Klangneukirchen
Im August verwandelt sich Gallneukirchen zu Klangneukirchen. Zu verdanken ist das den Nahversorger:innen des Kulturvereins Klangfolger, die das Klangfestival veranstalten. Galli, wie es der Volksmund so schön verniedlicht, ist damit ein weiteres „Nest der Unbeugsamen“ im unerschütterlichen Pool der Mühlviertler Gegenkultur. Es reiht sich damit in eine illustre Schar von Dörfern ein wie O-Heim (OTTO), Ulrichsberg (Jazzatelier) oder gar Schwertberg (mit seinem „verflossenen“ Kanal). Gallische Dörfer, in denen auch Obelix seine Wildschweine zur widerborstigen Musik verschlingen würde. Sagt Christian Wellmann.
2008 beginnen sie, unter dem Namen Klangfestival auf einem Bauernhof in Galli neben dem Festival kleine Konzerte, Lesungen oder Performances zu veranstalten. Acht Jahre später entsteht die Möglichkeit, in einen Leerstand im Ort reinzukommen – der Nähstand, wo früher eine Nähstube drinnen war. Dieser wird Klangfolger genannt, was im weiteren zur Umbenennung des Vereins führt, der zusätzlich Kooperationen und Aktivitäten im experimentellen Kunstfeld betreibt.
Klangfolger ist der Überbegriff, der sich übrigens vom biologischen Terminus Kulturfolger herleitet: So werden Tiere bezeichnet, die der Zivilisation folgen. „Wie ein Fuchs, der in die Stadt rennt, weil er dort Essen findet. Wir suchen auch unsere Nischen und Leerstände, die wir bespielen können“, erklärt Thomas Auer vom Klangfestival-Team. Leerstände sind ein zentraler Punkt in ihren Aktivitäten. „Das Thema Leerstand nach Gallneukirchen zu bringen, war uns immer wichtig. Jetzt ist es ein prominentes Thema – wie geht man damit um? Speziell mit Klangfolger, wo wir den Leerstand der alten Nähstube genützt und in drei Monaten dreizehn Konzerte gemacht haben. Und damit viele Leute dazu gebracht haben, vorbeizuschauen. Das hat viele überrascht. Und den Leerstand zu aktivieren, hat im Ort tatsächlich was gebracht.“ Der Kulturverein lebt vom Kommen und Gehen, dem Austausch der Leute, die ihm Leben einhauchen. Der Großteil der Gruppe stammt aus der Stadtgemeinde, nun verstreut als Galli-Linz-Wien-Connection. Inzwischen umfasst das Kernteam 14 Leute, die in unterschiedliche Arbeitsgruppen und Kuratorien aufgeteilt sind. 20 bis 40 helfen dazu vor Ort. Die Musikauswahl ist aber nach wie vor ein kollektiver Prozess. Der experimentelle Kunstzugang eint, „trotzdem hat jeder seinen eigenen Zugang zur Kunst. Das clasht alles gut zusammen“, so Bernhard „Bune“ Forstenlechner, ein weiteres Teammitglied.
Die jeweiligen Klangfestivals stehen unter einem Motto, vermischen immer neue Kunstdisziplinen und toben sich experimentell aus. co/op, die 2022er-Ausgabe im August, wirft die Frage auf, wie Kollektive arbeiten. „Das ist kein Leitmotiv im klassischen Sinn, sondern steht für uns als Überthema, weil wir nicht nur das Festival haben, sondern auch Zines und vieles mehr. co/op ist der Abschluss einer Reihe, die zwischen Solidaritätsbegriff und Angst (in einer schrägen Gesellschaft) schwankt. co/op ist schlussendlich als Begriff von der Gaming Szene ausgeborgt“, so Auer.
