig“). Bezüglich des Kuratierens gelangten alle Mitglieder der Edition: durch die Tätigkeit im eigenen Kunstraum zu mehr Wissen über die Details und Feinheiten bei der Planung und Durchführung von Ausstellungen. Dieses Wissen wird inzwischen souverän und selbstbewusst auf andere Räume und Formate übertragen.

Obwohl die fünf Mitglieder der Edition: schon während des Studiums mit der Gründung der Gruppe ein deutliches Zeichen in Richtung Abnabelung gesetzt haben, blieben die Beziehungen zum Kunstuniumfeld eng. Vor allem bei der Auswahl der Ausstellenden griff man meist auf persönliche Kontakte zurück. Eine stärkere Verankerung über Linz hinaus war zunächst nicht das Ziel.

Autonomes Handeln, autonome Kunst
Im Zentrum der Aktivitäten der Edition: steht der Begriff der Autonomie. Einer Autonomie, die sich nicht nur auf einen möglichst freien, selbstbewussten Kunstbegriff bezieht, sondern durchaus strukturell verstanden werden will. War es am Beginn eher dem Zufall geschuldet, dass keine öffentlichen Förderungen beantragt wurden, entwickelte sich diese Haltung mehr und mehr zum Konzept einer unabhängigen Arbeitsweise. Die Edition: war vom Zwang, Jahresprogramme und langfristige Planungen in Förderanträge zu packen, befreit. Entsprechend flexibel, schnell und reaktiv konnten Ausstellungen und Events in der Galerie realisiert werden. Der eigene Raum bot hierzu den idealen, selbstbestimmten Rahmen. Mit der bewussten Entscheidung, den Raum am Graben im Jänner 2022 aufzugeben, wird sich zwangsläufig diese Freiheit in eine andere Arbeitsweise transformieren müssen. Ein „gemütliches Zurücklehnen“ im bisher Bekannten wird ausgeschlossen. Welche Räume (ob virtuell oder real) nun bespielt werden können, steht noch nicht fest. Jedenfalls wird sich zwangsläufig der Planungshorizont erweitern. Eine Konsequenz, derer sich die Mitglieder der Edition: bewusst sind und die sie als grundlegende, inspirierende Veränderung wahrnehmen. Aus der Entscheidung, den eigenen Galerieraum zu kündigen, spricht ein durch den Erfolg der letzten Jahre gewachsenes Selbstbewusstsein.

In die Endphase des Galerieraums fiel die auf Einladung von Rainer Nöbauer in der Galerie Maerz gezeigte Gruppenausstellung der fünf Editorinnen „Was reimt sich auf Edition?“ (dokumentiert im gleichnamigen Katalog). Auch in diesem Titel spiegelt sich die Arbeitsweise der Gruppe, kann er doch, neben anderen Assoziationsmöglichkeiten, als eine unmittelbare Aufforderung zum Weiterdenken, Weiterdichten, Weitersprechen verstanden werden.

Der zukünftige Weg der Edition: ist, bis auf die Tatsache, dass die Arbeit weitergehen soll, (noch) offen und unbestimmt. Ohne eigenen Kunstraum werden Kooperationen und die Verwirklichung von Projekten in anderen Räumen und Kontexten im Zentrum stehen. Bei aller inzwischen erreichten Professionalisierung steht damit vieles wieder auf Anfang.

 

Mehr zur Edition: www.editiondoppelpunkt.at

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