DIE BETRACHTERIN. Foto Margit Greinöcker

Frauenbilder im Mariendom

Mächtig erscheinen die Glasfenster des Linzer Mariendoms und ebenso mächtig auch so manche männliche Figur, die auf den Fenstern zu sehen ist. Wie aber sind hier die Frauen dargestellt? Im Dom rücken die Künstlerinnen Zoe Goldstein und Margit Greinöcker die Frauenbilder ins Zentrum. Silvana Steinbacher hat sich das Projekt angesehen.

Die Lichtspiele in den Glasfenstern, die Stille und der Raum einer Kirche lösen in mir eine beruhigende und meditative Wirkung aus. Kürzlich aber hat sich meine Wahrnehmung und mein Blickwinkel im Linzer Mariendom im wahrsten Sinn des Wortes erweitert und das kam so:

DIE BETRACHTERIN
Bei einer Ausstellungseröffnung im April im Dom wurde das Projekt DIE BETRACHTERIN der Linzer Künstlerin Margit Greinöcker präsentiert. Wie wirken die Frauenbilder auf den Fenstern, wie verhalten sie sich darauf, erscheinen sie stark, selbstbestimmt oder nehmen sie eher eine Statistinnenrolle ein? Margit Greinöcker fokussiert in ihrem Projekt die weiblichen Verkörperungen in verschiedenen Perspektiven. Aus der Fülle an Abbildungen, Geschichten und Erzählungen zoomt sie mit Hilfe von Fernrohren einzelne Frauen heran und bringt sie so den Betrachtenden im wahrsten Sinn des Wortes nah, verleiht ihnen dadurch Größe. Doch damit nicht genug, die Künstlerin ergänzt ihre künstlerische Zugangsweise durch eine wissenschaftliche und zielt auch auf den Blick von außen. Neun Expert:innen aus verschiedenen Fachrichtungen nehmen mit aktuellen Recherchen an dem Projekt teil und schärfen so das Bild der Frauen im Dom. Im Abstand von zwei bis drei Monaten sollen die gezoomten Ausschnitte jeweils durch neue ersetzt werden. Die Texte der Recherchen können die Besuchenden des Doms auf einer Pyramide lesen, durch ein Okular ist das jeweilige Frauenbildnis zu betrachten. Bereichernd erscheint mir, dass die Expert:innen in den Texten auch zu anderen Bezugspunkten assoziieren können, dazu ein Beispiel: In einem der Glasfenster ist die Heilige Valeria, so wie meistens, an der Seite des Heiligen Florian zu sehen. Dargestellt ist sie mit den Gesichtszügen eines Chorherrn. „Davon ausgehend erinnert ein Text an die Heilige Kümmernis, die auch Fragen nach der Queeridentität aufwirft. In den Heiligenlegenden finden sich immer wieder genderfluide Erzählungen auf Bildern“, sagt Margit Greinöcker.
Die Heilige Kümmernis fällt nicht nur aufgrund ihrer Widersetzlichkeit, sondern auch aufgrund ihres Aussehens auf. Ihr Vater, ein heidnischer König, wollte seine zum Christentum bekehrte Tochter zu einer Heirat zwingen. Dagegen wehrte sie sich. Ihre inständigen Gebete, verunstaltet zu werden, um dieser Heirat mit einem Heiden zu entgehen, wurden erhört: Ihr wächst ein Bart. Der erboste Vater ließ sie daraufhin ans Kreuz schlagen. Die frühesten Darstellungen aus den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts zeigen sie als junge Frau, bärtig und gekrönt, mit deutlich weiblichen Gesichtszügen und Körperformen, in langem Rock und mit Stricken ans Kreuz gebunden.

Licht. Schatten. Dasein
Das Gesamtprojekt startete bereits vor einiger Zeit, seit zweieinhalb Jahren beschäftigen sich Studierende der Katholischen Privat-Universität Linz mit der Darstellung von Frauenbildern im Mariendom. Dieses interdisziplinäre Seminar leiten die Architekturhistorikerin Anna Minta und die Theologin Martina Resch. Die knappe, aber sehr informative Broschüre Licht. Schatten. Dasein wurde erarbeitet. Das Vierer-Team Margit Greinöcker, Anna Minta, Martina Resch und Zoe Goldstein, von der noch die Rede sein wird, bildet sich für das Projekt DIE BETRACHTERIN und DIE DARSTELLERIN.
Auch die Forschungen an der Universität bestätigen, was viele schon vermuteten: Die Frauenbilder im Mariendom verfestigen die hierarchische Ordnung zwischen den Geschlechtern, Frauen werden in althergebrachten Rollen gesehen, sie erscheinen meist nur marginal, spielen quasi eine Statistinnenrolle, körperlich sind sie klein und stehen in der zweiten Reihe. Die Betrachtenden könnten also den Schluss ziehen, die Frauen dienten nur dazu, die dargestellten Männer in ihrer Welt zu unterstützen. Dieses Großprojekt, das die Frauen in den Mittelpunkt rückt, verleiht ihnen Identität, laut und vernehmlich scheinen sie zu behaupten: „Hier bin ich.“