Von Freejazz bis Popmusik, sind die elf auftretenden Acts experimentell und noisy – „eine flashige Bandbreite“, wie das Klangfolger-Team betont. An dieser Stelle soll jetzt nicht näher auf das Musikprogramm eingegangen werden: Informationen dazu bitte der Webseite entlocken, die das sowieso besser verdeutlicht. Sondern es geht hier um das größere Ganze: Eröffnet wird in der alten Feuerwehrhalle und am Samstag im alten Hallenbad – zwei weitere Leerstände, die der Verein nützt. Zum Rundherum sei nur so viel verraten, dass neben performativen Interventionen einige Überraschungen passieren werden, die den Festivalablauf bewusst stören. Nach den Konzerten kann man nicht sicher sein, ob sie wirklich vorbei sind. Musik steht heuer noch mehr im Mittelpunkt. Das beim zweitägigen Festival präsentierte Computerspiel und das Zine beziehen sich auf die Musik. Alles ist diesmal aber mehr zusammengesponnen als sonst.
Gerade wird ein Computerspiel entwickelt, ein zentraler Part im Gesamtkonzept – am Festival wird es den ersten Prototypen von „Klangfenigma“ geben. „Das ist alles irgendwie zufällig entstanden, während der Pandemie. Da ist das Gaming wieder zentral geworden und irgendwann ist die Lust aufgekommen, ein eigenes Spiel zu entwickeln. Es ist ein Konzept entstanden, wie wir das mit dem Klangfestival verbinden können. Sechs Leute sind involviert, vom Sound- über Grafikdesign bis zum Programmieren“, beschreibt Thomas Auer das Tool, das das Kollektive und das Organisieren des Festivals in ein Computerspiel packt. Dazu wird Galli mit den Locations in 3-D nachgestellt. Die Spieler:innen halten sich dort als Kulturverein auf und müssen alles meistern, was Kulturarbeit so süß und zäh mit sich bringt – vom Förderansuchen bis zum Bandchecken.
„Man kann eigentlich schon sagen, dass wir ein ‚Artsy-Fartsy-Festival‘ sind, aber schon noch ein bisserl Punk. Trotzdem mit Punk im Herzen“, sieht das Auer mit einem Zwinkern. „Im Herzen immer Punk, auch wenn der Kopf was anderes sagt“, ergänzt Marlene Haider, vom Zine-Redaktionsteam. Das Zine umfasst eine Arbeitsgruppe von fünf Leuten und erscheint zum vierten Mal seit 2019, prinzipiell immer zum Festival. Hand- und selbstgemacht, unterscheiden sich die Inhalte fast schon radikal zur Vornummer. Eine vielfältige Mischung aus Bild/Illustration und Text – literarisch oder theoretisch. Auf der Suche nach immer neuen experimentellen Verknüpfungen. Und mit aufwändigen Techniken gedruckt, wie die 2021 erschienene Riso-Ausgabe („SYN:COPE“). „Manchmal sind wir wahnsinnig“, schmunzelt Haider, die für das Zine-Kuratorium zuständig ist. „Die ersten drei Hefte waren Open Call, das neue ist kuratiert. Wir versuchen jetzt mehr Künstler:innen vom Festival einzubauen.“ Im Zuge der Präsentation sind außerdem Performances beim Festival geplant. Die limitierten Zines sind über ihre Webseite zu beziehen.
