Klimawandel: Anleitung zum (Un)Glücklichsein
Der Klimawandel ist nicht zu stoppen. Es stellt sich nur die Frage, um wieviel Grad sich die Welt in den nächsten Jahren erwärmen wird. Die Gesellschaft bekommt das Resultat von Industrialisierung und Kolonialismus beispielslos und mit unglaublicher Wucht zu spüren. Wie wird die Umwelt aussehen? Können wir Auswege finden? Wird sich die nächste Generation krisenresistenter und demnach resilienter ausrichten? Gerade wegen des globales Problems argumentiert Christoph Wiesmayr für ein umso konsequenteres lokales Agieren – und stellt exemplarisch das Modell der Tiny Forests vor.
Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass Medien von Krisen auf unserem Planeten berichten. In meiner Jugend war Tschernobyl, der Jugoslawienkrieg, später der Irakkrieg präsent. Heutzutage fühlt man sich von der Flut an gleichzeitig stattfindenden Krisen ohnmächtig, hilflos und die Lage scheint aussichtslos. Die „Generation Greta“ verkündet ihren Unmut auf der Straße, sie mischt sich ins politische Geschehen ein, prägt einen nachhaltigen Lebensstil und fordert mehr als nur das ernüchternde Blabla der Regierungen ein. Gerade diese Generation ist es, die Probleme nicht mehr vor sich herschieben kann und die Lösungen finden muss.
Don’t panic!
Die Gesellschaft sollte sich nicht in Gut und Böse spalten lassen. Die größten zivilisatorischen Errungenschaften sind aus einem breiten Gemeinschaftsverständnis entstanden. Doch wie im Alltag ethisch korrekt handeln? Wer zieht wo die Grenze? Gibt es berufliche Aussichten und Aufgaben, die mein ethisches und nachhaltiges Lebensmodell unterstützen? Finde ich überhaupt Arbeit in meiner Umgebung, die diese Werte authentisch vorlebt? Wie versorge ich mich im Alltag, was koche ich heute? Brauche ich unbedingt ein Auto? Komme ich auch ohne Flugzeug ans Urlaubsziel? Und endet es mit der Frage, ob man eine Bio-Banane noch ohne Bedenken genießen darf?
Verzicht – einfach weglassen?
Entschleunigung kann man lernen. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich 2006 den Fernseher aus dem studentischen Wohnzimmer samt meinem fahrenden Untersatz losgeworden bin. Anstelle des Autos habe ich die Zeit im Zug genießen können, trotz längerer Fahrzeit. Lesen und Arbeiten, seine Gedanken schlichten und dabei das Auge auf die vorbeiziehenden Bergkulissen des Pyhrn-Priel oder ins schöne Enntstal schweifen lassen. Auf die vielen Tunnelabschnitte von Linz nach Graz und das ewige Herumkurven um den Wohnblock, bis man endlich den einen freien Parkplatz bekommt, konnte ich leicht verzichten. Wenn ich aus dem Zug aussteige, fühle ich mich meistens erholt. Nach einer Autofahrt gerädert.
Die Frage ist; was tritt an Stelle des Verzichts!?
Streamen ist das neue Fernsehen. Wir lügen uns an, wenn wir großartig verkünden, dass wir den Fernseher samt schwachsinningen Fernsehprogramm und Werbung losgeworden sind. Im gleichen Moment ertappen wir uns dabei, dass wir eigentlich nur in ein anderes Konsumverhalten abgebogen sind – und die Abhängigkeiten verlagert wurden. Ohne Smartphone und der digitalen Cloud wären wohl viele von uns nicht mehr lebensfähig. Die Covid-Pandemie hat uns ans Zuhause gefesselt und es wurde auf das so genannte Home-Office umgestellt. Peter Weibel feiert in seinem Essay vom April 2020, dass endlich die Zeit der Telegesellschaft zum „Alltag“ geworden ist: „Wir sind endgültig in die digitale Welt umgezogen. Als ich in den 1990er-Jahren für virtuelle Welten und Online-Kommunikation votierte, stand ich auf verlorenem Posten. Meine erste Ausstellung im ZKM 1999 hieß net_condition und trug den Untertitel Kunst/Politik im Online-Universum. Ich war damals ein einsamer Rufer in der Wüste des Realen. Heute ist diese Wüste überbevölkert.“1
Entwurzelte Gesellschaft.
