Das mit dem großen Schornstein
Conny Erber über den Kulturverein Schlot und sein Schaffen im Franckviertel: Das Franckviertel war ursprünglich ein Arbeiter:innen- und Industrieviertel und noch heute wird es umgangssprachlich als Glasscherbenviertel bezeichnet.
Linz ist grundsätzlich eine überschaubare Stadt. Die Hotspots, die Bobo-Plätze, die Hipster-Ecken, … binnen ein paar Wochen weiß man, wo und wer sich an bestimmten Orten und Einrichtungen in dieser Stadt aufhält, wo man Leute trifft, die ähnliche Attitüden und Präferenzen haben, wo Kulturarbeit stattfindet. Linz ist eben ein Dorf. Man kennt sich dann einfach. Gehört dazu. Oder auch nicht. Aber man weiß zumindest, wo man hinkann, wo man dabei sein muss, was man nicht verpassen sollte. Die jeweilige Bubble nimmt dich auf, man schwimmt mit dem Strom. Apropos Strom: dort waren sie. Im Café neben der Donau. Die Menschen, aus dem Kulturverein Schlot, die zum Feiern in festlicher Atmosphäre kleine Schornsteine auf ihren Köpfen trugen. Witzig. Originell. Wieder eine eigene Bubble. Kennt man noch nicht. Man fragt nach. Freundet sich an. Unterhält sich. Aha, das ist ja interessant. Ein Kulturverein, der außerhalb des fußläufigen Zentrums Angebot schafft und kreativ tätig ist.
Schlot – Kulturverein in der Franckstraße
Birgit Kolbinger war eigentlich nur auf der Suche nach einem eigenen Atelier, damit sie ihr künstlerisches Schaffen mit der Materie Glas umsetzen kann. Gefunden hat sie eine Halle im Franckviertel in Linz mit rund 200 Quadratmetern und eigenem Garten. Es war schnell klar, dass es hier mehrere Menschen braucht, die diesen Gemeinschaftsspace nutzen, hier arbeiten und kreativ sein möchten. Kunst unterschiedlichster Art, Musik für unterschiedlichste Ohren sollen in dieser Halle produziert werden. Ein Konzept, das ungewöhnlich für diese Gegend ist. Berührungsängste mit dem Viertel oder generelle Bedenken hatte Kolbinger nicht. Ihre berufliche Laufbahn hat bei der gelernten Glaserin bereits im Franckviertel begonnen. Back to the roots sozusagen. Und weil Linz eben ein Dorf ist, war die Suche nach Gleichgesinnten für dieses Projekt rasch erledigt. Schwupp und Platsch. Ein neuer Kulturverein wurde soeben geboren.
Wie alle Neugeborenen bekommt daher auch der Kulturverein Schlot viel Aufmerksamkeit von außen geschenkt. Das Herzblut, das vor allem durch die Vielzahl an beteiligten Menschen in dieser Kulturhalle geflossen ist und noch immer stetig fließt, die gute Vernetzung von diesen Menschen mit anderen Kulturinteressierten, der damalige Faktor „new in town“ und der heutige „außergewöhnlich für Linz“, zieht Menschen in die Gegend des Schornsteins. Seit nun schon neun Jahren wird das Franckviertel durch diesen Kulturverein bereichert.
Wie funktioniert aber Kulturarbeit in Linz außerhalb der gewohnten Pfade? Schafft es Platz für Neues, für Neugier, für Inspiration und für Partizipation?
