Das, was uns umgibt
„The Era of Dissolution“ im KunstRaum Goethestrasse xtd. im Herbst: Michael Franz Woels gibt einen ersten Eindruck zum Projekt „The ragged gesture“. Zuerst allerdings eine Skizze des Mission Statements des KunstRaums, das Kunst auch in einer Katalysatorfunktion des gegenseitigen Respekts verstanden wissen will.
Der KunstRaum Goethestrasse xtd. ist ein Ort zeitgenössischer Kunstproduktion, ein Raum für Experimente und für künstlerische Prozesse und Präsentationen, ein Raum für Workshops, gemeinsames Arbeiten und Ausstellungen. Oder wie es Susanne Blaimschein, die seit 2008 gemeinsam mit Beate Rathmayr für verstärkte Schnittstellenarbeit zwischen KünstlerInnen und Menschen mit psychosozialen Beeinträchtigen sorgt, beschreibt: „Bei der Arbeit des KunstRaum Goethestrasse xtd geht es uns nicht darum, „etwas“ zu eventisieren, sondern der Zeit entsprechend sowohl Methoden, wie Formate und PartnerInnen zu finden, um gemeinsam zu tun, sich aktiv einzubringen, Sichtbares zu produzieren, Wahrnehmungen anzustoßen, Erlebnisse zu schaffen und Kooperationen zu leben. Durch, mit und über bildende Kunst über Gesundheit, Gesellschaft, Stadt und Respekt – in möglichst vielen Sprachen und auch ohne Wörter – zu kommunizieren ist wesentlich.“
Seit 2008 realisiert der KunstRaum Goethestrasse xtd., ein Angebot der pro mente OÖ, gefördert aus öffentlichen Mitteln, Kunst- und Kulturpreisen, Projekt-Sponsoring und Kooperationen, auch Kunstprojekte im öffentlichen Raum. Interventionen und Installationen, die sich mit der Stadt und ihren BewohnerInnen auseinandersetzten waren zum Beispiel 2009 die Projektreihe der Kranke Hase/verrückt nach Linz – als Kooperation mit der Kulturhauptstadt Linz. Susanne Blaimschein dazu: „Wir haben KünstlerInnen eingeladen, sich verstärkt mit dem Stadtraum und der Frage „Wie viel Verrücktheit verträgt Provinz“ zu beschäftigen. Von März bis Oktober gab es im Stadtraum von Linz, im Volksgarten, am Hauptplatz, am Pfarrplatz, in der Landstraße, im Einkaufszentrum Passage temporäre Installationen. Im Volksgarten wurde ein Baumhaus errichtet, am Pfarrplatz irritierten „Sprechende Tiere“, hasenmaskentragende StadtbewohnerInnen flanierten durch den Stadtraum.“
Botschaften in die Stadt zu bringen ist somit eine der Möglichkeiten, den öffentlichen Raum künstlerisch zu durchwirken. Exemplarisch hier das Jahresthema „Im täglichen Wahnsinn den Zauber finden“ von 2011 mit zwei realisierten Projekten: Eine Reiterin mit einer Kartonfahne wurde zur Botschafterin dieses trostspendenden Apercus. Weiters wurden eine große Anzahl metergroßer Kartonfahnen mit der Wahnsinns-Aufschrift im Stadtraum ausgebracht. Susanne Blaimschein rekurriert: „Der tägliche Wahnsinn lässt sich nicht ändern, aber der Zauber lässt sich gestalten.“
Beim Projekt „Weiße Katzen/Sieben Leben“, das ebenfalls 2011 gestartet wurde und bis heute läuft, wurden sieben überdimensionale weiße Katzenobjekte aus Styropor und Plüsch in den Stadtraum – auch ins MQ Wien – transferiert. Diese Katzenobjekte werden in Patenschaften vergeben und sind bis heute ausgebucht.
Noch eine weitere Projektauswahl zur Veranschaulichung: Die Botschaft „Bevor wir scheitern arbeiten wir doch zusammen“ wurde mit metergroßen Kartonbuchstaben, die in Workshops gebaut wurden, an jeweils von den ProtagonistInnen, zunächst von Jugendlichen, bevorzugten Orten gebracht.