Die Glasfenster
Die Größe der 42 Fenster des Lang- und Querhauses des Linzer Mariendoms ist dabei beeindruckend: 18 m2 messen die unteren, 26 m2 die oberen Fenster. Sie überraschen durch ihre für Kirchenfenster unüblichen Farben und die Abbildung realer Menschen.
Die Bildfenster des Linzer Mariendoms sollten neben biblischen Motiven auf Wunsch des damaligen Bischofs Rudolph Hittmair im Jahr 1910 „Land und Leute“ zeigen, gewissermaßen die Region widerspiegeln. Doch was die Frauendarstellungen betrifft, so sind in den Fenstern eher entindividualisierte Frauen zu sehen, teils auch die Heilige Familie. Die Abbildungen haben mit der Realität des beginnenden 20. Jahrhundert in Oberösterreich und Linz – ich denke etwa an das hauptsächlich weibliche Arbeiter:innenproletariat in den Tabakfabriken – wenig zu tun.

DIE DARSTELLERIN
Die Fotografin Zoe Goldstein transferiert mit ihrem Projekt DIE DARSTELLERIN fotografisch und in Form eines Modells die historische Glasfenster-Darstellung Pilgerfahrt II mit neu verteilten Rollen ins Heute. Sie vertauscht dabei die Geschlechterrollen und betrachtet dadurch die Rollenzuweisungen in Gesellschaft und Kirche. Bei ihrem Projekt soll die männliche Dominanz in eine weibliche Bildsprache übersetzt werden.
Ausgehend vom Glasfenster Die Pilgerfahrt II entwickelt Goldstein eine Kulisse, die zum fotografischen Hintergrund für die Neuinszenierung des Sujets wird.
Zoe Goldstein baut dazu die Pilgerfahrt II-Darstellung dreidimensional in einem Glaskasten nach, sie stellt das Motiv anhand einer Fotografie im Studio nach und nimmt einen Geschlechtertausch vor. So sind bei Zoe Goldstein viele Frauen und zwei Männer und nicht wie auf der Abbildung im Dom viele Männer und zwei Frauen zu sehen. Die Personen auf ihrer Arbeit, die sie im Dom aufbaut, tragen zeitgenössische Kleidung. Die Szenerie des Originals wird neben der Fotografie als begehbare Kulisse aufgestellt. Präsentiert wird DIE DARSTELLERIN im Rahmen der Langen Nacht der Kirchen am 10. Juni und auch bei der Langen Nacht der Bühnen einen Tag später.

Eine Anmerkung zum Schluss: Wussten Sie eigentlich, dass aufgrund einer kaiserlichen Verordnung der 1924 nach 62-jähriger Bauzeit eingeweihte Linzer Mariendom zwei Meter niedriger errichtet werden musste als der Wiener Stephansdom? Mit einer bebauten Fläche von 5851 Quadratmetern ist der Linzer Dom aber die größte Kirche Österreichs.
Um Größe, Macht und Dominanz entsteht anscheinend unweigerlich und überall ein Wettkampf. Und das ist, so wie in vielen Bereichen, auch heute noch zwischen den Geschlechtern so. Dieses Großprojekt lässt die Frauenbilder wachsen und erstarken, sie werden dargestellt und betrachtet, vergrößert, erforscht und es wird wohl nicht nur kirchliche Vertreterinnen ermuntern, selbstbewusst zu äußern: Hier bin ich.

 

Frauenbilder im Mariendom: Broschüre: Licht. Schatten. Dasein Download: ku-linz.at/fileadmin/user_upload/FB_Kunstwissenschaft/Personen/Material_Minta/2021_LichtSchattenDasein_hg._Minta_Resch.pdf

Margit Greinöcker DIE BETRACHTERIN

Zoe Goldstein DIE DARSTELLERIN

Linzer Mariendom
Präsentation im Rahmen der Langen Nacht der Bühnen Mariendom
11. Juni 2022, 20:00 Uhr
Inszenierung eines Textes von Maynat Kurbanova mit Musik unter der Leitung von Elena Pierini Talk zum Thema Freiheit des Aufbruchs und Zwang zur Flucht im Dom

Margit Greinöcker ist mit ihren künstlerischen Positionen im In- und Ausland aufgefallen. Sie spannt in ihren Arbeiten einen Bogen von temporären Bauten oder ortspezifischen Handlungen bis zu experimentellen und dokumentarischen Videoproduktionen und rückt sehr oft feministische Themen ins Zentrum ihrer Arbeiten, zuletzt war sie in Linz durch das Projekt WALK OF FEM auf der Ernst-Koref-Promenade präsent.

Zoe Goldstein ist Portraitfotografin. Die Rolle der Geschlechter sowie die der stereotypen Körpersprachen sind wiederkehrende Motive und Themen in ihren Projekten.
„Mich faszinieren die Fragen der Wirkung und Auswirkung von Bildern: Inwieweit werden Frauen sichtbar, inwiefern hat sich das Bild, die Geschlechterrolle im Lauf der Zeit verändert?“, sagt Zoe Goldstein.

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