Kulturarbeit – zwischen Risiko und Chance
Das Franckviertel war ursprünglich ein Arbeiter:innen- und Industrieviertel, im Speziellen mit der Glasfabrik, und wird auch daher liebevoll Glasscherbenviertel genannt. Durch den Zuzug von ausländischen Menschen hat es sich, zu Unrecht, zu „einem zu vermeidenden Migrant:innenviertel“ entwickelt und wird in der Linzer Mehrheitsgesellschaft auch als solches wahrgenommen. Für die freie Kulturszene ist dieser Raum zumeist unattraktiv, wird daher nicht genutzt oder für kulturelle Projekte verwendet. Schade. Gerade dieses Viertel hat Potenzial, das ausgeschöpft werden kann. Das erklärt auch der Kompetenzverbund Kulturelle Integration und Wissenstransfer, kurz KIWit, aus Stuttgart in einer Broschüre, die 2019 veröffentlicht wurde: „Eine umfassende interkulturelle Öffnung und eine diversitätsorientierte Weiterentwicklung von Kultureinrichtungen jeglicher Art ist das Gebot der Stunde – nicht nur wegen des gegebenenfalls bald ausbleibenden Publikums, sondern auch um ihren gesellschaftspolitischen Auftrag erfüllen zu können – und zwar gegenüber einer hybriden, postmigrantischen Gesellschaft. Zu lange war die Programmatik der meisten Kultureinrichtungen eher eurozentrisch ausgerichtet und orientierte sich größtenteils an einem im Verschwinden begriffenen ‚klassischen Bildungsbürgertum‘. Es geht ums Ankommen in unserer heutigen, migrantisch geprägten Gesellschaft, um die Repräsentation vielfältiger Lebensweisen, um die Bereicherung durch Vielfalt und das Entstehen neuer Kunstformen, es geht um aktive Teilhabe und das Ermöglichen von Zugängen – letztlich um Legitimation öffentlicher Kulturfinanzierung. Und natürlich geht es auch um das Generieren neuer Zielgruppen als zukünftiges Publikum.“ (siehe Kompetenzverbund Kulturelle Integration und Wissenstransfer, 2019).
Der Schlot hat Pionier:innengeist bewiesen und sich untypischerweise in einem weniger beliebten Viertel in Linz, in der ehemaligen Fehrer Fabrik angesiedelt. Mittlerweile etabliert und nicht mehr wegzudenken. Trotzdem. Die negative Konnotation ist nur schwer zu lösen. Deshalb öffnet der Schlot seine Tore und lädt die Bewohner:innen dieses Stadtteils immer wieder ein, um genau dieses gedankliche Konstrukt aus den Köpfen zu manövrieren, Barrieren abzubauen und unterschiedliche Menschen zu verbinden. Der Anspruch wäre, nicht nur mit Künstler:innen mit Migrationshintergrund zu arbeiten, sondern auch Menschen mit unterschiedlicher Herkunft in den Räumlichkeiten und bei Veranstaltungen als Gäste begrüßen zu dürfen. Richtig Anklang findet dieses Konzept bei den hier lebenden Menschen jedoch leider nicht. Außer bei ein paar alteingesessenen Hackler:innen, die durch die Neugierde motiviert, auch durch den persönlichen Bezug zur Fabrikarbeit geprägt, in den Schlot kommen, um zu staunen, was aus der alten Verpackungshalle geworden ist. Besser funktionieren der Austausch und die Beteiligung, wenn die Schlot-Crew ihr gewohntes Habitat verlässt und nach außen geht. In den öffentlichen, sichtbaren Raum. Der Kiosk im Franckviertel wird immer wieder mal originell umfunktioniert, unterschiedlich bespielt und genutzt. Er bietet den Bewohner:innen eine witzige Abwechslung und Möglichkeit zum Austausch untereinander. Aber auch hier: kaum Migrant:innen. Schade, denn Bingo spielen und Eis essen ist sicherlich kulturell verbindend. Aber vielleicht zielen solche Kulturangebote auch an den Bedürfnissen von Menschen außerhalb der gewohnten Bubble vorbei. Vielleicht muss man auch keine Kulturangebote schaffen, die für alle Menschen ansprechend sind oder eine Durchmischung der Kulturen bei den Besucher:innen zum Ziel hat. Eigene Präferenzen und Bedürfnisse brauchen keine sprachlichen Barrieren oder kulturelle Hintergründe. Gewiss ist auf jeden Fall, dass Kulturarbeit in außergewöhnlichen Gegenden einfach herausfordernd und anders ist. Und das ist gut so.