„Wie sieht das Ganze eigentlich der Ort?“, fragt die Referentin in die Runde. „Vor dem Machtwechsel in Galli war das schwierig, da hat es schon politische Querelen gegeben. Nun gibt es erstmals einen SPÖ-Bürgermeister. Wir sind zwar nicht angefeindet worden, haben aber gerne provoziert. Wir haben reklamiert, wir brauchen ein Kulturzentrum, Leerstände, etc. Von der Bevölkerung werden wir eher gut aufgenommen. So haben wir 2018 eine Künstlerin gehabt, die eine ‚Jodel-Performance‘ mit Leuten von Galli im Ortszentrum gemacht hat“, so Auer. „Für manche wirkt das sicher so, als ob einmal im Jahr ein Ufo landet und wieder verschwindet. Aber wir hinterlassen auch Sachen – wie die Leerstände. Am Festival entsteht kein ‚Bubble Feeling‘, die Hälfte vom Publikum ist aus Gallneukirchen. Viele Leute, die zum ersten Mal improvisierte Musik hören und das dann cool finden. Die Stimmung ist speziell, das sagen die meisten.“
Ähnliches hebt Marlene Haider hervor: „Leute vom Ort, die sagen, dass sie sich darauf freuen – oder: Gibt’s wieder so was Schräges wie mit der Harfe? Es ist total schön, wenn man die Leute mitnehmen kann. So ist sogar das lokale Fußballteam (‚Die Galliatoren‘) einmal dazugestoßen.“ Bernhard Forstenlechner erinnert sich an einen ganz speziellen Auftritt: „Es war schon immer unsere Idee, eine New-Orleans-Brass-Band-Geschichte zu haben. Gegipfelt ist das 2019 in Vabrassmas, mit dem Gigi Gratt und seiner Partie. Ein Brass-Festivalzug vom Hauptplatz weg, der super im Ort aufgenommen worden ist. Wir sind da und laden euch ein, marschiert’s mit uns mit.“ Anfangs wurde noch in der Schulküche selber gekocht – doch Rehwürstel vom regionalen Jäger und syrische Küche, die später geboten wurden, dürften nicht nur Obelix eher zusagen …
Um in der kargen Pandemiezeit kulturell am Ball zu bleiben, entstand 2021 die Idee vom Klangfestival on Tour: „Wir haben wegen Planungsunsicherheiten überlegt, kein herkömmliches Festival zu machen. Das war uns zu unsicher, daraus entstand der Gedanke, auf Tour zu gehen. Je einen Abend in Wien, Linz und Galli zu machen. Und das Festival damit auf drei Orte zu verstreuen. In Wien haben wir außerdem einen Zweigverein gegründet, die Klangfolgerin“, so Forstenlechner. „Naiv wie wir sind, haben wir gedacht, dass das weniger Arbeit wird … Es war aber ein sehr intensiver Sommer. Schön, aber intensiv“, findet Haider.
Fast schon zum Drüberstreuen gibt es noch eine 5-CD-Box („remote“) von Artists, die bei den Festivals dabei waren: Konzertaufnahmen und exklusive Premieren. Schon seit den Anfangstagen ist ein eigenes Label geplant – mit Klangfolger-Records haben sie sich damit quasi selbst beschenkt. Es werden weitere Tonträger folgen, so werden alle Liveshows aufgenommen – eine Schallplatte wäre ein feines Ding, sprengt aber noch das Budget.
Mittlerweile hat man sich über die Jahre hinweg mehr professionalisiert und immer mehr Sponsoren gefunden. Besonders spannend ist ein neues Klangfolger-Projekt, das als fixe Kultureinrichtung in Galli geplant ist. „Wir haben auch um EU-Gelder angesucht. Also eine Leader-EU-Basisförderung für einen Leerstand, das alte Hallenbad, das quasi ein Kulturzentrum werden soll. Das Festival wird am Samstag in diesem Bad eröffnet. Es steht seit 2013 leer – seit Jahren versuchen wir, dort reinzukommen. Jetzt ist es endlich so weit, es wird erstmals bespielt“, erklärt Thomas Auer die ambitionierten Pläne des Zwischennutzungsprojekts, das danach permanent genutzt werden soll. Neben dem (bereits eröffneten) Alten Bauhof in O-Heim und der Schießhalle in Linz ist das eine weitere Kulturinstitution, die hoffentlich bald für verschärfte gallische Verhältnisse sorgen wird. Fahr nicht fort, sauf im Ort – oder, besser: Klang im Ort und alle sind dort.
Klangfestival // co/op
19./20. August 2022
Gallneukirchen
klangfestival.at
Anreise: Öffentlich gut erreichbar mit Bus vom Bahnhof Linz, Shuttle zurück nach Linz. Gratis Campingplatz. Festivalpass zu korrektem Preis.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!