Mit „City of Respect / Die Stadt des Respekts“ wurde im Juli 2016 gemeinsam mit LINZ AG LINIEN und Friedensstadt Linz eine einjährige Kooperation gestartet und ein Übereinkommen formuliert, gemeinsam mit Kommunikationsmaßnahmen und Projekten für eine Stadt des Respekts Sorge zu tragen. Im Mission Statement von City of Respect findet sich zum Beispiel folgende Zeile: „City of Respect“ basiert auf der Annahme, dass jeder Mensch gestalten, etwas bewirken und wirken will. In der Zusammenarbeit zwischen Sozialem, Verkehr, Stadt und Kunst ist es möglich, Menschen mit dieser Initiative zu erreichen, sie für das Anliegen zu sensibilisieren und eine Auseinandersetzung darüber anzuregen.“ Und im zehngebotigen Manifest wird in der zeitgenössischen Kunst „ein Katalysator für das Erleben von Zusammenhalt“ erkannt.
Diese Katalysatorfunktion von Kunst kann demnächst im KunstRaum Goethestrasse xtd. bei der Ausstellung „The ragged gesture“ von dem Londoner KünstlerInnenduo Atherthon/Mccormack überprüft werden. Diese co-worken momentan unter dem Label „The Era of Dissolution“, vormalig waren sie bekannt unter der Bezeichnung The Nudge Unit. Michelle Atherthon und Thomas Col Mccormack kamen erstmalig 2015 nach Linz, um ihr Projekt The NudgeUnit vorzustellen und um ihr Projekt in der Stadt Linz zu erweitern, um KünstlerInnen und Kunstinstitutionen kennenzulernen und um für zukünftige Zusammenarbeiten einen Austausch zu starten. Der erste Aufenthalt von Michelle Atherton und Thomas Col Mccormack wurde dabei durch eine Initiative des Künstlers Sam Bunn ermöglicht. Beate Rathmayr und Susanne Blaimschein wurden neben vielen anderen Linzer Kunstinstitutionen ebenfalls zu einem Austausch eingeladen, sie diskutierten über die Arbeit und die Visionen des KunstRaums Goethestrasse xtd. ebenso wie über das Projekt The Nudge Unit. Aus diesem ersten Treffen in Linz folgte eine weitere Einladung, gemeinsame Arbeitstage mit Michelle Atherhon und Thomas Col Mccormack folgten und die Einladung zur Präsentation eines Projektes im KunstRaum Goethestrasse xtd.
Beate Rathmayr über ihre Erwartungen: „Die künstlerischen Positionen von Michelle Atherton und Thomas Col Mccormack eröffnen Fragen und Austausch über bestehende Strukturen, kulturelle Phänomene, die Wahrnehmung des Stadtraums sowie einen Austausch über Positionen der zeitgenössischen Kunst. Als Lehrende an der Sheffield Hallam University haben sie gemeinsam im Rahmen des Projektes The Nudge Unit Fragen nach den Strukturen unserer Zeit gestellt. Ihre künstlerische Praxis in Verbindung mit wissenschaftlichen Methoden, Fragestellungen und Herangehensweisen eröffnet eine neue Sichtweise, die für unsere Arbeit im KunstRaum Goethestrasse xtd sicherlich Impulse geben wird. Der öffentliche Raum, der Ausstellungsraum und der private Raum werden neu geordnet – Versuche und Vorschläge, ein Herantasten an Formen, Wirkungen und Zuschreibungen.“
Der Künstler und Akademiker Thomas Col Mccormack im O-Ton über den Ausstellungstitel „The ragged gesture“: „A ragged gesture is a counter position, an instance that manifests itself against the neat formulations of progress and handed down historical trajectories. It speaks to the ruptures of the past and present, in offering points of contention to the state we find ourselves in today. A formal-physical phenomena has become apparent, where many of the geometric environments we have constructed or inhabit, are dissolving or are being dissolved. The long held certainties of the vertical line, structural integrity and clean frame are all being undermined, directly challenged, displaced and broken out of. In response they have determined that the essence of this phenomenon is a ragged gesture.“
Beate Rathmayr abschließend: „Die Frage nach dem ‚Wir‘, die der KunstRaum als Jahresstatement formuliert hat, wird in dieser Auseinandersetzung, der Ausstellung The ragged gesture“, aus den Spuren des „Wir“ gezeichnet. Was sehen wir täglich, was hinterlassen wir oder was umgibt uns an Gebautem, Gewachsenem, Zerstörtem … oder auch: Wie definieren wir uns über das, was uns umgibt?“
The Ragged Gesture im Herbst im KunstRaum Goethestrasse xtd.
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