Einen Vorteil hat der Standort in diesem Viertel nämlich auf jeden Fall: Alleinstellungsmerkmal. Das Franckviertel bietet mit vielen Vereinen und anderen Institutionen sowie durch den liebenswürdigen Kiosk im öffentlichen Raum genug Angebote. „2015 eröffnete das Stadtteilzentrum Franckviertel, in dem die Stadt Linz alle Leistungen des Geschäftsbereiches Soziales, Jugend und Familie für alle Bewohner:innen des Stadtteiles Franckviertel anbietet.“ (siehe www.linz.at) Die künstlerische Vielfalt geballt an einem Ort kommt aber nur im Schlot zur Geltung und wird dort gelebt und umgesetzt. Selbst Birgit Kolbinger ist davon überzeugt, dass das Konzept des Schlots in der Linzer Innenstadt anfangs kein so großes Aufsehen erregt hätte. Auch für das Linzer Stadtbild ist es von Vorteil, wenn sich Kultureinrichtungen breitgefächert verteilen und unterschiedliche Aspekte des kulturellen Schaffens abdecken.
Ein Nachteil, oder eine Hürde, ist dennoch auf jeden Fall die Frage nach dem Publikum. Es gibt grundsätzlich kein Laufpublikum, es verirren sich keine Menschenmassen in den Schlot. Vielleicht auch bedingt durch den verwinkelten Zugang und die Ungewissheit, was sich in dieser Betonnische verbirgt. Gleichzeitig ist Linz eben ein Dorf. Es ist schwierig, die Linzer Blase von der gewohnten Innenstadtatmosphäre in ungewohntes Terrain zu führen. Obwohl die Anreise mit dem Bus 25 komfortabel, der Radweg sogar durchgängig ist, steht der Kulturverein bei jeder Veranstaltung vor dem eigenen Mobilisierungskonzept, um Publikum zu generieren. KIWit empfiehlt: „Es ist stets Wert zu legen auf eine zielgruppengerechte Kommunikation. So ist es unverzichtbar, unmittelbar in den einzelnen Communitys zu werben und potenzielle Teilnehmer*innen auch persönlich anzusprechen. Es ist auch hilfreich, sich dort zu treffen, wo die jeweiligen Communitys ihre Treffpunkte haben, wie Bürgerzentren, Generationenhäuser, Vereinsräume aber auch Cafés oder Bars etc. Mündliche Kommunikation (z. B. telefonisch) sowie persönlicher Kontakt können deutlich erfolgreicher sein als Schriftliches – aber natürlich auch wesentlich zeitaufwändiger.“ (siehe Kompetenzverbund Kulturelle Integration und Wissenstransfer, 2019).
Der Schlot schafft aber auch das und überwindet Hindernisse jeglicher Art. Das Herzblut fließt nach wie vor, die Ideen sprudeln, keine Zeichen von Müdigkeit. Dieser Kulturverein ist einzigartig, etwas Vergleichbares gibt es nicht. Eine Künstler:innenatelier-Gemeinschaft, wo wiederum Kulturangebote geschaffen und gleichzeitig angeboten werden, ein Musikproberaum, eine Bühne, die perfekt für Konzerte und Lesungen dient, eine Werkstatt, ein Raum für Vernissagen und Austausch, ein Wohnzimmer. Ein Kulturverein, der abseits der gewohnten Pfade eine absolute Bereicherung ist. Das alles ist der Schlot. Familiäre Atmosphäre wird nicht nur bei Veranstaltungen großgeschrieben. Das Publikum ist mittendrin, statt nur dabei und wird Teil des Atelier- und Werkstättenbereichs, muss selber auf die Bühne, um zur Bar zu gelangen. Apropos Familie: der Schlot erweitert sein Team und sucht zwei interessierte Menschen, die Teil davon werden möchten. Also, auf ins Franckviertel!
Kulturverein Schlot
Franckstraße 45, 4020 Linz
www.schlot.info
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