Unser Planet wird digitalisiert, die reale Umwelt um uns ist verbaut und die Stadtlandschaft verschandelt. Wer geht da noch gerne in unseren Städten spazieren, wo Fußgänger und Radfahrer keinen Platz haben und Steinwüsten die Stadt dominieren und überhitzen. Kein Wunder, dass viele in die digitale Blase abrutschen und für die nötigen und sinnstiftenden Handlungen im „Real-Life“ keine Zeit zu sein scheint. Wo gibt es noch Platz in der Stadt für Natur und die damit verbundenen sinnlichen Erfahrungen. Für mich ist die „Telegesellschaft“ eine entseelte und sinnentleerte Gesellschaft, die Flucht in eine Parallelwelt ein lebensfremdes Modell. Ich verstehe dies als Weckruf, um sich wieder mit seiner Umwelt und konkret mit dem Boden, auf dem wir stehen, zu verbinden! Die direkte Kommunikation mit unserer Umwelt muss wieder erlernt werden!
Die Natur einverleiben – Die Kunst und die Lust, den Genuss am Leben nicht zu verlieren.
Mit ihrer Organisation der Linzer Biene betreut Katja Hintersteiner und ihr Team Bienenvölker auf mehreren Standorten in der Stadt. Seit 2013 wird von ihr auch bei uns am Hollabererhof wieder Honig produziert. Honigverkostungen von den diversen Standorten stehen immer wieder auf ihrer Agenda. Das Bemerkenswerte daran ist, dass in fast allen Fällen bei den anonymen Testverfahren der Honig vom eigenen Standort am besten schmeckt! Laut ihren Aussagen scheint der Geruchssinn ein wesentlicher Faktor dafür zu sein. Ein Beweis für mich, dass wir mit allen Sinnen, mit unserer vertrauten Natur, bewusst oder auch unbewusst in Verbindung stehen (können).
Tiny Forests – Neue Wurzeln braucht die Stadt.
Diese und weitere sinnstiftende Erfahrungen aus dem Garten haben mich dazu bewogen, seit 2020 das Projekt Klimaoase mit meinem Verein Schwemmland am Hollabererhof zu entwickeln und ein breiteres Programm für umweltbewußtseinsbildende Maßnahmen auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Zentrum des Gartens wurde ein Tiny Forest auf 200 Quadratmetern angelegt. Zuvor war die Fläche noch als Gemüseacker genutzt. Mit fachlicher Unterstützung von Peter Sommer wurden 2021 regionale Au-Gehölze, darunter diverse Weidensorten angesetzt.
Was sind Tiny Forests?
Tiny Forests sind urbane Mikrowäldchen und wurden vom japanischen Botaniker und Professor Miyawaki in den 1970er-Jahren erfunden. Die dicht bepflanzen Wälder verweisen auf eine hohe Artendiversität und können schon ab der Größe eines Tennisplatzes gedeihen. Bekannt als Miyawaki-Wälder, wachsen die Bäume schneller und absorbieren mehr CO2 als Plantagen, die für Holz angebaut werden.
Gegen Versiegelung.
Der Tiny Forest in der Klimaoase ist ein aktiver Beitrag gegen weitere Versiegelung der letzten Auboden-Habitate im Gebiet. Der sedimentreiche Donau-Auboden am Standort bot die Grundlage für fruchtbare Gemüsegärten meiner Familie. Dieser musste aber immer wieder mit organischem Dünger vermengt werden. Ein Tiny Forest macht das durch seine Waldkreislaufproduktion automatisch, verbessert dadurch die Bodenqualität und speichert CO2 in den Boden ein. Durch die Wurzelbildung werden verdichtete Erdschichten durchbrochen, der Wasserhaushalt verbessert und es wird die Aktivität von Bodenlebewesen gefördert.
Klimatische Verbesserung.
Die Klimaoase und der neue Tiny Forest tragen zur Verbesserung des Stadtklimas bei. Durch zusätzliche Beschattung und CO2- sowie wasserspeichernde Fähigkeiten des Bodens kühlen die Mikrowäldchen den Standort und produzieren wertvollen Sauerstoff.
Aktive Nutzung.
Der Überschuss der diversen Weidenarten wird in Zukunft für Workshops im Garten direkt genutzt. Einsatzmöglichkeiten dafür sind vielseitig; für Weidenzaunbau, als Unterkonstruktion für Lehmwände oder Material für Weidenflechtkurse. Auch Tee kann aus der Weidenrinde gewonnen werden, er hat aspirinartige Wirkung. Durch die Verwendung der Weiden vor Ort können unter fachlicher Begleitung traditionelle Handwerksmethoden wiederbelebt und weiterentwickelt werden.
Big Forest vs Tiny Forest.
Großflächige Waldbrände und Borkenkäferbefall setzen den Wäldern weltweit zu. Tiny Forests bringen durch ihre überschaubare Größe den Wald näher in die Stadt und somit zu den Menschen. Man kann in nächster Nähe die Funktion eines Waldes erleben und anschaulich verstehen lernen. Tiny Forests ermöglichen eine verbesserte Aufenthaltsqualität in den Städten. Das Mikro-Auwäldchen in der Klimaoase ist außerdem eine Referenz an die verschwundene Lustenau im Linzer Industriegebiet und steht generell für das biodynamische System Auwald, welches nachweislich ein widerstandsfähiges System in Zeiten des Klimawandels darstellt.
1 Peter Weibel, Der Standard, 5. April 2020: www.derstandard.at/story/2000116482357/virus-viralitaet-virtualitaetder-globalisierung-geht-die-luft-aus
Veranstaltungen im September:
17. und 18. September 2022: „Korbsalix“-Workshop
24. und 25. September 2022: Lehmbau-Workshop
Workshop-Angebot und mehr auf: schwemmland.net
Lesestoff der Mut macht:
• Harris C. M. Tiddens; Wurzeln für die lebende Stadt.
Wie wir die Eigenverantwortung von Stadtteilen stärken können und warum diese mehr Wertschätzung verdienen.
• Klaus Hubelmann, Eric Albrecht; Generation Greta
Was bewegt Hunderttausende Jugendlicher, auf die Straße zu gehen? Welche Werte, Ziele und Vorstellungen haben sie für ihr Leben und die Zukunft unserer Gesellschaft? Wie denkt die Generation Greta über Einwanderung, Heimat, Europa, soziale Gerechtigkeit, Bildung und Ausbildung, Partnerschaft und sexuelle Identität?
• Bernd Sommer, Harald Welzer; Transformationsdesign
Wege in eine zukunftsfähige Moderne.
• Verein Schwemmland, TREIB.GUT#7; Boden wieder gut machen.
Das Projekt der Klimaoase im Linzer Osten wird vorgestellt
• Echtzeitverlag; diverse Kochbücher; Marcella Hazan, Julia Child, Fergus Henderson, ….
Kochbücher sind Sehnsuchtsbücher. Sie leisten erste Hilfe und fordern unsere Fantasie heraus. Sie sind Dokumente des guten Geschmacks, dessen Nachweis in der Küche erbracht wird.
• John Gray; Katzen und der Sinn des Lebens.
Wie wird man glücklich? Wie ist man gut? Wie wird man geliebt? Philosophen beschäftigen seit Jahrtausenden immer mit den gleichen Fragen. Vielleicht hätten sie sich einfach mal in eine Katze hineinversetzen sollen. …
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